prolog Kaum ein Thema ist so sehr im Fokus des Menschen, es dauert fast ein Leben lang, sich mit dem Altwerden anzufreunden. Die uralte Menschheitssehnsucht nach ewiger Jugend wird von der Werbung bereitwillig genutzt. Sich dem Alter in unserer Gesellschaft entgegenzustellen und zu erwehren scheint opportun. Wenn augustus über die zeit sagt : « Was also ist die Zeit? Solange mich niemand danach fragt, ist mir's, als wüßte ich's; doch fragt man mich und soll ich es erklären, so weiß ich´s nicht », so wird sie doch beim Menschen, im Alter durch körperliche und geistige Entwicklung erkennbar. Fragen über das Alter sind auch Fragen nach dem Leben. Nur allmählich im Laufe eines Lebens, kann man darauf antworten. Altersbedingte Veränderungen sind Teil des Lebens. Altwerden heißt auch, wertvolle Erfahrungen zu sammeln und sie an Jüngere weiterzugeben. Das Alter hat uns viel zu berichten und hinterlässt einprägsame Spuren, die es wert sind gesehen zu werden. Aber brauchen wir deshalb ein neues Bild des Alters, der Alten? Die in diesem Buch präsentierten Arbeiten sind der Versuch, sich dem Alter zu nähern und vielleicht die ein oder andere Frage zum Alter aus der Sicht der Jugend zu ergründen. Ich wünsche viel Freude und einen anregenden Diskurs beim Betrachten der entstandenen Arbeiten, bedanke mich bei den Studenten für ihr großes Engagement und wünsche viel Erfolg mit der Ausstellung und mit der hier vorliegenden Publikation. Mein Dank gilt vor allem der Leitung der MDH-München, Dr. Isa Ogbomo und Arnim Zubke für ihre großzügige Unterstützung, Michael Franke für die technische Leitung und Professor Eduard Mittermaier für seine uneingeschränkte Unterstützung des Projektes. gerhard wittmann 4 5 PL prolog Seite 2 - 3 01 Vom Leben geprägt Seite 6 - 15 02 Generation Unentbehrlich Seite 16 - 23 03 Spuren des Lebens Seite 24 - 31 04 Pantha Rhei – Alles flieSSt Seite 32 - 37 EL epilog Seite 38 - 39 vom leben geprägt 6 7 01 01 vom leben geprägt Jugend im « alter » Rosina erlernte, ebenso wie viele ihrer Freundinnen einen kaufmännischen Beruf. Nachdem sie einige Jahre berufstätig war, heiratet sie im Alter von 19 Jahren. Ihr Glück wurde mit der Geburt ihrer ersten Tochter perfekt. Doch dann kam der Krieg. Ihr Mann fiel und sie trug während der kommenden Jahre die Verantwortung für ihre kleine Tochter allein. Mit 24 Jahren heiratete sie ein zweites Mal. Vom Schicksal verfolgt, fiel auch ihr zweiter Mann, bereits nach kurzer Zeit dem Krieg zum Opfer. Nächtelang musste sie in Luftschutzkellern ausharren, außerdem hatte sie kaum Essen, kein Geld und keine Wohnung. « Der Krieg hat mir alles genommen, meine ganze JugenD » Erst nach dem Krieg ging es für Rosina bergauf. Ihr dritter Ehemann gab ihr neuen Halt im Leben. Zwei weitere Kinder halfen der jungen Familie über die Schicksalsschläge des Krieges hinweg zu kommen und ihr Leben zu genießen. Am liebsten verbrachte Rosina ihre Freizeit, bis ins hohe Alter, auf ausgiebigen Wanderungen, sowie Reisen durch Europa. Anfang der Neunziger Jahre verstarb Rosinas geliebte Enkelin im Alter von 12 Jahren nach schwerer Krankheit. Ihr dritter Ehemann verstarb ebenfalls kurz darauf, er schaffte es nicht diesen schlimmen Schicksalsschlag zu überwinden. diagnose: parkinson Heute ist Rosina Ende Achtzig. Erschwerend zum natürlichen Alterungsprozess erkrankte sie vor einigen Jahren an Parkinson. Doch ihre große Familie ist für sie da: Ihre Kinder und Enkel kümmern sich liebevoll um die sympathische Münchnerin. Auch der Zusammenhalt mit ihren zwei älteren Schwestern im stolzen Alter von 100 und 103 Jahren geben ihr Kraft, ihren Lebensabend trotz so vieler Schicksalsschläge zu genießen. 