Delkrederehaftung einer Bank für die Erfüllung des

OLG Nürnberg, Urteil v. 10.07.2015 – 14 U 468/07
Titel:
Delkrederehaftung einer Bank für die Erfüllung des Ausführungsgeschäfts durch Dritte
Normenketten:
HGB §§ 383, 384, 392, 394
BGB §§ 122, 252, 275, 280, 283
§ 122 BGB
§ 384 Abs. 1 HGB
§ 252 Satz 1 BGB
HGB §§ 383, 384, 392, 394
Leitsätze:
1. Sehen die "Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte" vor, dass die Bank ihre Kundenaufträge
zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren im außerbörslichen Handel als Kommissionär ausführt
und für die ordnungsgemäße Erfüllung des Ausführungsgeschäfts durch ihren Vertragspartner
haftet, begründet dies eine Delkrederehaftung der Bank gegenüber dem Kunden gem. § 394 I HGB.
(amtlicher Leitsatz)
2. Die Inanspruchnahme des Kommissionärs durch seinen Kunden aus der Delkrederehaftung auf
Schadensersatz (hier: Ersatz des entgangenen Gewinns) setzt voraus, dass eine wirksame
Verbindlichkeit des Wertpapieremittenten gegenüber dem Kommissionär besteht (§ 394 II 1 HGB).
Hieran fehlt es, wenn der Emittent aufgrund einer wirksamen Mistraderegelung zur Stornierung des
Ausführungsgeschäfts über den An- oder Verkauf von Wertpapieren befugt war. (amtlicher Leitsatz)
3. Bei der Überprüfung, ob der vom Emittenten gestellte Wertpapierkurs marktfern im Sinne der
vereinbarten Mistraderegelung war, ist zur Ermittlung des marktgerechten Preises die vom
Emittenten bei der Preisstellung verwendete finanzmathematische Methode (hier: Black und
Scholes-Formel) zugrunde zu legen. Der Bankkunde kann nicht damit gehört werden, dass andere
Formeln zu gerechteren Ergebnissen führen würden. (amtlicher Leitsatz)
4. Der Kommittent kann einen Anspruch gegen den Kommissionär auf Ersatz des entgangenen
Gewinns nicht darauf stützen, dieser habe seine Pflichten aus dem Kommissionsvertrag zur
Wahrung der Interessen des Kommittenten vor bzw. bei Abschluss des Ausführungsgeschäfts
verletzt, indem er dem Emittenten ein einseitiges Recht zur Stornierung des Wertpapiergeschäfts
eingeräumt habe, das keine dem § 122 BGB entsprechende Schadensersatzregelung enthält. Denn
eine solche Pflichtverletzung könnte nur einen Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens
begründen (Anschluss an BGH, NZG 2002, 920 = NJW-RR 2002, 1344, Rdn. 22). (amtlicher Leitsatz)
5. Der Kommittent kann einen Anspruch gegen den Kommissionär auf Ersatz des entgangenen
Gewinns auch nicht darauf stützen, dieser habe seine Pflichten aus dem Kommissionsvertrag zur
Wahrung der Interessen des Kommittenten nach Abschluss des Ausführungsgeschäfts verletzt,
indem er die Berechtigung des Emittenten zur Stornierung des Wertpapiergeschäfts nicht überprüft
habe. Diese Prüfung betrifft nämlich die Durchsetzung der Ansprüche aus dem
Ausführungsgeschäft. Zur Durchsetzung solcher Ansprüche ist der Kommissionär aber nicht
verpflichtet. (amtlicher Leitsatz)
6. Eine solche Pflichtverletzung wäre auch nicht kausal für den durch entgangenen Gewinn
entstandenen Schaden des Kommittenten. Das Stornierungsrecht stellt ein einseitiges
Gestaltungsrecht des Wertpapieremittenten dar, für dessen Ausübung es auf ein Einverständnis des
Kommissionärs nicht ankommt. Ein Interesse des Kommittenten auf Überprüfung der
Voraussetzungen des Stornierungsrechts durch den Kommissionär ist somit nicht erkennbar.
(amtlicher Leitsatz)
7. Allerdings kann der Kommissionär etwaige Schäden des Kommittenten im Wege der
Drittschadensliquidation vom Emittenten ersetzt verlangen und ist dem Kommittenten gegenüber
zur Abtretung solcher Schadensersatzansprüche verpflichtet. (amtlicher Leitsatz)
Schlagworte:
Wertpapiergeschäft, Sonderbedingung, Bank, Kommissionär, Vertragspartner, Delkrederehaftung, Kunde,
Schadensersatz, Verbindlichkeit, Mistraderegelung, Emittent, Stornierung, Wertpapierkurs, Preisstellung,
Black und Scholes-Formel, Kommittent, Kommissionsvertrag, Ausführungsgeschäft, Pflichtverletzung,
Vertrauensschaden, Schadensersatzregelung, Stornierungsrecht, Drittschadensliquidation,
Gestaltungsrecht, Berufung, entgangener Gewinn, Wertpapierkaufvertrag, Vertragsaufhebung, Streithelfer,
Wertpapierabrechnung, Kaufoptionsschein, Handelssystem, Plausibilitätsprüfung, Kalkulationsirrtum,
Volatilität, Optionsscheinkaufgeschäft, Optionsscheinhandel, DAX-Wert, Handelbarkeit, Basiswert,
Verfallszeitpunkt, Wertpapierhändler, Kursentwicklung, Online-Handel, Risikomanagement, Kommission
Fundstellen:
WuB 2016, 94
LSK 2015, 390671
WM 2015, 2146
Entscheidungsgründe
Oberlandesgericht Nürnberg
Az.: 14 U 468/07
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
Verkündet am 10.07.2015
10 O 8762/05 LG Nürnberg-Fürth
H., JAng, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
K.
- Kläger und Berufungskläger Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt …
gegen
X S.A.,
vertreten durch den Vorstand …,
Niederlassung ...,
- Beklagte und Berufungsbeklagte Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte …
Streithelferin: Y Bank AG,
vertreten durch den Vorstand, …
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte …
wegen Forderung
erlässt das Oberlandesgericht Nürnberg - 14. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht Rebhan, den Richter am Oberlandesgericht Wiemer und den Richter am
Oberlandesgericht Dr. Wißmann aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11.05.2015 folgendes
Endurteil
I.
Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25.01.2007 wird
zurückgewiesen.
II.
Der Kläger hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens (einschließlich der außergerichtlichen Kosten der
Nebenintervenientin der Beklagten) zu tragen.
III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer I. genannte Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth ist
ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von
110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird (entsprechend demjenigen der ersten Instanz) auf 70.846,74
€ festgesetzt.
Gründe:
A.
1
Der Kläger beansprucht Schadensersatz wegen entgangenen Gewinns aufgrund der Aufhebung eines
Wertpapierkaufvertrages durch die Streithelferin der Beklagten wegen eines behaupteten Mistrades.
2
Am 14.08.2002 orderte der Kläger per Internet über die Homepage der Z., deren Rechtsnachfolgerin die
Beklagte ist (fortan Beklagte), in der Zeit zwischen 09:05:55 und 9:08:55 Uhr in 5 Tranchen insgesamt
189.500 (ausschließlich) von der Streithelferin emittierte - außerbörslich gehandelte - Kaufoptionsscheine
auf den Deutschen Aktienindex (KOS 02/14.08.02 DAX 3.600; WKN 681820) zu einem online angegebenen
Kurs von 0,025 €. Die Beklagte leitete diese Order per Computer automatisch an die Streithelferin weiter,
die ihrerseits der Beklagten meldete, dass sie das Geschäft angenommen habe. Die Beklagte übersandte
daraufhin dem Kläger per E-Mail eine Wertpapierabrechnung.
3
Um 9.22 Uhr reklamierte der Mitarbeiter der Streithelferin S. telefonisch gegenüber dem Mitarbeiter der
Beklagten T. einen Mistrade und stornierte das mit der Beklagten abgeschlossene Wertpapiergeschäft, da
der Streithelferin ein Fehler bei der Kurseingabe unterlaufen sei. Er berief sich hierbei auf § 5 des zwischen
der Streithelferin und der Beklagten abgeschlossenen Vertrags vom 23.11.2001 und teilte mit, dass die
Abweichung der Preise der Geschäfte des Klägers von dem Referenzpreis rund 70% betrage.
4
Gegen 9.31 Uhr rief der Kläger bei dem Mitarbeiter R. (Broker) der Beklagten an, um den Verkauf der
Optionsscheine telefonisch in Auftrag zu geben. Nach einer telefonischen Rückfrage bei der Streithelferin
teilte Herr R. dem Kläger mit, dass die auf dessen Order erfolgten Kaufverträge von der Streithelferin
storniert werden.
5
Mit Telefax vom 14.8.2002 an die Beklagte - dessen Eingang die Beklagte bestreitet - widersprach der
Kläger den fünf Stornierungen.
6
Der Kläger trägt vor, er habe bereits gegen 9.27 Uhr versucht, die erworbenen Optionsscheine online für
0,40 € zu verkaufen, was aber nicht möglich gewesen sei, da die Meldung erschienen sei, dass die
Optionsscheine nicht handelbar seien. Er habe daraufhin gegen 9.45 Uhr bei der Streithelferin angerufen.
Deren Mitarbeiter M. habe bestätigt, dass wegen eines sogenannten Mistrades eine im Einzelnen nicht
bekannte Anzahl von Wertpapiergeschäften storniert werde.
7
Der Kläger stellt in Abrede, dass ein die Aufhebung des Geschäfts rechtfertigender Grund nach § 5 Abs. 1
Satz 2 der zwischen der Beklagten und der Streithelferin vereinbarten Mistraderegelung vorgelegen habe.
Es werde weder ein Fehler im Handelssystem noch ein Irrtum bei der Eingabe eines Kurses in dieses
Handelssystem behauptet.
8
Er trägt vor, ihm sei durch die Aufhebung des Ausführungsgeschäfts ein Schaden entstanden, da er die zu
einem Kurs von 0,025 € erworbenen Optionsscheine nicht - wie beabsichtigt - um 9.27 Uhr zu einem Kurs
von 0,40 € habe weiterverkaufen können. Der entgangene Gewinn belaufe sich auf 70.846,74 € [(0,40 € ./.
0,025 € Kursgewinn) x 189.500 Stück ./. 215,46 € fiktiver Provision der Beklagten].
