Die vergessene Welt

SÜDLICH DER ALPEN
Die vergessene Welt
Noch ist das Piemont ein Geheimtipp. Ruhig, natürlich,
ländlich, sanft und schroff. Es ist eine Region für Genießer,
sowohl auf dem Rad als auch kulinarisch.
D
Besser kann eine Verpflegung nicht sein:
Frische Früchte aus der Erdbeerhauptstadt.
36 | RennRad | 8_2014
ie Erdbeeren sind geviertelt und gezuckert und liegen in einem kleinen
billigen Plastikschüsselchen, neben den kleinen billigen Plastiklöffelchen.
Die Schüsseln stehen unter einem weißen
Partyzelt, auf einem roten Biertisch. Ihr
Duft ist einer der schönsten, den ich je gerochen habe.
Wir haben wenig Zeit, zu wenig Zeit für all die
Erdbeeren. Niemand denkt daran, dass Erdbeerflecken kaum aus Radtrikots rauszubekommen sind, mein Rad lehnt achtlos an einem Baum. Man muss nicht einmal um die rote
Herrlichkeit kämpfen. Es sind nur wenige andere Radfahrer hier, in Sommariva Perno, der
„Erdbeerhauptstadt“ Italiens, oder vielleicht
der Welt.
Fünf Minuten nachdem wir angehalten haben,
kennen mich die Damen, die die leeren Plastikschüsseln wieder mit Erdbeeren befüllen.
Wenn es ums Essen geht, versteht man sich
auch ohne Worte. Und hier geht es oft ums
Essen – und ums Trinken. Wir sind im Piemont, der Heimat der Slow-Food-Bewegung,
des Barolo-Weins, der weißen Trüffel und der
berühmtesten Schoko-Haselnuss-Creme.
Foto (oben): Ente Turismo Alba Bra Langhe Roero
David Binnig
D. Binnig
| JEDERMANN |
In der Langhe hat man die Straßen für
sich. Auch Alba ist eine ruhige Schönheit:
oben rechts das Rathaus mit Polizeiauto.
Essen, Trinken, Fahren
Entsprechend fallen die Pausen heute aus.
60 Kilometer haben wir in den Beinen, es ist
der zweite Stopp. Ich wusste bis heute nicht,
dass Italiener auch gemütlich Radfahren können. „Roero Biking“ nennt sich die Tour, die wir
heute zusammen mit etwa 70 Radfahrern aus
der Region absolvieren.
Eine komfortablere Art Radzufahren gibt es
wohl nicht: Man fährt in einer Gruppe, in den
Pausen warten Bruschetta, Obst und Säfte
auf einen, am Ende jedes Anstieges wird auf
die Nachzügler gewartet. Und das Beste: Vor
der Gruppe fahren ein Motorrad und ein kleines weißes Auto und machen die Straße frei.
In der Regel haben die motorisierten Vorausfahrer außer Lenken und Gasgeben aber nicht
viel zu tun. Denn die kleinen Straßen im Piemont sind fast immer leer. Wir fahren durch
eine natürliche Landschaft, die Dörfer sind
winzig, sie thronen oben auf den Gipfeln der
Hügel, die größten Gebäude sind immer Kirchen, viele aus altem, sehr altem Backstein.
Manche der Hügel steigen sanft an, viele sind
„Die kleinen Straßen im Piemont sind
fast immer leer.“
8_2014 | RennRad | 37
Dörfer wie aus dem Mittelalter thronen auf den Hügelkuppen.
steil. Diese Tour ist wie eine Metapher für dieses Land. Es ist ruhig, und grün, und natürlich,
ländlich, traditionell, sanft und grob, Voralpenland.
Nach 90 Kilometern sind wir zurück im Ziel,
auf dem zentralen Platz von Sommariva del
Bosco. Ein Zelt, davor ein DJ mit seinen beiden
Turntables. Er spielt 80er Jahre Elektropop. Es
gibt Pasta und Wasser und Kuchen und Erbsensalat und Wein.
