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Mi 01.07.2015
CD
Paul Juon: Silhouettes
Heimaten hatte er viele, zuhause war er auch an mehr als einem Ort - vor allem aber wohl in seiner Musik. Eine
Entdeckung?
Bewertung:
Der Komponist Paul Juon war ein Grenzgänger. In erster Linie geographisch: Er wurde 1872 in Moskau geboren
– als Pawel Feodorowitsch - hatte aber Schweizer Vorfahren; sein Großvater, ein Zuckerbäcker, war aus der
Schweiz nach Moskau ausgewandert.
Paul Juon: Ein Grenzgänger in mehrfacher Hinsicht
Juon selbst ist in Moskau auf eine deutsche Schule gegangen und hat dann mit 17 erstmal am Konservatorium
Geige studiert, wohl auf Wunsch seines Vaters, ist dann in die Kompositionsklasse gewechselt und hat bei Anton
Arensky und Sergej Tanejew gelernt. Tanejew war Schüler von Tschaikowsky, das hat auch Paul Juon sehr
beeinflusst, für den Tschaikowsky immer ein Vorbild geblieben ist.
Mit Anfang 20 ist Paul Juon dann nach Berlin gegangen – er wurde von Joseph Joachim an die Berliner
Musikhochschule berufen und hat dort erst als Hilfslehrer und dann als sehr geachteter Professor fast 30 Jahre
lang bis 1934 unterrichtet, unter seinen Schülern Hans Chemin-Petit und Werner Richard Heymann. Juon hat
seine Studenten immer dazu angeregt, IHRE EIGENEN Ideen zu realisieren – eine nicht selbstverständliche
Vorgehensweise, auch heute noch in den Kompositionsklassen der Musikhochschulen! Juon ist nach seiner
vorzeitigen Pensionierung 1934 in die Schweiz gegangen und dort 1940 gestorben.
Ein Grenzgänger war Juon auch in musikalischer Hinsicht: Im Dritten Reich wurde die slawische Musiksprache
in Deutschland als minderwertig abgestempelt, das hat Juon vor allem als Russe wahrgenommen, gleichzeitig
wurden seine Stücke damals aber sehr wohl gespielt. Seine Musiksprache war weder romantisch noch modern –
und er selbst war kein Schweizer, kein Deutscher – und kein Russe, gewissermaßen ein Heimatloser.
Das fehlende Glied zwischen Tschaikowsky und
Strawinsky
"Das fehlende Glied zwischen Tschaikowsky und Strawinsky" - das hat mal ein zeitgenössischer Kritiker über
Paul Juon gesagt – und da ist was dran! Er pendelte zwischen der Spätromantik von Tschaikowsky, auch von
Brahms, beide seine Vorbilder – und Strawinsky. Mit dem verbindet ihn vor allem seine Vorliebe für
rhythmische Tüfteleien, Juon hat oft knifflige Taktarten gewählt und häufige Taktartenwechsel, und das war ja
auch Strawinskys Spezialität.
Juon war, obwohl ja Zeitgenosse von Schönberg, Berg und Webern, eher ein Spätromantiker. Die Silhouettes,
die auf dieser CD zu hören sind, bestätigen das– später wurde er moderner, aber eher im Sinn einer
eigenständigen klassizistischen Klangsprache. Durch seine Kindheit und Jugend in Moskau hat er viel russische
Volksmusik gehört, die er auch sehr geliebt hat und die immer wieder auf ganz unterschiedliche Weise ihren
Weg in seine eigene Musik gefunden hat – und man hört hin und wieder auch nordische Themen heraus.
Kammermusik, wie auf dieser neuen CD zu hören, macht allerdings nur einen Teil seines Werks aus, wenn auch
einen großen - es gibt aber auch vier Sinfonien, ein Ballett, Solokonzerte, einiges für Geige und Orchester, auch
Lieder.
Eine echte Entdeckung
Juons Credo war: Musik müsse mehr zur Seele und zu den Sinnen sprechen – ein dogmatisches Komponieren an
festen Systemen entlang wie der Zwölftontechnik zum Beispiel wäre für seine Klangvorstellungen
kontraproduktiv gewesen.
Juon hat auf andere Weise experimentiert, er war ein Suchender, immer auf der Spur neuer Klangfarben, daher
kommt dann auch so eine ungewöhnliche Besetzung mit zwei Geigen und einem Klavier.
Gerade diese Stücke auf dieser CD zeigen, wie Juon vor Ideen nur so übergesprudelt ist – jeder einzelne Satz
dieser Silhouettes und der Tondichtungen heißt anders und macht die Tür auf zu einem ganz neuen Kosmos, mal
pastoral, mal burlesk – da gibt’s Liebeslieder genauso wie Melancholie, bizarres und groteskes, das wird nie
langweilig – und es ist ihm wirklich immer etwas Neues eingefallen.
Drei ausgezeichnete Musiker
Drei sehr gute Musiker, Musikerinnen spielen hier auf Augenhöhe – die beiden Geigerinnen teilen sich übrigens
hier die Stimmen fair auf, sie haben sich bei der Aufnahme offensichtlich abgewechselt, mal hat die eine, mal
die andere die erste und zweie Geige gespielt.
Rebekka Hartmann, Münchnerin, ist Echo-Preisträgerin für eine CD, auf der sie barocke Weltersteinspielungen
aufgenommen hat, 2012 war das, Malwina Sosnowski ist in der Schweiz eine DER Nachwuchsmusikerinnen,
hoch gelobt, und der Pianist Benymin Nuss hat auch schon eine beachtliche Karriere angetreten, er hat einen
Plattenvertrag bei der Deutschen Grammophon, war in den Klassikcharts und ist in diesen Monaten unterwegs
für Konzerte in den USA, Frankreich und Japan – dass alle drei schon unzählige der üblichen wichtigen Preise
gewonnen haben, erwähne ich mal nur am Rand.
Paul Juon ist natürlich kein ganz Unbekannter, gerade in Berlin nicht, wo er an der Musikhochschule Professor
war – aber er wird doch so gut wie nie gespielt, und DAS sollte sich bitte ändern. Gerade diese drei Werke auf
der CD, die Silhouettes und die Sieben kleine Tondichtungen geben einen guten Überblick über Juons
Tonsprache. Die Werke sind in einem Zeitraum von fast 30 Jahren entstanden, 1899 bis 1928, und zeigen seine
Entwicklung, in einer Zeit, in der ja die ganze Welt im Umbruch war. Gut gespielt ist das obendrein: Bitte mehr
von Paul Juon!
Anja Herzog, kulturradio
Mehr Infos zum Thema
Paul Juon: Silhouettes
op.9 und op.43, Sieben kleine Tondichtungen op.81
Malwina Sosnowski & Rebekka Hartmann, Violine; Benyamin Nuss, Klavier
Musiques Suisses
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