9
Der Kläger ist der Ansicht, da ein Mistrade nicht vorgelegen habe, sei zunächst die Streithelferin gegenüber
der Beklagten zum Schadensersatz verpflichtet gewesen. Die Beklagte hätte diesen Anspruch an den
Kläger abtreten müssen, da der Kläger als Kommittent gegen die Beklagte einen Anspruch auf Herausgabe
des Erlangten erworben habe. Die Beklagte habe jedoch die Abtretung an den Kläger unzulässigerweise an
weitere Bedingungen geknüpft. Im Übrigen hafte die Beklagte mangels Vorliegens eines Mistrades auf das
Erfüllungsinteresse. Soweit § 5 der Mistraderegelung eine Rückabwicklung ohne jede
Schadensersatzverpflichtung vorsehe, verstoße diese Regelung gegen das gesetzliche Leitbild (§ 307 Abs.
2 Nr. 1 i. V. m. § 122 BGB).
10
Die Beklagte bestreitet Grund und Höhe des Anspruchs.
11
Sie trägt vor, aufgrund eines Mistrades sei die Streithelferin zur Aufhebung des Wertpapierkaufvertrags
berechtigt gewesen. Ein technischer Fehler im Sinne der genannten Mistraderegelung habe zu einem
marktfernen Kurs der Optionsscheine geführt. Die Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass der Kläger um
09.27 Uhr die Optionsscheine online zu einem Kurs von 0,40 € verkaufen habe wollen. Zur Schadenshöhe
vertritt sie die Ansicht, sie hafte bei einer auf einem Mistrade beruhenden Vertragsaufhebung wegen der
Ähnlichkeit zum Recht der Anfechtung nicht für das Erfüllungsinteresse (§ 122 BGB).
12
Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger habe rechtsmissbräuchlich gehandelt, da die Aufteilung seiner
Order in fünf Tranchen im Sekundenabstand gerade dazu gedient habe, das bei einer Order ab 50.000
Stück bestehende Erfordernis einer manuellen Freigabe durch die Emittentin zu umgehen, bei der der nicht
marktgerechte Preis mit großer Wahrscheinlichkeit aufgefallen wäre.
13
Die Streithelferin trägt ergänzend vor, der für die Kursstellung der streitgegenständlichen Optionsscheine
am 14.08.2002 zutreffend ermittelte Wert für den Parameter „Volatilität“ sei manuell in das System „XOL“
vor Handelsbeginn eingegeben worden. Aufgrund eines Fehlers in diesem System am 14.08.2002 sei der
Wert für den Parameter „Volatilität“ vom System jedoch nicht aufgegriffen und somit in der nachfolgenden
Preisbildung auch nicht berücksichtigt worden.
14
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens sowie der dortigen Anträge wird im Übrigen auf
den Tatbestand des Endurteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25.01.2007 und die gewechselten
Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen. Das Landgericht hat Beweis erhoben durch uneidliche
Vernehmung der Zeugen T. und S. am 28.11.2006.
15
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da dem Kläger kein Schadensersatzanspruch wegen
entgangenen Gewinns zustehe. Es ging davon aus, dass die Beklagte keinerlei Pflichten aus dem
Kommissionsvertrag verletzt habe. Sie habe zwar als Kommissionärin die Interessen des Klägers zu
wahren. Die Streithelferin der Beklagten habe diese aber telefonisch darauf hingewiesen, dass ein Mistrade
vorliege. Dies sei im Hinblick auf die Kurse der beiden Vortage auch plausibel gewesen. Die Beklagte sei
weder verpflichtet gewesen, mehr als eine solche Plausibilitätsprüfung durchzuführen, noch habe sie die
Möglichkeit einer weitergehenden Prüfung gehabt. Das Risiko einer etwaigen Nichterfüllung der Ansprüche
aus dem Ausführungsgeschäft treffe nicht die Beklagte als Kommissionärin sondern den Kläger als
Kommittenten, zumal es sich um ein höchst spekulatives „day-trading“ Geschäft gehandelt habe. Selbst
wenn die Beklagte zum Ergebnis gekommen wäre, dass die Voraussetzungen für eine Aufhebung aufgrund
eines Mistrades nicht vorgelegen hätten, hätte sie keine Möglichkeit gehabt, durch Widerspruch die
Ausübung des Aufhebungsrechts, bei dem es sich um ein einseitiges Gestaltungsrecht handele, bei dem es
auf ein Einverständnis des Kommissionärs nicht ankomme, zu verhindern.
16
Der Kläger habe gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Erfüllung. Diese habe zwar gegenüber dem
Kläger vertraglich die Haftung für die ordnungsgemäße Erfüllung des Ausführungsgeschäfts durch ihren
Vertragspartner übernommen. Die Haftung setze aber eine wirksame Verbindlichkeit aus dem
Ausführungsgeschäft voraus. Es könne dahinstehen, ob die Streithelferin als Emittentin die
Wertpapiergeschäfte wirksam storniert habe, ob also die Kursstellung - wie die Beklagte behauptet - auf
einem Irrtum im Sinne der Mistraderegelung oder auf einem unbeachtlichen Kalkulationsirrtum beruht habe.
Denn es bestehe jedenfalls wegen unzulässiger Rechtsausübung kein Anspruch des Klägers. Dieser habe
gewusst oder sich jedenfalls treuwidrig der Kenntnis entzogen, dass das Angebot auf einem
Kalkulationsirrtum beruht habe. Hierfür spreche, dass er die Wertpapierkäufe in fünf Tranchen aufteilte, die
betragsmäßig jeweils unter der Grenze für eine manuelle Freigabe durch die Beklagte lagen, wodurch eine
Überprüfung durch die Beklagte vermieden wurde. Außerdem handele es sich beim Kläger um einen
erfahrenen Anleger, der im Jahr 2002 Umsätze mit Optionsscheinen in Höhe von 7,8 Millionen Euro getätigt
habe. Am 12. und 13.08.2002 habe er bereits weitere Kauforders für den streitgegenständlichen
Optionsschein erteilt, wobei die jeweiligen Kurse zwischen 1,10 € und 0,36 € lagen. Somit sei für ihn bei der
Erteilung der streitgegenständlichen Kauforders ohne weiteres erkennbar gewesen, dass der Kurs von
0,025 € nicht dem wirklichen Wert entsprochen habe und auf einem Fehler beruht haben müsse.
17
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers. Der Kläger beanstandet
unter anderem, das Erstgericht habe zu Unrecht wegen eines extrem marktfernen Kurses das Vorliegen
eines Mistrades angenommen, ohne dessen weitere notwendige Voraussetzungen zu berücksichtigen. Es
sei deshalb fehlerhaft von einem einseitigen Stornierungsrecht der Streithelferin ausgegangen.
18
Die Tatsachenfeststellungen des Landgerichts zum Vorliegen eines Mistrades seien unzureichend. Die
Beklagte habe ihre Behauptung, es habe ein Irrtum bei der Kursstellung vorgelegen, nicht hinreichend
substantiiert. Soweit die Beklagte eine fehlerhafte manuelle Eingabe des Parameters für die Volatilität durch
einen Mitarbeiter der Streithelferin behaupte, sei dies nicht mit einem Irrtum bei der Eingabe oder Stellung
eines Kurses gleichzusetzen. Es existiere kein Sachvortrag der Beklagten in Zusammenhang mit einem
Irrtum. Insbesondere sei ein technischer Fehler kein Irrtum.
19
Der Kläger vertritt die Ansicht, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, bei Vorliegen eines
Aufhebungsverlangens der Streithelferin zu prüfen, ob die angerufene Stelle der Beklagten für die
Entgegennahme und Prüfung zuständig sei, ob eine schlüssige Begründung des Vertragspartners vorliege,
die mit etwaigen eigenen bereits vorhandenen Erkenntnissen verträglich sei. Eine solche Prüfung, auch nur
eine Plausibilitätsprüfung, habe nicht stattgefunden.
20
Das Landgericht habe verkannt, dass die Beklagte aufgrund der Übernahme der Delkrederehaftung die
Pflicht gehabt habe, den Lieferanspruch zu erfüllen.
21
Schließlich meint der Kläger, das Landgericht habe zu Unrecht Rechtsmissbrauch angenommen.
22
Der Kläger beantragt:
Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25.01.2007 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt,
an den Kläger EUR 70.846,74 nebst 5% Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit 08.09.2002 zu zahlen.
23
Die Beklagte und ihre Streithelferin beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
24
Die Beklagte und ihre Streithelferin vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie sind der Meinung, wegen
eines extrem marktfernen Kurses von 0,025 € sei die Streithelferin aufgrund der zwischen ihr und der
Beklagten abgeschlossenen Mistraderegelung zur Stornierung der fünf streitgegenständlichen vom Kläger
getätigten Optionsscheinkaufgeschäfte berechtigt gewesen.
25
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen, eines schriftlichen sowie eines
Ergänzungsgutachtens des Sachverständigen C. und dessen Anhörung (gemäß Beweisbeschluss vom
23.02.2012, ergänzt durch Beschlüsse vom 24.04.2013 und vom 07.03.2014) sowie durch uneidliche
Vernehmung der Zeugen S., T. und U. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird unter anderem
Bezug genommen auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen F. vom 10.07.2013, dessen
schriftliches Ergänzungsgutachten vom 02.06.2014 und die zur Veranschaulichung seiner gutachterlichen
Äußerungen in der Sitzung am 24.04.2012 übergebenen Unterlagen (Bl. 750-765 d. A.), die
Sitzungsprotokolle vom 24.04.2012 (Zeugen S. und T.; mündliche Erstattung eines Gutachtens durch den
Sachverständigen F.), vom 09.10.2012 (Zeuge U.) und vom 11.05.2015 (Anhörung des Sachverständigen
F.).
26
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze samt
Anlagen sowie - neben den bereits genannten - auch auf die Sitzungsprotokolle vom 08.03.2010,
08.11.2011 und vom 24.04.2012 Bezug genommen.
27
Die Beklagte hat auf die Vernehmung des von ihr benannten Zeugen M., eines Mitarbeiters der
Streithelferin, bereits in erster Instanz verzichtet (Schriftsatz vom 9.11.2006 (Bl. 189 d. A.). Auf die
Vernehmung des von der Streithelferin benannten Zeuge H. hat diese verzichtet (Schriftsatz vom
30.01.2012, Seite 4 = Bl. 670 d. A.), auf die Vernehmung des von der Streithelferin benannten Zeugen B.
haben die Streithelferin und die Beklagte verzichtet (Sitzungsprotokoll vom 24.04.2012, Seite 11 = Bl. 741 d.
A.).
B.
