Mach ma nich so dolle - landmade. Kulturversorgungsraum

Mach ma nich so dolle Mach ma nich so dolle Schwank in 5 Bildern von Gregor Mirwa Personen (in der Reihenfolge ihres Auftretens) Willi, Alt-­‐Bauer Gabriele, Landmaid Chor, Stammtisch Birte, Landmaid Michael, Botanischer Botschafter Christine, Wasserwanderin Christian, Dorfchronist Matthias, Kanute Edeltraud, Ortsvorsteherin Marlis, Kanutin Malika, Teilzeit-­‐Dorfbewohnerin Tobi, Dorfkind Paula, Dichterin Maja, Touristin Irene, Dorfbewohnerin Frieda, Dorfkind Känguru Anne, Dorfbewohnerin Keiner Birgit, Kartoffel Sebastian, Musikradler Sieglinde, Kartoffel Hanna und Fee, Zugpferde Kasimir, Dorfkind Frank und Bernd, Kutscher Die kleine Frau Roland, Journalist Walter, Wuschelkopf Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 1 1 Bretterbude, oberes Havelufer Sonntag vormittag, im Juli der 10er Jahre, Strodehne. Der Gasthof „Stadt Berlin“ hat heute aus unerfindlichen Gründen geschlossen. Kein Schild, kein Hinweis, kein Gerücht, gar nichts. Jedenfalls: der Stammtisch muss umziehen. Dabei ist heute viel Betrieb auf der Havel. Kanuten, Kayaken, Kängurus und Protest-­‐
Wallfahrer bevölkern die Anleger und die Uferwiesen. Der Hartz-­‐4-­‐
Tisch ist schon besetzt mit Kayaken in neonfarbener Montur. Auch zum Stammtisch wollen heute mehr als sonst. Zu den 6 üblichen Stamm-­‐Stammtischlern haben sich 4 weitere Bürger dazu gesellt. Plötzlich kommen auch noch 3 Frauen hinzu. Die Bretterbude am Wasserwanderrastplatz wäre mit 6 Plätzen rasch besetzt. Die 6er-­‐
Männer setzen sich schnell hin und wollen nicht mehr aufstehen oder aufrücken. Ein Kasten Krombacher und ein Kasten Radeberger stehen zwischen den roh gezimmerten Holzsitzen in der Mitte. Die anderen stehen um die Bretterbude herum und argumentieren. Irgendwo fährt eine Musik vorbei. Willi: Nachm Krieg haste nur was zu sagen, wenn de in der Partei warst. Da haben se den Schuster zum Bürgermeister gemacht. Lass mich in Frieden hat der gesagt, aber er musste es machen. Danach kam ein Traktorist, der war auch nicht besser. Die 6er schweigen. Einer öffnet eine Flasche Krombacher mit den Zähnen. Sein Nebenmann guckt ihn lange an, nimmt eine Flasche aus dem Radeberger-­‐Kasten und ploppt den Verschluß mit Daumennagel auf. Die Erde dreht sich um die Sonne. Sie prosten sich zu, ohne sich anzuschauen. Chor der 6 Männer: Tja, die alte Zeit... Michael: Könnt ihr euch eigentlich noch an „DIE alte Zeit“ erinnern? Christian: Ich ja. Schaut mal her (er zeigt einen dickes Heft hoch) Dies hier ist einer meiner Schätze. Den geb’ ich nicht her. Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 2 Michael: Genau, die mein ich. Hast du von der Ausstellung gehört? (er wendet sich einem Mann zu, den hier keiner kennt. Wir wollen ihn Keiner nennen... Keiner schüttelt den Kopf.) Walter hat sich sehr drum gekümmert. Dinge zusammen tragen, Spaten, historische Fotos, altes Bauerngerät, Sachen vom Leben am Fluss halt. Fast alle aus dem Dorf waren dabei und Walter hat sie mit den Gegenständen fotografiert. Das ist noch nicht lange her, 2004 war das. Es gab viel Auftrieb und Bewegung, ... dann war alles wieder wie vorher. Von der Dorfstraße kommt Musik wie bei einem Wahlkampfauto oder einer Werbekampagne... „Weiße Rosen aus Athen sagen Dir: Komm recht bald wieder, sagen Dir: Auf Wiederseh'n! -­‐ weiße Rosen aus Athen...“ (0:00 -­‐0:25s) https://www.youtube.com/watch?v=oC0zTdr9wno Michael: Ist nicht damals auch die alte Feuerwehrfahne wieder gefunden worden? Einige nicken. Eine der Frauen, Edeltraud, meint: Deswegen ist es auch gut, dass es den Heimatverein gibt... Plötzlich kommt Unruhe auf wie eine graue Wolke, die sich vor die Sonne legt. Die Unruhe kommt vom toten Havellauf auf der sachsen-­‐
anhaltinischen Seite her. Es liegt ein Summen in der Luft wie ein fernes Echo der vorbeiradelnden Musik. Das Summen verwandelt sich in ein Brummen, ein Surren... eine Wolke von Havelmücken hat sich zusammen getan, um ein bisschen im Dorf zu bummeln. Die Wolke belagert die Bretterbude. Aus der Wolke stoßen einzelne Mückengeschwader auf die freiliegenden Spielwiesen nackter Haut herunter. Einige Treffer werden gelandet. Malika: Hilfe, hat jemand Mückenspray dabei? Willi: Nee, ham wer nicht. Das ist ne richtige Plage in dem Sommer. Laß uns von hier verschwinden. Kommt mit zum Sandberg, da gibt’s für die Biester nix zu holen ... Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 3 Die bislang gestanden haben, sind gleich bereit zum Aufbruch. Einige schielen noch zu den Sitzplätzen unter dem Holzdach der Bretterbude. Der 6er-­‐Chor: „Mücke doof... sie will mir an mein Blut... Mücke doof... ich hab ne Riesenwut... Mücke doof... ich schlafe nachts nicht gut... Mücke doof“ (N-­‐joy Radio, nach Deichkind „Bück dich hoch“ -­‐00:45 -­‐00:53) https://www.youtube.com/watch?v=iut6lmxafGw Die Mücken stürzen sich auf den Chor, der Chor springt auf und läuft den anderen hinterher Richtung Sandberg und von dort aus weiter zum Haveldeich. Ein Kasten Bier bleibt vor Schreck zurück, welcher wird später verraten. Mückengeschwader dreht kichernd bei, dann ab Richtung Havelbrücke. Eine junge Frau, Paula, der Gruppe vom Gahlberg entgegen kommend. Irene und Malika rufen: Hallo Paula Paula: Hallo. Sagt mal, ich musste gerade... könnt ihr euch noch an Charly erinnern? Charly und Buschi? Michael und Willi und Edeltraud: Klar! Sie schauen sich kurz an als hätten sie sich verbrannt. Edeltraud: Na, Klar. Klar kenn ich den. Kannte hier jeder. Paula: Ich musste gerade an ihn denken. Wisst ihr noch wie das war, wenn Charly kam? Wenn ein Kind aus dem Dachbodenfenster des Kunsthauses schaut, kann es das Dorf sehen und den Feldweg und den kleinen Baum in der Biegung und dann die Umrisse eines Hundes, der neben einem Auto her galoppiert. Wenn es das sieht, rennt das Kind die Dachbodentreppe runter. Dann poltert es die Haustreppe hinab und währenddessen ruft es laut: Charly kommt. Wenn ein Kind ruft, dass Charly kommt, geht ein Erwachsener in die Küche und setzt Kaffeewasser auf. Wenn ein Kind ruft, dass Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 4 Charly kommt, wird ein Napf mit Wasser für Buschi gefüllt. Beim letzten Mal, als jemand rief, dass Charly kommt, gab es keinen Buschi mehr, der einen Wassernapf brauchte. ... Die Gruppe ist inzwischen am Haveldeich angekommen. Willi, Michael, Irene, Edeltraud, Malika, Christian, der Chor und Keiner. Hinterdrein ein Känguru mit einem Paddel. Sie bleiben vor einer Stahlrohrkonstruktion stehen, die aussieht wie der Brustkorb eines gestrandeten und dort hinter dem Haveldeich verendeten Blauwals. Sie haben Paula aufmerksam zugehört. Paula: ... Beim letzten Mal, als jemand rief, dass Charly kommt, wurde ein Stuhl vor die Stufen zur Terrasse gestellt. 2 Der Wal Im Gerippe des Blauwals steht ein Tisch mit blütenweißer Tischdecke. Außerdem sehr viele Klappstühle. Jemand, der mal durchgezählt hat, meinte, es sind 75. Könnten 75 sein. Einige davon stehen um den Tisch herum, die anderen sind auf dem Grundstück verteilt, liegen auf dem Boden, dösen, einige lehnen gegeneinander, andere machen Muh. Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 5 Christian: Schöne Geschichte, Paula. Ich weiß gar nicht, ob der Ernst nicht auch eine paar Geschichten von Charly aufgeschrieben hat? Aber das Dorf ist ja voll mit Legenden und schrägen Vögeln... Paula: Ja, ich weiß, ich weiß. Meine Geschichte geht aber noch weiter... Malika: Tschuldige, Paula, aber genau das ist der Grund, warum wir damals hierher gekommen sind... Paula (verdutzt, schweigt): ... Willi: Nehmt Platz, Leute, nehmt Platz. Er wedelt mit den Händen, schiebt den Frauen die Stühle unter. Der Chor bleibt in einer Reihe hinter dem Tisch stehen. Dahinter, etwas versteckt: der Bierkasten. Alle anderen setzen sich an den Tisch. Malika, schnell: Habt wohl gestern ordentlich gefeiert, wie? Willi: Ja, was? Na, ein bisschen schon. Aber das Essen am Tag drauf muss wieder schmecken, dann war auch das Fest gut. Neben dem Tisch liegen Tobelkiepen, die er und Michael nun hoch holen. 2 Weidenkörbe ineinander geschoben, darin in Leinentuch eingepackt: Brote, Käse, Wurst. Wasserflaschen stehen, Teller, und Messer liegen auf dem Tisch. Das Känguru hüpft durch die zukünftige Halle und schlägt mit dem Paddel in die Luft, es sieht aus wie Schattenpaddeln. Malika: ... also, ich weiß es noch wie heute als wir hierher gekommen sind... s war eigentlich wegen der Vögel, Watvögel, Zugvögel, Bartmeisen und Aa-­‐Trappen. Don kann die alle erkennen. Wir waren am Gülper See damals, vor 10 Jahren, haben in den Kähnen gechillt und Vögel beobachtet, eigentlich alles, was mit Vögeln zu tun hat... wie die sich rufen und warnen... damals Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 6 haben wir irgendwo auf dem Land ein Häuschen gesucht, waren oben in Mecklenburg-­‐Vorpommern, Sachsen-­‐Anhalt, sind dann aber wieder hier gelandet, in der Dorfgaststätte, fühlte mich gleich wohl, keine Nazis... wegen meiner Haarfarbe werde ich nicht immer gut behandelt. Es war im April, ein heller Tag, sehr warm war’s und drinnen angenehm dunkel. Keiner: Also, Essen und Trinken ist im Dorf ja sehr wichtig, das hab’ ich schon gemerkt, da drüben bei den gelben Landmaids, wenn da die Leute vorbei kommen, da wird immer gleich nach Mittagstisch und Frühstück gefragt. Meinst du