„Der Weg ist das Ziel“

Geocaching
„Der Weg ist das Ziel“
von Anne Körner
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Hinter dieser Heimlichtuerei steckt eine moderne Sportart, ein Spiel, das
sogenannte Geocaching. Das Wort setzt sich zusammen aus „geo“ (Erde)
und „cache“, was soviel bedeutet wie „geheimes Lager“. Ziel des Spiels
ist es, sogenannte Geocaches, das sind von anderen Spielern an interessanten Orsten versteckte, meist wasser- und luftdichte Dosen, mit Hilfe
eines GPS-Empfängers zu finden. Die notwendigen Koordinaten erfährt
man zum Beispiel auf der Seite www.geocaching.com, diese ist zwar die
populärsten Geocaching-Webseite, jedoch bei Weitem nicht die einzige.
Er klettert vorsichtig die Böschung neben der Brücke herunter,
darauf achtend, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Zielgerichtet
gleitet sein Blick über die angehäuften Steine. Ein letzter prüfender
Blick auf das Display seines Handys und wieder zurück zu den aufgetürmten Steinen. An welcher Stelle sind sie ungewöhnlich angehäuft? Nur Sekunden später hält er die Plastikbox in der Hand.
Wer ist dieser junge Mann? Was hat
es mit der weißen
Plastikbox mit dem
rosa Deckel auf sich
und vor allem: Woher wusste er, wo
sie versteckt war?
In jedem Geocache befinden sich verschiedene Dinge, jedoch ist in jedem Fall
ein Logbuch enthalten, in
welches der Finder sich mit
Datum, Uhrzeit und manchmal, je nach verfügbarem
Platz, mit einem persönlichen Gruß eintragen darf.
Der junge Mann, der übrigens
Informatikstudent ist und Tilo
heißt, öffnet vorsichtig die Dose.
„Der Deckel schließt gar nicht
mehr richtig. Der Owner sollte da mal was machen.“, gibt
er zu bedenken. Später, wenn
er seinen Fund im Internet offiziell bestätigt („loggt“), wird
er neben seinen Erlebnissen bei
der Suche nach diesem Cache
auch eine kleine Notiz für den
Cacher hinterlassen, der diesen
Schatz versteckt hat. Geocaching
ist eben ein Spiel, was durch
seine große Community lebt.
Tilo öffnet also die Cachebox.
Zum Vorschein kommen zwei
Logbücher, eines davon ist schon
voll. Diese Dose ist allerdings groß
genug, dass neben den Büchern
noch andere Dinge hineinpassen. Zwei Modellautos, eine kleine Spielzeugfigur und einige weitere Gegenstände, die eigentlich
nicht sehr wertvoll sind. Wozu
dann das Ganze? Der Student
lächelt. „Tja, der Weg ist das Ziel.“
Der Geocache, den Tilo heute gesucht und gefunden hat, war von der Größe her ein Small, eine Größe, die oft vorkommt. Andere Größen sind Micro
(meist Filmdosen oder Flaschenrohlinge, sogenannt PETlinge), Regular (größere Dosen) und Large (etwa 20 Liter Volumen). Eine besondere Größe ist der
Nano-Cache. In ihn passt nur ein zusammengerolltes Logbuch, da er nicht
größer als eine Fingerkuppe ist. Dementsprechend schwer ist er zu finden.
Caches unterscheiden sich aber nicht nur durch ihre Größe, sondern auch
durch ihren Typ. Es gibt die Variante des Traditionellen Caches, wo man einfach zu den angegeben Koordinaten gehen und die Dose finden kann. Spannender sind schon Multis mit mehreren Stationen oder gar Mysteries, die es
erfordern, im Vorfeld ein Rätsel zu lösen, um das Versteck zu erfahren. Informationen über die Größe und den Typ des Caches, die Schwierigkeit und
das Gelände des Verstecks sowie natürlich die GPS-Koordinaten findet man
auf der jeweiligen Webseite zum Cache. Oft findet man auch noch Hintergrundinformationen zum Ort, spezielle Tipps zum Finden des Caches oder
so genannte Spoilerfotos. Ob man sich die Bilder anschaut beziehungsweise
die Tipps ließt, hängt ganz davon ab, wie schwierig man es denn gern hätte.
Nachdem er sich im Logbuch verewigt hat, verschließt Tilo die Dose
wieder und versteckt sie am selben
Ort, wo er sie gefunden hat – eine
der Grundregeln des Geocaching.
Der Nächste soll ja immerhin den
selben Spaß haben. Eine weitere
wichtige Regel ist, sich unauffällig
zu verhalten, damit niemand, der
nicht in dieses Spiel eingeweiht ist,
die Dose mitnimmt, wegwirft oder
beschädigt. Solche Leute werden in
Cacherkreisen frei nach den Harry Potter Romanen als Muggel bezeichnet. Es kommt immer wieder
vor, dass Cacher von Muggeln gestört werden. Im schlimmsten Fall
sogar von der Polizei. „Meistens
klärt sich die Sache dann aber recht
schnell, wenn man den Beamten erklärt, was man dort tut. Bei normalen Menschen muss man sich aber
manchmal wilde Ausreden einfallen lassen. Es soll schon Leute gegeben haben, die angeblich im Dreck
ihre Kontaktlinsen gesucht haben.“
Was macht aber ein Geocacher nach dem erfolgreichen Finden eines
Caches? Geocaching wäre kein Spiel, wenn es nicht ein gewisses Suchtpotential oder einen Erfolgsrausch gäbe. Tilo zückt erneut sein Handy, startet
den eingebauten GPS-Empfänger und schaut nach, welcher Cache noch
in der Nähe ist. „Etwa einen Kilometer nach Osten. Die anderen hier in der
Nähe habe ich alle schon.“ Man ahnt es nicht, aber die Städte sind voller
Caches und es kommen unaufhörlich neue hinzu. Wer weiß, wie oft man
schon an einem Geocache-Versteck vorbeigegangen ist ohne es zu wissen?
