Lieferung 9 Methode Ignatius von Loyola (1491–1556) 1. 5 Mystik Hugo Rahner: Man wird Ignatius nur verstehen, wenn man ” ihn dort schaut, wo er seinen Gott und Herrn anrührt‘. Man ’ wird ihn nur verstehen, wenn man ihn als Mystiker erkennt. Wenn man es gleichsam wieder miterlebt und mitgestaltet, wie sein ganzes, reich entfaltetes Lebenswerk aus einer schlichten Einheit emporquillt: aus seiner Einsamkeit mit Gott dem Dreifaltigen.“ 1 Manresa 1522: 10 15 20 25 30 Einmal führte ihn [er spricht von sich in der dritten Person] ” seine Andacht zu einer Kirche, die etwas mehr als eine Meile von Manresa entfernt war und - wie ich glaube - den Namen des Heiligen Paulus trug. Der Weg dorthin führte den Fluß entlang. In Andacht versunken, ging er so dahin und setzte sich eine Weile nieder mit dem Blick auf den Fluß, der tief unten dahinfloß. Wie er nun so dasaß, begannen die Augen seiner Vernunft sich ihm zu öffnen. Nicht als ob er irgendeine Erscheinung gesehen hätte, sondern es wurde ihm das Verständnis und die Erkenntnis vieler Dinge über das menschliche Wissen geschenkt. Dies war von einer so großen Erleuchtung begleitet, daß ihm alles in neuem Licht erschien. Und das, was er damals erkannte, läßt sich nicht in Einzelheiten darstellen, obgleich es deren sehr viele waren. Nur daß er eine sehr große Klarheit in seiner Vernunft empfing. Wenn er im ganzen Verlauf seines Lebens nach mehr als zweiundsechzig Jahren alles zusammennimmt, was er von Gott an Hilfen erhalten und was er jemals gewußt hat, und wenn er all dies in eines faßt, so hält er dies alles doch nicht für so viel, wie er bei jenem einmaligen Erlebnis empfangen hat. Dieses Ereignis war so nachdrücklich, daß sein Geist wie ganz erleuchtet blieb. Und 1 Hugo Rahner, Die Vision des heiligen Ignatius in der Kapelle von LaS” torta Ein Beitrag zur Geschickte und Psychologie der ignatianisdien Mystik“, in: (Revue d’ascétique et de mystique, 33 (1957), 34–61, hier: 17. 2 Ignatius von Loyola es war ihm, als sei er ein anderer Mensch geworden und habe eine andere Vernunft erhalten, als er früher besaß.“ 2 Häufig Visionen der Trinität als drei Töne • Ignatius von Loyola, Bericht des Pilgers, übers. u. komm. von Peter Knauer, SJ (Würzburg 2015), Nr. 28: Und als er auf den Stufen desselben Klosters [ei” nes Dominikanerklosters] die Tagzeiten unserer Herrin betete, begann sich ihm der Verstand zu erheb, als sähe er die heiligste Dreifaltigkeit in Gestalt von drei Tasten, und dies mit so vielen Tränen und so vielem Schluchzen, dass er nicht dagegen ankam.“ Eine eucharistische Vision: Als er so an einem Tag in diesem Dorf in der Kirche des ge” nannten Klosters war und die Messer hörte und dabei der Leib des Herrn erhoben wurde, sah er mit den inneren Augen so etwas wie weiße Strahlen, die von oben kamen. Und obwohl er dies nach so langer Zeit nicht gut erklären kann, was doch das, was er mit dem Verstand deutlich sah, dass er sa, wie in jenem heiligsten Sakrament Jesus Christus unser Herr war.“ 3 Eine vom Teufel stammende Vision: Als er in jenem Spital war, geschah es ihm häufig am hellen ” Tag, ein Din in der Luft neben sich zu sehen, welches ihm viel Tröstung gab, weil es in hohem Maß sehr schön war. Er konnte nicht gut die Art ausmachen, was es für ein Ding war, doch irgendwie schien ihm dass es die Gestalt einer Schlange hatte; und es htte viele Dinge, die wie Augen widerstrahlten, obwohl es keine waren. Er vergnüge sich sehr und hatte Trost, dieses Ding zu sehen. Und je häufiger er es sah, um so mehr wuchs die Tröstung; und wenn ihm jenes Ding entschwand, mißfiel ihm dies.“ 4 [. . . ] Er ging, sich vor einem Kreuz, das dort in der Nähe war, nie” derzuknien, um Gott Dank zu sagen. Und dort erschien ihm jene Vision, die ihm viele Male erschienen war, und er hatte sie niemals erkannt: nämlich jenes Ding, das oben genannt wurde, das ihm sehr schön schien, mit vielen Augen. Doch sah 2 Bericht des Pilgers“, nr. 30. Ebd., Nr. 29. 4 Ebd., Nr. 19. 3” Ignatius von Loyola 3 er gut, als er vor dem Kreuz war, dass jenes so schöne Ding nicht Farbe wie gewöhnlich hatte. Und er hatte eine sehr deutliche Erkenntnis, mit großer Zustimmung des Willens, dass dies der Teufel war. Und so pflegte es ihm danach viele Male über lange Zeit zu erscheinen, und er verscheuchte es in der Weise der Geringschätzung mit einme Stock, den er in der Hand zu tragen pflegte.