1 Aus dem Institut für Geschichte der Medizin der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Die Vorstellungen zur Ätiologie der Progressiven Paralyse in der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie 1844 - 1913 Inauguraldissertation zur Erlangung des Medizinischen Doktorgrades der Fakultät für Naturwissenschaftliche Medizin der Medizinischen Gesamtfakultät der Ruprecht-Karls-Universität zu Heidelberg Vorgelegt von Jörg Grefe aus Verden/Aller 1990 2 D e k a n: Prof. Dr. med. Hartmut Kirchheim 1. Berichterstatter: Priv. Dez. Dr. med. habil. Axel Bauer 2. Berichterstatter: 3 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 6 1.1 Historischer Kontext 7 1.2 Historische Einführung 15 1.3 Aufgabenstellung 21 1.4 Stand der Forschung 22 1.5 Quellen und Methodik 25 1.6 Derzeitige Lehrbuchmeinung zur Progressiven Paralyse 29 2 Etablierung des Krankheitsbildes der Progressiven Paralyse im deutschen Sprachraum (1847 - 1857) 35 2.1 Orientierung am französischen Vorbild 35 2.2 Entwicklung eigenständiger Vorstellungen im Kontext romantisch geprägter Ideen (1851) 38 Die Darstellung des Zusammenhangs zwischen Syphilis und Progressiver Paralyse durch Esmarch und Jessen (1857) 45 2.4 Abwendung vom französischen Vorbild 47 3 Die pathologisch-anatomische Beschreibung der Progressiven Paralyse 49 3.1 Die Suche nach den pathognomonischen morphologischen Veränderungen bei der Progressiven Paralyse (1861) 50 Die Vermischung des pathologisch-anatomischen Vorgehens mit romantischen Vorstellungen (1863) 55 Die Entwicklung von dynamischen Modellen der Pathogenese der Progressiven Paralyse (1871) 63 Der Rückzug der pathologisch-anatomischen Betrachtung auf Einzelaspekte (1891) 69 Die Einbeziehung der Syphilis-Ätiologie durch die Pathologische Anatomie (1880) 72 Die abschliessende Beschreibung der Histologie der Progressiven Paralyse durch Nissl und Alzheimer (1905) 78 Die Interpretation der Progressiven Paralyse aus der Tradition der "romantischen Medizin" 81 Die Krankheitsentität der Progressiven Paralyse stösst auf Widerstand 82 Spekulative Modelle 85 2.3 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 4 4.1 4.2 4 4.3 Die klinische Beschreibung der Progressiven Paralyse in der Auseinandersetzung mit dem Primat der Pathologischen Anatomie (1872) 88 Die Betonung einer multifaktoriellen Genese in der Auseinandersetzung mit der Syphilis-Ätiologie (1880) 93 4.5 Die Zivilisation als zusätzlicher Faktor neben der Syphilis (1880) 99 4.6 Degenerationstheorien im Gegensatz zur Syphilis – Ätiologie (1898) 104 5 Die Definition der Progressiven Paralyse anhand ihrer Ätiologie 110 5.1 Die Syphilis des Gehirns (1859) 110 5.2 Die pathologisch-anatomisch definierte Unterscheidung von Hirnsyphilis und Progressiver Paralyse (1861) 112 Die syphilitische Genese der Progressiven Paralyse unter statistischen Aspekten (1880) 122 5.4 Die Progressive Paralyse als syphilitische Enzephalitis (1895) 128 6 Die Komplementbindungsreaktion: Von der Ätiologie zur Therapie der Progressiven Paralyse (1906) 130 6.1 Die Methoden der Sero- und Liquordiagnostik (1902) 131 6.2 Die Versuche einer spezifischen Therapie der Progressiven Paralyse mit Arsenpräparaten (1911) 138 Die Behandlung der Progressiven Paralyse durch Fiebertherapien (1882) 143 Der Nachweis von Spirochäten im Gehirn (1913) und die Theorie eines neurotropen Erregers der Progressiven Paralyse 149 6.5 Abschluß 151 7 Diskussion 152 7.1 Allgemeine Überlegungen 152 7.2 Etablierung des Krankheitsbildes 154 7.3 Pathologische Anatomie 157 7.4 Die Bedeutung der Syphilis für die Progressive Paralyse 160 7.5 Therapiediskussion 164 7.6 Die Krankheitsbeschreibung im zeitlichen Kontext 166 8 Zusammenfassung 167 9 Anhang 171 9.1 Biographien 171 9.2 Literaturverzeichnis 181 4.4 5.3 6.3 6.4 5 9.3 Index 211 10 216 Lebenslauf 6 1 Einleitung Die Progressive Paralyse ist heute eine Krankheit, die fast nur noch aus historischem Interesse und daher von den meisten Ärzten überhaupt nicht mehr beachtet wird. Selbst in psychiatrischen Kreisen ist nach Ansicht von Marneros und Risse die Kenntnis der Progressiven Paralyse inzwischen so gering, daß die Patientenzahlen erneut ansteigen, da die Diagnose aufgrund mangelnder Kenntnisse zu spät gestellt wird (MARNEROS A, RISSE A (1987)). Diese Entwicklung scheint verwunderlich, denn aus einem historischen Blickwinkel ist die Progressive Paralyse von großer Bedeutung für die Psychiatrie. Im 19. Jahrhundert war sie außerdem sehr häufig. Seit der Beschreibung durch Antoine Laurent Bayle (1799 - 1858) im Jahre 1822 wird regelmäßig eine große Anzahl von Patienten mitgeteilt, die an ihr litten. Jean Etienne Dominique Esquirol (1772 - 1840) spricht von bis zu einem Drittel aller Patienten, und die deutschen Anstaltsstatistiken nennen gegen Ende des 19. Jahrhunderts meist über 20%. Die Progressive Paralyse ist neben dem Kretinismus eine der wenigen Krankheiten aus dem Gebiet der Psychiatrie, die ätiologisch eindeutig geklärt sind und auf eine somatische Ursache zurückgeführt werden konnten. In der Fachliteratur des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts spielt die Progressive Paralyse eine herausragende Rolle. Fast jeder große Psychiater hat sich am Rande, meist aber recht intensiv mit ihr beschäftigt, und ganze Kongresse der psychiatrischen Vereine befaßten sich mit diesem Thema. Für Karl Ludwig Kahlbaums (1828 - 1898) Konzept einer Systematik der Geisteskrankheiten spielt der Verlauf der Progressiven Paralyse die Rolle eines Idealtypus, der es ermöglicht, von Symptomen auf die naturgemäße Entwicklung von Krankheiten zu schließen (BODAMER J (1953)). Sie gilt als Beleg dafür, daß auch Geisteskrankheiten ätiologisch eindeutig zu klären sind. Mit Julius Wagner von Jaureggs (1857 - 1940) Malariatherapie und später mit den Antibiotika konnte sogar eine wirksame Therapie gefunden werden. Keineswegs allerdings war die Klärung der Syphilisätiologie der Progressiven Paralyse ein Triumph der Pathologischen Anatomie, denn gerade deren Vertreter hatten sich mit der Syphilis als ätiologischem Agens schwer getan, wofür Rudolf Virchows (1821 - 1902) Ablehnung der Bakteriologie und später auch der Statistik als wichtigem Instrument der 7 Beweisführung gewichtige Gründe lieferte. Für die Psychiatrie in ihrer Gesamtheit ist der Triumph der ätiologischen Klärung der Progressiven Paralyse jedoch schon ein Anachronismus. Zwar führte die Einführung der Serodiagnostik, deren Ergebnisse die Syphilisätiologie der Progressiven Paralyse nahelegten, zu einer Vielzahl von Versuchen, auch andere Geisteskrankheiten ätiologisch zu klären. Auch Aloys Alzheimers (1864 - 1915) Versuch, die Dementia praecox pathologisch-anatomisch zu erklären (ALZHEIMER A (1913)), ist ein beredtes Beispiel für den Optimismus, den er aus seinen eigenen Arbeiten zur Progressiven Paralyse schöpfte. Dennoch ist der Zenit der Vorstellung von den Geisteskrankheiten als Gehirnkrankheiten mit morphologischem Korrelat längst überschritten. Längst hatte das System von Emil Kraepelin (1856 - 1926), das trotz der somatischen Orientierung seines Verfassers auf klinische Beobachtungen und psychologische Schlußfolgerungen aufbaut, seinen Siegeszug angetreten, erklärt Eugen Bleulers (1857 1939) psychodynamisches Konzept die Schizophrenie den meisten Psychiatern überzeugender als die Pathologische Anatomie, hatte sogar die Psychoanalyse Sigmund Freuds (1856 - 1939) ihren Platz in der Diskussion in der Psychiatrie gewonnen und mit Bleuler einen kritischen Befürworter gefunden. Anschlußerfolge an die Klärung der Progressiven Paralyse gelangen bisher nicht. Ob die aktuelle Psychiatrieforschung da erfolgreicher sein wird, wo sie die Pathologische Anatomie zeitgemäß auf die molekulare und die genetische Ebene führt, bleibt abzuwarten. Zilborg bezeichnet die somatische Klärung der Paralysefrage vom Standpunkt des Medizinpsychologen als einen Rückschlag für die weitere Entwicklung der allgemeinen Psychopathologie der schweren Neurosen und Psychosen (ZILBORG, HENRY 1941). 1.1 Historischer Kontext Ich möchte den Betrachtungen zur Progressiven Paralyse einen kurzen Überblick über die Situation der Psychiatrie in Deutschland während des betrachteten Zeitraums voranstellen. Ackerknecht verweist in seiner "Kurzen Geschichte der Psychiatrie" (ACKERKNECHT EH (1957)) auf die Darstellungen von Birnbaum (BIRNBAUM K (1928)), Bodamer (BODAMER J (1948), BODAMER J (1953)) und Jaspers (JASPERS K (1946)), die 8 noch aus geringer zeitlicher Entfernung auf diese Epoche zurückblicken. Hier ist die Geschichte der Ideen, wie sie sich an Personen oder Personengruppen festmacht, das Objekt der Betrachtung. Die Betrachtung einzelner psychischer Krankheiten ist nach Birnbaum für den "größeren Teil der Krankheitsformen ideengeschichtlich nicht genügend fruchtbar". So sei selbst bei einer so bedeutsamen Erkrankung wie dem manisch-depressiven Irresein eine eingehende Geschichtsbetrachtung vor den Ausführungen von Jean Pierre Falret (1794 - 1870) und Jules Gabriele Francois Baillarger (1806 - 1890) "ziemlich wertlos" (Birnbaum). Bodamer sieht den Ausgangspunkt der späteren Auseinandersetzung zwischen Psychikern und Somatikern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Einteilung der Geisteskrankheiten bei Georg Ernst Stahl (1660 - 1734). Nach Stahl entstünden Geisteskrankheiten dann, wenn die Seele als die den Körper bewegende Kraft in dieser Funktion behindert werde und darauf krank reagiere. Stahl unterscheide dabei zwischen idiopathischen Geisteskrankheiten und solchen, die "sympathetisch" aus einem somatischen Leiden erwüchsen. Unter dem Einfluß der Naturphilosophie Friedrich Wilhelm Schellings (1775 - 1854), die aus den Erscheinungsformen der Natur vor allem mit Hilfe der Methode des Analogieschlusses auf die zugrundeliegende Idee schließen will, entwickeln sich in der Zeit der deutschen Romantik die Schulen der Somatiker und der Psychiker, die jeweils einen der Aspekte von Stahls Einteilung herausgreifen. Dabei betonen die Psychiker die Eigenständigkeit der Seele, die eine Deutung ihrer Krankheiten nach somatischen Krankheitsbegriffen nicht zulasse. Die Somatiker hingegen "legen ihrer Forschungsweise ein gedankliches Dogma zugrunde", daß die Seele nicht erkranken könne, da sie ihrer Natur nach göttlich sei (Bodamer). Beiden Gruppen ist ein spekulativer Einschlag gemeinsam, der sich kaum auf konkreter Erfahrung gründet. Zusammen schaffen sie jedoch die Grundlagen für das Fach Psychiatrie. In der Kontroverse setzen sich schließlich die Somatiker durch, die sich oftmals auf praktische Erfahrung in den inzwischen entstandenen Anstalten berufen können. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, daß in älteren Arbeiten der Begriff der romantischen Medizin allgemein für die Medizin während der Zeit der deutschen Romantik etwa zwischen 1797 und 1830 verwandt wird. Rothschuh hält diese Bezeich- 9 nung für ungenau (Rothschuh 1978). Die Romantik als geistige Bewegung habe sich in der Medizin in zwei Richtungen ausgesprochen. Die erste ist die Medizin im Gefolge der Naturphilosophie Schellings, die in ihrem gedanklichen Aufbau kaum als romantisch zu bezeichnen sei. Eine zweite Richtung verdiene eher den Namen "romantische Medizin" und beschäftige sich weniger mit der Natur als mit der Seele oder dem "Ich" des Menschen. Zu dieser Richtung zählt Rothschuh z.B. Carl Wilhelm Ideler (1795 1860), Johann Christian August Heinroth (1773 - 1843) oder Friedrich Nasse (1778 1851). Bauer verweist außerdem auf die naturhistorische Schule um Johann Lukas Schönlein (1793 - 1864). In Gegensatz zu der deduktiven Methode der Naturphilosophen bemühte sie sich um ein klinisch-empirisch orientiertes Vorgehen (BAUER A (1987)). Die Anstaltspsychiater führen den somatischen Ansatz weiter und wirken dabei vermittelnd zwischen psychologischen und naturwissenschaftlichen Ansichten. Die Generation ihrer Schüler besetzt die neu entstehenden Lehrstühle für Psychiatrie (und Neurologie) an den Universitäten. Deren Nachfolger stehen den Auffassungen der Anstaltspsychiater meist schon verständnislos gegenüber. So verliert die Anstaltspsychiatrie in den 1870er Jahren ihre eigenständige Bedeutung und verabschiedet sich mit den großen beschreibenden Gesamtwerken, wie sie z.B. 1878 Hermann Emminghaus (1845 - 1904), 1879 Richard von Krafft-Ebing (1840 - 1902) und 1880 Heinrich Schüle (1840 - 1916) verfassen. Zentralfigur der Entwicklung der Psychiatrie mit naturwissenschaftlichem Anspruch ist unter dem Einfluß des deutschen Vormärz Wilhelm Griesinger (1817 - 1868). Er baut nach nur kurzer praktischer psychiatrischer Erfahrung ein System der Pathologie der Geisteskrankheiten auf, das weitgehend mit der Spekulation auf philosophischer Ebene bricht. Unter Zuhilfenahme der Reflextheorie und der Psychologie von Johann Friedrich Herbart (1776 - 1841) bietet es neue Spekulationen auf somatischer Grundlage. Aus Griesingers Anstoß entwickelt sich die Universitätspsychiatrie, die die Betrachtung der Geisteskrankheiten in die Labors und Sezierstuben führt. Birnbaum unterscheidet mehrere Hauptströmungen der Psychiatrieentwicklung, die Griesingers Lehre zum Ausgangspunkt haben. Zu diesen zählt die vordringlich pathologisch-anatomisch orientierte Richtung mit den Protagonisten Carl Friedrich Westphal (1833 - 1890), Franz Nissl (1860 - 1919) und Aloys Alzheimer (1864 - 1915), die ideengeschichtlich jedoch keine wesentliche Stellung in der Psychiatriegeschichte ein- 10 nehmen, nachdem der zerebrale Sitz der psychotischen Störungen gesichert ist. Wirkliche zerebrale Forschung kommt nach Birnbaum nur durch die zusätzlich spekulativ fundierte Psychiatrie auf neurologischer Grundlage hinzu, wie sie Theodor Meynert (1833 - 1892) und Karl Wernicke (1848 - 1905) betreiben. Meynert baut seine Theorie auf der vasomotorisch bedingten Steigerung oder Hemmung der Gehirnfunktionen auf, wie sie schon William Cullen (1710 - 1790) beschrieben hatte. Wernicke verwendet die Aphasielehre als Analogie für den letzten großzügigen spekulativen Versuch zur Erfassung des Wesens der Geisteskrankheiten (Birnbaum). Gegen diese Tendenz der Psychiatrie, der nach Birnbaum das Gehirn alles und die Seele nichts ist, meldet sich immer wieder Kritik, die auf die mangelnden Erfolge der Pathologischen Anatomie verweisen kann. Auch die empirisch-psychologische Forschungsrichtung macht sich geltend. Friedrich Wilhelm Hagen (1814 - 1888) und Heinrich Schüle (1840 - 1916) können als Vertreter dieser Richtung bezeichnet werden. Der entscheidende Anstoß kommt jedoch mit der Erkenntnis selbständiger Krankheitsformen. Übernimmt Griesinger von seinem Lehrer Ernst Albrecht Zeller (1804 - 1872) die schon von Peter Willers Jessen (1793 - 1875) postulierte Idee der Einheitspsychose, so ist dies nach Bodamer dennoch die Grundlage eines nosologischen Systems, da sie den Bereich der Psychosen erstmals abgrenzt. Ludwig Snell (1817 - 1892), bei dem Bodamer bereits 1852 den Beginn "objektiver Beobachtung psychotischer Phänomene" sieht, bringt 1865 das Gebäude der Einheitspsychose zum Einsturz, als er eine primäre Verrücktheit beschreibt, die in der Konstruktion nicht unterzubringen ist. Griesinger erkennt Snells Beschreibung bald darauf sogar an. Weitere Stationen auf dem Weg zu allgemeingültigen Krankheitsbeschreibungen sind Karl Ludwig Kahlbaums (1828 - 1898) Systematik, die um 1863 allerdings noch kaum rezipiert wird, und schließlich Kraepelins Einteilung der Psychosen, die durch eine einfache übersichtliche Klassifikation vom vorherigen Wirrwarr befreit (Birnbaum) und bis heute, wenn auch mit Modifikationen, weltweit anerkannt ist. Trotz seiner primär somatischen Einstellung baut Kraepelins "gleichsam wider Willen" (Jaspers) auf psychologischen Erwägungen auf und verschafft zumindest Wilhelm Wundts (1832 - 1920) experimenteller Spielart der Psychologie erneut Zugang zur Psychiatrie, indem er sie von der "Fessel der Spekulation" befreit (Birnbaum). Da Kraepelin jedoch nur Klinikpatienten betrachtet, umfaßt seine Einteilung weder die "Psychopathien" noch die Neurosen. 11 Allen drei Autoren ist gemeinsam, daß sie in dem somatisch fixierten Materialismus, der bei Griesinger seinen Ausgangspunkt hat, eine einseitige und zeitlich begrenzte Tendenz sehen. Sie weisen auch darauf hin, daß vielfach die Kritik an dieser Tendenz wieder bei den "Anstaltspsychiatern" oder sogar bei den Vorstellungen der Psychiatrie in der Romantik anknüpft. 1975 führt Schipperges diese Überlegungen weiter aus. Im geschichtlichen Beitrag des Handbuches "Psychiatrie der Gegenwart" spannt er den Bogen von der allgemeinen Anthropologie der Romantik, in der auch die Psychiatrie unter dem Einfluß philosophisch geprägter allgemeiner medizinischer Auffassungen stand, zu der Anthropologie Ludolf Krehls und Viktor von Weizsäckers, die die Medizin -auch unter dem Einfluß der Tiefenpsychologie- über Freuds naturwissenschaftlichen Ansatz hinausgehend als Kulturwissenschaft betrachtet (SCHIPPERGES H (1975)). Sei ab 1850 die Frage nach dem Raum der Geisteskrankheiten mit der Untersuchung des Gehirns zu beantworten versucht worden, die zur Mystifizierung der naturwissenschaftlichen Methode in monistischen Weltanschauungen führte, so stehe jetzt mit der Suche der historischen Voraussetzungen eines jeden Menschen die Frage nach der Zeit im Vordergrund. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts versuche die Psychiatrie, sich als eigenständige Disziplin der Medizin neben der Inneren Medizin und der Chirurgie zu etablieren. Seit Mitte des 20. beginne sie wieder, sich auszugrenzen. An die Stelle einer Einheitswissenschaft treten Querverbindungen und Aussprossungen zu Psychologie und Soziologie. Die Antipsychiatrie sieht Schipperges als Gegenbewegung, die unter dem Einfluß marxistischer oder existentialistischer Ideen die Psychosen als Kunstprodukt bezeichnete und stattdessen von einer sozio- oder psychogenen "Einheitsneurose" ausging. Eine andere Interpretation der Psychiatriegeschichte eröffnet sich, wenn der Standpunkt des Psychiaters verlassen und die Sichtweise des Patienten in der Psychiatrie wahrgenommen wird. In einem historischen Rückblick wird dies von Dörner und Plog in ihrem Lehrbuch "Irren ist menschlich" versucht (DÖRNER K, PLOG U (1984)). Sie zeichnen die Geschichte der psychischen Kranken als ihre zunehmende Unterdrückung und Ausgrenzung von mystischer Verehrung in Frühkulturen, solidarischer Anerkennung als "Kinder Gottes" im Mittelalter (die erst im Übergang zur Neuzeit in die Verfolgung als Besessene umschlägt) bis zur Ausweisung oder Einsperrung in die Narrentürme der Renaissance und zur Schaffung von Zucht- und Tollhäusern für die 12 sozial Auffälligen in der Zeit der Aufklärung. Im Zeitalter der beginnenden Industrialisierung wird die Gruppe der sozial Auffälligen nach den Kriterien der Verwendbarkeit im mechanisierten Arbeitsprozeß neu umverteilt, und es entstehen die ersten speziellen Irrenanstalten, die in ihrer Architektur und Organisation oftmals Gefängnissen glichen. Gleichzeitig entwickelt sich ein therapeutisches, meist pädagogisches Interesse der Umerziehung an den Kranken, die nun in den Irrenanstalten z.B. für Ärzte gut zugänglich sind. In England entsteht die Idee des "moral management", auf dem später die No-Restraint Bewegung aufbaut. Auch in Deutschland ist man in den Anstalten arbeits- und sozialtherapeutisch bemüht. Daneben sind aber Zwangsmaßnahmen der Ruhigstellung und andere "terroristischen Torturen, die die Patienten um jeden Preis zur Vernunft quälen sollten", an der Tagesordnung. Grundlage ist John Browns (1735 - 1788) Exzitationstheorie. In dieser Darstellung erscheint Griesinger , neben seinen Verdiensten um die Integration idealistischer und materialistischer Aspekte, als Befürworter der No-Restraint Bewegung und der Schaffung von Stadtasylen im Sinne einer "Gemeindepsychiatrie" für die heilbaren Patienten. In diese Phase fällt auch die Einordnung der Psychiatrie als medizinische Unterdisziplin, was die Patienten einerseits von moralischen Schuldzuweisungen befreit, sie andererseits zu Objekten der Diagnose und der Klassifikation macht. Nach anfänglicher Begeisterung entsteht ein therapeutischer Nihilismus, der die Psychiater ideologisch für die scheinnaturwissenschaftliche Verabsolutierung des Sozialdarwinismus und der Degenerationstheorien anfällig macht. Dies führt immer mehr dazu, die psychisch Kranken -oder zumindest die vermeintlich Unheilbaren- als Ballastexistenzen anzusehen, die als gemeinschaftsunfähig von der Gesellschaft ferngehalten oder in letzter Konsequenz als lebensunwert getötet werden. Schipperges hält Dörners Rückführung der Psychiatriegeschichte auf einen kapitalistischen Ausgrenzungsprozeß, die er bereits 1964 in "Bürger und Irre" formuliert hatte, für apodiktisch (SCHIPPERGES H (1975)). Auch Trenckmann interpretiert die Geschichte der Psychiatrie aus dem Blickwinkel des Kuhnschen Paradigmabegriffes. Er sieht die Psychiatrie in Analogie zu einem Zitat von Kuhn als Wissenschaft immer noch eher in der Phase der Alchemie als der Chemie (TRENCKMANN U (1988)). Wegen der Totalität ihres Anspruchs lasse sie sich nicht an der Elle exakter Wissenschaften messen. Dabei seien die Ergebnisse der Neuropathologie weder in die Psychopathologie übersetzbar noch umgekehrt. So fehle 13 der Psychiatrie weiterhin ein allgemeingültiges Konzept. Vielmehr entstehe seit 1830 alle 25 - 30 Jahre ein neues Konzept psychiatrischen Denkens. Trenckmann unterscheidet dabei drei Grundkonzepte, auf die sich historische und gegenwärtige Ansätze reduzieren lassen. Dies sind das anthropologische Modell, die Hirnpsychiatrie und das klassische klinische Modell Emil Kraepelins. Diese Grundkonzepte sieht Trenckmann in einem recht schematischen Abhängigkeitsverhältnis zu den Phasen der Institutionalisierung der Psychiatrie im allgemeinen Kontext der Wissenschaften, betont aber auch, daß die theoretischen Konzepte immer einen eher geringen Einfluß auf die tatsächliche Praxis in den Anstalten hatten. Schon bei diesen kurzen Darstellungen wird deutlich, daß die historische Betrachtung größerer Zusammenhänge auch in der Medizin zunehmend von Überlegungen der Erkenntnistheorie geprägt wird. Sie geht dabei zunehmend von phasenhaften anstelle von geradlinigen Entwicklungen aus. Ein wesentlicher Gesichtspunkt ist seit einiger Zeit der von Kuhn geprägte Begriff des Paradigma, das die Gesamtheit der wissenschaftlichen Denkweise und Methodik einer Fachdisziplin einer Epoche beschreibt. Wesentlich ist Kuhns Aussage, das der Wechsel eines Paradigmas im Verlauf der Wissenschaftsgeschichte nach zunehmender Akkumulation unlösbarer Fragestellungen im Verlauf der normalen Wissenschaftsarbeit schließlich in einem revolutionären Prozeß erfolge. Dieser Paradigmabegriff ist auf die Medizin, die den Gesetzmäßigkeiten einer Naturwissenschaft nicht entspricht, nur bedingt anwendbar. Kuhn selbst bezeichnet die Medizin insgesamt als Protowissenschaft, da sie auf Anstöße aus anderen Disziplinen angewiesen ist. Außerdem ist sie in ihrer Forschung nicht ungebunden, da sie durch die therapeutische Zielsetzung auch Probleme lösen will, die im "Puzzlespiel" ihres gültigen Konzepts keine Entsprechung haben (KUHN TS (1967)). Bauer sieht in dem medizinischen Teilgebiet der Pathologischen Anatomie eine Disziplin, der man den Begriff der Wissenschaft zusprechen kann, da Virchow ein Paradigma für sie entwickelt hat (BAUER A (1989)). Anstelle des Paradigmabegriffs, den Schipperges als fragwürdig bezeichnet (SCHIPPERGES H (1975)), bevorzugen Bauer (BAUER A (1989)) und Trenckmann (TRENCKMANN U (1988)) jedoch Rothschuhs Konzeptbegriff. Ein Konzept ist bei Rothschuh eine systematische Theorie, die eine Krankheit erklären und zu therapeutischen Konsequenzen führen kann (ROTHSCHUH KE (1978)). 14 Ludwik Fleck beschreibt schon 1935 an den Beispielen der Denkmodelle zur Syphilis und der Entwicklung der Komplementbindungsreaktion durch den Kreis um Wassermann, wie der gesellschaftliche Kontext und eigene Gesetzmäßigkeiten von Denkschulen die Betrachtung und Interpretation eines Gegenstandes entscheidend prägen. Dabei verändert auch der Entwicklungsprozeß einer Forschungsarbeit selbst laufend die Betrachtungsweise und die Fragestellung (FLECK L (1935)). Flecks Arbeit wurde zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung kaum beachtet und gelangte erst durch eine Erwähnung von Kuhn, der durch Fleck viele seiner Ansätze vorweggenommen sah, ins Bewußtsein größerer Leserkreise. Trotz der Berechtigung des Konzeptbegriffs ist jedoch anzumerken, daß er nur mit Einschränkungen auf einzelne Personen anwendbar ist. Es finden sich immer wieder Vorstellungen konkurrierender Konzepte bei ein und demselben Autor. Ein Beispiel ist Griesingers Nähe zur Psychologie (WUNDERLICH G (1985)). Schmiedebach zeigt, daß psychopathologische Ansätze auch bei anderen Vertretern der somatischen Richtung anzutreffen sind. Diese Ansätze wurden erst verlassen, nachdem die Experimente von Julius Eduard Hitzig (1838 - 1907) den Anschein erweckten, die Seele als Gesamtfunktion des Gehirns sei in psychologische Grundvorgänge und Elemente zu zerlegen (SCHMIEDEBACH HP (1985)). 15 1.2 Historische Einführung Bereits in der zeitgenössischen Literatur der Progressiven Paralyse gibt es immer wieder historische Rückblicke, die sich vordringlich damit beschäftigen, eine aktuelle Fragestellung vor dem historischen Hintergrund zu beleuchten. So widmet 1866 KrafftEbing (1840 - 1902) seine Arbeit zur Geschichte und Literatur der Dementia Paralytica dem (hauptsächlich in Frankreich ausgetragenen) Streit um die Einheitlichkeit des Krankheitsbegriffes mit sowohl motorischen als auch psychischen Störungen (KRAFFT-EBING R (1866B)). In der Diskussion um die Paralyse als eine kulturabhängige Krankheit bezieht 1911 Theodor Kirchhoff (1853 - 1922) mit der These Stellung, sowohl Syphilis als auch Paralyse seien bereits im Altertum beschrieben worden und ihre Zunahme hauptsächlich durch wachsende ärztliche Erkenntnis bedingt (Kirchhoff T (1911)). Otto Mönkemöller (1867 - 1930) nimmt im selben Jahr den entgegengesetzten Standpunkt ein und erklärt nach langwierigen Literaturstudien im Auftrag von Kraepelin die Zunahme der Progressiven Paralyse als kulturbedingt (MÖNKEMÖLLER O (1911)). Ebenfalls 1911 schreibt Plange zur Erläuterung der Therapieversuche mit Arsenpräparaten in der Anstalt Uchtspringe einen Abriß der bisherigen Therapieversuche bei Progressiver Paralyse (PLANGE W (1911)). Eine historische Darstellung nach pathologisch-anatomischen Gesichtspunkten nimmt Krause vor (KRAUSE K (1915)) und führt die unterschiedlichen Vorstellungen auf mangelhafte pathologisch-anatomische Beobachtung oder auf ungenügende Trennung von Progressiver Paralyse und Hirnsyphilis zurück, auf deren Darstellung seine gesamte Arbeit aufbaut. Krauses Arbeit steht noch unter dem direkten Einfluß der Diskussion um die Ätiologiefrage der Progressiven Paralyse. So vertritt er die Meinung, bei der Paralyse handele es sich im Gegensatz zur Hirnsyphilis um eine Toxinwirkung der Spirochäten und leitet daraus die Existenz eines neurotropen Erregerstammes ab. Diese Theorie greift Hare 1959 wieder auf. In einem monokausalen Ansatz erklärt er das erste Auftreten der Progressiven Paralyse mit der Neumutation eines neurotropen Spirochätenstammes im Norden Frankreichs während der Napoleonischen Kriege. Da dabei eine Erstbeschreibung der Progressiven Paralyse durch Thomas Willis (1621 1675) bereits 1672 nicht möglich wäre, erklärt Hare Willis' Beobachtungen als einen Fall von arteriosklerotischer Demenz. John Haslam (1764 - 1844) hat nach Hares An- 16 sicht Hirnsyphilis beschrieben. Noch offene Fragen der Progressiven Paralyse wie die Seltenheit in unterentwickelten Ländern oder Änderungen im Verlauf der Erkrankung ließen weitere Mutationen vermuten (HARE EH (1959)). 1965 beschreibt Jacobowsky einen weiteren monokausalen Ansatz (JACOBOWSKY B (1965)). Er widerspricht der Theorie eines neurotropen Erregers und betont stattdessen die Wirkung von Fieberschüben auf die Spirochäten. Seiner Meinung nach ist das Aufkommen der Progressiven Paralyse in Europa auf das Zurückgehen hochfieberhafter Erkrankungen (besonders der Pocken durch Jenners Vakzine) zurückzuführen. In den unterentwickelten Ländern gebe es z.B. mit der Malaria diese Erkrankungen noch. Die umfassendste Schilderung der Geschichte der Progressiven Paralyse ist meines Erachtens das von Henry geschriebene Kapitel über organische Psychosen in Zilborgs "History of Medical Psychology" (ZILBORG, HENRY 1941). Er spricht Thomas Willis (1621 - 1675) die erste definitive Erwähnung der Manifestation der Progressiven Paralyse zu, die nächste John Haslam (1764 - 1844). Willis Beschreibung findet sich in seiner 1672 erschienenen Arbeit "De Anima Brutorum", Haslams in seinen "Observations on Madness and Melancholy" von 1798. Krafft-Ebing bezeichnet es als strittig, wer der erste Beobachter der Paralyse war. Willis habe das Auftreten der Paralyse im Verlauf von Psychosen gekannt, Haslam das Leiden zum ersten Male genauer geschildert und Esquirol die ersten Details gebracht. In der weiteren Zeit kommen die meisten wesentlichen Beobachtungen aus Frankreich. Jean Etienne Dominique Esquirol (1772 - 1840) erwähnt die Progressive Paralyse 1805 zum ersten Mal und bezeichnet sie als inkurabel. 1814 gibt er an, diese Krankheit betreffe 30% seiner Patienten an der Pariser Salpietrière. Esquirol betrachtet die Paralyse jedoch nicht als eigenes Krankheitsbild, sondern sieht sie als Komplikation der Psychosen an. 1820 beschreibt Etienne Jean Georget (1795 - 1828) die Paralysen genauer. Zum ersten Male postuliert Bayle 1822 die Zusammengehörigkeit von Psychose und Paralyse als ein und dasselbe Krankheitsbild, das er nach ausgiebigen pathologischanatomischen Untersuchungen als Arachnitis Chronica bezeichnete. Achille Louis Foville (1799 - 1878) bezeichnet hingegen 1823 eine Induration der weißen Hirnsubstanz als das morphologische Substrat der Krankheit. 17 Im Jahre 1826 veröffentlicht Juste Louis Calmeil (1798 - 1895) die erste Monographie "De la paralysie chez les aliénes", in der er ein recht akkurates klinisches Bild dieser Krankheit liefert. Er unterscheidet drei Stadien der motorischen Störungen. Die Psychosen seien sehr unterschiedlich, führten aber immer zum Blödsinn. Er hält die Progressive Paralyse für eine Krankheit sui generis, legt sich aber mit einer Beschreibung der anatomischen Veränderungen nicht fest. Das klinische Krankheitsbild scheint damit geklärt, über die Pathologie bestehen aber weiterhin Differenzen. Sieht Bayle eine Meningitis als Ursache an, so vertritt Jean Baptiste Parchappe (1800 - 1866) 1832 die Meinung einer Enzephalitis als Grund für die Krankheit. In der Mitte der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts wird das Krankheitsbild wieder unklarer. Achille Pierre Réquin (1803 - 1854) bestreitet 1846 seine Einheitlichkeit, und Jules Gabriele Francois Baillarger (1806 - 1890) beschreibt 1847 mehrere Fälle einer "paralysie générale sans alienation". Louis Jean Francois Delasiauve (1804 - 1893) und Jean Pierre Falret (1794 - 1870) können jedoch 1851 nachweisen, daß es sich bei diesen Fällen um Verwechslungen mit motorischen Lähmungen aufgrund von Herdsymptomen handelt. Sie verteidigen die Progressive Paralyse als spezifische nosologische Form, was Falret in seiner Monographie von 1853 weiter bekräftigt. Nachdem sich "lange Zeit die deutschen Psychiater in kaum verständlicher Weise dagegen gestemmt hatten, was Bayle und Calmeil beschrieben hatten" (MÖNKEMÖLLER O (1911)), erscheint 1851 von Adalbert Duchek aus Prag die erste größere deutsche Arbeit über die Progressive Paralyse (KRAFFT-EBING R (1866B)). Duchek bezeichnet die Progressive Paralyse als eine Krankheit, die sowohl die Meningen befalle, was zur Paralyse führe, als auch eine Atrophie der Hirnsubstanz verursache und damit das Irresein begründe. Die unterschiedliche Verteilung der befallenen Areale erkläre die Verschiedenheit der Symptombilder. Die Ansichten zur pathologischen Anatomie bleiben über einige Jahrzehnte konträr. Der Streit, ob es sich um einen primär degenerativen oder einen primär entzündlichen Prozeß mit sekundärer Degeneration handele, setzt sich bis in die 1870er Jahre fort. Erst 1904 gibt Alzheimer eine komplette Beschreibung der histopathologischen Veränderungen der Progressiven Paralyse (ZILBORG, HENRY 1941). Was jedoch die Ursache betrifft, die überhaupt zu den cerebralen Veränderungen bei der Progressiven Paralyse führt, so tappt die psychiatrische Forschung noch lange im Dunkeln. Bayle unterscheidet moralische und physische Ursachen, z.B. geistige Über- 18 anstrengung, exzessive Liebe, Trauer oder Enttäuschung über lange Zeit, Alkoholismus, bei Frauen unregelmäßige Menstruationen. In der Hälfte der Fälle sei Erblichkeit gegeben. Alle diese Vorstellungen werden bis ins 20. Jahrhundert von den meisten Autoren mehr oder weniger akzentuiert vertreten. Ihre Vielfalt weist auf die Unsicherheit bei diesem vermutet multifaktoriellen Geschehen hin. Jetzt tritt eine weitere Überlegung hinzu, die Bayle auch schon erwogen, aber wieder verworfen hatte, nämlich der Zusammenhang zwischen der Progressiven Paralyse und der Syphilis, den Johann Friedrich August Esmarch (1823 - 1908) und Peter Willers Jessen (geb. 1824) 1857 in der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie erstmals aufgrund von Fallbeschreibungen postulieren. Dieser Zusammenhang wird anfangs von vielen Kapazitäten scharf abgelehnt, er erweist sich aber in den folgenden Jahrzehnten als immer wahrscheinlicher. Den entscheidenden Beleg für die Richtigkeit der Syphilistheorie liefert die Entwicklung der Komplementbindungsreaktion (KBR) zum Nachweis für Luesantikörper 1906 durch Wassermann. Voraussetzung hierfür sind die Liquorpunktion, die Heinrich Quinke (1842 - 1922) 1890 zum ersten Mal anwandte, und vor allem die Identifizierung des Erregers der Syphilis, die Fritz Schaudinn (1871 - 1905) und Erich Hoffmann (1868 - 1959) erst 1905 gelingt. Mit der KBR lassen sich dann bei fast allen Paralytikern Luesantikörper im Serum nachweisen. Der endgültige Beweis war dann der mikroskopische Nachweis von Spirochäten im Nervenzellgewebe von Paralytikern durch Hideyo Noguchi (1876 - 1914) im Jahre 1913. Allerdings ist mit dem Durchbruch in der Ätiologiefrage noch keine Therapie gegen die Progressive Paralyse gefunden, deren Prognose gemeinhin als infaust gilt. Bayle versucht, mit den damaligen antiinflammatorischen Mitteln gegen die vermutete Meningitis anzugehen und verordnete z.B. Klistiere, Laxantien und Senfumschläge. Andere versuchen mit Medikamenten vorzugehen, die sich bei der Syphilis als leidlich erfolgreich erwiesen hatten. Dies sind u.a. Kaliumjodid und Quecksilber. Deren Erfolglosigkeit bei der Progressiven Paralyse gilt lange als ein wichtiges Argument gegen die Syphilistheorie. Ab 1910 werden mit dem von Paul Ehrlich (1854 - 1915) entwickelten Salvarsan große Erfolge bei der Syphilis erzielt. Da das Medikament jedoch die Blut-Hirn-Schranke nicht zu durchdringen vermag, bleiben Therapieversuche bei der Progressiven Paralyse weitgehend wirkungslos, obwohl mit Trepanationen und direkten Injektionen in die 19 Ventrikel oder mit Drainagen des Spinalkanals sehr invasive Methoden der Applikation angewandt werden . In Wien beginnt noch im 19. Jahrhundert der Psychiater Julius Wagner von Jauregg (1857 - 1940) mit Versuchen, auf eine recht ungewöhnliche Art die Progressive Paralyse zu therapieren. Er infiziert einige Patienten mit einer anderen fieberhaften Erkrankung und erzielt auf diese Weise die ersten Therapieerfolge überhaupt. Für die Malariatherapie, die bis zur Einführung des Penicillins die einzige wirksame Therapie der Progressiven Paralyse war, erhält Wagner von Jauregg 1927 als bisher einziger Psychiater den Nobelpreis der Medizin. Whitrow beschreibt den kurvenreichen Weg, den Wagner von einer Idee, deren Ursprünge bis auf Beobachtungen in der Antike (Hippokrates, Galen) zurückreichen, schließlich zur Entwicklung der Malariatherapie führt (WHITROW M (1990)) : 1883 nimmt Wagner als junger Psychiater den Fall der Heilung von einer schweren Geisteskrankheit im Gefolge eines Erysipels zum Anlaß ausführlicher Literaturstudien und kommt 1887 zu dem Schluß, daß Psychosen durch Fieber geheilt werden können, weswegen die künstliche Erzeugung von Fieber ein gerechtfertigtes Mittel der Therapie sein müsse. Erste Versuche mit Streptokokkenkulturen verlaufen 1889 erfolglos. Daher geht Wagner später zu Impfungen mit Tuberkulin über, um die Gefahren einer echten bakteriellen Infektion zu vermeiden. Erst ab 1895 beschränkt er seine Versuche, deren Ziel ursprünglich die Therapie der Geisteskrankheiten im allgemeinen gewesen war, auf die Progressive Paralyse, da nur hier ein Ansprechen sichtbar war. Die Ergebnisse veröffentlicht Alexander Pilcz (1871 - 1954) im Jahre 1905. Wegen der geringen Erfolge sucht Wagner später wieder nach einem geeigneten Erreger, experimentiert 1910 mit abgetöteten Staphylokokkenkulturen und beginnt erst 1917, als zufällig ein Malariapatient in der Klinik ist, Paralytiker durch dessen Blut mit Malaria tertiana zu infizieren. 1918 kommt es aufgrund einer versehentlichen Infektion mit Malaria tropica zu Todesfällen, worauf Wagner von seinen Versuchen für einige Zeit Abstand nimmt, sie später aber im Rahmen einer bakteriologischen Studie wieder aufnimmt. Ab 1919 wird jeder Paralytiker im Wiener Allgemeinen Krankenhaus mit der Malariatherapie behandelt. Aber erst 1920 tritt Wagner unter dem Druck von Veröffentlichungen anderer Forschungsgruppen als Erstbeschreiber des Verfahrens selbst an die Öffentlichkeit. 1925 ist die Malariatherapie der Progressiven Paralyse weltweit 20 anerkannt und führt in etwa 30% der Fälle zu kompletter und in weiteren 20% zu teilweiser Remission. 21 1.3 Aufgabenstellung Die Geschichte der Progressiven Paralyse von ihrer Beschreibung durch Bayle 1822 bis zu ihrer vollständigen Klärung 1906 durch die Wassermann-Reaktion bzw. 1913 durch den Nachweis von Spirochäten im Gehirn von Paralytikern fällt in Deutschland in den Zeitraum des Übergangs von der naturphilosophisch geprägten Psychiatrie der Romantik zur im wesentlichen somatisch orientierten Psychiatrie, die in den Rang eines weitgehend gleichberechtigten Faches der iatrotechnischen Medizin gelangt ist. Vor dem Hintergrund ihrer eindeutig geklärten Ätiologie bietet das Krankheitsbild der Progressiven Paralyse daher die Möglichkeit, exemplarisch die Denkmodelle in der Psychiatrie des genannten Zeitraums darzustellen. Besondere Bedeutung kommt dabei der Darstellung spekulativer Ätiologievorstellungen im Kontext eines vorgeblich naturwissenschaftlichen Vorgehens zu, wie es im Gefolge von Griesingers Thesen als charakteristisch für diese Epoche angesehen wird. Gerade hierin erweist sich die Progressive Paralyse als ein gutes Beispiel, denn sie erfüllt tatsächlich das Postulat einer Geisteskrankheit mit morphologisch darstellbaren Gehirnveränderungen. In den oben referierten Darstellungen der Psychiatriegeschichte erhält die historische Behandlung der Progressiven Paralyse vielfach eine Sonderrolle. Hier werde durch die wissenschaftliche Methode der Medizin ihrer Zeit tatsächlich ein Krankheitsbild vollständig beschrieben, gleichsam als ein Musterbeispiel für die gesamte Psychiatrie. Besonders Hares Darstellung vermittelt den Eindruck eines geradlinigen Prozesses, der am Ende zu der Entität eines Krankheitsbegriffes führt, der klinische Symptomatik, Pathologische Anatomie und Ätiologie umfaßt (HARE EH (1959)). Es gilt zu zeigen, ob diese Einschätzung berechtigt ist. Die Fragestellung der vorliegenden Arbeit umfaßt - die Darstellung der ätiologischen Vorstellungen zur Progressiven Paralyse im Vergleich naturphilosophischer Ideen mit den Vorgaben der wissenschaftlichen (d.h. pathologisch-anatomischen Methode und - das Verhältnis der anfänglichen ätiologischen Vorstellungen zur späteren Entwicklung der Syphilistheorie. 22 1.4 Stand der Forschung Es gibt nur wenige medizinhistorisch relevante Veröffentlichungen, die sich in den letzten Jahren ausschließlich mit der Progressiven Paralyse befassen. Von Pauleikhoff (PAULEIKHOFF B (1983)) stammt eine Ideengeschichte der Psychiatrie, die hauptsächlich von Einzelpersonen ausgeht, die ausführlich anhand ihrer Schriften dargestellt werden. In einem kurzen Einschub über die Progressive Paralyse beschränkt er sich auf die pathologisch-anatomisch begründeten Standpunkte und referiert umfassend die Ausführungen von Griesinger in der zweiten Auflage der "Pathologie und Therapie der Geisteskrankheiten" von 1861 sowie Wernickes Versuch, die Progressive Paralyse im Rahmen seiner Vorlesungen als Beispiel für die Pathologie der Geisteskrankheiten im Allgemeinen darzustellen (WERNICKE K (1900)). Griesinger hatte bereits 1845 auf die von den Franzosen sogenannte Progressive Paralyse hingewiesen (HARE EH (1959)), sie aber schon aufgrund seiner These von der Einheitspsychose nicht als eigene Krankheit, sondern wie Esquirol als Komplikation der Psychosen bezeichnet. 1861 bestreitet er einen wesentlichen Einfluß der Syphilis auf ihre Entstehung und nimmt vielmehr die allgemein behauptete multifaktorielle Genese mit Einflüssen von sexuellen Exzessen bis zu starkem Kaffeekonsum an. Wernicke sah die Progressive Paralyse als Inbegriff der syphilitisch bedingten Psychosen und als Beispiel einer Gehirnerkrankung, bei der neurologische -und analog wahrscheinlich auch psychische- Symptome und anatomische Veränderungen einander entsprachen. So bot ihm die Paralyse einen Ausblick auf die allgemeine anatomische Begründung der Psychosen. Kampmeyer faßt die Ansammlung von Wissen über die Progressive Paralyse bis zu dem Zeitpunkt zusammen, als Noguchi von der Darstellung von Treponema pallidum im Gehirn von Paralytikern berichtet und diesem klinischen Krankheitsbild, das die Medizin seit Jahrzehnten beschäftigt hatte, den Stempel der Syphilis aufdrückte. Dabei zieht er eine gerade Linie von Esmarch und Jessen über Krafft-Ebings Impfexperiment, Kraepelin und die Komplementbindungsreaktion bis zu Noguchi (KAMPMEIER RH (1980)). Marneros und Risse verfolgen hauptsächlich das Ziel, die Progressive Paralyse wieder in das differentialdiagnostische Spektrum des modernen Psychiaters zu integrieren und 23 beziehen sich in ihrem historischen Abriß besonders auf Hare (MARNEROS A, RISSE A (1987)). Ein historischer Vergleich von Syphilis und AIDS von Schönfeld verdeutlicht, wie auch die Syphilis in der ersten Zeit ihrer Verbreitung allgemeine Hysterie und Ausgrenzungsbestrebungen gegen Betroffene auslöste (SCHÖNFELD J (1988)). Weitere Veröffentlichungen befassen sich im weiteren Sinne mit dem Thema dieser Arbeit. Bauer untersucht die Behandlung der Neuro- und Psychopathologie in den Tagungen der Gesellschaft der Deutschen Naturforscher und Ärzte von 1822 - 1872 (BAUER A (1989)). Unter den zahlreichen historischen Arbeiten über Wilhelm Griesinger sei besonders auf zwei verwiesen. Wunderlich betrachtet die Gesichtspunkte, die bei Griesinger das Verhältnis von Soma und Psyche gestalten (WUNDERLICH G (1985)). Durch die Einheit von Leib und Seele können beide aufeinander einwirken und zu einer Affektion des Gehirns im Sinne bloßer Irritation, Ernährungsstörung und weiter bis zur Atrophie führen. Eine Erkrankung der Psyche als immaterielle Funktion der Seele schließt Griesinger aus. Die Ursache der Psychose sei in einem Zusammenspiel von multiplen Faktoren zu sehen, bei dem einer erblichen Disposition ein besonderer Wert zukommt. Der Pathomechanismus ist aber völlig unklar. Dabei entwickelt sich die Psychose als ein fremder Anteil im Menschen, der ihn schließlich überwältigt. Mäßigere psychische Abweichungen, die nicht zu einer wirklichen Gehirnkrankheit führen, erkennt Griesinger zwar an, hält sie für die Psychiatrie aber für nicht relevant. Wunderlich sieht darin einen Grund für die späte Emanzipation der Neurosentheorie. Jacobsen stellt Untersuchungen über den Wissenschaftsbegriff und das Menschenbild bei Wilhelm Griesinger an (JACOBSEN U (1986)) und beklagt, daß eine historische Betrachtung zumeist nach Teilaspekten Griesingers wissenschaftlichen Humanismus bisher nicht gerecht geworden sei. Nebenbei liefert Jacobsen in einer Fülle von Quellenangaben auch die Zitate der Auseinandersetzung, die Griesinger mit Bernhard Heinrich Laehr (1820 - 1905) und Carl Friedrich Flemming (1799 - 1880) über sein Konzept der Krankenversorgung führte. Eine weitere Arbeit befaßt sich mit dem jungen Griesinger (WAHRIG-SCHMIDT B (1984)). Eine Reihe von Dissertationen der letzten Jahre befaßt sich mit Psychiatern aus der romantischen Epoche (Johann Christian August Heinroth (1773 - 1843) [LIDL M (1981), NOCH P (1984)] , Ernst Horn (1774 - 1841) [SCHNEIDER H (1986)] , Alexander Haindorf (1782 - 1862) [WUNDERLICH G (1981)] , mit den psychiatrisch 24 interessierten Schriftstellern Ernst Freiherr von Feuchtersleben (1806 -1849) [RISSMANN W (1978)] , Jakob Friedrich Fries (1773 - 1843) [AKBAR H (1984)]) und mit Psychiatern der Übergangszeit (Carl Friedrich Flemming (1799 - 1880) [LEOPOLD M (1983)] , Peter Willers Jessen (1793 - 1875) [FELDMANN R (1983)] , Friedrich Nasse (1778 - 1851) [ALTMAIER G (1977)]). Waldeck-Semadini schreibt über Paul Julius Möbius (1853 - 1907) (WALDECK SEMADENI EK (1980)), Zürner über die Entwicklung zu eugenischen Lösungsansätzen bei Auguste Forel (1848 - 1931) (ZÜRNER P (1984)). Von Feger stammt eine Geschichte des Psychiatrischen Vereins zu Berlin, aus dessen Reihen eine Vielzahl von Beiträgen auch zur Progressiven Paralyse hervorging (FEGER G (1983)). Herold beschreibt die Geschichte der Organisation der psychiatrischen Vereine (HEROLD C (1972)), Angst die Entstehung der ersten psychiatrischen Zeitschriften in Deutschland (ANGST A (1975)). Der Einfluß von Entwicklungstheorien auf psychiatrische Krankheitskonzepte (EFFELSBERG W (1980)), die Psychosomatik (SCHMIDT- METHFESSEL I, SEITZ G (1981)) , der Einfluß der Psychologie auf die Psychotherapie in der Psychiatrie (), die Stellung der Patienten in der Psychiatrie der Romantik (LÄNGLE R (1982)) und die Antipsychiatrie ab dem 19. Jahrhundert (DAHM A (1983)) sind weitere Themen von Dissertationen mit einem Bezug zum Thema der vorliegenden Arbeit. 25 1.5 Quellen und Methodik Die historische Darstellung der Progressiven Paralyse in dieser Arbeit beruht hauptsächlich auf der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie (AZP), die 1844 von Carl Friedrich Flemming (1799 - 1880), Heinrich Phillip August Damerow (1798 - 1866) und Christian Friedrich Wilhelm Roller (1802 - 1873) gegründet wird. Für die Auswahl dieser Zeitschrift unter der Vielzahl neurologischer und psychiatrischer Fachzeitschriften spricht zum einen, daß sie die erste deutsche Zeitschrift für Psychiatrie war, die längeren Bestand hat (ACKERKNECHT EH (1957)). Zum anderen entspricht sie sowohl von der Persönlichkeit ihrer Gründungsmitglieder als auch von ihrem Anspruch als dem Organ des Deutschen Vereins für Psychiatrie, die gesamte Bandbreite der psychiatrischen Vorstellungen des Deutschen Vereins widerzuspiegeln (LAEHR BH (1894)), am ehesten der Aufgabe, eine möglichst umfassende Darstellung der ätiologischen Vorstellungen zur Progressiven Paralyse zu erbringen. Über Flemming, Damerow und Roller schreibt Ackerknecht in seiner "Geschichte der Psychiatrie": "Ideologisch waren sie bis auf den Somatiker Flemming auf eine philosophische Anthropologie, die sich auf der Einheit von Seele, Leib und Geist gründete und den reinen Mechanismus ablehnte, ausgerichtet. Das heißt, sie waren eine Übergangsgeneration zwischen der Romantik und dem Mechanismus". (Ackerknecht EH (1957)) Bodamer beschreibt in einer Art Nachruf auf die Allgemeine Zeitschrift die Konstellation, unter der sie gegründet wird (BODAMER J (1953)) : Der offene Streit zwischen Psychikern und Somatikern geht mit einer allgemein anerkannten Dominanz des Somatizismus zuende, die allerdings nur bis zum vollen Einsetzen der naturwissenschaftlichen Richtung andauert. Der Gegensatz zwischen dem romantisch geprägten Somatizismus und der neuen Richtung ist jedoch nicht so groß, daß er einen störungsfreien Übergang behinderte. Die ab 1809 gegründeten großen Heilanstalten legen den Grundstein für eine geordnete Irrenfürsorge, die auch zunehmend Ausdruck in der Entstehung von eigenen Gesetzen für die Irrengesetzgebung in ganz Europa finden. Ein weiterer Aspekt der Situation um 1844 ist eine wissenschaftliche Einheitsbewegung mit politisch-nationalem Hintergrund, die ihr Sammelbecken in der Allgemeinen Zeitschrift findet. Dieses Gemeinschaftsgefühl beschränkt sich nicht nur auf Deutschland, sondern findet auch seinen Widerhall in der engen Zusammenarbeit mit den franzö- 26 sischen "Annales Medico-Psychologiques", die bis 1870 andauert, und in der Beteiligung niederländischer, dänischer und Schweizer Psychiater. Unter dem Eindruck des Erfolgs der Allgemeinen Zeitschrift wird 1846 in Kiel auf Betreiben von Peter Willers Jessen und David Mansfeld (1797 - 1863) eine eigene psychiatrische Sektion der Gesellschaft der Deutscher Naturforscher und Ärzte gegründet. Aus dieser Sektion entsteht 1861 der Verein Deutscher Irrenärzte. Im weiteren Verlauf bilden sich eine Reihe von Lokalvereinen, deren Vereinsberichte in der Allgemeinen Zeitschrift abgedruckt werden. Bis 1870 erklärt Bodamer die Allgemeine Zeitschrift als repäsentativ für die deutsche Psychiatrie. Ihre historisch einmalige Aufgabe habe darin bestanden, "die konstituierenden Elemente der Psychiatrie als Wissenschaft ... nacheinander hervortreten zu lassen: Anthropologische Gesamtschau, klinisch-psychopathologische Phänomenologie und naturwissenschaftliche Forschung." Die Vernachlässigung des Zeitraumes vor 1844 erscheint bei dieser Arbeit als kein großer Mangel. Mönkemöller weist nach, daß die Progressive Paralyse von den Psychikern in dieser Zeit überhaupt nicht erwähnt wird und auch Somatiker wie Ludwig Wille (1834 - 1912) dieses in Frankreich entwickelte Krankheitsbild nicht anerkennen (MÖNKEMÖLLER O (1911)). Die ersten Jahrgänge der AZP selbst zeigen dies ebenfalls, da dort anfangs nur über die Diskussion der Progressiven Paralyse in Frankreich berichtet wird. Erst später beginnt eine eigenständige Darstellung im deutschsprachigen Raum. Aus diesem Grund sind in den ersten Kapiteln dieser Arbeit auch Referate ausländischer, besonders französischer Beiträge aufgeführt, während später weitestgehend nur noch Artikel aus Deutschland, Österreich-Ungarn sowie dem deutschorientierten Prag zitiert werden. Ein Mangel der Beschränkung auf eine einzelne Zeitschrift besteht natürlich darin, daß viele der Beiträge, die entscheidende Entdeckungen für die Diskussion der Ätiologiefrage der Progressiven Paralyse dokumentieren, nicht im Original vorliegen können. Dies gilt z.B. für die Arbeit von Duchek, für die Komplementbindungsreaktion oder auch für die Wiener Arbeiten zur unspezifischen Fiebertherapie der Progressiven Paralyse. Diesem Umstand wurde durch die Zitate aus den Literaturreferaten Rechnung getragen, die spätestens ab der Etablierung eines eigenständigen Literaturberichtes in der Allgemeinen Zeitschrift als weitgehend umfassend gelten dürfen. Einige zusätzliche Beiträge sind Rudolf Virchows Archiv für Pathologische Anatomie und klinische Medizin entnommen, im weiteren kurz Virchow Archiv genannt. Dabei 27 handelt es sich um Beiträge zur Pathologischen Anatomie der Progressiven Paralyse von Autoren, die auch in der Allgemeinen Zeitschrift zitiert werden. Speziell die Beiträge von Franz Meschede und Alexis Lubimoff stellen die Verbindung zur Arbeit von Bauer über die Pathologie -in diesem Fall die Neuropathologie- in den Tagungen der Gesellschaft der Deutschen Naturforscher und Ärzte dar. Die Bearbeitung des Quellenmaterials in der vorliegenden Arbeit gliedert sich grob in drei chronologisch aufeinander folgende Teile. Der erste Teil befaßt sich mit dem Zeitraum von der Gründung der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie 1944 bis zur ersten definitiven Aufstellung der These, es könne ein kausaler Zusammenhang zwischen der Progressiven Paralyse und Syphilis bestehen, wie sie Esmarch und Jessen 1857 formulieren. In diesen Zeitraum fallen die ersten eigenständigen deutschsprachigen Arbeiten zur Paralyse, die sich vom einfachen Kommentieren der französischen Vorbilder lösen. Der zweite Teil beschreibt die Bearbeitung des nun faktisch auch in Deutschland etablierten Krankheitsbildes bis zu der Zeit, als mit dem Nachweis von vermeintlichen Antikörpern gegen die Syphilis im Liquor von Paralytikern der von Esmarch und Jessen dargestellte Zusammenhang weitgehend anerkannt ist. Dieser Teil zerfällt in drei Abschnitte, die die wesentlichen Herangehensweisen an das Thema repräsentieren. Zum ersten die pathologisch-anatomische Methode, die in der Verfolgung von Griesingers Vorstellungen die wissenschaftliche Klärung der Krankheiten in der Herausarbeitung ihres morphologischen Korrelates sucht. Zweitens die Methode der klinischen Betrachtung, die sich im wesentlichen aus der Tradition der Anstaltspsychiatrie herleitet und oftmals die klinischen Beschreibungen mit spekulativen Interpretationen verknüpft. Der dritte Abschnitt beschreibt, wie die ätiologische Überlegung des Verhältnisses der Syphilis zur Progressiven Paralyse immer mehr zum Tragen kommt. Diese drei Abschnitte umfassen jeweils denselben Zeitraum und sind daher in sich zwar weitgehend chronologisch gegliedert, im Verhältnis zueinander aber parallel. Dabei liegt das Schwergewicht der pathologisch-anatomisch orientierten Arbeiten eher in der ersten, das der sich mit der Syphilis befassenden eher in der zweiten Hälfte dieses Zeitraumes. Die Zuordnung einzelner Arbeiten zu den jeweiligen Abschnitten erscheint gelegentlich willkürlich, da sich die Themenbereiche aller angesprochenen Gruppen oftmals überschneiden und besonders die spekulativen Überlegungen nicht nur bei den Anstaltspsychiatern und ihren Schülern zu finden sind. Der dritte Teil befaßt sich weitgehend mit der Therapiediskussion nach der ätiologi- 28 schen Klärung der Progressiven Paralyse, deren Wurzeln schon in die Sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts zurückgehen. Die Ätiologiediskussion wird jedoch auch in diesem Zeitraum noch weiter fortgesetzt. 