Der Abend zuvor: Es gibt Steak mit Haselnusskruste, und Risotto mit Käse und Haselnuss-Schoko-Kuchen und Wein. Im Piemont
wachsen die Nebbioloreben, aus deren Trauben der Barolo- und der Barbaresco-Wein
gekeltert werden. Die Piemonteser sind stolz
auf ihre Weine. Zurecht. Die Böden sind kaltund mineralienhaltig, sie machen den Wein so
besonders, kräftig, würzig, salzig. Der Wein
prägt die Region. Barolo ist eines der vielen
Hügelkuppendörfer, liebevoll restauriert. Die
Aussicht vom Dach des Weinmuseums: Hü-
gel und Hügel und Weinreben und Weinreben.
Um Barolo und Barbaresco, in den Winzereien und Restaurants, sieht man Touristen in
Mietwagen, man hört auf der Piazza ab und zu
deutsch oder englisch. Doch in anderen Gegenden, einige Kilometer entfernt, ist der Tourismus weit weg. Die Straßen sind klein, die
wenigen Autos, die man sieht auch, die Dörfer
sehen aus, wie sie wohl vor 50 Jahren schon
aussahen.
Die pure Natürlichkeit
Wir haben Glück, denn wir haben zwei Guides
des Radclubs von Alba dabei. Sie zeigen uns
Sträßchen, die kein Tourist je finden würde.
Der Radsporttourismus hat noch nicht eingesetzt. Er soll behutsam entwickelt werden.
Seit kurzem werden Radrunden zusammengestellt und ausgeschildert. Zum Beispiel
über die „Anstiege der Champions“, Berge,
die nach berühmten, kletterstarken Radprofis
benannt wurden. Wir fahren heute zwei da-
TESTRAD: DAS NEUE COLNAGO C60
Italienischer geht es kaum: Um die Straßen Piemonts erkunden zu
können, wurde uns ein neues Colnago C60 mit der elektronischen
Campagnolo Athena zur Verfügung gestellt. Der Eindruck: Das C60 ist
ein typisches Colnago. Ausgewogen, durchdacht, solide, sportlich, edel.
Der Tretlagerbereich ist sehr breit und damit auch steif. Die Sitzposition ist sportlich und dennoch angenehm und langstreckentauglich.
Das C 60 ist kein absolutes Leichtgewicht – der Rahmen in Größe 56
wiegt 1045 Gramm –, dennoch überzeugte es an den ruppigen Anstiegen der Langhe voll. Noch besser gefiel es uns in den Abfahrten: Es
liegt auch bei höchsten Geschwindigkeiten super auf der Straße. Der
Preis: 3799 Euro (Rahmenset).
Fazit: Das C 60 knüpft mit seiner Ausgewogenheit und seiner Wertigkeit
an die Colnago-Tradition an.
38 | RennRad | 8_2014
von: den Berg des Marco Pantani und den des
Fausto Coppi.
Hügel, nichts als Hügel
Der Weg, der hinaufführt, ist kaum mehr als
ein asphaltierter Feldweg. „Das ist mein Lieblingsberg“, sagt Alessandro, einer unserer
Guides. Sieben Kilometer ist der Pantani gewidmete Anstieg lang, zwischen Bosia und
Lequio Berria. Er wird immer steiler. Wir fahren
durch dichten Wald – ohne einem Menschen
zu begegnen. Natur pur.
Wir sammeln uns, und biegen nach der Abfahrt rechts ab. „Jetzt kommt etwas Besonderes“, sagt Davide, unser zweiter Guide. Wir
fahren einen Kiesweg hinauf. Oben: Ein Bauernhof, im Garten hängt die Wäsche. Ein Mann
kommt heraus, das Haar kinnlang, Jeansweste, Jethro Thull-T-Shirt. Er ist Käser. Oben in
dem alten Bauernhaus ist der Stall, die Schafe
kauen auf Stroh. Er setzt uns fünf verschiedene Käsesorten vor, Salami, selbstgeba-
ckenes Brot, Mandelkuchen, Kirschen aus
dem Garten neben uns. Das Weiterfahren fällt
schwer. Davide rollt voran.