“ 5 2. Leben • Am 20. Mai 1521 bei der Verteidigung Pamplonas gegen französische Truppen (italienische Kriege) durch eine Kanonenkugel am Bein schwer verletzt. • Bekehrung • im Kloster Montserrat legte er seine Lebensbeichte ab, die der Überlieferung nach drei Tage dauerte. • 1522 verließ er, der als Ritter und Edelmann gekommen war, das Kloster als Bettler und Pilger. Seine Waffen ließ er am Altar der Klosterkirche zurück. • Es folgte etwa ein Jahr als Büßer in Manresa. • Am Ende seiner Zeit in Manresa wurde Ignatius zum Pilger, der es nach Jerusalem und über viele weitere Stationen bis nach Rom brachte. • Ab 1524 holte er mit 35 Jahren in Barcelona an einer Lateinschule so viel Schulbildung nach, dass er 1526 zu einem Studium zugelassen wurde. In diesem Jahr begann er an der Universität Alcalá de Henares Philosophie und Theologie zu studieren. • Durch seine Ansichten fiel er schon nach kurzer Zeit der Inquisition auf. Nach ernstem Verhör wurde er dort acht Wochen eingesperrt. • 1527 wechselte er an die Universität Salamanca, doch auch dort wurde er von der Inquisition verhört und schließlich vom Theologiestudium ausgeschlossen. • Im Juni 1528 flüchtete er deshalb nach Frankreich. An der Sorbonne studierte er mit finanzieller Unterstützung durch spanische Kaufleute in Frankreich und Flandern weiter und beendete am 15. März 1534 sein Studium mit dem Titel eines Magister artium. 5 Ebd., Nr. 31. 4 Ignatius von Loyola • Ein anschließend erneut aufgenommenes Theologiestudium beendete er nicht. • Noch während des Studiums in Paris schloss er Freundschaft mit sechs Kommilitonen. Am 15. August 1534, Mariä Himmelfahrt, gelobten die sieben Männer in der Kapelle St. Denis am Montmartre Armut, Keuschheit und Mission in Palästina. • Am 24. Juni 1537 wurde er in Venedig zum Priester geweiht. Wegen der unsicheren politischen Lage war eine Missionsreise ins Heilige Land unmöglich. Deshalb ersetzten sie die gelobte Missionierung des Heiligen Landes durch die Bereitschaft, in den Dienst des Papstes zu treten und insbesondere in den Gebieten zu missionieren, die die katholische Kirche durch die Reformation verloren hatte. • Kurz darauf reisten Ignatius und seine Freunde nach Rom und trugen dem Papst ihre Absicht vor. Papst Paul III. genehmigte drei Jahre später die Gesellschaft Jesu. • 1541 wurde Ignatius zum ersten Ordensgeneral ernannt. 3. Wirken • Gründer der Jesuiten und wichtiger Methodiker der Mystik bzw. des Betens überhaupt. contemplativus in actione“ ” – Wahlspruch der Jesuiten: Alles zur größeren Ehre ” Gottes“ (AMDG) Heute noch wirksam – durch den Orden (Wissenschaft, Bildung, Politik usw.) – durch die Spiritualität (insbes. die Übungen“) ” ∗ Leitmotiv: Gott in allen Dingen suchen und finden Ignatius von Loyola 5 ∗ Karl Rahner identifiziert sich voll mit der Spritualität des hl. Ignatius. · Er läßt Ignatius in folgender fingierten Rede sagen: Ich habe Gott erfahren, ” den namenlosen und unergründlichen, schweigenden und doch nahen, in der Dreifaltigkeit seiner Zuwendung zu mir. Ich habe Gott erfahren auch und vor allem jenseits aller bildhaften Imagination. Ihn, der, wenn er so von sich aus in Gnade nahekommt, gar nicht mit etwas anderem verwechselt werden kann. Ich bin Gott, dem wahren und lebendigen, dem, der diesen alle Namen auslöschenden Namen verdient, wirklich begegnet ... Gott selbst.“ Militärisch – Ignatius war ein überzeugter Soldat – Gehorsam – Ein Gebet aus den Exerzitien: Nimm hin, Herr, und empfange meine ganze ” Freiheit, mein Gedächtnis, meinen Verstand und meinen ganzen Willen, meine ganze Habe und meinen Besitz; Du hast es mir gegeben, Dir, Herr, gebe ich es zurück; alles ist Dein, verfüge nach Deinem ganzen Willen; gib mir Deine Liebe und Gnade, das ist mir genug.“ 6 – Indifferenz“ ” • nicht Mystagogie, aber eine gute Vorbereitung auf die Mystik 6 Exerzitien, nr. 234. 6 4. Ignatius von Loyola Die Exerzitien (geistliche Übungen) • Text des Exerzitenbuchs: http://orden.erzbistum-koeln.de/export/sites/orden/benediktinerinnen -koeln/.content/.galleries/downloads/ Ignatius_Von_Loyola_-_Exerzitien.pdf • zwischen 1522 und 1524 verfasst • der Zweck: eine Berufswahl [1] Unter diesem Namen geistliche Übungen‘ ist jede ” ’ Weise, das Gewissen zu erforschen, sich zu besinnen, zu betrachten, mündlich und geistig zu beten, und anderer geistlicher Betätigungen zu verstehen, wie weiter unten gesagt wird. Denn wie das Umhergehen, Wandern und Laufen leibliche Übungen sind, genauso nennt man geistliche Übungen‘ jede Weise, die Seele dar’ auf vorzubereiten und einzustellen, alle ungeordneten Anhänglichkeiten von sich zu entfernen und, nachdem sie entfernt sind, den göttlichen Willen in der Einstellung des eigenen Lebens zum Heil der Seele zu suchen und zu finden.“ – man versucht, sich objektiv zu machen, sich von Hindernissen zu befreien. – ungeordnete Anhänglichkeiten“ ” • Der Wille Gottes gibt die Orientierung. (a) 5 Der Wille ist wichtiger als der Verstand [3] Da wir in allen folgenden geistlichen Übungen die Akte ” des Verstandes im Nachdenken und die des Willens im Verlangen gebrauchen, müssen wir beachten, daß bei den Willensakten, wenn wir mündlich oder geistig mit Gott, unserem Herrn, oder mit seinen Heiligen sprechen, unsererseits größere Ehrfurcht erfordert ist, als wenn wir den Verstand im Verstehen gebrauchen.