8 // CAR E ko n kret AUS GA B E 5 1 / 5 2 // 1 8 .1 2 .2 0 1 5 HEIME Freiheitseinschränkende Maßnahmen Leitlinie wird in der Praxis erprobt Die Leitlinie zur Vermeidung freiheitseinschränkender Maßnahmen soll Heimen eine Hilfe an die Hand geben, Alternativen zur Fixierung zu finden. Aktuell wird sie in einem Praxistest geprüft und wurde in der Zwischenzeit bereits aktualisiert. VON JENS ABRAHAM & RALPH MÖHLER erstellt. Im Rahmen eines formalen Verfahrens wurden auf der Grundlage wissenschaftlicher Studien von einer Expertengruppe Empfehlungen für die Praxis zu verschiedenen möglicherweise hilfreichen Maßnahmen zur Vermeidung von FEM entwickelt. Die Expertengruppe wurde von der Initiative „Mehr Freiheit wagen“ (Projekt mehrere Universitäten) ins Leben gerufen und setzte sich aus Vertretern verschiedener Berufsgruppen zusammen, z. B. aus der Pflegewissenschaft, der Pflegepraxis, Medizin, Ethik, Recht, des MDS und jeweils einer Vertreterin von Bewohnern und Betreuten. Halle-Wittenberg // Freiheitseinschränkende Maßnahmen (FEM) wie Bettgitter und Gurte im Bett oder Stuhl sind in der Altenpflege seit vielen Jahren ein viel diskutiertes Thema. Auch wenn die Häufigkeit von FEM in den vergangenen Jahren tendenziell abgenommen hat und das Bewusstsein für das Thema bei vielen Beteiligten gewachsen ist, ist ihre Anwendung nach wie vor gängige Praxis in Pflegeheimen. FEM werden vor allem eingesetzt, um Bewohner vor Stürzen und daraus resultierenden Verletzungen zu schützen. Viele Studienergebnisse weisen jedoch darauf hin, dass FEM nicht geeignet sind, Stürze zu vermeiden und den Bewohner sogar eher schaden als dass sie ihnen nützen. Um Pflegende und Einrichtungen dabei zu unterstützen, soweit wie möglich auf FEM zu verzichten, wurde im Jahr 2009 die erste evidenzbasierte Praxisleitlinie zur Vermeidung von FEM in der Altenpflege Wirksamkeit der Leitlinie überprüft Auf Basis der Leitlinie wurde ein Programm zur Vermeidung von FEM entwickelt und in einer randomisierten kontrollierten Studie mit 36 Pflegeheimen hinsichtlich der Wirksamkeit und Sicherheit untersucht. Hierfür wurden 18 Pflegeheime einer Interventionsgruppe und 18 Heime einer Kontrollgruppe zufällig zugeteilt. In den Einrichtungen der Interventionsgruppe wurden Kurzschulungen für alle Pflegenden auf Grundlage der Leitlinie durchgeführt und darüber hinaus sogenannte FEM-Beauftragte als Multiplikatoren intensiv geschult. Zusätzlich wurden neben der Leitlinie verschiedene Informationsmaterialien für Bewohner, Angehörige, Betreuer und Pflegende sowie verschiedene Imagematerialien (Poster, Kaffeebecher, etc.) bereitgestellt. Die Einrichtungsleitungen versicherten mit einer schriftlichen Deklaration, sich für die Reduktion von FEM einzusetzen. Die Kontrollgruppe erhielt eine kurze schriftliche Information zum Thema FEM. Nach der sechsmonatigen Beobachtungszeit hatte sich die Häufigkeit von FEM in der geschulten Gruppe deutlich reduziert. So war der Anteil der Bewohner, bei denen FEM angewendet wurden, in den Heimen der Interventionsgruppe von 31,5 Prozent auf 22,6 Prozent gesunken, in der Kontrollgruppe blieb die Zahl dagegen nahezu unverändert (30,6 Prozent bei Studienbeginn und 29,1 Prozent bei Studienende). Zu unerwünschten Auswirkungen wie einer Zunahme von Stürzen und sturzbedingten Verletzungen oder einer vermehrten Verordnung von Psychopharmaka kam es dabei nicht. Im vergangenen Jahr hat ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Folgeprojekt