Der Deichsler Altar unterm Mikroskop

Nr. 56 | 23. Februar 2016
Germanisches Nationalmuseum
07
Der Deichsler Altar unterm Mikroskop
Restauratorinnen machen originale Bemalung der bedeutenden Skulpturengruppe sichtbar
Kopf der Johannesfigur vor und nach
der Restaurierung
Mitte: Restauratorin
Wibke Ottweiler bei
der Arbeit
Fotos: GNM
Noch liegen die drei Holzfiguren auf dem Tisch
der Skulpturenrestaurierung im Institut für Kunsttechnik und Konservierung, doch ab 5. Mai werden
Johannes, Maria und der gekreuzigte Christus wieder zu sehen sein. Nach mehr als zehn Jahren kehrt
die Hauptgruppe des sogenannten Deichsler Altars
von 1419/20 zurück in die Öffentlichkeit. Eine Sonderausstellung widmet sich ihr und Nürnberger
Meisterwerken aus der Zeit um 1420.
Der Deichsler Altar ist nach dem Mann benannt,
der ihn in Auftrag gab: Um 1419, zur Blütezeit der
Nürnberger Kunst, stiftete der Nürnberger Patrizier Berthold Deichsler einen neuen Altar für die
Dominikanerkirche, die einst an der Burgstraße
nahe St. Sebald stand. Der Name des ausführenden
Künstlers ist nicht bekannt.
Deichsler bestellte einen Flügelaltar. Große, bemalte Altartafeln verschlossen ein schreinartiges
Gehäuse. Nur an besonderen Feiertagen wurde das
kostbare Werk geöffnet, so dass Kirchenbesucher
die Kreuzigungsgruppe in seinem Inneren bewundern konnten. Nach dem Abriss der Dominikanerkirche zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der
Deichsler Altar in mehrere Teile zerlegt. Die bemalten Außenflügel gelangten 1844 in die Sammlung
der Königlichen Gemäldegalerie in Berlin, wo sie
sich bis heute befinden. Die Holzfiguren kamen 1875
als Depositum der Stadt Nürnberg ins Germanische
Nationalmuseum.
Da die Flügel des Altars über die Jahrhunderte
meist geschlossen blieben, war die Kreuzigungsgruppe in ihrem Innern relativ gut vor Licht, Feuchtigkeit, Temperaturschwankungen und Vandalismus geschützt. Ein Glück, denn sonst wäre ihre
Substanz wohl nicht so gut erhalten.
Unter Farbschichten verborgen
Sorge bereitete allerdings ihre Bemalung. Die
Figuren waren im Laufe der Zeit mehrfach überarbeitet worden. Schon in den 1930er Jahren bemerkten Restauratoren, dass sich darunter die Originalbemalung außergewöhnlich gut erhalten hatte und
begannen, nicht authentische Farbschichten zu
entfernen. Mit den damaligen Methoden konnten
die Arbeiten nicht vollendet werden, so dass man
die Oberflächen der Skulpturen mit einer Lasur
überzog, um die unterschiedlichen Farbschichten
zu vereinheitlichen.
Ziel der aktuellen Restaurierung war es, diese Lasuren und die verbliebenen neueren Farbschichten
zu entfernen und die Beschädigungen an der historischen Bemalung zu retuschieren. Eine nahezu
vollständig erhaltene Fassung aus der ersten Hälfte
des 15. Jahrhunderts sichtbar zu machen, ist sogar
für die Restauratorinnen etwas Besonderes, denn
original bemalte Figuren aus dieser Zeit sind selten
und in Nürnberg kaum bekannt.
Millimeter für Millimeter untersuchten sie die
Oberfläche jeder Figur unter einem Stereomikroskop. Jüngere Fassungen und Schmutzschichten
ent­fernten sie vorsichtig mit dem Skalpell oder
Lösungsmittel-Gelen. Fehlstellen in der Bemalung
retuschierten sie mit kleinsten Wasserfarbpunkten.
Jeder Arbeitsschritt wurde im Vorfeld diskutiert
und anschließend genau dokumentiert. Für spätere
Generationen soll jede Maßnahme nachvollziehbar
sein. Außerdem sind Retuschen heutzutage immer
reversibel und können im Zweifelsfall von anderen
Restauratoren wieder rückgängig gemacht werden.