“ Ignatius von Loyola (b) 5 10 20 25 30 Emotionen sind sehr wichtig als Zeichen des inneren Vorgangs [6] Wenn der, der die Übungen gibt, spürt, daß dem, der sich ” übt, keinerlei geistliche Regungen in seiner Seele kommen, wie Tröstungen oder Trostlosigkeiten, und er auch nicht von verschiedenen Geistern bewegt wird, dann muß er ihn viel in bezug auf die Übungen fragen, ob er sie zu ihren festgesetzten Zeiten hält und auf welche Weise; ebenso über die Zusätze, [siehe unten, (i)] ob er sie mit Sorgfalt ausführt. Er soll über ein jedes von diesen Dingen im einzelnen Auskunft verlangen.“ (c) 15 7 Die Dauer der Meditationen [12] Der die Übungen gibt, soll den, der sie empfängt, sehr ” auf dies aufmerksam machen: Wie er in jeder der fünf Übungen oder Betrachtungen, die täglich gehalten werden sollen, eine Stunde lang verweilen soll, so bemühe er sich immer darum, daß sein Sinn damit befriedigt bleibe, zu denken, daß er eine volle Stunde in der Übung verweilt hat, und eher mehr als weniger. Denn der Feind pflegt sich nicht wenig darum zu bemühen, eine Abkürzung der Stunde dieser Betrachtung, Besinnung oder des Gebets zu bewirken. [13] Ebenso ist zu beachten: Wie es in der Zeit der Tröstung leicht und einfach ist, die volle Stunde in der Betrachtung zu verweilen, so ist es in der Zeit der Trostlosigkeit sehr schwierig, sie zu erfüllen. Deshalb muß derjenige, der sich übt, um gegen die Trostlosigkeit anzugehen und über die Versuchungen zu siegen, immer etwas mehr als die erfüllte Stunde verweilen, damit er sich nicht nur daran gewöhne, dem Gegner zu widerstehen, sondern ihn sogar niederzuwerfen.“ mehr‘ (magis) ’ (d) 35 40 Wohlwollende Deutung der anderen [22] Damit sowohl der, der die geistlichen Übungen gibt, wie ” der, der sie empfängt, mehr Hilfe und Nutzen haben, ist vorauszusetzen, daß jeder gute Christ bereitwilliger sein muß, die Aussage des Nächsten zu retten, als sie zu verurteilen; und wenn er sie nicht retten kann, erkundige er sich, wie jener sie versteht, und versteht jener sie schlecht, so verbessere er ihn mit Liebe; und wenn das nicht genügt, suche er alle angebrachten Mittel, damit jener, indem er sie gut versteht, sich rette.“ (e) PRINZIP UND FUNDAMENT: Indifferenz [23] Der Mensch ist geschaffen, um Gott, unseren Herrn, zu ” 8 5 10 15 Ignatius von Loyola loben, ihm Ehrfurcht zu erweisen und zu dienen und mittels dessen seine Seele zu retten; und die übrigen Dinge auf dem Angesicht der Erde sind für den Menschen geschaffen und damit sie ihm bei der Verfolgung des Ziels helfen, zu dem er geschaffen ist. Daraus folgt, daß der Mensch sie soweit gebrauchen soll, als sie ihm für sein Ziel helfen, und sich soweit von ihnen lösen soll, als sie ihn dafür hindern. Deshalb ist es nötig, daß wir uns gegenüber allen geschaffenen Dingen in allem, was der Freiheit unserer Entscheidungsmacht gestattet und ihr nicht verboten ist, indifferent machen. Wir sollen also nicht unsererseits mehr wollen: Gesundheit als Krankheit, Reichtum als Armut, Ehre als Ehrlosigkeit, langes Leben als kurzes; und genauso folglich in allem sonst, indem wir allein wünschen und wählen, was uns mehr zu dem Ziel hinführt, zu dem wir geschaffen sind.“ (f) Die Gewissenserforschung [43] WEISE, DIE ALLGEMEINE ERFORSCHUNG ZU ” HALTEN; UND SIE UMFASST FÜNF PUNKTE. 20 25 30 DER ERSTE PUNKT IST: Gott, unserem Herrn, für die empfangenen Wohltaten danken. DER ZWEITE: Gnade erbitten, um die Sünden zu erkennen und sie abzuweisen. DER DRITTE: Rechenschaft von der Seele fordern von der Stunde an, in der man aufgestanden ist, bis zur gegenwärtigen Erforschung, Stunde für Stunde oder Zeit für Zeit; und erstens über den Gedanken und danach über das Wort und danach über das Werk.... DER VIERTE: Gott, unseren Herrn, um Verzeihung für die Fehler bitten. DER FÜNFTE: Sich mit seiner Gnade Besserung vornehmen. Vaterunser.“ (g) 35 Näheres zur Gewissenserforschung [24] BESONDERE UND TÄGLICHE ERFORSCHUNG ” UMFASST DREI ZEITEN UND EIN ZWEIMALIGES SICHERFORSCHEN. DIE ERSTE ZEIT IST: Am Morgen gleich beim Aufstehen muß sich der Mensch vornehmen, sich mit Sorgfalt vor jener besonderen Sünde oder Unzulänglichkeit zu hüten, die man berichtigen und bessern will. Ignatius von Loyola 5 10 15 20 25 30 35 40 45 9 [25] DIE ZWEITE: Nach dem Mittagessen von Gott, unserem Herrn, erbitten, was einer will, nämlich Gnade, um sich zu erinnern, wie oft man in jene besondere Sünde oder Unzulänglichkeit gefallen ist, und um sich fortan zu bessern. Und weiterhin halte man die erste Erforschung, indem man von seiner Seele Rechenschaft über jene besondere Sache fordert, die man sich vorgenommen hat und in der man sich berichtigen und bessern will. Man gehe Stunde für Stunde oder Zeit für Zeit durch, indem man bei der Stunde beginnt, in der man aufgestanden ist, bis zur Stunde und dem Zeitpunkt der gegenwärtigen Erforschung. Und man mache auf der ersten Linie des g ========== so viele Punkte, als man in jene besondere Sünde oder Unzulänglichkeit verfallen ist; und danach nehme man sich von neuem vor, sich bis zur zweiten Erforschung, die man halten wird, zu bessern. [26] DIE DRITTE ZEIT: Nach dem Abendessen soll die zweite Erforschung gehalten werden, ebenso Stunde für Stunde, indem man von der ersten Erforschung