29 1.6 Derzeitige Lehrbuchmeinung zur Progressiven Paralyse Zur Einleitung in das Thema der Progressiven Paralyse und der durch sie hervorgerufenen Störungen möchte ich die aktuellen Vorstellungen zu diesem Fragestellungen anführen, wie sie in Lehrbüchern formuliert werden (MUMENTHALER M (1986), TÖLLE R (1988), STOCHDORPH O (1977), GEDIGK P (1977)). 1.6.1 Neurolues In 30% der Fälle unbehandelter Syphilis entwickeln sich im Mittel drei bis fünf Jahre nach dem Primärstadium die spezifischen granulomatösen Veränderungen des Tertiärstadiums der Lues. Dabei kommt es zur Ausbildung der syphilitischen Granulome (Gummata) mit Epitheloidzellen und wenigen Riesenzellen vom Langhans Typ. Die Mehrzahl der Entzündungszellen sind Plasmazellen und Lymphozyten. Im Zentrum der Granulome kommt es zu sekundären Nekrosen. Syphilitische Gummata weisen eine zentrale Vaskularisation auf. Die Gefäße, besonders die Venen, zeigen Intimawucherungen. Mit Hilfe von Spezialverfahren (Versilberung, Spezialeinbettung, Elektronenmikroskopie) lassen sich die Spirochäten auch im Tertiärstadium im Gewebe nachweisen. Neben dem lokalen Befall von einzelnen Organen während des Tertiärstadiums können spezifische Veränderungen auch in Organsystemen auftreten. Hier werden kardiovaskuläre Syphilis und Syphilis des ZNS unterschieden. Nach Mumenthaler gibt es einen ZNS-Befall in allen Stadien der Syphilis, wobei Lues latens seropositiva, Lues latens liquorpositiva und Neurolues zu unterscheiden sind. Zur Neurolues kommt es im dritten und vierten Stadium der Syphilis. Ihre drei Unterformen sind Lues cerebrospinalis (30%), Tabes dorsalis (25%) und die Progressive Paralyse (45%). Zu einer Neurolues kommt es bei ca. 10% aller unbehandelten Syphilitiker. Die syphilitische Entzündung der weichen Hirnhäute ist die eigentliche gestaltliche Grundlage der klinischen Lues cerebrospinalis. Endarterielle Gefäßveränderungen führen dabei zu herdförmigen Veränderungen, die durch umschriebene neurologische Ausfallserscheinungen das klinische Bild komplizieren. Mumenthaler unterscheidet dabei mehrere Spielarten: Die basale gummöse zerebrale Leptomeningitis, die im klini- 30 schen Bild einer tuberkulösen Meningitis ähnelt, die zerebrale Arteriitis, die zu Insulten führen kann, und zerebrale Gummen mit den Charakteristika eines raumfordernden Prozesses. Ferner im Rückenmark die Pachymeningitis spinalis, die entweder aus einer syphilitischen Ostitis oder per se entstehen kann, die syphilitische Myelitis einzelner Segmente mit gelegentlicher Querschnittssymptomatik sowie die luetische Spinalparalyse. Tabes dorsalis und Progressive Paralyse fallen bei Mumenthaler unter den Begriff der Metalues. Tölle lehnt diese Bezeichnung ab, da es der Erreger selbst ist, der das Krankheitsbild hervorruft und kein Toxin. Er spricht daher von quartärer Lues. Bei der Tabes dorsalis handelt es sich um den Untergang der sensiblen Fasern, die mit den hinteren Wurzeln ins Rückenmark eintreten. Mit dem Verschwinden der Markscheiden und der Vermehrung der Glia nehmen die Hinterstränge immer mehr einen grauen Farbton an und werden fester. Auch die hinteren Wurzeln sind in den späteren Stadien grau, ferner können auch die Sehnerven graue Degeneration zeigen. Das pathologisch-anatomische Bild macht die klinische Symptomatik der Tabes dorsalis verständlich (STOCHDORPH O (1977)). Diese sind als Frühzeichen lanzinierende Schmerzen, Ataxien bei einem Drittel der Fälle aufgrund der gestörten Tiefensensibilität mit pathologischem Romberg-Versuch, verminderte Muskeleigenreflexe in 50%, häufig Parästhesien und Sensibilitätsstörungen sowie schmerzhafte tabische Krisen im Verdauungs- und Urogenitaltrakt. Früher oder später kommen in 90% aller Fälle Pupillenanomalien hinzu, die sich bei 20% bis zur vollausgebildeten Pupillenstarre (Argyll-Robertson) entwickeln. Bei ca. 10% führt ein Befall des Sehnerven bis zur Blindheit. Von den serologischen Reaktionen ist die Wassermann-Reaktion in etwa zwei Drittel der Fälle positiv, spezifischere Tests (TPHA, FTA) immer. Bei der Progressiven Paralyse ist das Intervall zwischen Primärinfektion und Ausbruch der Krankheit wesentlich länger als bei den anderen Formen der Neurolues. Es beträgt im Durchschnitt zehn bis fünfzehn Jahre und ist umso kürzer, je älter der Patient bei der Primärinfektion war (Mumenthaler). Im Intervall finden sich die Erreger inaktiv im Bereich der Hirnrinde (Tölle). Die Symptome im Frühstadium sind anfangs uncharakteristisch und umfassen neben Kopfschmerzen und allgemeiner Ermüdbarkeit eine Verminderung der "psychophysischen Leistung" (Tölle) mit einer gereizten Stimmungslage, so daß Tölle von einem "pseudoneurasthenischen Vorstadium" spricht. Der Beginn ist meist schleichend, gelegentlich kommt es aber auch schon initial zu Krampfanfällen oder akuten Psychosen. 31 Später finden sich charakteristische Symptome. Neurologisch sind dies die dysarthrische, verschmierte Sprache mit Silbenstolpern, die sich anfangs nur bei Testwörtern äußert und am Ende gänzlich unverständlich wird, und eine ausdrucksarme schlaffe Mimik, oftmals mit feinen Muskelzuckungen in der Mundregion (periorales Beben, Wetterleuchten). Pupillenstörungen sind seltener als bei der Tabes dorsalis. Sie treten in etwa der Hälfte der Fälle auf. Hinzu kommen Reflexsteigerungen und Pyramidenbahnzeichen. In jedem Stadium können fokale und generalisierte Krampfanfälle auftreten, ebenso Hemiparesen, die sich aber meist wieder zurückbilden. Von einer Taboparalyse spricht man beim Hinzutreten von Optikusatrophie, Hinterstrangzeichen und anderen Zeichen einer Tabes dorsalis zur Progressiven Paralyse. Die psychische Symptomatik ist nicht selten eindrücklicher als die neurologische. Am häufigsten ist das organische Psychosyndrom, teilweise mit Betonung einer Stirnhirnsymptomatik, das schließlich zu einer Demenz führt. Das euphorisch-expansive Syndrom ist seltener, aber dann sehr eindrucksvoll. Im Zuge eines erhöhten Selbstbewußtseins kommt es zum Größenwahn, der sich von der Manie durch seine Maßlosigkeit und vollkommene Kritiklosigkeit unterscheidet. Weitere Verlaufsformen sind die depressive und die durch paranoide Symptome geprägte. Trotz aller anfänglichen Unterschiede tritt im weiteren Verlauf regelmäßig ein fortschreitendes organisches Psychosyndrom hervor. Ohne Behandlung ist die Prognose innerhalb weniger Jahre infaust, spontane Besserungen kommen nur sehr selten vor. Die Diagnose ergibt sich wiederum aus der Serologie und den Liquorbefunden, die praktisch immer positiv sind. Die Wassermann-Reaktion ist häufiger positiv als bei der Tabes dorsalis. Die Verdachtsdiagnose Progressive Paralyse ergibt sich bereits aus der Psychopathologie. Pathologisch-anatomisch findet sich mikroskopisch eine vorwiegend aus Plasmazellen und Lymphozyten bestehende zellige Infiltration um die kleinen Gehirngefäßäste sowie eine stärkere diffusere Proliferation der Mikroglia in Form von Stäbchenzellen. Die Gehirnsubstanz selbst zeigt einen fortschreitenden Zerfall der Ganglienzellen. Der Substanzverlust führt zu einer auch makroskopisch deutlichen Atrophie und damit zur Entstehung eines Hydrozephalus. Die Leptomeninx ist über den atrophischen Hirnwindungen durch Bindegewebsvermehrung getrübt und haftet an der Hirnoberfläche. Die Veränderungen bevorzugen die Stirnlappen sowie die anschließenden Abschnitte der Schläfen- und Scheitellappen, später auch die Stammganglien. Am meisten betrof- 32 fen sind die Regionen, in denen die verwickelten seelischen Leistungen lokalisiert sind. Daher erklärt sich auch der mit der Progressiven Paralyse einhergehende Persönlichkeitsverfall (Stochdorph). Die antibiotische Therapie der Neurolues erfolgt mit Penicillin. Dabei wird über 30 Tage jeweils eine Million Einheiten eines Depotpräparates gegeben. Alternativ kann auf Tetrazyklin zurückgegriffen werden. Die Malariatherapie, die von einigen Autoren immer noch in Kombination mit der antibiotischen Therapie oder bei Therapieversagern empfohlen wird, besteht in der Injektion von drei bis fünf ml Blut eines Tertianakranken. Ein bis zwei Wochen nach der Gabe erfolgt der erste Fieberanstieg, nach zehn bis zwölf Fieberzacken wird die Malaria z.B. mit Chinin behandelt. Die Ergebnisse der Therapie sind abhängig vom rechtzeitigen Beginn günstig. Innerhalb der ersten drei Monate läßt sich bei der Hälfte der Patienten eine vollständige Heilung erzielen, bei einem weiteren Viertel soziale Remission. Bei späterem Therapiebeginn sinken die Heilungschancen beträchtlich. 33 1.6.2 Psychosyndrome Organische Psychosyndrome sind chronische psychische Störungen, die allein oder weitaus überwiegend auf eindeutig erkennbare und nachweisbare Hirnschäden oder Hirnfunktionsstörungen zurückzuführen sind. Ursachen können vaskuläre, entzündliche oder raumfordernde Hirnkrankheiten sein. Auch toxische oder allgemeine körperliche Erkrankungen wie Stoffwechselerkrankungen, Avitaminosen und endokrine Störungen kommen in Betracht. Die psychischen Folgeerscheinungen sind ätiologisch weitgehend unspezifisch, d.h. die Art der psychischen Störung ist nicht oder kaum von der Art der Hirnschädigung oder Funktionsstörung abhängig. Das Gehirn antwortet auf die verschiedensten schädigenden Einflüsse relativ gleichförmig. Von Belang ist allerdings das Tempo der Hirnschädigung. Das gemeinsame morphologische Substrat ist eine Hirnatrophie, bei der im Allgemeinen die ontogenetisch später reifenden Rindenabschnitte (insbesondere frontal, dann auch temporal und parietal) stärker betroffen sind als die okzipitalen Anteile. Jede psychische Funktion kann gestört sein, die Persönlichkeit wird insgesamt beeinträchtigt. Charakteristische Frühsymptome sind erhöhte Ermüdbarkeit und Gedächtnisstörungen. Hinzu treten Affektstörungen mit vorwiegend gesenkter Stimmung, die sich weniger depressiv als mürrisch gereizt darstellen. Seltener finden sich auch Euphorie, charakterisiert durch Mangel an kritischer Selbsteinschätzung, Affektinkontinenz oder Antriebsstörungen. Verarmung der Mimik und Gestik prägen die Psychomotorik. Allgemein entsteht eine Persönlichkeitsveränderung, bei der höhere Regungen wie Takt und Rücksichtnahme leiden. Dabei werden charakterliche Eigenarten akzentuiert. Im Verlauf ist unter Umständen vollständige Heilung möglich, allerdings tritt nach Beseitigung der Hirnnoxe dann keine volle Remission ein, wenn Hirngewebe in einem nicht mehr kompensierbaren Umfang irreparabel geschädigt worden ist. Beim hirnlokalen Psychosyndrom treten einige der Symptome des diffusen organischen Psychosyndroms besonders hervor, während andere fehlen. Dies tritt ein, wenn die Hirnschäden umschrieben lokalisiert bleiben. Das Lokalisationsprinzip hat in der Psychiatrie allerdings geringere Bedeutung als in der Neurologie. Während von speziellen neurologischen Ausfallserscheinungen und Symptomkombinationen relativ zuverlässig und genau auf die Lokalisation eines Hirnprozesses geschlossen werden kann, sind die psychischen Folgen herdförmiger Hirnschädigungen weniger spezifisch. 34 Ebenso wie diffuse organische Psychosyndrome sind auch hirnlokale von der Art der Schädigung weitgehend unabhängig. 35 2 Etablierung des Krankheitsbildes der Progressiven Paralyse im deutschen Sprachraum (1847 - 1857) In den ersten drei Jahren nach ihrer Gründung finden sich in der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie überhaupt keine Beiträge zu unserem Thema, das später einen so großen Umfang einnehmen wird. Die ersten Beiträge sind noch keine eigenständigen Artikel, sondern Rezensionen von Arbeiten aus Frankreich, dem Land, in dem die Progressive Paralyse als paralysie générale zuerst beschrieben wurde. 2.1 Orientierung am französischen Vorbild 1847 erscheint ein Verweis auf einen Artikel von Bayle in der Gazette médical de Paris (DAMEROW HPA (1847)), in dem es um die "Prioritätsfrage" gehe, wer die paralysie générale als erster beschrieben habe. Diese Diskussion sei in Frankreich derzeit gerade en vogue. Bayle habe die Krankheit als erster als die Auswirkung einer chronischen, oft die Corticalsubstanz betreffenden Entzündung erkannt, während Haslam und Esquirol vorher nichts Wichtiges gesagt hätten. Die pathognomonischen Symptome seien eine allgemeine, allmählich zunehmende Lähmung und eine eigentümliche Geistesschwäche, die mit einer Monomanie beginne und in einer vollständigen Verwirrtheit mit charakteristischen Ideen von Wohlsein, Zufriedenheit, Größe und Reichtum münde. Damerow fügt hinzu, daß sich Bayle's Meinung inzwischen durchgesetzt habe, da sowohl Esquirol 1838 konstatiert habe, daß die Paralyse bei einer chronischen Meningitis auftreten könne, als auch Calmeil 1846 eine chronische Meningo-Enzephalitis bei der paralysie générale beschrieb. Schon in dieser Rezension wird deutlich, daß die Redaktion der AZP, obgleich auf ihren Seiten das Thema bisher nicht behandelt wurde, die Kenntnis der Progressiven Paralyse und eine Vertrautheit mit der Diskussion in Frankreich voraussetzt. In den nächsten 3 Jahren folgen weitere Verweise auf Artikel von Brierre de Boismont (ROLLER CFW (1848)) und Lunier (LAEHR BH (1849)) zur Progressiven Paralyse, die in Frankreich (und weitere in England) erschienen waren, sowie 1848 ein Bericht von Droste über einen Vortrag von Croizant in Paris, in dem dieser anhand von acht Fallbeispielen Sensibilitätsstörungen als charakteristisches diagnostisches Kriterium vor dem Auftreten der eigentlichen paralytischen Erscheinungen schildert (DROSTE A (1848)). 36 Ebenfalls 1848 berichtet Bergmann über eine Abhandlung von Belhomme , der sich als Anhänger Galls hauptsächlich mit der Phrenologie beschäftige, aber den "wahren Weg zur Topographie des Gehirns selbst noch nicht geahnt habe" (BERGMANN GH (1848)). Ein Teil dieser Abhandlung befasse sich auch mit der Allgemeinen Paralyse, die laut Belhomme das Resultat einer chronischen Enzephalitis sei, die von außen nach innen dringe und schließlich das Leben auslösche. Am häufigsten kämen Verdickungen der Membranen und im Inneren Entartung und Erweichung vor. Bergmann kritisiert, daß Belhomme -wie dies den Franzosen häufig widerfahre- übersehe, daß das "ursächliche Moment der Paralyse auch ohne jene äußeren Abweichungen allein im Inneren stattfinden kann." Obwohl Bergmann selbst oftmals naturphilosophische Ideen vertreten hat, beschränkt er sich in dieser Rezension bezüglich der "Allgemeinen Parese" auf morphologische Betrachtungen. 1850 erscheint in der AZP die erste Rezension eines deutschsprachigen Beitrags (DAMEROW HPA (1850)). Der Sekundärarzt Hoffmann der niederschlesischen Klinik Leubus vergleicht seine Untersuchungen des Jahres 1848 mit den Aussagen von Baillarger und Lunier zur "allgemeinen Parese". Diese Krankheit sei wohl bekannt und auch seine Klinik vollgestopft mit Patienten. Es handele sich dabei um 35 von 211 Patienten insgesamt. Ihre Therapie sei derzeit die glänzendste Aufgabe für die Psychiatrie. In der Fragestellung der Ätiologie schreibe Hoffmann, daß Erblichkeit wohl nur bei 1/16 der Patienten vorliege, bei 15 der 35 Patienten jedoch eine Neigung zu stürmischen Affekten, Leidenschaften und Lasterhaftigkeit und bei weiteren 11 vorübergehende psychische Ursachen. Soweit gehe er mit Baillarger und Lunier konform; auch in der Feststellung, daß es sich bei den Patienten häufig um Militärpersonen und Zollbeamte handele. Allerdings räume Hoffmann dann ein, daß vorausgegangene Exzesse in der Lebensführung evtl. nicht als Krankheitsursache, sondern als erste Symptome einer frühen Phase der Krankheit zu werten seien und füge dann als weitere Ursachen Gicht, Rheuma, Erkältung und Muskelanstrengungen hinzu. Somit entspräche die allgemeine Parese in ihren cerebralen und nicht cerebralen Ursachen Schönleins Familie der Arthritiden, und sie "hört jetzt schon auf, ein Resultat aus inneren und äußeren Zufälligkeiten zu sein". In einem Kommentar merkt Damerow an, die Ursachenlehre von Baillarger und Lunier zur Progressiven Paralyse sei fast identisch mit den Ursachen, die diese für andere Geisteskrankheiten auch angäben. Weiterhin bezeichnet er die zeitgenössische Diskussion in Frankreich, ob die Dementia paralytica eine eigene Geisteskrankheit sei, als "paradoxes pourparler". 37 Zu diesem Zeitpunkt ist die Progressive Paralyse in Deutschland also bereits als ein eigenes Krankheitsbild anerkannt. Die ätiologischen Vorstellungen sind aber -nicht anders als bei den anderen Geisteskrankheiten- noch völlig von Ideen der romantischen Medizin geprägt und beziehen moralische Verfehlungen und spekulative Modelle der Entzündungslehre mit ein. 1850 zitiert Laehr einen Beitrag von Moreau aus der Gazette medical, in dem es heißt, die Zahl der Irren mit allgemeiner Paralyse nehme seit mehreren Jahren zu. Physische und psychische Zeichen der Krankheit seien Effekte derselben Ursache und träten in unterschiedlicher Ausprägung auch immer zusammen auf (LAEHR BH (1850)). 1851 bringt die AZP wiederum kurze Kommentare ausländischer Artikel von Winn (FLEMMING CF (1851A)) und Conolly (FLEMMING CF (1851B)) ohne weitere inhaltliche Aussagen sowie Rezensionen zweier Artikel von Brierre de Boismont. Brierre verteidige die Dementia paralytica als eigene Form der Geisteskrankheit, obwohl sie auch ohne psychische Störungen verlaufen könne (FLEMMING CF (1851C)). Weiterhin habe er durch Galvanisation herausgefunden, daß es drei Formen der Krankheit gebe, die sich durch Natur und Sitz unterschieden (FLEMMING CF (1851D)). In einem Kommentar zu Baillargers Beobachtungen über die pathologische Pupillendilation bei der Paralyse in der Gazette de Hopital von 1850 amüsiert sich Laehr darüber, daß Baillarger dies als "neues (!) Symptom" einführt (LAEHR BH (1851A)). 38 2.2 Entwicklung eigenständiger Vorstellungen im Kontext romantisch geprägter Ideen (1851) 1851 erscheint die Arbeit "Über Blödsinn und Paralyse" von A. Duchek aus Prag, von der Krafft-Ebing (KRAFFT-EBING R (1866B)) sagt, sie sei die erste größere deutsche Arbeit über die Progressive Paralyse und somit die erste eigenständige deutschsprachige Arbeit, nachdem vorher die Diskussion den Franzosen überlassen und nur kommentiert wurde. Leider liegt diese Arbeit in der AZP nur als Rezension vor (LAEHR BH (1851B)). Duchek berichte über 63 Patienten mit Paralyse im Zeitraum von 1844 - 1847. 22 von ihnen gehörten höheren Ständen an, 16 dem Militär. Bei ca. der Hälfte von ihnen seien ätiologische Hauptmomente "Excesse in Baccho und Venere" gewesen, in 6 Fällen vermute Duchek Erblichkeit. Nie sei die Paralyse mit Epilepsie verbunden, entsprechende Berichte beruhten auf Verwechslungen. In der Symptomatologie stelle Duchek einen Verlauf über 4 Stadien auf, beginnend mit psychischen Exaltionen über eine beginnende Willenlosigkeit und Sprechstörungen weiter über Extremitätenlähmungen und Willensstörungen bis hin zur allgemeinen Paralyse, bei der "sich nichts mehr rühre", und die über Pneumonie, Herzversagen und allgemeinen Verfall bald zum Tode führe. Die Therapie sei symptomatisch und bestehe in einer "gelinden Antiphlogose", ändere aber wenig an der Krankheitsdauer von wenigstens neun Monaten, meist aber zwei bis drei Jahren. Das Hauptaugenmerk von Ducheks Arbeit liegt in den pathologisch-anatomischen Sektionsbefunden. Dabei habe er stets eine verdickte Arachnoidea sowie eine Atrophie des Großhirns vorgefunden, wobei die chronische Meningitis zu den psychischen Veränderungen und die Hirnatrophie zu den Lähmungserscheinungen führe. Zwischen beiden stehe ein Zusammenhang fest. Bei Patienten, die in einem Anfall gestorben waren, stelle Duchek zusätzlich Extravasate der Arachnoidea fest. Mit diesen Schlußfolgerungen zur Pathogenese, die zum ersten Mal in der Betrachtung der Progressiven Paralyse auf der Grundlage pathologisch-anatomischer Veränderungen gezogen wurden, löst sich Duchek vom spekulativen Denken der Romantiker; wie wir aber in der Kritik von Stolz sehen werden, bleibt er erklärenden psychologischen Gedanken treu. 1851 findet sich in der AZP weiterhin ein Beitrag des k.k. Irrenanstaltswundarztes Stolz aus Hall (Tirol) "Zur fortschreitenden Parese" (STOLZ H (1851)). Nach den Berichten aus Paris, Leubus (Hoffmann), Prag (Duchek) und anderen Orten möchte er über die zu Recht so gefürchtete Krankheit, die in neuerer Zeit soviel Aufmerksamkeit erlangt habe, zwar keine umfassende Abhandlung schreiben, jedoch einige wichtige Daten als Mate- 39 rial für die Monographisten sammeln. Diese Daten beruhten hauptsächlich auf eigenen Beobachtungen, aber auch auf dem Vergleich mit bisher verfaßten Arbeiten. Sicher besäßen seine Beobachtungen eine gewisse Eigentümlichkeit aufgrund der besonderen Lage von Hall im rauhen abgeschlossenen Gebirgsland. Stolz' Beobachtungen beziehen sich auf 28 Paralytiker unter insgesamt 438 Patienten der Klinik im Zeitraum von 1841 - 1850. Sichere Schlußfolgerungen über Alter, Stand und Geschlecht seien aufgrund der geringen Zahl der Beobachtungen unzulässig. Nur bei drei Patienten sei Erblichkeit anzunehmen, ebenfalls drei seien längere Zeit vor Ausbruch der Krankheit nachweisbar syphilitisch gewesen, "jedoch ohne Einfluß auf die Entwicklung der Paralyse." Auffällig sei der geringe Anteil von Bauern an den Patienten trotz der überwiegend bäuerlichen Bevölkerung. Daraus schließt Stolz, daß "die ruhige, abgeschlossene und einförmige Lebensweise des deutschen Tiroler Landbauern weniger zur Zerstörung des Gehirns disponiere als das unstete, Gemütsaufregungen und Leidenschaften mehr ausgesetzte Leben der übrigen Landesbewohner". Aus der leidenschaftlichen Natur und dem athletischen Körperbau der meisten Patienten leitet er dann weiter "ohne Bedenken" ab, daß "bei vielen an Stärke und Dauer mächtige äußere Veranlassungen auf das Zentralorgan des Nervensystems losgestürmt, die Kraft desselben erlahmt, einen krankhaft vermehrten Säftedrang dorthin verursacht und durch längere Zeit unterhalten sowie auch endlich eine Krafterschöpfung dort hervorgerufen haben." Diesen allgemeinen Betrachtungen folgen Beobachtungen zur Symptomatik der Allgemeinen Paralyse und zu den sehr unterschiedlichen Ergebnissen der Sektionen. Aus diesen folgert Stolz , daß es sich bei der Allgemeinen Paralyse um eine eigentümliche Krankheitsform handele, jedoch nicht um eine abgeschlossene Krankheitsgattung. Als Form unterscheide sie sich insbesondere vom Irrsinn sowohl symptomatisch, da es sich bei der Paralyse eher um die Aufhebung von Gehirnfunktionen handele, beim Irrsinn jedoch nur um Veränderungen (aliéntion), als auch pathologisch-anatomisch, da bei der Allgemeinen Paralyse fast immer Gehirnveränderungen vorlägen, bei den Irren hingegen selten. "Hieraus geht hervor, daß der letzte organische Grund (causa proxima) der fortschreitenden allgemeinen Paralyse in einer solchen Veränderung des Gehirns bestehe, welche dessen Funktion zu hemmen ... im Stande ist ... und durch dieangegebenen entfernteren Ursachen bedingt wird." Hingegen sei der eigentliche Wahnsinn eine Störung, "die zwar nicht ohne pathologische organische Veränderungen besteht, aber ... doch vorzugsweise nur in der veränderten Funktion des 40 Organs besteht." Trotz dieser Abgrenzung sei jedoch die Allgemeine Paralyse eine Form, die "an und für sich verschiedenen Krankheitszuständen, die in den äußeren und inneren Erscheinungen etwas Gemeinsames anbieten, einengemeinsamen Rahmen bietet". Ätiologisch seien verschiedene Faktoren anzunehmen. "Verschiedene erworbene und erbliche Anlagen könnten den Keim für die Krankheit legen, es bedarf nicht immer Excesse in vino et venere odererlahmender Geistesanstrengungen." Letzteres behaupte Duchek . Von der Eigentümlichkeit der Krankheitsprozesse, welche als entferntere organische Ursachen aufträten, hingen Verschiedenheiten in der Entstehung und im Verlauf der Paralyse ab. Stolz vertritt die Ansicht, das Schwergewicht der Betrachtung sei auf die Pathologische Anatomie zu legen. Es sei leider bekannt, daß "das rein psychologische Moment in Ätiologie und Therapie eine allzu ausschließende Bedeutung erhält", "es scheinen gewisse pathologische Verhältnisse eine viel zu geringe Würdigung ... erfahren zu haben." Andererseits wirft er später Duchek vor, er habe vorschnell mit seiner Ableitung der Meningitis als Grund für die Monomanie bei der Allgemeinen Paralyse eine Krankheitsart geschaffen. Außerdem habe er dabei pathologisch-anatomische Untersuchungen und psychologische Erklärungen vermengt ("das kranke Ich trauert, was es nicht erreichen kann und eignet sich eingebildeter Weise noch weit mehr zu"). Diese eigene Krankheitsart (mit dem phantasievollen Namen Atrophia cerebri senilis präcox) sei eine künstliche Bildung, "die das richtige gegenseitige Verständnis hindert und das Ziel einer nüchternen Beobachtung verrückt". Unter den Primat einer pathologisch-anatomischen Betrachtung finde sich kein Beleg für eine gemeinsame ätiologische Grundlage des Symptomenbildes der Progressiven Paralyse. Stolz will darauf aufmerksam machen, "daß das, was die Irrenärzte bisher fortgeschrittene allgemeine Paralyse nannten, die Grenze jener (pathologisch-anatomischen) Befunde überschreitet." In diesem Aufsatz verbindet Stolz auf eigentümliche Weise scharfsinnige Beobachtungen und berechtigte Kritik an der spekulativen Kausalität seiner nach eigenem Selbstverständnis naturwissenschaftlich arbeitenden Zeitgenossen trotz seiner pathologischanatomischen Schlüsse selbst mit Anklängen aus der Humoralpathologie und der Suche nach "causae remotae", die er wieder in bewährte Weise bei Leidenschaften, Trunksucht und Vererbung zu finden meint. Seine eigene spekulative Kausalität konstruiert er in der Verknüpfung der causae remotae mit der jeweiligen Krankheitsgattung in der "Form" der Allgemeinen Paralyse, während er die eigentliche Ursache, die Syphilis, beiläufig übergeht. 41 1852 berichtet Flemming über die Situation der Heilanstalt Sachsenberg im Zeitraum von 1840 - 1849 und befaßt sich zum Schluß auch mit der Progressiven Paralyse in Form der "abschließenden Mitteilungen einiger nekroskopischer Betrachtungen bezogen auf Hirn- und Rückenmarkparalyse und die ihr vorausgegangenen Krankheitszustände, auf welche in neuerer Zeit französische Ärzte vielfach die Aufmerksamkeit gelenkt haben" (FLEMMING CF (1852)). Er schreibt, Ducheks Arbeit mache seine Ergebnisse eigentlich überflüssig, doch möchte er in einigen Hauptpunkten abweichende Aussagen machen. So möchte er bestreiten, daß Großhirnatrophie und Blödsinn mit Paralyse obligat zusammengehörten. Atrophie und Sklerose des Gehirns fänden sich längst nicht in allen Fällen. Außerdem betrachtet Flemming den Blödsinn mit Paralyse wie auch Esquirol als Komplikation von Krankheiten mit Irresein jeder Form, dies treffe keineswegs nur für den Größenwahn zu. Jedoch stimmt er der großen ätiologischen Bedeutung sexueller Exzesse und übermäßigen Genusses geistiger Getränke zu, besonders in Kombination beider. Interessant an diesem Bericht von Flemming ist der eindeutig morphologische Gesichtspunkt in der Betrachtung der Progressiven Paralyse, während in den vorangegangenen Ausführungen ganz andere Überlegungen zum Tragen kommen. Diese beruhen auf Flemmings Theorie von der Entstehung der Geisteskrankheiten aufgrund von Störungen der Verdauung. So ist anscheinend die Progressive Paralyse sogar bei ein und demselben Beobachter ein Modell für pathologisch-anatomisch geprägte Vorstellungen, die auch das Gehirn als wesentliches Organ im Krankheitsprozeß einbeziehen, während bei anderen psychischen Krankheiten weiterhin Theorien aus der romantischen Ära vertreten werden. 1852 schreibt auch Göricke , Oberarzt am St. Hans Hospital in Kopenhagen über "Die Allgemeine Lähmung bei den Geisteskrankheiten" (GÖRICKE A (1852)). Diese habe sich noch nicht lange ihr Recht als eine selbständige Krankheit erworben, aber es werde ihr gehen wie mit anderen, die man früher bloß für Symptome gehalten habe und sich später als eine nosologische Individualität und eigentümliche Krankheit ausgebildet hätten. Die Ätiologie sei in verschiedenen Punkten noch dunkel. Es sei aber allgemein angenommen, daß die Erblichkeit einer der am meisten prädisponierenden Faktoren sei. Weiter seien psychische und traumatische Ursachen anzuschuldigen. Häufiger betroffen seien Männer, da sie aufgrund ihrer mannigfachen Geschäfte leichter Hirnaffektionen ausgesetzt seien. Weiterhin zu nennen seien Strapazen, insbesondere Nachtwachen oder Hitze und Kälte, Ausschweifungen in geistigen Getränken und im Beischlafe sowie häufigere Kongestionen im Kopf, Herzaffekte, Stöße am Kopf und Unterleibsleiden wie 42 gestaute Hämorrhoiden oder Menstruationen. Nach Lunier könne der erfahrene Psychiater einen prädisponierten Patienten an seinem sanguinischen Temperament und seiner Unmäßigkeit erkennen; besonders betroffen seien Gelehrte, Dichter und Künstler. Es bleibe aber offen, wie weit sich hier Vorurteil und Wissenschaft vermischen. In den Ansichten zur Pathologischen Anatomie sieht Göricke noch keine einheitliche Meinung. Er selbst habe stets Kongestionen und meistens auch subarachnoidale Infiltrate gefunden. Diese Läsionen seien oft von verschiedenen Abnormitäten begleitet. "Dies ist natürlich, aber von keiner kann man mit Recht sagen, daß sie die anatomische Ursache der Paralyse ausmache; man findet dieselben niemals isoliert, sondern vielmehr auf unzählige Weise miteinander verbunden, und lassen uns daher über die wahre Natur der Krankheit in Ungewißheit." In der Therapie gebe es kein spezifisches Vorgehen, sie richte sich vielmehr symptomorientiert nach den verschiedenen Geisteskrankheiten. Gegen das Fortschreiten der Krankheit würden anfangs öftere kleine Blutentziehungen helfen, von denen man sich auch durch Blässe und Mattigkeit der Patienten nicht abschrecken lassen solle. Später allerdings sei die Therapie symptomatisch: Opium gegen die oft quälenden Durchfälle, weiterhin Hygiene und Pflege der Dekubitalgeschwüre. Dieser Bericht bietet wenig neues und zeigt erst eine vorsichtige Ablösung von einigen Ansichten der Diskussion in Frankreich. Die Unsicherheit über die "Natur der Krankheit" (causae remotae in den anderen Körperhöhlen) zeigt ihre Entsprechung in der Vielzahl der angenommenen prädisponierenden Faktoren. Droste rezensiert 1852 einen Fallbericht aus der Gazette médicale über einen Patienten mit Neurolues in Belfast, der 1847, nachdem er bereits einige Jahre vorher wegen sekundärer Syphilis behandelt worden war, mit allgemeinen paralytischen Erscheinungen wie Amaurose, Sprech- und sonstigen motorischen Störungen sowie mangelhafter Gedankenordnung zur Vorstellung gekommen sei (DROSTE 1852). Zur Therapie der vermuteten Kompression des Gehirns durch syphilitische Geschwüre der Dura Mater wurde der Patient mit hohen Dosen von Quecksilber am Kopf behandelt und war daraufhin vollkommen beschwerdefrei. Im Rahmen dieser Rezension spricht sich Droste vehement für die Anwendung von Quecksilber bei der Lues aus, stellt jedoch keine Verbindung von dem beschriebenen Fall zur Progressiven Paralyse her. 43 1853 berichtet Erlenmeyer auf der Tagung der Sektion für Psychiatrie der Gesellschaft der deutschen Naturforscher und Ärzte in einem Vortrag "Über die abnormen Sensationen" (ERLENMEYER AA (1853)): "Wenn Duchek die allgemeine Paralyse jedesmal von der Gehirnatrophie herleitet, so irrt er ganz sicher, denn wir wissen aus den Arbeiten mehrerer tüchtiger Forscher, daß verschiedene Hirnkrankheiten die allgemeine Paralyse erzeugen können." Im weiteren Verlauf des Vortrages findet sich als Erläuterung von Erlenmeyers Ansicht folgender spekulativer Analogieschluß: Die zentrale Entstehung einer abnormen Sensation setze eine tiefere Erkrankung des Gehirnes voraus, die wiederum die Unheilbarkeit der betreffenden Seelenstörung impliziere. Es gebe aber Fälle mit Symptomen der Allgemeinen Paralyse, die trotzdem geheilt würden; folglich könne es sich nicht immer um eine Großhirnatrophie im Sinne Ducheks handeln. Für Erlenmeyer existiert also kein eigenes Krankheitsbild der Progressiven Paralyse, wenn er auch seine Kritik nur mit den spekulativen Zuordnungen Ducheks begründet. In den folgenden Jahren finden sich wiederum nur wenige Beiträge in der AZP, die sich mit unserem Thema befassen. 1855 rezensiert Kelp Falrets Arbeit "Recherches sur la folie paralytique et les diverses paralysies générales" (KELP H (1855)). Darin vergleiche Falret noch einmal die unterschiedlichen Ansichten zu Krankheitsbild und Verlauf der Progressiven Paralyse. Calmeil , Esquirol und Georget hätten von einer Komplikation von Geisteskrankheiten gesprochen, Bayle , Parchappe und Duchek hingegen von einer eigenen Spezies mit spezifischen pathologisch-anatomischen Befunden. Réquin und Lunier hätten das obligate Hinzutreten eines Deliriums bezweifelt, Sandras und Brierre de Boismont sogar die Notwendigkeit jeglicher Geistesstörung. Falret selbst spreche von einer eigentümlichen Krankheit, die er mit dem neuen Namen "folie paralytique" belegt. Lähmungen und Geistesstörungen träten als gleichzeitige Erscheinungen desselben Grundzustandes auf und seien keineswegs Komplikationen anderer Krankheiten, da sich die folie paralytique aus dem Gesunden entwickle. Es folge eine Auflistung verschiedener Krankheitsverläufe und eine Besprechung der Differentialdiagnosen der Allgemeinen Lähmung. So führe er aus, daß die Folgen apoplektischer Blutungen im Gegensatz zur Allgemeinen Lähmung später wieder eine Besserung erführen, Hirntumoren einen langsameren Krankheitsverlauf nähmen und bei Rückenmarksläsionen Sprache und Intelligenz unauffällig blieben. Die (peripheren) 44 Muskelatrophien seien nach Falret die Krankheitsbilder, die Brierre als "paralysie sans aliénation" bezeichnet habe. Kelp fügt hinzu, er sei auf Falrets Berichte über die Leichenuntersuchungen nicht weiter eingegangen, da deren Ausbeute unbedeutend und viel zu nachlässig gehandhabt sei. Damit weist er auch auf die morphologische Marschrichtung in der deutschen Psychiatrie hin. 45 2.3 Die Darstellung des Zusammenhangs zwischen Syphilis und Progressiver Paralyse durch Esmarch und Jessen (1857) Der entscheidende Beitrag des Jahres 1857 ist der kurze, nur 16 Seiten umfassende Artikel von Esmarch und Jessen aus der Klinik Hornheim über "Syphilis und Geistesstörung" (ESMARCH F, JESSEN P (1857)). Die beiden Autoren bemängeln, daß "in der speziell psychiatrischen Literatur so wenig über die Syphilis und ihr Verhältnis zu den Psychosen erwähnt zu finden" sei, obwohl gute Beobachter diesen Zusammenhang häufig ausgesprochen hätten. Um darauf aufmerksam zu machen, teilten sie im folgenden "drei zweifellose Fälle" aus der Klinik Hornheim mit. Es handele sich um 3 Patienten, die alle mit Geistesstörungen in die Klinik gekommen seien und im weiteren Verlauf Wahnsinn und Tobsuchtsanfälle entwickelt sowie später Hautaffekte im Sinne eines sekundären Syphilids gezeigt hätten. Bei allen dreien habe Erblichkeit gefehlt, alle drei hätten früher unter der Syphilis gelitten. In allen Fällen sei ein starker körperlicher und geistiger Verfall eingetreten, der bei dem ersten Patienten jedoch durch antisyphilitische Behandlung gebessert und der Patient zeitweise sypmptomfrei zu seiner Familie entlassen worden sei. Nur bei dem zweiten Fall sei es zu ausgeprägten Lähmungserscheinungen gekommen, und dies auch nur im Bereich der Augenmuskulatur. Die spätere Obduktion dieses Patienten habe eine chronische Arachnitis, Erweichungsherde im Gehirn und auffällige Veränderungen des Nervus oculomotorius gezeigt. "Es läßt sich kaum bezweifeln, daß konstitutionelle Syphilis die Ursache des Übels gewesen sei, besonders wenn man diesen Fall mit dem vergleicht, welchen Gräfe ... mitgeteilt hat." Nach Betrachtung dieses Falls konkretisieren Esmarch und Jessen den allgemeinen Zusammenhang zwischen Syphilis und Geisteskrankheit und stellen die Frage: "Die anfängliche Ähnlichkeit dieses Falles mit der Dementia paralytica, mit welcher derselbe auch später den Größenwahn, die Pupillenerweiterung, die Arachnitis chronica gemein hatte, veranlasste uns ferner zu der Frage, ob nicht die Syphilis die Ursache letzterer Krankheit sei?" Die Antwort ist, die Tatschen rechtfertigten "wohl die Aufstellung der Hypothese, daß Syphilis die Grundlage der Dementia paralytica sei." Neben den beschriebenen Fällen könnten sie auf weitere neun ebenso deutliche verweisen. Das Leben in großen Städten, unordentlicher Lebensstil und Alkoholismus seien 46 nicht unbedingt Voraussetzungen der Dementia paralytica, sondern "Gelegenheitsursache" zu einer Infektion mit der Syphilis. Die schwache Wirksamkeit der antisyphilitischen Therapie liege daran, daß die Krankheit bei Einlieferung der Kranken in die Asyle schon so weit fortgeschritten sei. Zu Beginn der Krankheit könne dies vielleicht anders sein. Mit diesem Beitrag haben sich Esmarch und Jessen von den romantischen Ideen der Geistesstörung als Folge der Leidenschaften gelöst, indem sie die Folgen der Leidenschaften in sehr realistischer und wenig romantischer Weise interpretieren. In ihrem wohl eher kasuistisch zu nennenden Vorgehen unterscheiden sie sich indessen von der zeitgenössischen Tendenz, die Pathologische Anatomie als die Grundlage der Krankheitslehre zu betrachten. Aber im Gegensatz zu den Pathologen kommen sie -allerdings nur im Fall der Progressiven Paralyse- zu dem richtigen Schluß, während jene teilweise noch lange mit Leidenschaften, Degeneration und Psychologie argumentieren werden. Allerdings postulieren Esmarch und Jessen auch keinen zwingenden Kausalzusammenhang zwischen Dementia paralytica und Syphilis: "Drei Fälle können freilich die schwierige Frage, ob Kausalmoment, ob Komplikation nicht entscheiden; es muß sogar wohl angenommen werden, daß Syphilis auch als bloß zufällige Komplikation psychischer Störungen vorkommen kann." Dennoch ist spätestens jetzt der eigene Weg der deutschen Psychiatrie in der Forschung zur Progressiven Paralyse eingeschlagen. 47 2.4 Abwendung vom französischen Vorbild 1866 schreibt Krafft-Ebing "Über die klinische Differentialdiagnose zwischen der Dementia paralytica und dem durch andere Geisteskrankheiten hervorgerufenen Irresein mit Lähmung" (KRAFFT-EBING R (1866A)) und bezieht sich dabei vorwiegend auf Falrets "Recherches sur la folie paralytique" von 1853. Es bestehe noch immer große Uneinigkeit über die Ausdehnung des Begriffs der Dementia paralytica, obwohl in den 70 Jahren seit Haslam viel Material angehäuft worden sei. Dies liege u.a. daran, daß der Verlauf der Dementia paralytica sehr wechselvoll sei, aber auch an der Entdeckung immer neuer Krankheiten oder auch an den immer feineren Techniken der klinischen Untersuchung z.B. der feineren Koordinationsstörungen. Auch weist Krafft-Ebing darauf hin, daß man nicht den Fehler machen dürfe, die psychischen Störungen der Dementia paralytica mit dem Größenwahn gleichzusetzen. "Es hieße den Begriff der Krankheit zu eng ziehen, wenn man bloß eine Varietät derselben, nämlich die mit tobsüchtigen Erregungen und Größenwahn einhergehende varieté expansive (Falret) als die die Krankheit ausschließlich repräsentierende Form gelten lassen wollte". Andere Bilder seien das melancholische Irresein oder der einfache Abbau der intellektuellen Leistungsfähigkeit. Auch dies biete bei der Diagnosestellung die Gefahr von Verwechslungen. Nach Krafft-Ebings Ansicht stehe "bis jetzt bloß der klinische Weg offen", während der pathologisch-anatomische nicht betreten werden könne. Jedoch stehe der eigentliche Krankheitsbegriff der Dementia paralytica "fest begründet" da. Nach seiner Definition handele es sich bei der Paralyse um eine chronische, wenn auch nicht fieberfreie Erkrankung mit zwei Hauptsymptomengruppen, die meist gleichzeitig aufträten; der motorischen und der psychischen. Bei dem größten Wechsel der Erscheinungen führe die Dementia paralytica dennoch stets zu ausgeprägter Demenz und schreite immer weiter fort. Die Krankheit verlaufe binnen durchschnittlich zwei bis drei Jahren immer tödlich und biete fast ausschließlich den Befund einer "Perienzephalomeningitis diffusa chronica". In der Differentialdiagnose kämen insbesondere Lähmungen bei senilem Blödsinn, nach Apoplex, bei Tumor, Enzephalitis, partieller Hirnsklerose oder bei primärer Psychose in Frage; daneben andere Erkrankungen, die Krafft-Ebing nicht weiter beleuchtet. In der Besprechung der Differentialdiagnose zur senilen Demenz führt Krafft-Ebing u.a. die "typische Ätiologie" der Dementia paralytica an, die in den so wichtigen Exzessen in Baccho et Venere sowie der Prädisposition gewisser Stände, möglicherweise auch des 48 männlichen Geschlechts beständen. In einem weiteren Artikel im Jahr 1866 äußert sich Krafft-Ebing "Zur Geschichte und Literatur der Dementia paralytica" (KRAFFT-EBING R (1866B)). Er liefert ein ausführliches Literaturverzeichnis insbesondere der Arbeiten aus Frankreich und betrachtet dabei die Entwicklung des eigenständigen Krankheitsbildes der Progressiven Paralyse. Als Schlußpunkt der bisherigen Forschungen bezeichnet er wiederum Falret's "epochemachende Arbeit" "Recherches sur la folie paralytique". Für die Zukunft hofft er, es möge gelingen "an der Hand des Mikroskops in die geheimnisvolle Werkstätte des Krankheitsprozesses einzudringen und die Brücke zwischen dem schwankenden Boden der Hypothese und der funktionellen Auffassung auf das Festland pathologisch-anatomischer Tatsachen hinüber zu schlagen". In der folgenden Zeit erscheinen in der AZP einige Rezensionen von Beiträgen zur Progressiven Paralyse aus Frankreich, die aus wachsendem Selbstbewußtsein gegenüber dem eigenen Forschungsstand über die französischen Arbeiten eher kritisch urteilen. Mangenot bezeichne 1867 in seiner Dissertation nach der Betrachtung von acht Fällen die Degeneration der Nervenzellen als die häufigste Veränderung bei der Dementia paralytica. Er wolle jedoch keiner Veränderung überhaupt pathognomonische Bedeutung zuordnen (WENDT W (1868)). Magnan hingegen sehe 1866 typische Veränderungen, die das gesamte Gehirn beträfen, in einer Hypertrophie der Neuroglia in Parenchym und Gefäßen. Sie würden durch einen chronischen Reiz ausgelöst. Sekundär veränderten sich Nervenfasern und Ganglienzellen. Dabei seien Kortex, Marksubstanz und Rückenmark gleichermaßen betroffen. Schüle schreibt, die Arbeit zeige nüchterne Forschungsrichtung und gute Kenntnis der deutschen Arbeiten, habe aber die Fragestellung nicht wesentlich gefördert. Dazu seien viel eingehenderes mikroskopisches Detail und die kritische Lösung klinischer Vorfragen nötig (SCHÜLE H (1868A)). Von Gellhorn schreibt 1869 über eine "sogar preisgekrönte" Arbeit von Lagardelle , in der dieser eine Einteilung verschiedener Typen von krampfartigen Zuständen im Verlauf der Allgemeinen Fortschreitenden Paralyse unternimmt. Von Gellhorn kann sich eine offene Polemik nicht verkneifen und moniert insbesondere, daß Lagardelle dem Liquor zerebrospinalis eine wichtige Rolle in der "Ätiologie aller möglichen pathologischen Zustände des Gehirns" zuweise, obwohl doch Veränderungen von Volumen und Beschaffenheit des Liquors nur sekundär seien (GELLHORN E (1871)). 49 3 Die pathologisch-anatomische Beschreibung der Progressiven Paralyse Die pathologisch-anatomische Methode etabliert sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zusehends und führt in der gesamten Medizin zur Aufstellung neuer Krankheitsbilder und zur Klärung vieler Probleme. Nach den Vorstellungen, die Griesinger in die Psychiatrie einbringt, soll sie auch im Bereich der Geisteskrankheiten einen wichtigen Baustein im Wechsel vom vorwiegend spekulativen Vorgehen zur wissenschaftlich fundierten Methode darstellen. Die pathologisch-anatomische Methode bietet sich besonders bei der Progressiven Paralyse an, da diese eindeutige morphologische Veränderungen des Gehirns aufweist. Mehrere Arbeiten, angefangen bei Bayle bis zu Duchek, weisen bereits diesen Weg. Ging Bayle von einer Meningitis als dem primären Prozeß bei der Progressiven Paralyse aus und sah Duchek das Zusammenspiel von Meningitis und Atrophie der Hirnsubstanz als das Charakteristikum der Krankheit an, so legt Westphal das Hauptaugenmerk auf die Rückenmarksveränderungen im Rahmen der Progressiven Paralyse. Später betonen Meschede, Tigges und andere die Bedeutung von Veränderungen der Hirnsubstanz. 50 3.1 Die Suche nach den pathognomonischen morphologischen Veränderungen bei der Progressiven Paralyse (1861) Einer der konsequentesten Vertreter der pathologisch-anatomischen Methode war Carl Friedrich Westphal, der aufgrund klinischer Beobachtungen und dann hauptsächlich pathologisch-anatomischer Feststellungen den Zusammenhang von Tabes dorsalis und Progressiver Paralyse beschrieb. 1863 berichtet er zum ersten Mal über den Zusammenhang von "Tabes dorsalis (graue Degeneration der Hinterstränge) und Paralysis Universalis Progressiva" (WESTPHAL CF (1863A), WESTPHAL CF (1864)). Ihm sei aufgefallen, daß bei einigen Patienten mit allgemeiner Paralyse oft schon lange vor Auftreten psychischer Störungen in der Anamnese "rheumatische Beschwerden" bzw. reißende und stechende Schmerzen in den Beinen aufgetreten waren. Bei diesen Patienten falle auf, daß sie bei geschlossenen Augen schwankten, was bei Paralytikern sonst nicht auftrete. Später habe sich bei allen Patienten mit diesem Symptom eine graue Degeneration der Hinterstränge des Rückenmarks gefunden, während eine Erkrankung der Gehirnsubstanz selbst nicht nachweisbar gewesen sei. Somit sei die Lokalisation der Schmerzen im Rückenmark zur Sicherheit geworden. Es handele sich dabei um Tabes dorsalis, denn "die Ähnlichkeit mit dem Krankheitsbild, wie es Romberg zuerst hingestellt hat, (ist) evident". Es bestehe offensichtlich "ein inniger Zusammenhang des Rückenmarkleidens mit den später erfolgten psychischen Störungen" im Sinne des regelmäßig auftretenden Größendeliriums, wie es "eng an die Erscheinungen der sogenannten allgemeinen Progressiven Gehirnlähmung der Irren geknüpft" sei. Es dränge sich daher die Frage auf: "Lassen sich diese Fälle unter die Kategorie der Allgemeinen Paralyse der Irren bringen, oder ist das Krankheitsbild so verschieden, daß die eigentliche Progressive Paralyse in keine Beziehung dazu zu setzen ist?" In der Fortsetzung seiner Überlegungen greift Westphal 1864 (WESTPHAL CF (1864)) auf weitere eigene Fälle sowie Berichte anderer Untersucher zurück. Anhand einer Literaturübersicht versucht er zu belegen, daß die von ihm beobachteten Symptome zusammen mit der grauen Degeneration der Hinterstränge wesentlich häufiger aufträten als bisher angenommen. Sein Ziel ist die Reduzierung und Vereinfachung des "symptomatischen Wirrwarrs" der Krankheitserscheinungen der "Allgemeinen Progressiven Paralyse". 