28
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte
Schadensersatzanspruch in Höhe des Gewinns, der ihm dadurch entgangen ist, dass die Streithelferin den
Verkauf der streitgegenständlichen Optionsscheine an die Beklagte rückgängig gemacht hat, aus keinem
Rechtsgrund zu.
I.
29
Der Kläger könnte den von ihm geltend gemachten Schadensersatzanspruch nur auf das zwischen ihm und
der Beklagten bestehende Vertragsverhältnis stützen. Deliktische und andere Ansprüche kommen nach
dem streitgegenständlichen Sachverhalt nicht in Betracht.
30
Zwischen den Parteien liegt ein Kommissionsgeschäft vor. Vertragliche Grundlagen der zwischen dem
Kläger und der Beklagten bestehenden Beziehungen sind gemäß dem Konto-/Depoteröffnungsantrag vom
22.08.1998 (Anl. B 01) die Allgemeinen Geschäftsbeziehungen der Beklagten (Anl. B 07) und die (auf Seite
21 ff. dieser AGB abgedruckten) „Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte“, die gemäß dortigen
Vorbemerkungen auch gelten, wenn die Rechte nicht in Urkunden verbrieft sind. Danach wird die Bank
(hiesige Beklagte) Kundenaufträge zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren entweder als Kommissionärin
ausführen (Nrn. 1-8) oder mit dem Kunden Festpreisgeschäfte tätigen (Nr. 9). Da vorliegend kein
Festpreisgeschäft im Raum steht, handelt es sich - was von den Parteien nicht in Frage gestellt wird und bei
der Ausführung von Aufträgen zum Kauf von Wertpapieren dem Regelfall entspricht (vgl. BGH NJW-RR
2002, 1344 Rn. 13 nach juris) - um ein Kommissionsgeschäft.
31
Gemäß Nr. 1 Abs. 1 der genannten Sonderbedingungen führt die Bank Aufträge ihrer Kunden zum Kauf von
Wertpapieren als Kommissionärin aus. Hierzu schließt die Bank für Rechnung des Kunden mit einem
anderen Marktteilnehmer (hier der Streithelferin als die Optionsscheine emittierende Bank) ein Kaufgeschäft
(Ausführungsgeschäft) ab. Nach Nr. 1 Abs. 2 der Sonderbedingungen unterliegen die
Ausführungsgeschäfte den für den Wertpapierhandel am Ausführungsplatz geltenden Rechtsvorschriften
und Geschäftsbedingungen (Usancen); daneben gelten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des
Vertragspartners der Bank.
32
Keine der in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen aus dem Kommissionsvertrag führt jedoch zum
Klageerfolg.
II.
33
Der Kläger kann den von ihm geltend gemachten Anspruch nicht auf § 394 Abs. 1 und 2 Satz 1 HGB
(Delkrederehaftung) in Verbindung mit § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 283 Satz 1, § 280 Abs. 1 Satz 1, § 252
Satz 1 BGB stützen, da eine wirksame Verbindlichkeit der Streithelferin gegenüber der Beklagten aus den
Ausführungsgeschäften nicht besteht.
34
1. Allerdings haftet die Beklagte dem Kläger grundsätzlich aus § 394 HGB. Danach hat der Kommissionär
für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten, mit dem er das Geschäft für Rechnung des Kommittenten
abschließt, unter anderem dann einzustehen, wenn dies von ihm übernommen ist. Letzteres ist der Fall.
Denn gemäß Nr. 8 Satz 1 ihrer Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte haftet die Bank (also die
Beklagte) für die ordnungsgemäße Erfüllung des Ausführungsgeschäfts durch ihren Vertragspartner. Nr. 8
Satz 1 dieser Sonderbedingungen begründet somit eine Delkrederehaftung der Beklagten gegenüber dem
Kläger gemäß § 394 Abs. 1 HGB (vgl. hierzu auch BGH NJW-RR 2002, 1344 Rn. 18 nach juris). Da der
Streithelferin die Lieferung der vom Kläger gekauften Optionsscheine wegen des Verfalls der
Optionsscheine unmöglich ist (§ 275 Abs. 1 BGB), würde die Beklagte dem Kläger auf Schadensersatz aus
§ 275 Abs. 4, § 283 Satz 1, § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB haften. Dieser Anspruch erstreckt sich gemäß § 252
Satz 1 BGB auf den entgangenen Gewinn.
35
2. Diese Haftung setzt aber eine wirksame Verbindlichkeit aus dem Ausführungsgeschäft voraus (BGH
NJW-RR 2002, 1344 Rn. 18 nach juris).
36
Gemäß § 394 Abs. 2 HGB ist der Kommissionär, der für den Dritten einzustehen hat, dem Kommittenten für
die Erfüllung im Zeitpunkte des Verfalls (gemeint ist die Fälligkeit der Forderung, vgl.
MünchKommHGB/Häuser, 3. Aufl. § 394 Rn. 12) unmittelbar insoweit verhaftet, als die Erfüllung aus dem
Vertragsverhältnisse (mit dem Dritten) gefordert werden kann (Baumbach/Hopt HGB 36. Aufl. § 394 Rn. 3,
4). Der Einkaufskommissionär muss somit grundsätzlich den Lieferanspruch erfüllen. Das Ausmaß der
Haftung wird durch den Bestand und den jeweiligen Umfang der Verbindlichkeit bestimmt, die der
Kommissionär gegen den Dritten begründet hat; sie ist somit akzessorisch. Dies ergibt sich aus dem
Wortlaut des § 394 Abs. 2 Satz 1 HGB, der die Delkrederehaftung bürgschaftsähnlich ausformt (§ 767
BGB). Der Kommissionär hat deshalb auch einzustehen, wenn sich der Charakter der Verbindlichkeit
ändert, z. B. Gewährleistungs-, Schadensersatz- oder Vertragsstrafenansprüche entstehen (vgl.
Staub/Koller HGB 5. Aufl. § 394 Rn. 10). Eine Schlechtleistung des Dritten, die Ansprüche wegen Sachoder Rechtsmängeln oder sonstige vertragliche Sekundäransprüche auslöst, lässt somit die Einstandspflicht
des Kommissionärs bestehen bleiben (Koller/Roth HGB 8. Aufl. § 394 Rn. 5; Krüger, in:
Boujong/Ebenroth/Joost/Strohn HGB 2. Aufl. § 394 Rn. 4: soweit dort von der „Einstandspflicht des
Kommittenten“ die Rede ist, handelt es sich offenbar um ein Schreibversehen). Damit haftet der
Kommissionär auch dann, wenn dem Dritten aufgrund einer von ihm zu vertretenden Pflichtverletzung die
Leistung unmöglich geworden ist und sich der Anspruch auf Lieferung in einen Schadensersatzanspruch
wegen Nichterfüllung umwandelt (vgl. MünchKommHGB/Häuser 3. Aufl. § 394 Rn. 13).
37
3. Eine Haftung der Beklagten auf Schadensersatz in Form des entgangenen Gewinns scheidet aus, weil
hinsichtlich der vom Kläger am 14.08.2002 zwischen 09:05:55 bis 9:08:55 Uhr in fünf Tranchen georderten
189.500 Kaufoptionsscheine auf den Deutschen Aktienindex (KOS 02/14.08.02 DAX 3.600; WKN 681820)
zu einem online angegebenen Kurs von 0,025 € wirksame Ausführungsgeschäfte zwischen der Beklagten
und der Streithelferin letztlich nicht zustande kamen. Denn die Streithelferin hat von dem ihr zustehenden
Aufhebungsrecht erfolgreich Gebrauch gemacht.
38
a) Die Beklagte und die Streithelferin haben in § 5 des Vertrages über den Abschluss von
Wertpapiergeschäften über das Handelssystem „citi CATS-OS“ vom 23.11.2001 (künftig auch verkürzt als
Mistraderegelung bezeichnet) folgendes vereinbart (Anl. S 1 = Anl. B 11):
39
(1) Die Parteien vereinbaren ein vertragliches Aufhebungsrecht für den Fall der Bildung nicht
marktgerechter Preise im Handelssystem.
40
Danach wird die Bank Geschäfte aufheben, wenn nur eine der beiden Parteien begründet die Aufhebung
eines Geschäfts (Mistrade) verlangt, das
- aufgrund eines Fehlers im Handelssystem der Bank oder in den technischen Systemen der Bank oder des
Vertragspartners oder
- aufgrund eines Irrtums auf Seiten der Bank oder des Vertragspartners (z. B. durch Vertippen) bei der
Eingabe eines Geld- oder Briefkurses in das Handelssystem
41
zustande gekommen ist.
42
(2) Das Aufhebungsverlangen ist unverzüglich an die jeweilige andere Partei zu richten. Von einer
unverzüglichen Geltendmachung ist auszugehen, wenn die die Aufhebung des Geschäfts begehrende
Partei die andere Partei bis spätestens 5 Minuten nach dem letztmöglichen Handelszeitpunkt für die
jeweiligen Wertpapiere des gleichen Bankarbeitstages über den Mistrade informiert. Die Nachricht ist an die
dem Vertragspartner zu diesem Zweck gesondert bekanntgegebene Stelle der Bank („Handels-Hotline“) zu
richten.
43
(3) Zur Feststellung, ob es sich um einen nicht marktgerechten Preis handelt, wird der Preis des Geschäfts
zu einem Referenzpreis in Verhältnis gesetzt. Ein nicht marktgerechter Preis liegt vor, wenn der Preis des
Geschäfts von dem Referenzpreis um mindestens 10% abweicht. Der Referenzpreis wird gebildet aus dem
Durchschnitt der Preise der Geschäfte, die unmittelbar vor dem fraglichen Geschäft in dem Handelssystem
über das betreffende Wertpapier zustande gekommen sind. Ist nur einer dieser Preise vorhanden, so gilt
dieser als Referenzpreis.
44
(4) Ist ein Referenzpreis nach der vorstehenden Bestimmung nicht zu ermitteln oder entspricht der so
ermittelte Referenzpreis nicht den tatsächlichen Marktverhältnissen, befragt die Bank im Rahmen des
sogenannten „Chefhändlerverfahrens“ drei fachkundige Personen, ob es sich bei dem fraglichen Preis um
einen „fairen“ Preis handelt. Verneint dies eine einfache Mehrheit der befragten Personen, so handelt es
sich bei dem entsprechenden Preis nicht um einen marktgerechten Preis. Bejaht dies die einfache Mehrheit
der befragten Personen, so handelt es sich um einen marktgerechten Preis.
