:: Wo Evidenz fehlt Kur ja, aber anders P eter McDonald, Vorsitzender des In Zukunft heißt es: weniger Urlaub auf Kassenkosten Verbandvorstands im Hauptverund mehr Gesundheitsstärkung. Erste Projekte starten band der österreichischen Sozidemnächst. alversicherungsträger und Direktor des Österreichischen Wirtschaftsbundes Livia Rohrmoser sowie ehemaliger geschäftsführender Obmann der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, brachte den Stein ins RolEuro in die Rehabilitation und rund 40 Millionen in den Bereich len. Das Sommerloch begünstigte wohl, dass die Frage „Sind „Erweiterte Heilbehandlung/Gesundheitsfestigung“.3 Bei der Kuren noch zeitgemäß?“ es sogar zu einer Titelgeschichte der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) ist das Verhältnis ähnlich Zeitschrift profil brachte. Der Artikel wie auch zahlreiche Wortetwa 2:1. Sie gab 2013 rund eine Million Euro für Reha und rund meldungen etwa in den sozialen Netzwerken oder den Kommen555.000 Euro für „Gesundheitsförderung und Prävention“ aus.4 tarbereichen der Websites der Zeitungen zeigen vor allem eines: Freilich sind bei diesen Ausgaben auch etwa Raucherentwöhnungen oder Aktionen wie „Bewegt gesund“ und „Richtig essen Kaum jemand weiß, was Kur eigentlich genau ist. Vor allem werden Kur und Rehabilitation ständig verwechselt. Patienten fahvon Anfang an“ miteingerechnet. Wie üblich im österreichischen ren nach Operationen „auf Kur“, um sich davon zu erholen, und Gesundheitswesen ist es schwierig, genaue Zahlen zu erhalten. begeben sich eigentlich zur Rehabilitation. In der Praxis ist die Reha intensiver als die Kur, es werden also Theoretisch einfach mehr Therapieeinheiten – je nach Gesundheitszustand des Patienten – angeboten bzw. vorgeschrieben. Die Kur dagegen Der Unterschied zwischen Kur und Rehabilitation ist theoretisch benutzt oft „natürliche Heilmittel“ wie etwa den Heilstollen in ganz einfach. Eine Rehabilitation ist eine Reihe von MaßnahGastein, die vielen Thermalwasservorkommen oder das Reizmen, um nach einer Krankheit oder einem Unfall die Arbeitsklima in Reichenau an der Rax. Rehabilitationseinrichtungen fähigkeit bzw. die größtmögliche Selbstständigkeit wiederhersind nicht immer in Gegenden mit natürlichen Heilmitteln anzustellen. Und die Rehabilitation ist eine Pflichtleistung der gesiedelt, da dergleichen Anwendungen auch nicht immer (Pensions- oder Kranken-)Kassen. Die Kur hingegen dient der sinnvoll sind. Beispielsweise ist für den „Weißen Hof“ der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA), wo hauptsächlich Vorsorge, der Gesunderhaltung. § 155 ASVG Abs. 1 lautet: „Die (durchschnittlich vergleichsweise junge) Unfallopfer behandelt Krankenversicherungsträger können unter Berücksichtigung werden, die Nähe zum Ballungszentrum Wien wichtiger als die des Fortschrittes der medizinischen Wissenschaft sowie unter gute Luft, während Anstalten mit dem Schwerpunkt auf LungenBedachtnahme auf ihre finanzielle Leistungsfähigkeit Maßnahmen zur Festigung der Gesundheit gewähren.