51 Zur Pathologischen Anatomie des "paralytischen Blödsinns" schreibt Westphal, er könne die von Rokitansky beschriebene Wucherung der Bindesubstanz der Gehirnrinde nicht als die anatomische Grundlage für den paralytischen Blödsinn bestätigen. Er habe höchstens Verdickungen der Pia mater gefunden. "Wenn daher neuerdings Irrenärzte von diesen Bindegewebswucherungen als Grundlage des Paralytischen Blödsinns wie von einer abgemachten Sache reden, so tun sie durch diese voreilige Annahme der Wissenschaft mehr Schaden, als wenn sie die Unsicherheit unseres Wissens offen anerkennten". Er habe bei seinen Fällen keine Hirnaffektion, jedoch eine Fortsetzung des Rückenmarkleidens auf das Gehirn feststellen können. Zur Ätiologie vermutet Westphal eine hereditäre Anlage, auf deren Basis sich die Krankheit entwickele und entweder über das Größendelirium oder über allmählichen Intelligenzverlust zum apathischen Blödsinn führe. 1866 kommt Westphal zu der Ansicht, daß die Affektionen des Rückenmarks bei allen Fällen von allgemeiner Paralyse nachzuweisen seien (WESTPHAL CF (1866)). Dieses Thema breitet er später im Virchow Archiv (WESTPHAL CF (1867)) ausführlich aus. Diese Arbeit ist sehr umfangreich angelegt, beschränkt sich aber im wesentlichen auf die sehr detaillierte Schilderung der Krankengeschichten von 19 beobachteten Fällen aus der Charité im Zeitraum von 1865 - 1867. Hinzu kommen die Symptomatologie der Fälle und die Beobachtungen der pathologisch-anatomischen Untersuchungen. Westphal geht davon aus, daß sich die motorischen Störungen bei der Progressiven Paralyse mit demselben Recht auf das Rückenmark zurückführen ließen wie bei den nicht geisteskranken Tabikern, nicht aber auf eine Hirnerkrankung. "Wo daher Motilitätsstörungen vorhanden sind, sind sie ... zunächst auf eine Affektion einzelner Rückenmarksstränge zu beziehen." Es handele sich nicht, wie einige Kritiker behaupteten, bei den Rückenmarksaffektionen nur um eine zufällige Komplikation einer Hirnerkrankung. Die bisherige Unkenntnis dieser Tatsache sei darin begründet, daß die Affektionen des Rückenmarks nur mit dem Mikroskop nachweisbar seien und man sich bei den Untersuchungen der Progressiven Paralyse bisher im günstigsten Falle auf die makroskopische Betrachtung des Rückenmarks beschränkt habe. Bei den Patienten mit Rückenmarksaffektionen ließen sich zwei Gruppen mit jeweils recht charakteristischer Symptomatik und Pathologie unterscheiden. Die erste Gruppe zeige den charakteristischen Tabesgang und das Schwanken bei geschlossenen Augen, 52 bei einer zweiten Gruppe seien die motorischen Störungen nur angedeutet, es handele sich eher um subjektive Störungen, die dann oft durch die psychischen Störungen überdeckt würden. Bei beiden Gruppen finde sich die graue Degeneration der Hinterstränge, "die wir unter diesen Umständen als chronische Myelitis einzelner Rückenmarksabschnitte anzusprechen haben." Daß es Westphal nicht nur um die Progressive Paralyse geht, macht er bereits in der Einleitung deutlich: "Diese Tatsachen erscheinen mir nicht nur für die allgemeine Paralyse der Irren, sondern auch für die Auffassung der Geistesstörungen überhaupt und ihrer Stellung zu den übrigen Krankheiten des Nervensystems von fundamentalem Interesse." Westphal betont ganz im Sinne seines Lehrers Griesinger die Bedeutung der morphologischen Veränderungen: "Zunächst wird niemand daran zweifeln, daß eine psychische Störung, welche mit so fortschreitender allgemeiner und tiefer Alteration der intellektuellen Kräfte als solche verbunden ist und mit fast gänzlichem Verlöschen derselben endet, ihren Grund in einer tiefen und dauernden Erkrankung des Hirnes selbst haben muß, nicht in vorübergehenden sogenannten Funktionsstörungen gesucht werden darf. Läßt sich nun ein Zusammenhang der vorhandenen spinalen Affektion mit einer (psychischen) Hirnerkrankung nachweisen?" Nach umfangreichen Überlegungen zur Neurophysiologie, die er jedoch nicht mit seinen pathologisch-anatomischen Ergebnissen in Einklang bringen kann, muß Westphal einräumen, daß ihm eine Beweisführung noch nicht geglückt ist. "Man wird sich nur schwer entschließen können, den Gedanken einer direkten Fortsetzung des Krankheitsprozesses von oder zum Hirn aufzugeben. Bisher können wir nur annehmen daß eine gewisse Disposition des zentralen Nervensystems existiert, in deren Folge entweder nacheinander oder gleichzeitig Rückenmark und Hirn von einem Prozeß betroffen sind, der im Rückenmark als graue Degeneration der Hinterstränge oder Myelitis sich darstellt, im Hirn jedoch unbekannt ist." Welcher Art diese Disposition ist, läßt Westphal wiederum offen; er spekuliert in seinen Ausführungen wiederum über die Ätiologie mit Erblichkeit, die er immerhin bei fünf seiner Patienten annimmt, sowie mit Anstrengungen und Strapazen, sowie in einem Fall mit Exzessen in Venere. Diese seien aber wohl auch im Zusammenhang mit Strapazen zu sehen. Die Syphilis hingegen sei bei keinem Fall mit genügender Sicherheit zu beschuldigen, auch wenn einige Kranke früher einmal infiziert gewesen waren. Westphal gebührt der Verdienst, die Tabes dorsalis in den Formenkreis der Neurolues eingeführt zu haben, auch wenn ihm dieser Hintergrund nicht bekannt war bzw. er sogar die Syphilis als Ursache für die Paralyse abstritt. Sein Unterfangen, zu beweisen, daß der Krankheitsprozeß bei der Progressiven Paralyse dort liegt, wo die anatomischen Verän- 53 derungen stattfänden -also im Rückenmark- und damit Tabes dorsalis und Progressive Paralyse ein und dieselbe Krankheit seien, verweist jedoch auch auf ein deutlich spekulatives Element in seinen Überlegungen. 1867 verwehrt sich Westphal gegen Ludwig Meyers Aussage, das zeitweilige Vorkommen spinaler Erkrankungen bei der Paralyse brauche nicht zu verwundern, da die ätiologischen Verhältnisse bei Tabes und allgemeiner Paralyse dieselben seien. Er meint, Meyer hätte lieber etwas sorgfältiger das Rückenmark untersuchen sollen (WESTPHAL CF (1867)). Ludwig Meyer hatte bereits 1861 konstitutionelle Syphilis des Gehirns" beschrieben (MEYER L (1861)) und die beobachteten pathologisch-anatomischen Veränderungen als Enzephalitis auf der Grundlage einer syphilitischen Meningitis interpretiert. 1867 berichtet Meyer von Nachforschungen über die Veränderungen des Gehirns in der Dementia paralytica (LAEHR BH (1867)). Er kommt zu dem Resultat, daß die Veränderungen bei der allgemeinen Progressiven Paralyse eine Enzephalitis chronica nachwiesen und daß diese Enzephalitis sich meist (und in typischen Fällen immer aus einer Meningitis entwickle. Die wesentlichen morphologischen Veränderungen wiesen auch bei den Fällen, die sich aus Tabes dorsalis entwickelt hätten, keine Unterschiede zur allgemeinen Paralyse auf, so daß die Aufstellung einer eigenen Form der Taboparalyse nicht gerechtfertigt sei. Auf der Versammlung der deutschen Irrenärzte in Heppenheim faßt Schüle 1867 die bisherigen pathologisch-anatomischen Überlegungen zur Progressiven Paralyse noch einmal zusammen (SCHÜLE H (1867)): "Ich berühre nur die neueste historische Seite unserer Frage, wenn ich darauf hinweise, wie seit Duchek , der wie Bayle den Hauptvorgang in die Hirnhäute verlegte, durch Rokitanskys, Ludwig Meyers, Calmeils, Tigges und Meschedes Arbeiten, denen in den jüngsten Wochen nochmals eine von Ludwig Meyer sich anschloß, das Hauptgewicht bald den Häuten, bald der Corticalis, bald beiden gemeinsam, in neuerer Zeit durch Westphals Arbeit auch dem Rückenmark zugewendet wurde." Schüle selbst vertritt Ludwig Meyers Standpunkt, da er die Veränderungen der Ganglienzellen, wie sie Meschede und Tigges beschrieben hatten, nur selten vorgefunden habe. Auch sei nicht nur die Corticalis betroffen, sondern auch die Marksubstanz. Wichtig seien vor allem die Veränderungen der Neuroglia. Somit handele es sich zumindest bei einer Gruppe der Dementia paralytica um eine Enzephalo-Myelitis, gelegentlich zusammen mit chronischer Meningitis. Wahrscheinlich ließen sich in Einzelfällen verschiedene pathologisch-anatomische Befunde antreffen, es gebe aber gemeinsame Grundzüge. 54 Es bleibe jedoch das mächtige Desiderat, endlich eine klinische Differenzierung einzelner Symptomgruppen der Dementia paralytica zu finden. Mit der Ergänzung der großen Lücke in der Symptomatologie werde auch die pathologisch-anatomische Erkenntnis eine mächtige Entwicklung erfahren. 55 3.2 Die Vermischung des pathologisch-anatomischen Vorgehens mit romantischen Vorstellungen (1863) Auch viele andere Autoren beschäftigten sich unter dem Eindruck der neuen Aufbruchsstimmung in der Psychiatrie mit pathologisch-anatomischen Untersuchungen der Progressiven Paralyse. Vielfach fliessen bei ihnen jedoch Vorstellungen aus der romantischen Ära in die Überlegungen mit ein und prägen ihre Interpretationen. Teilweise beschränken sich die Untersuchungen noch auf betrachtende grobanatomische Methoden. Auf der Versammlung der psychiatrischen Sektion der Gesellschaft der deutschen Naturforscher und Ärzte in Frankfurt greift Hagen auf einen Punkt der Anatomie zurück, "der in letzter Zeit etwas in Vergessenheit geraten ist", nämlich die Messung des Hirngewichts (HAGEN FW (1867)). Er habe eine Methode entwickelt, aus den Schädelmaßen auf das Sollgewicht eines gesunden Gehirns zu schließen, um es zur Klärung der Diagnose Dementia paralytica mit dem tatsächlichen Hirngewicht zu vergleichen. Etwaige Unsicherheiten in dem Verfahren könnten vernachlässigt werden, da die Verluste an Hirnsubstanz bei der Dementia paralytica ausreichend groß seien. Aus diesen "ungeheuren Verlusten" ergebe sich, daß es sich unmöglich um einen Schwund der Rindensubstanz handeln könne; es sei daher die Marksubstanz, die die Gehirnatrophie bedinge. Noch 1903 stellt Ilberg, Oberarzt an der sächsischen Irrenanstalt Großschweidnitz, umfangreiche Untersuchungen zum Gehirngewicht bei Paralytikern vor (ILBERG G (1903)), ohne damit allerdings irgendwelche Schlußfolgerungen zu verbinden. Am regelmäßigsten und evidentesten sei die Gewichtsabnahme des Stirnhirns direkt proportional der Dauer der Paralyse. Bei längerer Dauer nähmen alle Teile des Gehirns an Gewicht ab, am stärksten der Mantel und vom Mantel am stärksten das Stirnhirn. Tigges von der Klinik Marsberg beschreibt 1863 umfangreiche histologische und tierexperimentelle Untersuchungen zur Progressiven Paralyse, bestreitet aber die Aussagekraft der Zellularpathologie für das Gebiet der Geisteskrankheiten und bezeichnet diese vielmehr als eine Domäne der anthropologischen Betrachtung. In seinen "pathologischanatomischen und physiologischen Untersuchungen zur Dementia paralytica Progressiva" (TIGGES W (1863)) fragt er, "ob wir uns der Grenzen der Aufschlüsse bewußt sind, welche anatomische und physiologische Erkenntnisse über Vorgänge des Seelenlebens geben können?" 56 Selbst eine künftige Höhe der Physiologie, von der sich bisher nur träumen lasse und die die Vorgänge im Gehirn selbst erklären könnte, würde dem Wesen der psychischen Vorgänge nicht näher komm en. Ein Grund der Abneigung speziell der Psychiater gegen die Wissenschaften der Anatomie und der Physiologie bestehe in deren "exakter" Methode, denn im Gebiet psychologischer Forschung schienen Zahl und Maß ihre Macht verloren zu haben. "Gibt es einen Fall von Seelenstörung, ... so gibt es kaum einen anderen sicheren Weg als ... einzudringen in die feinsten Fakten des Herzens, alle verschiedene Felder psychischer Tätigkeiten zu einem Gesamtgebilde zu vereinigen und nach individuellem Takt -der hierzu befähigten Persönlichkeit- nach dem Gesamteindruck zu entscheiden." Trotz dieser Kritik habe er jedoch Untersuchungen zur Dementia paralytica angestellt, die ein Lieblingsstudium jener Irrenärzte sei, denen es um den Nachweis des Bedingtseins geisteskranker Zustände von körperlichen Störungen ginge. Der charakteristische Befund bei der Dementia paralytica sei eine Kernvermehrung in den Zellen der Großhirnrinde. Aus Tierversuchen an Kaninchen leitet er dann weiter ab, daß es sich dabei um das Resultat einer langen Einwirkung aktiver nutritiver Störungen handele. Deren Korrelat finde sich in einer amyloiden Entartung der Arterien, wie sich auch bei anderen degenerativen Erkrankungen zu finden sei. "Die Affektion der Rinde ist unbedingt nötig und bedingt allein die charakteristischen Erscheinungen und den Verlauf". Die Pathogenese der Dementia paralytica interpretiert Tigges nach der Reflextheorie und nach den Methoden der psychologischen Forschung, die die Psychologie der niederen Abteilungen des Nervensystems gelehrt habe. Die Physiologen nähmen schon la nge die Hirnrinde als den Ort an, wo Sinneswahrnehmungen geformt werden und ihre Resultanten auf die Bewegung entstehen. Einzelne psychische Vermögen seien jedoch nicht an bestimmten Punkten des Gehirns lokalisiert, sondern an alle Teile der Hirnrinde gleichzeitig gebunden. "Wir haben so ein einheitliches ... Organ des Bewußtseins und finden ein Analogon für die Einheit desselben qualitativen Zustandes in allen Ganglienzellen in der gleichmäßigen Verbreitung der gleichartigen Elektrizität über eine ausgedehnte Metallplatte". Die nutritiven Störungen eines Teiles der Hirnrinde führten so zu funktionellen Störungen der gesamten Hirnrinde. (Diese These findet durchaus ihre Entsprechung in der modernen Psychiatrie der organischen Psychosyndrome, die in ihrer Klinik keine Auskunft über die Art einer Hirnschädigung geben sollen. Der Analogieschluß zur Elektrizitätslehre entspringt allerdings wohl eher der Technikbegeisterung des beginnenden 57 Industriezeitalters.) Daß diese These nicht mit der Zellularpathologie übereinstimmt, gibt Tigges zu. Kritiker mögen behaupten, "da wir dieselben qualitativ verschiedenen Zustände, worin andere ihr Seelenatom zur Erklärung psychischer Tätigkeiten gelangen lassen, auf eine unermeßliche Zahl von Ganglienzellen übertragen", sei die Frage nach dem Wesen der psychischen Vorgänge in weite Ferne gerückt. Diese Kritik sei berechtigt, aber die Zellularpathologie führe auch nicht weiter. Die Symptome der Progressiven Paralyse erklärt Tigges mit einer Psychologie, die sich inzwischen der Reflextheorie angenommen hat. Die Physiologie der Dementia paralytica sei geprägt durch gesteigerte Reflexreizbarkeit bei verminderter Qualität der Leistung. Der Größenwahn entstehe durch die ständige Suche nach Wohlgefühl und dem Angenehmen, die schon beim Gesunden ein allgemeines psychisches Bestreben sei und beim Paralytiker in ein übertriebenes Selbstgefühl münde. In Tigges' Überlegungen zur Ätiologie wird besonders deutlich, daß er noch den Vorstellungen der romantischen Ära anhängt: Eine allgemeine Ätiologie der Dementia paralytica gebe es nicht; sie trete aufgrund der Unerforschlichkeit der Seelenvorgänge gegenüber der individuellen Genese zurück. Neben der erwähnten Ernährungsstörung komme Erblichkeit zum Tragen. Als auslösende Faktoren kämen "übermäßige Einwirkungen von Spirituosen", Otitis interna, psychische Ursachen wie Zank oder auch eine periodische Manie in Betracht. Ein stringenter Zusammenhang zwischen einer Schädlichkeit und der Krankheit bestehe aber nicht. "Wir wollen selbst die Möglichkeit einer ursächlichen Beziehung der Art zugeben, daß dieselbe Ernährungsstörung im Gehirn in einem früheren Stadium ihrer Entwicklung eine Seelenstörung anderer Form ... zur Entwicklung bringt." Die noch aus der Romantik hergeleitete Ehrfurcht des Anstaltspsychiaters vor dem Geist zeigt sich bei Tigges in der Formulierung, er habe "Material herbeigeschafft als feste Bausteine des Doms der Anthropologie, wenn auch der Geist, der sich in dem hohen Gewölbe und den schlanken Pfeilern ausspricht, nicht aus der Härte der Bausteine spricht" . Auch die Betonung der Integrität des Großhirns verweist auf den Respekt vor diesem Organ der Individualität. 1865 erscheint in der AZP eine Zusammenfassung der pathologisch-anatomischen Ergebnisse eines Vortrages von Franz Meschede , den er vor der Psychiatrischen Sektion der Naturforscher und Ärzte 1865 in Hannover gehalten hat (MESCHEDE F (1865A)). Dieser Vortrag beruht auf einem Artikel in Virchows Archiv. Meschede äußert sich in 58 diesem Beitrag (MESCHEDE F (1865B)) umfassend über "Die paralytische Geisteskrankheit und ihre organische Grundlage". Diese Krankheit betreffe vorzugsweise Männer der besser situierten Gesellschaftsschichten und die kräftigsten Organismen; schon daher sei die Humanität zur Aufklärung dieser Krankheit gefordert. Aber auch wissenschaftliches Interesse dränge dazu, die noch bestehenden psychologischen Rätsel der "Großartigkeit der Erscheinungen", "die Phänomene eines gewaltigen Sturms" zu lösen. Meschede schildert in bunten Farben die Symptome des Größenwahns, der weithin als das typische Bild der Progressiven Paralyse galt, und läßt in dieser Schilderung eine starke Faszination erkennen. In der psychologischen Erklärung des Wahns lehnt sich Meschede an Johannes Müller an: Alles, was das Selbst erweitere, führe zu Lust (Steigerung des Selbstgefühls); was das Selbst hemme, rufe Unlust hervor. Dieselbe Wirkung hätten auch organische Veränderungen des Gehirns, je nachdem, ob sie die Hirnleistung anregten oder hemmten. Bei der paralytischen Geisteskrankheit nun bewirke ein permanenter Reiz eine erhöhte Erregung psychischer Prozesse, die Vorstellung vom "Ich" werde potenziert und der Patient "fühle sich erlöst von aller irdischen Beschränkung", es laste nicht mehr das drückende Gefühl des mühebeladenen Erdenpilgers auf ihm. Gegensätzliche Stimmungen gelangten nicht mehr in das Bewußtsein, hingegen gewännen Wünsche den Schein der Wirklichkeit. Über den weiteren Verlauf der Paralyse führt Meschede dann aus, daß auch schon frühzeitig der destruktive Charakter des Prozesses deutlich werde, z.B. in zunehmender Vergeßlichkeit besonders bei kurz zurückliegenden Erinnerungen. Aber auch dies wird psychologisch erklärt: "Die zentripetale Tätigkeit (des Gehirns) wird durch excessive Zentrifugale unmöglich". Später, wenn der Wahn sich weiter ausgedehnt und das ganze Gebiet des Seelenlebens ohne Widerspruch eingenommen habe, lasse die Acuität nach und schließlich folge auf die "riesige Trunkenheit" ein "ebenso großer Jammer" in einem Größendelirium mit negativem, melancholisch hypochondrischem Charakter. Es seien psychische und somatische Vorgänge, die zu diesen Abläufen führten, und als "das Organ, an dessen Vitalität die Seelenfunktionen gebunden sind", erkennt Meschede eindeutig das Seelenorgan Gehirn. Zu bemerken ist auch, daß Meschede hervorhebt, die organischen Veränderungen wirkten direkt auf das Gehirn - ohne die "Interkurrenz von Vorstellungen". So komme es dann bei der paralytischen Geisteskrankheit zu dem schon beschriebenen 59 erhöhten Erregungszustand des Gehirns; anfangs mit einem erhöhten "Turgor vitalis", aber auch zu einer "verdoppelten Consumption des Oleum vitae" (der Nervensäfte), und dies führe dann schließlich zur Nekrobiose der organischen Elemente des Gehirns. "Die Kosten dieser geistigen Schwelgerei und Schlemmerei trägt das Seelenorgan." Auf diesem Weg gelangt Meschede vermittels von Anklängen an die Humoralpathologie von seinen psychologischen Ausführungen zur Zellularpathologie: "Da der organische Stoffwechsel im Gehirn vorzugsweise durch die Nervenzellen vermittelt wird, so wird man darauf hingeführt, daß Größendelirium der Paralytiker als Manifestation von Störungen des Nervenzellebens zu betrachten... Wenn die Zellen die eigentlichen Lebensherde sind, so müssen sie auch die eigentlichen Krankheitsherde sein." Man sei zu sehr daran gewöhnt, "das organische Substrat des Seelenlebens", die Nervenzellen und -fasern, in pathologischer Beziehung als "Noli me tangere" zu bezeichnen. Die Nervenzellen seien jedoch nicht bloß vitale Existenzen ohne Stoffwechsel, sondern hätten wie jede andere Zelle ein vegetatives Leben und seien auch Störungen unterworfen. Weist Meschede so zwar die Vorstellungen der Psychiker und Somatiker von der Unverletzlichkeit des Gehirns als dem Sitz der Seele zurück, so zeigt doch auch seine Verklärung der psychischen Symptome der Progressiven Paralyse und deren Interpretation als Überfunktion der Nervenzellen eine gehöriges Maß an romantischer Denkweise. Nach diesen Ausführungen schließt Meschede seine Beobachtungen aus "eingehenden pathologisch-anatomischen Untersuchungen" an, um die Auffassungen von der organischen Begründung der Megalomanie durch das Mikroskop zu kontrollieren und die Natur der Veränderungen im zerebralen Mikrokosmos durch die Mikrochemie nachzuweisen. Er kommt zu dem Ergebnis, daß "die Degeneration der Nervenzellen der Hemisphären, besonders der Corticalis, die eigentlich wesentliche pathologisch-anatomische Veränderung der paralytischen Geisteskrankheit darstellen... Andere zerebrale und kraniale Veränderungen ... sind zu wenig konstant und an sich zu variabel, als daß sie die Wesenheit des paralytischen Krankheitsprozesses für sich allein konstituieren könnten." Sie spielten nur "Nebenrollen im psycho-paralytischen Drama" dieser Krankheit. Eine Hirnatrophie als primären Vorgang schließt Meschede aus, denn "es muß paradox erscheinen, die Potenzierung des Selbstgefühls als Folge der Depotenzierung der nutritiven Vorgänge hinzustellen." In seinen Ausführungen zur Ätiologie bezeichnet Meschede alle Momente als einflußreich, die eine zerebrale Irritation und Kongestion herbeiführten. Prädisponierend seien 60 schwächende Momente, da sie die Widerstandskraft herabsetzten. Dazu gehörten hereditäre Anlage oder spätere Einflüsse wie Blenorrhoe, Gonorrhoe, Spermatorrhoe, Syphilis, antisyphilitische Kuren, chronische Erkrankungen. Männer mit "prävalierendem Gehirnleben", die ständig ihre geistigen und körperlichen Kräfte anspannten, viel Speise und Trank zu sich nähmen und "mit vollen Segeln in den Ozean des Lebens hinaussteuerten", hielten so ihr Gehirn in einem "erhöhten Reizzustand habitueller Turgeszenz ... Bei so vorbereitetem Boden ... genügt dann irgendein Excess, ...um den parenchymatös-entzündlichen Prozeß in Gang zu bringen." 1866 schreibt Meschede über einen weiteren "Fall von paralytischer Geisteskrankheit" (MESCHEDE F (1866)). "Auf dem Boden einer hereditären und acquirierten Disposition hatte sich die Krankheit aus Veranlassung eines Konkurses ... entwickelt. Es wird berichtet, daß der Kranke Ausschweifungen in Venere und Baccho in unmäßigem Grade ergeben sei und dadurch sowie durch mehrere syphilitische Ansteckungen und durch Onanie seine Konstitution in hohem Grade geschwächt hatte." 1872 weitet Meschede auf der 14. Versammlung des Psychiatrischen Vere ins zu Berlin seine Betrachtungen auf die "variablen pathologisch-anatomischen Veränderungen" aus, die bei der Progressiven Paralyse neben der konstanten Veränderung der fettigen Degeneration der Ganglienzellen beständen (Meschede F (1873)). Teilweise ordnet er diesen pathologisch-anatomisch definierten Gruppen auch klinische Symptome zu. Er hält aber an dem Merkmal der "fettigen Degeneration" als der eigentlichen pathognomonischen Veränderung fest. "Es erscheint mir in der Tat unerläßlich, wenn man zu einer Verständigung über die pathologisch-anatomische Frage kommen will, die Einzelfälle je nach der Verschiedenheit der pathologisch-anatomischen Veränderungen in gewisse Gruppen zu sondern und ... je nach ihren Besonderheiten einer gesonderten Betrachtung zu unterziehen". Auf der G rundlage eigener Untersuchungen nennt er 10 verschiedene Gruppen, deren Einteilung er auch dadurch bestätigt sehe, daß sie als Untergruppen Erscheinungsbilder umfasse, die von früheren Beobachtern fälschlicherweise als Hauptmerkmale angesehen worden seien. Zuerst unterscheidet er die Gruppen ohne Beeinträchtigung der Umhüllungsmembranen von den Gruppen mit pachymeningitischer Affektion, bei der oft Melancholie vorherrsche, bzw. mit leptomeningitischer Affektion, die oft sehr rasch und unter dem Bild des Größenwahns verlaufe. Die letzte Gruppe könne noch einmal nach ätiologischen Gesichtspunkten unterteilt werden; dies seien konstitutionelle Syphilis, Tuberkulose, Insolation, Rheumatismus, Alkohol oder traumatische Reizungen. 61 Weitere Gruppen seien charakterisiert durch Hämatome, Apoplexien, Hirnerweichung, Gefäßaneurysmen oder Neubildungen in Gehirn oder Schädeldecke wie Sarkome, Karzinome, Osteome oder ähnliche Geschwülste. Die neunte Gruppe umfasse senilatrophische Formen des Blödsinns, welche durch das Hinzutreten kongestiver Zerebralirritation das Gepräge der Paralytischen Geisteskrankheit annähmen. Bei der zehnten Gruppe schließlich sei Meschede sich nicht sicher, ob die Veränderungen als selbständig gelten könnten, es handele sich dabei um die graue Degeneration der subkortikalen Markschichten. 1884 greift Tuczek auf der Jahresversammlung der Deutschen Irrenärzte die Vorstellungen auf, für die Pathogenese der Progressiven Paralyse seien Störungen der Gehirnphysiologie verantwortlich, und bezeichnet den Schwund von Nervenfasern zwischen den Ganglienzellen als die primäre Schädigung im Verlauf der Krankheit. Dabei betont er wie vorher schon Tigges die Integrität des Gehirns (TUCZEK F (1884)). Die psychischen Vorgänge seien viel zu komplex, als daß es erlaubt sei, psychische Störungen irgendeinem pathologisch-anatomischen Befund zuzuordnen. Tuczek vergleicht das Gehirn mit einer Fabrik, in der die Ganglienzellen die Maschinen und die Fasern die Transmissionsriemen darstellten. Beim Paralytiker seien die elementarsten psychischen, motorischen und sensorischen Funktionen, die nur die Ganglienzellen leisten könnten, alle noch vorhanden. Das Problem sei die Verknüpfung. 1875 erweist sich Heinrich Schüle durch seine Wortwahl und durch seine Betonung der Anthropologie als Vertreter der Anstaltspsychiatrie, als er vorgeblich aufgrund von pathologisch-anatomischen Überlegungen die Auflösung der Entität der Progressiven Paralyse fordert (SCHÜLE H (1875)), ein Anliegen, das z.B. auch Obersteiner und Lubimoff äußern (OBERSTEINER H (1871), LUBIMOFF A (1873)). Voller Optimismus auf ein vollständiges Verständnis von Krankheitsvorgängen schreibt Schüle: "Es ist meine Überzeugung ... daß die schlechthinige Bezeichnung Progressive Paralyse ein klinischer Sammelname ist". Das Ziel sei es, eine Reihe gut charakterisierter und in sich übereinstimmender klinischer Symptombilder zu erhalten, sei es durch die Einzelsymptome, deren Kombination oder endlich durch den Krankheitsverlauf. Darauf folge dann die Zuordnung der klinischen Symptomgruppen zu pathologisch-anatomischen Befunden: "Nur dann aber wird auch eine fruchtbare pathologisch-anatomische Epikrise möglich wer- 62 den und die sich bis jetzt so vielfach widersprechenden Sektionsbefunde durch relative Beziehung auf klinische Krankheitsgruppen befriedigend und nutzbringend sich aufklären." In einem "idealen Prospekt" in die Zukunft singt Schüle das Hohelied des wissenschaftlichen Vorgehens. Die Auflösung des Sammelnamens Progressive Paralyse sei nicht das abschließende Forschungsziel. "Studieren wir all diese Fälle erst recht eingehend, dann wird sich wahrscheinlich nicht als Utopie, sondern als erreichbares Ziel die Möglichkeit erschließen, daß wir bestehende klinische Symptome mit bestehenden anatomischen Hirnveränderungen in Beziehung zu setzen lernen ... Und so weiter und weiter strebend wird es uns gelingen, das Forschungsziel zu vertiefen und von der klinischen Symptomatologie zu einer wahren allgemeinen Pathologie der Seelenstörungen herabzusteigen, wobei konkreter Hirnvorgang mit konkreter psychopathologischer Funktion sich deckt... Zwar wird dann der Paralysebegriff selbst zerfallen müssen, aber nicht vergeblich, nachdem wir durch denselben zu der letzten und höchsten Diagnose, zur pathologisch-anatomischen vorgedrungen sind... Der Scheidung in der Symptomatik wird eine gleiche auch in der Wertschätzung der Ätiologie mit Sicherheit nachfolgen müssen". Die Ansicht, daß es verschiedene Ursachen und damit auch Erscheinungsformen der Progressiven Paralyse gebe, vertritt Schüle auch 1902 noch (FÜRSTNER K (1902)). 63 3.3 Die Entwicklung von dynamischen Modellen der Pathogenese der Progressiven Paralyse (1871) Die Auseinandersetzung um die charakteristische morphologische Veränderung der Progressiven Paralyse, zu der jeder Autor seine eigenen Beobachtungen anführt und gegenüber allen anderen verteidigt, dauert noch lange an. Dennoch wird schon bald deutlich, daß eine statische Betrachtung den klinischen Vorgängen bei der Progressiven Paralyse nicht gerecht wird. Auch unter den Vorzeichen neuer Möglichkeiten der Histologie entstehen so dynamische Vorstellungen der Pathogenese des pathologisch-anatomischen Prozesses bei der Progressiven Paralyse. Ein wichtiges Element dieser Überlegungen ist auch der Versuch, aus dem klinisch definierten Symptomenbild der Progressiven Paralyse Erscheinungsbilder anderer Krankheiten auszugrenzen, die aufgrund einer ähnlichen Symptomatik Verwirrung in der pathologisch-anatomischen Betrachtung der Paralyse schaffen könnten. Eine komplette Theorie über die pathophysiologischen Vorgänge, die zur Progressiven Paralyse führen, entwickelt 1871 Obersteiner aus Wien in einem Beitrag im Virchow Archiv (OBERSTEINER H (1871)). Schon aus einem kurzen Überblick der bisher aufgestellten Thesen von Bayle bis zu Westphal gehe hervor, "daß alle Elemente, welche zum Aufbau des Gehirns zusammentreten, in Anspruch genommen werden, um die Veränderungen zu demonstrieren, welche die allgemeine Paralyse der Irren setzt." Allerdings stimmten auch fast alle Autoren überein, daß der Prozeß auf einen chronischen Entzündungsvorgang zurückzuführen sei. Obersteiner schreibt, die Gründe für diese unterschiedlichen Thesen hierfür seien zum einen die unterschiedlichen Stadien der Krankheit, wahrscheinlich aber auch der Einschluß anderer Krankheitsformen in das Bild der paralytischen Geisteskrankheit, da diese weiterhin nur symptomatologisch definiert sei. Es könne ja sehr wohl sein, daß verschiedene anatomische Ursachen zu denselben klinischen Effekten führten. Anhand zweier Fälle versucht Obersteiner die beschriebenen mikroskopischen Bilder zu deuten und den Zusammenhang zwischen den einzelnen Erscheinungen herzustellen: Im "Vorstadium" der Dementia paralytica träten aufgrund einer Hyperämie Lymphkörperchen aus den Gefäßen aus, was zu den Symptomen der Verstimmung und des Größenwahns führe. Die Lymphkörperchen gelangten dann in den perizellulären Raum (was das Bild der Zellvermehrung verursache, das Tigges beschrieben hatte). Später 64 komme es in der exsudativen Phase zur Ödembildung, und die Ödeme behinderten dann die Funktionen des Nervensystems, was klinisch seinen Ausdruck in den Lähmungssymptomen finde. Im weiteren Verlauf organisierten sich die Lymphkörperchen "kraft ihrer Fähigkeit der Weiterentwicklung zu höheren Gebilden zu Bindegewebskörperchen" und bildeten schließlich sternförmige Körper, deren Arme die Normalgebilde des Gehirns allseitig umfassten und Nervenfasern und -zellen durch Druck zerstörten. Daraus folgten Sklerose und Atrophie des Gehirns. In dieser Phase komme es dann auch zu geistigen Verfall, Ausbreitung der Paresen und endlich zum Tod des Patienten durch mangelnde Ernährung. So sei zusammengefaßt der Krankheitsprozeß ein auf chronische Hyperämie begründeter Exsudationsprozeß, dessen zellige Produkte schließlich die Bindegewebsmetamorphose eingingen. Obersteiner beschränkt sich auf die Pathologische Anatomie und stellt keine ätiologischen Überlegungen an. Er zieht sogar die Syphilis (als pathologisch-anatomischen Vorgang) als Vergleich für die Paralyse heran. "Eine weitere Stütze mag meine Ansicht darin finden, daß wie Kjellberg (Upsala) nachgewiesen hat, syphilitische Individuen besondere Anlage zum Paralytischen Blödsinn besitzen; bei solchen Personen ist ja bekanntlich die Neigung zu Bindegewebsentwicklungen in den verschiedenen Organen eine ganz auffallende." Die Vorstellung, daß diesen beiden Prozessen ein gemeinsames infektiöses Agens zugrunde liegt, ist Obersteiner aber noch fremd und erscheint auch unnötig, da mit der Pathologischen Anatomie und der Postulierung einer erblichen Anlage der Krankheitsprozeß ausreichend begründet sei. In einem Beitrag in der AZP weitet Meschede 1872 seine Interpretation der Pathologische Anatomie der Progressiven Paralyse auf einen zeitlichen Verlauf aus, verteidigt aber erneut seine Auffassung von der fettigen Degeneration der Ganglienzellen als dem primären Prozeß bei der Paralytischen Geisteskrankheit (MESCHEDE F (1872)). Er betont, daß eine Theorie als "offenbar verfehlt" erscheinen müsse, die gerade die Nervenzellen als Träger der psychischen und intellektuellen Funktionen als unbeteiligt betrachte. Anha nd von "mikrochemischen Versuchen" , bei denen er die fettigen Umwandlungen der Nervenzellen durch Behandlung der mikroskopischen Schnitte mit Äther nachgewiesen habe, versucht Meschede, seine Aussagen zu bekräftigen. Daß es bei anderen Erkrankungen des Gehirns am Schluß zu ähnlichen Veränderungen wie bei der Paralytischen Geisteskrankheit komme, sei kein Gegenbeweis zu seinen Theorien; es müsse auch die 65 Entwicklung betrachtet werden, die dorthin führe. Diese sei abhängig von der "eigentlichen Krankheitsursache", der "causa movens" : "In der Paralytischen Geisteskrankheit vollzieht sich unter dem Einfluß starker psychischer oder somatischer Irritation resp. wiederholter kongestiver Attacken ... innerhalb weniger Monate eine ähnliche Veränderung der Ganglienzellen, wie sie bei nahezu normalen Verhältnissen des Gehirnlebens ... im Laufe vieler Jahre unter wenig merkbaren Symptomen (der senilen Demenz) ... zustande kommt und sich gewissermaßen als eine erst durch Summierung der Partialeffekte stärker hervortretende Abnutzung darstellt." Eine analoge Erregung der Ganglienzellen wie bei der Paralytischen Geisteskrankheit finde sich bei Fieberdelirien. Aber die "causa movens" zeige bei der Paralytischen Geisteskrankheit eine viel län gere Wirkung und führe daher nach "physikalischen Gesetzen" zu beschleunigter Bewegung und viel tieferer Destruktion. Hier ist nun bei Meschede, nachdem sich seine früheren Ergebnisse in ihrer morphologischen Eindeutigkeit nicht durchsetzten, ein Rückzug auf Begriffe der romantischen Ära wie "causa movens" festzustellen. Die morphologischen Resultate verlieren ihren Eigenwert und bedürfen einer zusätzlichen spekulativen Klassifizierung. Diesen "causae moventes" eine Naturgesetzlichkeit zuzusprechen, verdeutlicht eher noch die Verlegenheitslösung. 1874 faßt Laehr in der AZP die pathologisch-anatomischen Beobachtungen zusammen, die Meynerts Schüler Alexis Lubimoff aus Moskau bei seinen Untersuchungen in der Klinik von Meynert gemacht habe und während der Versammlung der Psychiatrischen Sektion der Gesellschaft der Deutschen Naturforscher und Ärzte vorgetragen hatte (LAEHR BH (1874)). In seinem Beitrag im Virchow Archiv vertieft Lubimoff diese "vorläufigen Mitteilungen" (LUBIMOFF A (1873)). Als pathologische Veränderung des Gehirns bei der Dementia paralytica habe er bei 14 untersuchten Fällen jeweils die Entwicklung von Bindegewebskörpern beobachtet, die er als spezielle Erscheinung der Dementia paralytica betrachte, da sie bei anderen Psychosen nicht auftrete. Diese Bindegewebsvermehrung finde sich in grauer und weißer Substanz des Gehirns, in der Medulla sowie im Rückenmark; sie trete vorzugsweise perivaskulär auf und sei am häufigsten im Cortex. Ob es sich bei diesem Bindegewebe um Abkömmlinge von Lymphozyten handele, wie Obersteiner annimmt, oder um Wucherungen der Neuroglia, möchte er nicht entscheiden. Für die Pathogenese komme eine primäre Meningitis nicht in Frage. Die Grundlage der psychischen Störungen liege in den Anomalien der Blutverteilung und deren Folgen. Diese Anomalie erkennt Lubimoff in einer Hyperämie, die zu einer Veränderung der Nutrition der Bindegewebszellen und zu deren Vermehrung und dann "konsekutiv" zu der 66 Affektion von Nervenzellen führe. "Ich habe sozusagen drei ununterbrochene untereinander verbundene Glieder in der Kette der pathologischen Veränderungen dargestellt, nämlich Hyperämie im Gefäßsystem, Veränderung der Eigenschaften der Bindegewebselemente und Affektion der Nervenelemente." Auf der Suche nach einem Moment, aus welchem sich die Hyperämie herleiten läßt, findet Lubimoff die Affektion des Nervus sympatikus und sieht einen Beleg dafür in Wolffs Untersuchungen über den typischen Puls der Paralytiker. 1873 versucht auch Ludwig Meyer, eine pathophysiologisch orientierte Gesamttheorie der Progressiven Paralyse aufzustellen, die die vorherrschenden Unstimmigkeiten klären könnte (MEYER L (1873)). Wie Obersteiner kritisiert er, daß die Dementia paralytica bisher nur als "Symptomenkomplex" definiert sei. Er wolle "in weiten Kreisen der Ansicht Eingang verschaffen, daß der allgemeine Progressive Paralyse der Irren ein einfacher und an anderen Organen wohlbekannter Vorgang zu Grunde liegt, eine chronische Gehirnentzündung interstitiellen Charakters." Aus einer großen Zahl von Fällen habe er 20 ausgewählt, die ihm besonders charakteristisch erschienen seien, und habe als entscheidendes Moment wiederum perivaskuläre Wucherungen ausgemacht, die hauptsächlich in der Hirnrinde, im späteren Verlauf der Krankheit aber auch in allen anderen Regionen des Gehirns aufträten. Im Gegensatz zu seiner eigenen früheren Behauptung handele es sich bei diesen Wucherungen um eigenständige Zellen und nicht um Zellen der Gefäße selbst. Durch diese Wucherungen verwandelten sich die Kapillaren in mikroskopischer Betrachtung in dickrandige glashelle Schläuche mit Verschlüssen, Ektasien und spindel- oder zylinderförmigen Aneurysmen. So sehr sich jedoch auch die morphologischen Beschreibungen der Progressiven Paralyse in der letzten Zeit einander angenähert zu haben scheinen, so hält L. Meyer dennoch weiterhin an der Einschätzung einer Meningitis als auslösendem Faktor der Dementia paralytica fest, denn "die Veränderungen an den Meningen gehen denen der Gehirnsubstanz wohl meist beträchtliche Zeit voraus". Und was die Hirnsubstanz anbetreffe, so ließen sich die Veränderungen in "ungezwungenster Weise" als Folge der atrophischen Vorgänge interpretieren. Verbunden mit pathophysiologischen Überlegungen ergeben sich aus der Pathologischen Anatomie der Paralyse weiterreichende Theorien für die Entstehung der Geisteskrankheiten. 1885 versucht Meynert , die klinischen Symptome der Progressiven Paralyse auf die pathologisch-anatomischen Veränderungen zurückzuführen (KIRN L (1887A)) und sie in sein Modell der Geisteskrankheiten einzuordnen. 67 Die Paralyse beruhe primär auf einem diffusen atrophierenden Prozeß, der meist im Vorderhirn beginne. Komplikationen im Verlauf führten zu verschiedenen Erscheinungen. Die fundamentale anatomische Grundlage der Paralyse bilde die Verminderung des Hirngewichts. Der Verlust werde besonders bei der Wägung einzelner Teile deutlich. Die Gebiete der Substanzverluste deckten sich mit den physiologischen Auffassungen der Lokalisation von Gehirnfunktionen. Zu den motorischen Störungen, bei denen es sich nicht um Lähmungen, sondern um Ataxien handele, komme es allerdings nur bei hoher Intensität des Prozesses. Ätiologisch überwögen körperliche und geistige Anstrengung vor der Vererbung; es komme dabei durch vasomotorische Störungen zu Hyperämie im Gehirn. Die luetische Psychose biete ein etwas differentes Erscheinungsbild. Auf der Basis pathophysiologischer Überlegungen, die isolierte Störungen einzelner Hirngebiete als den Ausgangspunkt komplexer Symptome anschuldigt, entwickeln sich auch therapeutische Versuche, durch operative Eingriffe diese Hirnareale auszuschalten und die Erkrankung damit zu heilen. 1891 führt Burckhardt aus Préfargier aus, wie er -mit allerdings fragwürdigem Erfolg- einen vermutlichen Paralytiker operiert habe (BURCKHARDT G (1891)). Seine Schilderung der Operation zeigt deutlich, auf welch vagen Überlegungen der Eingriff beruht. Er schreibt, den "Angriffspunkt" für die Operation habe er zwischen Zentralwindung und Stirnhirn gesucht, "weil der ganze Zustand mit der Dementia paralytica eine Menge psychischer Symptome und deswegen, wie ich annahm, auch die Lokalisation im Stirnhirn teilte". So sei der Patient unter Einleitung mit Morphium und Narkose mit Chloroform operiert und nach Trepanation die Rinde im Bereich einer Furche, "welche nur die Fissura frontalis superior sein konnte", mit dem scharfen Löffel entfernt worden. Die Pia habe sich ödematös und verdickt gezeigt, darunter sich eine sulzig ödematöse Masse befunden. Nach der Operation beschreibt Burckhardt keine größeren Veränderungen im Verhalten des Patienten; allerdings teile er keine Fußtritte mehr aus. Jedoch seien regelmäßige epileptische Anfälle hinzugetreten. In seinen allgemeinen Überlegungen sagt Burckhardt, sein Vorgehen habe natürlich keinen Sinn für diejenigen, die in Psychosen nur diffuse Erkrankungen der Rinde sähen, an der prästabilisierten Einheit unseres psychischen Seins als einer unauflöslichen Einheit festhielten und schon des Prinzips halber keine Konzessionen machen dürften. Er selbst halte die Psychosen -im Sinne von Hitzigs Vorstellungen über die Hirnphysiologie- jedoch für Erkrankungen, "die eine mehr oder minder große Zahl von Gliedern in der Kette des psychischen Geschehens resp. von Rindenherden ergreifen", wobei Ausgangspunkt, Ausbreitung 68 und Erscheinungen verschieden seien. So habe man das Recht, Rindenteile als "Ausgangs- und Knotenpunkte psychischer Störungen" herauszuschneiden. Das Problem liege in der Technik der Operation. "Jeder Weg, der zu neuen Errungenschaften führt, ist mit Totenkreuzen bestückt... Die rein ärztliche Seite unseres Berufes muß uns und wird uns nolens volens auf diesem Weg forttreiben... Die Naturen der Ärzte sind verschieden: Der eine hält am Grundsatz fest `Primum non nocere'. Der andere sagt: `Melius anceps Remedium quam nullum'. Ich gehöre allerdings der zweiten Kategorie an". So wird bei Burckhardt der Patient aus der Logik einer sich als wissenschaftlich verstehenden, aber letztendlich auf Spekulationen aufbauenden Theorie heraus zum reinen Versuchsobjekt, dessen Tod billigend in Kauf genommen werden müsse. Er sieht diesen Weg, der ja in der Einführung der Pathologischen Anatomie als Naturwissenschaft seinen Anfang genommen hat, anscheinend als zwangsläufig an. 69 3.4 Der Rückzug der pathologisch-anatomischen Betrachtung auf Einzelaspekte (1891) Mit der Erkenntnis, daß das Problem der Ätiologie der Progressiven Paralyse auf rein morphologischem Weg wohl nicht zu lösen sei, während die ätiologischen Überlegungen aufgrund empirischer Beobachtungen immer mehr an Bedeutung erlangen, verlagert sich das Interesse der Pathologischen Anatomie von den globalen Betrachtungen der Progressiven Paralyse immer weiter zu Einzelaspekten und zu Betrachtungen einzelner Gehirnregionen. 1883 geht Westphal auf der Jahresversammlung des Vereins der Deutschen Irrenärzte davon ab, Geisteskrankheiten nur pathologisch-anatomisch erklären zu wollen und räumt auch anderen Vorgehensweisen ihre Berechtigung ein (TUCZEK F, SCHROETER W (1884)). Einer der wichtigsten Wege zur Lösung der Aufgaben der Psychiatrie bestehe darin, die Beziehungen zwischen Geistes- und Nervenkrankheiten zu untersuchen. Westphal selbst habe vor 18 Jahren damit begonnen, die Erkrankungen des Nervensystems heranzuziehen, die mit pathologisch-anatomischen Veränderungen einhergingen; andere Untersucher gingen von den Neurosen aus. Bezüglich der Dementia paralytica halte er jedoch an seinen Ansichten fest. Deren Ursache sei der Schwund nervöser Elemente aufgrund einer Disposition des Zentralnervensystems. 1890 schreibt Köberlin aus Erlangen "Über Erkrankungen des Rückenmarks bei der Progressiven Paralyse" (KÖBERLIN H (1890)). Er habe bei 23 Fällen von Paralyse bei der Sektion jeweils das Rückenmark untersucht und versucht, pathologisch-anatomische Hinweise auf den Zusammenhang von Paralyse und Rückenmarkserkrankung zu finden. Insgesamt habe er in 13 der 23 Fälle Rückenmarksbeteiligung gefunden, aber die Hoffnung, mit seiner Untersuchung die Erkenntnisse der Pathologischen Anatomie bei der Paralyse voranzubringen, habe sich nicht realisiert. Neben diesen pathologisch-anatomischen Untersuchungen habe er sich auch mit der Ätiologie befaßt, denn die Frage nach der Bedeutung der Lues in der Ätiologie sei so brennend, daß er sein Material darauf geprüft habe, obwohl es nicht eigentlich zum Thema gehöre. Dies gelte umso mehr, als speziell die Rückenmarkserkrankung mehr und mehr auf die Rechnung der Syphilis gesetzt werde. In sechs Fällen habe Syphilis sicher vorgelegen. In vier weiteren Fällen sei diese Diagnose wahrscheinlich. Das spreche da- 70 für, daß die Lues in einem ausschlaggebenden, wenn auch indirekten Zusammenhang mit der Paralyse stehe. Innerhalb der Diskussion über die Statistiken erscheint Köberlins Arbeit 1890 bereits deplaziert in ihrem Versuch, auf rein pathologisch-anatomischen Wege grundlegende Erkenntnisse über die Progressive Paralyse zu erlangen. Dies wird auch darin deutlich, daß Köberlin meint, sich für seine ätiologischen Überlegungen entschuldigen zu müssen. Lissauer versucht, am Beispiel paralytischer Herdsymptome allgemeine Aussagen über die pathologisch-anatomische Grundlage der Progressiven Paralyse insgesamt machen zu können. Er berichtet, diese Herdsymptome träten fast nur akut und im Zusammenhang mit paralytischen Anfällen auf (LISSAUER H (1892)). Typische Erscheinungen seien Hemianopie und Monoplegien der oberen Extremitäten. Als anatomische Veränderung habe er "schichtweise Degeneration" der Hirnrinde mit Nervenfaser- und Zelluntergängen in begrenzten, den Herdsymptomen entsprechenden Arealen gefunden. Er interpretiert die paralytischen Anfälle "als plötzliches heftiges Anschwellen des paralytischen Prozesses in bestimmten Rindenterritorien" , während der normale langsame Verlauf die klassischen Symptome der Paralyse bewirke. In einer weiteren Arbeit (KIRN L (1892A)) weist Lissauer vermeintlich sekundären Veränderungen im Sehhügel des Thalamus Symbolcharakter zu. Sie würden so zu einem Index, der auf die primären herdförmigen Veränderungen in der Hirnrinde hinweise. 1901 schreibt Storch aus Breslau, Lissauer habe mit seinen Untersuchungen der paralytischen Anfälle das Wesen des paralytischen Prozesses in der primären Degeneration der obersten Ganglienzellschicht ausgemacht (STORCH A (1901)). Ähnliche Überlegungen stellen Neisser, Heilbronner und Raecke an und finden paralytische Veränderungen überall im Gehirn (HEILBRONNER K (1897)), im Hirnstamm (RAECKE J (1900), im Kleinhirn (RAECKE J (1900)) und im Rückenmark (KIRN L (1895A), KIRN L (1896A)). Raecke schreibt, daß Alzheimer die von Lissauer als sekundär beschriebenen Sehhügelveränderungen 1896 als primärer Natur erkannt habe. Diese Untersuchungen zeigten, "daß es sich bei der Progressiven Paralyse um eine Erkrankung des gesamten Gehirns handelt"(Raecke J (1900)) . 1898 faßt Schmidt aus Würzburg die bisherigen pathologisch-anatomischen Ergebnisse der Progressiven Paralyse in einer "literarischen und anatomischen Studie über die mikroskopischen Befunde der Progressiven Paralyse an der Großhirnrinde" zusammen (SCHMIDT O 71 (1898)). Hätten die ersten Forscher besonders in Frankreich mangels feinerer Methoden nur die gröberen anatomischen Veränderungen bei der Progressiven Paralyse beobachtet, und seien Ludwig Meyer und Westphal in dem Gegensatz zwischen Hirnhäuten und Hirnsubstanz als dem primären Ort der Veränderungen vorläufig an die Grenze der Erkenntnis gelangt, so ermöglichten es die Erforschung der feineren Elemente des Hirns und die neuen Färbemethoden, "in der pathologischen Anatomie der Progressiven Paralyse mehr Licht zu verbreiten" und einen "befriedigenden Einblick in das Wesen der Krankheit zu bekommen". Bei den Befunden an den markhaltigen Nervenfasern zeigten sich jedoch die verschiedenartigsten Interpretationen, und ebensowenig gebe es Einigkeit bei den Befunden an den Nervenzellen. Daraus folgert Schmidt: "Es liegen Beobachtungen so differenter Beteiligung der Gewebsgruppen vor, daß es den Anschein hat, als werde die weitere Forschung in der Frage den Sammelbegriff der Allgemeinen Progressiven Paralyse in Zukunft noch ganz auflösen". Die Pathologische Anatomie scheint also an der Aufgabe gescheitert, eine einheitliche Beschreibung der Progressiven Paralyse zu liefern. Die Auflösung des Sammelbegriffes der Progressiven Paralyse zu fordern, ist aber nicht mehr zeitgemäß, da sich die Einheitlichkeit schon aufgrund der ätiologischen Grundlage immer deutlicher abzeichnet. Pollack stellt hingegen das Dogma der Pathologischen Anatomie in Frage, da andere Denkansätze zu besseren Ergebnissen führten. Er war bereits 1897 aufgrund der vielen auseinanderweichenden Behauptungen zur Pathologischen Anatomie der Progressiven Paralyse zu dem Schluß gekommen, "der Versuch, die Progressive Paralyse auf histologischem Wege zu ergründen, hat bis jetzt zu keinem sicheren Ergebnis geführt" Hingegen gebe die Ätiologie einen Wegweiser in anderer Richtung. Neben einer angeborenen paralytischen Diathese und vielleicht noch weiteren komme der Syphilis ein herausragender Einfluß zu (KIRN L (1898)). 72 3.5 Die Einbeziehung der Syphilis-Ätiologie durch die Pathologische Anatomie (1880) Mit der zunehmenden Etablierung der Syphilistheorie nach 1880 sieht sich auch die Pathologische Anatomie gezwungen, sich mit der Syphilis nicht nur als der differentialdiagnostisch in Erwägung zu ziehenden Hirnsyphilis im Vergleich zur nicht syphilitischen Progressiven Paralyse, sondern auch als Ursache der Progressiven Paralyse selbst auseinanderzusetzen. Ein wichtiger Wendepunkt in der Betrachtung der Progressiven Paralyse ist Emanuel Mendels Monographie über die Progressive Paralyse von 1880 (MENDEL E (1880)) , die alle bisherigen Überlegungen zusammenfaßt. Zwar betont Mendel die Bedeutung der Pathologischen Anatomie, doch stellt er auch umfangreiche ätiologische Überlegungen an und spricht hierbei der Syphilis eine herausragende Bedeutung zu, wenn er sie auch immer nur als einen "prädisponierenden" Faktor bezeichnet. Die meisten der nachfolgenden Arbeiten über die Progressive Paralyse beziehen sich im weiteren Verlauf der Diskussion auf diese Monographie. Laehr spricht ihr in einer Rezension in der AZP (LAEHR BH (1881)) ein "hohes Lob" aus. Alles Wissenswürdige habe der Verfasser mitgeteilt und durch eigene Forschung die Kenntnis über den Gegenstand vertieft. Jeder Fachgenosse bedürfe dieses Werkes. Mendel selbst schreibt in dieser Monographie, er wolle die Erscheinungen der Progressiven Paralyse, die wie keine andere der bekannten Formen von psychischer Krankheit die Aufmerksamkeit auf sich gezogen habe, in Verbindung mit den Tatsachen des physiologischen Experiments bringen sowie die zerstreuten Beobachtungen und Untersuchungen sammeln und ordnen und ihnen eigene Erfahrungen anreihen. Die Ansichten über den Ausgangspunkt und ihre wesentlichen Grundlagen seien aber noch sehr geteilt (MENDEL E (1880)). "Die letzte Ursache für die Entstehung der Paralyse zu erforschen, scheint im Augenblick ein sehr vergebliches Bemühen, wird es sich doch vorerst darum handeln müssen, sicher und unzweifelhaft die Natur des Krankheitsprozesses festzustellen." Es handele sich jedoch nicht um eine Krankheit der Hirnhäute, sie bedürfe auch nicht einer Erkrankung des Rückenmarks oder des Nervus sympathikus. Kein einzelner Befund sie spezifisch für die Paralyse. Mendel kommt zu dem Schluß, daß "die Progressive Paralyse eine diffuse interstitielle kortikale Enzephalitis ist, die ihren Ausgang in Hirnatrophie nimmt." 