01 vom leben geprägt mit liebe überlebt man den krieg Es begann als Sandkastenliebe nach dem ersten Weltkrieg. Otto und Lotte erlebten eine schwere Kindheit in Armut. Sie waren die Kinder zweier benachbarten Familien im Ortsteil München Zamdorf und verbrachten viel Zeit miteinander. Otto erlernte den Beruf Zimmermann, während Lotte eine Ausbildung zur Verkäuferin in einem Betrieb absolvierte. Doch kurz nach dem Ausbruch des 2. Weltkrieges wurde Otto 1941 von der Wehrmacht eingezogen, um an der russischen Front zu kämpfen. Lotte hingegen verbrachte die Kriegsjahre mit ihrer Familie in München. In unzähligen Nächten floh sie in Todesangst mit ihren Geschwistern in den Schutzkeller, während ihr Haus bombardiert wurde. Otto geriet in russische Gefangenschaft obwohl der Krieg 1945 beendet war, schuftete er noch weitere vier Jahre unter menschenunwürdigen Bedingungen in einem Arbeitslager. 1949 kehrte Otto endlich aus der Gefangenschaft nach München zurück und die Liebe zu Lotte entflammte neu. Die beiden heirateten und bezogen Ottos Elternhaus. Sie investierten viel Fleiß und Geld, um dieses Haus nach dem Krieg wieder bewohnbar zu machen. Um das zu bewerkstelligen mussten beide hart arbeiten. 1956 kam dort schließlich Tochter Margit zur Welt. angekommen Heute sind beide Mitte Achtzig und leben immer noch in dem kleinen Häuschen in Zamdorf. Häufig werden sie von ihrer Tochter und ihren Enkeln besucht. Durch die Strapazen des Krieges wissen sie bis heute ihre gegenseitige Liebe zu schätzen. Über kleinere Streitigkeiten können sie heute einfach hinweg lächeln. 01 vom leben geprägt teenager spätlese Jeden Freitag trifft sich der Stammtisch der « Teenager Spätlese ». Inmitten zahlreicher betagter Damen und Herren unterhält sich Elisabeth mit ihren Freundinnen über die neuesten Trends in Sachen Mode. Wer diese schicke, lebensfrohe ältere Dame sieht, kann kaum glauben, welche Geschichte sie zu erzählen hat. Elisabeths Leben begann im niederbayerischen Altötting. Am Fuße der Zugspitze in Garmisch-Partenkirchen machte sie eine Ausbildung zum « Biermadl ». Dieser Beruf bereitete ihr sehr viel Freude. Sie bediente, auch als sie bereits verheiratet und Mutter eines kleinen Jungen war, während der Saison, regelmäßig in einem Wirtshaus im Passionsspielort Oberammergau. Sogar als der Zweite Weltkrieg ausgebrochen war, arbeitete sie dort weiter und versuchte ihr junges Leben, so gut es ging, zu genießen. Erst, als sie und ihr Sohn schwer erkrankten und die Folgen des Krieges ungeahnte Ausmaße erreichten, holte Elisabeths besorgter Vater beide nach Altötting zurück. Nach dem Krieg fand Elisabeth in München eine neue Heimat. Dort kam ihr zweites Kind – ihre Tochter – zur Welt, bei der sie bis heute wohnt und die sie liebevoll unterstützt. In München konnte Elisabeth bis zu ihrer Rente ihrem geliebten Beruf nachgehen. Im Anschluss pflegte sie über einige Jahre ihre schwer erkrankte Mutter bis zu deren Tod. Heute ist Elisabeth Mitte Achtzig. Die lebensfrohe, schicke Dame kann trotz ihres hohen Alters und zahlreicher widriger Umstände in ihrem Leben ihren Lebensabend genießen. Ohne zu klagen schaut sie stets nach vorn und freut sich auf den nächste Treffen des Stammtisch der « Teenager Spätlese ». « weich ist stärker als hart. wasser ist stärker als fels. liebe ist stärker als gewalt. » Hermann Hesse ein projekt von Eliza Gatzka, Verena Haas-Wittmüß, Florine Kempter und Theresa Kohlert 14 15 generation unentbehrlich 16 17 02 02 generation unentbehrlich Mann mit hut am steuer. Ältere Menschen werden in der Gesellschaft als Belastung empfunden. Die Schlange an der Supermarktkasse wächst, weil der alte Herr beim Zahlen seine Pfennige zusammensucht. Nach einem 14 Stunden Arbeitstag stehen wir in der U Bahn, weil die alten Leute unsere Plätze besetzen. Wir stehen zwei