nicht, dass es hier noch mehr Angebote geben muss? Willi: greift zu, greift zu (er reicht die Tobelkiepen rum, aus denen sich die am Tisch sitzenden Brot, Wurst und Käse nehmen) Malika: Nein, denke ich nicht, das ist genau fürs Dorf gemacht. Die meisten sind stolz drauf, dass sie hier sind, sie brauchen nicht mehr, das ist im besten Fall konservativ. Keiner: Aber heißt das nicht auch, dass sich das Dorf selbst genügt? Also gegen das Außen, das Fremde eigentlich immun ist? Malika: Nein, es hat sich eine Kultur entwickelt, Feste, Tanzen, Heimatverein, Dorffeuerwehr... Keiner: Ist das Zusammenrücken nicht eine notwendige Reaktion auf die Schrumpfung? Malika: So viel Schrumpfung gibt es auch gar nicht, Strodehne ist eines der Dörfer, wo neue Leute zugezogen sind... Keiner: Wenn das Dorf sich selbst genügt, wie geht es denn um mit den Neuen? Malika: Gut. (kleine Pause) Sehr freundlich. Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 7 Wieder fährt Musik vorbei. Es ist ein junger Mann, Sebastian, auf einem Fahrrad mit Radio auf dem Gepäckträger. Christian: ... aber nicht mit allen. Und das ist auch gut so. Keiner: Wie? Nicht mit allen? Christian: Na, zum Beispiel die Sanddüne da drüben (er zeigt auf den Haveldeich, der vom Wal aus nur mit Mühe als Erdaufwerfung mit Schilfbewuchs und Robinien zu erkennen ist), da tobte mal ne Schlacht... Willi: ...das war aber nachm Weltkrieg... (lacht) Chor: HahaHarr. HahaHarr. Haha...Rr... Edeltraud: Ja, die Geschichte is Kult... Schneeweiß und Rosenrot wollten auf der Düne nämlich 2 Wassergrundstücke bebauen, die hohen Herren. 2005 war das. Is’ ja eigentlich Naturschutzgebiet. Da gab’s richtig Rambazamba im Ort. Irene: Den Protest haben wir damals mitorganisiert. Da ist der ehemalige Fährmann Tenne einfach mit ner Tüte losgezogen und hat Unterschriften gesammelt. Das war eigentlich die Geburtsstunde von der „Lebendigen Zukunft Strodehne“. Es gab ne Einwohnerversammlung, die Entrüstung war riesengroß. Edeltraud: Ja, damals, ja. Tut mir leid, das zu sagen, ich registriere die „lebendige Zukunft“ nicht mehr... ich weiß eigentlich gar nicht mehr, wofür ihr mit eurem Verein heute noch steht. Michael: Guck dir das Dorf doch an! Dieser massive Strukturwandel. Wie viele sind weg? Wer arbeitet noch im Dorf? Was wäre das Dorf ohne die neu hinzugekommenen? Die Bonzen haben damals ihre Quittung bekommen. Ohne unseren Widerstand gäb’s am Sandberg ein verlassenes Ferienhäuschenidyll anstelle des Bewegungsbereichs zum Feiern beim Oster-­‐ oder Herbstfeuer... Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 8 Malika: Es gibt viele von diesen Originalen, echten Typen hier... Michael: Dorf der Sonderlinge... (mehr zu sich, leise) bin ja selbst einer... Malika: Ich würde sie eher Freigeister nennen. Rudi zum Beispiel, der uns aus der Gaststätte raus gelockt hat, um uns das Haus zu zeigen, das frei geworden war. Wie er da wie eine kleine Kugel vor uns her radelte und erst in der Ziegenstraße halt machte. Und wie er dann Wolfgang geholt hat. Der hat in der LPG die undankbaren Sachen gemacht, Klauen schneiden, Hörner wegmachen und so. Stark wie ein Baum. Der hat uns beim Bau alle schweren Arbeiten erledigt. Aber Punkt 16 Uhr sass er in der Wirtschaft. Jessas. Der Chor (im Stehen): Prosit. Zwodreivier. Horcht was kommt von draussen rein. Holla hi, holla hü. Ein Surren durchsurrt die Luft. Die Havelmücken. Die Sommergäste am Strand sind ausgesaugt, nun haben die Biester wieder Durst und kehren beim Sandberg ein. Doch da ist nix und niemand. Aber dann machen sie einen Schwenk Richtung der Duftfahne von Kohlendioxid, Ammoniak und Milchsäure. Sie weht aus dem Inneren des Wals von den Bürgerhäuten auf sie zu und sie, sie fliegen mittenrein in den Duft. Alle rennen durcheinander. Michael und Edeltraud: Nix wie weg (sie schauen sich kurz verblüfft an, lächeln aber nicht) Christian und Irene (leicht panisch): Wohin? Hanna und Fee: hühühühüüiieh... Aus dem verschwommenen Schemen der Mückenwolke tauchen zwei riesige Pferdeschädel auf, blonde Mähnen, die Schweifrüben peitschen im Takt. Genau dieser Takt zerstört die Duftfahne der Menschengruppe und lässt die Mücken chaotisch abdrehen. Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 9 Hanna und Fee sind vor einen Kremser gespannt. Auf dem Kutschbock sitzen Frank und Bernd, sommerrote Gesichter, Bernd mit Lederhut, Frank mit Riesenpranken, die ganz sacht die Zügel halten und zum Stillstand schnalzen. Frank: hoo-­‐hoooo... Ich dachte, wir kriegen hier n Kaffee... mit allem und so... Das Känguru stößt und schlägt mit dem Paddel durch den Wal um die Stühle herum. Vermutlich denkt es, es hätte die Mücken verjagt. Nun ja. 3 Auf dem Kremser Willi: Ihr seid die Rettung! Kaffee ham wer nich, aber wohin des Weges? Bernd: wir fahren zu den Spülwiesen, wollt ihr etwa mit? Christian: eh, ja Malika: warum nicht Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 10 Edeltraud: nun denn Irene: klar, will ich (sie schaut Michael kurz an, lacht) Michael: also, na sicher Keiner: echt jetzt? Frank: echt! Willi: bin dabei Chor, stimmt an: What shall we do with the drunken sailor https://www.youtube.com/watch?v=Z4-­‐ytFOS9TI (0:00 – 0:21) Sie besteigen die Kutsche. Der Bierkasten ist leer. Is aber Pfand drauf. Paula hält Bernd die Hand hin. Er nimmt ihre Hand mit der Rechten, die Linke hält er auf dem Rücken, sein rechtes Bein ist vorgebeugt, der Fuß ruht auf dem Tritt. Es sieht aus, als würde sie gleich erröten. Alle sitzen. Alle schweigen. Die Kutscher summen, leise. Sie zockeln los, den Haveldeich runter Richtung Gahlberg. Hanna und Fee: hühühühüüiieh... Nach einer Weile, das Dorf liegt schon hinter ihnen, die Wiesen flirren im Sommerlicht in der Ferne, Paula: Charly sitzt. Keiner: was? wer? wer ist ... Charly...? (Paula sieht ihn erst streng an; als bei ihm der Groschen fällt, hellt ihr Gesicht auf) Paula: Unter Charly sehen alle Stühle, die wir im Haus haben, ein bisschen zu klein aus. Die linke Hand stützt sich auf seinem Oberschenkel ab, die rechte umfasst die Kaffeetasse. So sitzt er da, in der Küche, auf der Terrasse, im Garten. Er legt mir zur Begrüßung den Arm um die Hüfte, er sagt: Mensch Kleene, biste Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 11 och ma wieda da, und ich sage: ja. Dann reden die Erwachsenen. Über die Ernte oder das letzte Havelfest oder wer so geheiratet hat und wer so gestorben ist. Wir Kinder tragen die Eier, die Charly mitgebracht hat, in die Küche und spielen dann mit Buschi, mit Buschi eins und auch mit Buschi zwei, wir haben keine Angst mehr vor Buschi. Manchmal gehen wir zwischendurch zu Charly und fragen, ob wir auf Silvester reiten oder Maxi vor die Kutsche spannen dürfen. Charly sagt: Na sicher geht das. Buschi holt Stöckchen, Buschi bringt Stöckchen, bis Charly den letzten Schluck Kaffee getrunken hat, Buschi holt, Buschi bringt, bis Charly sagt: Denn werd ick ma losmachen, und aufsteht. Einer sagt: bis morgen, und Charly nickt. Als Charly beim letzten Mal losmachen wollte, hat einer gefragt: bis übermorgen?, denn morgen war Dialyse. Und Charly hat gesagt: ma schaun, ob ick mich fühle. Die Kutsche schweigt. Frank: Wie ich mir fühl, kann ich dir sagen: Bombe. Ich geh am Wochenende tanzen! Bernd: Ich muss raus, früh um 5, die erste Tour. Aber ich beklag mich nicht. Nicht nach den 2 Herzkaspern. Bin froh, dass ich noch raus kann an die frische Luft. Willste ja noch was haben von dat janze. Frank: Überleg mal, wie das war früher. Morgen um 4 raus in Kuhstall bis 7 melken, dann zur Schule. Wenn ich mittags nach Haus gekommen bin: wieder in Stall, ausmisten, ins Bett. Morgen wieder raus. Das war meine Kindheit. Bernd: Da, das Kunsthaus... (er wendet sich Keiner zu, zeigt auf das Haus am Ende des Panzerweges) ...vor der Wende sprangen da 16 Kinder rum. Paula lächelt, die Fahrgäste schauen dem Tag und dem Wind beim Wehen zu. Der Kremser ruckelt an einer Serie von 5 Granitstelen vorbei. Aus der Mitte der Steine ragen fingerdicke Eisendrähte in Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 12 den Himmel, rostüberzogen. An ihren Enden die Buchstaben E M P T Y ) Michael: Sag mal, ihr beiden, ich hab mich immer gefragt, warum die Spülwiesen so heißen? Frank: Hinter den Spülwiesen liegt der Gülper See. Zu DDR-­‐Zeiten wurde der See abgepumt in die umwehrten Wiesen, um wertvollen Boden für die Felder zu gewinnen. Wasser lief ab und über Rohre zurück in den See. Der Boden war wie Spülseife. Den ham se dann mitm Bagger und Raupe ausgebracht auf die Felder... Da konnte man zusehn wie der Mais gleich 20 cm höher wuchs. Willi (mehr für sich): ... auch du sitzt mit am Tisch, hat mir der Bauer gesagt... Malika: waas? Willi: Es wird so viel weg geschmissen. Da hinten, die zerfahrene Kartoffel (er zeigt hinter den Kremser auf die Fahrrinne zwischen den Panzerplatten). Irene: was ist damit? Willi: Heute mit 77 muss ich mich immer noch wegen ner halben bücken, andre sagen: bist ja verrückt. Damals als ich 14 war, haben wir sogar den Sand zusammen gekehrt, um ihn wieder aufs Feld zu tragen. Paula: Ich muss da vorn runter, halt mal an, Kutscher. Aber bevor ich abspringe, kriegt ihr noch den Rest vom Charly... Frank: brrrrr... Paula: Charly geht Jemand gibt Charly unseren Komposteimer für seine Hühner und Charly stellt den Eimer in sein Auto. Er fährt vom Hof, er nimmt die Ausfahrt an der