45
(5) Die Aufhebung des Mistrades erfolgt durch die Verbuchung eines entsprechenden Gegengeschäfts
(Stornierung) zwischen der Bank und dem Vertragspartner.
46
b) Diese Regelung war auch Geschäftsgrundlage des Kommissionsvertrages zwischen dem Kläger und der
Beklagten. Dem Vertragsverhältnis der Parteien lagen neben den genannten Geschäftsbedingungen der
Beklagten und den Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte hinsichtlich des streitgegenständlichen
außerbörslichen Handels mit Wertpapieren (unstreitig) „Wichtige Hinweise für den außerbörslichen Handel
in Wertpapieren und Derivaten“ (Anl. K 1) zugrunde. Unter Nr. 6 dieser Hinweise („Mistrade Regelung“) wird
darauf hingewiesen, dass die Beklagte im Rahmen des außerbörslichen Handels mit ihren Handelspartnern
Mistraderegelungen getroffen habe. Danach stehe den Handelspartnern ein vertragliches Auflösungsrecht
für den Fall der Bildung nicht marktgerechter Preise im außerbörslichen Geschäft („Mistrade“) zu. Ein
Geschäft könne aufgehoben werden, wenn ein Mistrade vorliegt und der Handelspartner (Emittent) die
Aufhebung rechtzeitig verlangt. Es wird darauf hingewiesen, dass die einzelnen Mistraderegelungen je nach
Handelspartner variieren können, aber in der Regel zu im Einzelnen näher dargestellten Punkten eine
Regelung enthalten. Danach liege ein Mistrade vor, wenn der Preis des Geschäfts aufgrund eines Fehlers
im technischen System oder eines Irrtums bei der Eingabe eines Kurses im Handelssystem erheblich von
dem zum Zeitpunkt des Zustandekommens des betreffenden Geschäfts marktgerechten Preis
(Referenzpreis) abweicht. Weiter werden die Form und die Frist der Mistrade-Meldung sowie Art und Weise
der Geschäftsaufhebung (in der Regel Stornierung) dargestellt.
47
c) Das Recht der Streithelferin, die streitgegenständlichen Wertpapierkaufverträge aufzuheben, setzt nach §
5 des Vertrages über den Abschluss von Wertpapiergeschäften über das Handelssystem „citi CATS-OS“
vom 23.11.2001 unter anderem voraus, dass im verwendeten Handelssystem nicht marktgerechte Preise
gebildet wurden und dass das zwischen der Bank (hier der Streithelferin) und dem Kunden (hier der
Beklagten) abgeschlossene Geschäft aufgrund eines Fehlers im Handelssystem der Bank oder in den
technischen Systemen der Bank oder des Vertragspartners oder aufgrund eines Irrtums auf Seiten der Bank
oder des Vertragspartners (z. B. durch Vertippen) bei der Eingabe eines Geld- oder Briefkurses in das
Handelssystem zustande gekommen ist.
48
d) Der von der Streithelferin am 14.08.2002 bei den zwischen 09:05:55 Uhr und 09:08:55 Uhr
abgeschlossenen Verkaufsgeschäften gestellte Preis von 0,025 € war nicht marktgerecht (§ 5 Abs. 1, 3 und
4 der Mistraderegelung).
49
aa) Gemäß § 5 Abs. 3 der Mistraderegelung wird zur Feststellung, ob es sich um einen nicht
marktgerechten Preis handelt, der Preis des Geschäfts zu einem Referenzpreis in Verhältnis gesetzt. Ein
nicht marktgerechter Preis liegt vor, wenn der Preis des Geschäfts von dem Referenzpreis um mindestens
10% abweicht. Der Referenzpreis wird gebildet aus dem Durchschnitt der Preise der Geschäfte, die
unmittelbar vor dem fraglichen Geschäft in dem Handelssystem über das betreffende Wertpapier zustande
gekommen sind. Ist nur einer dieser Preise vorhanden, so gilt dieser als Referenzpreis.
50
(1) Die Streithelferin legte als Anlage S 6 eine Auflistung sämtlicher am 14.08.2002 bei ihr eingegangenen
Order für den streitgegenständlichen Optionsschein vor. Diese Liste enthält für diesen Tag vor den um
09:05:55 Uhr beginnenden Käufen des Klägers (via Z.) insgesamt fünf Geschäfte, nämlich um 08:08:22 und
um 08:09:09 Uhr Verkäufe von 10.000 und 50.000 Stück zum Kurs von jeweils 0,025 € an C. (Status
jeweils: canceled), um 08:56:51 Uhr einen Verkauf von 2.050 Stück zum Kurs von jeweils 0,30 € an C.
(Status: „filled“), sowie um 09:03.16 und 09:04:55 Uhr Ankäufe von jeweils 20.000 Stück zum Kurs von
jeweils 0,26 € von C. (Status jeweils: „canceled“).
51
Die Streithelferin benennt demgemäß (ausgehend von dem durchgeführten Verkauf von 2.050
Optionsscheinen um 08:56:51 Uhr) 0,30 € als maßgeblichen Referenzpreis (vgl. Schriftsatz vom
17.09.2010, Seite 2 ff. = Bl. 527 ff. d. A.).
52
(2) Eine Abweichung des Kurses der streitgegenständlichen Geschäfte (0,025 €) von diesem Referenzpreis
um mindestens 10% liegt somit vor.
53
bb) Der Kläger bezweifelt, dass es sich bei dem Geschäft von 08:56:51 Uhr um einen realen und
durchgeführten Optionsscheinkauf und nicht ebenfalls um ein storniertes Geschäft handelt. Diesbezüglich
weist er zutreffend darauf hin, dass die Streithelferin um 10:01:43 Uhr 2.050 Optionsscheine zum selben
Kurs wieder angekauft hat und dass die Trade-Nummer für das Geschäft um 08:56 Uhr (s. von der
Streithelferin übergebene Anlage 7) höher ist als diejenige für das Geschäft um 10:01:43 Uhr (s. von der
Streithelferin übergebene Anlage 8). Er meint, das Kundenkaufgeschäft von 08:56:51 Uhr (2.050 Stück zu je
0,30 Euro) sei durch das Gegengeschäft um 10:01:43 Uhr neutralisiert worden.
54
Diese Annahme hat sich durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt.
55
(1) Der Senat hat an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Auflistung (Anlage S6) keinen Zweifel. Der
Zeuge S. bekundete glaubhaft, dass es sich bei dieser Liste um einen Auszug des Handelssystems von
allen getätigten Geschäften mit der Wertpapierkennnummer (WKN) 681820 an diesem Tag handele, wobei
die Liste sämtliche an diesem Tag erfolgten Order des genannten Wertpapiers, ausgeführte („filled“) und
aufgehobene („canceled“), enthalte. Der Zeuge gab an, er habe den Auszug selbst gefertigt - wann, wisse
er nicht mehr - und könne bestätigen, dass die Liste vollständig sei. Auch wenn der Auszug nicht
unveränderlich ist, was man bereits daran sieht, dass die Streithelferin zunächst eine Auflistung vorlegte, in
der außer der Beklagten alle weiteren Handelspartner anonymisiert waren, und erst auf Rüge des Klägers
eine solche nachreichte, auf der die Handelspartner namentlich genannt sind, hat der Senat keinen Zweifel
an der Vollständigkeit der Auflistung und keinen begründeten Anhaltspunkt dafür, dass diese manipuliert
worden wäre.
56
(2) Der vom beauftragten Berichterstatter vernommene Zeuge U., der selbst diesen Handel telefonisch
ausführte, allerdings hieran keine konkrete Erinnerung mehr hatte, hat insoweit bekundet, er könne
ausschließen, dass das Geschäft um 8:56 Uhr nachträglich als Fälschung eingegeben wurde. Er habe
Systemkenntnis derart, dass der Zeitstempel für das jeweilige Geschäft nicht vom Eingeber beeinflussbar
war. Er sei zwar kein Programmierer, sondern gelernter Bankkaufmann. Er habe aber selber bei der Y Bank
Programmierungen gemacht und verstehe auch die Logik einer Datenbank. Auf Vorhalt von § 5 Abs. 5 der
Mistraderegelung, wonach die Aufhebung des Mistrades durch die Verbuchung eines entsprechenden
Gegengeschäfts (Stornierung) zwischen der Bank und dem Vertragspartner erfolge, gab der Zeuge U. an,
dass Stornierungen immer durch eine Cancelung vorgenommen worden seien und seines Wissens nie
durch ein Gegengeschäft, da hierfür auch noch ein Settlement erforderlich gewesen wäre, denn die
Wertpapiergeschäfte müssten an ein Depot beliefert werden.
57
Im Einklang hiermit steht die Aussage des Zeugen S. am 24.04.2012 wonach ein elektronisch
abgeschlossenes Geschäft durch einen manuellen Eingriff aufgehoben werden könne. Dies geschehe,
indem er das Geschäft aufrufe und das Kommando „cancelation“ eingebe.
58
Diese Vorgehensweise entspricht auch der Handhabung bei den streitgegenständlichen Kaufverträgen, die
abweichend von § 5 Abs. 5 ebenfalls nicht durch ein Gegengeschäft aufgehoben wurden.
59
Auch die weitere intensive Befragung des Zeugen U. erbrachte keine konkreten Hinweise auf eine
Fälschung im Sinne einer nachträglichen Einfügung des Referenzgeschäfts von 08:56:51 Uhr in die als
Anlage S6 von der Streithelferin vorgelegte Auflistung der den streitgegenständlichen Optionsschein
betreffenden Geschäfte.
60
Für den beauftragten Richter ergaben sich - wie bereits in der Sitzungsniederschrift vom 09.10.2012
niedergelegt - aufgrund des bei der Vernehmung des Zeugen U. gewonnenen Eindrucks keine
Anhaltspunkte dafür, an dessen Glaubwürdigkeit zu zweifeln. Angesichts des 10 Jahre zurückliegenden
Zeitpunkts der Ereignisse, zu denen er befragt wurde, sind auch die Angaben, dass er sich an die
Einzelheiten des damaligen Geschäftes nicht mehr erinnern könne, glaubhaft. Der Zeuge machte auch nicht
den Eindruck, von Seiten der Streithelferin hinsichtlich seiner Aussage gesteuert worden zu sein. Soweit er
Angaben zu einzelnen Daten auf den Anlagen S7 bis S9 nicht machen konnte, erscheint auch dies
glaubhaft, wenn man - wie er bekundete - davon ausgeht, dass er nicht in der Abwicklungsabteilung tätig
war.