Früher war es vor allem wichtig, ein historisches
Aussehen zu rekonstruieren und sichtbare Schäden
zu beheben. Fehlte die Hand einer Figur, wurde sie
ersetzt. Hatte sich das Polster eines Sessels nicht erhalten, wurde ein neues ergänzt.
Heute wird, wenn überhaupt, nur nachgebildet, wenn man das exakte Aussehen kennt. Und
auch dann gilt es, die individuelle Geschichte des
Kunstwerkes zu berücksichtigen. Dem Christus der
Deichsler Kreuzigungsgruppe fehlen zum Beispiel
zwei Zehen am rechten Fuß. Zweifellos existierten
sie. Anhand der Größe des Fußes und der übrigen Zehen, lässt sich ihre Gestalt sogar relativ gut bestimmen – aber eben nur relativ, nicht genau. Die Zehen
nachzubilden würde deshalb einen Eingriff in die
künstlerische Arbeit bedeuten. Außerdem sind sie
nicht notwendig, um die künstlerische Qualität und
die inhaltliche Bedeutung der Figur zu erkennen.
Deshalb wird lediglich überprüft, ob das Holz des
Christusfußes auch an anderen Stellen brüchig ist
und das Material gegebenenfalls gefestigt.
Eine Kuriosität trat bei der Untersuchung ebenfalls zu Tage: Das Gesicht Christi ist von dunklen
Locken gerahmt. Aber nur das Haupthaar ist aus
Holz geschnitzt, die seitlichen Strähnen wurden
aus Blei gedreht und am hölzernen Kopf befestigt. Äußerst ungewöhnlich –
und der bislang einzige
bekannte Fall dieser Art.
Warum? Wie so oft bei
seltenen Phänomenen gibt es viele
Theorien. Der Frage wird derzeit
noch nachgegangen.
Ab Mai können sich Besucher die Figuren erstmals
in direktem Kontext zeitgenössischer Nürnberger
Meisterwerke ansehen
und sich von ihrer Qualität selbst überzeugen.
Wibke Ottweiler
Der Deichsler Altar
Nürnberger Kunst
um 1420
5. 5. bis 23. 10. 2016
Museum in der Kriegszeit
Die Leichtigkeit des Denkens
Vorschau: In Erinnerung an den Ersten Weltkrieg
begibt sich das Germanische Nationalmuseum
auf Spurensuche in der eigenen Vergangenheit.
In einer Studio-Ausstellung in der Sammlung zum
20. Jahrhundert und in der Spielzeugsammlung
zeigt es ab November politisch aufgeladene, vorhersehbare, aber auch überraschende Objekte
der Jahre zwischen 1914 und 1918.
Die Zeit des Ersten Weltkriegs ist eine von
offenkundigen Gegensätzen geprägte Epoche
in der Geschichte des
GNM. Der Krieg beeinträchtigte die tägliche
Museumsarbeit: Mitarbeiter
wurden für den Militärdienst eingezogen, manche
Museumsräume mussten
zeitweilig schließen und
das Budget wurde kräftig
zusammengestrichen. Zeitgleich entwickelte das Haus
eine rege Bautätigkeit. 1916
begann die Arbeit an der
repräsentativen, von German
Bestelmeyer konzipierten Eingangshalle am Kornmarkt und
1920 wurde der sogenannte
Galeriebau mit neuen, modernen
Ausstellungsräumen eingeweiht. Mitten im Krieg erhielt das Museum einen großzügigen Gebäudetrakt.
Und wie sah die Sammlungsarbeit in dieser
schwierigen Zeit aus? Was und wie wurde erworben? Vor allem zeittypische Objekte gelangten
in den Bestand: Bereits Ende 1915 kaufte das
Museum für immerhin 2.300 Mark ein umfangreiches Konvolut von 743 Notgeld-Scheinen, das
2016 ist Leibniz-Jahr: Mit zahlreichen Aktivitäten begeht die Leibniz-Gemeinschaft bundesweit
den 370. Geburtstag und den 300. Todestag ihres
Namenspatrons Gottfried Wilhelm Leibniz. Als Mitglied des renommierten Forschungsverbundes widmet sich das Germanische Nationalmuseum ab dem
30. Juni in einer Studio-Ausstellung dem für Leibniz
wesentlichen Thema der „Modelle“.