Flussseite (sie zeigt mit dem Arm auf die Lücke Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 13 im Zaun). Wir Kinder winken, und wenn er um die Ecke gebogen ist, rennen wir zur anderen Ausfahrt und winken nochmal, winken lange, winken solange, bis wir Buschis Umrisse neben dem Auto nicht mehr erkennen können. Dann poltern wir die Treppen wieder hoch auf den Dachboden. Wenn jetzt ein Kind aus dem Dachbodenfenster schaut, kann es das Dorf sehen und den Feldweg und den kleinen Baum in der Biegung. Der Chor: Ich wollte dich längst schon wieder sehen/ mein alter Freund aus Kindertagen/ ich hätte manches dir zu sagen/ und wusste du wirst mich verstehen (aus: mein Freund der Baum, Alexandra https://www.youtube.com/watch?v=f_CJeAmiW_0 = 0 – 0:25s) Paula steht auf. Winkewinke. Eine Kußhand von Christian und eine Umarmung von Malika. Dann steigt Paula ab, Bernd hält ihr die Hand, sagt nichts. Seine blauen Augen sprechen. Frank schnalzt und berührt mit der Peitsche Hanna leicht an der rechte Flanke. Sie fahren weiter am Gülper See entlang, links die eingedeichten Spülwiesen und biegen holla-­‐di-­‐holpernd unter einer vom Prozessionsspinner heimgesuchten Eiche links ab in Richtung Dorf. Christian: Mensch, da hinten (er zeigt auf die Wiesen, die sich Richtung Rhinow ziehen) da muss irgendwo die Laake sein, wo sie die Messerschmidt rausgezogen haben. Opa hat’s gesehen, muss ein klarer Februartag 45 gewesen sein, leichter Frost, da ist die ME BF 109 ins Moor gestürzt. Hatte Bomberbegleitung von den Amis. Schmidt hat der geheißen, Oberleutnant Schmidt. Aus München. Ist steil abgestürzt, hat sich noch gedreht und dann unter die Moorsohle gebohrt. Bei der Bergung -­‐war 2000, glaub’ ich-­‐ wurde die Kanzel gefunden, in 5-­‐6 Meter Tiefe. Haltegurte waren gelöst, auch die Schnappschlösser, der Pilot hatte nur ne Chance, wenn er die Maschine noch mal hochziehen konnte, sonst hätte ihn das Heckruder erwischt. Aber das kuriose war die Eigentümerfrage. Eigentlich gehörte das Wrack ja der Bundeswehr. Als Rechtsnachfolger. Weil man aber rausgefunden hatte, dass das Flugzeug von Göring noch nicht bezahlt war, ging Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 14 alles zu Lasten von MBB. Die gelbe Farbe auf den Kabeln war noch drauf, nur die Zündkabel waren schwarz, das Flugzeug war fabrikneu, noch nicht mal Zeit für Tarnung hatten die ... Bernd: im Moor in Dreetz liegt noch ein britischer Bomber mit neun Mann drin. Frank: Brrrrrrr... Sie waren am ehemaligen Konsum angekommen. Gegenüber das Fremdenverkehrsamt und die Einfahrt zur Havelablage und dem Seitenbeutel. Chor: Dankeschön (Peter Alexander) Dankeschön,/ es war bezaubernd. Dankeschön, /wenn wir auch auseinander geh`n / gibt`s doch ein Wiederseh`n. /Dankeschön (0:00 -­‐0:39) https://www.youtube.com/watch?v=2Cc8KfVTaI0 Alle steigen aus. Gehen in unterschiedliche Richtungen ab. Frank und Bernd warten, bis alle den Kremser verlassen haben, Winkewinke, die beiden wechseln die Seiten. Bernd übernimmt die Zügel, schnalzt. Michael und Irene betreten das Haus neben dem ehemaligen Konsum. Es liegt in einer Kurve. Hanna und Fee (ziehen an): Huieieeeeee Huieieeeee Eine kleine Frau geht vorbei. Sie sieht aus wie die kleine Frau Kellermann, die immer zu Willis Vater am 24. Oktober zum Gratulieren kam. Aber das kann gar nicht sein, weil sie längst der grüne Rasen deckt. Die kleine Frau (leise): Mach ma nich so dolle, hat der Harald immer gesagt, mach ma nich so dolle. Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 15 4 Im Garten des Botschafters Michael und Irene kommen von draußen rein. Gehen direkt durch in den Botschaftsgarten. Der Garten ist ein Garten, ist ein Garten. In dem Vegetationsüberschuß schält sich unter einer kleinen Harlekinweide mit überhängenden Zweigen und einem Erbsenstrauch eine natürlich entstandene Laube heraus, ein Tisch, Gefäße, eine Holzbank, zwei Stühle, eine Zeitung im Lesemodus. Obenauf der Artikel über einen Animationsfilm, der demnächst anläuft, „Inside Out“. Der Artikel ist überschrieben mit „Auf den Kopf gestellt“. In dem Film geht es um ein Mädchen, das mit ihren Eltern in eine andere Stadt gezogen ist. Und das ist neu und schrecklich. Ihre inneren Konflikte werden visualisiert durch 5 nicht nur farblich unterschiedene Figuren: Freude, Wut, Furcht, Ekel, Traurigkeit, die in ihrem Kopf leben. Memories, emotions... it’s all in your head. In der Laube sitzt Roland, Journalist. Roland: Was in der Stadt passiert, ist längst auf dem Lande vorgedacht. Michael (stutzt, Irene ist auf dem Weg in die oberen Räumlichkeiten Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 16 der Botschaft) ... eh, ja... hallo Roland (und nach einer kleinen Pause) ...waas? Roland (lacht sein Lausbubenlachen): Die Gartentür war nur angelehnt, da bin ich rein. Michael: Ja, aber was hast du da gerade gesagt? Was ist auf dem Land vorgedacht... oder so...? Roland: Ach so. Ist von Gertrude Stein. „Was in der Stadt passiert, ist längst auf dem Lande vorgedacht.