begonnen, das gemeinsam von den Universitäten Lübeck, Halle (Saale), Hamburg und Witten/ Herdecke durchgeführt wird. Ziel dieser Studie ist es, zwei Varianten des leitlinienbasierten Programms in einer großen Stichprobe (120 Pflegeheime) zu implementieren und hinsichtlich der Wirksamkeit zu untersuchen. Neben dem aktualisierten Original-Programm wird in der Studie ein weniger aufwändiger Ansatz überprüft. Dabei entfällt die Kurzschulung aller Pflegenden und stattdessen werden die FEM-Beauftragten befähigt, selbstständig Schulungen in ihren Einrichtungen durchführen zu können. In der Kontrollgruppe werden lediglich schriftliche Informationsmaterialien bereitgestellt. Die Hauptstudienphase hat im Februar 2015 begonnen und wird voraussichtlich bis Oktober/ November 2016 andauern. Die Ergebnisse der Studie werden voraussichtlich Frühjahr 2017 vorliegen. Ähnlich wie in der ersten Leitlinienfassung zeigte sich, dass FEM in der Regel mehr Schaden als Nutzen bringen. FEM sind also nicht geeignet, um Stürze zu vermeiden. Sie erhöhen sogar die Sturzgefährdung, da sich die zeitweise Bewegungseinschränkung bei den Bewohnern negativ auf ihre Mobilität und auf die Gangsicherheit auswirken kann. Einfach gesagt: Wer fixiert wird, weil er sich unsicher bewegt, hat durch die Fixierung letztlich eine noch schlechtere Mobilität und hat daher ein höheres Risiko in FEM-freien Phasen zu stürzen. Die Hauptempfehlung der Leitlinie ist also, FEM grundsätzlich zu vermeiden und stattdessen für die individuellen Gefährdungen einzelner Bewohnern spezifische Lösungen zu finden. Die beste Alternative zu FEM ist, diese nicht einzusetzen und stattdessen die Mobilität zu fördern und stutzbedingten Verletzungen vorzubeugen. Und zwar nicht durch Mobilitätseinschränkung sondern spezifische Maßnahmen, wie etwa den Einsatz von Hilfsmitteln. Leitlinie aktualisiert Die Autoren sind wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts für Gesundheits- und Pflegewissenschaft an der Martin- LutherUniversität Halle-Wittenberg. Weitere Informationen unter www.leitlinie-fem.de Bereits im vergangenen Jahr wurde in einem ersten Schritt die Leitlinie mit allen Studienmaterialien (Broschüren für Pflegende, Betreuer, Angehörige sowie Ärzte) aktualisiert. Serie Dienstplanmanagement So ermitteln Sie die Mitarbeiterzahl für den Dienstplan Um vom Pflegeschlüssel zur tatsächlichen Besetzung des Dienstplanes zu kommen, muss der Taschenrechner gezückt werden. So gehen Sie dabei am besten vor. VON MICHAEL WIPP Die einrichtungsbezogene Mitarbeiteranzahl ist durch gesetzliche, aber überwiegend vertragliche Regelungen mit den Pflegekassen festgelegt. Die Umsetzung und Einhaltung dieser Regelungen wird seitens der Vertragspartner (Pflegekassen), aber auch der Heimaufsichtsbehörden kontrolliert. Grundlage der Dienst- und Einsatzplanung stellen bis heute die Pflegeschlüssel dar. Diese variieren nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern auch oft zwischen den Einrichtungen bei identischer Bewohnerstruktur. Nicht wenige Mitarbeiter sind der Meinung, dass die Besetzung der Dienste durch die Pflegedienstleitung festgelegt wird. Tatsächlich ist es aber so, dass eine direkte Verbindung zwischen Bewohnerstruktur, Pflegeschlüssel und Dienstplanbesetzung besteht Lediglich die tageszeitliche Lage der Dienste sowie Dienstbeginn und -ende sind letztlich wirklich variabel. Der Pflegeschlüssel selbst kommt durch eine