1 16 Auszug aus Ausgabe 1 Februar 2016 Energie. Markt. Wettbewerb. Handel & Beschaffung Stromvermarktung mit Delta-Hedging ISSN: 1611-2997 Von Dr. Joachim Wittinghofer, Jörg Rosenberg und Dr. Bernd Jürgens, Trianel X_Rubrik_Unternehmen_Autor Handel & Beschaffung Stromvermarktung mit Delta-Hedging Volatile Preise erfordern eine moderne Absicherung Die Energiewende und der steigende Anteil erneuerbarer Energien ändern die Fahrweise konventioneller Kraftwerke grundlegend und erfordern eine stetige Anpassung der Stromvermarktung an sich verändernde Marktsituationen. Delta-Hedging stellt eine komplexe Vermarktungsstrategie für Kraftwerksbetreiber dar. Sie zielt auf die Wertsicherung des Kraftwerks, wenn dieses als Realoption interpretiert wird. Adäquate stochastische Berechnungsmethoden sind die Voraussetzung für den Einsatz des Delta-Hedgings. Von Dr. Joachim Wittinghofer, Jörg Rosenberg und Dr. Bernd Jürgens, Trianel 01 Innerer Wert, Zeitwert und Optionswert Euro K raftwerksbetreiber streben bei der Stromvermarktung eine Maximierung ihrer Deckungsbeiträge an. Dafür müssen sie geeignete Vermarktungsstrategien, Märkte, Produkte und Vermarktungszeitpunkte wählen. Infolge schwer kalkulierbarer politischer Entwicklungen und starker Preisbewegungen, etwa durch die vermehrte Einspeisung der Erneuerbaren, ist der richtige Vermarktungszeitpunkt immer schwerer zu prognostizieren. Wer zum Beispiel auf steigende Erzeugungsspreads setzt und seine Stromerzeugung lange unvermarktet lässt, kann durch fallende Erzeugungsspreads starke Rückgänge bei den Deckungsbeiträgen erleiden. Optionswert: Summe von innerem Wert innerer Wert und Zeitwert Zeitwert: Differenz zwischen Optionswert und innerem Wert Deckungsbeitrag sichern, Risiken mindern Kraftwerksbetreiber versuchen, die wirtschaftlichen Risiken der Stromvermarktung zu begrenzen. Dabei passen sie ihre Vermarktungsstrategie an ihre spezifische Risikotragfähigkeit und ihren Risikoappetit an. Aus diesem Grund kann es sinnvoll sein, die Vermarktungsstrategie nicht nach einer subjektiven Markterwartung auszurichten. Kraftwerksbetreiber können alternativ eine Strategie wählen, die auf die Sicherung des aktuell realisierbaren Deckungsbeitrags abzielt. Der für die Vermarktung zuständige Portfoliomanager trägt im Rahmen der ihm vorgegebenen Strategie zur Risikobegrenzung und Deckungsbeitragssicherung bei. Eine Strategie kann das Delta-Hedging sein. Sie zielt auf die Sicherung der Summe aus dem inneren Wert und dem Zeitwert einer Option ab. Diese komplexe Absicherungs- 2 Auszug aus e|m|w Heft 01|2016 Strike aus dem Geld Zeitwert nahe 0 innerer Wert = 0 am Geld Zeitwert maximal innerer Wert = 0 Strompreis im Geld Zeitwert nahe 0 innerer Wert > 0 strategie profitiert von Preisbewegungen an den Märkten für Strom, Brennstoff und Emissionsberechtigungen. Sie kann bei der Vermarktung von Stromerzeugungskapazitäten wertsichernd eingesetzt werden, wenn das konventionelle Kraftwerk als Realoption interpretiert wird. umfasst die Absicherung der Stromerlöse und der Grenzkosten, also der Kosten für Brennstoffe und Emissionsberechtigungen. Der Erzeugungsspread, also die Differenz aus spezifischem Stromerlös und Grenzkosten, wird so bereits bei der Terminvermarktung fixiert. Im Folgenden beschränken wir uns auf die Darstellung der Vermarktung von Strom aus konventionellen Steinkohle- und Gaskraftwerken. Die Terminvermarktung Realoption Kraftwerk Vermarktungsstrategien können die kurzfristige Stromvermarktung im Day-aheadund Intradaymarkt vorsehen, oder diese Handel & Beschaffung Optionswert, innerer Wert und Zeitwert Eine weitere Vermarktungsstrategie basiert auf dem dynamischen Delta-Hedging und ergibt sich bei Interpretation des Kraftwerks als Realoption. Da der Betreiber das Recht hat, Strom zu Grenzkosten aus dem Kraftwerk zu beziehen, handelt es sich um eine Call-Option, genauer um je eine Call-Option pro Zeitintervall („strip of options“). Strikepreis