61
(3) Als Indiz dafür, dass das Geschäft von 08:56:51 Uhr nicht manipuliert wurde, sondern einen realen
Hintergrund hat und demgemäß der Kurs von 0,025 € marktfern ist, können auch die beiden um 09:03.16
und 09:04:55 Uhr durchgeführten Geschäfte über den Ankauf von jeweils 20.000 Optionsscheinen durch die
Streithelferin zu je 0,26 € von der C. herangezogen werden, wobei das zweite Geschäft nur eine Minute vor
dem ersten klägerischen Geschäft lag. Diese sind zwar ebenfalls aufgehoben („canceled“) worden, was
aber offensichtlich nicht daran lag, dass dieser Preis unrichtig gewesen wäre, sondern die vorhergehenden
gegen 08:08 Uhr und 08:09 Uhr erfolgten Verkäufe von 10.000 und 50.000 Stück zu je 0,025 € an den
Handelspartner C. storniert wurden und somit die Ankäufe von C. als Folge dieser Stornierung ebenfalls
aufgehoben werden mussten.
62
Auch von diesem Kurs von 0,26 € weicht der vom Kläger gezahlte Stückpreis von 0,025 € um mehr als 10%
ab.
63
cc) Soweit der Kläger beanstandet, dass das Referenzgeschäft auf einem von der Streithelferin selbst
festgelegten DAX-Kurs basiert, so trifft dies zu. Dies führt aber nicht zu einer Unbeachtlichkeit des
Referenzpreises, sondern liegt im Umstand begründet, dass vor Eröffnung des Handels an der Frankfurter
Börse und auch noch in einem gewissen Zeitraum danach noch kein offizieller DAX-Kurs existiert. Die
Kursbildung der Optionsscheine, die auf den DAX bezogen sind, und demzufolge der Handel mit diesen ist
in diesem Zeitraum nur möglich, wenn der zur Preisberechnung benötigte DAX-Stand geschätzt wird, was
durch den Emittenten - hier also durch die Streithelferin - geschieht.
64
Soweit nach dem letztlichen Vorbringen der Streithelferin der technische Fehler den ganzen Tag über
aufgetreten war und somit auch der Kurs um 08:56:51 Uhr (ebenso wie um 09:03.16 und 09:04:55 Uhr) nur
unter Berücksichtigung des inneren Wertes des Optionsscheins berechnet wurde, während die Restlaufzeit
außer Acht gelassen wurde, ändert dies jedoch nichts daran, dass das Geschäft um 08:56:51 Uhr
tatsächlich ausgeführt wurde und somit von der Streithelferin grundsätzlich als Referenzgeschäft
herangezogen werden konnte. Damit hat es die Streithelferin zwar in der Hand, ein fehlerbehaftetes ihr aber
günstig erscheinendes Geschäft auszuführen und damit selbst den Referenzpreis zu bestimmen. Mögliche
Missbräuche sind aber dadurch auszugleichen, dass letztendlich im Rechtsstreit - wie auch hier - der
behauptete Referenzpreis selbst daraufhin überprüft werden kann, ob er marktgerecht, also fair ist.
65
dd) Offenbleiben kann letztlich, ob das Erfordernis, das Referenzgeschäft müsse „unmittelbar vor dem
fraglichen Geschäft zustande gekommen“ sein, nicht lediglich dahin auszulegen wäre, dass es sich um das
letzte vorherige Geschäft handeln muss, sondern ob man wegen der beim Optionsscheinhandel kurzfristig
stattfindenden regulären Kurssprünge darüber hinaus fordern müsste, dass die Zeitspanne zwischen dem
Referenzgeschäft und dem aufgehobenen Geschäft nur minimal sein darf. Denn der Senat hat aufgrund des
Ergebnisses der Beweisaufnahme keinen Zweifel daran, dass - unabhängig vom Referenzgeschäft - der im
Handelssystem bei den streitgegenständlichen Kauforders online gestellte Preis von 0,025 € nicht
marktgerecht war.
66
Der marktgerechte Preis zu den Zeitpunkten der streitgegenständlichen Wertpapierkäufe durch die Beklagte
(09:05:55 und 9:08:55 Uhr) betrug ebenso wie der marktgerechte Preis zum Zeitpunkt des
Referenzgeschäfts um 08:56:51 Uhr und der wieder aufgehobenen Geschäfte um 09:03:16 und 09:04:55
Uhr jeweils mindestens 0,18 €. Hiervon ist der Senat aufgrund der Beweisaufnahme (vor allem durch die
Ausführungen des Sachverständigen F. sowie durch die Vernehmung des Zeugen S.) überzeugt, deren
Ergebnis mit den unstreitigen äußeren Umständen übereinstimmt. Demgegenüber ist die Behauptung des
Klägers, ein Preis von 0,025 € sei marktgerecht, bereits nicht mit den objektiven Umständen in Einklang zu
bringen.
67
(1) Ausgangspunkt der Preisberechnung durch den Sachverständigen ist die auch von der Streithelferin
verwendete Black und Scholes Formel, die auf Seite 2 des Gutachtens vom 10.07.2013 dargestellt ist.
Hierauf wird Bezug genommen.
68
Soweit der Kläger in Abrede stellt, dass diese Formel zur Berechnung des Preises von Optionsscheinen
geeignet sei bzw. meint, andere Rechenformeln führten zu genaueren bzw. realistischeren Werten, ist dies
unbeachtlich. Denn der Kläger hat Optionsscheine geordert, die von der Streithelferin emittiert werden, die
somit auch den Kurs nach ihren Rechenmethoden berechnet und auf ihre Handelsplattform stellt.
Dementsprechend kommt es nur darauf an, ob die Kurse nach dieser Formel zutreffend berechnet wurden.
69
Zur Berechnung des Kurses werden in diese Formel verschiedene - auf Seite 2 des Gutachtens vom
10.07.2013 genannte - Parameter eingestellt, darunter der Basispreis (hier 3.600), der aktuelle DAX-Stand,
die Restlaufzeit des Optionsscheins sowie die Volatilität.
70
(2) Hinsichtlich des einzugebenden DAX-Standes ist der Umstand von Bedeutung, dass das für die Bildung
des Referenzpreises maßgebende Optionsscheingeschäft am 14.08.2002 um 08:56:51 Uhr stattfand,
während der XETRA-Handel (Exchange Electronic Trading, ein elektronisches Handelssystem der
Deutsche Börse AG für den Kassamarkt) erst um 9:00 Uhr begann. Demgemäß gab es noch keinen durch
den XETRA-Handel in F. gebildeten DAX, so dass für den auf dem DAX-Index basierenden
Optionsscheinhandel der DAX-Wert vom Emittenten geschätzt werden musste.
71
Der Zeuge S. bekundete am 24.04.2012, ein fiktiver DAX-Index werde anhand von Referenzbörsen (USBörsen und asiatische Börsen) oder Finanzinstrumenten, die 24 Stunden geöffnet haben, wie etwa Gold
oder US-Dollar, errechnet. Der DAX-Future werde nur ab Öffnung verwendet; damals sei er vor 09.00 Uhr
noch nicht geöffnet gewesen. Er wisse konkret nicht mehr, was seinerzeit zur Ermittlung des fiktiven DAXIndexes herangezogen wurde. Auf Frage ergänzte er: „Bei der Ermittlung eines fiktiven DAX-Indexes
können wir auch den Flow berücksichtigen und eine Anpassung vornehmen. (...) Wir schauten damals auch
auf andere Banken.“
72
Des Weiteren teilte der Zeuge mit, in der Zeit zwischen 09.00 und 09.05 Uhr würden eingehende
Aktienkurse und DAX-Futures berücksichtigt, bis der DAX-Future öffne; das sei damals in der Regel um
09.05 Uhr der Fall gewesen. Obwohl der DAX-Future erst um 09.05 Uhr öffne, könnten seine Werte
berücksichtigt werden, weil es Indikationen gibt. Er nehme an, dass „wir auch damals, am 14.08.2002, den
DAX-Future berücksichtigt haben“; er wisse es aber nicht. Die DAX-Future-Indikationen würden bis zur
Öffnung des DAX-Future neben anderen Indikationen verwendet. Bei Bildung des fiktiven DAX-Indexes
versuchten sie, möglichst genau den Markt zu treffen
73
Soweit der Kläger beanstandet, der Sachverständige habe weitere Erkenntnisquellen zur Ermittlung des
DAX nicht hinzugezogen, geht dieser Angriff fehl. Der Sachverständige hat im Ergänzungsgutachten vom
02.06.2014 (Seite 6) ausgeführt, seine Schätzung des DAX-Stands stütze sich auf alle Daten, die ihm von
neutralen Quellen zur Verfügung standen. Dabei habe er bewusst nicht die von der Streithelferin
angegebenen Werte übernommen, sondern diese unabhängig ermittelt. Die der Streithelferin damals zur
Verfügung stehenden pre-Opening-Kurse seien heute nicht erhältlich.
74
Andererseits musste der Sachverständige keine weiteren Ermittlungen anstellen. Auch wenn die genauen
Indikationen, die die Streithelferin zur Schätzung des damaligen DAX-Standes vor Eröffnung der Futures
herangezogen hat, nicht mehr aufgeklärt werden konnten (s. die Bekundungen des Zeugen S.), reicht es im
Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits unter Zugrundlegung des Umstandes, dass der Kursbestimmung
bei den Käufen des streitgegenständlichen Optionsscheins durch den Kläger auch damals lediglich eine
DAX-Schätzung der Streithelferin zugrunde lag, völlig aus, wenn der Sachverständige eine derartige
Schätzung rückwirkend nachvollzieht. Hierzu ist er gerade aufgrund seines häufigen Tätigwerdens im
sogenannten Chefhändlerverfahren, das durchgeführt wird zur Feststellung eines gerechten Preises in
Mistrade-Fällen, besonders geeignet.
75
Der Sachverständige hat hierzu im Beweisaufnahmetermin am 24.04.2012 ausgeführt, er habe Daten
gesammelt, die für die Berechnung eines fairen Preises notwendig seien. Dazu zählen Tick-Kurse der
Deutschen Börse. Daraus gehe hervor, wie an dem fraglichen Tag der DAX und die Volatilität gestanden
haben. Das Jahr „2003“ (richtig: 2002) sei ein sehr bewegtes Jahr gewesen. Auf der von ihm vorgelegten
Folie über die Entwicklung des DAX-Index im Zeitraum vom 13.08. bis 16.08.2002 (Intraday) könne man
erkennen, wie der DAX vom 13.08.2002 abends (20.00 Uhr) auf den 14.08.2002 eingebrochen sei. Den
Kursverlauf am 14.08.2002 könne man der Seite 3 der zu Protokoll übergebenen Unterlagen (= Bl. 752 d.