Ampelphasen hinter einer Mercedes E-Klasse und hoffen, dass der Wackeldackel wieder den richtigen Gang findet. alte Leute ALS Behinderung im Alltag? Eine repräsentative Studie der Anti-Diskriminierungsstelle des Bundes in Berlin spiegelt die drastische Meinung der Gesellschaft wieder. Tatsächlich werden alte Menschen im Vergleich zum Rest der Gesellschaft schlechter behandelt, 21 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass die Senioren gesellschaftlich benachteiligt werden. Jeder Fünfte in Deutschland glaubt sogar, dass Alte bewusst herabgesetzt werden, kurz: diskriminiert. Ein Ergebnis, das an Brisanz kaum zu übertreffen ist, denn: Demnach sind die alten Menschen in Deutschland sogar insgesamt diejenige Bevölkerungsgruppe, die am meisten unter Diskriminierung zu leiden hat. 02 generation unentbehrlich alle augen aufs alter Ziel der Inszenierung ist es, den Konflikt zwischen Generation « Alt » und dem Rest der Gesellschaft provokant auf einem Quadratmeter darzustellen. Die erniedrigende Darstellung eines alten Mannes im Schaufenster führt im Idealfall zum Überdenken und Revidieren der verbreiteten Klischees zum Thema Alter. Die Inszenierung liefert neue Impulse und fördert das Verantwortungsbewusstsein gegenüber älteren Mitgliedern in unserer Gesellschaft. « Das grösste Übel der heutigen Jugend besteht darin, dass man nicht mehr dazu gehört. » Salvador Dalí ein projekt von Kristin Propfe, Sebastian Trettel, Cuno von Hahn und Sebastian Lachermeier 22 23 spuren des lebens 24 25 03 03 spuren des lebens Wir sind Teil einer Gesellschaft, in der wir uns als Individuenbewegen und Spuren hinterlassen – Zeit unseres Lebens prägen wir andere Menschen und werden von ihnen geprägt. Der Charakter ist das Produkt von Einflüssen verschiedenster Menschen und doch etwas, das uns einzigartig macht. Trotz dieser Einzigartigkeit durchleben wir während der verschiedenen Altersstufen ähnliche Probleme, trotz dieser Ähnlichkeiten unterscheidet sich jede Generation stark von der vorausgegangenen. Die Gleichzeitigkeit der verschiedenen Altersgruppen wirft viele Fragen auf: Was ist die Stellung der Alten, was die der jungen Menschen in der Gesellschaft? Funktioniert der Generationenvertrag noch? Verstehen alte Menschen die in das digitale Zeitalter hineingeborene, neue Generation so schlecht wie keine Generation vorher? Werden die Senioren von den Jugendlichen vor allem als wirtschaftliche Bürde gesehen, die bald nicht mehr gestemmt werden kann? Oder bildlich gesprochen: Wenn für die Menschen Linien stehen, wie sieht die Komposition aus deren Zusammenspiel aus? 03 spuren des lebens Das Zusammenspiel der verschiedenen Altersgruppen wird visuell dargestellt, ohne eine spezielle Auffassung oder Bewertung des Themas Alter in den Vordergrund zu rücken. Die Betrachter werden selbst zu Künstlern, die ihrem Alter und ihrer Expressivität entsprechend an dem Schaffensprozess teilhaben. Jeder Teilnehmer verfügt über ein Bündel an Linien und kann diese auf einer digitalen Leinwand bewegen. Es entstehen abstrakte Gemälde, die die Koexistenz der Generationen veranschaulichen und den Betrachter dazu anregen eigene Interpretationen zu suchen. « geh Wege, die noch niemand ging, damit du Spuren hinterlässt, und nicht nur Staub. » Antoine de Saint-Exupéry ein projekt von Joachim Fröstl, Alexander Knoll, Markus Riegel, Jan Wollny und Amélie Zilliox. 