der Option sind die vom Brennstoffpreis und dem Preis für Emissionsberechtigungen abhängigen Grenzkosten. Der Wert dieser Option hängt von der Marktsituation zum Betrachtungszeitpunkt ab. Abbildung 1 zeigt, dass sich der Optionswert aus dem „inneren Wert“ und dem „Zeitwert“ zusammensetzt. Der innere Wert ist deterministischer Natur und entspricht dem Deckungsbeitrag der optimalen zukünftigen Kraftwerksfahrweise, welche gegen die aktuelle HourlyPrice-Forward-Curve (HPFC) ermittelt wurde. Er ist abhängig von den aktuellen Terminpreisen für Strom, Brennstoff und Emissionsberechtigungen und den daraus ermittelten Grenzkosten und Startkosten des Kraftwerks. Außerdem hängt er von einer Vielzahl von Randbedingungen für den Kraftwerksbetrieb ab, zum Beispiel der Mindestleistung und Maximalleistung, dem maximalen Leistungsgradienten, Revisionszeiten und eventuellen Mindestbetriebs- oder Mindeststillstandsdauern. Im Folgenden wird zur besseren Verständlichkeit unterstellt, nur der Marktpreis für Strom sei veränderlich, diejenigen für Brennstoff und Emissionsberechtigungen hingegen seien konstant. Der Zeitwert der Option entspricht dem zusätzlichen Wert, der aus der Flexibilität erwächst, das Kraftwerk je nach zukünftiger Marktsituation zu betreiben oder stillstehen zu lassen. Er ist stochastischer Natur – also abhängig von den unsicheren zukünftigen Preisentwicklungen – und wächst mit zunehmender Volatilität. Der Zeitwert ist umso größer, je näher die Option am Geld ist, das heißt, je näher der Marktpreis für Strom an den Grenzkosten liegt, und je weiter der Zeitpunkt der Erfüllung in der Zukunft liegt. 02 Delta als Steigung des Optionswertes Euro mit einer frühzeitigen Vermarktung auf Termin kombinieren. Die Terminvermarktung kann zeitlich gleichverteilt erfolgen oder auch marktorientiert, beispielsweise durch Vermarktung von Teilmengen beim Erreichen von gestaffelten stop-loss- oder take-profit-Limits für den Erzeugungsspread. Beide Vorgehensweisen können auch kombiniert werden. Optionswert innerer Wert Delta Settlement 1 Strompreis Wenn die Option aktuell weit aus dem Geld ist, die Strompreise also weit unter den Grenzkosten des Kraftwerks liegen, dann führt selbst eine hohe Volatilität nicht mehr zu zukünftigen Preisverhältnissen, die ein wirtschaftliches Betreiben des Kraftwerks ermöglichen. Der Zeitwert dieser Option ist Null. Wenn die Option aber aktuell weit im Geld ist, dann wäre das Kraftwerk selbst bei großen Preisschwankungen stets mit Maximallast eingeschaltet, so dass die Flexibilität, ein- und ausschalten oder auf Minimallast herunterregeln zu können, keinen Wert hat. Auch in diesem Fall ist der Zeitwert Null. Zwischen diesen beiden Extremfällen ist der Zeitwert größer Null, und der Optionswert größer als der innere Wert. Der Optionswert, also die Summe aus innerem Wert und Zeitwert, kann auch als Erwartungswert der Verteilung der Deckungsbeiträge interpretiert werden, die sich ergibt, wenn für eine Vielzahl von Preisszenarien die jeweils optimale zukünftige Kraftwerksfahrweise und der zugehörige Deckungsbeitrag ermittelt wird. Bei fallenden und steigenden Preisen auf der sicheren Seite Beim dynamischen Delta-Hedging handelt es sich um eine wertsichernde Strategie, die den gesamten aktuellen Optionswert – also die Summe aus innerem Wert und Zeitwert – gegen Preisänderungen absichern kann. In der Optionstheorie gibt Delta an, in welchem Maße sich der Optionswert ändert, wenn sich der Wert des Underlyings um eine Einheit ändert. So än- dert sich der Optionswert eines Kraftwerks mit konstanten Brennstoffkosten um Delta, wenn sich der Strompreis um eine Einheit ändert. Delta ist in diesem Fall also die Steigung des Optionswertes, aufgetragen über dem Strompreis (vgl. Abb. 2). Das Prinzip des dynamischen DeltaHedgings besteht darin, zur Absicherung („Hedge“) des Optionswerts genau so viel Strom auf Termin zu vermarkten, dass bei einer anschließenden Strompreisänderung