„Noch 800 Meter.“ An
einer Straßenkreuzung
bleibt Tilo stehen. Der
GPS-Empfänger im Handy gibt nur die Richtung
vor, brauchbare Wege
muss der Cacher schon
selbst finden. In der Stadt
ist das ja meist kein Problem, aber selbst an abgelegenen Orten hat sich
meist schon ein Trampelpfad gebildet, wenn
viele Cacher dort immer
wieder vor dem gleichen Problem standen.
Tilo biegt in die
Straße ein. Noch
700 Meter. Am
Ende der Straße
dann wohl. Und
tatsächlich – dort
steht ein alter
Wasserturm, der
interessante Ort
in diesem Fall.
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Bemüht kein Aufsehen zu erregen schleicht sich Tilo
an den Turm an. Der gesuchte Cache ist ein Micro. „Da
gibt’s ja nicht allzu viele Möglichkeiten...“ Mit einem gezielten Griff in einen Mauerschlitz hält er die Dose auch
schon in der Hand. Mit der Zeit entwickle man eben ein
Auge für die typischen Verstecke und müsse dann nicht
mehr lange suchen. Das hätte natürlich den Vorteil,
dass man schnell wieder verschwinden könne und möglichst wenig Muggel auf sich aufmerksam machen würde.
Das Cacheversteck - eigentlich ziemlich offensichtlich
und doch meist unentdeckt.
Mit den heute gefunden Schätzen hat Tilo bereits über 120
Caches in dem knappen Jahr gefunden, in dem er schon in der
Community angemeldet ist. Dies sei aber nicht viel, es gäbe
durchaus Cacher, die mindestens doppelt so viele Caches pro
Jahr fänden, versichert der Student. Es kommt eben darauf
an, wie viel Zeit man zur Verfügung hat, wie sehr man herum
kommt und natürlich auch wie sehr man sich dem Spiel hingibt.
Die Webseite www.geocaching.com existiert
seit 2000, feiert also in diesem Jahr bereits
ihren 10. Geburtstag. Der Grundgedanke
ist aber schon wesentlich älter. Geocaching
lässt sich vom sogenannten Letterboxing ableiten, was bereits seit dem 18. Jahrhundert
in Dartmoor verbreitet war. Damals konnte
für die Schatzsuche natürlich noch nicht die
GPS-Technik genutzt werden, man benutze
Karte und Kompass. Fand man eine Letterbox, konnte man sich mit seinem eigenen
Stempel im Logbuch verewigen und den sich
in ihr befindlichen Stempel wiederum in sein
eigenes Logbuch drücken. In den 1990er Jahren wurden zum ersten Mal Schnitzeljagden veranstaltet, bei denen die Teilnehmer
sich die GPS-Technik zunutze machten, bis
schließlich im Jahr 2000 im US-Bundesstaat
Oregon der erste Geocache versteckt wurde.
Conny hingegen hat dieses
Spiel
erst vor ein paar Tagen für sich entdeckt und
dementsprechend noch nicht
sehr viele Dosen gefunden.
Anders als Tilo benutzt sie
zum Empfang des GPS-Signals ein herkömmliches Navigationsgerät für das Auto.
„Damit geht’s zwar auch, ist
aber schon etwas schwieriger. Aber mal ehrlich – auf die
letzten paar Meter braucht
man eigentlich kaum noch
die Technik, wenn man
nur die Augen offen hält.“,
so die 19-jährige Schülerin.
... nur noch
wenige Meter...
Gefunden!
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Und schon hat sie das Versteck enttarnt. Ein präziser Griff und schon hält
sie die Cachebox – in diesem Fall eine
Filmdose – in den Händen. Nach dem
Eintrag in das Logbuch wird die Dose
wieder an der selben Stelle versteckt.
Dabei achtet Conny darauf, das Ganze möglichst diskret zu tun. Der Cache
soll ja noch eine Weile unbeobachtet
in seinem Versteck bleiben können.
Conny macht sich auf zur nächsten
versteckten Dose. Manchmal muss
man schon ein wenig kreativ sein,
um den Cache loggen zu können.
Bei diesem MysteryCache muss man zuerst
ein Rätsel lösen ehe man
die Koordinaten erfährt:
„Finde das rote und
das blaue Schaufelrad.
Ganz in der Nähe findest du die Nord- und
Ostkoordinaten...“
„... für den Final.
Viel Spaß!“
Für Conny war diese Dose heute die
letzte, aber nur für heute. Auf der
ganzen Welt gibt es zur Zeit über
1.000.000 Geocaches und alleine im
Umkreis in ihrer Stadt schon über
100 – doch mit dem Wachsen der
Community wird auch die Anzahl der
versteckten Schätze weiter wachsen.