A.) entnehmen. Unter Hinweis darauf, dass die erste eindeutige Kursfeststellung erst um 09.08 Uhr
beginne, merkte der Sachverständige hierzu an, dass der DAX-Index (gemeint: vor 9:08 Uhr) sich aus dem
DAX-Future bzw. (mit anderen Worten) aus Forwards errechne. Auf Seite 14 seiner übergebenen
Unterlagen befinde sich in der ersten Spalte die Zeit, in der zweiten Spalte der DAX-Index, so wie er alle 15
Sekunden von der Deutschen Börse veröffentlicht werde (Start um 09.00 Uhr), in der dritten Spalte der
DAX-Future und zwar mit dem letzten gehaltenen Preis, in der vierten Spalte der DAX entsprechend den
Angaben der Streithelferin laut Prozessakte, in der fünften Spalte der DAX, so wie ihn der Sachverständige
entweder kenne oder einschätzen müsse.
76
Die von ihm geschätzten DAX-Werte für den 14.08.2002 seien zwischen 08.00 und 09.05 Uhr noch in einer
gewissen Bandbreite. Diese Bandbreite verenge sich, je näher man dem Opening des Futures herantrete.
Somit sei ab 09.08 Uhr der Preis des Underlyings Gewissheit.
77
Dieser Tabelle lässt sich somit entnehmen, dass der (geschätzte) DAX im Zeitraum von 9:05:55 Uhr bis
9:08:55 Uhr zwischen 3.577,26 (laut Deutscher Börse) bzw. 3.570 (laut Gutachten) und 3.585 (laut Future =
Gutachten) schwankt, also leicht unter dem Strikebetrag von 3.600 liegt. Für 08:56:51, dem Zeitpunkt des
Referenzgeschäfts, weist diese Tabelle einen vom Sachverständigen geschätzten DAX-Wert von 3.570 bis
3.650, um 09:03:15/16 einen geschätzten Wert von 3.620,94 (laut Dt. Börse) bzw. 3.570 bis 3.630 (laut
Gutachten) und um 09:04:45/55 Uhr einen geschätzten Wert von 3.588,05 (laut Dt. Börse) bzw. 3.570 bis
3.600 (laut Gutachten) auf.
78
Somit ist davon auszugehen, dass zum Kaufzeitpunkt ein „Underlying“ vorlag, während zum Zeitpunkt des
Referenzgeschäfts der DAX etwas höher, um den Strikebetrag herum gelegen haben dürfte. Zu den
Zeitpunkten der zwei dazwischen liegenden stornierten Geschäfte um 09:03:15 und 09:04:45 Uhr war der
DAX eher unter dem Strikebetrag gelegen. Hiermit im Einklang steht der etwas niedrigere Kurs (0,26 €) für
die beiden letztgenannten Geschäfte im Vergleich zum Referenzgeschäft (0,30 €).
79
(3) Hinsichtlich der in die Black und Scholes Formel einzugebenden Restlaufzeit folgt der Senat den
nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen, wonach nicht der Handelsschluss entscheidend
ist, sondern der Verfallszeitpunkt.
80
Der Sachverständige hat im Beweisaufnahmetermin am 24.04.2012 und ergänzend im Gutachten vom
10.07.2013 ausgeführt, er sei bei der Berechnung der Volatilität von 24 Stunden ausgegangen. Bei dem
streitgegenständlichen Optionsschein habe er berücksichtigt, dass dessen Verfall am 14.08.2002, 20.00
Uhr, eintrat. Die Tatsache, dass der Optionsschein ab 10.00 Uhr nicht mehr handelbar ist, habe keinen
Einfluss auf seinen Preis. Für den Wert eines Optionsscheins seien maßgeblich der Verfallszeitpunkt und
der geschätzte Stand des DAX zu diesem Zeitpunkt. Der Preis hänge lediglich davon ab, wann der
Verfallszeitpunkt sei und wie der DAX zum Verfallszeitpunkt statistisch erwartet werde (Gutachten vom
10.70.2013, Seite 13). Dementsprechend hat der Sachverständige im Gutachten vom 10.07.2013 (Seite 12)
für einen Kaufzeitpunkt am 14.08.2002 um 09:05 Uhr die Restlaufzeit mit 10 h 55 min. berechnet.
81
Hieran hat der Sachverständige auch in seinem Ergänzungsgutachten vom 02.06.2014 (Seite 9 f.)
festgehalten und ausgeführt, es sei eine der Prämissen der Black und Scholes Theorie, dass der Basiswert
(hier DAX) kontinuierlich usw. handelbar ist. Dies sei nicht mit der Handelbarkeit des Optionsscheins zu
verwechseln. Beide Zeitpunkte (bezogen auf die Fragestellung an den Sachverständigen ist hier gemeint
„kombiniert“) könnten nicht und sollten nicht bei Black und Scholes berücksichtigt werden, weil der eine
Zeitpunkt - nämlich das Ende der Handelbarkeit - völlig irrelevant sei.
82
Dies bestätigte der Sachverständige auch bei seiner mündlichen Anhörung am 11.05.2015. Dort führte er
aus, dass sich die beiden Zeitpunkte (Handelsschluss und Verfallszeitpunkt) nicht in die Black and Scholes
Formel einbauen lassen und in dieser lediglich der Verfallszeitpunkt berücksichtigt wird. Er begründet dies
damit, dass die Implementierung des Handelsschlusses in diese Formel auch keinen Sinn ergeben würde,
weil der Preis eines Derivats ausschließlich von dem Preis des Basiswertes und anderen Parametern
abhänge und nicht vom Handelsschlusszeitpunkt. Dem Black and Scholes Modell unterlägen mehrere
Annahmen, eine davon sei die kontinuierliche Handelbarkeit des Basiswertes (DAX) und nicht des
Optionsscheins. Bei der Berechnung des Optionsscheinwertes nach der Black and Scholes Formel spiele
der Handelsschluss des Optionsscheins keine Rolle.
83
Dem hält der Kläger (vereinfacht dargestellt) entgegen, dass bei einer Restlaufzeit des Optionsscheins bis
20.00 Uhr seine Chance, die zwischen 9:05 Uhr und 09:08 Uhr gekauften Optionsscheine gewinnbringend
zu verkaufen, größer gewesen wäre, wenn ein Verkauf auch noch nach 10:00 Uhr möglich gewesen wäre,
als im vorliegenden Fall, in dem eine Verkaufschance ab 10:00 Uhr nicht mehr gegeben war. Dies müsse
sich auf den Preis auswirken. Deshalb wäre es geboten gewesen, Berechnungen mit zwei Restlaufzeiten
(bis 10:00 Uhr/bis 20:00 Uhr) anzustellen. Die Differenz der sich hieraus ergebenden Optionsscheinwerte
wäre der korrekte Wert. Darauf aufbauend weist der Kläger auf seinen Vortrag im Schriftsatz vom
02.11.2010 zu den Auswirkungen verschiedener Restlaufzeiten bzw. Restlaufzeitfaktoren auf
Optionsscheinwerte hin.
84
Demgegenüber geht der Senat mit dem Sachverständigen davon aus, dass der Handelsschluss vorliegend
keinen Einfluss auf die Preisbildung haben konnte. Es mag sein, dass die kürzere Zeit der Handelbarkeit die
Entscheidung eines Anlegers in der Situation des Klägers beeinflusst, ob er bis 10:00 Uhr, also in einem
Zeitraum, indem er die DAX-Entwicklung beobachten und darauf reagieren kann, wieder verkauft oder ob er
das Risiko auf sich nimmt, die Papiere bis Laufzeitende zu halten, ohne die Möglichkeit zu haben, noch auf
DAX-Spitzen oder gar auf einen kontinuierlichen DAX-Verfall zu reagieren. Dies ändert jedoch nichts an der
grundlegenden Prämisse des Sachverständigen, dass entscheidend für den Zeitwert die Restlaufzeit ist, da
- ausgehend vom Blickwinkel des um 09:05 bis 09:08 ankaufenden Klägers - die DAX-Bewegungen bis zum
Laufzeitende um 20:00 Uhr weniger gut überschaubar sind als innerhalb der knappen Stunde bis zum
Handelsende um 10:00 Uhr.
85
Dem folgt der Senat uneingeschränkt: Handelsschluss war vorliegend am 14.08.2002 um 10.00 Uhr, der
Verfallszeitpunkt war um 20.00 Uhr. Entscheidend für den Wert des Optionsscheins ist somit letztlich der
DAX-Stand um 20.00 Uhr, da sich erst dann herausstellt, ob der Basispreis (Strike) des Optionsscheins im
Vergleich zum tatsächlichen Kurs der Aktien etc. niedriger (also für den Erwerber günstig) oder höher (also
für den Erwerber ungünstig) war. Die Zeitspanne bis zum Verfall des Optionsscheins kann somit nicht
unberücksichtigt bleiben, da die Einschätzung der weiteren, sich nach Handelsschluss des Optionsscheins
vollziehenden Entwicklung des DAX sich auf dessen Preisfindung vor Handelsschluss auswirkt.
86
Auch wenn der Kläger zusätzlich die Einbeziehung des Handelsschlusses für erforderlich hält, sieht die von
der Streithelferin angewendete Black und Scholes Formel solches nicht vor. Ob eine entsprechende
Modifikation der Formel bei der Berechnung des Optionsscheinkurses zu gerechteren Ergebnissen führen
würde, kann dahinstehen. Denn der Kläger, der Optionsscheine erwirbt, deren Kurs von der Emittentin
bestimmt wird, sich also letztlich an einer spekulativen Wette beteiligt, muss sich auf die „Spielregeln“
einlassen, die die Emittentin stellt und die auch diese selbst binden. Dies ist hier die von der Streithelferin
verwendete Black und Scholes Formel, deren Anwendung zudem - dies lässt sich den Ausführungen des
Sachverständigen F. entnehmen - marktüblich ist.
87
Demgemäß geht auch der vom Kläger im Termin am 11.05.2015 gestellte Beweisantrag, wonach die
Einvernahme des Sachverständigen Prof. Dr. A. zum Beweis der Tatsache beantragt wird, dass ein nicht
handelbarer Optionsschein einen geringeren Wert als ein handelbarer Optionsschein besitzt und die Black
und Scholes-Formel bei einem nicht handelbaren Optionsschein wirtschaftlich nicht sinnvoll ist, mangels der
Entscheidungserheblichkeit der unter Beweis gestellten Tatsachen ins Leere.