beginnt bis zur gegenwärtigen zweiten. Und man mache auf der zweiten Linie des gleichen g ========== so viele Punkte, als man in jene besondere Sünde oder Unzulänglichkeit verfallen ist. [27] ES FOLGEN VIER ZUSÄTZE, UM RASCHER JENE BESONDERE SÜNDE ODER UNZULÄNGLICHKEIT ZU ENTFERNEN. DER ERSTE ZUSATZ IST: Jedesmal wenn einer in jene Sünde oder den besonderen Fehler fällt, lege er die Hand an die Brust, indem er bereut, gefallen zu sein. Dies kann selbst in Gegenwart vieler getan werden, ohne daß sie merken, was man tut. [28] DER ZWEITE: Da die erste Linie des g ======== die erste Erforschung bedeutet und die zweite Linie die zweite Erforschung, so schaue man am Abend, ob es eine Besserung von der ersten Linie zur zweiten, also von der ersten zur zweiten Erforschung gibt. [29] DER DRITTE: Den zweiten Tag mit dem ersten vergleichen, nämlich die zwei Erforschungen des gegenwärtigen Tages mit den beiden anderen Erforschungen des vergangenen Tages, und schauen, ob man sich vom einen zum anderen Tag gebessert hat. [30] DER VIERTE ZUSATZ: Eine Woche mit der anderen vergleichen und schauen, ob man sich in der gegenwärtigen Woche gegenüber der ersten vergangenen gebessert hat. ” (h) Die erste Meditation [45] DIE ERSTE ÜBUNG IST EINE BESINNUNG MIT ” DEN DREI FÄHIGKEITEN ÜBER DIE ERSTE, ZWEITE UND DRITTE SÜNDE. 10 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 Ignatius von Loyola Sie umfaßt nach einem Vorbereitungsgebet und zwei Hinführungen drei Hauptpunkte und ein Gespräch. [46] DAS VORBEREITUNGSGEBET IST: Gott, unseren Herrn, um Gnade bitten, damit alle meine Absichten, Handlungen und Betätigungen rein auf Dienst und Lobpreis seiner göttlichen Majestät hingeordnet seien. [47] DIE ERSTE HINFÜHRUNG IST: Zusammenstellung, indem man den Raum sieht. Hier ist zu bemerken: Bei der sichtbaren“ Betrachtung (= contemplatio) oder Besin” nung (= meditatio), etwa wenn man Christus, unseren Herrn, betrachtet, der sichtbar ist, wird die Zusammenstellung darin bestehen, mit der Sicht der Vorstellungskraft den körperlichen Raum zu sehen, wo sich die Sache befindet, die ich betrachten will. Ich sage körperlicher Raum“: etwa ein Tempel oder ” Berg, wo sich Jesus Christus oder unsere Herrin befindet, je nachdem, was ich betrachten will. Bei der unsichtbaren“, ” wie hier bei den Sünden, wird die Zusammenstellung darin bestehen, mit der Sicht der Vorstellungskraft zu sehen und zu erwägen, daß meine Seele in diesem verderblichen Leib eingekerkert ist und das ganze Zusammengesetzte in diesem Tal wie verbannt, unter wilden Tieren. Ich sage das ganze ” Zusammengesetzte“: aus Seele und Leib. [48] DIE ZWEITE IST: Gott, unseren Herrn, um das bitten, was ich will und wünsche . Die Bitte muß dem zugrunde liegenden Stoff entsprechen. Das heißt: Wenn die Betrachtung über die Auferstehung geht, um Freude mit dem freudigen Christus bitten; wenn über das Leiden, um Qual, Tränen und Pein mit dem gepeinigten Christus bitten. Hier wird dies sein: Um Beschämung und Verwirrung über mich selbst bitten, indem ich sehe, wie viele wegen einer einzigen Todsünde verdammt worden sind und wie oft ich es verdient habe, wegen meiner so vielen Sünden für immer verdammt zu werden. [49] BEMERKUNG: Vor allen Betrachtungen oder Besinnungen müssen immer das Vorbereitungsgebet ohne Änderung und die zwei bereits genannten Hinführungen gehalten werden, die manchmal, je nach dem zugrunde liegenden Stoff, geändert werden. [50] DER ERSTE PUNKT SOLL SEIN: Das Gedächtnis auf die erste Sünde anwenden, welche die der Engel war; und dann auf dieselbe den Verstand im Nachdenken; dann den Willen, indem ich mich an all dies erinnern und es verstehen will, um mich mehr zu beschämen und zu verwirren, indem ich zum Vergleich mit der einen Sünde der Engel meine so vielen Sünden heranziehe und, wo sie für die eine Sünde in die Hölle gingen, wie oft ich es für so viele verdient habe. Ich sage die Sünde der Engel ins Gedächtnis bringen“: wie sie, ” obwohl sie in der Gnade geschaffen waren, sich ihre Freiheit nicht zunutze machen wollten, um ihrem Schöpfer und Herrn Ehrfurcht und Gehorsam zu erweisen. Sie gerieten in Hochmut, wurden aus der Gnade in Bosheit umgewandelt und aus dem Himmel zur Hölle gestoßen. Und so weiterhin mehr im Ignatius von Loyola 5 11 einzelnen mit dem Verstand nachdenken; und weiterhin mehr das Verlangen mit dem Willen bewegen. [51] DER ZWEITE: Wiederum das gleiche tun, nämlich die drei Fähigkeiten auf die Sünde von Adam und Eva anwenden, indem man ins Gedächtnis bringt, wie sie für diese Sünde so lange Zeit Buße taten und welch großes Verderben in das Menschengeschlecht kam, indem so viele Leute zur Hölle gehen.... [. . . ] 10 15 20 25 [53] GESPRÄCH: Indem man sich Christus, unseren Herrn, vorstellt, vor einem und ans Kreuz geheftet, ein Gespräch halten: Wie er als Schöpfer gekommen ist, Mensch zu werden, und von ewigen Leben zu zeitlichem Tod, und so für meine Sünden zu sterben. Wiederum das gleiche, indem ich mich selbst anschaue: – das, was ich für Christus getan habe; – das, was ich für Christus tue; – das, was ich für Christus tun soll. Und indem ich so ihn derartig sehe und so am Kreuz hängend, über das nachdenken, was sich anbietet. [54] Das Gespräch wird gehalten, indem man eigentlich spricht, so wie ein Freund zu einem anderen spricht oder ein Diener zu seinem Herrn, indem man bald um irgendeine Gnade bittet, bald sich wegen einer schlechten Tat anklagt, bald seine Dinge mitteilt und in ihnen Rat will. Und ein Vaterunser beten. [. . . ] 30 35 [72] BEMERKUNG: Die erste Übung soll um Mitternacht gehalten werden; die zweite gleich nach dem Aufstehen am Morgen; die dritte vor oder nach der Messe, jedenfalls daß es vor dem Mittagessen ist; die vierte um die Stunde der Vesper; die fünfte eine Stunde vor dem Abendessen. Diese ungefähre Wiederholung von Stunden meine ich immer in allen vier Wochen, je nachdem Alter, Verfassung und Temperament demjenigen, der sich übt, helfen, die fünf oder weniger Übungen zu machen.“ (i) 40 Wie man die Übrungen besser machen könnte [73] ZUSÄTZE, UM DIE ÜBUNGEN BESSER ZU ” MACHEN UND BESSER ZU FINDEN, WAS MAN WÜNSCHT. DER ERSTE ZUSATZ IST: Nach dem Zubettgehen, wenn ich bereits einschlafen will, für die Dauer eines Ave Maria an 12 5 10 15 20 25 30 35 die Stunde denken, in der ich aufstehen muß und wozu; dabei die Übung, die ich zu halten habe, kurz zusammenfassen. [74] DER ZWEITE: Wann ich aufwache, ohne den einen oder anderen Gedanken Raum zu geben, gleich auf das achten, was ich in der ersten Übung um Mitternacht zu betrachten mich anschicke, indem ich mich in Verwirrung über meine so vielen Sünden bringe, indem ich Beispiele setze, wie wenn ein Ritter sich vor seinem König und dessen ganzem Hof befände, beschämt und verwirrt, weil er ihn sehr beleidigt hat, von dem er zuvor viele Gaben und viele Gunsterweise empfangen hat. Ebenso in der zweiten Übung, indem .... [75] DER DRITTE: Ein oder zwei Schritte vor dem Ort, wo ich zu betrachten oder mich zu besinnen habe, stelle ich mich für die Dauer eines Vaterunsers hin, indem ich den Verstand nach oben erhebe und erwäge, wie Gott, unser Herr, mich anschaut usw. Und einen Ehrerweis oder eine Verdemütigung machen. [76] DER VIERTE: In die Betrachtung eintreten, bald kniend, bald auf der Erde ausgestreckt, bald auf dem Rücken mit dem Gesicht nach oben, bald sitzend, bald stehend, indem ich stets auf der Suche nach dem bin, was ich will. Wir werden auf zwei Dinge achten: Das erste ist: Wenn ich kniend das finde, was ich will, werde ich nicht weitergehen; und wenn ausgestreckt, ebenso usw. Das zweite: Bei dem Punkt, bei dem ich finde, was ich will, dort werde ich ruhig verweilen, ohne ängstliche Sorge zu haben, weiterzugehen, bis ich befriedigt bin. [77] DER FÜNFTE: Nach Beendigung der Übung werde ich während der Dauer einer Viertelstunde, sei es sitzend oder umhergehend, schauen, wie es mir in der Betrachtung oder Besinnung gegangen ist; und wenn schlecht, werde ich die Ursache anschauen, von der es herkommt, und, nachdem ich sie so angeschaut habe, bereuen, um mich fortan zu bessern; und wenn gut, werde ich Gott, unserem Herrn, danken und es ein andermal auf die gleiche Weise machen.“ (j) 40 45 Ignatius von Loyola Der Einsatz der fünf Sinnen [121] DIE FÜNFTE [BETRACHTUNG DES ERSTEN TA” GES DER ZWEITEN WOCHE] SOLL SEIN: DIE FÜNF SINNE AUF DIE ERSTE UND ZWEITE BETRACHTUNG ANWENDEN. Nach dem Vorbereitungsgebet und den drei Hinführungen ist es nützlich, mit den fünf Sinnen der Vorstellungskraft auf die folgende Weise durch die erste und zweite Betrachtung gehen: [122] DER ERSTE PUNKT IST: Mit der Sicht der Vorstellungskraft die Personen sehen, indem man über ihre Umstände Ignatius von Loyola 5 10 15 im einzelnen sinnt und betrachtet und irgendeinen Nutzen aus der Sicht zieht. [123] DER ZWEITE: Mit dem Gehör hören, was sie sprechen oder sprechen können; und, indem man sich auf sich selbst zurückbesinnt, irgendeinen Nutzen daraus ziehen. [124] DER DRITTE: Mit dem Geruch und mit dem Geschmack riechen und schmecken: die unendliche Sanftheit und Süße der Gottheit, der Seele und ihrer Tugenden und von allem gemäß der jeweiligen Person, die man betrachtet. Sich dabei auf sich selbst zurückbesinnen und Nutzen daraus ziehen. [125] DER VIERTE: Mit dem Tastsinn berühren, etwa die Orte umfangen und küssen, auf die diese Personen treten und sich niederlassen. Dabei sich immer bemühen, Nutzen daraus zu ziehen.