73 Bei seinen ätiologischen Überlegungen zitiert Mendel weitgehend die verschiedenen Ansichten aus der Literatur und kommt so zur Annahme einer multifaktoriellen Genese. Der Alkoholmißbrauch sei unzweifelhaft eine häufige Ursache der Paralyse. Die hereditäre Anlage spiele hingegen nur eine geringe Rolle. Trauma oder Hitzeeinwirkung seien ebenfalls seltene Ursachen und meist im Zusammenhang mit anderen Momenten zu sehen. Besonders bei den psychischen Ursachen vertritt Mendel noch einen sehr idealistischen Standpunkt. "Der Körper unterliegt ganz denselben Gesetzen, wie die übrigen Organe des menschlichen Körpers... Wer sein Gehirn über das zuträgliche Maß ... anstrengt, ... der wird Gefahr laufen, daß jenes Organ schließlich seinen Dienst versagt, erkrankt." Mendel unterstreicht jedoch auch sehr deutlich die Bedeutung der Syphilis und bezieht sich dabei auf eigene Zahlen, nach denen in fast 75% der von ihm beobachteten Fälle sekundäre Syphilis vorausgegangen sei. Einen monokausalen Zusammenhang weist er allerdings zurück: "Wenn nun auch sicher nicht jede Paralyse bei einem Syphilitikus oder gewesenen Syphilitikus eine syphilitische Paralyse ist",so werde man geneigt sein, "der Syphilis einen gewissen Einfluß auf die Erzeugung der Paralyse einzuräumen." Mendel zeigt mehrere denkbare Mechanismen auf: Zum einen eine direkt durch die Syphilis erzeugte interstitielle Enzephalitis (unter Verweis auf Virchow ), ferner in einer großen Zahl der Fälle eine syphilitische Disposition des Gehirns, die aber erst durch eine andere Schädlichkeit geweckt werde, und schließlich eine Resistenzminderung des gesamten Organismus, die den Angriff gewisser Schädlichkeiten erleichtere. Später beschreibt Mendel , wie er seine Vorstellungen der Pathogenese der Paralyse auch experimentell zu stützen versucht. Aus seinen Experimenten mit Hunden (KIRN L (1887B)), die er auf einer Platte mehrfach gedreht habe und die dann sowohl klinisch als auch pathologisch-anatomisch die Zeichen der Progressiven Paralyse geboten hätten, gehe hervor, daß Hirnhyperämie den Ausgangspunkt der Krankheit darstelle. Gefäßschädigungen, wie er sie an Hunden mit Sublimat hervorgerufen habe und wie sie beim Menschen durch die Syphilis entstehen könnten, verstärkten die Anfälligkeit für Schädigungen, die den Blutzufluß zum Gehirn erhöhten. Dies seien z.B. Anstrengungen, Kummer und Sorgen. Somit sei die Progressive Paralyse keine syphilitische Krankheit, sondern nur deren Folgezustand. Gerdes wiederholt 1890 unter Mendels Anleitung dessen Drehversuche mit Hunden und beschreibt, nachdem die Tiere bis zu 20 Tage lang bei 100 Umdrehungen in der Minute 74 zwei bis dreimal täglich vier bis acht Minuten lang gedreht worden seien, bei ihnen paralytische Symptome und ausschließlich Gefäßveränderungen im Gehirn (KIRN L (1892B)). Bei aller Genauigkeit, mit der diese Experimente durchgeführt werden, wird deutlich, daß die Aussage, die aus ihnen gezogen wird, durch eine vorher bestehende Erwartungshaltung geprägt wird und somit zwanglos beweisen kann, was sie beweisen soll. Gerade bei Mendel zeigt sich auch das Bestreben, daß sogar ein Vorreiter einer neuen These, wie es Mendel für die Syphilis Theorie gewesen ist, dennoch bestrebt ist, möglichst viele Elemente früherer Vorstellungen zu übernehmen und sinnreich zu integrieren. Ein weiterer Vertreter der pathologisch-anatomischen Richtung, der die Syphilis in seine ätiologischen Überlegungen mit einbezieht, ist Binswanger . 1894 versucht er auf der Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Psychiatrie eine "Abgrenzung der Progressiven Paralyse" (ILBERG G, LAEHR BH, MARTHEN G (1895)) vom pathologischanatomischen Standpunkt. Aus keinem der einzelnen anatomischen Merkmale allein sei eine eindeutige Diagnose der Paralyse zu stellen, wohl aber mit Sicherheit beim Zusammentreffen aller. Ätiologisch stelle die Paralyse keine Einheit dar; die Syphilis habe mit etwa 50% jedoch die größte Bedeutung. Zwar geht er weiterhin von einer multifaktoriellen Ätiologie aus, aber es kristallisiert sich bei Binswanger die Bedeutung der Syphilis immer stärker heraus. 1898 führt Binswanger in einer größeren Arbeit im Virchow Archiv seine Vorstellungen zur Pathogenese und Differentialdiagnose der Progressiven Paralyse weiter aus (BINSWANGER O (1898)). Früher sei die Bewertung der pathologisch-histologischen Befunde sei früher von der allgemein herrschenden Auffassung über das Wesen chronisch entzündlicher Vorgänge abhängig gewesen und habe der subjektiven Einschätzung des einzelnen Forschers unterlegen. Inzwischen habe sich die Pathologische Anatomie von dieser Spekulation gelöst. Die typischen Fälle seien durch chronische, diffuse atrophisch degenerative Veränderungen des funktionstragenden Nervengewebes verursacht. Höchstwahrscheinlich würden die Nerven-Endausbreitungen befallen, die mit den vorhandenen Hilfsmitteln noch nicht genügend deutlich darzustellen seien. Bei dem gewebeschädigenden Reiz handele es sich um ein Produkt bestimmter spezifischer Erreger, pathologische Stoffwechselprodukte oder um ein von außen eingedrungenes Gift, das durch den Stoffwechsel in seiner Funktion erhalten werde. Ätiologisch-klinischen gebe es immer noch wenig Übereinstimmung über die Paralyse. Als auslösende Schädlichkeiten kämen in den Kulturnationen hauptsächlich die Lues, 75 die hereditäre Veranlagung und der Alkoholismus in Frage. In Deutschland werde von der Mehrzahl der Forscher der Lues, in England und in Frankreich dem Alkoholismus die erste Stellung eingeräumt. Auch die Erblichkeit sei im Gegensatz zur früheren Lehre ein wesentlicher Faktor. Auch Faktoren wie Gemütserschütterungen, geistige und körperliche Überanstrengungen sowie Traumen spielten eine Rolle. Psychische Erregungen könnten durch ihren Einfluß auf die Blutfüllung im Gehirn ebenfalls Schädlichkeiten sein. In der Regel komme der Krankheitsprozeß durch Zusammenwirken mehrerer innerer und äußerer schädigender Einflüsse zustande. Die verheerende Macht der kulturellen und sozialen Einrichtungen mache sich besonders bei denjenigen bemerkbar, deren Zentralnervensystem den hochgradig gesteigerten Anforderungen an seine Leistungsfähigkeit den geringsten Widerstand entgegensetzen könne. Aufgrund dieser verminderten Widerstandskraft sei das Gehirn in verstärktem Maß durch Schädigungen wie Syphilis und Alkohol gefährdet. Abhängig vom Ausmaß der Gewebsschädigung komme es zu einer funktionellen Überanstrengung des Gewebes durch Arbeitsleistungen des Gehirns. In einigen Fällen mache die funktionelle Überanstrengung bei der funktionellen Erschöpfung in der Form der Erschöpfungs-Neurose bzw. -Psychose Halt, während bei anderen ein fortschreitender, die Nervenelemente endgültig zerstörender Krankheitsverlauf im Sinne des paralytischen Krankheitsprozesses Platz greife. In diesem Stadium sei eine Diagnose kaum möglich. Erst durch den weiteren Verlauf werde die wahre Natur des Leidens sichergestellt. Im weiteren zeigt sich bei Binswanger ein recht spekulativer Ansatz bei der Bewertung der Bedeutung ätiologischer Faktoren Auch er unterscheidet eine direkt vom Syphiliserreger verursachte Hirnsyphilis von der Progressiven Paralyse, die durch ein spekulatives Syphilisgift im Sinne von Strümpells syphilitischer Nachkrankheit verursacht werde. Der Übergang von den funktionellen syphilitischen Neurasthenien zur morphologisch faßbaren Paralyse sei aber fließend und vom ätiologischen Faktor selbst unabhängig. Binswanger geht hingegen von der Möglichkeit einer Unterscheidung zwischen Hirnsyphilis und Progressiver Paralyse aus. Sie entstehe aber primär durch den Verlauf der Krankheit und durch ihr Ansprechen auf eine antisyphilitische Therapie. Der Pathologischen Anatomie spricht Binswanger in der Abgrenzung der Paralyse zur Hirnsyphilis einen größeren Stellenwert ab. 76 Dennoch ist Binswangers Ausgangspunkt eindeutig die pathologisch-anatomische Betrachtung auf der Suche nach der "Natur des Krankheitsprozesses". Ein Verweis auf die bisher noch nicht ausreichenden Hilfsmittel deutet die Hoffnung an, endgültige Klärung über den Krankheitsprozeß bei der Progressiven Paralyse auf histopathologischem Wege zu finden. Der ätiologischen Forschung mißt er bei dieser Suche nur den Wert einer "Nutzanwendung" zu. Unter diesem Deckmantel des pathologisch-anatomischen Vorgehens zeigen Binswangers ätiologische und pathogenetische Überlegungen deutliche Anleihen an spekulative Theorien einer multifaktoriellen Genese. Auch andere pathologisch-anatomisch orientierte Forscher gehen von einer multifaktoriellen Genese der Progressiven Paralyse aus. So nimmt Raecke noch 1902 neben der Syphilis auch Alkohol und neuropathische Veranlagung als ätiologische Faktoren der Progressiven Paralyse an (SCHLÜTER R (1903)). Besonders bei älteren Pathologen wird auch jetzt noch die Ablehnung gegen eine größere Bedeutung der Syphilis-Ätiologie deutlich. Fürstner kritisiert 1900 auf der Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Psychiatrie den Analogieschluß von der Ätiologie der Tabes auf die Progressive Paralyse und argumentiert damit gegen die Syphilis-Ätiologie der Progressiven Paralyse (FRIEDLÄNDER A, PELMAN K, DANNEMANN A (1900)). Die einfache Identifizierung von Tabes dorsalis und Progressiver Paralyse sei nicht zulässig, da sich Tabes und Rückenmarksveränderungen bei Paralyse z.B. durch den Befall der Seitenstränge bei letzterer sehr wohl unterschieden. Auf der Versammlung der Deutschen Irrenärzte 1902 lehnt Fürstner die Syphilis als ätiologischen Faktor ab, entscheidend seien vielmehr Vererbung und Überanstrengung (FÜRSTNER K (1902)). Die Annäherung der Pathologischen Anatomie an die Syphilistheorie zeigt sich sogar in den morphologischen Betrachtungen von vermuteten Erregern. Siemerling aus Kiel bekennt sich zu der Vorstellung, bei der Progressiven Paralyse könne ein bakterieller Erreger beteiligt sein und beschreibt 1901 vor dem Deutschen Verein für Psychiatrie einen Fall von Progressiver Paralyse (HENNEBERG R, KAPLAN L (1901)), bei dem er bei der Sektion zahlreiche mit Bakterien gefüllte Zysten im Gehirn gefunden habe. Wahrscheinlich hätten die intra vitam bereits vorhandenen Bakterien sich nach dem Tod des Patienten stark vermehrt und Gas gebildet. 1906 dehnt Spielmeyer vor dem Deutschen Verein für Psychiatrie die morphologische 77 Betrachtung der Progressiven Paralyse von der Pathologischen Anatomie auf den Erreger aus und bezeichnet Schlafkrankheit und Paralyse als nah verwandte Krankheiten (SPIELMEYER W (1907)). Sie ähnelten sich in Klinik und Histopathologie, und Schaudinn habe den Beweis erbracht, die Trypanosomen ständen in der Protozoenreihe den Spirochäten sehr nahe. 1911 zieht Spielmeyer aus diesem Zusammenhang auch therapeutische Konsequenzen und hofft, daß die Untersuchungen zur Schlafkrankheit eine Grundlage für systematische chemotherapeutische Bestrebungen im Sinne Ehrlichs zur Vorbeugung der Paralyse bilden könnten (MATUSCH F (1912A)). 78 3.6 Die abschliessende Beschreibung der Histologie der Progressiven Paralyse durch Nissl und Alzheimer (1905) Nissl und Alzheimer beschäftigen sich bis 1905 eingehend mit der Histologie der Progressiven Paralyse und kommen dabei zu den Ergebnissen, die Henry als die abschließende histologische Beschreibung bezeichnet (ZILBORG, HENRY 1941). Nissl beschreibt 1903 vor dem Verein der südwestdeutschen Irrenärzte charakteristische morphologische Merkmale der Paralyse (NISSL F (1903)). Mit dem Verständnis des histopathologischen Gesamtprozesses der Progressiven Paralyse sei man zu dem Ergebnis gelangt, daß die Paralyse zu der Gruppe der entzündlichen Vorgänge gehöre. Charakteristisches Merkmal eines entzündlichen Prozesses im Zentralnervensystem seien zellige Infiltrate der Adventitialscheiden der kleinen Rindengefäße mit den Marschalkoschen Plasmazellen. Dieses Merkmal wiesen alle typischen Paralysen auf. Das weitere Ziel sei es, die Paralyse histopathologisch von allen übrigen Formen der Geistesstörungen zu unterscheiden. Dann ließen sich weitere Krankheitsformen von der Paralyse abgrenzen und dabei deren klinische Symptome in die Differentialdiagnose einführen. 1904 nennt Nissl die Merkmale der pathologisch-anatomischen Differenzierung von Progressiver Paralyse und Hirnsyphilis. "In der anatomischen Diagnose der Paralyse ist keine einzelne Veränderung ausschlaggebend. Bis jetzt ist kein einzelner Befund bekannt, dessen Nachweis allein die Diagnose der Paralyse sichert. Ausschließlich maßgebend ist das Ensemble der Veränderungen; dieses ist aber ein derartiges, daß man ohne Kenntnis des Falles aus den anatomischen Präparaten allein sicher die Diagnose der Paralyse zu stellen imstande ist". Diese Merkmale seien der diffuse Prozeß, Schwund der Tangentialfasern, Vermehrung und Verdickung der Gliafasern, die chronische Erkrankung der Nervenzellen, Plasmazellen und Lym phozyten in den Adventitialräumen, Gefäßneubildungen, große Zahlen von Stäbchenzellen und Rückenmarksveränderungen (Nissl F (1904)). 1905 referiert Alzheimer über die Abgrenzung der histologischen Veränderungen der Progressiven Paralyse von anderen organischen Geistesstörungen: Vor dem Deutschen Verein für Psychiatrie berichtet er über das Verhältnis zwischen Hirnlues und Progressiver Paralyse (ALZHEIMER A (1905)). Bei diffusen Erkrankungen nähere sich das Erscheinungsbild der Hirnlues dem der Progressiven Paralyse, und ihre klinische Diagnose sei oft unklar. Nissl habe jetzt in der ausgeprägten Bildung von Wucherungen des Endothels und der Adventitia der Rindengefäße sowie im Fehlen der typischen Infiltrati- 79 onszellen der Paralyse einen eigenständigen Befund der diffusen Hirnlues beschrieben. Charakteristisch sei auch, daß trotz ihrer eher diffusen Erscheinung diese Form der Hirnlues wesentlich ungleicher verteilt sei als die Progressive Paralyse. Auf der Sitzung des Vereins bayrischer Psychiater setzt sich Alzheimer 1905 mit Wernickes Ansicht auseinander, verschiedene Geisteskrankheiten mit anatomischem Befund unterschieden sich nicht im Krankheitsprozeß, sondern nur in der Quantität und in der Lokalisation (GAUPP R, PROBST F (1905)). Alzheimer bestreitet dies und meint, es ließen sich bereits verschiedene Krankheitsprozesse an der Art der Gliaveränderungen differenzieren. "in einigen hoffnungsvollen Anfängen ist es der Pathologischen Anatomie gelungen, den Nachweis zu erbringen, daß die Krankheiten, welche mit Verblödung und Lähmung einhergehen, durch verschiedenartige Gewebsprozesse bedingt werden". Die histologischen Ergebnisse Nissls und Alzheimers werden in der folgenden Zeit mehrfach bestätigt. 1907 betont Oppenheim vor dem psychiatrischen Verein südwestdeutscher Irrenärzte die differentialdiagnostische Bedeutung von Plasmazellinfiltraten der Adventitialscheiden der Gefäße, die er auch bei Rückenmarksaffektionen im Rahmen von Progressiver Paralyse beobachtet habe (PFERSDORFF K, RANKE O (1908)). Behr bestätigt 1909 ebenfalls die Bedeutung der Plasmazellen in der pathologisch-anatomischen Diagnostik der Progressiven Paralyse. Der Plasmazellinfiltration in den Gefäßscheiden des Gehirns komme eine außerordentliche Bedeutung zu. Ihr Fehlen schließe den paralytischen Prozess aus (BEHR H (1909)). Diese grundsätzliche Differenzierung zwischen Hirnsyphilis und Progressiver Paralyse ist jedoch nicht frei von ideologischen Vorstellungen. Von anderen Autoren wird diese Trennung dann auch in Frage gestellt. Hübner verweist 1905 auf die Ansicht, zwischen Hirnlues und Progressiver Paralyse bestehe kein so grundsätzlicher Unterschied, wie ihn Alzheimer und Nissl so stark betonen. Auf der Sitzung des Psychiatrischen Vereins zu Berlin betrachtet er den Zusammenhang zwischen Syphilis, Progressiver Paralyse und Hirnlues (HÜBNER H (1906A), (HÜBNER H (1906B)) und erwähnt dabei zum ersten Mal die Entdeckung der Spirochäta pallida durch Schaudinn und Hoffmann. Diese Entdeckung könne dazu benutzt werden, um nachzuweisen, ob Erbs und Guszmanns Auffassung richtig sei, bei Gummenbildung und paralytischer Faserdegeneration handele es sich um gleichwertige Prozesse. Auch Ris bestreitet 1907, daß es eine eindeutige histologische Trennung zwischen Hirnsyphilis und Paralyse gebe. Er hält die Progressive Paralyse lediglich für eine Äußerungs- 80 form der Hirnlues. Die luischen Zerebralerkrankungen bildeten eine kontinuierlich ineinander übergehende Reihe, die mit der Gumma anfange und über die gummöse Meningitis zur einfachen paralytischen Meningitis führe (MATUSCH F (1909A)). Stargardt berichtet 1912 mit vergleichbarer Intention von Untersuchungen bei 25 Tabikern und Paralytikern. Er habe festgestellt, daß die Optikusatrophie bei diesen Krankheiten nicht auf eine Toxinwirkung, sondern auf exsudative Prozesse zurückzuführen sei. Damit gehöre sie wie Tabes, Paralyse, Aortitis und Hepatitis luica und verschiedene andere in die große Gruppe "der tertiären, nicht gummösen luischen Erkrankungen" (KEHRER F, KÖNIG W, STERN F (1912A)). Hat die Pathologische Anatomie inzwischen zwar keine Bedeutung mehr für den wissenschaftlichen Aspekt der Klärung von Pathogenese oder Ätiologie der Progressiven Paralyse, so wird dennoch versucht, ihre Methoden zur Differentialdiagnose zur Hirnlues zu verwenden. Dies geschieht sogar intra vitam mit der Methode der Hirnpunktion. 1911 stellt O. Förster die Diagnose einer Progressiven Paralyse nach einer "Neisser schen Hirnpunktion" am rechten Frontallappen durch die histologische Untersuchung (NEISSER C (1912)), 1913 referiert Matusch weitere Artikel, in denen Pfeifer (PFÖRRINGER O (1913A)) und O. Förster (PFÖRRINGER O (1913B)) einige Fälle beschrieben, in denen sie das "von verschiedenen Seiten angegriffene Hilfsmittel der Hirnpunktion" zur Diagnose der Progressiven Paralyse verwandt hätten. 81 4 Die Interpretation der Progressiven Paralyse aus der Tradition der "romantischen Medizin" Auch nach 1860 werden insbesondere in der hauptsächlich klinisch orientierten Psychiatrie in den Anstalten spekulative Systematiken der Geisteskrankheiten verwandt, die noch weitgehend von naturphilosophischen oder naturhistorischen Überlegungen geprägt sind. Mit solchen Systematiken läßt sich das neue Krankheitsbild der Progressiven Paralyse oftmals nur schlecht vereinbaren. Daher wird der Begriff der Progressiven Paralyse von einigen Autoren ganz abgelehnt, andere verwenden ihn in einem sehr weitgefaßten Sinn. Viele der Beiträge sagen mehr über das Weltbild des Verfassers als über die behandelte Krankheit aus. Spekulative Zuordnungen von klinischen Symptomen oder vermuteten Ätiologien mit viel Spielraum für individuelle Interpretationen werden einem stringenten und einheitlichen Krankheitsbild vorgezogen. Die pathologisch-anatomischen Betrachtungen, die meist nur makroskopisch angestellt werden, entbehren häufig der Systematik, wie sie von den Pathologen angestrebt wird. 82 4.1 Die Krankheitsentität der Progressiven Paralyse stösst auf Widerstand 1868 bestreitet Nasse in einem Beitrag über "Die diagnostische und prognostische Bedeutung der Pupillendifferenz bei der Allgemeinen Paralyse" (NASSE F (1868)), daß dieses Symptom charakteristisch für die Progressive Paralyse sei. Vielmehr sei diese Pupillendifferenz viel häufiger als gemeinhin angenommen und trete nicht nur bei der Allgemeinen Paralyse, sondern "bei allen psychischen Formen der Geisteskrankheit ohne Unterschied auf." Die Erklärung, die Nasse für dieses angeblich allgemeine Symptom der Geisteskrankheiten liefert, zeigt, daß er nicht von einer spezifischen Pathogenese einzelner psychischer Krankheiten ausgeht: Die Pupillendifferenz müsse zentral entstehen, "vorübergehende Einwirkungen des durch Blutstockungen oder Serumanhäufungen ausgeübten Druckes auf verschiedene Gehirnteile kann einen solchen Wechsel bedingen". Bloße Hyperämien, "wie sie beim ersten Beginn psychischer Störungen fast konstant vorkommen", kämen nicht in Frage, da die Pupillenstörungen die Kongestion überdauerten. Eher sei der Grund in pathologischen Gewebsveränderungen zu sehen. 1871 stellt Nasse im "Irrenfreund" nach Aussage des Rezensenten Flemming geradezu die Existenz einer spezifischen Form der Allgemeinen Fortschreitenden Paralyse in Frage, da sie sich in ihren psychischen Erscheinungsbildern kaum von einer durch Exzesse im Trinken hervorgerufene "Pseudoparalysis e potu" oder von Begleiterscheinungen interkurrenter, den Stoffwechsel mächtig aufrüttelnder Krankheiten unterscheiden lasse (FLEMMING CF (1871)). 1872 zählt Simon in seinem Buch für Ärzte und Studierende "Über die Gehirnerweichung der Irren" eine ganze Reihe von Krankheiten auf, "die in der Form und unter dem Bild der Dementia paralytica verlaufen können", und bezieht dabei Geschwülste von Dura, Großund Kleinhirn, Zystizerken, Intoxikationen, Meningitis bis hin zu "reflektorisch wirkenden Krankheiten" wie Tuberkulose und Nieren- und Herzaffektionen mit ein. Der Rezensent Zenker kritisiert dies als "unersprießlich" und befürchtet, man bekomme den "Eindruck, ... diese Aufstellung sei irgendein Fortschritt" (ZENKER W (1873)). Die Ablehnung feststehender Krankheitsentitäten, die durch ihre Symptomatik definiert sind, zeigt sich bei Essig (ESSIG C (1879)), Assistenzarzt der Pflegeanstalt von Zweifalten. Auf einen beschriebenen Fall lasse sich die Diagnose Paralyse anwenden, "wenn man nur die Paralyse in dem Sinne nimmt, daß sie ein durch gewisse Symptome bezeichnetes ... 83 klinisches Bild, eine Krankheitsgruppe darstellt, welche noch weniger gut charakterisiert und begrenzt ist als die Tabes" . Wichtiger für die abschließende Beschreibung einer Krankheit sei jedoch ihre "eigentliche Ursache" , die aus den Symptomen nicht unbedingt ableitbar sei. "Wenn gleiche Organe oder ihre Hilfsapparate in einer bezüglich des Effekts gleichen oder ähnlichen Weise getroffen werden, so kann das, was sie trifft, also die entferntere Ursache und damit der eigentliche Charakter doch durchaus verschieden sein". Auch später finden sich immer wieder Beschreibungen von psychischen Symptomen bei vermuteter Paralyse, bei deren Interpretation die gestellten Diagnosen den Rahmen einer einzelnen Entität sprengen. So berichtet Knecht 1885 vor der Versammlung des Psychiatrischen Vereins zu Berlin über einige Fälle von Psychosen, "die in ihrem Verlauf bald das Bild einer Progressiven Paralyse, bald wieder das einer Katatonie im Sinne Kahlbaums" dargeboten hätten. Er habe zwei verschiedene Verlaufsformen gefunden. Er halte zwar alle Fälle für jeweils ein eigenständiges Krankheitsbild, schwanke jedoch bei der zweiten Gruppe zwischen der Diagnose Katatonie oder Progressiver Paralyse (KNECHT E (1886)). 1890 schildert Meschede auf der 67. Versammlung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ) in Bremen den Fall eines hysterischen Anfalls im Verlauf einer Paralyse und vermischt damit zwei nach der üblichen Systematik getrennte Krankheitsbilder (KIRN L (1891A)). Alexander Westphal trägt 1908 auf der Versammlung der Psychiatrischen Vereins der Rheinprovinz einige Fälle von Patienten mit den Symptomen manisch-depressiven Irreseins bei Gehirnsyphilis mit typischen körperlichen Symptomen vor. Er vermute einen inneren Zusammenhang beider Krankheiten im Sinne einer "symptomatischen Psychose", die dem Wesen nach aber von den typischen Formen periodischen Irreseins zu unterscheiden sei (WESTPHAL A (1908)). In ähnlicher Manier stellt Forster 1911 einen Patienten vor, der das Bild einer Dementia praecox gezeigt habe. Es handele sich jedoch um eine diffuse syphilitische Hirnerkrankung, die sich derart lokalisiert habe, "daß dasselbe Gebiet, das sonst bei der Dementia praecox erkrankt ist, hier durch den syphilitischen Prozeß in Mitleidenschaft gezogen ist"(Forster E (1911)) . 1913 vermischt auch Bundschuh die Progressive Paralyse mit anderen Geisteskrankheiten. Bei positivem Ausfall der Wassermann Reaktion könne man auch bei Dementia 84 praecox, Melancholie oder hysterischem Irresein u.a. auf eine luetische Genese schließen, die wohl auf eine "unmittelbare lokale, zerebrale Giftwirkung des syphilitischen Krankheitserregers" zurückzuführen sei (BUNDSCHUH R (1913)). 85 4.2 Spekulative Modelle Eine Zufallsbeobachtung ohne belegbaren Kausalzusammenhang trägt Ideler trägt 1869 vor dem Psychiatrischen Vereins zu Berlin als möglichen Auslöser der Progressiven Paralyse vor. Bei einigen Fällen von Dementia paralytica sei dem Ausbruch der Psychose eine heftige Erkältung vorausgegangen. Überhaupt stellten einige Beobachter fest, daß Lebensformen, die viele Strapazen und Einwirkungen von Kälte mit sich brächten, den Ausbruch der Dementia paralytica förderten (IDELER CW (1871)). 1871 legt Zenker in seinen Betrachtungen "der willkürlichen Bewegungen Modus und Mechanik in der Fortschreitenden Allgemeinen Paralyse" (ZENKER W (1871)) in ausgesprochen pathetischer Sprache einen stark an spekulativen Ideen orientierten Standpunkt zur Progressiven Paralyse vor. Er vermischt dabei die pathophysiologischen Ideen der Reflextheorie mit idealistischen Vorstellungen. Die Bewegung sei "die Signatur des heutigen Kulturlebens", und die mißbrauchte Bewegung räche sich in Krankheiten wie Tabes dorsalis, Epilepsie und Dementia paralytica wiederum in Form von Bewegungsstörungen. "Gerade die Dementia paralytica ist es, welche wie zum Hohn das Streben und Leben der Zeit in verzerrten Zügen widerspiegelt. Dort wie hier bei Glanz und Flitter geistige Leere und körperliche Ohnmacht." Damit meint Zenker aber nicht die Bewegungsstörungen allein, denn Psyche und Körper agierten gemeinsam. "Der durch Ataxie und Paralyse bedingte Bewegungsmodus ... läßt sich in fast allen Fällen auf zwei Momente zurückführen: auf die ursprüngliche Schädigung des Nervensystems und konsekutiv der Bewegungen einerseits und andererseits auf die hinzutretenden Kompensationsbewegungen, welche letztere durch das Gebot der Erhaltung des Individuums in möglichst hoher Leistungsfähigkeit veranlaßt, das Gesamtbild einer auszuführenden Bewegung wesentlich zu modifizieren". Bei der allgemeinen Paralyse lägen sowohl eine fortschreitende Hinfälligkeit von Kraft und Leistung als auch ein gestörtes Gleichgewicht in der Ausführung vor. Der Verlust des Niveaus der Bewegung, die ganz nach klassischen Vorstellungen umso "wertvoller" sei, je elastischer, graziler und präziser sie ablaufe, verlaufe dabei parallel zur geistigen Enthemmung. Anhand von Motilitätsstörungen, wie sie sich in Gang und Sprache ausdrückten, versucht Zenker dann eine Einteilung von "Kategorien gelähmter Kranker", aber "natürlich muß man sich da die gezogenen Rahmen so elastisch vorstellen, wie es der Bilder- 86 reichtum des Lebens erfordert". Die Verquickung wissenschaftlicher Exaktheit mit romantischen Vorstellungen vom Verhältnis von Geist und Körper zeigt sich in der Betrachtung der einzelnen Bewegungsstörungen, die profundes neurophysiologisches Wissen von Bewegungsabläufen verwendet, aber abschließend in die Aussage mündet: "Da bei unseren Lähmungskrankheiten die Bewegungsorgane in toto ergriffen zu sein pflegen, so kommt es tatsächlich mehr darauf an, das Gebiet eines solchen Organs zu sondieren -dieses zur Erklärung dafür, daß weder vom Nervus Phrenikus, rekurrens etc. noch vom hypoglossus und fazialis die Rede gewesen ist. Dieselben haben für uns mehr die Bedeutung von Flüssen, welche auf verschiedenen Wegen das Wasser von einem See in einen anderen überleiten". Ein spekulatives Ätiologiemodell ganz anderer Art, das deutlich dem Denken und den Rollenvorstellungen seiner Zeit entspricht, entwirft 1878 Jung aus Leubus, als er vor dem Psychiatrischen Verein zu Berlin in einem Vortrag über "Die Paralyse der Frauen" eine eigene geschlechsspezifische Pathologie der Frauen aufgrund ihrer sozialen Situation postuliert (JUNG W (1879)). Bei der Frau finde sich die Dementia paralytica in enger Beziehung zu ihrem Geschlechtsleben; sie sei eine Krankheit, die sich dem Aufhören der Geschlechtstätigkeit anschließe. "Die geschlechtliche Bestimmung beherrscht beim Weibe alles. Die Ehe, der eheliche Kindersegen ist von entscheidend günstiger Einwirkung auf Mädchen... Wie die Entwicklungszeit bei dem weiblichen Geschlecht ein eingreifender Vorgang (ist) und leicht zu krampfartigen Seelenstörungen führt, so verbindet sich das Klimakterium umgekehrt mit paralytischen." Im Klimakterium "komme es zum Umschwung in der Organisation der Frau" und die Periode gewähre keine Schutzkraft mehr. Es seien Kreislauf und Innervationsstörungen, die diese Zustände bewirkten. "Treten nun diese Innervationsstörungen bei reizbaren exaltierten, verelendeten, schwachen, gefeierten, erblich belasteten Naturen auf, so folgt leicht Irresein". Aus den Innervationsstörungen folge eine neuroparalytische Hyperämie als das ursprüngliche Moment der Dementia paralytica; damit sei die Gefäßwand durchgängiger geworden für kolloidale Substanzen und Blutkörperchen, und der Krankheitsprozeß beginne. "An diese vasomotorischen Störungen schließt sich dann die Dementia paralytica der Frauen an, gerade wie beim Manne an gewisse Wallungszustände". Aber auch sozialhygienische Überlegungen treten neben die individuellen Faktoren von 87 Erblichkeit und Lebensgestaltung. "Unserer Ansicht liegt der Grund, daß bei Frauen fast ausschließlich die unteren Stände die Erkrankung der Dementia paralytica trifft, in der schwächeren Gehirn- und Nervenorganisation, in den elenden, durch die harte tägliche Arbeit und schlechte Ernährung erschöpfenden Verhältnissen". Bei dem gesteigerten Kampf ums Dasein und dem vermehrten Mißbrauch von Kaffee und Spiritus nehme die Dementia paralytica auch bei den Frauen der unteren Stände erschreckend zu. Was den Krankheitsverlauf und die Symptome anbelange, so gebe es zwischen Männern und Frauen gewisse Unterschiede z.B. in Krankheitsdauer und Manifestationsalter. Die Inhalte des Größenwahns bei Frauen unterschieden sich ebenfalls von denen der Männer; es handele sich nie um hochfliegende Wahnideen, sondern eher um typische Lebensinhalte von Frauen wie Kleider, Schmuck, Essen, Kinder und Männer. Jung widerspricht aber der Ansicht Kornfelds, der behauptet habe, die klassische Form der Dementia paralytica komme nur bei Männern vor und das Pendant zur Paralyse der Männer sei die hysterische Geistesstörung der Frauen. Mit solchen Aussagen "tue Kornfeld den Tatsachen Gewalt an". In der anschließenden Diskussion weist Jastrowitz darauf hin, nach Beobachtungen von Jaspersen in Dänemark sei der Zusammenhang der Paralyse mit der Syphilis sicher festgestellt worden. Dies könne auch Jungs Beobachtung einigermaßen erklären, wonach der größere Teil der paralytischen Weiber aus der Klasse der "Puellae Publicae" oder von solchen Frauen stamme, die sich notorisch Exzessen hingäben. 88 4.3 Die klinische Beschreibung der Progressiven Paralyse in der Auseinandersetzung mit dem Primat der Pathologischen Anatomie (1872) Trotz des vielfach postulierten Primats der Pathologischen Anatomie für die Klärung der Systematik und der Pathologie der Geisteskrankheiten beschäftigen sich auch viele Arbeiten über die Progressive Paralyse mit ihrem klinischen Erscheinungsbild, um Anhaltspunkte für die Diagnosestellung und für eine klinisch begründete Systematik zu bekommen. Die Ergebnisse stehen teilweise im Gegensatz zu den Beobachtungen und Schlußfolgerungen der Pathologischen Anatomie. Bei einigen Autoren stehen dabei die spekulative Aspekte der Ätiologie und insbesondere psychische Ursachen im Vordergrund. 1872 bringt die AZP zwei Arbeiten über die Tabes dorsalis und ihr Verhältnis zur Progressiven Paralyse, die sich gegen die Identifizierung von Progressiver Paralyse und Tabes dorsalis aussprechen, wie sie von der Pathologischen Anatomie teilweise formuliert wird: Tigges verweist auf die Gefahr, mit Tabes dorsalis komplizierte Psychosen wegen der motorischen Symptome der Tabes vorschnell insgesamt als Dementia paralytica zu diagnostizieren, obwohl es sich eigentlich um eine andere Art der Psychose gehandelt habe (TIGGES W (1872)). Zur Diagnose der Dementia paralytica könne allein ihre Psychopathologie dienen: "Man muß ... daher den Nachweis von affektartigen Zuständen im charakteristischen Gewande des Blödsinns verlangen; mögen sich Größen-, hypochondrische oder andere melancholische Ideen zeigen, ferner der Nachweis, daß der Zustand in nicht allzu langer Zeit in bedeutende stets zunehmende Geisteskrankheit übergeht". Tigges läßt drei Fallbeschreibungen von mit Tabes verbundener Geistesstörung folgen. In allen drei Fällen seien die psychischen Störungen vom Verlauf der motorischen Symptome unabhängig gewesen. Es müßten die motorischen Störungen auf das Leiden des Rückenmarks bezogen werden; die Psychose hingegen sei ein Prozeß mit anderer anatomischer Grundlage, da "die Psychose einen von der Dementia paralytica durchaus verschiedenen Charakter hatte". Krafft-Ebing sieht die klinische Differenzierung eher als Ergänzung der Pathologischen Anatomie (KRAFFT-EBING R (1872)). Man müsse wohl zwei verschiedene Erscheinungsformen der psychischen Störungen im Verlauf der Tabes dorsalis unterscheiden. 89 "Wo die Tabes von vornherein von einem psychopathologischen Symptomenkomplex begleitet erscheint -z.B. bei den Fällen von Westphal , sind die Symptome und der pathologisch-anatomische Befund bisher mit dem der Dementia paralytica so übereinstimmend gewesen, daß man versucht wäre, die Affektion (Dementia tabica, Simon ) für eine Varietät der Paralyse der Irren zu halten ... Nicht so übereinstimmend sind Befunde und Symptome in den Fällen, wo die psychische Störung nach langem Verlauf zur Tabes hinzutritt, so daß wir eher an einer komplizierenden neuen Krankheit als an einem Fortschreiten des tabischen Prozesses auf das Gehirn festzuhalten haben". Dies gelte auch für die Fälle von Westphal, in denen die Dementia paralytica im Verlauf der Tabes hinzugetreten sei. Die Fortsetzung des tabischen Prozesses, so naheliegend sie auch sei, lasse sich bisher pathologisch-anatomisch nicht nachweisen. Krafft-Ebing führt zwei eigene Fälle an, bei denen die psychischen Symptome wesentlich nach dem Eintritt der motorischen aufgetreten seien. Sie klärten die Frage aber auch nicht. Es müßten "derartige Fälle zur Zeit noch eine klinische Sonderstellung gegenüber der Dementia paralytica einnehmen". 1875 berichtet Hoestermann über einige Fälle mit umgekehrtem zeitlichen Verlauf der Symptomatik. Er bezeichne sie als "Sekundäre Paralyse" (HOESTERMANN CE (1875)). Es handele sich dabei um eine Unterform der Progressiven Paralyse, bei denen sich zu einer schon jahrelang bestehenden Psychose später die Paralyse hinzugeselle. Sie scheine nur recht selten aufzutreten. In Wien habe Hoestermann selbst drei derartige Fälle unter insgesamt 160 Paralytikern beobachtet. Vom pathologisch-anatomischen Standpunkt interpretiert Hoestermann diese Fälle als Sonderform der eigentlichen Paralyse: "Es scheint gerechtfertigt ... für unsere Fälle wesentlich dieselben geweblichen Veränderungen des Zentralorgans anzunehmen, die in den typischen Fällen von Paralyse nach den zahlreichen Arbeiten dieselben Symptome hervorbringt. Nur in der Intensität des Prozesses scheint ein wesentlicher Unterschied, welche eine langsamere Entwicklung der Krankheit bedingt". Für die Diagnose vertritt er jedoch eine klinisch orientierte Sichtweise und möchte diese Fälle primär nur als Psychose bezeichnet wissen. Wenn sich dann die Paralyse hinzugeselle, gebe die Lebensgeschichte den Aufschluß, der vorher gefehlt habe. So müsse man die Paralyse als sekundär bezeichnen und in ihr eine prognostisch ungünstige Komplikation der Psychose sehen. Mit einem potentiellen Aspekt der Differentialdiagnose aus einer streng psychopathologischen Sichtweise befaßt sich Claus , als er vor dem Psychiatrischen Verein zu Berlin 1878 über "Halluzinationen bei der Dementia paralytica" vorträgt (CLAUS O (1879)). Halluzinationen gehörten zu den Elementarstörungen der Geisteskrankheiten, bei Paralytikern seien sie jedoch selten. Nur in einem der von ihm untersuchten Fälle seien bei 90 einem eindeutig paralytischen Patienten längerdauernde akustische Halluzinationen aufgetreten. Die anderen Gefühlsempfindungen habe Claus als reine Sensibilitätsstörungen von der Betrachtung ausgeschlossen; ebenso optische und akustische Halluzinationen, die sich als Illusionen erklären ließen. Daß auch in der klinischen Diagnostik die Ansichten weit auseinandergehen, zeigt Jung , der 1880 zu völlig anderen Ergebnissen als Claus kommt und schreibt, mehr als die Hälfte seiner Patientinnen hätten Halluzinationen gehabt (JUNG W (1880)). Deren Inhalte und diese seien eher unangenehm, widrig oder ängstigend gewesen. Allerdings faßt Jung den Begriff Halluzination -wie der von ihm synonym verwandte Begriff Sinnesstörungen zeigt- wesentlich weiter als Claus, da er nicht nach gesetzmäßigen psychopathologischen Gesichtspunkten einer systematischen Gliederung sucht. Auch Schrift und Sprache werden zur klinischen Diagnostik herangezogen; zwei Aspekte der menschlichen Seinsäußerung, die den anthropologischen Interessen vieler Anstaltspsychiater sicherlich sehr am Herzen liegen. Schüle rezensiert 1880 Erlenmeyers Abhandlung "Über die paralytische Schrift" (Schüle H (1880)). Die Schriftstörungen entwickelten sich analog den Störungen von Sprache oder allgemeiner Motilität. Zuerst leide die "psychische Funktion", es komme zum "psychomotorischen Defekt". Dem Silbenstolpern in der Sprache entspreche dabei die "dysgrammatische" Schrift, die durch Sinnfehler gestört sei, später entstehe dann infolge grobmotorischer Störungen die "ataktische Schrift mit Formfehlern". Schüle bezeichnet die Beschreibungen als zutreffend, kritisiert aber, daß Erlenmeyer in seiner Interpretation der Ergebnisse zu weit gehe. Er wolle anhand der Schriftstörungen nicht nur "organische" Rindenveränderungen von "zirkulatorischen" trennen, sondern versuche sogar "eine zuverlässige Unterscheidung zwischen gewöhnlichen und syphilitischen Paralysen zu gewinnen". Schüle warnt vor spekulativen Interpretationen durch die "zu weit gehenden Verwertung eines Einzelsymptomes", besonders zu differentialdiagnostischen Zwecken. 1885 berichtet Rabbas über Lesestörungen bei Progressiver Paralyse. Beim Vorlesen von vorgegebenen Texten zeigten Paralytiker, bei denen vorher eine Sehstörung ausgeschlossen worden sei, oftmals das Symptom einer "Paralexie": Sie ließen Wörter oder Silben aus oder ersetzten sie durch sinn-, klang- oder schriftverwandte. Zwar träten die Lesestörungen nicht bei allen Paralytikern auf und seien auch individuell sehr schwankend. Da aber Patienten mit anderen Geisteskrankheiten bei Kontrolluntersuchungen keine Lesestörung gezeigt hätten, könne diese, sofern sie auftrete, ein diagnostisches Kriterium der 91 Progressiven Paralyse sein (RABBAS G (1885)). Neben den Arbeiten, die sich mit klinischen Einzelaspekten vornehmlich zur Diagnosestellung befassen, finden sich auch weitergehende Betrachtungen, die das Gesamtbild der Progressiven Paralyse erklären wollen und die ebenfalls auf der Beobachtung von Einzelsymptomen fußen. 1880 beschäftigt sich Kroemer mit "Temperaturbeobachtungen bei paralytischen Geisteskranken" (KROEMER RM (1880)). Experimente Eulenburgs, Landois ' und Hitzigs hätten gezeigt, daß die Reizung der motorischen Zentren der Hirnrinde zu Gefäßverengung und damit zum Sinken der Körpertemperatur führe, vollkommene Zerstörung der Zentren hingegen zu Gefäßlähmung und Temperatursteigerung. Dadurch angeregt, habe er bei Geisteskranken die Körpertemperatur einer eingehenden Kontrolle unterworfen. Seine Darstellung beruhe auf insgesamt 11.000 Einzelmessungen bei 14 Männern und 2 Frauen, die inzwischen verstorben seien, und bei weiteren 11 Männern und 5 Frauen. Schon vom Symptomenbild der psychischen Störungen ließen sich die Patienten in drei Gruppen aufteilen. Jede Gruppe habe ihren typischen Temperaturverlauf. Eine Zuordnung von pathologisch-anatomischen Veränderungen zu den Gruppen nimmt Kroemer dann auch gleich vor. Die Patienten der ersten Gruppe zeichneten sich durch ein "gewaltig erhöhtes Selbstgefühl" aus. Wegen ihrer Agilität sei die Temperatur immer etwas höher, der Verlauf zeige große Tagesdifferenzen mit hohen steilen Spitzen und tiefen Abfällen in der Erschöpfung. Zugrunde lägen "intensive meningitische Prozesse". Die zweite Gruppe sei die der Melancholiker und der Hypochondriker. Die Temperatur liege mit geringen Tagesdifferenzen und Spitzen weit unter der Norm. Bei der dritten Gruppe schließlich liege eine reine progrediente Hirnatrophie vor, bei der die Temperatur entsprechend dem allmählichen Verfall immer weiter absinke, bis der Tod meist mit einem tiefen Absinken der Temperatur eintrete. Das vorherrschende Symptom sei ein apathischer Blödsinn. Allen drei Gruppen sei gemeinsam, daß sie pathologisch-anatomisch zur Atrophie führten, psychisch komme es zu absolutem geistigen Verfall. Überall im Körper machten sich Störungen bemerkbar, die von einem Nachlassen der vitalen Kraft, von einem Rückgang, von fortschreitender Seneszenz zeugten. Die Störungen sieht Kroemer jedoch als zentifugal entstanden an: "Die allgemeine Seneszenz aller Organe beruht auf den pathologischen Vorgängen des Gehirns und des Rückenmarks, welches überallhin seine Fühlfäden ausstreckt. Wenn seine Ernährung nicht mehr in hinreichender Weise erfolgt oder die Leitungsbahnen gestört sind, dann werden auch die Organe, wird auch die Gesamternährung zurückgehen". 92 So gäben die Temperaturstörungen Auskunft von den pathologischen Vorgängen im Gehirn. Kroemer hält dieses wohl weitgehend auf spekulativen Überlegungen beruhende Modell der Progressiven Paralyse auch für die Diagnosestellung geeignet. "Die Frage nun, ob aus den Temperaturkurven eine Psychose allein diagnostiziert werden könne, ist bisher allgemein verneint worden... Nach dem vorliegenden Material kann ich diesem absolut negierenden Urteil nicht beistimmen und behaupte, daß es wohl möglich ist, die vollständige Kurve eines an Dementia paralytica Leidenden von jeder anderen zu unterscheiden (und) aus ihr die Diagnose zu stellen". Auch Hitzig (KIRN L (1886A)) und Reinhard (KIRN L (1886B)) beschreiben charakteristische Temperatursenkungen bei der Progressiven Paralyse, ohne aber Kroemers Beobachtungen vollständig bestätigen zu können. Kornfeld und Bikeles aus Wien stellen 1893 den psychopathologischen Standpunkt vor die Pathologische Anatomie und beschäftigen sich mit dem Größenwahn bei der Progressiven Paralyse (KORNFELD S, BIKELES G (1893)). Beim Größenwahn handele es sich um "eine Störung in der Beurteilung der Korrelation". Es fehlten nicht die Begriffe, "das Tertium Komparationis", sondern bloß die Verbindung vorhandener Begriffe sei eine falsche. Wie Kraepelin sehen die Autoren im Größenwahn eine Ausfallerscheinung des Gehirns, bei der der Mangel an Kritik den Boden für die Größenphantasien schaffe. Somit lösen sie sich von den romantischen Vorstellungen der Überfunktion des Gehirns, wie sie noch Bayle, Meschede , Meynert u.a. vertreten hatten, die den Größenwahn aus der Hyperämie hervorgehen ließen. Das Gefühl des Wohlbehagens beim Größenwahn sei teilweise veranlaßt durch das Fernrücken vom Schauplatz des Lebenskampfes, habe jedoch nichts mit dem klinischen Bild der Manie gemeinsam. Die beiden Autoren verlangen ein wissenschaftliches Vorgehen der Psychopathologie. So wie die Physiker und die Chemiker sich erst auf fruchtbarem Boden bewegten, wenn sie die Wechselwirkungen der Elemente betrachteten, so werde die Psychiatrie produktiv forschen, "wenn sie die Kombination der Gedanken analysiert, die einem gewissen Wahn zugrunde liegen". Die Pathologische Anatomie spiele bei ihren Betrachtungen jedoch keine große Rolle: "Die Dienste der Anatomie für die Psychiatrie sind bis nun sehr geringfügig, als daß man sich ... an sie jedesmal um Aufklärung wenden dürfte". 93 4.4 Die Betonung einer multifaktoriellen Genese in der Auseinandersetzung mit der Syphilis-Ätiologie (1880) In den Ätiologievorstellungen der Anstaltspsychiatrie wird von vornherein eher von einer individuellen Genese als von einem direkten Zusammenhang eines ätiologischen Momentes mit einem Krankheitsbild ausgegangen. Dabei spielen Momente wie Erblichkeit oder Erschöpfung aufgrund eines moralisch oder körperlich ausschweifenden Lebens oder auch direkte traumatische Einwirkungen eine entscheidende Rolle. Diese Faktoren werden von jeher recht unterschiedslos für alle Krankheitsbilder angeschuldigt. Meist wird dabei von einer multifaktoriellen Genese ausgegangen in dem Sinne, daß in der Regel ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren vorliege. Die Syphilis als Ursache für die Progressive Paralyse unter vielen läßt sich in diese Vorstellung vergleichsweise problemlos integrieren. Erst als sich in der Diskussion die Bedeutung der Syphilis immer stärker gegenüber den anderen angeschuldigten Ursachen herauskristallisiere, wird es nötig, die Bedeutung dieser anderen Ursachen zu betonen, um die These von der multifaktoriellen Genese aufrechterhalten zu können. 1884 berichtet Snell auf der Versammlung der Irrenärzte Niedersachsens und Westfalens in Hannover über einen Fall von Dementia paralytica nach Bleivergiftung, wobei er die Bleivergiftung als Ursache und nicht als Differentialdiagnose der Dementia paralytica bezeichnet (SNELL O (1885)). Diese kasuistische Darstellung verdeutlicht die individuelle Zuordnung von Ätiologie, Klinik und Diagnose. Dabei faßt Snell den Begriff der Paralyse recht weit. Auf eine mikroskopische Untersuchung, die pathologisch-anatomische Methode der Wahl zur differentialdiagnostischen Abgrenzung der Paralyse verzichtet er auch folgerichtig. Im beschriebenen Fall sei es nach langjähriger Arbeit in einer bleiverarbeitenden Fabrik zu Lähmungserscheinungen, Gedächtnisstörungen und Blödsinn sowie zu einem blauschwarz belegten Zahnfleischrand gekommen, ohne daß sich allerdings eine "Spur von Wahnideen" gezeigt habe. Die makroskopischen Veränderungen, die sich bei der Sektion gefunden hätten, entsprächen "durchaus den Veränderungen, welche bei stärker entwickelter Dementia paralytica fast regelmäßig gefunden werden". Graf unternimmt 1885 einen Versuch, die verschiedene Ansätze einer multifaktoriellen Genese der Progressiven Paralyse in einer gemeinsamen Theorie zusammenzufassen, 94 sozusagen in der Hoffnung, einen Kompromiß für die deutlicher werdenden Gegensätze der verschiedenen Lager zu finden, der eine allgemein anerkannte Auffassung über die Entstehung der Geisteskrankheiten in immer weitere Ferne rücken läßt (KIRN L (1887C)). Er schreibt, die Paralyse sei eine Krankheit der erschöpften Nervenkraft, zu der durch Erblichkeit invalide Personen eher neigten. Andere Ursachen könnten Exzesse geschlechtlicher und alkoholischer Art sowie Syphilis sein, meistens wirkten aber mehrere Ursachen zusammen. Heredität und Syphilis müßten als die wichtigsten prädisponierenden Ursachen der Progressiven Paralyse betrachtet werden. Besonders deutlich wird der multifaktorielle Ansatz in vielen Klinikstatistiken, in denen eine Reihe von ätiologischen Momenten einfach kritiklos nebeneinandergestellt werden und ihre Berechtigung dadurch stillschweigend vorausgesetzt wird. 1885 berichtet Reinhard in der AZP seine Ätiologievorstellungen zur Dementia paralytica auf der Basis der Statistik der Hamburger Klinik Friedrichsberg (REINHARD C (1885)). Der Frage nach der Bedeutung der Syphilis konstatiert er ein ständig wachsendes Interesse. Man habe auf verschiedenen Wegen versucht, einen Zusammenhang zwischen Syphilis und Dementia paralytica zu belegen, sei er nun direkt oder bestehe er nur in einer Prädisposition. Der klinische und der pathologisch-anatomische Weg hätten jedoch nicht weit geführt, da die typischen Merkmale der Dementia paralytica "zu unbestimmt und inkonstant" seien. Die Statistik schließlich führe zu interessanten Ergebnissen, aber nicht zum Aufschluß über Zusammenhänge. Reinhard selbst will untersuchen, ob sich eine Parallelentwicklung im Auftreten von Syphilis und Progressiver Paralyse in der Statistik zeigen lasse. Tatsächlich sei bei den Paralytikern eine konstante jährliche Zunahme von 1/4.600 Einwohner Hamburgs auf 1/2.750 im Zeitraum von 1875 bis 1883 zu verzeichnen. Hingegen sei eine Zunahme der Syphilis für Hamburg innerhalb dieser Jahre in Abrede zu stellen. Der Anteil der syphilitischen Männer im Allgemeinen Krankenhaus betrage konstant 7%, ein Drittel von ihnen sei sekundär syphilitisch erkrankt. So kommt Reinhard zu dem Schluß, eine gewisse ätiologische Bedeutung sei der Syphilis auch nach seinen Untersuchungen nicht abzustreiten, "allein meine Resultate sprechen auf der anderen Seite auch ebenso deutlich gegen die extreme Ansicht ..., als sei die Paralyse gewissermaßen nur als eine der Erscheinungsformen der Syphilis anzusehen oder stets durch letztere veranlaßt". Vielmehr geht er von einer multifaktoriellen Genese aus. Als die wichtigste Ursache der Progressiven Paralyse sieht Reinhard das 95 "Hasten und Treiben der Großstadt mit der Steigerung der Ansprüche auf den Einzelnen im Kampf ums Dasein". Daher würden auch die Landbewohner so viel seltener paralytisch. An zweiter Stelle komme die Trunksucht und erst an dritter die Syphilis. Andere ätiologische Momente seien Vererbung in 18,7 bzw. 24,5% und Trunksucht in 30% nur bei Männern sowie Kopfverletzungen, Überhitzung oder Tabakgenuß. Als Beleg für die multifaktorielle Genese führt Reinhard auch die Prostituierten an. Neben einer erblichen Belastung und einer wohl immer anzunehmenden syphilitischen Infektion sei ihr Lebenswandel durch das Übermaß im Geschlechtsleben, Alkohol, ständige Erschöpfung und den Kampf ums Dasein ein derartiger, "wie er nicht schädlicher für das Zentralnervensystem gedacht werden kann... Gerade diese Klasse von Individuen kann daher vielmehr als Beweis dafür hingestellt werden, daß die Paralyse höchstwahrscheinlich nicht einer einzigen Ursache, sondern immer einer Verkettung verschiedener Ursachen ihre Entstehung verdankt". Ab 1893 folgt eine Reihe von Statistiken, in denen die Syphilis inzwischen zwar als Mitursache der Progressiven Paralyse anerkannt ist, die multifaktorielle Genese aber besonders betont wird. 1893 schreibt Oebeke in der AZP über die Ätiologie der allgemeinen Progressiven Paralyse (OEBEKE B (1893)). Er räumt ein, es sei ein Resultat der vorangegangenen Jahrzehnte, daß eine bestimmte Einwirkung der Syphilis auf das Zentralnervensystem eintrete, welche eine späte Entwicklung der Allgemeinen Paralyse erleichtere oder daß gar die Paralyse eine Nach- oder eine Spätkrankheit der Syphilis sei. Bei 100 Fällen von Allgemeiner Paralyse aus der Klinik Endenich habe Oebeke bei 53 mit Bestimmtheit eine Syphilisinfektion nachgewiesen. Unter den 47 nicht infizierten Patienten findet Oebeke jedoch wiederum Erblichkeit, Überanstrengung, Exzesse und Alkohol als Ursachen. Zumindest in den Fällen erblicher Teilbelastung hätten die Gehirnstrapazen in der Gruppe der nichtsyphilitischen Patienten aber den gleichen Stellenwert wie die Syphilis in der anderen. "Wir finden neben solchen (Fällen), in denen nur Syphilis allein als schädlicher Faktor in der Vorgeschichte, also bei einem bis dahin rüstigen Gehirn hervortritt, andere mit einem mehr oder weniger widerstandsfähigen Gehirn, bei welchem einesteils gleichsam innerliche, rein persönliche Verhältnisse sich nachteilig geltend machen, und andererseits solche, welche durch äußerliche im Leben hinzugetretene schädliche Einwirkungen bedingt werden, und schließlich eine Anzahl, bei welcher diese Gruppen nebeneinander ursächlich vertreten sind". Oebeke behält also seine Ansicht von der multifaktoriellen Genese der Progressiven 96 Paralyse bei, wobei er der Syphilis einen etwa gleichen Stellenwert wie den anderen Faktoren einräumt. 