88
Die Ansicht des Klägers, die Streithelferin verwende zwei unterschiedliche Berechnungsmethoden, je
nachdem ob der DAX unter oder über dem Strikebetrag liegt, da im letzteren Fall sich der Wert des
Optionsscheins allein aus seinem inneren Wert ergibt, geht fehl. Dies hat der Sachverständige auf Seite 3
seines Gutachtens vom 02.06.2014 überzeugend dargelegt. Bereits in seinem Gutachten vom 10.07.2013
(dort auf Seite 2) hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass die Black und Scholes Formel nicht nur
bei einer positiven Restlaufzeit (T > 0) den korrekten Wert der Option wiedergebe, sondern auch bei einer
Laufzeit von Null (gegen Null konvergierend) funktioniere. Sie sei so konzipiert worden, dass bei einer
Restlaufzeit von Null der korrekte, erwartete innere Wert als Ergebnis ausgegeben werde - mit anderen
Worten: mit einer Laufzeit T = 0 bekomme man den Tilgungswert der Option. Der Sachverständige legte mit
einer Grenzwertberechnung dar, dass die Black und Scholes Formel mit abnehmender Restlaufzeit gegen
den inneren Wert der Option konvergiere. Einwendungen gegen die Richtigkeit dieser Berechnung wurden
nicht erhoben.
89
Die Streithelferin legt im Schriftsatz vom 17.09.2010 hinsichtlich des Zustandekommens der
Optionsscheinpreise am 14.08.2015 dar, zu welchen Ergebnissen die Black und Scholes Formel bei einer
fehlerhaften Laufzeit von Null kommt. Liegt der DAX (z. B. 3.630) über dem Strike von 3.600, so kann aus
dem Umstand, dass sich der Preis des Optionsscheins (30) aus dem inneren Wert ergibt, also letztlich
einfach zu errechnen ist, nicht geschlossen werden, dass die Streithelferin in diesem Fall immer oder auch
nur am 14.08.2002 die Black und Scholes Formel nicht angewendet hätte. Auf die überzeugenden
Ausführungen des Sachverständigen im Gutachten vom 02.06.2014 (Seite 3 f.) wird hingewiesen. Die
vereinfachte Formel, auf die der Kläger rekurriert, stellt lediglich beispielhaft dar, was für den Fall gilt, dass
die Restlaufzeit nicht berücksichtigt wird.
90
Soweit der Kläger darüber hinaus die Einvernahme des Sachverständigen Prof. Dr. A. zum Beweis der
Tatsache beantragt hat, dass der hier streitgegenständliche gekaufte Optionsschein einen Wert von 0,025 €
besessen hat, war dem Beweisantrag nicht nachzukommen, da dies bereits Gegenstand der Begutachtung
durch den Sachverständigen F. ist und die Voraussetzungen des § 412 Abs. 1 ZPO (vgl. hierzu im
Einzelnen Zöller/Greger ZPO 29. Aufl. § 412 Rn. 2) nicht vorliegen. Der Senat hat keinen Anlass an der
Fachkunde des Sachverständigen zu zweifeln. Dieser ist sowohl von seiner Ausbildung (abgeschlossenes
Mathematikstudium) als auch seiner 18jährigen praktischen Erfahrung als Wertpapierhändler (als solcher ist
er nach eigenen Angaben oft im sogenannten Chefhändlerverfahren tätig, das zur Feststellung eines
gerechten Preises in Mistrade-Fällen durchgeführt wird) sowie aufgrund seiner Vortragstätigkeit zu den
Themen Finanzmathematik, Statistik, Derivate, insbesondere Black and Scholes, in besonderem Maße
geeignet zur Beantwortung der Beweisfragen.
91
(4) Hinsichtlich der Bestimmung der Volatilität hat der Sachverständige schlüssige und für den Senat
nachvollziehbare Ausführungen gemacht.
92
Er gab im Beweisaufnahmetermin am 24.04.2012 an, der zweite Parameter (neben dem DAX) für die
Bewegung (richtig: Bewertung) von Optionen sei die Volatilität. Diese könne man im Terminmarkt ablesen.
Insoweit verwies er auf Seite 11 der von ihm übergebenen Unterlagen. Anhand der Optionspreise, die an
der Terminbörse gehandelt werden, könne man Rückschlüsse über die Volatilität ziehen (implizite
Volatilität). Diese erkenne man auf Seite 12 der von ihm übergebenen Unterlagen. Der Sachverständige
vertrat die Auffassung, dass die in den Akten diskutierte Volatilität von 35% nicht marktgerecht sei. Die
Volatilität habe an diesem Tag bei ca. 70% gelegen. Er fügte an, die Streithelferin habe nicht über die auf
Seite 12 aufgelisteten Werte verfügen können, sondern nur über die auf Seite 13 aufgelisteten Werte vom
Vortag. Dort sei der gesamte Tag mit allen ausgeführten Trades dargestellt. Die Volatilitätswerte hätten
zwischen 60 und 70% gelegen. Auf Seite 15 schätze er die Volatilität für den betroffenen Zeitraum bis 09.08
Uhr zwischen 60 und 80%; ab 09.08 Uhr, also nach Eröffnung der Optionsbörse könne man die Werte
ablesen und zwar beispielsweise von Bild 12 (Seite 12 der von ihm übergebenen Anlage).
93
Hierbei steht die Volatilität im Zusammenspiel mit der Restlaufzeit. Der Sachverständige hat im Gutachten
vom 10.07.2013 (Seite 11) ausgeführt, dass die Volatilität in der Black und Scholes Formel nur an Stellen
vorkomme, wo sie mit der Laufzeit (besser gesagt der Wurzel aus der Laufzeit) multipliziert werde (s. hierzu
auch Gutachten vom 10.07.2013, Seite 13: Die Laufzeit bestimmt im Zusammenspiel mit der Volatilität die
Standardabweichung des normalverteilten Zufallsprozesses und beantwortet die Frage nach der Streuung:
„Wo steht der DAX wahrscheinlich am Verfall?“). Im Gutachten vom 02.06.2014 (Seite 11) hat der
Sachverständige zur Ermittlung der Volatilität weitere Ausführungen gemacht, danach sei es marktüblich,
die Volatilität einer zu bewertenden Option aus dem Derivatemarkt abzulesen, wobei unterschiedliche
Laufzeiten durch Inter- oder Extrapolation berücksichtigt werden können. Letztlich führt die Annahme einer
größeren Volatilität bei gleicher Restlaufzeit zu einer größeren Streuung und damit zu einem höheren
Optionspreis (vgl. Gutachten vom 10.07.201, Seite 14).
94
Der Kläger meint zwar, sowohl die Streithelferin (Volatilität 35%) als auch der Sachverständige (Volatilität
rund 70%) gingen von einem zu hohen Wert für den 14.08.2002 aus. Durchgreifende sachliche
Einwendungen werden aber - abgesehen vom Vorwurf des unrichtigen, vom Sachverständigen
handschriftlich korrigierten Datums auf Blatt 11 der übergebenen Anlagen zum Protokoll vom 24.04.2012,
der sich aber als unzutreffend erwiesen hat (s. hierzu Senatsbeschluss vom 12.12.2012 über die
Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs des Klägers gegen den Sachverständigen) - nicht erhoben, zumal
der Wert für die Volatilität aus Sicht des Klägers durchaus ambivalent ist. Der von ihm unter
Zugrundelegung des Schreibens der Streithelferin vom 14.08.2002 (Anl. K 14) für 9.27 Uhr beanspruchte
Kurs von 0,40 € ist bei einem DAX-Stand von 3.631,50 (und damit einer Überschreitung des inneren Werts
um 8,50 Punkten) angesichts der geringen Restlaufzeit nur bei einem entsprechend hohen Volatilitätswert
erreichbar, da dieser sich wiederum auf den Zeitwert des Optionsscheins auswirkt. Hiermit in Einklang steht
die Berechnung auf Blatt 15 der zum Protokoll vom 24.04.2012 übergebenen Anlagen des
Sachverständigen; dort wird für 09:35:15 Uhr ein Kurs von 0,45 € unter Zugrundelegung einer Volatilität von
60 bis 70% errechnet.
95
Die Einwendung des Klägers, die Black und Scholes Formel berücksichtige nicht die subjektiven und
unterschiedlichen Einschätzungen der Volatilität, kann als wahr unterstellt werden. Der Kläger weist
insoweit zutreffend darauf hin, dass der Sachverständige ausführte, dass „wir“ (gemeint ist die Streithelferin
einerseits und der Sachverständige andererseits) unterschiedliche Maßstäbe verwendeten (Protokoll vom
24.04.2012, Seite 15). Daraus und auch aus den folgenden Erklärungen des Sachverständigen ergibt sich,
dass die Volatilität auf der Einschätzung der Emittentin beruht. Die im Schriftsatz vom 17.09.2010 (Seite 4 =
Bl. 529 d. A.) dargestellte Formel zeigt, dass dort ein vorher von der Emittentin festgelegter Wert für die
Volatilität (im konkreten Fall waren dies 35%) in die Formel eingesetzt wurde. Die Berechnung des
Optionsscheinpreises anhand der Formel geht somit von einem festen Wert der Volatilität aus, so dass das
Ergebnis insoweit von der subjektiven Einschätzung der Emittentin (also der Streithelferin) abhängt.
96
Auch in seiner Stellungnahme im Gutachten vom 10.07.2013 (Seite 16) weist der Sachverständige darauf
hin, dass sich die subjektiven und objektiven Einschätzungen der Volatilitäten im Optionsmarkt in Form von
unterschiedlichen Optionspreisen wiederspiegeln, dass im Optionsmarkt wie im Aktienmarkt Preise durch
Angebot und Nachfrage entstehen.
97
In diesem Zusammenhang beanstandet der Kläger, dass es sich bei dem streitgegenständlichen
Optionsscheinmarkt um einen reinen Emittentenmarkt handele, der dem Emittenten - hier der Streithelferin eine Art Monopol-Stellung gewähre, da der Handel nicht auf einem Marktplatz mit verschiedenen
Marktteilnehmern stattfinde, sondern ausschließlich mit dem Emittenten selbst geführt werde. Dieser
bestimme nach eigenem Gutdünken einen ihm beliebigen Preis. Die Streithelferin lege individuell und in
eigener Verantwortung intern in einem eigenen System einen Kurs fest. Die Ausgestaltung dieses eigenen
Systems liege in der eigenen Verantwortung des Emittenten. Nur in diesem eigenen System bestehe die
Möglichkeit der manuellen Eingabe von Parametern, die dann wiederum auf die Kursbildung Einfluss haben
könnten. Den so festgelegten Kurs gebe die Streithelferin sodann in das Handelssystem ein.