“ (k) 20 25 30 35 40 45 13 Meditation über zwei Banner [136–148] BESINNUNG ÜBER ZWEI BANNER ” das eine Christi, des höchsten Befehlshabers und Unser Herrn, das andere Luzifers, des Todfeindes unserer menschlichen Natur. Das Vorbereitungsgebet ist das gewohnte. Die erste Einstellung ist der Vorgang. Hier wird es sein, wie Christus ruft und alle unter Sein Banner zu sammeln wünscht, Luzifer im Gegenteil unter das seine. Die zweite: Zurichtung des Schauplatzes. Hier ein großes Heerlager in der Gegend von Jerusalem sehen, wo der oberste Befehlshaber der Guten, Christus Unser Herr, weilt; ein anderes Heerlage in der Gegend von Babylon, wo der Häuptling der Feinde, Luzifer, sich befindet. Die dritte: Bitten um was ich begehre. Hier bitten um die Erkenntnis der Betrügereien des bösen Häuptlings, um Hilfe, mich davor zu bewahren, um Erkenntnis des wahren Lebens, das der höchste und wahrhaftige Befehlshaber zeigt, und um die Gnade, Ihm nachzufolgen. [ERSTER TEIL] DER ERSTE PUNKT ist: Sich vorstellen, wie sich der Anführer aller Feinde in jenem großen Heerlager von Babylon hinsetzt auf einen groß mächtigen Thron aus Feuer und Rauch, in einer Gestalt von Schauer und Schrecken. DER ZWEITE: Erwägen, wie er unzählige Dämonen zusammenruft, und wie er sie ausstreut, die einen in diese, die andern in jene Stadt, und so über die ganze Welt hin, ohne irgendeinen Landstrich, einen Ort, eine Stadt oder irgendeinen einzelnen Menschen zu übergehen. DER DRITTE: Erwägen die Rede, die er an sie richtet, und wie er sie anspornt, Netze und Ketten auszuwerfen; und zwar sollen sie zuerst durch Begierde nach Reichtum in Versuchung führen, wie er bei den meisten zu tun pflegt, damit sie desto leichter zu eitler Ehre der Welt und von da zu aus- 14 5 10 15 20 25 30 35 40 45 Ignatius von Loyola gewachsenem Hochmut gelangen. Die erste Stufe soll also die Reichtümer sein, die zweite die Ehre, die dritte der Hochmut, und über diese drei Stufen führt er sie ein zu allen übrigen Lastern. [ZWEITER TEIL] Entsprechend als Gegensatz hat man sich vorzustellen den höchsten und wahren Befehlshaber, der da ist Christus Unser Herr. DER ERSTE PUNKT ist: Erwägen, wie Christus Unser Herr Sich im großen Heerlager in der Gegend von Jerusalem niederläßt, an einem unscheinbaren Ort, schön und anmutig. DER ZWEITE: Erwägen, wie der Herr der ganzen Welt so viele Pe rsonen, Apostel, Jünger usf. erwählt und sie in die ganze Welt sendet, damit sie Seine heilige Lehre durch alle Stände und alle Lebenslagen hindurch ausstreuen. DER DRITTE: Erwägen die Rede, die Christus Unser Herr an alle Seine Diener und Freunde richtet, welche Er zu solcher Fahrt aussendet, wie Er ihnen empfiehlt, sie möchten allen zu helfen suchen, indem sie zuerst zu höchster Armut im Geiste hin bewegen und, wenn Seine Göttliche Majestät daran Gefallen fände und sie erwählen wollte, nicht minder zu äußerer Armut; zweitens zum Verlangen nach Schmähungen und Verachtetwerden, denn aus diesen beiden Dingen ergibt sich die Demut. So daß drei Stufen entstehen: die erste Armut gegen Reichtum, die zweite Schmähungen und Verachtetwerden gegen die weltliche Ehre, die dritte Demut gegen Hochmut, und über diese drei Stufen müssen sie einführen in alle andern Tugenden. Ein Gespräch zu Unserer Herrin, daß sie mir von ihrem Sohn und Herrn die Gnade erlange, unter Sein Banner aufgenommen zu werden, zuerst in der größten Armut im Geist, und falls Seine Göttliche Majestät daran Gefallen fände und mich erwählen und annehmen wollte, nicht minder zu äußerer Armut; zweitens im Erleiden von Schimpf und Unrecht, um Ihm darin jeweils mehr nachzufolgen, wofern ich das erdulden kann ohne irgend jemandes Sünde noch ein Mißfallen Seiner Göttlichen Majestät. Und damit verbunden ein Ave Maria. Dasselbe nochmals vom Sohn erbitten, daß Er es mir vom Vater erlange, und damit verbunden ein Anima Christi beten. Dasselbe nochmals vom Vater erbitten, daß Er es mir gewähre, und ein Vater Unser beten. Diese Übung findet um Mitternacht statt und dann ein zweites Mal am frühen Morgen. Über das gleiche werden zwei Wiederholungen gehalten zur Zeit der Messe und zur Zeit der Vesper. Den Schluß bilden jeweils die drei Gespräche zu Unserer Herrin, zum Sohn und zum Vater. Und vor dem Abendessen wird die folgende Besinnung über die drei Menschengruppen gehalten.“ (l) Gebetsmethoden [238] DREI WEISEN ZU BETEN, ” Ignatius von Loyola 15 UND ZUERST ÜBER DIE GEBOTE. 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 DIE ERSTE ART ZU BETEN bezieht sich auf die Zehn Gebote und die sieben Todsünden, die drei Seelenfähigkeiten und die fünf leiblichen Sinne. Diese Art zu beten bedeutet mehr, eine Form, Weise und Übungen zu geben, wie die Seele sich in ihnen bereite und Nutzen ziehe und damit das Gebet genehm sei, als eine Form oder irgendeine Weise des Betens selbst zu geben. [239] ERSTENS soll die Entsprechung zum zweiten Zusatz der zweiten Woche geschehen, nämlich: Bevor man ins Gebet eintritt, lasse man den Geist ein wenig ruhig werden, indem man sich setzt oder umhergeht, wie es einem besser scheint. Dabei erwägen, wohin und wozu ich mich begebe. Und dieser selbe Zusatz soll am Anfang aller Gebetsweisen gemacht werden. [240] EIN VORBEREITUNGSGEBET: Etwa um Gnade von Gott, unserem Herrn, bitten, damit ich erkennen kann, worin ich in bezug auf die Zehn Gebote gefehlt habe. Und ebenso um Gnade und Hilfe bitten, um mich fortan zu bessern, indem ich deren vollkommenes Verständnis erbitte, um sie besser einzuhalten und zum größeren Ruhm und Lobpreis