1894 betrachtet Oebeke noch einmal die 100 Patienten mit Progressiver Paralyse aus seiner letzten Untersuchung (OEBEKE B (1894B)), diesmal unter dem Blickwinkel der Pupillenstörungen und weiterer denkbarer Unterscheidungsmerkmale wie Lähmungen von Hirnnerven, Temperaturverlauf, Art der hauptsächlichen psychischen Veränderungen, Krankheitsdauer und Häufigkeit von Remissionen. Dabei vergleicht er die beiden Gruppen mit bzw. ohne syphilitische Vorerkrankung in der Anamnese auf klinische differentialdiagnostische Kriterien. Oebeke formuliert selbst keine Schlußfolgerungen aus seinen Ergebnissen, hofft aber, klinische Anhaltspunkte für die Unterteilung der bisherigen großen Gruppe der sogenannten fortschreitenden Paralyse geliefert zu haben, in die dann Zusammenhänge zwischen Klinik, Pathologischer Anatomie und Ätiologie eingehen würden. 1893 beginnt die AZP auch mit der Veröffentlichung einer Reihe von Artikeln, die Kaes auf der Basis von 1412 Krankengeschichten der Jahre 1870 - 1889 der Hamburger Klinik Friedrichsberg über die Progressive Paralyse verfaßt hat (KAES T (1893)). Kaes' Überlegungen zur Ätiologie decken sich weitgehend mit denen von Reinhard: "Die hochgradige ätiologisch Bedeutung der psychischen Ursachen wird so einstimmig anerkannt, daß ich nicht benötige, darüber ein weiteres Wort zu verlieren". In der Reihenfolge der ätiologischen Faktoren sieht Kaes "abgesehen von den psychischen Momenten als wichtigstes" die Trunksucht mit 18,7% an erster Stelle, an nächster Stelle die Erblichkeit mit 18,5%. Er faßt dabei wiederum den Begriff der Erblichkeit sehr weit. An dritter Stelle folge die Syphilis mit 17%. Die übrigen Schädlichkeiten wie Traumen, Vergiftungen und andere somatische Erkrankungen könnten nur eine untergeordnete Rolle beanspruchen. Am Schluß seiner ersten Betrachtung bezeichnet Kaes die Ergebnisse als noch ungenügend und befürwortet eine Sammelforschung der großen Staatsanstalten und der zahlreichen Privatirrenanstalten, Kliniken und kleineren Staatsanstalten. 1895 und 1897 setzt Kaes mit insgesamt vier Beiträgen seine statistischen Betrachtungen über die Progressive Paralyse in Friedrichsberg fort. So betrachtet er Verlauf, Dauer und Ausgang der Paralyse, Sektionsbefunde an inneren Organen von Paralytikern (KAES T (1895A)), Beeinträchtigungen der Sinnesorgane und weitere neurologische Ausfallserscheinungen (KAES T (1895B)), makroskopische Veränderungen des Zentralnervensystems (KAES T (1895C)) sowie Anomalien der psychischen Funktionen (KAES T (1897)). In diesen 97 Betrachtungen, die sich insgesamt über 260 Seiten erstrecken, erstellt Kaes einen Wust von Zahlen und Durchschnittswerten für einzelne Untergruppen, die er nach klinischem Erscheinungsbild und nach vermuteter Ätiologie gebildet hat. Weiterreichende Schlußfolgerungen aus den Zahlen zieht Kaes nicht und beharrt damit auf dem Standpunkt der multifaktoriellen Genese. Wie Oebeke und andere will er nur einen Anteil an einer großangelegten Materialsammlung liefern. Die vermeintliche Objektivität der reinen Anhäufung von Zahlen führt zu keinem Ergebnis, da keine neuen, sondern nur längst bekannte Fragestellungen bearbeitet werden. Der Versuch, einzelnen vermuteten Ätiologien spezifische Symptome und Krankheitsverläufe zuzuordnen, muß zwangsläufig mißlingen, da es mit der Syphilis nur eine Ätiologie gibt. Hinzu kommt die willkürliche Art der Erhebung und z.B. der großzügige Umgang mit dem Begriff der Erblichkeit. Symptomatisch für das Vorgehen ist Kaes' Satz: "Betrachten wir nun das Schlußergebnis unserer fünf Tabellen, so werden wir uns darüber keiner Täuschung hingeben, daß das Gesamtergebnis ... keine überaus große Gewähr für die Darstellung eines richtigen Bildes ergeben kann". 1889 betont Greppin vor der medizinischen Gesellschaft zu Basel im Rahmen der multifaktoriellen Genese ein weiteres Mal die Sonderrolle der Frauen, denen er mit dem Klimakterium einen eigenen Risikofaktor für die Progressive Paralyse attestiert (GREPPIN L (1890)). So kommt Greppin zu dem Ergebnis, "daß das klimakterische Alter als ein wichtiges ätiologisches Moment auch in unseren Fällen aufzufassen ist... Indem nämlich 16 unserer Patientinnen gerade im Klimakterium sich befanden, als sie erkrankten als auch die Symptome der Paralyse ... Hand in Hand mit den sich einstellenden Menstruationsanomalien einhergingen, kann von einem zufälligen Zusammentreffen beider Prozesse kaum die Rede sein". Als weitere ätiologische Momente bezeichnet er geistige oder körperliche Überanstrengung und Erblichkeit; weiterhin Hitze und in seltenen Fällen auch Lues. Noch 1909 bezeichnet Weygandt die These der Syphilis-Ätiologie als Konditio sine qua non der Paralyse als Modeerscheinung. Um die Patienten solchem Denken nicht auszusetzen, möchte er einen Einfluß des Traumas auf die Progressive Paralyse nicht ausschließen (MATUSCH F (1910A)). Das Trauma behauptet sich besonders lange in der Diskussion um die Ursachen der Paralyse, wohl auch aufgrund seiner besonderen Bedeutung für die Patienten aus versicherungsrechtlichen Gründen. 1908 bejaht Kramer als Sachverständiger den ursächlichen Zusammenhang einer schnell verlaufenden Paralyse mit einem Unfall 98 (MATUSCH F (1908A)), und noch 1910 schreibt Gerlach , es sei zwar nur ausnahmsweise der Fall, daß ein Trauma bei einem Disponierten oder bereits paralytisch Erkrankten auslösend oder verschlimmernd wirke. Bezüglich einer Unfallrente reiche aber bereits der Nachweis einer ins Gewicht fallenden mitwirkenden Ursache aus. Dabei seien das elektrische, das somatische und das psychische Trauma als Verletzungsarten nachgewiesen und anerkannt (GERLACH F (1910)). 99 4.5 Die Zivilisation als zusätzlicher Faktor neben der Syphilis (1880) Ein häufiges Argument für die Bedeutung der psychischen Ursachen in der Ätiologie der Progressiven Paralyse ist die Annahme, die Zahl von Erkrankungen nehme aufgrund der ständig steigenden Belastungen der modernen Zivilisation mit der Zeit immer weiter zu. Damit erweise sich die Progressive Paralyse als Zivilisationskrankheit. In einem Ansatz, der die psychischen Ursachen mit vitalistischen Vorstellungen von einem immateriellen Krankheitsdämon vermischt, erklärt Wille 1881 die Progressive Paralyse als eine Erscheinungsform psychischer Krankheiten, die typisch für das 19. Jahrhundert sei, aber keine eigentlich neue psychische Krankheitsform darstelle (RIPPING LH (1882)). Der Zusammenhang zwischen den Lebensäußerungen der Paralytiker und den Äußerungen der Zivilisation entstehe durch "Keime", die in den Lebensverhältnissen der Gegenwart enthalten seien. Diese Keime schwächten das Nervensystem und fügten psychischen Krankheitsprozessen, die sonst nur als einfache Psychosen verlaufen wären, den schwereren Charakter der Paralyse hinzu. 1888 berichtet auch Snell über die "zunehmende Häufigkeit der Dementia paralytica" (SNELL O (1888)). Es sei sehr zweifelhaft, ob die oft gehörte Klage begründet sei, das 19. Jahrhundert leide unter einer steten Zunahme der Geisteskranken. Der rasch und stetig wachsende Zudrang zu den Irrenanstalten beruhe wohl eher auf einem gewachsenen Zutrauen in die verbesserte Krankenpflege und auf der "Verfeinerung des Gefühls für das Unangenehme, welches die Verpflegung eines Geisteskranken in der eigenen Familie mit sich bringt und für das Unrecht, ihn ohne Pflege zu lassen". "Dagegen scheint eine besondere Form von Erkrankungen des nervösen Zentralorgans unzweifelhaft an Häufigkeit zuzunehmen... Es ist dies die verderblichste von allen, die Progressive Paralyse". Snells Untersuchungen in der Hildesheimer Klinik zeigten trotz gewisser Veränderungen in der Struktur der Klinik, die die Statistik erschwerten, "daß die Häufigkeit der Paralyse in Hannover während der letzten 30 Jahre zugenommen habe". Zu ähnlichen Aussage kämen auch Lunier, Hack Tuke und Reinhard. Andere verzeichneten aber auch einen Rückgang der Progressiven Paralyse. Clouston aus Edinburgh gehe so weit, dies zu bedauern, da die Zunahme der Paralyse ein Zeichen für günstige soziale Verhältnisse sei. Krafft-Ebing vertritt ebenfalls, trotz der Anerkennung der Syphilis als einer wichtigen Ursache der Progressiven Paralyse, die Meinung von der Progressiven Paralyse als Zivi- 100 lisationskrankheit. 1893 schreibt er in einem Beitrag zur Differentialdiagnose von Dementia paralytica und Neurasthenie, beide Erkrankungen seien Krankheiten der modernen Zivilisation. Zwar ähnelten sie sich sehr, aber nur in Fällen von vorheriger Gefäßschädigung durch Rachitis, Alkohol oder Lues könne sich aus einer Neurasthenie eine Paralyse entwickeln (KIRN L (1894)). Sieht Krafft-Ebing hier die Syphilis nur als einen Faktor unter vielen, so räumt er ihr 1894 das ihr "gebührende ätiologische Recht" bei der Progressiven Paralyse ein. Sie mache ihren deletären Einfluß aber nur in Konkurrenz mit anderen Schädlichkeiten deutlich (KIRN L (1895B)). Später bezeichnet es Krafft-Ebing als übereinstimmende Erfahrung der Irrenärzte, daß die Progressive Paralyse in allen Kulturstaaten stetig zunehme. Dies sei bei allen Hirnund Nervenkrankheiten der Fall und eine Teilerscheinung der "neurotischen Deterioriation in den Massen des Volkes" aufgrund von Überarbeitung und übermäßigem Genuß von Reizmitteln (KIRN L (1895C)). Dazu gehörten Deterioriation breiter Bevölkerungsschichten, Vernichtung des Kleingewerbes, Niedergang der Landwirtschaft, zunehmende Genußsucht und Verbrauch von Genußmitteln, aufregende Teilnahme am politischen Leben und die Zunahme der Beteiligung der Frauen am sozialen Leben (KIRN L (1896B)). Allerdings stellt Krafft-Ebing diese hypothetische Deterioriation auf die konkrete Grundlage der Syphilis. Aufgrund der Bedeutung der Syphilis in der Ätiologie der Paralyse trage zu deren Anwachsen alles bei, "was hinsichtlich sozialer Einrichtungen und Bedingungen der Entstehung der Syphilis fördert" (KIRN L (1895C)). Auch nach der Einführung der Wassermann Reaktion in die Diagnostik der Progressiven Paralyse und der damit weiter wachsenden Sicherheit ihrer syphilitischen Genese geht die Suche nach zusätzlichen Faktoren weiter. Diese Faktoren werden weiterhin in den bekannten Elementen einer multifaktoriellen Genese gesucht, nur eben nicht mehr als potentiell selbständiges Agens, sondern als allerdings obligates auslösendes Element. Delbrück postuliert 1907 das notwendige Zusammentreffen von Syphilis und Alkohol (MATUSCH F (1908B)), Ziemann das Zusammenwirken von Syphilis und Kampf ums Dasein (MATUSCH F (1908C)). Sehr deutlich formuliert Kraepelin 1908 auf der Versammlung Bayrischer Irrenärzte in einem Vortrag "zur Entartungsfrage" in diesem Zusammenhang den Kulturpessimismus des beginnenden 20. Jahrhunderts. An der allgemeinen Zunahme der Geisteskranken, deren Abhängigkeit von zivilisatorischen Faktoren er bei seinen Untersuchungen auf Java exemplarisch aus der dortigen Seltenheit der Progressiven Paralyse ableite, zeigten sich die fatalen Folgen der "Domestikation" des Menschen im modernen Kulturleben (KRAEPELIN E (1908)). 101 Diese Folgen sieht Kraepelin ganz aus dem Blickwinkel der Romantik: Das Kulturleben raube den Menschen die Freiheit "durch die Ketten tausendfacher Pflichten,... trenne uns los aus unserem Verhältnis zur Natur" und zwinge zur "den Naturmenschen ganz fremden Berufsarbeit". Die "einseitige Züchtung geistiger Eigenschaften" führe zur Abschwächung der natürlichen Triebe und vernachlässige "die Übung der wichtigsten Waffe für den Lebenskampf, des tatkräftigen Willens". Die Domestikation dürfe möglicherweise mit "zur Erklärung der befremdenden Tatsache herangezogen werden, daß die Kulturvölker in so starkem Maße den metasyphilitischen Erkrankungen unterliegen". Diese Fragen seien "für unser Dasein als Volk von allerhöchster Wichtigkeit". In einem großangelegten Forschungsprojekt von Ärzten und Statistikern müsse untersucht werden, "wohin wir steuern, ob in unserem Volke die entartenden oder die erhaltenden und fortentwickelnden Kräfte die Oberhand haben". Es sei an den Psychiatern, Volk und Regierungen auf die Gefahren hinzuweisen und ihnen den Weg zu zeigen, der zur "Gesundheit unserer Rasse beschritten werden müsse". Als ursächlichen Faktor der Paralyse bezeichnet Kraepelin zwar die Syphilis, allerdings sieht er aus einer sozialdarwinistischen Sichtweise deren Auswirkungen noch viel weiter reichen: Das Schlimme an der Syphilis sei die Keimschädigung, auf deren Zunahme Kraepelin die Zunahme der Schwachsinnigen, Epileptiker, Psychopathen, Prostituierten und Landstreicher als Nachkommen minderwertiger Eltern zurückführt. Dabei sei eine traurige Nebenwirkung der sozialen Fürsorge, daß sie der natürliche Selbstreinigung des Volkes entgegenwirke. In der Diskussion widerspricht Weygandt Kraepelins Ausführungen und sagt, bei der Abwägung der Bedeutung des Faktors der toxischen Einflüsse und der durch die Kultur bedingten Überanstrengung des Körpers und des Geistes überwiege zweifellos die erste. Gerade unter Personen, die sich extrem anstrengten oder sexuell ausschweiften, bleibe ein großer Teil gesund, offenbar durch Freibleiben von Giften (KRAEPELIN E (1909)). In einem regelrechten Tourismus auf den Spuren der sozialen Ursachen der Progressiven Paralyse steht Kraepelins Reise nach Java nicht allein. 1908 führt Heim die Seltenheit der Paralyse in Ägypten auf das Fehlen von Alkoholismus, geistiger Anstrengung und erblicher Belastung zurück. Selbst syphilitische Europäer würden in Ägypten besser geheilt als in Europa (MATUSCH F (1909B)). 1910 schildert Rüdin die Ergebnisse einer siebenwöchigen Reise nach Algier (RÜDIN E (1910)). Sei er zwar auch der Ansicht, daß die Syphilis eine "Konditio sine qua non" der 102 Paralyse sei, so interessiere ihn dennoch, welche Momente hinzutreten müßten, um aus dem lediglich Syphilitischen einen Paralytischen zu machen. Gälte in Algier der gleiche Satz von 1 - 3% Paralytikern unter den Syphilitikern wie in Europa, so müßten dort bei einem Anteil der Syphilis in der Bevölkerung von bis zu 60% etwa 120 Paralytiker anzutreffen sein. Gefunden habe Rüdin aber nur zwei paralytische Eingeborene. Hingegen gebe es viele Paralytiker unter den in Algier ansässigen Europäern und Juden. Worin sei nun das seltene Vorkommen der Paralyse trotz häufiger Syphilis bei den Eingeborenen zu erklären? Schon für viele Völker sei, wenn auch durch nicht immer kompetente Beobachter, ein ähnliches Verhältnis wie in Algier festgestellt worden. Auch aus dem europäischen Mittelalter fehlten Berichte über die Progressive Paralyse. Hingegen werde in Japan und bei den nordamerikanischen Negern derzeit mit dem Kontakt mit der übrigen Welt ein Zuwachs der Paralyse berichtet. "Soviel dürfte unbestreitbar aus den vergleichenden Untersuchungen ... hervorgehen, daß jener Faktor oder jene Faktoren in dem, was wir Kultur oder Zivilisation nennen, enthalten sein müssen". Auch bei Rüdin wird eine Mischung aus sozialdarwinistischen Thesen und Kulturpessimismus deutlich: Neben dem Alkohol sei einer der Faktoren die "schädliche selektorische Komponente der Domestikation des Kulturmenschen... Nervöse und geistige und mit ihnen verknüpfte körperlich vererbbare Defekte aller Art, die in den hohen Kulturen geschützt werden und zur Vererbung gelangen, werden bei den Naturvölkern oder in primitiven Kulturen schnell ausgemerzt, weil für sie keine Verwendung und besonders in jungen Jahren kein Schutz besteht. Sie sterben ab durch natürliche und sexuelle Ausmerze, werden überwuchert, erdrückt vom breiten fruchtbaren Strom des gesunden Lebens. Die Hekatomben der ausgemerzten, an die harten Daseinsbedingungen unangepaßten Menschen werden immer wieder ersetzt durch eine enorme Geburtenproduktion". Auch über den historischen Rückblick wird versucht, die Zunahme der Progressiven Paralyse und damit ihre Abhängigkeit von der sozialen Situation zu belegen. Mönkemöller stellt 1911 nach der Durchsicht der Literatur der vergangenen Jahrhunderte fest, daß die Progressive Paralyse erst seit dem 18. Jahrhundert in Erscheinung trete, und kommt zu dem Schluß, das Anwachsen der Paralyse sei auf die Zivilisation mit ihren neuen und stärkeren Ansprüchen an das Individuum zurückzuführen (MATUSCH F (1912B)). Kirchhoff kommt hingegen zu einer anderen Darstellung. In einer Betrachtung der Progressiven Paralyse vom "historisch-kritischen Standpunkt" aus untersucht er 1911, ob die 103 Paralyse eine moderne Krankheit sei, also im Verlauf der letzten Jahrhunderte zugenommen habe (KIRCHHOFF T (1911)). Dabei relativiert er die Aussage einer Zunahme der Progressiven Paralyse mit dem Hinweis, daß die fehlenden Beschreibungen vielleicht nur auf einer fehlenden Zusammenführung des paralytischen Symptomenkomplexes beruhten. Die alten Ärzte des Altertums hätten die einzelnen Symptome der Paralyse -besonders die psychischen- deutlich beschrieben, es sei ihnen aber das einheitliche Krankheitsbild entgangen. Auch das Beispiel der Geschichte der Irrenanstalt Schleswig deute in diese Richtung. Ihr erster Leiter Peter Willers Jessen habe bereits in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts Fälle von Dementia paralytica beschrieben, sie aber nicht als solche erkannt. Die Zunahme der Aufnahmen von Paralytikern in Schleswig zwischen 1845 und 1909 um das Dreifache sei sowohl auf ein reales Anwachsen der Zahlen als auch auf das Wachsen der ärztlichen Erkenntnis zurückzuführen. Kirchhoff geht im Gegensatz zu Ivan Bloch davon aus, daß es auch im Altertum schon Syphilis in der Alten Welt gegeben habe. Unter der Voraussetzung der inzwischen gewonnenen Erkenntnis, daß der Satz: Ohne Syphilis keine Paralyse als Dogma zu gelten habe, ist für ihn "das Vorkommen der Paralyse im Altertum wohl wahrscheinlich, aber nicht objektiv gesichert". Am weitesten in der Interpretation der Kulturabhängigkeit geht wohl Westhoff , der die Progressive Paralyse als eine "Rassekrankheit" bezeichnet, denn sie befalle bevorzugt die anthropologisch hochstehende und daher besonders krankheitsempfindliche germanische Rasse und mit ihr vermischte Rassen (PFÖRRINGER O (1913C)) . 104 4.6 Degenerationstheorien im Gegensatz zur Syphilis – Ätiologie (1898) In der Zeit, als die Bedeutung der Syphilis als eine der herausragenden Ursachen der progressiven Paralyse bereits anerkannt ist, formuliert Peter Näcke aus Hubertusburg bei Leipzig 1898 eine explizite Gegenthese zur Syphilistheorie. Die obligate Ursache der Progressiven Paralyse sei eine degenerative Erbanlage, während der Syphilis nur eine zweitrangige Bedeutung zukomme. In einer groß angelegten Arbeit, die allein 324 Literaturhinweise verarbeitet, befaßt er sich mit der Paralyse unter dem Aspekt der sogenannten "Degenerationszeichen" (NÄCKE P (1898)). Habe man bisher geglaubt, die Erblichkeit spiele bei der Paralyse im Gegensatz zu den sogenannten funktionellen Psychosen nur eine geringe Rolle, so zeigten seine Untersuchungen, daß die Paralyse "nur selten auf ein vorher gesundes, rüstiges Gehirn treffe". Um dies zu erweisen, vergleicht Näcke die Erblichkeitsverhältnisse bei 100 Paralytikern und bei 80 Pflegern und anderen Bediensteten als Vergleichsgruppe. Vererbt würden nicht die geistigen Eigenschaften als solche, sondern nur deren Grundlage in Form noch unbekannter feiner anatomischer und chemischer Vorgänge. Die Degenerationszeichen seien als Hinweis für Störungen in diesen Vorgängen zu sehen. Neben der reinen Erblichkeit könnten chronische Krankheiten sowie intrauterine und perinatal erworbene Schädigungen für solche Störungen verantwortlich sein. Hinweise für vererbte Schädigungen seien Geistes- und Nervenkrankheiten, Charakterstörungen, Schlaganfälle, Selbstmorde und Alkoholismus der Eltern und Großeltern. Belastet in diesem Sinne zeigten sich bei strengster Sondierung 37% der Patienten, allein die Hälfte beruhe auf Psychosen. Rechne man -mehr oder willkürlich- noch 10 - 15% hinzu, so komme man wie bei anderen Psychosen auf etwa 45%. Allerdings zeige die Vergleichsgruppe ebenfalls mindestens in 25% eine erbliche Veranlagung. Neben dieser obligaten erblichen Anlage gebe es noch die Gelegenheitsursachen als zusätzliche Faktoren. An erster Stelle stehe hier die Lues. 43% der Paralytiker seien wahrscheinlich infiziert. Die Häufigkeit der Lues und die Seltenheit der Paralyse in den Ländern des Orients und die vielen Fälle von Syphilis, bei denen es nicht zur Paralyse komme als auch das Fehlen von Syphilis in vielen Fällen von Paralyse sprächen gegen eine direkte Verursachung. Alkoholismus, Gemütsbewegungen und Nahrungssorgen seien weitere Gelegenheitsursachen für Paralyse. Ausschlaggebend seien aber nicht die Ge- 105 legenheitsursachen, sondern die "Degeneration". "Wenn nun auch ... die verschiedenen Gelegenheitsursachen für die Paralyse fast ubiquitär sind, so ist es doch nicht ihre Häufigkeit, Stärke und Dauer... Völker mit raffinierter Kultur tragen mehr den Keim der Degeneration und des Zerfalls in sich... Dann brauchen die Gelegenheitsursachen zur Einwirkung natürlich eine viel geringere Stärke und Dauer". Zusammengefaßt bilden Näckes Vorstellungen zur Ätiologie der Progressiven Paralyse eine Kombination aller bisher vertretenen Meinungen: "Eine bestimmte meist angeborene anatomische funktionelle Hirnkonstitution ..., ferner Heredität ... bereiten den Boden vor, der noch mehr durch Syphilis geschwächt wird, so daß nach irgendeiner Gelegenheitsursache, ... besonders gern aber nach Gemütsbewegungen, das Bild der sogenannten Paralyse zum Ausbruch kommt. Die besondere Hirnkonstitution scheint aber die "Konditio sine qua non" zu sein". Daraufhin befaßt sich Näcke mit der Frage, ob sich die postulierte Minderwertigkeit der Paralytiker anhand der sogenannten Degenerationszeichen nachweisen lasse. Entartungszeichen seien seltenere Varietäten des Körperbaus ohne Funktionsbeeinträchtigung, die nicht durch grobe pathologische Veränderungen bewirkt seien. Jedes Milieu, wozu Rasse, Boden, Klima, Fauna, Kultur und auch Eigentumsverhältnisse gehörten, bedinge eine ganz bestimmte Variationsbreite. Die Degenerationszeichen begännen allerdings erst jenseits der Variationsbreite. Bei Degeneration bestehe eine verminderte Widerstandsfähigkeit mit der großen Gefahr der Übertragung auf die Nachkommen in anderer und stärkerer Form. Die Häufung der Degenerationszeichen sei als Hinweis auf eine allgemeine Minderwertigkeit zu verstehen. Bei seinen Untersuchungen betrachtet Näcke eine Vielzahl von Degenerationszeichen bei den Paralytikern und der Vergleichsgruppe. Am Schädel habe er Zeichen wie Asymmetrie, hintere Depression, Makro- oder Mikrozephalie, sehr dichtes oder krauses Haar und das Vorkommen weit außenliegender Wirbel oder mehrerer Wirbel untersucht. Dabei wiesen die Paralytiker 1,6 Zeichen pro Kopf auf, die "Normalen" nur 0,75. Ähnlich seien die Verhältnisse bei den Gesichtern, und auch an Händen, Füßen, Augen und am Rumpf zeigten sich Unterschiede zu Ungunsten der Kranken. An Stirn, Ohren und Mund dagegen sei die Zahl der Abnormitäten etwa gleich groß. Insgesamt zeige sich ein allerdings nicht sehr großes Überwiegen der Stigmata bei den Paralytikern. So meint Näcke nachgewiesen zu haben, daß sich "der Paralytiker in der Tat in den meisten Fällen `ab ovo' von den sogenannten Normalen abhebt". Trotz der intensiven Beschäftigung mit der Degenerationslehre lehnt Näcke immerhin 106 die Thesen einiger ihrer Hauptprotagonisten wie z.B. Lombroso deutlich ab. "Die zunehmende Degeneration der Menschheit ist ... noch lange nicht bewiesen". Der Grund für die stetige Zunahme der Progressiven Paralyse sei vielmehr die Kultur mit ihren sozialen Veränderungen, besonders in den Städten, wo der erbarmungslose Lebenskampf am schlimmsten wüte. Dort brächen viele zusammen, weil ihre psychischen, physischen und moralischen Qualitäten sich als unzureichend erwiesen und sie nicht mehr fähig seien für den Kampf ums nackte Leben. Pilcz weist 1899 Näckes Ansichten über die Degenerationszeichen bei Paralytikern zurück. Er habe in Wien Paralytiker bezüglich verschiedener "Degenerationszeichen" wie z.B. Tätowierungen untersucht und bei den Paralytikern einen wesentlich geringeren Anteil solcher Zeichen als bei "Degenerierten" gefunden. Dies erkläre er damit, daß bei Degenerierten die Hauptursache für die Paralyse, nämlich geistige Überanstrengung, meist fortfalle (SCHLÜTER R (1899)) . 1900 folgt ein zweiter Beitrag Näckes, in dem er sich gegen den pathologisch-anatomischen Anspruch ausspricht, Gesetzmäßigkeiten im Ablauf von Krankheiten zu finden und stattdessen jedem Patienten sein individuelles Krankheitsbild je nach seinen sozialen und ererbten Voraussetzungen zuspricht, wobei er gleichzeitig die Entität der Progressiven Paralyse in Frage stellt. Anhand der Gehirnbefunde männlicher Paralytiker wolle er darstellen, wie häufig Gehirnbefunde bei der Paralyse makroskopisch weitgehend oder sogar vollständig normal seien (NÄCKE P (1900)). Es zeige sich, "daß es kein einziges pathognomonisches makroskopisches Zeichen am Gehirn des Paralytikers gibt, wahrscheinlich auch kein mikroskopisches". Vielmehr würden die pathologisch-anatomischen Befunde wie auch die klinischen Symptome von Anstalt zu Anstalt je nach Rassenmischung, Stadt und Land, Industrie und Landwirtschaft schwanken. Wenn es überhaupt eine Paralyse geben sollte, so sei ihre Erscheinungsform in jedem Belang von Ort zu Ort verschieden. 1901 geht Ris auf Näckes Kritik an seiner Bewertung der Gefäßveränderungen bei Progressiver Paralyse ein. Er bleibe dabei, daß entzündliche Vorgänge der Pia und der Rindengefäße für die Progressive Paralyse charakteristisch seien; fehlten sie, so handele es sich um keine "echte" Paralyse. Unbekümmert von statistischen Zusammenstellungen und Blütenlesen aus der Literatur werde er mit seinen Forschungen fortfahren (RIS F (1901)) . Näcke antwortet, Ris' Aussage sei zu apodiktisch, wovor man sich gerade als Psychiater 107 nach all den Erfahrungen mit Hypothesen, die sich nachher als falsch erwiesen hätten, hüten solle. Beim wissenschaftlichen Arbeiten lerne man, an der absoluten Richtigkeit seiner eigenen Aussagen zu zweifeln. Inhaltlich wirft er Ris vor, daß seine pathologischanatomische Einteilung der Paralysen in echte und unechte mit der Klinik in Konflikt gerate. "Ob bei näherer klinischer Analyse die sogenannten echten Paralysen im Sinne von Ris wirklich charakteristische Züge tragen werden, so daß sie in vivo diagnostizierbar sind, mag die Zukunft entscheiden. Jedenfalls aber würde selbst dann nicht Ris das Recht haben, nur diesen das Prädikat `echt' zu erteilen"(Näcke P (1901a)) . 1901 setzt Näcke die Reihe seiner Arbeiten zur Ätiologie der Progressiven Paralyse mit Untersuchungen über die sogenannten "Degenerationszeichen" der inneren Organe bei Paralytikern und Geistesgesunden fort (NÄCKE P (1901B)). Bei den Untersuchungen seien Herz, Lunge, Nieren und Milz auf "abnorme Veränderungen" wie zu geringe Größe, Lappenbildung oder Einschnürungen hin betrachtet worden. Ähnlich wie bei der ersten Arbeit gelingt es Näcke erst nach größeren Rechnereien, deutliche Differenzen zwischen Paralytikern und "Normalen" auszumachen. Bei den 44 schon bekannten Patienten der Voruntersuchung korreliere die Zahl von äußeren und inneren Degenerationszeichen kaum, so daß Näcke spekuliert, äußere Zeichen könnten vielleicht für innere ersatzweise eintreten. Trotz ihres mühsamen Zustandekommens betrachtet Näcke aber auch diese Ergebnisse als einen weiteren Beleg für seine Thesen. 1905 sieht Näcke einen Beweis für die Abhängigkeit der Paralyse vom Stand der Zivilisation in der Tatsache, daß in Bosnien wie in anderen von der modernen Kultur wenig berührten Ländern die Seltenheit der Paralyse in keinem Verhältnis zu der weitverbreiteten Syphilis stehe (SCHLÜTER R (1906)). Dies hatte Bermann bereits 1900 behauptet, nachdem er in Bosnien unter 464 Syphilitikern nur einen einzigen Paralytiker gefunden habe, woraus er schloß, daß die Lues nur ein prädisponierendes Moment sein könne, zu dem noch andere Schädlichkeiten hinzukommen müßten, damit die Krankheit ausbreche (SCHLÜTER R (1900)). 1908 läßt Näcke den Betrachtungen der äußeren und inneren "Degenerationszeichen" von Paralytikern noch den makroskopischen Vergleich der Gehirnoberflächen von Paralytikern mit der von Gehirngesunden folgen (NÄCKE P (1908)) . Hirngewicht und sehr wahrscheinlich auch das Windungsreichtum stellten Faktoren mit Einfluß auf die Intelligenzhöhe dar. Im Vergleich von 56 Paralytikergehirnen mit 15 Gehirnen von "Geistesgesunden" auf Anomalien der Furchen, Spalten und Taschenbildungen findet sich im 108 Gesamtvergleich kaum ein Unterschied zwischen Paralytikern und "Gesunden" . Davon läßt sich Näcke aber nicht beirren und erkärt die "gesunde Erklärt" kurzerhand ebenfalls als "abnorm, ... was ... leicht möglich ist, da in Allgemeinen Krankenhäusern bekanntlich viele minderwertige Elemente sich finden". In seinen abschließenden Ausführungen beschreibt Näcke dann die Konsequenzen seiner Hypothese und verlangt im Rahmen eines gesamtgesellschaftlichen Anspruch der Psychiater sozialhygienische Zwangsmaßnahmen: "Von unserem Standpunkt aus wird aber weiter die Prophylaxe vertieft. Es heißt dann nicht mehr bloß: Beseitige die Gelegenheitsursachen, also vor allem die Syphilis, sondern vor allem Berücksichtigung der Anlage: Hygiene, Erziehung, Berufswahl, Alkoholabstinenz usf. Wichtiger aber fast ist es noch, daß man bestrebt sein sollte, die angeborene Invalidität überhaupt zu verhindern und das durch eine vernünftige Rassenpolitik vor allem durch Kreuzung mit gesundem Blut... Noch andere Maßnahmen wären zu treffen. Dagegen ist der Ausschluß minderwertiger Elemente vom Heiraten durch Eheverbote mehr oder weniger illusorisch... Mehr Erfolg dagegen verspricht die Kastration gewisser Klassen von Entarteten... Der Irrenarzt sollte überhaupt mehr als bisher sich auch mit soziologischen Dingen beschäftigen und namentlich der Verbesserung der Rasse, welche ja gleichbedeutend ist mit der Einschränkung der Geistes- und Nervenkrankheiten, sein spezielles Interesse zuwenden. Auch 1910 wiederholt Näcke seine Ansichten und verwahrt sich gegen die Theorie einer einheitlichen Ätiologie der Progressiven Paralyse, denn immer häufiger stimmten klinische und pathologisch-anatomische Diagnose immer häufiger nicht überein. Die Syphilis-Ätiologie stehe aufgrund der gelegentlich negativen Ergebnisse der Komplementbindungsreaktion auf ziemlich wackeligen Füßen. Auch die anatomische Untersuchung ergebe keine einwandfreien Beweise, außerdem nütze sie nichts für die Diagnose in vivo, die allen am Herzen liegen (NÄCKE P (1910)) . Neben Näcke vertreten auch andere Autoren die Ansicht von der Progressiven Paralyse als einer rein endogenen (d.h. erblichen) Geistesstörung und lehnen damit die SyphilisÄtiologie ab. Marc führt hierfür 1904 einige Fallbeispiele an (MARC A (1904)). In einem der beschriebenen Fälle sei durch vier Generationen eine Geisteskrankheit gehäuft aufgetreten, deren Anamnese zwanglos die Diagnose der Progressiven Paralyse zulasse. Äußere ätiologische Momente hätten keine Rolle gespielt, speziell hereditäre und erworbene Lues ermangele eines Nachweises. In seiner Interpretation beruft sich Marc auf Näcke und auf die Aussage seines Chefs Rieger, es finde sich eine ganze Anzahl von Paralysen, bei 109 denen die Syphilis nicht bloß nicht nachweisbar, sondern sogar positiv auszuschließen sei. Er räumt allerdings ein, daß die "nachweislich endogenen Formen der Paralyse" nur eine kleine Gruppe bildeten. 1906 schließt Dreyfus an die Arbeit von Marc an und greift die alte These von den unterschiedlichen Entitäten einer endogen entstandenen Paralyse und einer syphilitischen Pseudoparalyse auf, die nicht nur in ihrer Ätiologie, sondern auch in ihrem Wesen verschieden seien (DREYFUS JG (1906)). Gegen die alleinige Ursache der Syphilis spreche schon die Seltenheit der Paralyse in Ländern z.B. in Afrika, in denen die Syphilis häufig sei. Auch das von Krafft-Ebing geschilderte Experiment, Paralytiker mit Syphilis zu infizieren, worauf keiner der Patienten luische Primäraffekte gezeigt habe, sei nicht beweisend, da ein Kontrollversuch über die Kontagiosität einer solchen Inokkulation bei Gesunden fehle. Das häufigere Auftreten von Syphilis in der Anamnese von Paralytikern sei nur ein akzidentelles Ereignis, "dem die Paralytiker wegen ihrer psychopathischen Anlage leichter ausgesetzt sind". 1910 sieht Klieneberger in einem Fall von juveniler Paralyse (KLIENEBERGER OL (1908)), bei dem sich unter der Sektion der Befund eines fehlenden Balkens ergibt (KLIENEBERGER OL (1910)), einen Beleg dafür, daß bei der juvenilen Paralyse neben Paralyse oder Tabes der Eltern als dem entscheidenden ätiologischen Moment auch eine Entwicklungsstörung vorliege, die unabhängig von der fötalen Lues sei. Nach der Anamnese mit Störungen hauptsächlich im Affekt- und Gefühlsbereich könne kein Zweifel bestehen, "daß wir es mit einem von Haus aus minderwertigen Knaben zu tun haben", obwohl körperliche Degenerationszeichen schwerlich zu finden gewesen seien. Es gelte als bekannt, daß die juvenile Paralyse häufig minderwertige Individuen befalle. Keine Theorie, mag sie noch so sehr den allgemeinen Lehrmeinungen widersprechen, ist also so abwegig, daß sie nicht dennoch außerhalb des breiten Stromes der "normalen Wissenschaft" (KUHN TS (1967)), meist in Form von kleinen Fallstudien oder gar in Einzelkasuistiken vertreten würde. 110 5 Die Definition der Progressiven Paralyse anhand ihrer Ätiologie Nachdem Esmarch und Jessen 1857 die Syphilis zum ersten Mal als mögliche Ursache der Progressiven Paralyse bezeichnet hatten, wird dieser Zusammenhang längere Zeit kaum weiter beachtet. Hingegen werden unabhängig von der Progressiven Paralyse die Syphilitischen Psychosen als eigenes Krankheitsbild beschrieben. 5.1 Die Syphilis des Gehirns (1859) 1859 befaßt sich Albers mit der "Syphilis des Gehirns und die daraus hervorgehenden Nervenund psychischen Leiden" (ALBERS JFH (1859)) . Er entwirft ein noch weitgehend von romantischen Vorstellungen geprägtes spekulatives Modell der Hirnsyphilis, in das neben einer Disposition zu Entzündungen und der Lebensart des Patienten auch pathologisch-anatomische Betrachtungen eingehen. Eine wichtige Rolle spielen auch allgemeine und lokale Ernährungsstörungen. Albers schreibt, nach langjährigen Untersuchungen sei er zu der Gewißheit gelangt, daß ein Einwirken der Syphilis auf Gehirnteile stattfinde. Das Leiden so manches jungen Menschen wie Melancholie, Neuralgie oder Lähmung sei bei weiterem Hinsehen durch frühere Syphilis bedingt, die örtlich geheilt worden sei, sich später in einem Sekundärstadium aber wieder geäußert habe. Die krankhaften Veränderungen beträfen die Knochen, die Hirnhäute und die Arterien. Die eigentliche Hirnsubstanz weise als Besonderheit nur eine beträchtliche Konsistenz auf. "Die sich auf die Syphilis beziehenden anatomischen Veränderungen verbreiten sich entweder nach der Arachnoidea und Pia Mater oder auf die Arterien und stehen im Zusammenhang mit folgenden Krankheiten: Syphilitische Hypochondrie, syphilitischer Typhus oder syphilitische Meningitis oder mit dem Schlagfluß und einem nach diesem folgenden Wahnsinn mit Aufregung in Folge der syphilitischen Gefäßentartung." Albers unterscheidet somit drei verschiedene Erscheinungsformen der Hirnsyphilis, die im Typ des prädisponierten Patienten, in der klinischen Symptomatik und in den pathologisch-anatomischen Befunden verschieden seien: Bei der syphilitischen Hypochondrie seien meist enthaltsame, mäßige Menschen betroffen. Sie zeichne sich durch die Furcht aus, nicht von der Syphilis geheilt werden zu können. Hinzu kämen "gesunkene Ernährung" und höchst wechselnde Verdauung. Hauptmerkmal sei die kongestive Verän- 111 derung der Pia Mater. Der syphilitische Typhus oder die syphilitische Meningitis sei "der Schluß einer Reihe von Ernährungsstörungen und örtlicher Erkrankung, welche die Syphilis herbeiführen."Schon der massive Kopfschmerz am Hinterkopf aufgrund der Meningitis führe zu Gedächtnisstörungen und Desinteresse. Die Abnahme der Ernährung sei dann eine "hinreichende Ursache der zunehmenden Störung der Geistestätigkeit und geistiger Störungen verschiedenster Art" und führe letztendlich zu geistigem und körperlichen Verfall und zum Tod. Die apoplektische Form schließlich beruhe auf dem Befall der großen Arterien. Da der Tod als das Zeichen der aus Mangel an Blut gesunkenen Hirnernährung anzusehen sei, könne ärztliche Behandlung eine Genesung erreichen, wenn der Patient vor der Entwicklung der Stasis in den Gefäßen der Pia Mater zum Arzt komme. Ein gemeinsames Merkmal aller Formen sei die "Tabes", die einfache Auszehrung: "Zu den Tabesformen gehört die Abmagerung, welche im Verlauf der Syphilis sich einstellt. Wieviel die Selbstvorwürfe der eigenen Schuld, die besondere Disposition oder die Syphilis selbst zur Erregung der Tabes beigetragen haben, ist noch nicht entschieden." So ist mit diesem Beitrag der Begriff der Hirnsyphilis auch in Deutschland eingeführt, nachdem bereits früher davon in Berichten aus England die Rede gewesen war. Albers grenzt sie von der Progressiven Paralyse ab: "Was die Lähmung anbetrifft, die bei diesen Kranken vorkommt, so wird sie meist von den praktischen Ärzten (fälschlicherweise) als allgemeine Lähmung ... bestimmt." 112 5.2 Die pathologisch-anatomisch definierte Unterscheidung von Hirnsyphilis und Progressiver Paralyse (1861) In der Betrachtung der syphilitischen Psychosen wird jedoch schon bald deutlich, daß es eine starke Nähe zwischen dem Bild der Hirnsyphilis als einem primär morphologisch definierten Krankheitsbild und der Progressiven Paralyse mit ihrem eher klinisch bestimmten Erscheinungsbild geben müsse. 1861 schreibt Ludwig Meyer "über die konstituelle Syphilis des Gehirns" (MEYER L (1861)). Er bezieht sich auf Esmarch und Jessen und lehnt deren Hypothese eines Zusammenhanges von Syphilis und Progressiver Paralyse ab. Die krankhaften Veränderungen an Gehirn und Häuten bei Patienten, die an Syphilis gelitten hätten, seien so mannigfaltig, daß sich eine direkte Beziehung zu dieser spezifischen Erkrankung verbiete. Zwar habe Virchow in das Bild der Syphilis Ordnung gebracht und sie in mehr allgemeine, gewöhnlich entzündliche und in spezifische Formen eingeteilt, wobei besonders die letztere mit ihren Gummenbildungen einen Nachweis für die Syphilis liefere. Im Gehirn sei dieser Nachweis jedoch gerade schwierig. Meyer liefert dann die Beschreibung mehrerer eigener Fälle von Gehirnveränderungen sowie Fallberichte von Calmeil , denen allen eine syphilitische Infektion vorausgegangen sei. Einen eindeutigen Zusammenhang zur Syphilis möchte Meyer aber nicht herstellen. "Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß die charakteristischen Gummigeschwülste in jeder der sieben Beobachtungen innerhalb der Schädelhöhle zur Entwicklung gekommen waren, aber in keinem Falle konnten weder die Syphilis während des Lebens noch die Veränderungen im Gehirn ausschließlich auf diese Bildungen bezogen werden." Das mitgeteilte Material genüge, die Aufmerksamkeit von neuem auf die durch die Beobachtungen von Esmarch und Jessen in psychiatrischen Kreisen angeregte Frage zu lenken. Aber: "Die Hypothese, welche jene Beobachter aufzustellen für gut fanden, daß nämlich die Syphilis die Grundlage der Dementia paralytica sei, findet keinen Anhalt in den mitgeteilten Fällen von Gehirnsyphilis. Es kann ohne weiteres durch die syphilitische Gummibildung eine chronische Meningitis (Perienzephalitis) hervorgerufen werden und es würden sich dann im Fall einer geistigen Störung Lähmungssymptome mit dieser vereinigt zeigen. Aber dieser Verlauf ist keineswegs ein notwendiger, und häufig genug wird das Ende rasch erfolgen, sobald die Syphilis einmal das Gehirn ergriffen hat, ohne es zu längerer Geistesstörung kommen zu lassen. Die Entwicklung der Veränderungen, welche die anatomische Basis des Blödsinns mit Lähmung bilden, geschieht in der bei weitem größeren Mehrzahl der Fälle unabhängig von jeder syphilitschen Affektion." 113 Diese deutliche Ablehnung von Esmarch und Jessens Hypothese, die in ihrer Bestimmtheit durch die dargelegten Befunde nicht getragen wird, erscheint recht dogmatisch. Neben der Hoffnung auf eine eindeutige pathologisch-anatomische Beschreibung der Progressiven Paralyse spricht aus Meyers Artikel auch eine gewisse Verärgerung über das kasuistische Vorgehen von Esmarch und Jessen . 1863 befaßt sich Westphal ebenfalls mit der Frage, ob syphilitische Erkrankungen des Gehirns und seiner Häute als möglicher Ursache gewisser Geistesstörungen, vor allem der Dementia paralytica, angesehen werden könnten (WESTPHAL CF (1863B)). Bisher sei "die Anzahl der Fälle so gering, daß man außerstande ist, einen bestimmten psychischen und somatischen Symptomenkomplex mit der spezifischen Erkrankung in Verbindung zu bringen". Westphal betrachtet die Frage ausschließlich vom morphologischen Standpunkt. Grundsätzlich unterscheide sich dabei die Dementia paralytica von der Hirnsyphilis. Die eine sei eine diffus allgemeine, die andere eine lokale Erkrankung. Zwar könnten syphilitische Herderkrankungen Symptome zur Folge haben, die der Dementia paralytica ähnelten, aber es handele sich bei der Dementia paralytica um etwas ganz anderes. Im Rahmen eines diffusen Prozesses lasse sich die Syphilis allerdings vielleicht als eine mögliche Grundlage der Dementia paralytica denken. Zuerst müsse man sich vor allem darüber verständigen, wie sich diese Grundlage darstellem könnte. "Hat man hierbei an eine Herderkrankung des Gehirns zu denken, oder an einen allgemeineren Prozeß oder an einen pathologisch-anatomisch überhaupt nicht nachweisbaren Zustand; gleichsam eine Art Neurose des Gehirns?" Sicher sei der Nachweis der Syphilis nur als Ursache von Gummibildungen, außerdem fänden sich auch Erweichungen unbestimmter Natur. Westphal schließt also einen näheren Zusammenhang nicht aus und erhofft sich weitere Auskunft aus der pathologischanatomischen Klärung entsprechender Fälle. Die Frage sei, "ob diffusere Erkrankungen des Gehirns ohne gleichzeitige Gummenbildung durch konstitutionelle Syphilis als solche entstehen können... Es würde sich also im wesentlichen darum handeln, Fälle zu finden, in denen bei Lebzeiten die Symptome der Dementia paralytica vorhanden waren, klinisch auf konstitutionelle Syphilis zurückgeführt werden konnten und sich post mortem die erwähnten diffusen Veränderungen ... vorfinden." Aus zwei Fällen, die er daraufhin berichtet, möchte er seine Frage noch nicht beantworten; auch einige Fallberichte von Zambaco aus Paris, die Westphal ausführlich dar- 114 legt, "lassen noch Einwände gegen eine solche Annahme möglich", daß die konstitutionelle Syphilis mit der allgemeinen Paralyse im Zusammenhang stehe. Es fehlten noch weitere Untersuchungen. Schüle schildert in mehreren Kasuistiken die Syphilis als eine mögliche Ursache der Progressiven Paralyse. In seinen ätiologischen Vorstellungen vertritt er jedoch eine multifaktorielle Genese und bezweifelt generell, ob die Paralyse tatsächlich eine eigene Entität darstelle. 1868 sagt er, er glaube, Resultate der Paralysefrage seien nach dem derzeitigen Stand sowohl klinisch als auch pathologisch-anatomisch nur auf dem "Weg der Trennung" zu erwarten (SCHÜLE H (1868B)). Es sei prekär, "wenn meningitische und meningoenzephalitische Fälle ... vereinigt werden... Vielleicht löst sich die Ontologie unseres Krankheitsbildes noch ganz auf." In einem Fall vermutet Schüle schon 1868 konstitutionelle Syphilis als Ursache der Erkrankung. Er könne dies aber nicht beweisen, da bei der Patientin sonst keine syphilitischen Veränderungen auffielen. Als ätiologische Faktoren in den insgesamt sechs beschriebenen Fällen nennt er die üblichen Exzesse, familiäre Belastung und in einem Fall den Schock der Pensionierung aus dem Militärdienst. Pathologisch-anatomisch finde sich in allen Fällen als gemeinsames Merkmal eine diffuse Entzündung der Kortikalis durch alle Schichten. Eine Meningitis trete in einigen, aber nicht in allen Fällen auf, und zwei der Fälle böten Anzeichen eines selbständigen spinalen Prozesses. 1872 beschreibt Schüle einen Fall, dessen Diagnose Dementia paralytica über jeden Zweifel erhaben sei und bei dem sich im Gehirn Veränderungen fänden, "die nach Virchows Untersuchungen den syphilitischen Prozeß gerade in seinen ureigensten Bildungen in den Gummata der Hirnsubstanz kennzeichnen". So bringt Schüle die beiden Krankheitsbilder der Hirnsyphilis und der Progressiven Paralyse anhand der Pathologischen Anatomie zusammen. "Vom ausschließlich klinischen Gesichtspunkt ist das Zusammentreffen eines Verlaufs, der dem Bild der Dementia paralytica entspricht, mit unserer syphilitischen Hirnerkrankung hervorzuheben". Westphal hatte 1864 Belege für ein solches Zusammentreffen gefordert. Dieser Fall sei ein solcher Beleg (SCHÜLE H (1872)). Anatomisch dürfe dieser Fall als "klassisches Bild einer konstitutionellen Lues" bezeichnet werden, da sich Veränderungen an verschiedenen Organen und auch am Schädeldach fänden, die "nach dem heutigen Stand der Wissenschaft" als pathognomonisch für syphili- 115 tische Entstehung zu bezeichnen seien. Der Erkrankungsvorgang im Gehirn stelle sich als "hochgradiger Degenerations- resp. Neubildungsprozeß an und um die Gefäße" dar und sei diffus und unabhängig von den weichen Hirnhäuten. Es zeigten sich in lange Fibrillen ausgezogene Spindelzellen und das Bild dicht verfilzter Fibrillenbündel um die Gefäßröhren herum. Dies sei eine wirkliche und zwar bindegewebige Hyperplasie als Reaktion auf einen chronischen entzündlichen Reizvorgang. "Deuten jene Besonderheiten durch ihren histologischen Charakter auf einen heftigeren Reiz hin als den nur einer idiopathischen chronischen Entzündung, so bietet sich nunmehr durch den Hinweis auf ganz analoge Effekte der syphilitische Virus als Träger dieses gesuchten intensiven Reizes dar". Die Veränderungen der Meningen und des Gehirns selbst seien selbständige Koeffekte des syphilitischen Virus, die sich nur durch die Intensität der stattgehabten Reizstärke unterschieden. Später lehnt es Wille wiederum völlig ab, die Progressive Paralyse als eine Folge der Syphilis zu betrachten. Er bezeichnet vielmehr die Paralyse nicht als eine Krankheitsentität, sondern als einen Symptomenkomplex uneinheitlicher Genese. Ein Teil der Fälle von Paralyse sei dabei den syphilitischen Psychosen zuzurechnen. 