“ Michael (schweigt erst, dann): Ein Freund aus dem Jodelchor hat dich schon angekündigt. Da hast du dir ja was vorgenommen. Wir leben ja schon seit Jahren hier und zur Ruhe bin ich noch nicht gekommen. Es ist immer was los, immer ist was zu tun, manchmal bekommt man von dem Treiben um einen herum gar nix mit. Nimm die BUGA. Ich mein das ernst mit der Entschleunigung (er zeigt auf das Schild, das am Gartentor hängt, „BUGA-­‐
Entschleunigungszone“). Roland: Ja das Schild ist mir aufgefallen. Kommen denn viele hier vorbei? Michael: Ich kenn die Zahlen nicht. Was ich so gehört habe, haben die bei Halbzeit das Besuchersoll bei weitem verfehlt. Roland (nickt, macht sich Notizen) Michael: Weißt du, wir wohnen hier in der Kurve, du weißt manchmal nicht, was um die Ecke kommt. Wir versuchen auch hier bei uns in der Botschaft, den Weg, den Zugang spürbar zu machen. Du hast vielleicht die Schwelle am Gartentor bemerkt. Roland (dreht sich um): Das Land ist doch eigentlich eine riesige Werkhalle, deren produzierte Waren in der Stadt dann veredelt werden. Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 17 Michael: Wenn du so willst... Nimm das Dorf, hier gibt es verschiedene künstlerische... Positionen, kulturelle Inseln, Kunstproduzenten. Nebenan die Landmaids, das Kunsthaus, hinten am Gahlberg, Walter und seine Kunstscheune, die Witwe von Bernhard, der New Yorker, der drei nebeneinander liegende Häuser gekauft hat, und wir... alles auf einem Dorf... aber... Roland: ...viel miteinander zu tun haben die nicht, oder? Michael: Nee, aber ich find das ist auch gut so. Im anderen Fall wären wir Konkurrenten um dieselben Fleischtöpfe. Unser Kunstverständnis differiert erheblich. Die Deutungshoheit der gestrigen, die immer noch für sich reklamieren, was Kunst sei, kann ich nicht förderlich finden. Roland: Ergeben sich auf dem Land, durch den unmittelbaren Kontakt mit dieser Art der „endlichen Produktion“ –ein Tier kann eben nur einmal geschlachtet werden-­‐ nicht Situationen in der Werkstatt, die der Stoff für Geschichten, je vielleicht Legenden sind? Die Vögel trällern, zirpen, eine Katze streicht durch die Rabatten, drinnen pfeift ein Kessel Buntes. Auf der Straße hüpft ein Känguru vorbei, ein Paddelende in der Luft. Nach einer kleinen Pause... Michael: Nimm Walter. Von seiner Ausstellung hast du ja bestimmt schon mal gehört, „die alte Zeit“. Der hat sich danach einfach zurückgezogen. Enttäuschung? Ich weiß eigentlich gar nicht wie es ihm geht, was er eigentlich will. Na ja, man geht sich eben aus dem Weg. Am Gartentor bellt ein Hund. Beide horchen auf. Über dem Rand des Gartentores der botanischen Botschaft ist ein grauer Wuschelkopf zu sehen. Dann wieder nicht. Dann wieder doch. Der Wuschelkopf spricht. Wuschelkopf: Ich muss nix mehr schreiben. Hab viel Papier beschrieben. Zu den Leuten hier gibt’s nicht viel zu sagen. Sind Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 18 drei Dinge, die hier wichtig sind: Kapital – Fressen und dann noch: Tratsch. Das ist das, was die Leute hier beschäftigt. Sie lassen keinen rein, sind fremdenfeindlich. Nicht gegen Ausländer. Gegen solche wie mich. Ich bin seit 15 Jahren hier. Warum, fragst du? Weil ich in meiner Wunschgegend in der Stadt nichts finde. Wenn ich könnte, wär ich längst weg... Ein Hund wufft freundlich. Michael und Roland schauen sich an. Roland zieht die Schultern hoch. Auf seiner Stirn formt sich ein Fragezeichen. Michael legt den Finger auf die Lippen. Wuschelkopf: Schau, ich gehe jeden Tag in das Dorfgasthaus. Ich beobachte. Ich höre zu. Aber am Stammtisch saß ich noch nie. Das ist wie ne Festung. Die sitzen da und lassen keinen rein (Hund wufft zweimal) Wuschelkopf (leise): Seitdem ich hier bin, habe ich noch nie jemanden mit einem Buch gesehen, sie lesen hier auch keine Zeitungen. Wer nicht liest, der bewegt nichts, sich nicht und sein Hirn nicht. Roland steht auf. Geht langsam zum Gartentor, öffnet es vorsichtig nach innen. Draußen steht ein älterer Herr mit wuscheligen grauen Haar. Er schneuzt sich gerade und erschrickt als Roland vor ihm steht. Sein Hund bellt. Michael: Komm rein, Walter. (kleine Pause, freundlich) Komm rein (er steht auf, geht aufs Gartentor zu, die Katze springt mit einem Satz durchs Tor und rennt fauchend nach links. Michael steht jetzt neben Roland und schiebt das Tor ein wenig weiter auf. Die 3 Männer stehen voreinander, als wäre es das erste Mal.) Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 19 5 Versorgungsengpass An einem Haus mitten im Dorf ist ein Steg aus OSB-­‐Platten gezimmert. Der Steg beginnt an den Treppen vorm Haus und langt über den Bürgersteig halb auf die Straße. Der Versorgungsengpass ist gelb angestrichen. Eine Bierzeltgarnitur, ein runder Tisch, eine Balustrade. Ein Etagere mit Kartoffeln auf der Balustrade, die Kartoffeln heißen Birgit und Sieglinde. Auf dem Rundtisch eine Schreibmaschine. Stifte, Papier. Der Versorgungsengpass ist gleichzeitig auch Kulturversorgungsraum, das heißt Haus und Dorf gehen eine Verbindung ein, um herauszufinden, wer was wovon und wieviel davon braucht. Die Landmaids Gabriele und Birte machen einen BesucherBewohnerWorkshop. Leute aus dem Dorf, Reisende, Kinder. In den Fenstern läuft ein Leuchtband: Gehört die Kuh ins Dorf? Christine, Matthias, Marlis, Maja (Reisende) -­‐ Irene, Edeltraut, Anne, Willi (Dörfler) – Roland (Journalist) -­‐ Frieda, Tobi, Kasimir (Kinder) und eine kleine Frau. Gabriele: Schön, dass ihr gekommen seid. Unser Thema heute: Was spricht aus Sicht der Strodehner Bürger und der Besucher für die temporäre Beanspruchung öffentlichen Raumes durch Kunst? Welche Einwände gibt es dagegen? Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 20 Birte: Ich wär dafür, dass erst mal jede und jeder sagt, wie es ihr oder ihm damit geht. Schweigen. Gemurmel. Aushalten. Noch mehr Schweigen, etwas weniger Gemurmel. Christine: Wenn man vom Wasser kommt, fragt man sich, ob man wirklich schon in Strodehne ist. Wir waren vorhin bei Schröder, dem Fischer. Bei der Bockwindmühle. Schönes Haus mit blauen Fensterläden (sie macht eine Pause, schaut zum Fluß) In Strodehne ist viel Backstein. Ich denke immer, dass die hier wohl Heu und Stroh nach Berlin geschifft haben. Ziegel sicherlich auch. Lustige Straßennamen gibt es hier... Seitenbeutel... und der Konsum hat auch schon seit Jahren geschlossen. Aber schöner Wildwuchs davor. Matthias: Und das hier (zeigt auf den gelben Engpaß) hat die untere Straßenverkehrsbehörde genehmigt? Birte: Ja, war aber nicht unumstritten. Wir haben es dann als Baustelle deklariert. Tobias: Heute macht Malika mit ein paar Freunden eine Nachtwanderung. Sie gehen erst etwas besorgen, dann die Zelte holen und ganz zum Schluss in den Wald. Dort suchen sie Tiere und Pflanzen. Eine kleine Frau (geht vorbei): Mach ma nich so dolle, hat der Harald immer gesagt. Matthias: Wer war das denn? Gabriele: Das war die kleine Frau, die immer an seinem Geburtstag zu Willis Papa kam, um zu gratulieren. Maja: Ach. Es ist schön. (Pause) Zu Besuch in Strodehne, an der Havel im Sand gelegen, auf die Baumwipfel geschaut und in der Havel geschwommen. Was ist Strodehne für ein schöner Ort! Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 21 Besonders am gelben Café, wo wir die Störche klappern hören. Ich bin gespannt auf die berühmte Fischsuppe. Tobias (eher für sich): Hier unter den Bäumen, wo ich sitz, / schreib ich nen Witz. Frieda: Eines Tages ist hier ein Hund entlang gekommen, der war schwarz mit weißen Flecken. Der Hund war sehr struppig und sehr süß. Der Hund war ziemlich wild, jemand hat ihn gefunden und hat ihn wieder zu mir gebracht. Ich habe ihm als Belohnung fünfzig Euro gegeben. Der Mann, der mir den Hund gebracht hat, hat wahrscheinlich auf die Hundemarke geguckt und wusste daher, dass ich in Strodehne gewohnt habe. Ich war glücklich, dass ich meinen Hund wieder hatte. Gabriele (rollt die Augen, durch die Zähne) Herrschaftszeiten... (die Augen beruhigen sich) ...also gut, eh, ich würde gerne zum Thema zurück kommen... Marlis (durchreisende Kanutin aus Uelzen): Was soll ich über das Dorf sagen? Weiterpaddeln? Bleiben? Kunst? Essen? Die Bouletten waren gut, aber wenn die Oma nicht mehr da ist, gibt’s im Dorf einen Engpass. Irene: Ich finde die Initiativen, die von Landmade ausgehen, super, aber auch den Dorfgasthof, die Kirche mit den Konzerten. Sich treffen können ist wichtig. Filme sehen, 100 Leute waren da. Je mehr soziale Orte du schaffst, desto mehr Begegnung. Guck mal, beim LPG-­‐Essen im Frühsommer waren gut 45 Leute hier, auch viele Jugendliche. In Rhinow zum Beispiel kriegen die keine Gaststätte hin... Birte: Wie soll es denn 2020 hier in Strodehne aussehen? Edeltraud: Das dörfliche Leben mit seinen Traditionen, Havelfest und so, sollen erhalten bleiben. Strodehne soll in Bewegung Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 22 bleiben, Gäste sind willkommen. Sanfter Tourismus ist OK, aber die Belange der Älteren müssen berücksichtigt werden. Willi: Ja, und wenn sich hier einer nicht