30 31 pantha rhei alleS flieSSt 32 33 04 04 pantha rhei – alles flieSSt warum? Das Leben ist mit einem Fluss vergleichbar. Von seiner Geburt, der Quelle, bis zu seiner Auflösung im Meer durchfließt der Fluss tausende Orte und Landschaften, er wird von einem Bach zu einem Strom. Auch wir Menschen kommen in unserem Leben an viele Orte, wir durchleben unterschiedliche Zustände, Lebensstufen und Zeitalter. « Pantha Rhei » (Heraklit, griech. Philosoph) bedeutet « Alles fließt » und erscheint daher ideal für das folgende Projekt. kein stillleben Ein experimenteller Film soll dem Betrachter das Thema « Alter » auf metaphorische Weise übermitteln. Der Leitsatz «Pantha Rhei » wird durch Rauch visualisiert, da dieser in seiner Flüchtigkeit die Vergänglichkeit des Lebens darstellt. Übergangslos fließt der Rauch von einer Sequenz zur nächsten, was das stetige Älterwerden eines Menschen darstellt. Der Film vermittelt eine mystische Stimmung. Man weiß nicht, welchen Weg sich der Rauch bahnt, genau wie man selten vorhersehen kann, was das Leben für einen bereithält. Der Rauchstrang verwandelt sich von Zeit zu Zeit in realistisch anmutende Bilder, die essentielle Teile des Älterwerdens zeigen und somit den Lebensfluss widerspiegeln. « Alles, was uns begegnet, lässt Spuren zurück. Alles trägt unmerklich zu unserer Bildung bei . » Johann Wolfgang von Goethe ein projekt von rolfé eggers, anita crucic, Julia irberseder, laura hermann und denise stegmann 36 37 Ab wann ist man « alt » ? Wie fühlt man das « Altern » und wie fühlt es sich an ? Epilog von Horst Konietzy hope i die before i get old ... sangen « The Who » und sind nun selber alt. « my Generation » vergreist, aber niemand möchte dabei sein wenn es passiert. In Brasilien ist der Gutschein für den Schönheitschirurgen ein beliebtes Abigeschenk und die kleine Botoxinjektion für zwischendurch wird vielleicht bald so selbstverständlich wie das tägliche Deo bei der Morgentoilette. Das Projekt « Anna wird alt » beschäftigt sich mit dem Älterwerden. Es tut dies aus der Perspektive von Jugendlichen. Schüler zweier Münchner Schulen haben sich in einem mehrmonatigen Vorbereitungsprozess auf den Weg gemacht, ihre Bilder vom Alter an den Realitäten des Alters zu messen. Die Ergebnisse ihrer Recherchen bilden die Grundlage des Stückes. Durch die Zusammenarbeit mit dem diesjährigen MediaLab der « Media Design Hochschule » wird die Perspektive der Schüler um den Blick von Studierenden eines Fachgebietes erweitert, das sich klassischer Weise eher um die ewige Jugend kümmert als um den Verfall des Alterns. Ich freue mich, dass es zu dieser « Konfrontation » gekommen ist und bedanke mich für die anregenden Gespräche und das große Engagement von Seiten der Projektteams und der Hochschule für das Projekt. Horst Konietzny impressum Herausgegeben von der Mediadesign Hochschule für Design und Informatik – University of Applied Sciences Berg-am-Laim-Straße 47 81673 München www.mediadesign.de Projektleitung | Gerhard Wittmann, Professor Eduard Mittermaier Technische Leitung | Michael Franke Konzeption und Gestaltung durch Studenten MD-1006 | Fachbereich Mediendesign | Art-Direktion Joachim Fröstl, Sebastian Lachermeier | Projektmanagement Kristin Propfe Texte Radha Arnds | Einbandgestaltung Sebastian Lachermeier | Verwendete Schriften Gotham & Gotham Rounded von Hoefler & Frere-Jones | Druck & Herstellung Raum III ohg, Florian Stürmer und Kristian Krach, www.raumdrei.de | Technische Umsetzung Andreas Sommer, Markus Riegel Mitwirkende Vom Leben geprägt Eliza Gatzka, Verena Haas-Wittmüß, Florine Kempter, Theresa Kohlert Generation unentbehrlich Kristin Propfe, Sebastian Trettel, Cuno von Hahn, Sebastian Lachermeier Spuren des Lebens Joachim Fröstl, Alexander Knoll, Markus Riegel, Jan Wollny, Amélie Zilliox Pantha rhei Anita Curic, Rolf Eggers, Laura Hermann, Julia Irberseder, Kristin Kohls, Denise Stegmann Buchidee Rolf Clemenz, Michelle Krack, Andreas Sommer, Ekaterina Zenz Besonderer Dank an… Dr. Isa Ogbomo, Arnim Zubke © 2009 MD.H München Alle Rechte vorbehalten. 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