1872 entwirft er ein Bild der "Syphilitischen Psychosen" und beschreibt dabei den kompletten Formenkreis der Neurolues, wobei die geschilderten pathologisch-anatomischen Veränderungen wohl hauptsächlich der Lues cerebrospinalis entsprechen (WILLE L (1872)). Die konstitutionelle Syphilis in ihrer Beziehung zu den Psychosen habe eine bisher zu geringe Aufmerksamkeit erfahren, wenn es auch einige Vorarbeiten gebe. So seien die Arbeit von Esmarch und Jessen als "Erstlingsarbeit" zu werten und die Ausführungen Ludwig Meyers als die "bisher gediegenste", während Albers Arbeit "verworren bis unbrauchbar" sei. Das Material über die Syphilitischen Psychosen sei bisher aber zu gering und die Meinung sehr unterschiedlich. Hätten Esquirol und Jakobi die Syphilis als ätiologisches Moment bei der Hälfte der Psychosen betrachtet, so habe Guislain sie für sehr selten gehalten. Auch in Deutschland seien die statistischen Angaben unsicher und unsorgfältig, da die syphilitische Ursache zu selten erkannt werde und die Patienten sie auch oft geheim halten wollten. Die Syphilitischen Psychosen entwickelten sich meist chronisch, trügen aber von Anfang an bedeutende Zeichen psychischer Degeneration in sich. Sie begännen fast immer mit einem hypochondrischen oder verstimmten Prodromalstadium, zu dem dann später andere psychische Symptome hinzuträten. Meist sei dies eine allmähliche Abnahme der 116 Geisteskräfte bis zur tiefen Demenz, in einigen Fällen sei dieser Verlauf auch von akuten psychischen Stadien unterbrochen. Ebenso häufig seien sie noch von motorischen und sensiblen Hirnstörungen begleitet. Sie ähnelten oft den Störungen bei allgemeiner fortschreitender Paralyse. Hinzu kämen Hemiplegien, die Lähmung einzelner Hirnnerven und "krampfhafte motorische Störungen". In der Frage, wie die Syphilis Hirnstörungen auslösen könne, habe man diese früher als tertiäres Symptom erst Jahre nach der Infektion aufgrund syphilitischer Kachexie angesehen. Erst seit wenigen Jahren wisse man, daß Hirnstörungen bereits wenige Monate nach der Infektion gleich mit den ersten sekundären Symptomen auftreten könnten. Virchows "bahnbrechende" Beobachtungen von 1859 über die Natur der konstitutionellen syphilitischen Veränderungen zeigten, daß "auch nicht gummöse Hirnerkrankungen in Begleitung der Syphilis nichtsdestoweniger syphilitisch sein können..." Charakteristische pathologischanatomische Befunde bei den Syphilitischen Psychosen seien "Schädelkaries", entzündliche Erweichungen im Zusammenhang mit Veränderungen der Hirnarterienwandungen und chronische Entzündungen der Meningen. Die Pathogenese der Syphilitischen Psychosen reiche von der irritativen Form mit anschließender Hirnanämie über die einfach entzündliche Form aufgrund der Meningitis oder der Erweichung der Hirnsubstanz bis zur neoplastischen Form bei Gummenbildung. "Zu der klinischen Diagnose einer Syphilitischen Psychose wird immer zunächst die Grundlage die Anamnese bilden", also der Nachweis einer syphilitischen Vorerkrankung; eine leere Anamnese spreche aber nicht gegen die Annahme einer Syphilitischen Psychose. Pathognomonisch sei allein der rasch progrediente Blödsinn; alle anderen psychischen Symptomenkomplexe böten nichts charakteristisches. Die Behandlung der Syphilitischen Psychosen sei die der sekundären Syphilis überhaupt. Dies seien Bäder und Schwitzkuren; bei komplizierteren Formen zusätzlich Quecksilber. Das sei dann auch die letzte therapeutische Möglichkeit, denn "hat einen auch eine energische Schmierkur im Stich gelassen, kann man getrost den Kranken der Pflegeabteilung überlassen, der Kranke wird nicht mehr genesen". Einen großen Teil seines Artikels widmet Wille dem Verhältnis von Syphilis und Progressiver Paralyse. "Es ist unumgänglich nötig, wenn man die Frage der syphilitischen Geisteskrankheit behandelt, auch des Verhältnis der sogenannten Fortschreitenden Paralyse zu den Syphilitischen Psychosen zu untersuchen." Jessen habe 1857 die Dementia paralytica als syphilitischen Prozeß vermutet, nordische 117 Forscher wie Kjellberg , Sandberg oder Steenberg die Identität von zerebraler Syphilis und Paralysis Generalis in "bestimmtester Weise" hingestellt. Erlenmeyer behaupte ebenfalls, es gebe fast keinen Fall von Paralysis Generalis ohne vorherige syphilitische Infektion, ein Zusammenhang sei aber selten nachzuweisen. Andere Autoren wie Ludwig Meyer , Westphal oder Griesinger wiesen den direkten Zusammenhang zwischen Syphilis und Progressiver Paralyse zurück; die meisten erwähnten ihn nicht einmal. Wille selbst lehnt die syphilitische Genese der Paralyse ebenfalls ab. Allgemein fänden sich in der Literatur die Hinweise auf all die "inneren Momente, die der Kampf ums Dasein mit sich bringt", oder auf Erblichkeit, Kopfverletzungen, Überanstrengung, Erkältung, Erhitzung, Alkohol so bestimmt und so regelmäßig, daß an ihrer Richtigkeit nicht gezweifelt werden könne. "Wir können daher mit Sicherheit hinstellen, daß die Statistik der ätiologischen Verhältnisse der Irrenanstalten nicht für die Identität von Paralysis Generalis und Hirnsyphilis spricht". Auch aus der Symptomatologie ergebe sich eine Verschiedenartigkeit beider Prozesse. Symptome wie Halbseitenlähmung oder partielle Lähmung besonders der Hirnnerven fehlten bei der Progressiven Paralyse, während andererseits der Größenwahn im Gegensatz zur Syphilitischen Psychose fast immer auftrete. Schließlich ergebe sich eine Unterscheidung auch aus dem pathologisch-anatomischen Vergleich mit den vorher genannten Veränderungen der Syphilitischen Psychosen. Einziges einheitliches Moment seien die meningealen Veränderungen, die jedoch auch verschiedene Ausprägung zeigten. Die Ähnlichkeit zwischen Progressiver Paralyse und Hirnsyphilis sei sowieso nur eine scheinbare und beruhe auf der "früheren irrtümlichen Auffassung der Dementia paralytica". Sie sei "ja durchaus kein einheitlicher Krankheitsprozeß, sondern nur ein Krankheitsbild, zusammengesetzt aus den Beschreibungen der verschiedensten Krankheitszustände, die in ihrem Gefolge Dementia und Paralyse haben. Und unter diesen Krankheitszuständen ist auch ein Teil der syphilitischen Geistesstörungen." So sei berechtigt, die Identität (von Dementia paralytica und Syphilitischen Psychosen) so lange als "unwissenschaftliche Annahme" zurückzuweisen, als nicht andere Beweise als die bisherigen dafür erbracht würden. Eine deutliche Tendenz scheint bei Wille wie auch bei vielen anderen Autoren zu sein, den Begriff der Progressiven Paralyse möglichst schnell fallen zu lassen, da er sich nicht in die vorherrschenden Theorien integrieren läßt. 118 1875 betont Wille wiederum die Trennung von syphilitischer Psychose und Dementia paralytica. In der Unterscheidung spreche die Ätiologie im Sinne eines Kampfes ums Dasein für die Diagnose Paralyse, hemiplegische Lähmungen hingegen für eine Syphilitische Psychose (WILLE L (1875)). Mit Mendels Monographie über die Progressive Paralyse der Irren (MENDEL E (1880)) wird die Annahme einer Beteiligung der Syphilis an der Genese der Paralyse weitgehend Gemeingut, was sich auch darin niederschlägt, daß sich die meisten folgenden Arbeiten zustimmend oder ablehnend mit diesem Aspekt der Paralyse auseinandersetzen. Snell äußert sich noch 1883 sehr vorsichtig über eine Syphilis-Ätiologie der Progressiven Paralyse und beruft sich dabei auf mangelnde pathologisch-anatomische Belege. Zwar spreche statistisch vieles dafür, allein reiche dies für seriöse wissenschaftliche Schlüsse nicht aus (SNELL O (1883A), SNELL O (1883B)). Allerdings spielt die schon recht dogmatische Forderung nach absoluter Eindeutigkeit, die dem Anstaltspsychiater Snell auch Freiräume für die Annahme einer nultifaktoriellen Genese bietet, in der späteren Diskussion eine immer geringere Rolle. Vor den Irrenärzten von Niedersachsen und Westfalen sagt Snell , in der Tat sei eine auffallend große Zahl der an allgemeiner Paralyse leidenden Männer früher an Syphilis erkrankt gewesen. Jedoch zeigten die wenigsten von ihnen aktuelle Erscheinungen der Syphilis. "Es ist mir daher ... nicht zweifelhaft, daß bei einer unverhältnismäßig großen Zahl der Paralytiker früher luetische Erkrankung vorhanden war... Es besteht nun die schwierige Frage, ob ein Zusammenhang und welche Beziehung zwischen Syphilis und der Allgemeinen Paralyse anzunehmen sind". Virchow und Heubner hätten gezeigt, daß Syphilis im Innern des Schädels auftreten könne, andere berichteten von Psychosen bei konstitutioneller Syphilis auch ohne spezifische Veränderungen, die oft der Dementia paralytica ähnelten. Es liege also nahe, nach einem Zusammenhang zwischen Progressiver Paralyse und Syphilis zu suchen. "Es geziemt aber der ernsten Wissenschaft nicht, voreilige Schlüsse zu ziehen". Es überschreite die Grenzen einer nüchternen objektiven Beurteilung, diese Erkrankung einfach als syphilitische Psychosen zu bezeichnen, wenn ein Patient vor 10 oder 20 Jahren an Syphilis gelitten habe, aber inzwischen alle Erscheinungen verschwunden seien und er gesunde Kinder gezeugt habe. Über den möglichen Zusammenhang äußert sich Snell dann auch sehr vorsichtig: 119 "Vielleicht wird es ... gelingen nachzuweisen, daß manche Formen der Syphilis im Stande sind, im Gehirn pathologische dauernde Veränderungen zu erzeugen, welche wenigstens als disponierend zu Dementia paralytica anzusehen sind." 1880 unternimmt Oebeke den Versuch, die Progressive Paralyse als einen Prozeß darzustellen, der zwar durch die Syphilis vorbereitet sei, sich aber erst durch zusätzliche Faktoren und dann als eigenständiger pathologischer Ablauf entwickle, bei dem die typischen Kennzeichen einer rein syphilitischen Erkrankung fehlten (OEBEKE B (1880)). Dadurch würde einerseits die Syphilis in die Ätiologie der Paralyse eingegliedert, andererseits blieben Lues cerebrospinalis und Progressive Paralyse in ihrer Pathogenese und in ihrem pathologisch-anatomischen Erscheinungsbild getrennt. So wie Virchow für die Manifestation der viszeralen Syphilis den "Anlaß einer akzidentellen Veranlassung als Irritament" fordere, "während bis dahin der einmal infizierte Kranke von solchen Erscheinungen völlig frei geblieben war", sei eine analoge Pathogenese auch für die Progressive Paralyse denkbar. Oebeke hält es für möglich, daß in einem Zentralnervensystem, das zu organischer Erkrankung seiner Gewebe disponiert sei, "durch den Reiz sich am oder im Gehirn entwickelnder Krankheitsvorgänge anderweitige und weitergreifende Ernährungsstörungen mit (solchen) Gewebsveränderungen dieses Organs hervorgerufen werden können, wie sie nach Allgemeiner Paralyse gefunden zu werden pflegen". Die Paralyse trage dann ein "ihr eigens zukommendes Gepräge und habe nichts spezifisch Syphilitisches". Daneben existierten dann noch die spezifisch syphilitischen Krankheitsprozesse im Gehirn mit ihren charakteristischen Symptomen. Ripping weist hingegen einen engeren Zusammenhang zwischen Syphilis und Psychosen im Allgemeinen entschieden zurück. 1881 warnt er vor dem Ärztlichen Verein zu Aachen vor einer Überbewertung der Bedeutung der Syphilis für die Geisteskrankheiten (RIPPING LH (1881)). Man müsse wegen der schwerwiegenden Konsequenzen der modernen Anschauung, immer mehr Krankheiten als syphilitisch bedingt zu betrachten, die Frage stellen: "Gebührt wirklich der Syphilis diese große ätiologische Wichtigkeit für die Entstehung der Psychosen und Neuropathien?" Dagegen spreche, daß eine syphilitische Infektion selbst bei der Allgemeinen Paralyse nur in 12% der Fälle auftrete. Die Angaben von Mendel oder Snell , die wesentlich häufiger syphilitische Ursachen bei der Allgemeinen Paralyse behaupteten, wiesen starke statistische Ungereimtheiten auf, so daß die bisher vorhandenen Aufstellungen zur Ent- 120 scheidung der Frage noch nicht zu verwenden seien. Auch bestreitet Ripping, daß es charakteristische Symptome einer Syphilitischen Psychose gebe: Fournier habe von der "echten Paralyse" eine "Pseudoparalysie Générale syphilitischen Ursprungs" differenziert, die sich in Symptomen und Pathologischer Anatomie unterscheide. Andere Autoren träten dem entgegen, und auch Ripping selbst sagt, er habe gefunden, "daß irgendwelche haltbaren Unterschiede zwischen den syphilitischen Psychosen und den nicht syphilitischen sich nicht aufstellen lassen". So bleibt Ripping bei der Annahme einer multifaktoriellen Genese aller Psychosen, in die er die Progressive Paralyse mit einbezieht: "Die Syphilis ist, wenn überhaupt, so nur ein sehr seltenes direktes Moment der Psychosen. Es sind meistens andere Ursachen, wie allgemeine Abschwächung durch exzessiven Geschlechtsgenuß, Trunk, unregelmäßiges und an vielfachen Gemütsregungen reiches Leben, unregelmäßige oder mangelhafte Ernährung und bei der Behandlung der Syphilis selbst in Anwendung gebrachte schwächende oder Entziehungskuren mitwirkend." Auf der Suche nach dem Grund dafür, daß einerseits eine syphilitische Genese der Progressiven Paralyse immer wahrscheinlicher wird, sich andererseits pathologisch-anatomisch aber keine typisch syphilitischen Veränderungen nachweisen lassen, gewinnt Strümpells Interpretation der Paralyse als syphilitische Nachkrankheit eine gewisse Bedeutung. Sie bietet auch den Vorteil, weiterhin eine prinzipielle Trennung zwischen Hirnsyphilis und Paralyse aufrechtzuerhalten. 1886 erklärt Strümpell einen Großteil der Fälle von Tabes dorsalis und Progressiver Paralyse als "nervöse Nachkrankheit" einer Infektionskrankheit, zu der es ähnlich den diphtherischen Nachkrankheiten durch ein chemisches Gift komme. Dadurch erklärten sich sowohl das Fehlen von spezifischen syphilitischen Neubildungen als auch die Erfolglosigkeit verspäteter antiluetischer Behandlung (KIRN L (1888A)). Rumpf lehnt hingegen 1887 auf der Wanderversammlung der südwestdeutschen Neurologen Strümpells Ansicht der Toxinwirkung auf die Nervenfasern ab und vermutet für die syphilitischen Erkrankungen des Nervensystems eigenständige pathologisch-anatomische Prozesse (KIRN L (1889)). In der Diskussion eines Vortrages von Strümpell über die "syphilitischen Nachkrankheit“ bezeichnet es Schultze 1890 als ausreichend, daß die toxinbildende syphilitische Infektion an einem beliebigen Ort im Körper lokalisiert ist. Die Toxinhypothese ermöglicht also ein Wiederaufleben der Einschätzung der Progressiven Paralyse als eine Erkran- 121 kung des gesamten Organismus (STRÜMPELL A (1891)). 1890 zeigt ein Beitrag von Thomsen , daß die Differenzierung zwischen syphilitischer Hirnsyphilis und der paralytischen Geisteskrankheit mit zusätzlichen psychischen Ursachen eine große praktische Bedeutung für die Therapie von Paralytikern zumindest bei einem Anstaltspsychiater bekommen kann (THOMSEN R (1890)). Die Gefahr der starken Betonung des kausalen Zusammenhangs von Syphilis und Paralyse liege darin, daß das vermutete anatomische Substrat mit dem klinischen Krankheitsbild verwechselt werde. Die Paralyse sei vor allem und von Anfang an eine Geisteskrankheit schwersten Charakters und "keine diffuse syphilitische Gehirnerkrankung ..., bei der die psychischen Symptome mehr eine Nebenrolle spielen". So würden durch die Bezeichnung der Progressiven Paralyse als Gehirnsyphilis bei den Patienten und ihren Angehörigen Illusionen auf die Heilung durch eine somatische Therapie geweckt und die nötige Verbringung in die geschlossene Anstalt unnötig lange aufgeschoben. Die eigentliche Therapie, die eine heilsame Wirkung zu üben vermöge, sei eine "verständige Behandlung, sofern sie den Kranken an ein ruhiges Leben fern von den Schädlichkeiten des Berufes, der Familie etc. bindet". Dazu gehöre der Paralytiker in die geschlossene Anstalt. Die Ansicht, eine spezifische antisyphilitische Kur könne höchstens nützen, möchte Thomsen nicht gelten lassen, da auch Fälle von Verschlechterung denkbar seien. In seiner Argumentation unterscheidet sich Thomsen deutlich von einer rein pathologisch-anatomisch geprägten Denkweise, die die Gesamtheit der Symptome einer Geisteskrankheit aus den morphologischen Veränderungen erklären möchte. Thomsen verwendet den Begriff der Geisteskrankheit hingegen als etwas qualitativ anderes, das zu den morphologischen Veränderungen noch hinzutritt und befindet sich damit in großer Nähe zu den Psychikern. Die Tabes dorsalis mit ihrer Hinterstrangsymptomatik ist die somatische Ausdrucksform der Syphilis, bei der Progressiven Paralyse kommt "die Geisteskrankheit" als unbestimmbarer Faktor hinzu. Oebeke schließt sich in der Diskussion von Thomsens Vortrag vor dem Psychiatrischen Verein der Rheinprovinz (PERETTI J (1890)) den Ausführungen über die Aussichtslosigkeit syphilitischer Kuren bei Progressiver Paralyse an, womit als Schlußwort der Diskussion die Aussage steht: "Das praktische Ergebnis wäre das, da selbst die Gewißheit der syphilitischen Grundlage kein Recht zur Schmierkur bei einem Patienten gebe, daß dieselbe vielmehr nur Nachteile bringe". 122 5.3 Die syphilitische Genese der Progressiven Paralyse unter statistischen Aspekten (1880) Eine Vielzahl von Klinikstatistiken führt dann trotz anfänglicher Ablehnung zur Akzeptierung der großen Bedeutung der Syphilis. Wie in den schon zitierten Aufstellungen bereits deutlich wurde, hängt das Ergebnis einer solchen Klinikstatistik allerdings stark von der Interpretation des jeweiligen Autors ab. Eine wichtige Rolle spielt auch der Faktor der zeitlichen Entwicklung. Besonders deutlich wird dies bei Obersteiner . 1883 bezeichnet er nach einer Untersuchung an 175 Patienten die Syphilis in 21,7% der Fälle als ätiologisches Moment (RIPPING LH (1884)), 1885 geht er bereits bei mehr als der Hälfte der Fälle von einem Einfluß der Syphilis aus (RIPPING LH (1885)). 1891 bezeichnet er die Progressive Paralyse als eine Spätform der Syphilis (KIRN L (1893)). Anfangs wird die Syphilis-Ätiologie jedoch noch sehr skeptisch betrachtet, und die Tendenz geht dahin, zu versuchen, sie zu widerlegen. 1885 bemüht sich Eickholt in einer statistischen Arbeit über die Progressive Paralyse in der Klinik Grafenberg zu hinterfragen, welche ätiologischen Faktoren sinnvollerweise als Ursachen für die Paralyse angeschuldigt werden können, vertritt dann aber die These einer multifaktoriellen Genese und legt die geforderten strengen Kriterien nur an die syphilitische Genese an (EICKHOLT A (1885)). Die Ätiologie einer Krankheit sei umso reichhaltiger, je weniger ihr Wesen erforscht sei. Man müsse aber den Stellenwert einer vermuteten Schädlichkeit erst belegen, bevor ihre Beziehungen zu klinischen Tatsachen verallgemeinert werden könnten, da sonst die pathogenetischen Anschauungen verflachten. Solche Zusammenhänge sieht Eickholt "ohne Zweifel" bei psychischen Eindrücken, Anstrengungen, Kummer, Alkohol und dem Kampf ums Dasein; ihr Einfluß sei aber schwer darzustellen, weil der Zusammenhang erst streng nachgewiesen werden müsse. Der hohe Einfluß einer hereditären Veranlagung, zu der Eickholt Geistes- und Nervenkrankheiten oder sonstiges auffälliges Verhalten der Eltern und Großeltern sowie Trunksucht und Verbrechen zählt, verliere an Bedeutung, wenn andere schädigende Ursachen mit betrachtet würden. Klimakterium und Schwangerschaft hätten nach den Erfahrungen in Grafenberg für die Paralyse der Frauen keine Bedeutung. Die Syphilis sei als ätiologischer Faktor sehr umstritten. In Grafenberg hätten 12% der Paralytiker Syphilis in der Vorgeschichte angegeben. Pathologisch-anatomisch sei die 123 Syphilis aber nur in einem Fall durch Gummen im Gehirn nachzuweisen gewesen. Außerdem seien die meisten dieser Patienten auch anderweitig belastet gewesen, so daß der Nachweis der Priorität der Syphilis nur sehr schwer zu führen sei. Wahrscheinlich führe sie nur zu einer Schwächung des Organismus. Auch Goldstein setzt sich 1885 vor dem Psychiatrischen Verein zu Berlin kritisch mit den Beziehungen der Progressiven Paralyse zur Syphilis auseinander und bewertet andere Faktoren wesentlich höher (GOLDSTEIN M (1886)). Da 50% der Paralytiker der Maison de Santé in Berlin Syphilis in der Vorgeschichte aufwiesen, könne kein Zweifel bestehen, daß es sich dabei um kein zufälliges Zusammentreffen handele. Jedoch sei bei den wenigsten Patienten Syphilis das einzige ätiologische Moment; mit Trauma, Alkohol, Überanstrengung und Erregung kämen andere Schädlichkeiten hinzu, "welche erfahrungsgemäß schon an und für sich auch ohne Lues die Paralyse erzeugen können". "Es wäre aber sehr wunderbar, daß der syphilitische Virus nach einer 10 - 20 Jahre zurückliegenden Latenz nur im Gehirn und nicht in anderen Organen Zerstörungen anrichten solle... All diese Erwägungen führen darauf hin, daß von einer syphilitischen Dementia paralytica nicht die Rede sein kann und daß man nicht berechtigt ist, die Syphilis als Ursache der Dementia paralytica zu bezeichnen, solange man nicht die Entstehung der einen Krankheit aus der anderen genetisch klarzulegen vermag". Diese Ansicht finde auch ihre Entsprechung in der Therapie, denn nach Goldsteins Untersuchungen in der Maison de Santé sei der Verlauf der Krankheit unter Quecksilbertherapie wesentlich schlechter gewesen als ohne. 1887 stellt Dietz im Rahmen einer weiteren Statistik die Argumente für die SyphilisÄtiologie denen der althergebrachten Theorien gegenüber (DIETZ C (1887)). Es gebe zwei Wege, ätiologische Gesichtspunkte für die Paralyse zu betrachten. Entweder suche man Momente, die erfahrungsgemäß als wirksame Schädlichkeiten im Vorleben der Paralytiker vorkämen, oder man gehe vom pathologisch-anatomischen Standpunkt aus und frage, "welche Einflüsse können den sich hier abspielenden Prozeß, Hyperämie, Gefäßdurchlässigkeit, Blutzellenauswanderung, Enzephalitis etc. begünstigen oder veranlassen". Dabei komme die Erblichkeit eigentlich nur für Geistesstörungen ohne palpable Gehirnveränderungen in Betracht. Hingegen gebe es verschiedene Schädlichkeiten, die eine vorübergehende öftere Gehirnhyperämie hervorrufen könnten. Hierzu gehörten die gewöhnlich in der Ätiologie der Paralyse aufgeführten Faktoren wie Alkohol und andere Intoxikationen, psychische und mechanische Einflüsse. "Hierher gehört aber besonders auch die Syphilis, die nicht nur durch spezifische Gefäßerkrankungen im Gehirn disponierend wirkt, sondern wohl auch, wie Mendel hervorhebt, die 124 einfache fluxionäre entzündliche Enzephalitis Virchows hervorrufen kann". Verfolge man diese Überlegung weiter, so hätten sich 61,4% seiner Patienten zweifellos früher luetisch infiziert, zähle er weitere hinzu, die entsprechende Narben oder Ulzera aufwiesen, so komme er auf 71,6%. Andere Einflüsse wie Alkohol mit 28,4%, Vererbung mit 11,6% oder psychische Einflüsse mit 14% träten demgegenüber weit zurück. Sogar als alleiniges Momenten trete Syphilis in immerhin 44,6% auf. "Mag man auch geneigt sein, die Paralyse in Bausch und Bogen als eine Frucht des Kampfes ums Dasein, namentlich der geistigen Überanstrengung in den besseren Ständen ansehen, diese Gruppen (der Patienten mit dieser Ätiologie neben der Syphilis) ... stellen doch die Präponderanz der Lues zweifellos fest... Wie der Prozeß sich hier entwickele, ob Tabes und Paralyse nebeneinander, ob aufsteigende Form der Paralyse ist hier nebensächlich: In 77% beruhte er auf syphilitischer Basis". Im Gegensatz zu Goldstein schildert Dietz dann auch positive Ergebnisse einer antisyphilitischen Therapie mit Quecksilber und Jodkali. Im Vergleich dieser Arbeiten zeigt sich, daß das Ergebnis der Statistiken nicht nur von den erhobenen Zahlen abhängt, die allerdings auch deutlich mit der erklärten Einstellung des Autors korrelieren, sondern wesentlich vom Respekt vor den traditionellen Theorien geprägt sind. Weitere Arbeiten von Acker (ACKER 1888 ACKER L (1888) ) und Ascher (ASCHER B (1890)) betonen wiederum die Bedeutung der psychischen Ursachen und streiten einen wesentlichen Einfluß der Syphilis ab. Ist die Aussage der meisten Statistiken bezüglich der Syphilis noch sehr zurückhaltend, so läßt ihre Zusammenführung doch interessante Schlüsse zu: 1886 führt Rieger die statistischen Ausführungen von 11 "glaubwürdigen Autoren" nach der Poissonschen Formel zusammen und stellt einen kausalen, jedoch nur prädisponierenden Zusammenhang her. Danach hätten Syphilitiker eine 16mal größere Disposition, an Paralyse zu erkranken als Nichtsyphilitische (Kirn L (1888b)). Der Stellenwert der multifunktionellen Genese in der Argumentation gegen die Bedeutung der Syphilis tritt mit der Zeit dann auch zunehmend zurück. 1896 befaßt sich Alzheimer , damals Assistenzarzt in München, mit der Frühform der Progressiven Paralyse und findet hier Argumente gegen die These von den psychischen Ursachen der Paralyse (ALZHEIMER A (1896)). Die Entwicklung der Progressiven Paralyse in einem Alter, in dem psychische und physische Schädigungen noch eine geringe Rolle spielen könnten, spreche gegen einen Einfluß dieser Schädlichkeiten, die immer noch von vielen als hinreichende und hauptsächliche Ursache für die Entstehung 125 der Paralyse betrachtet würden. Hingegen mache sich der Einfluß der Syphilis in besonders deutlicher Weise geltend. Das Argument, daß das Fehlen der Syphilis in der Vorgeschichte einen entscheidenden Einfluß der Syphilis in der Ätiologie der Paralyse ausschließe, läßt Alzheimer nicht gelten, da die Anamnese z.B. abhängig vom Sozialstatus der Patienten und damit immer fehlerbehaftet sei. Da die Krankheit oftmals gehäuft bei Geschwistern und Verwandten auftrete, müsse man aber auch "auf eine in der ererbten Organisation bedingten Disposition zu der Erkrankung zurückgreifen", besonders wenn man bedenke, wie selten syphilitische Ansteckung mit Dementia paralytica ende. Zu der Disposition komme die Lues als der eigentliche ätiologische Faktor hinzu. Da keine Veranlassung bestehe, eine besondere klinische Form der Paralyse im Jugendalter abzugrenzen, könnte die jugendliche Paralyse auch einiges Licht in noch dunkle Fragen über das Wesen der Progressiven Paralyse überhaupt bringen. 1899 berichtet Buchholz über die Verbreitung der Progressiven Paralyse im Regierungsbezirk Kassel und in den Fürstentümern Waldeck und Pyrmont während der Jahre 1875 bis 1895 (BUCHHOLZ A (1899)). Buchholz räumt ohne große Probleme der Syphilis die Hauptschuld an der Progressiven Paralyse ein: Die Prostitution müsse auch als Haupträgerin der Schädlichkeiten, die der Paralyse zugrundelägen, angesehen werden. Und als "die Schädlichkeit, die die Prostitution mit sich bringt, kann ja nur die syphilitische Infektion in Frage kommen". Andere Schädlichkeiten könnten die starken Unterschiede zwischen Stadt und Land nicht erklären. Jahrmärker betrachtet 1901 in einer zweiten Untersuchung über die Progressive Paralyse im Regierungsbezirk Kassel die Ätiologie nur recht kursorisch und zieht im Gegensatz zu Buchholz wiederum alle bekannten Möglichkeiten einer multifaktoriellen Genese in Betracht (JAHRMÄRKER M (1901)). Weitere Anstaltsstatistiken zeigen aber in ihrer Interpretation eine immer stärkere Zustimmung zur Syphilistheorie. Sprengler verteidigt dabei 1899 die statistische Vorgehensweise (SPRENGLER H (1899)). Virchow habe über das statistische Vorgehen gesagt: "Eine Majorität zu Gunsten dieser Methode bedeutet das Grab der Forschung, das Grab jeder Entwicklung". Pollack habe erwidert: "Der Versuch, die Progressive Paralyse auf histologischem Wege zu ergründen, hat bis jetzt zu keinem sicheren Ergebnis geführt. Dagegen gibt uns die Ätiologie einen Wegweiser". Betreffs der Ätiologie aber, so Sprengler, "sind wir bisher nur auf die Anamnese, die Statistik angewiesen". 126 Aufgrund einer Untersuchung an der Göttinger Psychiatrischen Klinik bezeichnet Sprengler die Lues als bei weitem die wichtigste Ursache der Progressiven Paralyse, doch auch Erblichkeit, Alkoholismus, Traumen, Elend und Not, Exzesse und Hitze könnten allein und in Kombination mit anderen Progressive Paralyse erzeugen. Eisath bringt 1901 Angaben über die Progressive Paralyse in der Irrenanstalt Hall in Deutsch-Tirol und in der psychiatrischen Klinik in Innsbruck im Zeitraum von 1889 1899 (EISATH G (1901)). Die Tatsache, daß Lues und Paralyse zueinander in sehr wichtiger Beziehung stehen, erweise sich auch in Tirol als über jeden Zweifel erhaben. Die Dementia paralytica folge der Verbreitung der Lues. Wo die Prostitution verbreitet sei, liege auch der größte Anteil an Paralysen. "Als durchgreifende, bei allen Kranken vorkommende Schädlichkeit können wir nur den übermäßigen außerehelichen Geschlechtsverkehr nachweisen. Wenn auch Traumen und Trunksucht nicht unbeachtet bleiben dürfen, so müssen wir doch die Folgen, welche geschlechtliche Ausschreitungen nach sich ziehen, wozu ja die Lues gehört, in erster Linie auch für die Entstehung der Paralyse auf dem Lande verantwortlich machen". 1901 beschreibt Hoppe in einer weiteren Klinikstatistik über die Progressive Paralyse in der Provinzial-Irrenanstalt Rittergut Alt-Scherbitz in Sachsen noch einmal die Schwierigkeiten, mit Hilfe einer statistischen Erhebung verläßliche Aussagen über die Ätiologie einer Krankheit zu erlangen (HOPPE A (1901)). Einerseits müsse es aussichtslos erscheinen, eine Antwort auf statistischem Wege zu finden, da dabei alle Fehler der Einzeluntersuchungen mit eingingen und die Anamnesen oft dem Kausalitätsbedürfnis des Beobachters zu danken seien. Andererseits sei dies auf psychiatrischem Gebiet meist der einzig mögliche, da Experiment und Anatomie erst in zweiter Linie in Betracht kämen. Betrachte man in der abschließenden Statistik die reinen Zahlen, so stehe die hereditäre Belastung obenan, dann folgten Syphilis, Gemütsbewegungen und Alkohol. Überprüfe man diese Zahlen jedoch auf einen Kausalitätszusammenhang, so komme man zu ganz anderen Resultaten. So werde Syphilis immer noch als gesellschaftliches Stigma angesehen und daher selten zugegeben, während dies bei Gemütsbewegungen nicht so sei, von denen wohl niemand frei bleibe. Die sogenannten psychischen Ursachen seien aber weit eher als Symptome denn als tatsächliche Ursachen anzusehen. Bei Traumen werde man wenig geneigt sein, einer einmaligen Verletzung eine gewisse mystische Nachwirkung zu vindizieren, die nach langen Jahren die Krankheit bedingen solle. Auch der Alkoholismus sei oft nur Symptom. So tue man besser, die Grundursachen der Paralyse in den einzelnen Schädigungen selbst zu suchen. 127 "Welcher Art diese Noxe ist, muß dahingestellt bleiben, mag man nun mit Mendel und Krafft-Ebing an eine abnorme Durchlässigkeit der Gefäße an eine durch Toxine vermittelte Meta- oder Parasyphilis (Strümpell, Möbius, Fournier) oder mit Kraepelins an Ausfallserscheinungen in Folge einer bestimmte Lokalisation der Syphilis glauben". Nach dieser Einschätzung kommt Hoppe zu der Meinung, "daß neben der Syphilis alle anderen angeblichen Ursachen zurücktreten müssen... Wenn also, was bei der Aussichtslosigkeit der Therapie doch im Grunde der Zweck aller ätiologischen Überlegungen auf diesem Gebiet ist, eine Prophylaxe der Paralyse möglich ist, so dürfte sie zum größten Teil mit der Prophylaxe der Syphilis zusammenfallen." 1912 dreht Joachim die Argumentation um und verweist darauf, daß aufgrund der sicheren Kenntnis der Syphilis-Ätiologie der Progressiven Paralyse die Statistiken nur noch eine Bedeutung als Maßstab für die Qualität der Anamneseerhebung hätten (JOACHIM H (1912)). Die vielfach konstatierte Zunahme der Progressiven Paralyse lasse sich anhand der Zahlen für Elsaß-Lothringen nicht feststellen. Im Verlauf scheine die demente Form mehr und mehr zu überwiegen, die agitierte nehme immer mehr ab. Dies zeige sich schon an der Eintönigkeit der Krankengeschichten gegenüber früher oder am Eintrocknen der immer seltener benutzten Hyoscain Spritze. "Eine statistische Prüfung der ätiologischen Faktoren ... hat heute nicht mehr die Bedeutung wie früher... Es besteht kein Zweifel mehr darüber ..., daß ohne Syphilis keine Paralyse entsteht... Ob wir sie nunmehr bei so oder soviel Prozent unserer Patienten nachweisen können, ... hat eigentlich nur noch den Zweck, uns erkennen zu lassen, wie schlecht unsere anamnestischen Angaben beschaffen sind". 128 5.4 Die Progressive Paralyse als syphilitische Enzephalitis (1895) Trotz aller entgegengesetzten Bemühungen findet die Vorstellung einer syphilitischen Ätiologie der Progressiven Paralyse weiter Verbreitung. Obersteiner bezeichnet 1891 die Progressive Paralyse als eine Spätform der Syphilis. Zu diesem Schluß komme er aufgrund der Statistik seiner Klinik sowie aufgrund der Identifizierung der anatomischen Veränderungen der Paralyse mit den syphilitischen Veränderungen in anderen Organen (KIRN L (1893)). 1895 erklärt Hirschl aus Wien die Progressive Paralyse als eine syphilitische Krankheit. Es handele sich schlechterdings um eine "Enzephalitis Syphilitica" (KIRN L (1896C)). Er halte die Paralyse für durch ein einheitliches Moment bedingt, eine Kombination verschiedener Ursachen sei nicht nachweislich. Dafür sprächen das einheitliche Krankheitsbild und die einheitlichen anatomischen Befunde, ferner die Ähnlichkeit der Einzelsymptome der Progressiven Paralyse mit syphilitischen Herdsymptomen, die Entsprechung der Verbreitung von Paralyse und Syphilis und schließlich der Einfluß der antisyphilitischen Therapie, den Hirschl in vielen Fällen für gesichert halte. Bei 200 Patienten sei laut Hirschl in 81% der Fälle Syphilis wahrscheinlich 2 - 29 Jahre vorausgegangen; in den anderen Fällen sei ebenfalls davon auszugehen. Andere Faktoren hätten keine direkte ätiologische Bedeutung. Später äußert sich Kirn sehr kritisch zu Hirschls Vorstellungen zur Ätiologie der Progressiven Paralyse. Er bezeichnet den Vergleich der Veränderungen der syphilitischen Hepatitis mit der Enzephalitis, den Obersteiner vorgenommen habe, als "sehr hypothetisch". Hirschls Schlußsatz, die Progressive Paralyse sei zweifellos nichts anderes als eine Spätform der Syphilis, bezeichnet Kirn als "gewiß sehr anfechtbar" (KIRN L (1897B)). Zu mehr oder weniger demselben Ergebnis wie Hirschl kommt Tschisch aus Dorpat. Die Syphilis sei die fast ausschließliche Ursache der Progressiven Paralyse. Die Heredität sei von keiner hervorragenden Bedeutung, geistige Überanstrengung spiele überhaupt keine Rolle. Diese ätiologische Auffassung werde durch die Pathologische Anatomie unterstützt. Daß es zur Paralyse komme, liege an mangelhafter Quecksilbertherapie der Syphilis im sekundären Stadium (KIRN L (1896D)). Meschede greift Hirschls Vorstellungen scharf an und setzt sich 1898 im Rahmen eines Vortrages über "Paralytische Geistesstörung nach Trauma" in Königsberg mit der Syphilistheorie der Progressiven Paralyse auseinander (MESCHEDE F (1898)). Die schon vor 129 geraumer Zeit (Jessen u.a.) ausgesprochene Ansicht von der syphilitischen Grundlage der Allgemeinen Fortschreitenden Paralyse sei neuerdings unter Anwendung des neu erdachten Begriffs "Metasyphilis" wieder geltend gemacht worden. Aufgrund statistischer Erhebungen werde sie als "hinreichend sicher eruiertes Theorem" hervorgehoben. Besonders Hirschl in Wien sei als Verfechter dieser Theorie hervorgetreten. Ein von Meschede im Virchow Archiv (Band 56) beschriebener Fall von Paralytischer Geisteskrankheit nach Trauma widerlege Hirschls Einwände, dem Trauma komme keine ätiologische, höchstens eine auslösende Wirkung zu. In diesem Fall seien "Veränderungen, welche auf Lues hindeuten könnten, nicht vorgefunden worden". Daher dürfe es schwerfallen, "gegenüber diesem Fall die Thesis von dem ausschließlich syphilitischen Ursprung der Paralytischen Geisteskrankheit aufrecht zu erhalten". Die u.a. von Kraepelin und Schüle vertretene Ansicht, es seien "vorzugsweise leichte syphilitische Erkrankungen, welchen ein wesentlicher Zusammenhang mit der Paralyse zukomme", stelle einen merkwürdig konträren, einigermaßen an die Verdünnungstheorie der Homöopathie erinnernden Kausalnexus dar. Dies erscheint Meschede als Trugschluß. Durch die Statistik allein könne diese Streitfrage nicht entschieden werden. Meschede meint, "die statistischen Ergebnisse haben keine beweisende Kraft, sondern nur hodogetischen Wert, d.h. sie können als Anhaltspunkte dienen für die einzuschlagende Richtung weiterer Forschungen, um den wirklichen Kausalnexus zu ermitteln, nicht aber können sie selbst für sich allein diesen Kausalnexus beweisen. Ein wirklicher Kausalnexus ist aber bis jetzt für Syphilis und Paralyse in keiner Weise nachgewiesen". Genauso ließe sich bei entsprechender Fragestellung z.B. für den Alkoholgenuß statistisch ein ebenso hoher Prozentsatz ermitteln. Es mangele an einem wirklichen Nachweis entsprechender pathologisch-anatomischer Veränderungen. Somit tue man gut, sich bei Hirschls Zahlen an Dupuytren zu erinnern, der gesagt habe. "La statistique c' est le mensonge en chiffres". Meschede polemisiert hier deutlich gegen die Syphilistheorie, der er eine eigene ätiologische Ansicht aber auch nicht entgegensetzen kann. Der von ihm beschriebene Einzelfall läßt an echter Beweiskraft zu wünschen übrig. So scheint Meschedes Hauptargument zu sein, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. 130 6 Die Komplementbindungsreaktion: Von der Ätiologie zur Therapie der Progressiven Paralyse (1906) Die Wassermann Reaktion wurde 1906 unter der Federführung von Wassermann als das Ergebnis eines Wettlaufs zwischen französischen und deutschen Forschungsgruppen als Nachweis von vermeintlichen Antikörpern gegen den Syphiliserreger im Serum aufgrund der Komplementbindungsreaktion entwickelt. Erst kurz zuvor hatten Schaudinn und Hoffmann 1905 Spirochäta pallidum als den Erreger der Syphilis bestimmt. Bei der Fragestellung, ob die Progressive Paralyse eine Krankheit sei, die durch den Syphiliserreger ausgelöst wird, lag es nahe, den Liquor von Paralytikern mit Hilfe der Wassermann Reaktion auf Syphilis-Antikörper zu untersuchen. Dabei gelang der Nachweis, daß die Wassermann Reaktion tatsächlich bei einem hohen Prozentsatz der Paralytiker auch im Liquor positiv war (WASSERMANN AP, PLAUT F (1907)). Der Anwendung der Wassermann Reaktion im Liquor war die Entwicklung der Liquorpunktion 1891 durch Quinke und die Untersuchung des Liquors von Paralytikern auf laborchemische Veränderungen und auf zelluläre Elemente vorausgegangen, wie sie Schäfer erstmals 1902 in der AZP beschreibt. Auch diese Verfahren ergaben diagnostische und differentialdiagnostische Anhaltspunkte für die Progressive Paralyse. 131 6.1 Die Methoden der Sero- und Liquordiagnostik (1902) 1902 beschreibt Schäfer , Direktor der Landesirrenanstalt Blankenhain bei Jena, erstmals die Lumbalpunktion als neue diagnostische Methode bei Dementia paralytica (SCHÄFER A (1902)). Quinke habe die Lumbalpunktion 1891 als therapeutische Maßnahme erstmals angewandt. Als solche habe sie die hohen Erwartungen nicht erfüllt. Sie gebe aber der Diagnostik z.B. der Meningitiden wertvolle Bereicherungen. Bei der Untersuchung von 25 Patienten mit Dementia paralytica beschreibt Schäfer deutlich pathologische Liquorbefunde. In zwei Drittel der Fälle sei der Liquordruck erhöht gewesen. Dabei bestünden keine wesentlichen Unterschiede zwischen Patienten mit Tabes dorsalis und Progressiver Paralyse oder zwischen Männern und Frauen. Ebenfalls finde sich eine deutlich pathologische Eiweißvermehrung im Liquor der Paralytiker. Bei anderen Formen der Demenz sei hingegen keine als pathologisch zu bezeichnende Liquoreiweißvermehrung festzustellen. 1904 berichten Abraham und Ziegenhagen auf der Sitzung des Psychiatrischen Vereins zu Berlin über eine "zweifellose Hyperleukozytose", die sie im Liquor von 24 unter 25 untersuchten Paralytikern festgestellt hätten. Damit scheine der Beweis erbracht, "daß die Hyperleukozytose der Zerebrospinalflüssigkeit eine fast konstante Begleiterscheinung der Progressiven Paralyse ist. Sie weist auf eine meningeale Reizung hin, welche wohl sicher mit vorausgegangener Syphilis im Zusammenhang steht". Die mikroskopische Untersuchung des Liquors verspreche ein wichtiges Hilfsmittel in diagnostisch unsicheren Fällen zu werden (ABRAHAM K, ZIEGENHAGEN F (1904)). 1906 schildert Liebscher die Lymphozytose im Liquor von Paralytikern als differentialdiagnostisches Kriterium zwischen Hirnsyphilis und Progressiver Paralyse. Das Fehlen von Eiweiß im Liquor spreche für Hirnlues (LIEBSCHER T (1907)). 1907 bezeichnet Rehm eine Zellzahl von mehr als zehn in der Fuchs-Rosenthalschen Zählkammer als gutes Merkmal in der Unterscheidung von Progressiver Paralyse und Lues ohne zerebrale Symptome (BRANDL K, NITSCHE P (1907A)). Der serologische Nachweis von Syphilis-Antikörpern im Liquor löst eine Flut von Nachfolgearbeiten aus, die die weitere Diskussion bestimmen. Plaut berichtet 1907 auf der Jahresversammlung der bayrischen Psychiater "über den Stand der serologischen Unter- 132 suchung bei den syphilidogenen Psychosen" (). Der Nachweis, daß die Sera von Paralytikern luische Antistoffe enthielten, sei inzwischen mehrfach bestätigt worden und lege die syphilitische Genese der Progressiven Paralyse nahe. In den Sera von Paralytikern fänden sich ausnahmslos, im Liquor in der großen Mehrzahl der Fälle luische Antistoffe. Ein Zusammenhang zwischen dem luischen Antigen, das die Antistoffproduktion auslöse, und der Spirochäte pallida sei anzunehmen. Die Stätte der Antistoffbildung bei der Paralyse liege wahrscheinlich im Zerebrum. Stertz aus Breslau betont 1907 die Bedeutung der Untersuchung auch des Blutserums neben der des Liquors in zweifelhaften Fällen von Progressiver Paralyse. Für die Differentialdiagnose der Progressiven Paralyse zur Hirnsyphilis habe die Serodiagnostik einen hohen Wert, denn bei "eigentlicher Syphilis des Nervensystems" scheine eine positive Reaktion des Liquors die Ausnahme zu sein, während sich das Blutserum genauso verhalte wie bei der Syphilis anderer Organe (STERTZ G (1908)). Bei anderen Geisteskrankheiten, die teilweise auch mit lebhaftem Gewebszerfall einhergingen, sei die Reaktion durchweg negativ gewesen. Dies widerlege die Ansicht, die Serodiagnostik weise nur einen allgemeinen Gewebszerfall im Zentralnervensystem unabhängig von der Syphilis nach. Stertz unterstreicht also den differentialdiagnostischen Wert der Serodiagnostik in der alten Unterscheidung von syphilitischen bzw. metasyphilitischen Erkrankungen. Weil und Braun hingegen sprechen 1907 der Wassermannschen Reaktion bei Lues, Tabes und Paralyse jede Spezifität in Bezug auf das Antigen ab, da sie nur Abbauprodukte zerstörter Zellen nachweise (MATUSCH F (1908D)). Nachdem sich die Syphilisätiologie weitgehend durchgesetzt hat, dauert die Diskussion weiter an, ob die Progressive Paralyse eine syphilitische Erkrankung sei, die wie die Hirnsyphilis durch direkt Spirochäteneinwirkung entsteht, oder eine metasyphilitische Erkrankung, die indirekt durch die Wirkung eines Toxins verursacht wird. Förster bestätigt 1907 den enormen praktischen Wert der Komplementbindungsreaktion für die Lösung der Frage nach der Ätiologie von Paralyse und Tabes. Dieser Wert werde durch die Ergebnisse einiger Untersucher, daß Organextrakte ebenfalls falschpositive Resultate der Komplementbindungsreaktion erzeugen könnten, in keiner Weise geschmälert (UMPFENBACH F (1908)). Auch Frenkel-Heiden bezeichnet 1908 vor dem Psychiatrischen Verein zu Berlin die Beobachtungen der Unspezifität der Wassermann Reaktion durch Levaditi u.a. ebenfalls als ein nur theoretisch hochinteressantes Problem (FRAENKEL HEIDEN H (1908)). Edel aus Charlottenburg sieht bestätigt, 133 "daß ohne Lues keine Paralyse vorkomme"und "daß bei einem negativen Ausfall die Diagnose: Progressive Paralyse in derartigen klinisch noch zweifelhaften Fällen fallengelassen werden kann"(Edel M (1909)). Hingegen bestreitet Döblin in der Diskussion von Frenkels Vortrag, daß schon bewiesen sei, es gebe keine Paralyse ohne Lues, und noch 1912 betont Eichelberg , die Wassermann Reaktion sei weiterhin nur als Wahrscheinlichkeitsbeweis für den Zusammenhang von Lues und Progressiver Paralyse anzusehen (STÜBER L (1912)). Hübner hingegen verteidigt 1909 die Syphilis-Ätiologie trotz einiger negativer Ergebnisse der Wassermann Reaktion. Ein gewisser Satz von 7 - 10% negativer Ergebnisse könne allein schon der komplizierten Technik der Komplementbindungsreaktion zugesprochen werden müsse (HÜBNER H (1909)). 1911 bestätigen Boas und Lind die Differentialdiagnose von Hirnsyphilis und Paralyse gegenüber anderen Geisteskrankheiten zusammen mit allgemeiner Syphilis anderer Organe anhand der Komplementbindungsreaktion. Sie hätten sie bei Syphilitikern ohne Syphilis des Nervensystems im Liquor niemals positiv gefunden (MATUSCH F (1912C)). 1912 bekräftigt Scheidemantel die hohe Spezifität der Komplementbindungsreaktion. Er habe in 1200 Fällen nichtluetischer Erkrankungen nur sechsmal positive Reaktion gefunden (MATUSCH F (1912D)). In einem Vortrag vor dem Psychiatrischen Verein zu Berlin über den klinischen Wert der serologischen und Liquordiagnostik (KRONFELD A (1914)) betont Kronfeld 1914 mit rückblickender Gelassenheit bezüglich der anfangs sehr grundsätzlichen Diskussion über die Spezifität der Wassermann Reaktion, daß die Ergebnisse der Komplementbindungsreaktion immer nur ein Hilfsmittel der klinischen Diagnostik sein dürften. Auch die Serologen selbst kämen allmählich von ihrem "teleologischen Spezifitätsdogma" ab. Viele Versuche hätten schon seit längerem gezeigt, daß die Wassermann Reaktion im Sinne einer Bindung von Luesantigen und -Antikörper sicher nicht spezifisch sei, sondern auch vom Verhältnis vieler anderer Bestandteile der Seren bzw. des Liquors abhänge. Sie liefere aber dennoch gute Ergebnisse. Vor allzu großem Vertrauen in die Liquordiagnostik wurde auch schon früher gewarnt. So fordert Thomsen 1909 auf der Versammlung des psychiatrischen Vereins südwestdeutscher Irrenärzte, jeder Irrenarzt solle sich zwar mit der Lumbalpunktion vertraut machen und sich eines Fachmannes für die serologische Untersuchung versichern. Klinische Beobachtung und neurologische körperliche Untersuchung dürften aber nicht vernachlässigt werden (REISS E, SCHOTT A (1910)). Nonne bezeichnet 1911 die "vier 134 Reaktionen" der Serodiagnostik als Dienerin, nicht aber als Führerin der Diagnose (MATUSCH F (1912E)). Trotz allen Streits um die Wassermann Reaktion ist die Frage der Ätiologie der Progressiven Paralyse aber weitgehend entschieden. Verschiedene Streitpunkte stehen aber noch auf der Tagesordnung. 1909 setzen sich Plaut und Oskar Fischer aus Prag vor dem Deutschen Verein für Psychiatrie mit einigen dieser noch offenen Fragen auseinander und bringen verschiedene Argumente vor, die für die Sicherung der Hypothese von der Syphilisätiologie der Progressiven Paralyse ausschlaggebend werden (PLAUT F, FISCHER O (1909)) . Plaut setzt sich auf der Grundlage der Folgerungen, die "die großartige Entwicklung der Syphilisforschung" für den Zusammenhang zwischen Syphilis und Paralyse ermöglichten, mit den Haupteinwänden gegen diesen Zusammenhang auseinander und vertritt die Ansicht von der Progressiven Paralyse als direkter syphilitischer Enzephalitis. Trotz der Ergebnisse der Statistiken seien bisher die meisten Autoren davor zurückgeschreckt, die Syphilis als "Konditio sine qua non" zu bezeichnen und beriefen sich dabei auf die wenigen Fälle, in denen die Statistik oder auch die Wassermann Reaktion unklare Resultate zeigten. Diese Zahl sei jedoch so gering, daß man berechtigt sei, zu sagen, ohne Lues gebe es keine Paralyse. Auch Möbius verurteile ein solches Kleben an der Statistik, denn die Vernunft verbiete anzunehmen, ein so charakteristisches Krankheitsbild könne bald diese, bald jene Ursache haben. Dann bemüht sich Plaut nahezulegen, daß die Syphilis noch bestehe, während sich der Prozeß der Progressiven Paralyse abspiele. Neisser habe bei seinen Experimenten mit Affen gezeigt, daß es eine Immunität bei Syphilis nicht gebe, sondern immun sein mit noch krank sein gleichbedeutend sei. Wo die Serumreaktion positiv verlaufe, seien auch noch Spirochäten vorhanden. Serologisch verhielten sich Paralytiker wie Patienten mit floriden Luesstadien, nicht aber wie latente Spätluiker. "So erscheint die Wahrscheinlichkeit, daß im Körper der Paralytiker noch tätiges Virus vorhanden ist, sehr nahe gerückt". Im weiteren behandelt Plaut die Streitfrage, warum nur so wenige Syphilitiker später an Progressiver Paralyse erkrankten. Wahrscheinlich gebe die Reaktionsweise der Infizierten den Ausschlag. Es scheine, als ob die Personen, die später an metasyphilitischen Affektionen erkrankten, von vornherein der Syphilis eine einheitliche und besondere Reaktionsweise in Form eines abnormen Abwehrmechanismus darböten. Der Verlauf der Syphilis des späteren Paralytikers lege den Gedanken nahe, 135 "daß eine Vorbedingung für die Entstehung der Krankheit weniger in einer eigentlichen Gehirndisposition zu suchen ist als in einer primär abnormen Reaktion des Gesamtorganismus auf den Syphiliserreger". Der geringe Anteil von 1 - 2% der Paralytiker an den mit Syphilis Infizierten relativiere sich durch die nur etwa 7%, die überhaupt tertiäre Erscheinungen der Lues zeigten. Die lange Latenzzeit zwischen Syphilis und dem Ausbruch der Paralyse erkläre sich nach Nonnes Untersuchungen durch einen langsamen Prozeß der Meningen als Vorbereitung der Paralyse. Anderen Theorien des Zusammenhanges von Syphilis und Progressiver Paralyse erteilt Plaut eine Absage. Gegen die Existenz einer eigenen Varietät des syphilitischen Virus mit einer ausgesprochenen Fähigkeit, das Zentralnervensystem zu schädigen, wie sie besonders in Frankreich angenommen werde, spreche die geringe Zahl entsprechender Beobachtungen. Auch die Toxinhypothese und damit die Theorie vom nur indirekten Einfluß der Syphilis sei inzwischen von Finger und Landsteiner widerlegt worden. Sie hätten durch Inokkulation von Proben aus primären Herden bei tertiär Syphilitischen Impfprodukte erzeugt, die denen der tertiären Syphilis entsprächen. Zur Frage der Disposition sagt Plaut, es sei kaum zu bestreiten, "daß bei fast keiner psychotischen Störung die Anhaltspunkte für hereditäre Einflüsse so gering sind wie bei der Paralyse". "Allen ... exogenen Einflüssen (wie Alkohol, Trauma, geistige Überanstrengung, andere Infektionskrankheiten, schädigende Einflüsse des modernen Kulturlebens) mag, soweit sie eine Schwächung der körperlichen und psychischen Widerstandskraft herbeiführen, eine unterstützende Rolle für die Entwicklung der Paralyse zukommen... Daß es sich aber um essentielle Einwirkungen handelt, läßt sich nur schwer beweisen". Das seltene Auftreten der Paralyse in den Tropen liege nicht an Rassenunterschieden, sondern daran, "daß Stämme, in denen die Syphilis noch eine neuartige Krankheit darstellt, weniger gefährdet sind". Ob die paralytische Veränderung auch histologisch eine syphilitische sei, müsse der Anatom beurteilen. Das Auftreten von Antikörpern im Liquor ausschließlich bei der Paralyse lasse dies aber trotz der unsicheren biologischen Bewertung des Stellenwertes der Antikörper vermuten. Fischer muß anschließend aber einräumen, daß die Pathologische Anatomie diese Frage bisher nicht beantworten könne. Zwar fänden sich bei der progressiven Paralyse die charakteristischen histologischen Befunde der Plasmazellinfiltrate, wie sie Alzheimer beschreibe, des Markfaserschwundes und verschiedener Gliaveränderungen. Ebenso 136 sprächen die Gemeinsamkeiten in Histologie und Symptomatik auch aller als atypisch zu bezeichnenden Paralysen für die Aufstellung einer natürlichen Krankheitsgruppe der Paralyse als anatomischer Hirnerkrankung von ganz bestimmter Art. In der eigentlichen Fragestellung kann sich Fischer jedoch nicht entscheiden, "wenigstens nicht vom anatomischen Standpunkt". Er schlägt daher vor, einstweilen den Begriff der syphilitischen Prozesse nur für das Gumma, die Endarteriitis und die gummöse Meningitis beizubehalten. Dagegen müsse die syphilitische Natur der anderen entzündlichen Prozesse als noch nicht genügend anatomisch und allgemein-pathologisch bewiesen bezeichnet werden. Dies gelte auch für den unklaren Begriff der diffusen Lues Zerebri. In der Begeisterung über die neuen immunologischen Methoden der Komplementbindungsreaktion wurde das Abderhalden sche Dialysierverfahren (als Nachweis von untypischen Eiweißprodukten z.B. bei Entzündungen, Tumoren oder auch bei der Schwangerschaft ebenfalls euphorisch aufgenommen. 1913 berichtet Fauser über die Anwendung dieser Methode bei der Untersuchung von Geisteskrankheiten und eröffnet damit eine kontroverse Diskussion (FAUSER A (1913)). Er entwickelt dabei eine Theorie, die die Genese aller Geisteskrankheiten auf eine allgemeine Stoffwechselstörung zurückführt. Das Abderhaldensche Verfahren eröffne jetzt die Möglichkeit, diese Stoffwechselstörung nachzuweisen und den Zusammenhang zu den Geisteskrankheiten zu belegen. Substanzen, die von den Organen der inneren Sekretion hergestellt würden und zwar arteigen, aber blutfremd seien, lösten im Blut die Bildung von "Schutzfermenten" aus. Diese Schutzfermente griffen dann das Gehirngewebe an und führten zu den Ausfallserscheinungen, die sich in den Geistesstörungen äußerten. Primär betrachtet Fauser dabei die Dementia präcox, die im allgemeinen psychiatrischen Interesse inzwischen die Progressive Paralyse überrundet hat. Die Paralyse zieht er jedoch auch in seine Überlegungen mit ein. In Anlehnung an Ideen von Schüle und Kraepelin habe er die Hypothese aufgestellt, bei der Dementia präcox könne es sich um eine Vergiftung seitens der Geschlechsdrüsen handeln. Bei bisher 436 Patienten habe Fauser seine Hypothesen zumindest in der Hauptsache für richtig befunden. So hätten sich bei Patienten mit Dementia präcox Reaktionen gegen Testikel- bzw. Ovarialeiweiß und gegen Hirnrindeneiweiß nachweisen lassen. Ebenso hätten sich bei den meisten Patienten mit Progressiver Paralyse Schutzfermente gegen Hirnrindeneiweiße gefunden. Als das "Primum Nocens" entsprechend dem Eiweiß der Geschlechtsdrüsen bei der Dementia präcox vermutet Fauser das Eiweiß der Spirochäten. Dies lasse darauf schließen, daß die Paralytiker noch Spirochätenträger seien. 