wohl fühlt, soll er weg ziehen. Dem weint keiner hinterher. Birte: ...und du, Irene? Irene: Ich würd den Tourismus anders definieren, mehr Nachhaltigkeit. Wünschenswert wäre es auch, wenn tüchtige junge Leute hierher ziehen würden. Weniger Ferienhaus, mehr Familie. Gut find ich den Kindertreff mittwochs... Anne: Das Licht leuchtet warm. Die Schreibmaschine schreibt manchmal von alleine oder nicht? Birte: Also, das ist mir jetzt zu blumig, oder? Es geht doch auch darum, auszuloten, wer wen womit versorgt. Kultur, das ist eben nix monochromes, das sind nicht kilometerlange Maisfelder. Und ich finde, wir müssen uns da nicht verstecken. Wir sind nicht Potsdam oder Berlin, also haben wir die Kultur im Dorf belassen... Gabriele: ...Beziehungsweise hinein gelassen. Ob das Portrait von Herrchen mit Hündin, ob die Kittelschürze, ob der Dorfschwank, ob das Hörspielkino partizipative oder große Kunst ist... das kann man diskutieren, oder? Roland: Ach, klar. Das ist aber auch eine Frage von Zeit. Oscar Wilde hat mal gesagt: Das Problem des Sozialismus ist, dass er zu viele freie Abende kostet. Ich glaube, dass gilt auch für die Kunst hier auf dem Dorf. Partizipative Kunst kostet eben sehr viel Zeit. Sie macht Arbeit. Matthias: Gehört die Kuh nun ins Dorf? Marlis: Steht Kuh eigentlich für Kunst oder für Kultur? Einige lachen –dann Stille-­‐ in der Luft ein Geräusch von großen Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 23 Flügeln. Die Storchin fliegt vorüber. Sie landet im Nest auf dem Giebel der Dorfkirche. Das Storchenmännchen klappert. Die Storchin würgt einen Frosch und einen kleinen Fisch aus dem Schlund in Richtung Nestinneres. Dort muss sich der junge Stubenhocker befinden. Man hört ein Zischen. Die Storcheltern klappern mit hoch gereckten Hälsen. Gabriele: Die Arbeit verändert sich. Es gibt jetzt schon einige, die machen Home Office. Ich fände auch eine andere Begrüßungskultur ganz gut, so in Tandems. Und warten bis der Arzt kommt, bringt es doch auch nicht mehr. Für die kleine medizinische Versorgung kann ich mir eine Dorfschwester gut vorstellen. Und wer weiß, vielleicht haben wir in 5 oder 10 Jahren ein „Dorfhaus“ hier, Alt und Jung unter einem Dach, eine Art Generationen-­‐WG. Kartoffel-­‐Birgit: Verschmähe die Hoffnung. Kartoffel-­‐Sieglinde: Meine Augen tasten deine Haut ab. Alle schauen sich an. Schweigen. Noch mehr Schweigen. Kasimir: Klar, alles gehört ins Dorf. Alles, was rennt und schnarcht. 6 Männer kommen von der Dorfmitte herüber. Gegenüber von der alten Freiluft-­‐Kegelbahn auf den Bänken haben sie gesessen und die 2. Kiste geleert. Sie ist schwarz, aus der Ferne ist nur der letzte Buchstabe der Marke zu sehen. Es ist ein kleines „R“. Der Chor schlendert auf den gelben Versorgungsengpass zu. Sie bleiben auf der gegenüberliegenden Straßenseite vor der Friedhofsmauer stehen, nebeneinander. Chor: And our friends are all aboard Many more of them live next door And the band begins to play Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 24 We all live in a yellow submarine Yellow submarine, yellow submarine We all live in a yellow submarine Yellow submarine, yellow submarine (0:59 -­‐1:34) https://www.youtube.com/watch?v=laRyswIO_-­‐g -­‐ -­‐ -­‐ -­‐ -­‐ -­‐ -­‐ Epilog Sturm kommt auf, Sturmnadeln, böige Pfeile heftig dahinrasender Lust. Einige treffen auf die bespannten Tische und reißen den Stoff auf. Nacktes Holz ist zu sehen. Den Leuten macht das nichts, sie ziehen den Kragen hoch, rücken zusammen, senken die Köpfe, reden einfach weiter. Vom Dorf, das sie lieben und hassen, von der Stadt, in die es die Kinder verschlagen hat, vom Fluss, der dahinzieht, mit sich nimmt und frei gibt, was er will. Stand 10.Okt. 2015 – 07h47 Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 25 Zusammengestellt von Gregor Mirwa nach Gesprächen, Aussagen, Erzählungen, Schreibmaschinen-­‐
Texten von: Willi Paproth Michael Ilg Christian Freitag Edeltraut Massow Malika Chalabi Elke Melkus Frank Sonnenberg Bernd Roland Eckelt Walter Aue Gabriele Konsor Birte Hoffmann Christine Weinhold Maja Kersting Matthias und Marlis Frieda, Tobias und Kasimir Claudia Anne und einem Original-­‐Beitrag von Paula Fürstenberg Die Zeichnungen sind entstanden im Sommerferiencamp „Havelmücken“ mit Kindern aus Strodehne, Rhinow, Berlin, Geneve in Begleitung von Donald Becker Szenische Lesung (mit Marko Lakobrija) am 6.9.2015, WerkFreunde Strodehne e.V. im Rahmen des Projekts >landmade.Kulturversorgungsraum< Finale Fassung für „Best of KVR“, 10. Oktober 2015 Alle Infos auf www.kulturversorgung.de Oktober 2015 © Gregor Mirwa Strodehne Drama __ Mach ma nich so dolle __ © Gregor Mirwa __ 10. Oktober 2015 26