seiner göttlichen Majestät. [241] Für die erste Weise zu beten ist es angebracht, beim ERSTEN GEBOT zu erwägen und zu bedenken, wie ich es eingehalten und worin ich gefehlt habe, indem ich als Regel einhalte: für die Dauer, in der einer dreimal das Vaterunser und dreimal das Ave Maria betet. Und wenn ich in dieser Zeit Fehler von mir finde, für sie um Vergebung und Verzeihung bitten und ein Vaterunser beten. Und auf diese gleiche Weise soll man es bei einem jeden von allen Zehn Geboten machen. [242] ZU BEMERKEN IST: Wenn ein Mensch zum Bedenken eines Gebotes kommt, bei dem er findet, daß er keinerlei Angewohnheit zu sündigen hat, ist es nicht nötig, daß er sich soviel Zeit aufhält. Vielmehr je nachdem der Mensch in sich findet, daß er mehr oder weniger bei jenem Gebot strauchelt, muß er sich genauso mehr oder weniger bei dessen Erwägung und Untersuchung aufhalten. Und das gleiche werde bei den Todsünden eingehalten. [243] ZWEITE BEMERKUNG: Nachdem die bereits genannte Folge über alle Gebote beendet ist, klage ich mich in ihnen an und bitte um Gnade und Hilfe, um mich fortan zu bessern. Zu enden ist mit einem Gespräch zu Gott, unserem Herrn, je nach dem zugrunde liegenden Stoff. [244] ZWEITENS ÜBER TODSÜNDEN: In bezug auf die sieben Todsünden halte man nach dem Zusatz das Vorbereitungsgebet auf die bereits genannte Weise, indem man nur ändert, daß hier der Stoff über die Sünden ist, die zu meiden sind, während er vorher über die Gebote war, die einzuhalten sind. Und ebenso halte man die bereits genannte Ordnung und Regel ein und das Gespräch. 16 5 10 15 20 Ignatius von Loyola [245] Um besser die in den Todsünden begangenen Fehler zu erkennen, schaue man auf ihr Gegenteil. Und so nehme sich der Betreffende, um sie besser zu meiden, vor und bemühe sich mit heiligen Übungen darum, die ihnen entgegengesetzten sieben Tugenden zu erwerben und zu haben. [246] DRITTENS ÜBER DIE SEELENFÄHIGKEITEN: Bei den drei Seelenfähigkeiten halte man dieselbe Ordnung und Regel ein wie bei den Geboten; und man hält deren Zusatz, Vorbereitungsgebet und Gespräch. [247] VIERTENS ÜBER DIE FÜNF LEIBLICHEN SINNE: In bezug auf die fünf leiblichen Sinne soll man immer dieselbe Ordnung einhalten, während man ihren Stoff ändert. [248] BEMERKUNG: Wer im Gebrauch seiner Sinne Christus, unseren Herrn, nachahmen will, empfehle sich im Vorbereitungsgebet seiner göttlichen Majestät; und nach der Erwägung bei einem jeden Sinn bete er ein Ave Maria oder ein Vaterunser. Und wer im Gebrauch der Sinne unsere Herrin nachahmen will, empfehle sich im Vorbereitungsgebet ihr, damit sie ihm Gnade dazu von ihrem Sohn und Herrn erlange; und nach der Erwägung bei einem jeden Sinn bete er ein Ave Maria. [249] DIE ZWEITE WEISE ZU BETEN IST, DIE BEDEUTUNG JEDES WORTES DES GEBETS ZU BETRACHTEN. 25 30 35 40 45 50 [250] Der gleiche ZUSATZ, der bei der ersten Gebetsweise war, soll bei dieser zweiten sein. [251] Das VORBEREITUNGSGEBET soll entsprechend der Person gehalten werden, an die sich das Gebet richtet. [252] DIE ZWEITE WEISE ZU BETEN IST: Kniend oder sitzend, je nach der größeren Einstellung, in der er sich findet, und wie ihn mehr Andacht begleitet, dabei die Augen geschlossen oder auf eine Stelle fixiert haltend, ohne mit ihnen hin- und herzugehen, soll der Betreffende sagen: Vater‘. Und ’ er verweile bei der Erwägung dieses Wortes soviel Zeit, als er Bedeutungen, Vergleiche, Geschmack und Tröstung in zu diesem Wort gehörigen Erwägungen findet. Und in der gleichen Weise mache er es bei jedem Wort des Vaterunsers oder eines beliebigen anderen Gebets, das er in dieser Weise beten will. [253] DIE ERSTE REGEL IST: Er soll in der bereits genannten Weise eine Stunde beim ganzen Vaterunser verweilen. Ist es beendet, soll er ein Ave Maria, Credo, Anima Christi und Salve Regina mündlich oder geistig nach der gewohnten Weise beten. [254] DIE ZWEITE REGEL IST: Wenn der Betreffende, der das Vaterunser betrachtet, bei einem oder zwei Worten so guten Stoff zu denken und Geschmack und Trost findet, kümmere er sich nicht, weiterzugehen, auch wenn die Stunde bei dem, was er findet, zu Ende geht. Und wenn sie beendet ist, soll er den Rest des Vaterunsers in der gewohnten Weise beten. Ignatius von Loyola 5 10 15 17 [255] DIE DRITTE IST: Wenn man sich bei einem oder zwei Worten des Vaterunsers während einer ganzen Stunde aufgehalten hat, soll man an einem anderen Tag, wenn man zum Gebet zurückkehren will, das obengenannte Wort oder die beiden Worte beten, wie man es gewohnt ist. Und bei dem Wort, das unmittelbar folgt, beginne man zu betrachten, wie es in der zweiten Regel gesagt wurde. [256] ERSTE BEMERKUNG: Zu beachten ist: Ist das Vaterunser in einem oder in vielen Tagen beendet, soll man dasselbe mit dem Ave Maria machen und danach mit den anderen Gebeten. Man soll sich also durch einige Zeit immer in einem von ihnen üben. [257] DIE ZWEITE BEMERKUNG IST: Nach Beendigung des Gebets soll man, indem man sich mit wenigen Worten an die Person