137 Auf der Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Psychiatrie 1913 in Breslau stoßen diese Überlegungen noch auf Skepsis (CHOTZEN F, STERTZ G (1913)). Allers hält die Reaktion für unspezifisch und rät zu Vorsicht gegenüber Fausers Hypothesen. Römer aus Illenau verweist auf die technischen Schwierigkeiten der Methode. In anderen Arbeiten äußern sich Golla und Loeb ebenfalls eher ablehnend. Auf der nächsten Jahresversammlung in Straßburg ist die Skepsis jedoch teilweise in Euphorie umgeschlagen. Eine Rolle spielt dabei sicherlich die Überzeugungskraft der serologischen Diagnoseverfahren, die bei der Progressiven Paralyse ihre erste Bewährungsprobe glänzend bestanden haben und jetzt die Hoffnung bieten, die Ätiologie aller Geisteskrankheiten mit einer einheitlichen Theorie im Sinn der Einheitspsychose zu lösen. Kafka hält die in den Resultate der Abderhaldenschen Methode für bedeutungsvoll (PFERSDORFF K, ROSENFELD M, STEINER G (1914A)). Plaut bezeichnet die Methode in diagnostischer Beziehung als unbrauchbar. Bei Kontrollversuchen habe auch bei Fauser selbst die Methode versagt, sobald er die Fälle ohne Kenntnis der klinischen Diagnose untersucht habe. Bedenklich an der Diskussion um die Methode sei, daß ihre Vertreter Entbindungen einleiten, Operationen veranlassen und Kriminelle exkulpieren ließen (PFERSDORFF K, ROSENFELD M, STEINER G (1914B)). In der Diskussion vergleichen Sioli , Siemens und Ritterhaus die Abderhaldensche Methode mit den Anfängen der Wassermann Reaktion, als diese auch von vielen abgelehnt worden sei. Bundschuh und Römer halten die Methode noch für verbesserungsbedürftig und -fähig. Hauptmann unterstützt Plauts Kritik. Nissl und Stertz sind trotz des Enthusiasmus vieler Redner eher skeptisch. Nissl sagt, er könne aber Plauts definitiver Ablehnung nicht zustimmen. Fauser verwehrt sich gegen Plauts Kritik. Plaut sehe das psychiatrische Interesse der Abderhaldenschen Methode anscheinend nur im Geisteszustand ihrer Vertreter. 138 6.2 Die Versuche einer spezifischen Therapie der Progressiven Paralyse mit Arsenpräparaten (1911) Lange galt es als ein Argument gegen die syphilitische Ätiologie der Progressiven Paralyse, daß antisyphilitische Therapien bei ihr nichts auszurichten vermochten. Nachdem die Bedeutung der Syphilis in der Ätiologie der Progressiven Paralyse weitgehend anerkannt ist, kommen nun therapeutische Bestrebungen immer mehr zum Tragen. In Deutschland liegt dabei der Schwerpunkt auf der Suche nach einer spezifischen Therapie der syphilitischen Infektion. Plange , Assistenzarzt bei Konrad Alt in Uchtspringe, leitet 1911 einen Artikel über die Behandlung der Paralyse mit Arsenpräparaten als spezifischen Medikamenten gegen die Syphilis im primären und sekundären Stadium mit einem historischen Rückblick über die Therapieversuche der Progressiven Paralyse ein (PLANGE W (1911)). Bisher sei die Progressive Paralyse immer als unheilbar bezeichnet worden. Den Grund dafür sieht Plange in der vormaligen Unkenntnis von Pathogenese und Ätiologie der Progressiven Paralyse. "Heilversuche wurden dabei zu jeder Zeit gemacht. Systematisch zu verfahren war natürlich nicht möglich, solange die pathologisch-anatomischen Veränderungen im Zentralnervensystem und die Ätiologie noch unklar waren. Beides ist erst in neuester Zeit zu einem einigermaßen befriedigendem Ergebnis gekommen". Vorher seien höchstens die Selbstheilungskräfte der Natur durch Hebung des Allgemeinzustandes, ruhige Lebensweise oder Stuhlregelung unterstützt worden. Hinzu seien Therapien gegen die vermutete Hirnkongestion gekommen, z.B. das Ergotin. Als symptomatische Therapie seien Digitalis, Strychnin u.a. sowie kalte Bäder zur Beruhigung verwandt worden. Trepanationen zur Ableitung des erhöhten Hirndrucks hätten nur zu dem Ergebnis geführt, daß ein solcher nicht bestehe. Ebenfalls seien mit lokalen Reizungen schon immer therapeutische Versuche unternommen worden. Schon lange gebe es auch Berichte über Heilungen nach infektiösen, meist fieberhaften Erkrankungen. Wagner von Jauregg trete dafür ein, dieses Heilmittel, das die Natur in der Erzeugung von fieberhaften Erkrankungen biete, in zweckbewußter Weise in der Therapie der Psychosen anzuwenden. Die Fortschritte der Bakteriologie lieferten nun die Möglichkeit der Nachahmung der Natur ohne Gefährdung des Individuums. An anderen Versuchen der Erzeugung von Fieber und Hyperleukozytose seien Donaths Nukleinsäure-Injektionen und Hoppes Anwendung von arsenhaltigen Präpara- 139 ten zu nennen. Die Wirksamkeit antisyphilitischer Maßnahmen, die sich durch den klarer werdenden Zusammenhang der Paralyse mit der Syphilis seit Esmarch und Jessen angeboten habe, werde unterschiedlich beurteilt. Eine unspezifische Therapie mit Arsen sei seit 1848 bekannt. Nach Foville beruhe seine Wirkung auf der Verhinderung der Gefäßparalyse. Die Verwandtschaft der Spirochäten mit den Trypanosomen lege es nahe, das Atoxyl (ein Arsenpräparat) mit seinem günstigen Einfluß auf die Schlafkrankheit auch bei der Paralyse anzuwenden. Die ersten Versuche 1903 hätten keine Besserung der psychischen Symptome bewirkt. Ehrlichs Weiterentwicklung des Atoxyl, das Arsenophenylglycin, zeige jedoch bessere Resultate, die sich durch die Wassermannsche Reaktion kontrollieren ließen. Bei 20 von 121 Patienten sei die Reaktion negativ geworden. Ebenfalls 1911 berichtet Emanuel vor dem Psychiatrischen Verein zu Berlin zurückhaltend über Therapieversuche mit Salvarsan an der Edelschen Klinik in Charlottenburg (LAEHR H (1911)). Zwar zeige das Medikament bei der Lues zerebralis eine erleichternde Wirkung auf die Kopfschmerzen, die allerdings nicht lange anhalte. Bei sämtlichen Fällen von Progressiver Paralyse seien die Resultate jedoch negativ gewesen. Von der Anwendung sei abzuraten, da evtl. sogar Verschlechterungen eintreten könnten. Edel fügt hinzu, daß aber gelegentlich die Angehörigen der Patienten auf die Anwendung des sehr populären Salvarsans drängten. Die Umstimmung der Wassermannschen Reaktion durch das Salvarsan sei ein "sehr merkwürdiger Aspekt", er eigne sich aber nicht zur Therapiekontrolle. Ähnliches referiert Eichelberg 1911 vor der Versammlung des Psychiatrischen Vereins der Irrenärzte Niedersachsens und Westfalens. Bei Dementia paralytica sei die Salvarsanbehandlung zwecklos. Bei Lues cerebri und bei Tabes dorsalis wirke das Mittel günstig, man komme aber nicht viel weiter als mit Jod und Quecksilber. Hingegen komme es zu schweren Nebenwirkungen, wie peripheren Nervenschäden und sogar Todesfällen unter Salvarsantherapie. In der Diskussion geht Fischer so weit, das Salvarsan als kontraindiziert zu bezeichnen (EICHELBERG F (1911)). 1912 schildert Pfunder sieben Fälle von Progressiver Paralyse aus der Heil-und Pflegeanstalt Illenau, bei denen die Salvarsantherapie zwar eine roborierende Wirkung aufgrund des Arsens, aber in keinem der Fälle einen deutlich merkbaren Einfluß auf den Gesamtverlauf gehabt habe. Seine große Bedeutung habe das Salvarsan in der Prophylaxe der metasyphilitischen Erkrankungen durch Therapie der luetischen Frühformen 140 (PFUNDER A (1912)). Wie unterschiedlich sich die Nebenwirkungen des Salvarsans interpretieren lassen, wird in der Diskussion über die sogenannten "Neurorezidive" nach Salvarsanbehandlung deutlich. Die Gegner der Salvarsantherapie bezeichnen sie als schwere Nebenwirkung einer sowieso nutzlosen Therapie, die Befürworter hingegen als unvermeidliche Konsequenzen der therapeutischen Wirkung z.B. im Sinne einer Herxheimer Reaktion. So verteidigt Benario Ehrlichs Auffassung der Neurorezidive und weise deren toxische Natur zurück (MATUSCH F (1912G)) . Finger widerlegt nach Ansicht von Matusch Benarios Beweisführung. Das gehäufte und frühzeitige Auftreten von Lues Zerebri hänge unbedingt mit dem Salvarsan zusammen (MATUSCH F (1912H)) . Dreyfus bezeichnet die Neurorezidive als nicht spezifisch für Salvarsan. Sie träten auch nach Quecksilbertherapie oder spontan auf und ließen sich auf die günstigen Bedingungen für nicht abgetötete Spirochäten im für das Salvarsan unzugänglichen Zentralnervensystem zurückführen (PFÖRRINGER O (1913E)) . In der Diskussion eines Vortrages von Friedländer schlägt Anton aus Halle ein aggresiveres Vorgehen bei der Anwendung der Salvarsanbehandlung vor, da sich das Gehirn im Körper gegenüber Medikamenten biologisch relativ selbständig verhalte. Durch ein einfaches Verfahren könnten die Ventrikel eröffnet werden, um Medikamente, isotone Lösungen (Ringer) oder Quecksilberspülungen zu instillieren (KEHRER F, KÖNIG W, STERN F (1912B)). Nach dem Nachweis von Spirochäten im Gehirn von Paralytikern werden noch einmal die Anstrengungen für eine spezifische Therapie der Progressiven Paralyse auch durch invasive Verfahren verstärkt. So wird nach einem Vortrag von Kunowski gefordert, die therapeutischen Anstrengungen zu vergrößern. Auch Alzheimer , Förster und Bonhoeffer versprechen sich Erfolge durch Quecksilber oder Salvarsan, die evtl. intralumbal oder zusammen mit Blutserum injiziert werden sollten. Fischer hält allerdings nicht viel von den aggressiven Methoden der Salvarsan Applikation, da auch eine negative Wassermannsche Reaktion im Liquor nach Salvarsan nur auf eine oberflächliche Vernarbung des Gehirns und der Meningen zurückzuführen sei (NEISSER C (1914B)). Die Vertreter der Pathologischen Anatomie führen somit deren Postulat einer wissenschaftlichen Vorgehensweise fort, wie es sich in einer spezifischen Therapie des nun bekannten Erregers anbietet. Die von Virchow noch angefeindete Bakteriologie und besonders die Immunologie und die aus ihr erwachsene spezifische Therapie haben augenscheinlich auch in der Psychiatrie von der Pathologischen Anatomie für einige 141 Zeit die wissenschaftliche Vorreiterrolle übernommen. Weitere therapeutische Versuche mit Salvarsan, die teilweise mit großen wissenschaftlichem Ehrgeiz angelegt sind, werden 1914 auf der Jahresversammlung des Vereins Norddeutscher Psychiater und Neurologen beschrieben. Schubert aus Altona berichtet dabei über die Technik der "endolumbalen Applikation" von Neosalvarsan, wobei das pulverförmige Medikament in vorher gewonnenem Liquor gelöst wird (ENGE HL (1914A)) . Ähnliche Ergebnisse mit derselben Methode bei 25 Patienten teilt Weygandt aus Hamburg mit (ENGE HL (1914B)) . In der Diskussion versucht Kafka , die Ergebnisse als Erfolge zu interpretieren. Andere Diskussionsteilnehmer sind skeptischer und sehen keine Vorteile in dem beschriebenen Verfahren. Runge aus Kiel hält die Ergebnisse nicht für sehr ermutigend; er habe mit intravenöser Gabe von Salvarsan bessere Erfolge erreicht. Brückner aus Langenhorn und Nonne halten die endolumbale Applikation wegen der Nebenwirkungen für viel zu gefährlich. Im Schlußwort sagt Weygandt , das Problem der Behandlung der Progressiven Paralyse erfordere noch viel ernste, vorsichtige Arbeit, aber zum Pessimismus sei kein Anlaß. Es sei irrig anzunehmen, die Therapie der Neurolues sei noch nicht weiter als zur Zeit der Versuche mit Brechweinstein-Eiterungen. Trotz dieser einzelnen Versuche scheint der anfängliche Optimismus gegenüber der Salvarsantherapie also schon bald nach Planges optimistischer Zukunftsschau einer deutlichen Ernüchterung gewichen, wie es sich auch in einem Vergleich verschiedener Therapieansätze zeigt. Spielmeyer und E. Meyer referieren 1912 auf der Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Psychiatrie in Kiel über den Stand der Behandlung der Progressiven Paralyse zeigt. In der anschließenden Diskussion werden die Gegensätze deutlich, wenn auch die Mehrzahl der Teilnahme die größten Hoffnungen in die Kombination aller vorhandenen Methoden und in eine Ausweitung der vorhandenen Möglichkeiten durch ein aggressiveres Vorgehen setzt (KEHRER F, KÖNIG W, STERN F (1912C)). Spielmeyer stellt den Zusammenhang von Ätiologie und Therapie der Progressiven Paralyse dar. Wahrscheinlich sei die Paralyse keine Nachkrankheit im Sinne Strümpells, sondern die Spirochäten seien in ihrem Verlauf noch tätig und es handele sich um einen syphilitischen Prozeß besonderer Art. Die Pathologisch Anatomie könne in dieser Frage nach Aussage von Erb und Nissl keine Auskunft geben. Der Nutzen einer Arsen- oder 142 auch Quecksilbertherapie hänge natürlich vom Vorhandensein von Spirochäten ab; genauso aber von der Existenz eines neurotropen Stammes und vor allem auch von der richtigen Verteilung des Arzneimittels im Organismus. Spielmeyer verweist dabei auf die geringe Permeabilität der Meningen. E. Meyer führt dann die "praktische Seite" der Therapie aus. Eine Umfrage habe ergeben, daß in 66 von 141 Anstalten überhaupt keine Therapieversuche der Progressiven Paralyse unternommen würden. Beim Salvarsan seien die Berichte eher ungünstig. Die Umfrage habe ergeben, daß bei 286 Fällen nur viermal Besserung und 13mal Remissionen erreicht worden seien. Allgemeine Verfahren wie Donaths Infusionen und NukleinsäureInjektionen führten zu unterschiedlichen Resultaten; Pilcz' Tuberkulinkur allerdings erziele bei geringen Nebenwirkungen verhältnismäßig häufig Besserungen oder Remissionen. Zusammenfassend hält Meyer die bisherigen Versuche für nicht geeignet, eine dauerhafte Heilung der Paralyse erzielen zu können. Die besten Ergebnisse zeige die Tuberkulinkur. Weitere therapeutische Versuche, besonders auch mit Kombinationen der verschiedenen Methoden, seien aber berechtigt. Wichtig sei besonders die Vorbeugung der Progressiven Paralyse. P. Schröder aus Breslau erweist sich als Anhänger der alten Schule der Pathologischen Anatomie. Er sieht die Progressive Paralyse als selbständigen Prozeß und bezeichnet die Remissionen im Verlauf der Progressiven Paralyse nur als Ruhepausen zwischen den akuten Schüben und Exazerbationen der Krankheit, die von einer Therapie überhaupt nicht beeinflußt würden (KEHRER F, KÖNIG W, STERN F (1912D)). Stransky als Vertreter der "Wiener Schule" berichtet über Wagner von Jaureggs Versuche. Die mit Tuberkulin erzielten Erfolge seien besser, als er es je zuvor bei Paralyse gefunden habe. Er weise Schröders therapeutischen Pessimismus zurück. Auch Fischer hält die Ergebnisse der Nukleinsäure- und Tuberkulintherapie für gleichwertig. Andere Präparate wie z.B. Kombinationen von Nukleinsäure und Quecksilber oder vielleicht radioaktive Substanzen, die ebenfalls eine Leukozytose erzeugten, sollten ebenfalls ausprobiert werden. 143 6.3 Die Behandlung der Progressiven Paralyse durch Fiebertherapien (1882) Von den ersten Beschreibungen an gilt die Progressive Paralyse allgemein als eine grundsätzlich tödlich verlaufende Krankheit, die einer Therapie nicht zugänglich sei. Es spricht auch für ein nachlassendes Vertrauen in die kurzfristige Klärung der Ätiologie der Progressiven Paralyse durch die Pathologische Anatomie, daß sich ab 1878 Artikel häufen, in denen die Tendenz deutlicher wird, primär die erkrankten Patienten zu heilen oder zumindest ihre Symptome zu lindern. Dieser Anspruch spiegelt den Widerspruch zwischen dem Bedürfnis, vordringlich die Patienten zu heilen, das naturgemäß bei den Anstaltspsychiatern ausgeprägter war, und dem wissenschaftlichen Anspruch, eine Therapie auf der Kenntnis der Pathogenese einer Geisteskrankheit zu entwickeln, was mehr dem universitären Denken entsprach. Einen gewissen Hoffnungsschimmer bieten "Remissionen im Verlauf der Allgemeinen Paralyse", wie sie Böttger 1878 beschreibt (BÖTTGER E (1878)). Dies stehe allerdings nicht dem entgegen, daß "wir wohl mit Recht gewöhnt sind, die Allgemeine Paralyse a priori als unheilbar anzusehen". Diese Remissionen schreibt Böttger einer frühen Diagnose und der rechtzeitigen Einlieferung in ein Asyl zu, denn die "Ruhe und Gleichmäßigkeit der Anstalt begünstigt die Rückbildung des Kongestivzustandes im Prodromalstadium" und die Möglichkeit, sich in Exzessen aller Art zu ergehen, sei abgeschnitten. Die Dauer der Remissionen betrage zwischen wenigen Wochen bis zu einigen Jahren, das Ende bezeichne oftmals ein apoplektischer Anfall. 1880 benutzt Oebeke trotz aller prinzipiellen Einwände gegen diesen Begriff die Heilung einer Progressiven Paralyse. Den Fall eines Patienten mit Progressiver Paralyse, der sich seit vier Jahren in Remission befinde, nimmt Oebeke zum Anlaß, einige Überlegungen zur möglichen Heilung der Progressiven Paralyse anzustellen (OEBEKE B (1880)). Es seien inzwischen mehrere Fälle in der Literatur berichtet worden, in denen Patienten nach mehr oder weniger langer Remission als geheilt bezeichnet würden. Nehme man drei Jahre als den Zeitraum an, nach dem man von einer Heilung sprechen könne, verzeichne man im Ganzen 17 Fälle nachgewiesene Fälle von Genesungen von Paralyse. Von diesen habe allerdings erst einer, der nach sieben Jahren an einer anderen Krankheit 144 verstorben sei, "die Probe bestanden". Einige Autoren sähen eine Abhängigkeit der Prognose von der Ätiologie. In Oebekes Fall sei eine Gemütsdepression die Veranlassung der Krankheit gewesen. Ein günstiger Verlauf komme z.B. der rheumatischen Genese zu. Andere begründeten die Heilbarkeit der Progressiven Paralyse in ihrer syphilitischen Ursache. Oebeke schildert 1880 auch, daß in mehreren Fällen von Genesung interkurrente akute Krankheiten von lebensgefährlicher Intensität vorausgegangen seien. 1882 berichtet er, wie er diese Beobachtung in therapeutische Bemühungen umzusetzen versucht und " Schädeleinreibungen bei Progressiver Paralyse als Therapie bei paralytischen Anfällen" in der Klinik Endenich vorgenommen habe (OEBEKE B (1882)). Die Patienten böten ein so bemitleidenswertes Bild, daß ein Arzt sich gedrängt fühle, zu suchen, ob die ärztliche Kunst und Wissenschaft nicht ein Mittel biete, den Erscheinungen Einhalt zu tun und womöglich den Krankheitsverlauf weniger unheilvoll zu gestalten. Die Idee dabei sei gewesen, "durch eine rasche und energische Ableitung von dem kranken Organ zunächst das gefährdete Leben zu erhalten und später durch eine länger zu unterhaltende Eiterung möglichst nahe dem "Lokus Morbi" ein Weiterschreiten des destruktiven Krankheitsprozesses wenn möglich zu verhindern oder zu verlangsamen". Zu diesem Zwecke sei eine entzündungsfördernde Salbe dicht über dem "motorischen Gebiet der Hirnrinde" aufgetragen worden. Es komme zu einer Schwellung und bald darauf zu einer Eiterung. Trotz der bescheidenen Erfolge sei diese Therapie auf alle Fälle einen Versuch wert, denn "Remedius anceps melius quam nullum". Wegen der allgemein angenommenen letalen Prognose sei eine Heilung nicht ins Auge gefaßt worden. Über ein vergleichbares Verfahren der "Behandlung der allgemeinen progressiven Paralyse (Dementia paralytica)" berichtet bereits 1877 Ludwig Meyer (MEYER L (1877)) . Er beruft sich wiederum auf Jacobi , der in Siegburg chronische Geistesstörungen mit dieser Methode behandelt habe, und beschreibt die Fallgeschichten von 15 Patienten, von denen acht geheilt worden seien. Beobachtungen, daß Geisteskrankheiten durch fieberhafte Erkrankungen abgeleitet würden, gehen bis in die Antike zurück. (vergleiche auch (WHITROW M (1990)). Laut Oebeke hätten Bayle, Calmeil und andere Franzosen mit ähnlichen Verfahren Erfolge erzielt, Ludwig Meyer hingegen spreche sich dagegen aus. Zu solchen Überlegungen gehören auch Berichte über Heilungen von Progressiver Paralyse nach schweren Eiterungen. So schildert Stegner 1881 den mehrmonatigen Verlauf einer Eiterung, die in einer offenen Fraktur nach einem Fluchtversuch aus der Heilan- 145 stalt Hildesheim entstanden sei (STEGNER O (1881)). Schäfer aus Langenhorn schildert noch 1897 den Fall eines Paralytikers, der durch eine schwere Infektion geheilt worden sei. Dieser Patient sei im Zustand der Remission aus der Anstalt Hildesheim nach Hause entlassen worden sei. Dort habe er bald wieder Symptome der Geisteskrankheit gezeigt und sich bei einer Wirtshausschlägerei eine komplizierte Unterschenkelfraktur zugezogen. Diese Verletzung habe sich infiziert und im Laufe von drei Monaten 35 Liter Eiter produziert, bis schließlich eine Amputation vorgenommen worden sei. Nach dem Eingriff habe sich der Zustand des Patienten auch bezüglich der Paralyse sehr rasch gebessert, so daß er bis zu seinem Tod an einer Pneumonie einige Jahre später als geistig gesund bezeichnet werden könne (SCHÄFER G (1897)). Dennoch bleiben solche Berichte Einzelfälle, und mehrere Autoren zeigen sich ernüchtert über die Prognose der Progressiven Paralyse. Nasse befaßt sich 1886 mit dem Schicksal von sieben Patienten, die er 1870 in einem Beitrag im Irrenfreund als geheilt bezeichnet hatte (NASSE W (1886)). Von diesen sieben seien inzwischen sechs entweder an der Paralyse oder an anderen Gehirnaffektionen gestorben. Bei dem siebten Patienten sei die Diagnose einer Progressiven Paralyse sowieso unsicher gewesen. Eickholt beschreibt 1886 ebenfalls acht Fälle von Dementia paralytica, die als geheilt entlassen worden, aber alle später wieder erkrankt seien (KIRN L (1888C)). Die therapeutischen Versuche mit ableitenden Entzündungen geraten über der Suche nach der Ätiologie der Progressiven Paralyse und nach spezifischen Methoden der kausalen oder zumindest der symptomatischen Therapie weitgehend in Vergessenheit. In dem Maß, wie es der pathologisch-anatomischen Betrachtung der Geisteskrankheiten nicht möglich ist, einen umfassenden Beitrag zur Klärung der Ätiologie oder der Pathogenese der progressiven Paralyse zu liefern, mehren sich die Versuche, über Veränderungen des Gesamtorganismus einen anderen Zugang zur Paralyse zu finden. Dabei bezieht die stürmische Entwicklung der Inneren Medizin und der diagnostischen Verfahren der Labormedizin auch die Psychiatrie mit ein und erweckt vielfach Hoffnungen, mit diesen Methoden auch psychischen Krankheiten auf die Spur zu kommen. So werden durch diesen Optimismus auch romantische Vorstellungen des engen Zusammenhanges von Geist und Körper wieder lebendig. So schreibt Siegmund 1895 in einem Beitrag "über Urinveränderungen bei Geisteskranken" (SIEGMUND PR (1895)) , die Psychiatrie berühre in ihrer wissenschaftlichen Erfor- 146 schung und mehr noch bei ihrer praktischen Ausübung fast alle Fächer der Medizin. Geistiges Kranksein sei ohne Veränderungen der körperlichen Organe überhaupt nicht möglich. Hauptsitz der Veränderungen sei zwar das Gehirn, aber wegen seiner engen anatomischen und physiologischen Verbindungen mit den übrigen Organen bliebe seine Alteration nicht ohne Einfluß auf den Rest des Körpers. Genauso gebe es den umgekehrten Weg, daß eine körperliche Erkrankung ein entsprechend disponiertes Gehirn in seiner Tätigkeit aus dem Gleichgewicht bringen könne. Siegmund hebt den Wert der physikalischen, chemischen und mikroskopischen Untersuchungsmethoden in der Psychiatrie hervor, da bei den Geisteskranken oft die Möglichkeit einer Anamneseerhebung fehle. Es sei die Pflicht der Irrenärzte, sich von den Angaben der Patienten möglichst unabhängig zu machen. Dies umfasse eine regelmäßige Kontrolle der wichtigsten Körperfunktionen. So gehöre auch eine "öftere Harnuntersuchung" mit in den Rahmen der somatischen Behandlung der Geisteskranken. Die Meinungen über Urinveränderungen bei Geisteskrankheiten seien allerdings sehr verschieden und teilweise auch widersprüchlich. Er selbst habe eine transitorische Glykosurie viel häufiger bei Dementia paralytica als bei anderen Geisteskranken gefunden. Diese gehöre möglicherweise zu ihren ständigen Symptomen. Zwar gebe es keinen Zusammenhang zu bestimmten Verlaufsformen oder zu paralytischen Anfällen, aber vielleicht sei die Glykosurie bei der Progressiven Paralyse diagnostisch verwertbar. H. Meyer und Meine hingegen trüben den Optimismus bezüglich der Urinuntersuchungen. H. Meyer und Weber hatten bereits 1889 in Basel bei 19 von 22 Paralytikern mittels der Biuretreaktion Eiweiß im Urin nachgewiesen, konnten aber die Ansicht nicht unterstützen, das Fehlen von Peptonen im Urin schließe die Diagnose Progressive Paralyse aus (KIRN L (1891B)). 1893 setzen Meyer und Meine diese Untersuchungen auf Eiweiße im Urin von Paralytikern fort und finden nachträglich bei Klinikangestellten ähnliche Ergebnisse, so daß wahrscheinlich die Peptonurie nicht charakteristisch für die Paralyse sei (KIRN L (1895D)). Im Sinne einer Allgemeinerkrankung interpretiert auch Kraepelin die Progressive Paralyse und bezeichnet sie in der fünften Auflage seines Psychiatrie-Lehrbuches als Stoffwechselerkrankung (KIRN L (1897B)). Welcher Art diese Stoffwechselstörung ist, versuchen verschiedene Autoren zu klären. Peritz vertritt 1908 die Ansicht, daß die Verarmung des Zentralnervensystems an Lezithin die Grundlage von Tabes dorsalis und Progressiver Paralyse sei (MATUSCH F (1909C)) und führt auch die Komple- 147 mentablenkung auf den Mangel an Lezithin zurück (MATUSCH F (1910B)). Kauffmann beschreibt 1909 nach Stoffwechseluntersuchungen bei Progressiver Paralyse eine vorübergehende Störung der Oxidation, die sich in der Ansammlung von Zwischenprodukten äußere. Bakterielles Fieber könne die Oxidation beschleunigen und dann evtl. zu Remissionen führen (MATUSCH F (1909D)). Allers charakterisiert 1913 die Stoffwechselstörungen, die zumindest bei gewissen Stadien der Progressiven Paralyse aufträten, als eine Unfähigkeit des Organismus, Eiweißprodukte abzubauen, die zur Ausscheidung von intermediären Stoffwechselprodukten führe (ALLERS R (1913)). Ganz neue Wege geht Donath aus Budapest, als er, ebenfalls aufgrund der Interpretation der Progressiven Paralyse als einer allgemeinen Stoffwechselerkrankung, Paralytiker mit einer Infusionstherapie behandelt (DONATH J (1903)). Ätiologisch geht Donath bei der Progressiven Paralyse vom Vorliegen giftiger Stoffwechselprodukte aus. Dafür spreche der Nachweis von Cholin im Nervengewebe von Paralytikern, das als ein Abbauprodukt des Lezithins eine wichtige Rolle in der Auslösung epileptischer Anfälle spiele. Ob die Stoffwechselprodukte durch die Invasion von pathogenen Bakterien und ihren Toxinen aus dem Magen-Darm-Trakt, wie Bruce und Ford Robertson dies annähmen, oder durch die Syphilis entständen, sei nebensächlich. (Raimann aus Wien weist 1903 die Theorie von Bruce und Robertson zurück, die Progressive Paralyse sei durch Toxine des aus dem Darmkanal eingewanderten "Bakterium coli commune" bedingt [SCHLÜTER R (1904)]). Die Progressive Paralyse sei vielleicht als Toxinerkrankung anzusehen, deren Ausgang vom Darmkanal sei aber nicht erwiesen.) Donaths Salzgemisch, das der Asche des Gesamtblutes entspreche und nahezu isoton sei, sei ein mächtiges Kardiakum und Diuretikum, pulshebend und appetitanregend sowie überhaupt ein hervorragendes erfrischend wirkendes nachhaltiges Tonikum des Nervensystems und solle das Blut von giftigen Stoffwechselprodukten befreien. Solche Lösungen sollten übrigens bei keinem praktischen Arzt fehlen, da sie auch bei starken Blut- und Säfteverlusten (OP, Wochenbett), Eklampsie oder Vergiftungen unschätzbare Dienste leisteten. Aus sieben Fallgeschichten gehe die Wirkung der Salzinfusionen bei Progressiver Paralyse hervor. Drei Patienten habe Donath weiter verfolgen können. Bei zweien halte die Besserung an, beim dritten habe sich der Zustand inzwischen wieder verschlechtert. Obgleich es Paralyse auch ohne Syphilis gebe, gelte wohl für die Progressive Paralyse wie auch für die Syphilis, daß sie von Zeit zu Zeit wieder behandelt werden müsse. Und wie die Quecksilbertherapie -der gegenüber sie den Vorteil der Unbedenklichkeit besitze- 148 komme die Infusionstherapie in erster Linie für die Anfangsstadien der Paralyse in Betracht. Jedenfalls sei die Zeit vorüber, "wo man dieser furchtbaren Krankheit sozusagen mit verschränkten Armen gegenüberstand". 1910 berichtet Donath über neue Versuche der Behandlung der Progressiven Paralyse mit Nukleinsäure-Injektionen (DONATH J (1910)). Während die Kochsalzinfusionen nur die toxischen Stoffwechselprodukte der Progressiven Paralyse ausschwemmten, solle die Nukleinsäure durch Hyperthermie und Hyperleukozytose die Oxidation und allgemein den Stoffwechsel anregen und den Abbau der Toxine fördern. Die Nukleinsäure gewinne er aus Hefe und spritze sie unter aseptischen Kautelen in 2 - 3% Lösung subkutan in einer Menge von 50 - 100 ml. Innerhalb von vier bis zehn Stunden stiegen Leukozytenzahlen und Temperatur dann auf bis zu 60.000 bzw. 40,5 oC an und kehrten durchschnittlich am dritten Tag nach der Injektion zur Norm zurück. Die nächste Injektion erfolge nach der Normalisierung des Fiebers. Unter 21 Fällen von Patienten mit Progressiver Paralyse habe er so in zehn Fällen eine wesentliche Besserung erzielt, worunter Donath die Wiedererlangung der Arbeits- und Erwerbstätigkeit versteht. In weiteren fünf Fällen wurde eine Besserung erzielt. Diese Erfolge gälten unterschiedslos für Fälle mit unzweifelhafter luischer Vergangenheit und anderer Genese toxischen Ursprungs. Die Theorie von der Progressiven Paralyse als Allgemeinerkrankung findet besonders bei der Wiener Schule um Wagner von Jauregg ihren Niederschlag in den unspezifischen Therapien der Fiebererzeugung durch Tuberkulin, verschiedene Bakterien und schließlich Malaria. Pilcz beschreibt 1907 den Rückgang der Symptome bei einigen Paralytikern nach Injektion von Kochschem Tuberkulin (MATUSCH F (1908E)). Er führt 1912 weiter aus, daß die Tuberkulinbehandlung die Häufigkeit und die Tiefe von Remissionen bei Progressiver Paralyse erhöhe, auf die Wassermann Reaktion und die Hinterstrangsymptome aber keinen Einfluß habe (PFÖRRINGER O (1913F)). Wagner von Jauregg berichtet 1911 über gute Erfolge mit abgetöteten Staphylokokkenkulturen in der Therapie insbesondere manischer Formen der Progressiven Paralyse (MATUSCH F (1912I)). 149 6.4 Der Nachweis von Spirochäten im Gehirn (1913) und die Theorie eines neurotropen Erregers der Progressiven Paralyse Auch nach dem Nachweis der Progressiven Paralyse als direkter syphilitischer Enzephalitis entstehen wieder Vorstellungen, die eine Eigenart der paralytischen Geisteskrankheit gegenüber der reinen Syphilis des Gehirns suggerieren. Diese Eigenart wird jetzt in einem spezifischen Erregerstamm gesucht. 1913 beschreibt Noguchi erstmals den Nachweis von Spirochäten im Gehirn von Paralytikern durch mikroskopische Untersuchungen im Dunkelfeld, allerdings anfangs nur in 20% der Fälle. Er liefert damit einen weiteren entscheidenden Beleg dafür, daß auch die Progressive Paralyse ein syphilitischer Prozeß ist. Die ersten Reaktionen in Deutschland sind allerdings eher abwartend. Forster bezieht sich 1913 auf Noguchis Befunde und ihre Bestätigung z.B. durch Marie und Levaditi. Es stelle sich jetzt die Frage, "ob Spirochäten in allen Fällen von Paralyse vorhanden sind." Zur Klärung führe er jetzt zusammen mit Tomaczewsky Versuche durch, bei denen "das durch Hirnpunktion gewonnene Hirnmaterial von Paralytikern" auf Tiere überimpft und vorher außerdem im Dunkelfeld untersucht werde (LAEHR H (1913)). 1914 berichtet Forster auf der Sitzung des Deutschen Vereins 1914 in Straßburg über die Resultate dieser Versuche. Zwar hätten sich bei 27 von 44 Paralytikergehirnen im Dunkelfeld Spirochäten nachweisen lassen, die Impfungen von Kaninchen und Affen hätten aber zu uneinheitlichen Ergebnissen geführt. Daraus schließt Forster, daß die Spirochäte des Paralytikergehirns gegenüber dem normalen Syphiliserreger biologisch verändert sein müsse. Es sei noch nicht sicher, ob dies -wie Ehrlich vermute- an der Anpassung besonderer Spirochätenstämme an das Gehirn oder durch die Lipoide des Gehirns selbst geschehen sei (PFERSDORFF K, ROSENFELD M, STEINER G (1914C)). In der Diskussion berichtet Plaut ebenfalls von erfolglosen Impfversuchen und hält Forsters Anschauung von der biologischen Eigenart der "Paralysespirochäten" für naheliegend. Ein spezifischer Typus von Spirochäta pallida, der durch besondere Eigenarten zur Ausbildung einer Progressiven Paralyse führe, wurde schon früher angenommen. So vermutet Hauptmann bereits 1911 nach Untersuchungen von 53 Familien, daß die Spirochäten durch Beteiligung des Zentralnervensystems an Virulenz verlören, da von späteren Para- 150 lytikern Infizierte nur selten manifest erkrankten (MATUSCH F (1912F)), und auch Hoche hält es 1912 für wahrscheinlich, daß es Spirochätenstämme mit besonderer Affinität zum Nervensystem gebe (PFÖRRINGER O (1913D)). Weygandt und Jakob (PFERSDORFF K, ROSENFELD M, STEINER G (1914D)) aus Hamburg stellen 1914 bei ihren Versuchen Affen und Kaninchen keine Anhaltspunkte für eine neurotrope Eigenart einzelner Spirochätenstämme fest. 151 6.5 Abschluß 1914 schreibt Paul Ehrlich in einem Beitrag zum 20jährigen Bestehen der Landesheilanstalt Uchtspringe über die Anwendung seiner Rezeptoren- (später Seitenketten-) Theorie auf die Erklärung der Ätiologie und Klinik der Progressiven Paralyse (EHRLICH P (1914)). Er widmet diesen Beitrag besonders auch Konrad Alt , dem langjährigen Leiter der Anstalt, "der die durch die experimentelle Chemotherapie geschaffenen Arsenpräparate mit größtem Verständnis und kritischer Umsicht in der menschlichen Pathologie anwandte, und der durch scharfe klinische Beobachtung der neuen Therapie Wege und Ziel wies". Nach Noguchis Nachweis der Spirochäten im Gehirn von Paralytikern müsse man annehmen, daß es sich bei der Progressiven Paralyse nicht um eine metasyphilitische Nachkrankheiten, sondern um einen syphilitischen Infektionsprozeß handele. Daraus erkläre sich auch der Verlauf der Krankheit mit ihren Remissionen und Exazerbationen. "Berücksichtigt man aber dabei, daß die Paralyse nun als ätiologisch geklärte Krankheit erscheint, ... so wird man mit frischem Mut auch bei dieser Krankheit das Heilungsproblem in Angriff nehmen dürfen..." Beugen wir uns also der Autorität des späteren Nobelpreisträgers der Medizin. Wenn auch viele Diskussionspunkte wie z.B. die Existenz eines neurotropen Stammes von Treponema pallidum noch nicht entschieden sind: Die grundlegende Frage der Ätiologie der Progressiven Paralyse ist als gelöst anzusehen. Ich möchte als Endpunkt meiner Betrachtungen den Beginn des Ersten Weltkrieges annehmen, der auch in der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie seinen Niederschlag findet: "Der diesjährige vom Deutschen Verein für Psychiatrie vorbereitete Fortbildungskurs für Psychiater, der vom 8. - 28. Oktober in Berlin stattfinden sollte, fällt wegen des Krieges aus."(Kleine Mitteilungen (1914)). 152 7 Diskussion 7.1 Allgemeine Überlegungen Bei den ätiologischen Überlegungen zur Progressiven Paralyse finden sich bereits recht früh wiederholt Beobachtungen, die eine syphilitische Genese dieser Krankheit sehr nahelegen. Aus unserer heutigen sicheren Kenntnis dieses Zusammenhanges erscheint es fast unverständlich, daß diese Anhaltspunkte nicht auch schon damals entsprechend interpretiert wurden und die Syphilis-Ätiologie der progressiven Paralyse bereits um 1880 allgemein anerkannt wurde. Der starke Widerstand gegen diesen Zusammenhang ist aus einer historischen Betrachtung, die sich auf die rein medizinischen und themenbezogenen Aussagen beschränkt, nicht zu erklären; insbesondere dann nicht, wenn dem zeitgenössischen Forscher als alleiniger Beweggrund seines Vorgehens die Weiterentwicklung des medizinischen Wissens in Richtung auf den heutigen Stand zugebilligt wird. Bereits diese Überlegung zeigt, daß andere Faktoren als der alleinige Forscherdrang nach "objektivem Wissen" eine wesentliche Rolle auch in der Erforschung der Ätiologie der Progressiven Paralyse gespielt haben müssen. Viel eher entsteht der Eindruck, daß die Entwicklung nicht geradlinig, sondern stufenweise voranging. Dabei zeigt jeder Forscher das Bestreben, nicht nur selbst auf einem gewissen Niveau innezuhalten, sondern auch die allgemeine Ansicht dahingehend zu gestalten, daß eine Weiterentwicklung des erarbeiteten Standpunktes unnötig sei. Die Weiterentwicklung erfolgt daher nicht im Einverständnis, sondern eher im Widerstand gegen die Vertreter des vorher erreichten Wissensstandes. Gleichzeitig besteht neben dem Bestreben der Weiterentwicklung auf den subjektiven Standpunkt des historischen Betrachters zu auch die gegenläufige Tendenz, den aktuellen Stand auf eine frühere Meinung zurückzuführen. Dabei bestehen mehrere Diskurse nebeneinander, und es ist meist unmöglich, einen einzelnen als allgemeingültig für die jeweils aktuelle Meinung zum Thema zu bestimmen. Neue Meinungen werden meist ablehnend betrachtet, dann euphorisch überbewertet und dann wiederum zunehmend skeptisch beurteilt, evtl. sogar von der großen Mehrheit verworfen und vielleicht von den Vertretern der Vormeinung als Argument benutzt, daß 153 ihre frühere Ansicht wesentlich adäquater die Realität widergab. So werden auch längst vergessen geglaubte Ansichten wiederbelebt, oft im vermeintlich neuen Gewand. Die tatsächliche Anerkennung einer neuen Meinung geschieht dann eher stillschweigend, indem immer mehr ihrer Gegenpositionen im zähen Ringen aufgegegeben werden, oder sie resultiert erst aus dem physischen Verschwinden der Vertreter der Gegenposition. Die Schwierigkeit der Psychiater des 19. Jahrhunderts, einfach die Spirochaeta pallida als "alleinige Ursache" eines abgegrenzten Symptomenbildes mit bestimmten psychischen und motorischen Auffälligkeiten anzuerkennen, wird bei näherer Betrachtung aber auch leichter verständlich. So ist es nicht verwunderlich, daß sich viele dagegen sträubten, eine Geisteskrankheit, der in der Phase der romantischen Medizin (und bei den nicht somatischen Geisteskrankheiten auch vielfach heute noch) ein stark idealisierender, wenn nicht sogar religiöser Anteil zugesprochen wurde, mit einem Mal auf eine Geschlechtskrankheit zurückzuführen. Selbst wenn es gerade als Fortschritt in einem von der Wissenschaft so entscheidend geprägten Zeitalter anerkannt wurde, alle Interpretationen frei von Spekulation nur auf faßbare somatische Veränderungen zurückzuführen und diese als alleiniges Kriterium der Differenzierung anzusehen, erklärt sich der Widerstand gegen die Syphilis-Ätiologie auch durch die Sorge, den erreichten vermeintlichen Fortschritt gegen die spekulative Postulierung eines nicht sicht- und faßbaren Agens aufzugeben, das allein die widersprüchlichen Einzelaspekte vereinen könnte. Weiterhin stand die Idee einer eigenen Krankheitsentität der Progressiven Paralyse gegen die weitverbreitete These der Einheitspsychose, die gegenüber den ausufernden Krankheitseinteilungen in der romantischen Psychiatrie ja auch einen deutlichen systematischen Fortschritt bedeutet hatte. 154 7.2 Etablierung des Krankheitsbildes In der Zeit von 1844 - 1851 beschränkt sich die Aufmerksamkeit für die Progressive Paralyse in der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie auf kürzere Berichte über die allgemeine Diskussion in Frankreich und über einzelne Aspekte der Diagnostik. Eigene Überlegungen stellten die Kommentatoren kaum an, allerdings bezieht Damerow Stellung für die Position Brierre de Boismonts, die Progressive Paralyse sei als eigene Krankheitsentität zu interpretieren (DAMEROW HPA (1847)). Die ersten größeren eigenen Berichte von Hoffmann (Damerow HPA (1850)) , Duchek (Laehr BH (1851b)) , Stolz (Stolz H (1851)) oder Göricke (Göricke A (1852)) dienen hauptsächlich der Bestätigung, daß die Berichte der Franzosen über die neue Krankheit auch für die Irrenanstalten im deutschsprachigen Raum zutreffen. Schon Hoffmann geht über eine reine Übertragung auf deutsche Verhältnisse hinaus und ordnet das neue Krankheitsbild in das Schönleinsche Schema der Krankheitsvorstellungen ein, das der naturhistorischen Schule entstammt. Duchek geht dann noch wesentlich weiter und versucht, seine pathologisch-anatomischen Befunde den klinischen Beobachtungen zuzuordnen, auch wenn diese Zuordnung noch weitgehend spekulativ ist. In der Frage der Ätiologie greift Duchek jedoch wie alle bisherigen Autoren auch auf die Vorstellungen vom Aufbrauch der Kräfte durch die Lebensführung in Form der immer wieder angesprochenen "Exzesse in Baccho et Venere" auf. Er versucht also eine Synthese der naturhistorischen und der pathologisch-anatomischen Methode. Stolz geht hingegen von einer ganz anderen Krankheitsvorstellung aus, in der die naturphilosophische Basis deutlich sichtbar ist. Auch er legt großen Wert auf die Pathologische Anatomie, allerdings auch mit der Absicht, Ducheks eindeutige Zuordnungen als spekulativ zu kritisieren. Für Stolz gibt es verschiedene Erscheinungsformen der Paralyse, die von den psychischen Ursachen (Exzesse oder auch einfach Überforderung) abhängen, nicht aber von der gemeinsamen Endstrecke, den pathologisch-anatomischen Veränderungen. Hier zeichnet sich bereits ab, daß die Vertreter der romantischen Vorstellungen eine individuelle Krankheitsgenese vertreten, bei der sich eine eigenständige Krankheitseinheit eigentlich verbietet, da bei einer solchen der individuelle Anteil fehlt. Der Verzicht auf eine Eigengesetzlichkeit einer Krankheit vermindert zwar einerseits das Streben, deren Gesetze in ihrer Stringenz zu erkennen, eröffnet aber auch eine größere Freiheit, neue 155 Interpretationen zu entwickeln. Eine ähnliche Tendenz findet sich bei Flemming in seiner Zurückhaltung gegenüber Ducheks Thesen in seinen eigenen Krankenberichten (FLEMMING CF (1852)). Eine Sonderstellung der Progressiven Paralyse als anatomisch faßbare Erkrankung gegenüber anderen Geisteskrankheiten, die auch von den Anstaltspsychiatern (sowohl Flemming als auch Stolz) anerkannt wird, wird ebenfalls deutlich. 1857, als Esmarch und Jessens Artikel über die vermutete Syphilis-Ätiologie der Progressiven Paralyse erscheint (ESMARCH F, JESSEN P (1857)), hat sich das Krankheitsbild der Progressiven Paralyse in Deutschland inzwischen fest etabliert. Die Auseinandersetzung, ob die Progressive Paralyse als eigenständige Krankheit zu betrachten sei, zieht sich wie die Kontroverse zwischen Anstaltspsychiatern und Universitätspsychiatern in mehr oder minder deutlicher Form durch den betrachteten Zeitraum bis zur Definition der Krankheit durch ihre Ätiologie über einen gemeinsamen Erreger. Sie ändert jedoch wenig an der faktischen Anerkennung dieses Krankheitsbildes, denn die Streitpunkte liegen meist nur im Randbereich des abgesteckten Gebietes. Dabei ist nicht nur die Beschreibung der Krankheit aus Frankreich übernommen worden, es werden auch zunehmend eigenständige Überlegungen zu Ätiologie, Pathogenese und Pathologischer Anatomie entwik-kelt. Kelps Kritik an Falrets pathologisch-anatomischen Untersuchungen macht deutlich, daß dieser eigenständige Weg auch bereits mit einigem Selbstbewußtsein vertreten wird (KELP H (1855)). 1868 hat sich die Aufnahme der französischen Arbeiten zur Progressiven Paralyse von einer relativ kritiklosen Übernahme zu einer Belustigung über die mangelhafte pathologisch-anatomische Aufarbeitung gewandelt. Auch noch um 1870 spiegeln viele Artikel, die sich bevorzugt mit den praktischen klinischen Aspekten der Progressiven Paralyse in den Anstalten befassen, wider, daß in der Praxis die theoretischen Erwägungen und postulierten Gesetzmäßigkeiten der wissenschaftlichen Forschung wenig Anklang finden. Da sich die geschilderten Symptome nicht in der geforderten Regelmäßigkeit nachweisen lassen, wird die Existenz der Progressiven Paralyse als Entität weiterhin in Frage gestellt (Nasse [FLEMMING CF (1871)], Essig [ESSIG C (1879)]). Dies gilt besonders auch für die Klassifikation der psychischen Symptome (Krafft-Ebing, Tigges, Hoestermann, Claus). In Ermangelung einer plausiblen Ätiologie mehren sich in dieser Zeit die Versuche, auf der Basis der bekannten romantischen Verbrauchstheorien zufällige Zusammenhänge als Gesetzmäßigkeiten zu postulieren (Ideler, Zenker, Kroemer [KROEMER RM (1880)]). 156 Mehrere Arbeiten beschäftigen sich dabei mit dem unbekannten Wesen der Frau, der aus ihrer verklärten Eigenart auch eine spezifische Pathologie der Geisteskrankheiten zugesprochen wird (JUNG W (1879), KROEMER RM (1880), GREPPIN L (1890)). 157 7.3 Pathologische Anatomie Spätestens bei Duchek beginnt die Betonung der Pathologischen Anatomie. Das pathologisch-anatomische Vorgehen ist in dieser Zeit auch bereits von allen Seiten anerkannt. Die Methoden sind allerdings noch makroskopisch, und die Deutung ist nicht frei von spekulativen Zuordnungen. Bei der Suche nach einer pathognomonischen Veränderung wird diese abwechselnd in den Meningen und im Hirngewebe selbst lokalisiert. Im Verlauf der pathologisch-anatomischen Forschung verlagert sich mit der Verfeinerung der Methoden und der Techniken das Thema der Auseinandersetzung immer mehr zur mikroskopischen Anatomie, ohne aber zu einer größeren Annäherung zu führen. Dabei wird weiter zwischen den eigentlichen neuronalen Zellen und der Neuroglia differenziert, deren Zugehörigkeit zum Nervengewebe oder zum Bindegewebe noch lange ungeklärt ist. Westphal (WESTPHAL CF (1863A)) führt als dritte Lokalisation des pathologischen Prozesses das Rückenmark ein. Bei der räumlichen Einordnung des Krankheitsprozesses spielt die Ehrfurcht vor dem Gehirn als Sitz der Seele oder zumindest des Geistes eine wesentliche Rolle. So ergibt sich aus Meschedes (MESCHEDE F (1865B)) und Tigges (TIGGES W (1863)) romantischer Verklärung der Seelenvorgänge, daß sie die psychischen Erscheinungen der Paralyse als Überfunktion von Gehirnzellen ansehen und entsprechende Veränderungen suchen und auch finden. Ebenso ist es bei Westphals Betonung der motorischen Symptome und der wissenschaftlich fundierten neurophysiologischen Hirnfunktionstheorien, die von den einfachen Reflexen des Rückenmarks abgeleitet werden sowie bei seiner Abneigung gegen losgelöste psychische Vorgänge, die schnell ihren direkten Bezug zum morphologischen Substrat verlieren könnten, nicht verwunderlich, daß er im Gehirn keine charakteristischen Veränderungen wahrnimmt, hingegen im Rückenmark solche beschreibt und diesen Veränderungen den Primat in der Pathogenese zuspricht. Westphal ist dabei zumindest das Verdienst zuzusprechen, die Tabes dorsalis dem Formenkreis der Neurolues zugeordnet zu haben, wenn auch in Unkenntnis der eigentlichen Sachlage. Die Fruchtlosigkeit der rein pathologisch-anatomischen Betrachtung führt dann später zu divergierenden Interpretationen der Progressiven Paralyse. Eine Fraktion bestreitet erneut das einheitliche Krankheitsbild unter der Vorstellung des Primats der Patholo- 158 gischen Anatomie; die andere sucht nach einer Klammer für die Entität und findet sie schließlich in der Syphilis-Ätiologie. Die Auseinandersetzung, welches die einzige pathognomonische pathologisch-anatomische Veränderung der Progressiven Paralyse ist, erscheint aus heutiger Sicht um so kurioser, als die verschiedenen Erscheinungen bei der Neurolues nebeneinander auftreten können. In dieser Diskussion bleibt die Ätiologie nebensächlich. Sie scheint mit den üblichen Thesen (Anstoß des Krankheitsprozesses durch psychische, physische oder sexuelle Überanstrengung, durch Intoxikationen aufgrund von Alkohol, Syphilistoxinen, Syphilistherapeutika oder Blei oder durch Traumen) hinreichend geklärt. Der Zufallstreffer von Esmarch und Jessen , die Progressive Paralyse mit der Syphilis in Verbindung zu bringen, zeigt anfangs nur wenig Wirkung in der allgemeinen Diskussion und wird nur als Kuriosität wahrgenommen. Die Syphilis-Theorie wird erst allmählich von außen durch die Statistik hereingetragen und ihre Bedeutung stillschweigend anerkannt -allerdings immer definitiv als eine mittelbare Folge und als eine Möglichkeit unter vielen. Die rein pathologisch-anatomischen Betrachtungen mit dem Versuch, auch klinische relevante Gesetzmäßigkeiten darzustellen, bleiben jedoch ohne Ergebnisse und werden schon bald recht kritisch betrachtet (Köberlin, Westphal [TUCZEK F, SCHROETER W (1884)]). Ebensowenig führt aber auch die Suche nach charakteristischen klinischen Eigenarten der Progressiven Paralyse zu deutlichen Resultaten (Rabbas, Erlenmeyer [SCHÜLE H (1880)], Claus [KORNFELD S, BIKELES G (1893)]). Einige Theorien entwickeln sich von der Beschreibung einer statischen pathologisch-anatomischen Veränderung, die allein pathognomonisch sei, zu dynamischen Vorstellungen über Prozesse der Pathogenese, die die widersprüchlichen Beobachtungen vereinigen sollen, indem sie sie alle in einen zeitlichen Ablauf zu integrieren versuchen. Besonders Obersteiner (OBERSTEINER H (1871)) und Lubimoff (LUBIMOFF A (1873)) als junge Universitätsforscher entwickeln dazu neue Theorien, aber auch Meschede (MESCHEDE F (1873)) oder Ludwig Meyer (MEYER L (1873)) erweitern ihre Vorstellungen dem Zeitgeist entsprechend. In der Pathogenese sucht die Pathologische Anatomie immer entlegenere Areale des Gehirns auf und bemüht sich, Spezialfälle der Symptomatologie (Anfälle) als beispielhaft für das Gesamtgeschehen der Progressiven Paralyse zu beschreiben (Lissauer, Raecke). Gleichzeitig wird mit Hilfe der Reflextheorie versucht, auch lokale Schädigungen für die eigentlich einer diffusen Lokalisationen zuzuordnende Symptomatik verantwortlich zu machen (Tuczek, Meynert [Kirn L (1887a)]). Burckhardt zeigt die therapeu- 159 tischen Konsequenzen auf, die daraus erwachsen können (BURCKHARDT G (1891)). Den Autoren fällt kaum auf, daß die mikroskopischen Beschreibungen sich seit etwa 1880 denen syphilitischer Veränderungen immer mehr annähern, denn sie beschäftigen sich nur am Rande mit der Ätiologie-Frage. Daher reichen die althergebrachten ätiologischen Vorstellungen noch aus. Der abgeschlossene Kreis der pathologisch-anatomisch ausgerichteten Psychiater kann jedoch die Widersprüche, die sich aus der unterschiedlichen Interpretation der Morphologie ergeben, nicht innerhalb seines abgeschlossenen Theoriegebäudes lösen und ist daher gezwungen, außerhalb dieser "Scientific Community" nach neuen Anregungen zu suchen. Mit der Preisgabe des Anspruchs, die Problemstellungen der Geisteskrankheiten allein von der Pathologischen Anatomie her zu lösen, entsteht eine aufgeschlossener Einstellung zu der Theorie von der Syphilis-Ätiologie, die in den hauptsächlich klinisch orientierten Kreisen schon breit diskutiert wird. 1905 ist die exakte pathologisch-anatomische Beschreibung der Progressiven Paralyse durch Alzheimer und Nissl für ihre ätiologische Klärung bereits weitgehend irrelevant geworden. 