“ Namentlich sind krankheiten möglichst nicht gerade in Großstädten oder Indus das Landaufenthalte, Aufenthalte in Kurorten sowie Unterbrintriegebieten liegen. gungen in Genesungs- und Erholungsheimen sowie Kuranstalten. Und das kleine Wörtchen „können“ sowie der Zusatz „unter Ambulant hat aufgeholt Bedachtnahme auf ihre finanzielle Leistungsfähigkeit“ bedeutet, dass sie nicht müssen. Eine Ausnahme ist die ambulante Rehabilitation. Michael Quittan, Vorstand des Instituts für Physikalische Medizin des Kaiser-Franz-Josef-Spitals – SMZ Süd, Wien, betont allerdings: Die Übergänge sind freilich fließend. Das zeigt nicht zuletzt ein „Die ambulante Rehabilitation hat in den letzten Jahren enorm Blick auf die Statistik1. Von den 389.019 im Jahr 2014 von den Sozialversicherungsträgern erledigten Anträgen auf Heilveraufgeholt. Die orthopädische Reha ist zum Beispiel von der Penfahren (Rehabilitations-, Kur-, Genesungs- und Erholungsaufsionsversicherungsanstalt sehr gut aufgestellt und umfassend. enthalte) wurden 299.577 genehmigt. Davon entfielen 84.190 Allerdings ist die Einrichtung von Zentren für ambulante Rehaauf den Titel „Rehabilitation“, 121.866 auf „Kuraufenthalte“, 7.198 auf „ErhoDer feine Unterschied lungs-, Genesungs- und Landaufenthalte“ und 57.687 auf „Rehabilitation als Kur Rehabilitation Gesundheitsvorsorge“.* Vorsorgemaßnahme Maßnahme nach Krankheit (oder Unfall) Allein die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) gab 2014 844,1 Millionen Euro für Rehabilitation und Gesundheitsvorsorge aus.2 Bei der Beamtenversicherung flossen rund 80 Millionen Fast immer natürliche Heilmittel Nicht unbedingt natürliche Heilmittel Weniger vorgeschriebene Verfahren Mehr vorgeschriebene Therapien Freiwillige Leistung der Pensionsoder Krankenversicherung Verpflichtende Leistung der Pensionsoder Krankenversicherung 8 Das österreichische Gesundheitswesen – ÖKZ 56. Jg. (2015), 10 | www.schaffler-verlag.com Wo Evidenz fehlt bilitation vor allem in den Ballungsgebieten sinnvoll, da sonst die für die Wirtschaftlichkeit nötige Auslastung nicht gegeben ist.“ Der Vorteil der ambulanten Rehabilitation: Der Patient bleibt in seiner gewohnten Umgebung und kann so seinen Alltag leichter umstellen. :: Ein Problem ist aber weiterhin die Frage der Nachhaltigkeit. Schließlich bleibt oft genug von den Lehren des dreiwöchigen Aufenthalts in der Ferne nicht viel hängen, mögen die Patienten noch so engagiert das Nordic Walking erlernt und dem Vortrag der Diätologin gelauscht haben, wenn sich zu Hause der alte Trott einschleicht. Gesundheitsvorsorge ist Kassenpflicht privat privat Foisner betont: „Wenn man die Nachbetreuung der Patientinnen und Patienten nach Wolfgang Foisner, Kurzentrum Speziell die Pensionskassen sind allerdings Kur oder Rehabilitation intensivieren würBad Hofgastein: „Eine klassische doppelblinde Studie kann es in diesem de, das wäre eine gewaltige Verbesserung vom Gesetzgeber auch aufgefordert, MaßBereich nicht geben.“ nahmen der Gesundheitsvorsorge zu ergreider Nachhaltigkeit.“ Eingebunden werden fen (§ 221 ASVG). Stellt sich die Frage, ob könnten dabei ja nicht zuletzt schon bestehende Angebote wie die Schulungen für Diabetiker, AsthmatiKuren eine sinnvolle Maßnahme zur Gesundheitsvorsorge sind. ker und COPD-Patienten bei niedergelassenen Ärzten. Quittan ergänzt: „Hier spielt die ambulante Rehabilitation der Phase Wenig überraschend ist Wolfgang Foisner vom Verband Österreichischer Kurärztinnen und Kurärzte von Kuren überzeugt: 3 eine wichtige Rolle, die noch ausgebaut werden sollte.“ Im „Eine besondere Wirksamkeit der Kuren ist gegeben, wenn auch Sinne der Nachhaltigkeit startet im Oktober in der Steiermark auf die schädigenden Faktoren eingegangen wird im Sinne der ein gemeinsames Pilotprojekt der Sozialversicherung und dreier Sportdachverbände. Es sieht standardisierte BewegungsproPrävention. Diese Schulung von Präventivmaßnahmen ist seit gramme vor, die nach Beendigung einer Kur gesundheitliche Efeinigen Jahren fixer Bestandteil der bestehenden Kuren.