wendet, zu der man gebetet hat, um die Tugenden oder Gnaden bitten, von denen man verspürt, daß man sie am meisten notwendig hat. [258] DIE DRITTE WEISE ZU BETEN SOLL NACH RHYTHMUS SEIN. 20 25 30 35 40 45 Der ZUSATZ soll derselbe sein, der bei der ersten und zweiten Gebetsweise war. Das VORBEREITUNGSGEBET soll wie bei der zweiten Gebetsweise sein. DIE DRITTE WEISE ZU BETEN IST: Bei einem jeden Atemzug oder Luftholen soll man geistig beten, indem man ein Wort des Vaterunsers oder eines anderen Gebetstextes betet. Man soll also zwischen einem Atemzug und einem anderen nur ein Wort beten und, solange die Zeit von einem Atemzug zum anderen dauert, hauptsächlich auf die Bedeutung dieses Wortes schauen oder auf die Person, zu der man das Gebet spricht, oder auf die Niedrigkeit seiner selbst oder auf den Unterschied von so großer Hoheit zu so großer eigener Niedrigkeit. Und nach derselben Form und Regel soll man bei den anderen Worten des Vaterunsers vorangehen. Und die anderen Gebete, nämlich Ave Maria, Anima Christi, Credo und Salve Regina, soll man wie gewohnt beten. [259] DIE ERSTE REGEL IST: Am anderen Tag oder zu einer anderen Stunde, in der man beten will, bete man das Ave Maria nach Rhythmus und die anderen Gebete so wie gewohnt. Und genauso gehe man weiterhin mit den anderen voran. [260] DIE ZWEITE IST: Wer sich mehr im Gebet nach Rhythmus aufhalten will, kann alle obengenannten Gebete oder einen Teil von ihnen beten, indem er dieselbe Ordnung des Atemzugs nach Rhythmus durchführt, wie erläutert worden ist.“ 18 (m) 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 Ignatius von Loyola Verhaltensweisen beim Essen [210] REGELN, UM SICH KÜNFTIGHIN BEIM ESSEN ” ZU ORDNEN: DIE ERSTE REGEL IST: Sich vom Brot zu enthalten ist weniger angebracht, weil es keine Speise ist, über der der Appetit so sehr ungeordnet zu werden pflegt oder zu der die Versuchung so nachdrücklich ist wie zu den anderen Speisen. [211] DIE ZWEITE: In bezug auf das Trinken scheint die Enthaltsamkeit vorteilhafter als in bezug auf das Brotessen zu sein. Deshalb muß man sehr schauen, was Nutzen bewirkt, um es zuzulassen, und was Schaden bewirkt, um es abzuweisen. [212] DIE DRITTE: In bezug auf die Speisen muß man die größte und vollständigste Enthaltsamkeit einhalten, weil in dieser Hinsicht sowohl der Appetit zum Ungeordnetwerden als auch die Versuchung zum Verleiten rascher bereit sind. Und so kann man die Enthaltsamkeit bei den Speisen, um Unordnung zu meiden, auf zwei Weisen einhalten: – die eine: indem man sich daran gewöhnt, grobe Speisen zu essen; – die andere: wenn feine, dann in geringer Menge. [213] DIE VIERTE: Wenn er sich davor hütet, in eine Krankheit zu fallen, wird der Mensch, je mehr er vom Angebrachten wegnimmt, aus zwei Gründen desto rascher die Mitte erreichen, die er in seinem Essen und Trinken einhalten muß: Der erste: Weil er, indem er sich so hilft und einstellt, oft mehr die inneren Erkenntnisse, Tröstungen und geistlichen Eingebungen verspüren wird, auf daß sich ihm die Mitte zeigt, die für ihn angebracht ist. Der zweite: Wenn der Betreffende sich in dieser Enthaltsamkeit sieht, aber nicht mit so großer leiblicher Kraft und Verfassung für die geistlichen Übungen, wird er leicht dazu kommen, zu beurteilen, was mehr zu seinem leiblichen Unterhalt angebracht ist. [214] DIE FÜNFTE: Während der Betreffende ißt, erwäge er etwa, daß er Christus, unseren Herrn, mit seinen Aposteln essen sieht und wie er trinkt und wie er schaut und wie er spricht. Und er bemühe sich, ihn nachzuahmen. Der hauptsächliche Teil des Verstandes soll sich also mit der Erwägung unseres Herrn befassen und der kleinere mit dem leiblichen Unterhalt, damit man so mehr Gleichmaß und Ordnung gewinne, wie man sich verhalten und leiten soll. [215] DIE SECHSTE: Ein andermal kann er, während er ißt, eine andere Erwägung vornehmen, entweder aus dem Leben von Heiligen oder aus irgendeiner frommen Betrachtung oder von einer geistlichen Angelegenheit, die er auszuführen hat. Denn indem er auf diese Sache aufmerksam ist, wird er weniger Vergnügen und Verspüren an der leiblichen Speise gewinnen. [216] DIE SIEBENTE: Er hüte sich vor allem davor, daß nicht sein ganzer Sinn auf das gerichtet sei, was er ißt, und daß Ignatius von Loyola 5 10 19 er nicht beim Essen wegen des Appetits hastig vorgehe. Er sei vielmehr Herr über sich, sowohl in der Weise zu essen wie in der Menge, die er ißt. [217] DIE ACHTE: Um Unordnung zu entfernen, ist es sehr nützlich, nach dem Mittag- oder nach dem Abendessen oder in einer anderen Stunde, in der man keinen Appetit zum Essen verspürt, für das kommende Mittag- oder Abendessen und so weiterhin jeden Tag bei sich die Menge zu beschließen, die zu essen angebracht ist. Und über sie gehe man aus keinem Appetit und keiner Versuchung hinaus, sondern wenn man versucht wird, mehr zu essen, esse man eher weniger, um allen ungeordneten Appetit und alle Versuchung des Feindes mehr zu besiegen.“
© Copyright 2024 ExpyDoc