Ob Schiffs- und Architekturmodelle, rekonstruierte Bauernstuben oder Puppenhäuser als Miniaturmodell des späteren Erwachsenenlebens – alle
Sammlungen stellen Beispiele aus ihren Beständen
für die Sonderschau zur Verfügung. Die Spanne ist
breit, es kann sich um Modelle handeln, die monumentale Werke wie Gebäude oder Wehranlagen
verkleinert wiedergeben, oder aber um Modelle als
Mittel von Planungsprozessen, wie beispielsweise
Entwürfe für Wandmalereien, Gemälde, Skulpturen
oder Inneneinrichtungen. Eine barocke Miniaturkanzel veranschaulicht, wie die Nürnberger ihre
St. Egidienkirche ausgestalteten. Manchmal ist das
Original nicht mehr erhalten und einzig das Modell
liefert heute noch ein Bild von ihm.
Modelle dienen auch als Muster. Dazu zählen
etwa Lehrmodelle von Maschinen und Geräten
oder, kurioser und seltener, Beinprothesen. Modelle können außerdem die Funktionen von Denkwerkzeugen übernehmen, mittels derer innovative
Ideen erklärt und vorangetrieben werden. Und nicht
zuletzt sind Modelle manchmal Wunschbilder, die
eine fixe Idee, eine Utopie, visualisieren. Vor allem
futuristische Architekturmodelle zeugen hier vom
Einfallsreichtum ihrer Schöpfer.
Der Philosoph, Mathematiker, Diplomat, Historiker und politische Berater Gottfried Wilhelm Leibniz
(1646–1716) erkannte schon früh den vielfältigen
in den Jahren 1914/15 in Umlauf kam. Der kriegsbedingte Kleingeldmangel hatte die Ausgabe des
provisorischen Papiergeldes notwendig gemacht,
das stellvertretend für die Geld- und Wirtschaftsgeschichte der ersten Kriegshälfte steht. Die
Selbstwahrnehmung der Deutschen und
ihr Ansehen im Ausland demonstrieren
Plakate, Postkarten und Karikaturen
aus dieser Zeit, historische Fotografien und Briefe ergänzen diese Bildpropaganda um ungeschönte,
persönliche Erlebnisberichte.
Wandteller mit patriotischen
Motiven und Sprüchen
mahnten die Bevölkerung
durchzuhalten.
Bislang wenig beachtet
wurden Postkarten mit
Motiven von Kindern in
militärisch anmutender
Kleidung. Spielzeugwaffen
und Soldatenfiguren waren
seit dem 19. Jahrhundert
populäre Geschenke für
Jungen. „Frankreichs jüngstes Aufgebot“ ist eine Postkarte von Paul Otto Engelhard von
1915 bezeichnet, auf der sich ein kleiner Junge im
Strampler mit Schnuller im Mund auf einen Gewehrlauf stützt. Darstellungen von gerüsteten Kindern
auf Postkarten sollten dem Krieg seinen Schrecken
nehmen und in die Welt des Spiels rücken.
Sonja Mißfeldt
Kriegszeit im Nationalmuseum
24. 11. 2016 bis 26. 11. 2017
Nutzen von Modellen, zu denen er neben Kleinarchitekturen auch Globen, Automaten, Windmaschinen
und künstliche Apparate aller Art zählte. Für ihn
bargen sie die Möglichkeit, eine Theorie lebendig
und anschaulich zu vermitteln. Modelle führen Dinge vor Augen, ohne Worte oder Bilder zu Hilfe nehmen zu müssen. In reduziertem Format erlauben sie
außerdem Betrachtungen aus sonst unmöglichen
Perspektiven. Leibniz begriff das Modell als effizientes Mittel der analytischen Veranschaulichung, des
spielerischen Lernens – als Förderung der „Leichtigkeit des Denkens“.
Frank Matthias Kammel
Leibniz und die Leichtigkeit des Denkens
Historische Modelle – Kunstwerke, Medien,
Visionen
30. 6. 2016 bis 5. 2. 2017
Peter Birkenholz mit
dem Modell des Kugelhauses, ca. 1954
Fotograf unbekannt
Deutsches Kunstarchiv