die Wertänderung der Hedgeposition der Änderung des Optionswerts genau entgegengesetzt ist. Die Hedgeposition wird dem sich ändernden Delta laufend nachgeführt. Bei fallenden Strompreisen fällt Delta, und bereits verkaufter Strom wird billiger, also mit Gewinn, wieder zurückgekauft. Bei wieder steigenden Strompreisen steigt Delta, und der Strom kann teurer, also erneut mit Gewinn, verkauft werden. Auf diese Weise kann in einem volatilen Marktumfeld der Deckungsbeitrag erhöht und abgesichert werden. Im theoretischen Idealfall wird bei unveränderter Volatilität die Wertentwicklung der Hedgeposition diejenige der Option Kraftwerk neutralisieren. In der Realität ist die Absicherung des Optionswertes aufgrund von Transaktionskosten, bid-askspreads und handelbaren Mindestmengen aber mit Kosten verbunden. Deshalb sollte vor jedem Abschluss der gemäß Delta erforderlichen Geschäfte deren zu erwartende Wirtschaftlichkeit geprüft werden. Der dynamische Delta-Hedge kann jederzeit zu Käufen und Verkäufen führen. Daher sollte die Absicherung der Opti- Auszug aus e|m|w Heft 01|2016 3 Handel & Beschaffung on mittels liquider Produkte erfolgen, beginnend mit Kalenderjahrprodukten, die mit steigender Liquidität sukzessive in Quartals- und Monatsprodukte kaskadiert werden, die im weiteren Verlauf auf Wochen, Wochenenden oder einzelne Tage heruntergebrochen werden können. Die endgültige Einschaltentscheidung für das Kraftwerk wird schließlich day-ahead und intraday getroffen. Brennstoff- und CO2-Preise Im Folgenden berücksichtigen wir wieder die Stochastizität der Brennstoff- und Emissionsberechtigungspreise. Erzeugungsspread und Optionswert ändern sich also nicht nur bei Strompreisänderungen, sondern auch bei Preisänderungen für Brennstoffe und Emissionsberechtigungen. Trianel hat die Applikation DeltaWatT entwickelt, welche für unterschiedliche Kraftwerke die für das dynamische DeltaHedging erforderlichen Berechnungen durchführt und die Ergebnisse übersichtlich darstellt. Die Software berechnet den aufwändigen Teil über Nacht. Darauf aufbauend können mit aktuellen Marktpreisen aktualisierte Deltas untertägig zügig berechnet und das Erzeugungsportfolio optimiert werden. Anschließend liegen für alle gewünschten Hedgeprodukte und Fristigkeiten die für die Deltaneutralität benötigten Positionen vor. Die in Folge zu handelnden Mengen ergeben sich als Differenz der berechneten Deltapositionen und der bereits gehandelten Positionen. Neben den Deltas werden weitere Kennzahlen, darunter der Optionswert und der innere Wert, berechnet und archiviert. welche für die direkte Bestimmung der Deltas für die drei Commodities erforderlich sind. So wird bei der Pathwise-DeltaMethode das Strom-Delta als Quotient aus dem Erwartungswert der Stromerlöse und dem Forwardpreis für Strom ermittelt. Zur Ermittlung des Brennstoff-Deltas und des Emissionsberechtigungs-Deltas wird analog der Quotient aus dem Erwartungswert der Brennstoffkosten und dem Forwardpreis für Brennstoff, beziehungsweise dem Erwartungswert der Emissionsberechtigungskosten und dem Forwardpreis für Emissionsberechtigungen verwendet. Die Deltas für unterschiedliche Fristigkeiten oder Produkte wie Base, Peak oder Offstandards werden berechnet, indem die analogen Erlöse, Kosten und Forwardpreise für den jeweils relevanten Zeitbereich verwendet werden. Mit Hilfe von DeltaWatT werden deshalb nachts das Delta im Settlementpunkt und das Delta für einen geringfügig veränderten Strompreis berechnet. Gamma ergibt sich dann als Differenz dieser beiden Deltas, dividiert durch die Differenz der beiden Strompreise. Unter Nutzung der in der Nacht ermittelten Settlementdelta und Gamma kann dann untertägig mit Hilfe aktueller Preise das aktuelle Delta ermittelt werden. Bei den marktüblichen geringfügigen täglichen Preisdifferenzen ist diese Linearisierung des Deltaverlaufs im Settlementpunkt zulässig. Zusammenfassung Erzeugungsportfoliomanagement