“ Aber fekte etwas langfristiger sichern auch der Rehabilitationsspezialist ist mit dem Kurarzt einer Meinung. Quittan: „Kuren haben ihren Platz im Gesundheitswesen sollen. Ziel ist, 150 Minuten aerobe Aktivität mit mittlerer Intensiund in der Betreuung der Patienten.“ tät pro Woche zu erreichen und zusätzlich muskelkräftigende Evidenz dafür ist allerdings Mangelware. Quittan: „Bricht man Übungen durchzuführen. Diese die Untersuchung auf die physikalischen Maßnahmen herunter, Maßnahme soll allen, die einen so kann der Effekt nachgewiesen werden.“ Wolfgang Marktl, Kuraufenthalt absolviert haben, Präsident der GAMED – Wiener Internationale Akademie für für die ersten zwölf Wochen nach Ganzheitsmedizin und ehemaliger Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts zur Erforschung physiologischer Rhythmen, Beendigung der Kur unentgeltlich zur Verfügung stehen. Späerbrachte in zahlreichen Publikationen Hinweise auf die Wirkter zahlen die Teilnehmer dann samkeit verschiedener einzelner fünf Euro pro Einheit. Nach der Kuranwendungen. Foisner dazu: Evaluierung soll das Projekt bis „Allerdings ist die Kombination 2022 auf das gesamte Bundesgebiet ausgeweitet werden. der verschriebenen TherapieanGudrun Seiwald, PVA: „Schwarze Schafe gebote naturgemäß individuell, sind die Ausnahmen.“ je nach Bedürfnis des Patienten. Also das Aus für die Faulenzer, Eine klassische doppelblinde die sich auf Kosten der Allgemeinheit drei Wochen Urlaub in einem Kurort gönnen? Seiwald: Studie kann es in diesem Bereich „Ich glaube, der profil-Artikel übertreibt da stark. Natürlich gibt einfach nicht geben.“ es schwarze Schafe, und die wird es immer geben, auch bei der Kur neu Rehabilitation. Aber sie sind die Ausnahmen.“ :: privat Gudrun Seiwald, Chefärztin der PVA, die sich seit 15 Jahren beMichael Quittan, KFJ: „Kuren haben ihren ruflich intensiv mit Rehabilitation Platz im Gesundheitswesen.“ beschäftigt, schildert die Rehabilitation wie auch die Kur im Wandel. „Derzeit läuft ein Pilotprojekt unter dem Titel Gesundheitsvorsorge aktiv, für das wir ganz neue Leistungsprofile** erstellt haben. Es liegt zwischen der klassischen Kur und der klassischen Rehabilitation.“ Durch ein modulares System soll besonders gut auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten eingegangen werden können. Die Zahl der „Pflichtstunden“ wurde dabei um fast die Hälfte gegenüber der „alten“ Kur erhöht. 56. Jg. (2015), 10 | www.schaffler-verlag.com Literatur: 1 Handbuch der österreichischen Sozialversicherung, 2015, S.112. 2 Pensionsversicherungsanstalt, Jahresbericht 2014, S.75 3 Versicherungsanstalt öffentlicher Bediensteter, Jahresbericht 2013, S. 32f. 4 Jahresbericht der Wiener Gebietskrankenkasse 2013, S. 39. * Für aufmerksame Rechner: Die Summe der einzeln aufgezählten Heilverfahren beträgt 270.941. Hier wurden nur die stationären Aufenthalte berechnet. Die Differenz von rund 30.000 zu den fast 300.000 bewilligten Anträgen sind ambulante Angebote. **In diesen Leistungsprofilen wird für die Kuranstalten festgelegt, wie viele Leistungen – also Anwendungen, Therapieeinheiten, Beratungen usw. – die Kuranstalten anzubieten und die Klienten zu absolvieren haben. Livia Rohrmoser [email protected] Das österreichische Gesundheitswesen – ÖKZ 9
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