160 7.4 Die Bedeutung der Syphilis für die Progressive Paralyse Die Aufnahme der Syphilis-Ätiologie zeigt den folgenden Ablauf: 1. die entrüstete Ablehnung (die in der Polemik gegen die große Latenzzeit von der Infektion bis zum Ausbruch der Progressiven Paralyse noch lange andauert), 2. die Akzeptierung als eine Möglichkeit unter vielen, 3. die Anerkennung als Grundvoraussetzung, die aber noch einer zusätzlichen Auslösung der Krankheit bedarf, und 4. die Annahme als allein auslösender Faktor, sei es nun direkt oder indirekt über ein Toxin. Eine wichtige Rolle in der Diskussion der Bedeutung der Syphilis für die Progressive Paralyse spielt die dogmatische Unterscheidung von Hirnsyphilis und paralytischer Geisteskrankheit. Die Hirnsyphilis läßt sich anfangs den unzweifelhaft durch die Syphilis hervorgerufenen gummmösen Gebilden zuordnen, durch die die Syphilis außerhalb des Gehirns definiert ist. Ihre klinische Symptomatik wird ursprünglich vordringlich als motorische Störungen beschrieben und ist somit mit einer somatischen Pathogenese gut vereinbar. Mit der ständigen Erweiterung der Definition der pathologisch-anatomischen Veränderungen bei der Syphilis weg von der alleinigen Gummenbildung verschwimmt aber auch der Begriff der Hirnsyphilis. Auf der anderen Seite der gezeichneten Trennlinie steht die Progressive Paralyse, die primär als Geisteskrankheit definiert wird und daher -allen somatischen Theorien zum Trotz- immer mit einer Aura umgeben ist, die das Bestreben beflügelt, nach einer wie auch immer gearteten Vermittlung zu suchen, z.B. durch allgemeine psychische oder moralische Erschöpfung. Thomsen (THOMSEN R (1890)) formuliert besonders deutlich den qualitativen Unterschied zwischen einer syphilitischen Erkrankung und einer Geisteskrankheit sui generis. Die imaginäre Trennlinie zwischen Hirnsyphilis und Progressiver Paralyse ist auch der Antrieb für Alzheimers und Nissls Studien über die Histologie der Progressiven Paralyse. Die Unterscheidung einer Progressiven Paralyse, die per definitionem nicht von der Syphilis, sondern von psychischen Faktoren ausgelöst werden sollte, um der Geisteskrankheit den Ruch der Geschlechskrankheit zu ersparen, von der sog. Pseudoparalysis syphilitica aus dem Formenkreis der Hirnsyphilis läßt sich lange aufrechterhalten, da die imaginäre Trennlinie weder morphologisch noch klinisch zu ziehen ist. Erst der Nachweis , daß die Spirochäten ein morphologisch faßbares Agens der Ätiologie beider Krankheitsbilder darstellen, hebt diese Trennlinie auf. 161 Die Diskussion der "Syphilitischen Psychosen" beginnt 1859 unabhängig von der Frage der Progressiven Paralyse. Albers Arbeit befaßt sich noch weitgehend spekulativ mit diesem Thema (ALBERS JFH (1859)) und wird bereits von einigen Zeitgenossen als unbrauchbar bezeichnet. Ludwig Meyer muß sich 1861 schon mit dem Zusammenhang von Syphilis und Dementia paralytica, wie ihn Esmarch und Jessen formuliert hatten, auseinandersetzen (MEYER L (1861)) . Er streitet ihn noch ab und bezeichnet das Zusammentreffen als rein zufällig. Westphal ist sich dann schon nicht mehr so sicher, will aber noch weitere Untersuchungen abwarten (WESTPHAL CF (1863B)) . Wille steckt dann später das Gebiet der Neurolues recht eindeutig ab und gerät somit zwangsläufig in die Differentialdiagnose zur Progressiven Paralyse. Er hilft sich damit, daß er die Entität der Progressiven Paralyse bestreitet (WILLE L (1872)). Schüle geht ähnlich vor, aber er nimmt die Grenzziehung zwischen syphilitischer Psychose und Dementia paralytica bereits nicht mehr so streng vor und erklärt die Syphilis zu einer möglichen Ursache der Progressiven Paralyse (SCHÜLE H (1872)). Erst später richtet auch er -noch unabhängig von der Syphilistheorie- sein Hauptaugenmerk auf die Auflösung der Entität (SCHÜLE H (1875)), deren multifaktorielle Genese er auch später immer weiter betont. Definitiver Hauptbestandteil der Pathogenese der Progressiven Paralyse wird die Syphilis 1880 bei Mendel , der in ihr die Ursache der pathologisch-anatomisch bereits häufiger beschriebenen Gefäßveränderungen sieht; er läßt aber die Möglichkeit anderer Ursachen offen (MENDEL E (1880)). Strümpell formuliert 1890 mit der These von der toxinvermittelten syphilitischen Nachkrankheit eine Theorie, die Syphilis-Ätiologie und Pathologische Anatomie vereinen soll (Kirn L (1888a)). Einige Vertreter der pathologisch-anatomischen Richtung beginnen inzwischen, die Syphilis-Ätiologie in ihre Überlegungen mit einzubeziehen (BINSWANGER O (1898)). Dabei wird aber weiterhin nach der pathologisch-anatomischen Definition der Progressiven Paralyse gesucht. Ältere Anatomen wie Fürstner bleiben dabei, eine syphilitische Genese rundweg abzulehnen (FÜRSTNER K (1902)). Allgemein wird in dieser Zeit eine multifaktorielle Genese der Progressiven Paralyse angenommen, in der die Syphilis eine sehr unterschiedlich ausgeprägte Rolle spielt. Dabei verlagert sich der Schwerpunkt der Ätiologie-Diskussion auf die Statistiken, die abhängig von der Art der Datenerhebung und der Interpretation anscheinend jede Bewertung von der Bedeutungslosigkeit der Syphilis (REINHARD , GOLDSTEIN )bis zur Deklaration der Syphilis als Hauptursache (DIETZ C (1887)) zulassen. Dabei korrelieren die Zahlen auffallend mit der erklärten persönlichen Meinung. Rieger zeigt aber auch, daß die Aussage der Statistik insgesamt zur Syphilis Ätiologie tendiert (KIRN L 162 (1888B)). Durch einen recht unkritischen Umgang mit der Statistik ließ sich die Theorie der multifaktoriellen Genese, die besonders den Vorstellungen der Anstaltspsychiater entgegenkommt, noch eine geraume Zeit aufrechterhalten. Besonders die Aufstellungen von Kaes (KAES 1893 bis KAES 1897) oder Oebeke (OEBEKE B (1894A)), die Unmengen von Zahlenmaterial anhäufen und viele verschiedene Elemente einer multifaktoriellen Genese einfach gleichberechtigt nebeneinanderstellen, entbehren einer stringenten Beweisführung, daß die genannten Faktoren überhaupt eine Ursache der Progressiven Paralyse darstellen können. Die multifaktorielle Genese wird a priori bereits als gegeben angenommen, ebenso die aus der Psychiatrie der romantischen Ära übernommenen Theorien von einer Abnutzung der Lebenskraft durch ungeeignete Lebensführung. Hinzu kommen die immer gern als Verlegenheitslösung gebrauchte Erblichkeit -trotz weitgehender Unkenntnis der Gesetzmäßigkeiten von Erbgängen und daher völlig spekulativer Zusammenhänge zwischen Erkrankungen der Vorfahren und der Progressiven Paralyseund pseudologische Theorien der Bedeutung von Traumen oder sonstigen mechanischen Schädigungen, deren Wert hauptsächlich in der Anschaulichkeit liegt. Im weiteren Verlauf mehren sich die Belege, daß der Syphilis eine herausragende Bedeutung für die Progressive Paralyse zukommt (Alzheimer, Buchholz, Sprengler, Eisath, Hoppe). Die Bedeutung anderer Ursachen hingegen wird zunehmend bestritten. Schon 1895 geht Hirschl so weit, daß er die Progressive Paralyse als rein syphilitische Krankheit postuliert (KIRN L (1896C)). Schäfer eröffnet 1902 mit der Erstbeschreibung der diagnostischen Liquorpunktion den Reigen der unspezifischen und der spezifischen Untersuchungen des Liquors, die zur endgültigen Klärung der Syphilis Ätiologie führen sollen (SCHÄFER A (1902)). Allmählich setzt sich nun die Ansicht durch, daß die Syphilis nicht nur ein Faktor unter vielen ist, sondern der entscheidende. Die logische Folgerung, daß auch Fälle, in denen die Syphilisbeteiligung nicht nachweisbar ist, dennoch einer nur unerkannt gebliebenen Syphilis zuzurechnen seien (Möbius ), wird aber erst allgemein anerkannt, als 1906 die Wassermann Reaktion im Liquor praktisch jeden Zweifel ausräumt. Die Theorien von der multifaktoriellen Genese der Progressiven Paralyse behalten auch nach der Etablierung der Syphilis als Conditio sine qua non ihr Eigenleben bei; nun nicht mehr als alleinige Ursache, sondern als die notwendigen Kofaktoren, die der syphilitischen Erkrankung erst das Fluidum einer Geisteskrankheit verleihen sollten. Als notwendiger Faktor wird meist im Sinne des Kulturpessimismus die psychische und physische Überlastung durch die moderne Zivilisation angesehen (Kraepelin, Mönkemöller 163 [MATUSCH F (1912B)], Rüdin [RÜDIN E (1910)]). Kraepelin erkennt zwar bereits sehr früh die Bedeutung der Syphilis für die Ätiologie der Progressiven Paralyse an, betont dabei aber ausdrücklich die zusätzliche schädliche Wirkung der Degeneration aufgrund der veränderten Lebensbedingungen der Industriegesellschaft mit der Proletarisierung weiter Bevölkerungsschichten und dem steigenden Konsum von Genußgiften als unspezifische Schädlichkeit. Im Gefolge von Kraepelins Thesen entstehen die Arbeiten von Rüdin über die angeblich geringere Häufigkeit der Progressiven Paralyse bei Syphilitikern in unterentwickelten Ländern oder Mönkemöllers Rückblick über die historischen Beschreibungen der Progressiven Paralyse. Plaut verteidigt hingegen die Ergebnisse der von ihm wesentlich mitentwickelten Methode der Liquordiagnostik und hält die Syphilis allein für die Pathogenese der Progressiven Paralyse für ausreichend (PLAUT F, FISCHER O (1909)). Nur bei wenigen Autoren bleibt die Ablehnung der Syphilistheorien bestehen. Peter Näcke vertritt ab 1898 (NÄCKE P (1898)) die Degenerationstheorien als explizite Gegentheorie und sucht sie auch 1910 noch vehement zu verteidigen (NÄCKE P (1910)). Die Betonung der Unterschiede der Progressiven Paralyse in Morphologie und Klinik als Beleg für eine individuelle Krankheitsgenese bei jedem einzelnen Patienten zeigt seine Verwurzelung in romantischen Denkweisen. Mit seinen Folgerungen aus der Degenerationstheorie, die bis zur Zwangssterilisation reichen, steht Näcke allerdings nicht allein, sondern in der Gesellschaft von Kraepelin oder Hoche . 164 7.5 Therapiediskussion Die Zeit nach 1906 steht ganz im Licht der Wassermann-Reaktion, die die Ätiologie der Progressiven Paralyse weitgehend klären kann bzw. den Widerstand der meisten Gegner gegen die schon lange naheliegende Syphilis-Ätiologie ad absurdum führt (trotz der Kritik an den Mängeln des Verfahrens aufgrund seiner zweifelhaften Spezifität). Daraufhin breitet sich eine ausgeprägte Euphorie aus, mit der neuen Technik auch die anderen Geisteskrankheiten ätiologisch klären zu können. Das von Fauser (FAUSER A (1913)) propagierte Abderhaldensche Dialysierverfahren bringt jedoch keine auf Dauer brauchbaren Ergebnisse; weder für die Progressive Paralyse noch für die Schizophrenie. Andere Verfahren der Zyto- und der Liquordiagnostik liefern Ergebnisse, die diejenigen der Wassermann Reaktion größtenteils bestätigen. Der Nachweis eines definierten Erregers der Progressiven Paralyse führt dazu, daß als logische Schlußfolgerung aus der Existenz dieses Erregers die spezifischen pharmakotherapeutischen Versuche wieder intensiviert werden. Die Therapiediskussion zeigt jedoch, daß der Nachweis der Spirochaeta pallida trotz des Optimismus von Alt und Anton (PLANGE W (1911)) aus Uchtspringe nicht zur erhofften spezifischen Therapie führt, obwohl mit dem Salvarsan sogar das passende Medikament zur Hand scheint. Spielmeyer und E. Meyer (KEHRER F, KÖNIG W, STERN F (1912C)) zeigen, daß die Anwendung des Salvarsans keine große praktische Bedeutung hat. Diese Diskussion zeigt aber auch, daß die Argumente weniger von vorurteilsfreier Betrachtung, sondern mehr von der Zugehörigkeit zu den einzelnen Lagern bestimmt sind (P. Schröder [KEHRER F, KÖNIG W, STERN F (1912D)], Friedländer [KEHRER F, KÖNIG W, STERN F (1912B)], Benario [MATUSCH F (1912H)], Finger [MATUSCH F (1912G)]). Dabei betonen wiederum die Pathologischen Anatomen die Bedeutung ihres wissenschaftlichen Ansatzes (Alzheimer und Bonhoeffer []). Auch Noguchis Nachweis von Spirochäten im Gehirn von Paralytikern läßt noch Fragen offen. Es entsteht eine neue Theorie, die die Besonderheit der Progressiven Paralyse als Geisteskrankheit gegenüber der Syphilis beweisen soll: Forster (PFERSDORFF K, ROSENFELD M, STEINER G (1914C)), Hauptmann (MATUSCH F (1912F)) und Hoche (PFÖRRINGER O (1913D)) postulieren eine neurotrope Spezies als spezifischen Erreger der Progressiven Paralyse. Zu einem Therapieerfolg führt schließlich der unspezifische Ansatz. Er basiert auf der 165 Grundlage der immer wieder berichteten Heilungen von Patienten mit Progressiver Paralyse nach dem Durchmachen einer anderen hochfieberhaften Infektionskrankheit. Solche Beobachtungen gehen bis in die antike Medizin zurück und werden auch um die Jahrhundertwende noch völlig unspezifisch interpretiert. Die Erklärungen basieren auf humoralpathologischen Vorstellungen und sprechen z.B. von der Reinigung des Blutes von Abfallstoffen. Die Herkunft dieser Abfallstoffe ist dabei zweitrangig (Donath). Grundlage dieser Therapieversuche ist das Verständnis der Progressiven Paralyse als Resultat einer Allgemeinerkrankung, die über Toxinwirkung, Abfallprodukte, Stoffwechselstörungen oder Aufbrauch von zellulären Grundsubstanzen erst die Veränderungen im Gehirn bewirkt und zum Bild der Paralyse führt. So entstehen die Versuche zur Therapie der Progressiven Paralyse durch lokale Entzündungsreize (Oebeke), durch Infusions- und Nukleinsäuretherapie (Donath) und schließlich durch Inokkulation von pyrogenen Erregern (Typhus, Malaria, Staphylokokken [MATUSCH F (1912I)]) oder ihren Toxinen (Tuberkulin [Pilcz[[MATUSCH F (1908E)]]). Am Ende dieser Betrachtung steht mit Ehrlichs Seitenkettentheorie ein neues Denkmodell, das aus praktischen Therapieerfolgen seine Berechtigung gewonnen hat (EHRLICH P (1914)). Für die Progressive Paralyse läßt es sich jedoch trotz aller Aggressivität der Versuche mit dem spezifischen Therapeutikum Salvarsan und trotz aller euphemistischen Interpretationen der Ergebnisse nicht anwenden. Zum Erfolg führt stattdessen mit der Malariatherapie das Ergebnis der systematischen Weiterführung eines unspezifischen Ansatzes -vielleicht ein Beleg dafür, daß Zufall und unwissenschaftlich erscheinende Spekulationen zu Recht neben der wissenschaftlichen Methode ihren Platz in der Medizin behauptet haben. 166 7.6 Die Krankheitsbeschreibung im zeitlichen Kontext Entscheidend für die verschiedenen Definitionen der Progressiven Paralyse sind die Sichtweise und der Standpunkt, von dem her sie erfolgen. Beruhte die anfängliche Beschreibung zumal bei Haslam oder Willis auf rein klinischen Beobachtungen, so verschob sich der vorherrschende Standpunkt bald zur Einordnung nach pathologisch-anatomischen Kriterien, denen die Klinik nur sekundär zugeordnet war. Schließlich war nach Maßgabe der Zellularpathologie der pathoanatomische Befund das primäre Kriterium. Bald kam jedoch auch wieder der Faktor der Ätiologie, der in der Durchsetzungsphase der Zellularpathologie als spekulatives Relikt ins Abseits gedrängt worden war (und dort unter dem Deckmantel der offiziellen Nichtbeachtung spekulative Blüten trieb) zum Tragen, nachdem 1. die Zelle als alleiniger Motor des Krankheitgeschehens wieder in Zweifel geriet, da der Einfluß anderer Faktoren nicht zu übersehen war, und 2. mit weiterer Verbesserung der Methoden das Korrelat eines infektiösen Agens morphologisch darstellbar wurde und damit seinen spekulativen Charakter verlor. Die heutige Definition der Progressiven Paralyse ist inzwischen primär durch die Ätiologie als syphilitische Erkrankung bestimmt. Der Blickwinkel, aus dem heraus Krankheiten betrachtet werden, unterliegt einem ständigem Wandel. Je nachdem, ob klinische, morphologische oder ätiologische Gesichtspunkte zum Tragen kommen, können völlig unterschiedliche Darstellungen von Krankheitsbildern oder gar von Systematiken zustande kommen. Hier treffen medizinische und außermedizinische Aspekte zusammen. Ideologische, religiöse und soziale Eigenheiten einer Epoche beeinflussen gerade auf dem Gebiet der Geisteskrankheiten sogar, was eine Gesellschaft schon als krank oder noch als gesund ansieht. So erscheint es eher verwunderlich, daß sich trotz der stürmischen Entwicklung, die die Medizin gerade im 19. Jahrhundert genommen hat, dennoch ein Krankheitsbild der Progressiven Paralyse erhalten hat, das zumindest in seinen wesentlichen Grundzügen einen Vergleich zwischen den Beschreibungen Bayle's und unseren heutigen Kenntnissen zuläßt. Anscheinend ruft Treponema pallidum im Zentralnervensystem Veränderungen hervor, die in dieser Form kaum von anderen Erregern oder anderen Krankheiten bewirkt werden und die ein Symptomenbild hervorrufen, das psychiatrische und neurologische Auffälligkeiten in einer solch besonderen Weise und charakteristischen zeitlichen Entwicklung bewirkt, wie sie in dieser Form kaum von anderen organischen Krankheitsprozessen oder als psychogen bezeichneten Krankheitsprozessen hervorgerufen werden. 8 Zusammenfassung Die Progressive Paralyse ist eines der wenigen psychiatrischen Krankheitsbilder, das ätiologisch, klinisch und pathologisch-anatomisch eindeutig geklärt zu sein scheint. Sie bietet daher eine gute Möglichkeit, exemplarisch an der Behandlung eines eng abgegrenzten Themas die Denkmodelle in der Psychiatrie des deutschen Sprachraumes während der Übergangsperiode von der naturphilosophisch-romantisch geprägten Phase bis zur Etablierung der Psychiatrie als weitgehend gleichberechtigtes Fach der naturwissenschaftlichen Medizin zu betrachten. Als Quellenmaterial dienten die Veröffentlichungen in der 1844 gegründeten Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie (AZP), die sich als Organ des Vereins der deutschen Irrenärzte verstand und so bestrebt war, einen weiten Bereich der Denkvorstellungen in der deutschen Psychiatrie widerzugeben. Die erste eindeutige Beschreibung des Krankheitsbildes der Progressiven Paralyse mit seiner Parallelität von psychischen und motorischen Störungen geht auf Bayle (1822) in Paris zurück. Die häufig zitierten Schilderungen von Willis und Haslam sind unsicher. Nach weiteren Bearbeitungen durch französische Autoren etablierte sich das Krankheitsbild recht schnell. Trotz jahrzehntelanger Neuinterpretationen des Symptomenkomplexes auch in Frankreich war es anscheinend so eindeutig abgrenzbar, daß es im Gegensatz zu einer Vielzahl anderer Krankheitsbilder alle der gerade im Bereich der Geisteskrankheiten häufigen neuen Systematisierungen überlebte. In den ersten Schilderungen in der AZP erscheint das in Deutschland noch nicht allgemein akzeptierte Krankheitsbild nur in Rezensionen französischer Veröffentlichungen. Die ersten eigenständigen deutschen Artikel weisen nach, daß die Progressive Paralyse auch im deutschen Sprachraum in der von den Franzosen beschriebenen Form auftritt. Auch in Deutschland hatte sich inzwischen die Ansicht durchgesetzt, daß der Schlüssel zu den Geisteskrankheiten durch pathologisch-anatomische Veränderungen im Gehirn zu finden sei, nachdem lange Zeit naturphilosophisch geprägte Vorstellungen die deutsche Psychiatrie geprägt hatten. Daher ist es auch nicht verwunderlich, daß sich 1851 die erste eigenständige Arbeit aus dem deutschen Sprachgebiet von Duchek mit den pathologisch-anatomischen Veränderungen bei der Progressiven Paralyse befaßte. Unter dem Deckmantel der wissenschaftlichen Methode der Anatomie werden aber weiterhin spekulative Zuordnungen be- trieben, und in der Ätiologie bestehen idealistische Vorstellungen ungebrochen weiter fort. Der idealistisch-moralische Aspekt zeigt sich besonders in der Betonung der Ätiologie durch Exzesse "in Baccho et Venere" . Esmarchs und Jessens Beobachtung von 1857, daß ein Zusammenhang zwischen der Progressiven Paralyse und der Syphilis bestehe, findet anfangs nur geringen Widerhall. Die Beschäftigung mit der Progressiven Paralyse findet vorrangig auf der pathologischanatomischen Ebene statt, wobei die Hauptauseinandersetzung in der Frage liegt, welche Gehirnstruktur der alleinige Träger des pathologischen Prozesses ist. Insbesondere die sich rasch entwickelnde Universitätspsychiatrie beschränkt sich weitgehend auf die Pathologische Anatomie. Sie benutzt dabei immer bessere Methoden der Färbetechnik und der Mikroskopie und entwickelt pathogenetische Konzepte, die die neuen Ergebnisse der Anatomie und der Physiologie einbeziehen. Ein Hauptvertreter der Universitätsforschung ist Carl Westphal in Berlin, der die Bedeutung der Rückenmarksbeteiligung erkennt und die Tabes dorsalis in Verbindung mit der Progressiven Paralyse bringt. Am Ende dieser Entwicklung steht 1905 die histologische Beschreibung der Progressiven Paralyse durch Alzheimer und Nissl. Sie hat zu diesem Zeitpunkt allerdings keine wesentliche Bedeutung für die Klärung der Ätiologie mehr. Die Anstaltspsychiatrie, die oft noch die Denkmodelle aus der Zeit ihrer Begründer während der romantischen Phase weiterverfolgt, legt hingegen mehr Gewicht auf klinische Beobachtung und auf therapeutische Versuche. Syphilis als Ursache der Progressiven Paralyse wird anfangs abgelehnt. Aus der Beschäftigung mit den syphilitischen Psychosen wird jedoch bald deutlich, daß eine strikte Abgrenzung zur Progressiven Paralyse nur mühsam aufrecht zu erhalten ist. Trotz der Definition einer syphilitischen Pseudoparalyse im Gegensatz zur eigentlichen Paralyse stellt sich bei näherer Beobachtung immer deutlicher heraus, daß ein wesentlicher Zusammenhang zwischen Syphilis und Progressiver Paralyse bestehen muß. Anhand vieler Statistiken zeigt sich, daß der Zusammenhang immer deutlicher wird, je genauer man forscht. Der Widerstand gegen diese Erkenntnis ist allerdings erheblich und wird mit teilweise dogmatischen Argumenten geführt. Die Theorien mit Urspüngen in der romantischen Psychiatrie erweisen sich dabei als sehr zählebig, selbst bei pathologisch-anatomisch orientierten Psychiatern. Einer künstlichen Differenzierung zwischen syphilitischer Paralyse und der eigentlichen Progressiven Paralyse dient auch Strümpells Theorie vom Syphilistoxin, die zum Begriff der Metasyphilis von Möbius führt. Einen wichtigen Beitrag zur Etablierung der Bedeutung der Syphilis liefert 1880 Mendels Monographie über die Progressive Paralyse. Hirschl formuliert 1895 die Aussage, die Progressive Paralyse sei nichts als eine syphilitische Enzephalitis und stellt sich damit in Gegensatz zu den multifaktoriellen ätiologischen Theorien, die die Syphilis als eine mögliche Ursache für die Progressive Paralyse unter vielen sahen. Aber selbst als spätestens 1906 mit dem Nachweis von Lues-Antikörpern im Liquor von Paralytikern durch die Wassermann-Reaktion der Beweis der syphilitischen Genese der Progressiven Paralyse praktisch erbracht ist, bleibt die Forderung ungebrochen, daß psychische Faktoren an der Entstehung der Geisteskrankheiten beteiligt seien. Können sie jetzt nicht mehr als alleinige Ursache angesehen werden, so werden sie nun als unabdingbare Kofaktoren interpretiert. Nur wenige wagen allerdings noch wie Näcke den Anachronismus, die Syphilis als den entscheidenden Faktor ganz abzulehnen. Die psychischen Ursachen in eine Degenerationstheorie einzugliedern, ist zeitgemäßer. 1913 kommt als weiteres Argument für die Syphilistheorie der Nachweis von Spirochäten im Gehirn von Paralytikern durch Noguchi hinzu. So war es nicht das stringente Vorantreiben der wissenschaftlichen Methode war, das die Frage der Ätiologie der Progressiven Paralyse löste; es war eine Zufallsbeobachtung, die sich gegen die etablierten Denkmodelle der Wissenschaft und gegen tradierte spekulative Theorien durchsetzte. Auch die erste erfolgreiche Therapie der Progressiven Paralyse gelang nicht durch die wissenschaftlich-logische Anwendung des Salvarsans als einem spezifischen Therapeutikum gegen Spirochäten, sondern durch die konsequente Weiterverfolgung der jahrzehntealten Beobachtung, daß akut fieberhafte Infektionen chronische Erkrankungen zur Abheilung bringen können. Wagner von Jauregg erhält 1927 für die Entwicklung der Malariatherapie auf dieser Grundlage den Nobelpreis für Medizin. Als Ergebnis dieser Arbeit bleibt festzuhalten, daß - trotz des Umbruchs von der naturphilosophisch geprägten Psychiatrie der Zeit der deutschen Romantik zur naturwissenschaftlichen Medizin in der Mitte des 19. Jahrhunderts die alten Vorstellungen weiterhin einen wesentlichen Einfluß auf die Forschung und besonders auf die Interpretation ihrer Ergebnisse hatten, - die Lösung der Ätiologiefrage der Progressiven Paralyse nicht der pathologischanatomischen Forschung zu verdanken ist, sondern vielfach sogar gegen deren erklärten Widerstand geschah, und daß - von außen in die Psychiatrie hereingetragene Beobachtungen und Methoden (wie Virchows Feststellungen zur nichtgummösen Syphilis, die Methoden der Liquorpunktion und der Komplementbindungsreaktion, die Degenerationstheorien am Beginn des 20. Jahrhunderts) eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung der Ätiologiefrage spielten. 171 9 Anhang 9.1 Biographien (entnommen aus den "Personalnachrichten" der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie, aus Degkwitz R (1982) (Degk), Fischer I (1932)/Haberling W, Hübotter F, Vierodt H (1932) (BBÄ), Kirchhoff T (1922/1924) (Kirch), Kolle K (1970)(KK), Pschyrembel W (1982) (Pschy)). Albers, Johann Friedrich Hermann (1805 - 1867) Professor der Medizin in Bonn, Gründer einer Privatanstalt für Nerven- und Gemütskrankheiten in Bonn. (BBÄ) Alt, Konrad (1861 - 1922) Assistent bei Riegel in Gießen und bei Hitzig in Halle, 1893 Leiter der neugegründeten Irrenanstalt Uchtspringe. (BBÄ) Alzheimer, Aloys (1864 - 1915) 1888 Assistent bei Sioli in Frankfurt, 1902 nach Heidelberg, 1903 mit Kraepelin nach München, 1904 Habilitationsschrift über "Histologische Studien zur Differentialdiagnose der Progressiven Paralyse", 1908 Professur, 1912 Lehrstuhl in Breslau; Mitredakteur der Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie; 1915 bei chronischem Nierenleiden in der Urämie verstorben. (Kirch) Baillarger, Jules Gabriele Francois (1806 - 1890) Schüler von Esquirol, Mitbegründer der Annales medico-psychologiques. (BBÄ) Bayle, Antoine Laurent (1799 - 1858) 1822 "Recherches sur l' Arachnitis chronique" (Promotion), Arzt am Irrenhaus Charenton/Paris. (BBÄ) Bergmann, Gottlob Heinrich (1781 - 1861) 1804 Amtsarzt in Celle, 1810 Leiter des Zucht- und Tollhauses, regte die Gründung der Irrenanstalt in Hildesheim an, deren Leitung er 1827 übernahm, Anhänger von Galls Phrenologie. (Kirch) Binswanger, Otto Ludwig (1852 Assistent bei L. Meyer, später bei Westphal, 1922 Professor in Jena. (Degk) 1929) Bonhoeffer, Karl (1868 - 1948) Assistent in Breslau bei Wernicke, 1897 Habilitation in Breslau, 1903 Professor in Königsberg. (Degk) Brierre de Boismont, Alexandre Einer der bekanntesten Irrenärzte seiner Zeit in Frankreich. (BBÄ) Buchholz, Albert (geb. (1859 1797) - 1927) 172 Studium in Leipzig, Königsberg, Habilitation Friedrichsberg/Hamburg, 1919 Professor. (BBÄ) in Marburg, Oberarzt in Burckhardt, Gottlieb (1836 - 1907) 1862 - 75 Dozent für Nervenkrankheiten in Basel, 1875 - 82 Arzt in Waldau, ab 1882 Direktor in Prefargier/Neuenburg. (BBÄ) Calmeil, Juste Louis Nachfolger von Esquirol in Charenton. (BBÄ) (1798 - 1895) Claus, O. Direktor der Irrenanstalt Sachsenberg, um 1900 in den Ruhestand. (AZP) Damerow, Heinrich Phillip August (1798 - 1866) Studien bei Esquirol und Magendie in Paris, 1830 Professor der Medizin in Greifswald, enger Kontakt mit Jacobi, 1839 Beauftragter für das Irrenwesen in Preußen, Hauptredakteur der 1844 erstmals erschienenen Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie, 1844 Leitung der neuerrichteten Irrenanstalt Nietleben bei Halle, 1857 Abgabe der Hauptredaktion der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie an Laehr. (AZP) Delbrück, Anton (1862 - 1944) Assistent in Alt Scherbitz, Friedrichsberg/Hamburg, Burghölzli/Zürich, 1898 Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Bremen. (BBÄ) Dietz, K. (1859 - 1904) Assistent in Illenau, 1896 Landespsychiater im Königreich Württemberg, Referent der Psychiatrie im Medizinalkollegium in Stuttgart. (AZP) Donath, Julius 1905 Habilitation für Innere Medizin in Wien. (Pschy) (1870 - 1950) Duchek, Adalbert (1824 - 1882) Assistent an der Irrenanstalt in Prag, 1855 Professor in Lemberg, 1856 Ruf nach Heidelberg, 1858 Professor der medizinischen Klinik in Wien, 1871 Nachfolger von Skoda. (BBÄ) Ehrlich, Paul Frankfurt, 1906 Nobelpreis. (Pschy) (1854 - 1915) Eickholt, August (1852 - 1891) Assistent in Illenau, 1876 2. Arzt in der Irrenanstalt Merzig, 1881 2. Arzt der Irrenanstalt Grafenberg, 1889 dort Direktor. (AZP) Eisath, Georg (1868 - 1925) 1899 Assistent in Hall/Tirol, Studien bei Kraepelin und Nissl in Heidelberg, 1905 bei Mott in London, 1910 kommisarischer, 1919 Direktor in Hall, 1919 Dozent in Innsbruck. (AZP) Erb, Wilhelm (1840 - 1921) 1869 außerordentlicher Professor für Pathologie und Therapie in Leipzig, 1883 Professor an der Medizinischen Klinik Heidelberg. (Degk) Erlenmeyer, Adolph Albrecht (1822 - 1877) 1844 Assistent in Siegburg, Schüler Jacobis, Vertreter einer offenen Irrenfürsorge, 1845 Gründung einer Privatklinik in Bendorf bei Koblenz, 1854 zusammen mit Bergmann, Mansfeld und Eulenburg Gründung der Zeitschrift für Psychiatrie und gerichtliche 173 Psychologie in Konkurrenz zur Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie. (Kirch) Esmarch, Johann Friedrich August seit 1854 Direktor der Chirurgischen Klinik in Kiel. (BBÄ) (1823 - 1908) Esquirol, Jean Etienne Dominique (1772 - 1840) 1810 Nachfolger von Pinel als Leiter der Salpetriere, 1825 Direktor von Charenton. (Degk) Falret, Jean Pierre (1794 1851 Direktor der Salpetriere, beschrieb das "zirkuläre Irresein". (Degk) - 1870) Fauser, August (1856 - 1938) 1880 Assistent in Leipzig, 1888 Stadtarzt in Stuttgart, 1907 - 24 Direktor des Bürgerhospitals in Stuttgart. (Degk) Flemming, Carl Friedrich (1799 - 1880) 1830 - 54 Leitung der neugegründeten Anstalt Sachsenberg bei Schwerin, danach private Tätigkeit, schrieb mehrere Dramen und Gedichte, Mitbegründer der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie, sah Geisteskrankheiten als Folge von Gehirnschädigungen durch allgemeine Ernährungsanomalien (Pathologie und Therapie der Psychosen, Berlin 1859) Förster, Otfried (1873 1899 Assistent in Breslau bei Wernicke, 1921 Professor in Breslau. (Degk) 1941) Forster, Edmund (1878 - 1933) Assistent in Genf, Halle, Berlin, 1909 Habilitation in Berlin, 1913 außerordentlicher Professor. (Degk) Fürstner, Carl (1848 - 1906) Assistent in der Charité unter Westphal, in Stephansfeld, 1877 Direktor der neuen Psychiatrischen Klinik in Heidelberg und dort Ordinarius, 1891 als Nachfolger von Jolly nach Straßburg; Hauptarbeit über pathologisch-anatomische Studien besonders der Rückenmarksveränderungen bei der Progressiven Paralyse. (AZP) Gall, Franz Joseph (1758 1785 Promotion in Wien, 1807 in Paris, Begründer der Phrenologie. (Degk) Goldstein, Max 1891 Direktor der Privatanstalt Lichterfelde in Berlin. (AZP) (gest. 1828) 1918) Göricke, Adolph Wilhelm Theodor (1798 - 18785) Praktischer Arzt in Odense, 1831 - 63 Direktor der Irrenanstalt St. Hans in Kopenhagen. (BBÄ) Greppin L (gest. 1925) Assistent und Oberarzt in Basel, Direktor der Irrenanstalt Rosegg in der Schweiz. (AZP) Griesinger, Wilhelm (1817 - 1868) Studium in Tübingen und Zürich (u.a. bei Schönlein), als Arzt Aufenthalte in Paris (Magendie); 1840 - 42 Assistent von Zeller in Winnenthal, 1843 - 48 Assistent als Internist in Tübingen unter Wunderlich, 1845 "Pathologie und Therapie der Geisteskrankheiten", 1850 - 52 in Ägypten, 1854 nach Tübingen, 1860 nach Zürich, 1864 Leitung der Irrenklinik und einer neurologischen Station in Berlin, scharfe Auseinandersetzungen mit den Anstaltspsychiatern, besonders Laehr, Flemming und 174 Roller über die Frage des No-Restraint, forderte physiologische Denkweise in der Psychiatrie. (Kirch) Gudden, Bernhard von (1824 - 1866) 1849 nach Siegburg, 1851 nach Illenau, 1855 Leiter der neuerrichteten Irrenanstalt Werneck/Unterfranken, 1869 Leiter der neuen Irrenanstalt Burghölzli/Zürich, 1872 Nachfolger von Solbrig als Direktor und Professor in München, 1886 von seinem Patienten Ludwig 2. im Starnberger See ertränkt. (Kirch) Hagen, Friedrich Wilhelm (1814 - 1888) Schüler bei JB Friedreich, Veröffentlichungen über Psychologie und Physiologie, 1846 Assistent in Erlangen bei Solbrig, 1849 Leiter der bayrischen Kreisanstalt Irsee, 1859 Nachfolger von Solbrig in Erlangen, war bemüht, der empirischen Psychologie in der Psychiatrie zu ihrem Recht zu verhelfen (G. Specht). (Kirch) Haslam, John Apotheker am Bethlem Hospital in London. (BBÄ) (1764 - 1844) Hauptmann, Alfred (1881 - 1948) Assistent bei Erb, Nonne in Hamburg, Hoche in Freiburg, 1918 Professor in Freiburg, 1926 in Halle. (Degk) Heinroth, Johann Christian August (1773 - 1843) 1810 Berufung auf den neubegründeten Lehrstuhl für psychische Therapie in Leipzig, 1827 ordentlicher Professor, Hauptwerk: "Lehrbuch der Störungen des Seelenlebens", Leipzig 1818: spekulative Klassifizierung der Geisteskrankheiten auf der Basis der Vorstellung, Krankheiten seien ein Produkt der Unfreiheit der Seele; 1817 auch Promotion in Philosophie. (Kirch) Hirschl, Joseph Adolf (1865 - 1914) 1891 Assistent bei Krafft-Ebing und bei Wagner in Wien, 1911 Professor. (BBÄ) Hitzig, Julius Eduard (1838 - 1907) 1875 Professor für Psychiatrie an der Irrenanstalt Burghölzli/Zürich, 1879 Professor in Halle und Direktor der Anstalt Nietleben, 1885 Neuerrichtung der Klinik in Halle. (Kirch) Hoche, Alfred Erich (1865 - 1943) 1888 Assistent für Pädiatrie in Heidelberg, 1890 Assistent bei Fürstner in Heidelberg und Straßburg, 1899 Professor der Psychiatrie in Straßburg. (Degk) Hoestermann, Carl Eugen (gest. 1928) Leiter der Irrenanstalt Valduna/Tirol, 1888 Leiter der Wasserheilanstalt Mariaberg am Rhein. (AZP) Hoffmann, Friedrich (gest. 1862) Schüler von Martini in Leubus, 1848 - 1862 Leiter in Siegburg, "stürzte sich in geistiger Umnachtung in den Rhein". (AZP) Hoppe, Adolf Assistent in Alt Scherbitz, 1905 Oberarzt in Pfullingen/Württemberg. (AZP) Horn, Ernst (1774 - 1841) Ca. 1800 ordentliche Professur der praktischen Medizin in Braunschweig, organisierte die Psychiatrische Abteilung der Berliner Charité neu, wandte noch Zwangsmaßnahmen in der Therapie an, führte aber auch die Beschäftigungstherapie ein. (Kirch) 175 Ideler, Carl Wilhelm (1795 - 1860) 1828 Leitung der irrenärztlichen Abteilung der Charité in Berlin bis zu seinem Tode 1860, betonte die Bedeutung der Philosophie für die Psychiatrie. (Kirch) Jacobi, Carl Wigand Maximilian (1775 - 1858) 1816 Medizinalrat in Düsseldorf, 1825 Leiter der nach seinen Plänen errichteten Anstalt Siegburg, im Verlauf seiner Tätigkeit anerkannte Vorbildfunktion in Deutschland und Europa, sein Interesse an der Psychiatrie beruhte eher auf philosophischem Schöngeist, sah die Seelenstörungen in somatischen Krankheiten begründet. (Kirch) Jessen, Peter Willers (1793 - 1875) Leiter der neugegründeten Anstalt in Schleswig, Übertragung der Bell'schen Reflextheorien auf die Psychologie, 1845 Gründung der Privatklinik Hornheim, 1860 wesentlich beteiligt an der Gründung des Vereins der Deutschen Irrenärzte, 1855 "Versuch einer wissenschaftlichen Begründung der Psychologie" als allgemein anerkanntes Werk. (Kirch) Jessen, Peter Willers (Sohn des ersten) (geb. übernahm 1824 die Leitung der Klinik Hornheim von seinem Vater. (BBÄ) Jung, Wilhelm (1829 Assistent in Leubus, später Anstaltsleiter, 1885 in den Ruhestand. (AZP) 1824) - 1908) Kaes, Theodor (1852 - 1913) Assistent in Bayreuth u.a., 1890 in Friedrichsberg/Hamburg, dort 1899 Prosektor. (BBÄ) Kahlbaum, Karl Ludwig (1828 - 1898) 1856 Zweiter Arzt der Irrenanstalt Allensbach, 1863 - 66 Dozent in Königsberg, 1866 Zweiter Arzt in Görlitz, später dort Direktor; 1863 verfasste er die erste systematische Einteilung der Geisteskrankheiten. (Kirch) Kirchhoff, Theodor (1853 - 1922) 1880 Assistent in Schleswig, 1888 Habilitation bei Jessen in Kiel, 1893 Direktor der Anstalt Neustadt/Holstein, 1901 Professor, 1902 Direktor der Anstalt Schleswig. (Kirch) Köberlin, Hermann Oberarzt in Erlangen. (AZP) (gest. 1919) Kraepelin, Emil (1856 - 1926) 1878 Promotion in Würzburg, Assistent bei Rinecker in Würzburg und bei Gudden in München, 1882 Habilitation in Leipzig, 1886 Professor in Dorpat, 1891 in Heidelberg, 1904 - 22 Professor in München. (Degk) Krafft-Ebing, Richard Freiherr von (1840 - 1902) 1864 - 1868 Assistent in Illenau, 1872 Aufbau der psychiatrischen Klinik in Straßburg, 1874 Professur in Graz, 1886 Ausweitung der Stelle auf die Neurologie, 1889 zusammen mit Meynert Nachfolger von Leidesdorf in Wien, 1892 Klinikleiter, 1867 erste Verwendung des Begriffs der Zwangsvorstellung, verfaßte Lehrbücher der Psychiatrie, "Psychopathia Sexualis" als erste umfassende Arbeit zu diesem Thema, Monographie über die Progressive Paralyse. (Kirch) Kroemer, Richard Maximilian (1849 - 1911) Assistent in Nietleben, Dozent in Halle, 1883 Direktor der neuerrichteten Anstalt 176 Neustadt in Westpreußen, 1885 Leiter der Irrenanstalt in Stuttgart. (Kirch) Laehr, Bernhard Heinrich (1820 - 1905) 1848 - 52 Ausbildung bei Damerow, ab 1853 Aufbau der Privatanstalt Schweizerhof bei Berlin, 1857 Hauptredakteur der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie, Mitbegründer des Vereins der Deutschen Irrenärzte. (Kirch) Lissauer, Heinrich Assistent bei Wernicke in Breslau. (Degk) (1861 - 1891) Lubimoff, Alexis Pathologe, Moskau. Lunier, Ludger Jules Joseph (1822 - 1885) Direktor verschiedener Irrenanstalten in Frankreich, ab 1867 Chefredakteur der Annales medico-psychologiques. (BBÄ) Mendel, Emanuel (1839 - 1907) 1866 Gründung einer Privatanstalt in Pankow/Berlin, Studien bei Virchow und Griesinger, Mitglied und Abgeordneter der Fortschrittspartei, 1873 Habilitation, 1882 Gründung des Neurologischen Zentralblattes, 1880 Monographie über die "Progressive Paralyse der Irren". (Kirch) Meschede, Franz (1832 - 1909) Oberarzt in Schwetz/Westpreußen, 1873 Direktor der städtischen Krankenanstalten Königsberg, 1888 Professor der Medizin, 1892 Direktor der Psychiatrischen Klinik, 1895 Professor in Münster. (Degk) Meyer, Ernst (1871 - 1931) Assistent der Pathologie in Göttingen, Berlin, Tübingen, Kiel, 1904 Professor in Königsberg. (Degk) Meyer, Ludwig (1827 - 1900) Assistent an der psychiatrischen Klinik der Charité unter Ideler, zweiter Arzt in Schwetz unter Hoffmann, 1858 Habilitation in Berlin bei Ideler, vertrat Griesingers Position gegenüber Laehr, Flemming und Damerow, 1858 Oberarzt der psychiatrischen Abteilung am Allgemeinen Krankenhaus in Hamburg, Begründer der Irrenanstalt Friedrichsberg in Hamburg, 1866 Professor in Göttingen. (Kirch) Meynert, Theodor (1833 - 1892) 1865 Dozent für Bau und Leistung von Gehirn und Rückenmark, 1866 Prosektor in der Wiener Irrenanstalt, befreundet mit Rokitansky. (Kirch) Möbius, Paul Julius (1853 - 1907) 1883 Assistent bei Strümpell in Leipzig, ab 1886 zusammen mit Dippe Herausgeber der Schmidtschen Jahrbücher; von Charcot angeregt intensive Beschäftigung mit den Hysterien, prägte den Begriff der Metasyphilis. (Kirch) Mönkemöller, Otto (1867 - 1930) Assistent in Herzberge/Berlin, 1900 in Osnabrück, 1906 in Hildesheim, 1914 Direktor der Irrenanstalt Langenhagen, 1919 Direktor der Irrenanstalt Hildesheim. (BBÄ) Näcke, Paul (1851 - 1913) Geboren in Petersburg, als Gynäkologe in Dresden, Danzig, Königsberg, 1880 Anstaltsarzt in Kolditz, ab 1889 in Hubertusburg, 1912 Direktor in Kolditz, 1913 Herzinfarkt; Arbeiten über Progressive Paralyse, Grenzzustände der Psychopathien, Homosexualität. (Kirch) 177 Nasse, Friedrich (1778 - 1851) 1815 Professur in Halle, 1819 in Bonn als internistischer Kliniker, wichtiger Vertreter der somatischen Theorie, Begründer mehrerer psychiatrischer Zeitschriften von kurzer Lebensdauer, Zusammenarbeit mit Jacobi in der psychiatrischen Anstalt Siegburg. (Kirch) Nasse, Karl Friedrich Werner (1822 - 1898) 1854 Nachfolger von Flemming auf dem Sachsenberg, 1863 Leiter der Klinik Siegburg, 1876 der neuerrichteten Klinik Andernach, Mitredaktion der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie, 1882 Leitung der Klinik in Bonn, Kampf gegen den Alkoholmißbrauch. (Kirch) Neisser, Albert Dermatologe, Breslau. (Pschy) (1855 - 1916) Neisser, Clemens (1862 - 1940) 1886 Assistent in Leubus/Schlesien, 1902 Direktor der Anstalt Lublinitz, 1904 Direktor der Anstalt Bunzlau. (Degk) Nissl, Franz (1860 - 1919) 1884 Assistent bei Gudden, 1889 zweiter Arzt an der städtischen Irrenanstalt in Frankfurt unter Sioli, dort Beginn der Zusammenarbeit mit Alzheimer, 1895 Assistent in Heidelberg unter Kraepelin, 1904 Lehrstuhl für Psychiatrie in Heidelberg und Leitung der Klinik, 1918 Wechsel an die Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie in München, 1919 verstorben am Nierenversagen. (Kirch) Noguchi, Hideyo Bakteriologe, 1904 ans Rockefeller Institut. (BBÄ) (1876 - 1914) Nonne, Max (1861 - 1959) Assistent von Erb, Studium der Chirurgie, 1889 Oberarzt in Hamburg, 1896 an der neurologischen Klinik, 1919 Dozent für Neurologie, 1925 Professor. (Degk) Obersteiner, Heinrich (1847 - 1922) 1872 Direktor der Privatanstalt Oberdöbling in Wien, 1880 Professor der Anatomie des Zentralnervensystems in Wien. (Degk) Oebeke, Bernhard (1837 1859 Assistent in Endenich bei Bonn unter Richarz, 1872 Leiter. (BBÄ) - 1913) Pilcz, Alexander (1871 - 1954) Assistent an der Landesirrenanstalt in Wien, 1902 Professor für Psychiatrie. (BBÄ) Plaut, Felix 1915 Professor für Psychiatrie in München. (BBÄ) (1877 - 1940) Rabbas, G Assistent in Lauenburg, 1893 in Neustadt/Westpreußen, 1897 dort Direktor bis über 1913 hinaus. (AZP) Raecke, Julius (1872 - 1930) Assistent bei Jolly, bei Sioli in Frankfurt und bei Siemerling in Tübingen, 1906 Professor in Kiel, 1911 Oberarzt in Frankfurt, Arbeit über Progressive Paralyse, Multiple Sklerose. (BBÄ) Reinhard, C.W. (gest. 1897) Zweiter Arzt der Irrenanstalt Friedrichsberg in Hamburg, gestorben an der "Allgemeinen 178 Paralyse". (AZP) Rieger, Konrad (1855 Assistent bei Rinecker, 1895 - 1925 Professor in Würzburg. (Degk) - 1939) Roller, Christian Friedrich Wilhelm (1802 - 1878) 1827 Arzt im Heidelberger Irrenasyl unter Groos, 1835 Übernahme der Leitung des Irrenasyls, 1842 Leitung der nach seinen Vorstellungen neu errichteten Irrenanstalt Illenau bei Achern, sah geistige Pädagogik als wichtiges Anliegen bei der Therapie der Geisteskranken; Mitbegründer der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie. 1867 Gründung des Vereins der Südwestdeutschen Irrenärzte. (Kirch) Rüdin, Ernst (1874 - 1952) Assistent bei Kraepelin in Heidelberg, bei Bleuler in Zürich, 1904 zu Kraepelin nach München, 1925 Professor in Basel. (Degk) Schaudinn, Fritz (1871 - 1905) 1898 Professor für Zoologie in Berlin, 1904 Leiter des Protozoenlaboratoriums in Berlin, 1905 zusammen mit Ernst Hoffmann (geb. 1868) Beschreibung von Spirochäta pallida als Erreger der Syphilis. (BBÄ) Schäfer, Alfons Zweiter Arzt der Irrenanstalt in Roda, 1899 Direktor der Landesirrenanstalt Blankenhain in Weimar, später wieder in Roda. (AZP) Schroeder, Paul (1873 - 1941) Assistent bei Wernicke in Breslau, bei Kraepelin in Heidelberg, bei Bonhoeffer in Königsberg, 1912 Professor in Greifswald, 1925 in Leipzig. (Degk) Schüle, Heinrich (1840 - 1916) 1863 Hilfsarzt in Illenau, umfangreiche histologische Arbeiten, fordert die Einteilung der Geisteskrankheiten nach klinischen Gesichtspunkten, Das Psychophysische sei der Schlüssel der Erkenntnis der Seelenstörungen, 1890 Leiter der Klinik Illenau. (Kirch) Siemerling, Ernst (1857 - 1931) Assistent bei Hitzig in Halle, 1884 Assistent in der Charité bei Westphal, 1892 Professor in Berlin, 1893 in Tübingen, 1901 in Kiel. (Degk) Simon, Theodor (1841 - 1874) 1863 Assistent im Allgemeinen Krankenhaus Hamburg, Assistent bei L. Meyer, 2. Arzt in Friedrichsberg, 1869 Leiter des Allgemeinen Krankenhauses Hamburg. (BBÄ) Sioli, Emil Franz (1852 - 1922) Assistent bei Waldeyer in Straßburg und bei Westphal in der Charité, 1881 Oberarzt in Leubus, 1883 Leiter der Irrenanstalt Bunzlau, 1888 Leiter der Irrenanstalt Frankfurt, 1914 - 19 Professor in Frankfurt, verfaßte wichtige Arbeiten zur Erblichkeitsforschung in der Psychiatrie.(BBÄ) Snell, Ludwig (1817 - 1892) 1849 Leiter der neuerrichteten Anstalt Eichberg, 1856 Nachfolger von Bergmann in Hildesheim, 1865 Beschreibung primärer Formen des Wahnsinns im Gegensatz zur Einheitspsychose. (Kirch) Solbrig, August von (1809 - 1872) 1846 Direktor der neuerrichteten Anstalt Erlangen, 1849 Lehrauftrag für Psychiatrie, 1861 Leiter der neuerrichteten Kreisirrenanstalt München, 1864 Ordinarius. (Kirch) 179 Spielmeyer, Walter (1879 - 1935) Assistent bei Hoche in Freiburg, 1912 zum hirnanatomischen Institut bei Kraepelin in München, 1913 Professor in München. (Degk) Stargardt, Karl Bruno (1875 - 1927) 1899 an der Kieler Universitäts-Augenklinik, in Straßburg, Bonn, 1923 Nachfolger von Bielschowsky in Marburg. (BBÄ) Stertz, Georg (1878 - 1959) 1911 Habilitation bei A. Westphal in Bonn, 1914 außerordentlicher Professor bei Alzheimer in Breslau, 1918 Oberarzt bei Kraepelin in München, 1921 Professor in Marburg, 1926 in Kiel, 1947 in München. (Degk) Stolz J Direktor der Irrenanstalt Hall in Tirol. (AZP) (gest. 1878) Strümpell, Adolf (1853 - 1925) 1876 Assistent bei Wunderlich in Leipzig, 1883 Direktor der medizinischen Klinik, 1886 Professor in Erlangen, 1903 in Breslau, 1909 in Wien. (Degk) Thomsen, Robert (1858 - 1914) Assistent bei L. Meyer in Göttingen und bei Reye in Friedrichsberg, ab 1883 an der Charité, 1888 Leitung der Hertzschen Privatklinik in Bonn. (Kirch) Tigges, Wilhelm (1830 - 1914) Assistent in Halle, ab 1859 2. Arzt an der Irrenanstalt Marsberg, 1872 - 73 an der Irrenanstalt Stephansfeld/Elsaß, 1873 Direktor auf dem Sachsenberg. (BBÄ) Tuzcek, Franz (1852 - 1925) 1877 Assistent in Köln, 1879 Assistent in der Charité unter Westphal, Assistent bei Cramer in Marburg, 1984 Habilitation, 1894 - 1919 Professor in Marburg. (Degk) Wagner von Jauregg, Julius (1857 - 1940) 1883 Assistent bei Leidesdorf in Wien, 1885 Habilitation in Neurologie, 1888 Dozent für Psychiatrie, 1889 Professor in Graz, 1893 Professor in Wien, Direktor der 1. medizinischen Klinik der Anstalt Wien, 1903 Direktor der 2. Klinik am Allgemeinen Krankenhaus in Wien, 1911 Professor für Psychiatrie und Neurologie, 1917 Malariatherapie bei Progressiver Paralyse, 1927 Nobelpreis für Medizin. (Degk) Wassermann, August Paul Berlin. (Pschy) (1866 - 1925) Wernicke, Karl (1848 - 1905) 1875 Assistent an der Charité unter Westphal, 1874 erste Arbeit über die Aphasien, in Berlin private Tätigkeit, 1885 Professor in Breslau für Neurologie und Psychiatrie als Nachfolger Neumanns, 1904 Ruf nach Halle, 1905 Opfer eines Verkehrsunfalls. (Kirch) Westphal, Alexander Karl Otto (1863 - 1941) Assistent bei Erb in Heidelberg, bei Curschmann in Leipzig, bei Jolly in Berlin, 1902 Professor und Anstaltsdirektor in Greifswald, 1904 Professor in Bonn. (Degk) Westphal, Carl Friedrich (1833 - 1890) 1852 nach Zürich, Tätigkeit in Wien und Paris, 1858 Pockenstation in der Charité, 1859 unter Ideler Wechsel in die Psychiatrie, 1869 Lehrstuhl für Geistes- und Nervenkrankheiten als Nachfolger Griesingers. (Kirch) 180 Weygandt, Wilhelm (1870 - 1939) Assistent bei Kraepelin in Heidelberg, 1899 Habilitation bei Rieger in Würzburg, 1904 Professor in Würzburg, 1909 Direktor in Friedrichsberg/Hamburg, 1919 Professor an der Universität Hamburg. (Degk) Wille, Ludwig (1834 - 1912) 1858 Assistent bei Solbrig in Erlangen, 1859 zusammen mit Solbrig in die Kreisirrenanstalt München, 1864 Leiter der Irrenabteilung in Münsterlingen/Schweiz, 1875 Professor der Psychiatrie, in Basel und Direktor der Anstalt Freimatt. (Kirch) Zeller, Ernst Albrecht (1804 - 1877) Einflüsse von Heinroth und Jacobi, Reise durch verschiedene europäische Irrenanstalten, 1834 Leitung der neugegründeten Anstalt Winnenthal, sah Geisteskrankheiten als körperlich bedingt an, seine Theorie der Einheitspsychose fand durch seinen Schüler Griesinger weite Verbreitung. (Kirch) Zenker, Wilhelm (1839 - 1910) Assistent und zweiter Arzt in Leubus, ab 1879 Kreisphysikus in Schivelbein/Pommern, später Gründer und Leiter der Privatanstalt Bergquell bei Stettin. (AZP) 181 9.2 Literaturverzeichnis Abraham K, Ziegenhagen F (1904) Über zytodiagnostische Untersuchungen bei Dementia Paralytica. Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie 61: 775-776. Acker L (1888) Zur Kasuistik der Progressiven Paralyse der Irren. Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie 44 : 78-92. Ackerknecht EH (1957) Kurze Geschichte der Psychiatrie. Enke Stuttgart. Akbar H (1984) Jacob Friedrich Fries und die anthropologische Begründung einer rationalen Psychiatrie. 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Westphal, CF Weygandt Wille Willis Winn Zambaco Zeller Zenker Ziegenhagen Ziemann 121, 133, 160 49, 53, 55, 57, 63, 88, 155, 157 128 61, 158 6, 13, 26, 73, 112 6, 19, 138, 142, 148 146 132 10 103 83 9, 50ff., 63, 69, 89, 113f., 117, 157f., 161 97, 101, 141, 150 26, 99, 115, 118, 161 15f. 37 113 10 82, 85, 155 131 100 216 10 Lebenslauf Am 18. Dezember 1961 wurde ich als ältester von drei Söhnen des Staatsanwalts Dieter Grefe und der Justizassistentin Karin Grefe, geborene Jordan, in Verden an der Aller geboren. 1967 zog die Familie nach Celle. Dort wurde ich 1968 eingeschult und legte 1981 am Hölty-Gymnasium die Prüfungen zum Abitur ab. Den Zivildienst leistete ich von November 1981 bis Februar 1983 im Posener Altenheim in Lüneburg. Es folgten das zweimonatige Krankenpflegepraktikum im Städtischen Krankenhaus Lüneburg und von Juli bis September 1983 eine Reise durch die USA. Zum Wintersemester 1983/84 nahm ich an der Universität Hamburg das Studium der Medizin auf und bestand dort im August 1985 auch die Ärztliche Vorprüfung. Im Sommer 1986 unternahm ich eine Auslandsfamulatur in Barbados. Zum Wintersemester 1986/87 wechselte ich an die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und legte hier im März 1987 den Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung ab. Von April bis September 1988 unternahm ich eine Reise nach Perú und Brasilien und famulierte von Mai bis Juli in Trujillo/Perú. Im März 1988 bestand ich den Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung und begann im Oktober 1989 mit der Tätigkeit im Praktischen Jahr am Universitätsklinikum Heidelberg. Meine Stationen waren die Medizinische Poliklinik, die Kinderklinik und die Chirurgie. Am 28. November 1990 schloß ich das Medizinstudium mit dem Dritten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung ab. Mit der Arbeit an der vorliegenden Dissertation begann ich im April 1987. An dieser Stelle möchte ich Herrn Priv. Doz. Dr. Axel Bauer für die Überlassung des Themas, für die kritische Unterstützung und für viele anregende Diskussionen danken.
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