Wie geht es weiter? „Die nächsten 20 Kilometer sind flach.“ Ich schaue Davide an, er will
mich nicht veräppeln, er meint es ernst. Nach
500 Metern kommt die erste Welle. Hochschalten, Wiegetritt, wie so oft. Ein Hügel folgt
dem nächsten. Die Anstiege sind kurz. Deshalb ist dieser Streckenabschnitt für die Einheimischen „flach“.
Ich erkläre Davide meine Definition von flach,
und frage, ob man so etwas in dieser Gegend
finden könne. Er überlegt, zwei, drei Sekun-Cellarengo Ferrere
den. „Nein“. Er überlegt weiter, schüttelt dabei
Pralormo
Carmagnola
Lago
di Spina
langsam den Kopf und spricht: Lago di
Ternavasso
„Nein, saldas ist absolut unmöglich.“
|||||
Cisterna
3JPEFJ
$PDDJOJ
sso
a
air
T. M
Natur & Wein: Bra, Barolo, La Morra
Carramagna
Piemonte
Roero
del Bosco
110 km, 2000 Hm
Castagnito
aro
Pióbesi
Guarene
A33
E74
d’Alba
San Giacomo
Pocapáglia
F. T
án
a
air
T. M
CavallerBra
- Cherasco maggiore
La Morra - Barolo
-o Monforte d‘Alba
o
- Dogliani - Bos- A6
solascoMarene
-Roddina
o- La Morra - Sant
Antonio - Bra
Monticello
d’Alba
Bra
d’Alba
San Martino
Verduno
Rivalta
Cervere
onte
Dem
F. S
tura
di
d’Alba
Tour
Pedaggera
Monchiero
Langhe
A6
Saint Albano
Stura
án
F. T aro
Piozzo
ésio
T. P
astelletto
Mondovi Cigliè
Stura
Cigliè
Morozzo
Rocca
de Baldi
.POEPWJ0WFTU
lle ro
T.
É
T. P
ési
o
Pianfei
Vicoforte
Gorzegno
Bonvicino
Langhe
Prunetto
San Benedetto
Murazzano
Belbo
Paroldo
Camerana
Roáscio
Lesegno
Sale
San Giovanni Sale
delle Langhe
Ceva
San Michele
Priero
MondoviMombasíglio
Torre
Uzzo
Gottasecca
Igliano
Castellino
Tánaro Torresina
Tánaro
Mondovi
Caste
MombarcaroMonesíglio
Marságlia
Briáglia
Mondovì
Beinette
Belbo
Belvedere
Niella
rgarita
Pezz
Lévice Valle U
Niella
Clavesana
Bastia Rocca
Feisóglio
Bossolasco
Magliano
Alpi
Bórmida
Bérgolo
Somano
Farigliano
Carrù
Torre
Langhe
Dogliani
Cort
Cerreto
Serravalle
Tánaro
Bene
Vagienna
Arguello
Roddino
Cissone
Léquio
Bósia
Bérria
della Torre
Monforte d’Alba
Salmour
Castino
Léquio
Sínio
Albaretta
Novello
Belbo
Benevello
Borgomale
Serralunga
Perno
Barolo
Rochett
Rodello
Albese
Falletto
Co
B
Montelupo
Castiglione
Narzole
Tinella
d’Alba
Sorano
la Morra
Camo
Mango
Trezzo
Grinzane
Cavour
Diano
Uccellaccio
Pozzo
Brandini
Castiglio
Tinella
Tréiso
Neviglie
Roddi
A33
Cherasco
Coazzolo
Néive
Pollenzo
Bergoglio
E717
Montanera
Barbaresco
Alba
Santa Vittória
Borgo
d’Asti
Alfieri
d’Alba
Perno
Costignio
Magliano
Corneliano
Sommariva
F. Tána
Priocca
Castellinaldo
Roero
eone
Genola
Alfieri
Govone
Montaldo
Sanfrè
d’Asti
San Martino
Roero
Monteu
Sommariva
ro
Ísola
d’Asti
Canale
Santo Stéfano
Alba
cconigi
San Damiano Antignano
d’Asti
Monta
Ceresole
Celle
Enomondo
!
Saliceto
C
Millé
Roccavignale
1SJFSP
C
l
"#" !#
"#!!$#!
!#"
#!!# "#!
%&"#!#&!
'
!%!