Mischung aus historischer Entwicklung, Erfahrungswerten, tatsächlichen Kalkulationen und Fortschreibungen zustande. Zu bedenken ist, dass der Pflegeschlüssel – je nach Bundesland variierend – folgende Anteile enthalten kann: JJ JJ JJ JJ Pflegemitarbeiter für Tag- und Nachtdienst, Direkte und indirekte Pflegeleistungen, Pflegedienstleitung (in den meisten Bundesländern), Mitarbeiter Soziale Betreuung/ Ergotherapie (nicht in allen Bundesländern), Beispielrechnung für einen fiktiven Wohnbereich Pflegestufen JJ Urlaub, Fortbildung und Krankheit. Um die Besetzung der Dienste grob zu ermitteln kann folgende Rechenformel herangezogen werden: Bewohnerstruktur nach Pflegestufen geteilt durch die Pflegeschlüssel abzüglich der nicht einzuplanenden Stellenanteile multipliziert mit der Nettowochenarbeitszeit, geteilt durch die überwiegende Dienstlänge = Besetzung der Dienste im Früh- und Spätdienst. Und so geht es: Ermittlung des gesamten Stellenkontingents Aus der Bewohnerstruktur (= Bewohneranzahl nach Pflegestufen) in Verbindung mit den Pflegeschlüsseln errechnet sich die Mitarbeiteranzahl. Eine einfache Mög- Bewohner Rechenweg Pflegeschlüssel 0 1 Geteilt durch 10,2 = Mitarbeiter-Anzahl in Vollkraft-Stellen 0,10 1 10 Geteilt durch 3,31 = 3,02 2 15 Geteilt durch 2,36 = 6,40 3 4 Geteilt durch 1,74 = 2,30 Anzahl Bewohner: 30 Verfügbare Stellen: 11,82 lichkeit für jeden Pflegemitarbeiter die Mitarbeiteranzahl positiv mit zu beeinflussen ist auf die korrekte Einstufung der Bewohner zu achten. Für den fiktiven Wohnbereich „Großer Anker“ mit 30 Bewohnern und folgender Stufenverteilung stehen 11,82 Vollkraft-Stellen (VK) zur Verfügung. S erie Dienstplanmanagement Nicht einzuplanende Stellenanteile berücksichtigen Nachdem die zu verfügbaren Stellen ermittelt sind – in unserem Beispiel 11,82 VK-Stellen – gilt es, diejenigen Stellenanteile abzuziehen, welche nicht für die Besetzung der Dienste in der Dienstplanung des Tagdienstes zur Verfügung stehen. Mitarbeiterbedarf für den Nachtdienst: In der gesamten Einrichtung leben 60 Bewohner auf zwei Wohnbereichen. Im Nachtdienst sind jede Nacht zwei Mitarbeiter mit jeweils zehn Stunden im Dienst. Der Bedarf zur Nachtdienstdienstplanung entspricht 4,375 VK-Stellen. Der Stellen-Anteil für den Wohnbereich Großer Anker berechnet sich also: 11,82 VK-Stellen minus 0,50 VK-Stellen anteilig für PDL minus 2,19 VK-Stellen anteilig für den Nachtdienst minus 0,50 VK-Stellen anteilig für Sozialen Dienst = 8,63 VK-Stellen für diesen Wohnbereich (Berechnungsgrundlage: 40 Wochenstunden/Ausfallzeit: 20 Prozent) (siehe Teil 1 dieser Serie in der CAREkonkret 37/2015). Die Dienstplanbesetzung entspricht demnach bei gleicher Besetzung an sieben Tagen pro Woche und beispielhafter Dienstlänge von sieben Stunden: Frühdienst ca. 3,5 Mitarbeiter und Spätdienst ca. 2 Mitarbeiter. Kürzere Dienstlängen erhöhen die Besetzung (sofern die Teilzeitanzahl an Mitarbeitern dies zulässt). Längere Dienste reduzieren die Besetzung. (Rechenweg: 8,62 VK-Stellen x 32 Netto-Stunden geteilt durch 7 Tage und 7 Stunden Dienstlängen). Lesen Sie mehr zu diesem Thema in Michael Wipp, Peter Sausen, Dirk Lorscheider: Der Regelkreis der Einsatzplanung, 2012, Vincentz Network. Michael Wipp ist Geschäftsführer der Haus Edelberg Dienstleistungsgesellschaft für Senioren. Alle Serienteile können auf seiner Homepage nachgelesen werden: http://vinc.li/1STbcsm
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