umfasst die Entwicklung einer Vermarktungsstrategie für ein Kraftwerk sowie die tatsächliche aktive Vermarktung am OTC-Großhandelsmarkt und den Strombörsen, unter Berücksichtigung der technischen, wirtschaftlichen und vertraglichen Rahmenbedingungen. Die Vermarktung umfasst sowohl die Absicherung der Grenzkosten als auch der Stromerlöse, bei möglichst günstiger Wahl der zu handelnden Produkte und Handelszeitpunkte. Linearisierung für untertägige Berechnungen Die Deltaberechnung ist trotz der schnellen Pathwise-Delta-Methode zu rechenzeitaufwändig für eine Echtzeitanwendung. Um dennoch tagsüber aktuelle Deltas zügig auf Basis aktueller Marktpreise ermitteln zu können, verwendet DeltaWatT folgenden Näherungsansatz, der darauf beruht, dass nachts nicht nur Deltas auf Basis von Settlementpreisen berechnet werden, sondern auch Gammas. Die deutsche Energiewende hat der Branche vor Augen geführt, dass starke Preisbewegungen zu wirtschaftlichen Verwerfungen und stark schwankenden Deckungsbeiträgen führen können. Daher kann es für einen Kraftwerksbetreiber sinnvoll sein, anstelle einer Vermarktungsstrategie, welche sich an Wenn Delta – in Abbildung 3 beispielhaft für Strom dargestellt – als Steigung oder erste Ableitung des Optionswertes nach dem Strompreis verstanden wird, dann entspricht die Krümmung oder zweite Ableitung dem Gamma, welches die Steigung des Delta abhängig vom Strompreis angibt. Beschreibung des Rechenmodells Die Berechnung der Deltas erfolgt entsprechend der rechenzeitsparenden Pathwise-Delta-Methode. Hierzu wird eine Vielzahl von Preisszenarien erstellt, unter Berücksichtigung der Stochastik aller drei korrelierten Commodity-Preisverläufe für Strom, Brennstoff und Emissionsberechtigungen. Mit Hilfe gemischt-ganzzahliglinearer Programmierung wird für jedes Preisszenario die optimale Fahrweise des Kraftwerks ermittelt. Im vorliegenden Artikel gehen wir davon aus, dass keine zeitintegralen Randbedingungen wie Brennstoffmengengrenzen existieren und deshalb kein pfadabhängiger Entscheidungsprozess vorliegt. Deshalb führt die in jedem Szenario vorhandene perfect foresight nicht zu Verfälschungen. Mit den Ergebnissen der obigen Berechnungen liegen alle Informationen vor, 4 Auszug aus e|m|w Heft 01|2016 03 Gamma als Steigung des Delta Gamma Delta Delta (linearisiert im Settlementpunkt) Settlement Gamma 1 Strike Strompreis Handel & Beschaffung seiner subjektiven Markterwartung orientiert, eine wertsichernde Strategie zu verfolgen. Beim dynamischen Delta-Hedging, welches Trianel für eigene Kraftwerksanteile einsetzt und als Dienstleistung für Kunden anbietet, wird das Kraftwerk als Realoption interpretiert. Dynamisches DeltaHedging zielt auf die Sicherung des gesamten Optionswerts des Kraftwerks, also der Summe aus seinem aktuellen inneren Wert und dem Zeitwert, und stellt eine interessante Alternative zu den herkömmlichen Bewirtschaftungsmethoden dar. DR. JOACHIM WITTINGHOFER JÖRG ROSENBERG Jahrgang 1978 Jahrgang 1977 Studium und Promotion Volkswirtschaftslehre 2001-2006 Studium der Mathematik 2007-2010 Seniorberater und später Projektleiter con|energy unternehmensberatung gmbh, Essen seit 2008 Trianel GmbH, Senior Modellierung & Bepreisung 2010-2014 Abteilungsleiter Portfoliomanagement Strom Energiehandelsgesellschaft West, Münster seit 2014 Fachbereichsleiter Portfoliomanagement, Trianel GmbH, Aachen 2006–2008 Gothaer Lebensversicherung [email protected] DR. BERND JÜRGENS Jahrgang 1964 [email protected] 1983-1995 RWTH Aachen, Studium und Promotion Elektrotechnik 1995-1999 GEW Köln AG seit 1999 Trianel GmbH, Senior Portfoliomanager [email protected] Auszug aus e|m|w Heft 01|2016 5 Energie. Markt. Wettbewerb. energate gmbh Norbertstraße 5 D-45131 Essen Tel.: +49 (0) 201.1022.500 Fax: +49 (0) 201.1022.555 www.energate.de www.emw-online.com Bestellen Sie jetzt Ihre persönliche Ausgabe! www.emw-online.com/bestellen
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