98
Dieser Einwand ist jedoch unbehelflich. Zu einem Schadenersatzanspruch kann er schon deshalb nicht
führen, weil das, was der Kläger der Streithelferin vorwirft, charakteristisch für das Optionsscheingeschäft
ist, welches er bewusst und gewollt einging und in dem er seit mehreren Jahren vor dem
streitgegenständlichen Ankauf erfahren ist. Im Konto-/Depoteröffnungsantrag vom 22.08.1998 (Anl. B 01)
bezeichnete er seine „Anlageerfahrung in Optionsgeschäften“ als „umfassend“. Der Kläger gab außerdem
bei seiner Anhörung (s. Protokoll vom 08.03.2010, Seite 2 = Bl. 446 d. A.) an, dass er sich vor den
streitgegenständlichen Wertpapiergeschäften im Optionsscheinhandel schon seit etwa 1999 betätigt habe.
Teilweise habe er derlei Geschäfte zwei- bis dreimal am Tag getätigt, manchmal aber auch nur einmal im
Monat. Es sei um Wertpapiergeschäfte mit kleineren Beträgen mit ca. wenigen tausend DM bis hin zu
fünfstelligen Beträgen gegangen. Damals sei er als wissenschaftlicher Assistent in der volkswirtschaftlichen
Abteilung einer Universität angestellt gewesen. Nunmehr sei er Angestellter bei einer Bank, nämlich der C.
und berate Privatkunden auch in Wertpapierbereichen.
99
(5) Unter Zugrundelegung der vom Sachverständigen F. zutreffend ermittelten Parameter und der
Anwendung der Black und Scholes Formel ergeben sich somit die in der Blatt 16 der Anlage zum Protokoll
vom 24.04.2012 (= Bl. 765 d. A.) genannten „fairen“ Preise für den streitgegenständlichen Optionsschein:
100
Für 08:56:51 Uhr, dem Zeitpunkt des Referenzgeschäfts, weist diese Tabelle eine Preisspanne von 0,18 bis
0,71 € auf. Um 09:03:16 Uhr beträgt diese 0,18 bis 0,58 € und um 09:04:45 Uhr 0,18 bis 0,41 €. Im
Zeitraum von 9:05:55 Uhr bis 9:08:55 Uhr lagen die fairen Preisspannen zwischen 0,18 €/0,36 € und
0,23/0,28 €.
101
Der von der Streithelferin herangezogene Referenzpreis von 0,30 € liegt somit innerhalb der vom
Sachverständigen für diesen als zutreffend errechneten Spanne von 0,18 bis 0,71 €. Auch wenn man nur
den unteren Wert von 0,18 € heranziehen würde, wäre die Abweichung zum Kaufkurs weit mehr als 10%.
Dieser der Mistraderegelung entsprechende Vergleich mit dem Referenzpreis zeigt, dass zu den
Kaufzeitpunkten des Klägers marktferne Preise von 0,025 € im Handelssystem eingestellt waren. Selbst
wenn man berücksichtigt, dass auch der Referenzpreis von 0,30 € mit dem Laufzeitfehler (s. sogleich unter
ee) behaftet war, führt dies zu keinem anderen Ergebnis, wie sich aus den oben genannten Werten, die auf
den Berechnungen des Sachverständigen beruhen, ergibt.
102
ee) Die hiergegen erhobenen Einwendungen des Klägers sind unbehelflich. Er bringt vor, der Optionsschein
hätte zwischen 09:05:55 und 9:08:55 Uhr keinen Zeitwert aufgewiesen. Er nimmt insoweit Bezug auf eine
schriftliche Stellungnahme des D. (Geschäftsleiter v.net e.K.) vom 22.05.2012, wonach bei Unterschreiten
des DAX-Wertes unter 3.600 Punkte der innere Wert Null betrage, und zwar unabhängig von Restlaufzeit,
Bezugsverhältnis und rechtlicher Ausgestaltung des Optionsrechts. Der Kläger übersieht hierbei jedoch,
dass sich der Wert eines Optionsscheins zusammensetzt aus dem inneren Wert, der in der Tat bei einem
Underlying Null beträgt, und dem Zeitwert. Der innere Wert gibt den Geldbetrag an, der bei der Ausübung
des Optionsrechtes realisiert werden kann. Der innere Wert entspricht also der Differenz zwischen dem
aktuellen Kurs des Basiswerts an der Börse und dem Basispreis des Optionsscheins. Ein weiterer Faktor,
der bei der Preisbildung eines Optionsscheins eine Rolle spielt, ist der Zeitwert. Der Zeitwert entspricht der
Differenz zwischen dem Optionsscheinpreis und seinem inneren Wert. Der Zeitwert ist der Anteil des
Optionsscheinpreises, der nicht durch den inneren Wert abgedeckt wird. Daraus folgt, dass Optionsscheine,
die aus dem Geld notieren, bei denen also der Börsenwert unter dem Basispreis (Strike) liegt, grundsätzlich
nicht völlig wertlos sind. Der Schein besitzt dann zwar einen inneren Wert von Null, der Anleger bekommt
den Optionsschein allerdings nicht geschenkt. Der Faktor Zeitwert wird bestimmt von der Restlaufzeit,
Zinssatz, aktuellem Kurs des Basiswerts, der Volatilität des Basiswerts sowie der Höhe der Dividende. Der
Zeitwert unterliegt einem zunehmenden Wertverfall. Je mehr sich der Optionsschein dem Laufzeitende
nähert, umso stärker schrumpft der Zeitwert. Mit der Annäherung an das Laufzeitende nimmt auch die
Wahrscheinlichkeit ab, dass es zu einer günstigen Entwicklung des Basistitels kommt. Eine Abnahme des
Zeitwerts kann nur durch eine Kurssteigerung ausgeglichen werden. Am Laufzeitende ist der Zeitwert
aufgebraucht. Der Wert eines Optionsscheins errechnet sich dann nur noch durch den inneren Wert.
103
Der Kläger beruft sich zum Beleg seiner Ansicht, am Verfallstag werde der Optionspreis (allein) nach dem
inneren Wert der Option ermittelt, auf Uszczapowski (Optionen und Futures, 5. Aufl., S. 115; Anl. KB 1).
Dort wird ausgeführt, am Verfallstag bestehe keine Unsicherheit mehr über die Kursentwicklung der
zugrunde liegenden Aktie, so dass die Einrechnung einer Versicherungsprämie in den Optionspreis nicht
mehr gerechtfertigt sei, und es entfalle ebenfalls die Bindung des ansonsten zinsbringend anlegbaren
Geldes des Stillhalters in der Aktie, so dass sich der Gesamtwert der Option auf den inneren Wert, d. h. die
Differenz zwischen aktuellem Aktienkurs und Ausübungspreis der Option reduziere (Optionspreis am
Verfallstag = innerer Wert der Option).
104
Die von der zitierten Literaturstelle aufgestellte Prämisse, dass am Verfallstag keine Unsicherheit mehr über
die Kursentwicklung der zugrunde liegenden Aktie bestehe, trifft beim vorliegenden Optionsschein für den
Zeitpunkt der klägerischen Kaufgeschäfte gerade nicht zu, da der Kläger ja gerade mit einem Steigen der
Aktienkurse (hier des DAX-Index) bis zum Verfallszeitpunkt spekulierte, um damit einen Gewinn zu erzielen.
Hätte der Kläger im Zeitraum seiner Ankäufe nicht erwartet, dass der DAX bis zum Verfallszeitpunkt noch
die Grenze von 3.600 Punkten (Strikebetrag des Optionsscheins) überschreiten würde, hätte er auch für
diesen geringen Betrag die streitgegenständlichen Optionsscheine nicht gekauft. Die Kursentwicklung der
im DAX befindlichen Aktien war somit zwischen 09:05 und 09:08 Uhr noch nicht abgeschlossen. Im Übrigen
scheint dies auch der Kläger anzuerkennen, der im Schriftsatz vom 21.05.2012 in anderem Zusammenhang
darauf hinweist, dass es Optionsscheine mit nur einem einzigen Tag Laufzeit gebe, wobei auch hier die
Laufzeit bzw. die Zeit der Handelbarkeit wertbestimmend seien. Weiterhin führt er dort (Seite 9) aus, dass
der Zeitwert mit abnehmender Restlaufzeit sinken und am Ende der Laufzeit (bei Fälligkeit des
Optionsscheins) null betragen werde.
105
Dass ein Wert des Optionsscheins von 0,00 € (der vom System der Streithelferin als 0,025 € dargestellt
wurde) in dem genannten Zeitraum völlig unrealistisch war, ergibt sich auch aus der nachvollziehbaren und
schlüssigen Aussage des Zeugen S. am 24.04.2012. Dieser bekundete, als die streitgegenständlichen
Wertpapiergeschäfte getätigt worden seien, sei die Indikation unter dem Strike von 3.600 gelegen, d. h. der
innere Wert des Papiers sei Null gewesen, der Zeitwert sei nicht gerechnet worden. Sobald das Underlying
bei einem Call-Optionsschein unter dem Strike notiere, bestehe der Wert der Option lediglich aus einem
Zeitwert. Der Fehler sei gewesen, dass dieser Zeitwert vom System der Streithelferin nicht gerechnet
worden sei. Dies habe dazu geführt, dass der theoretische Preis des Produkts Null gewesen sei und der
Minimumverkaufspreis von 2,5 Cent angesetzt worden sei, was offensichtlich falsch gewesen sei, weil der
Zeitwert höher gewesen sei. Der Zeitwert sei bei einem DAX von 3.590 etwa 25 bis 30 Cent. Ein
realistischer Zeitwert von 2,5 Cent wäre nur dann anzunehmen, wenn der Ausübungsstrike wesentlich
höher wäre, etwa 3.700 oder 3.900.
106
Anders ausgedrückt stellt es sich aus Sicht des Senats so dar, dass bei einer nur geringfügigen
Unterschreitung des Strikebetrages (von hier 3.600) durch den tatsächlichen DAX-Stand (von hier um
3.590) auch am Verfallstag kurz vor Handelsschluss der Zeitwert nie nahe Null betragen kann, weil immer
noch realistische Chancen auf einen kurzfristigen Anstieg des DAX bestehen. Anders wäre es, wenn die
Unterschreitung rund 100 oder gar 300 Punkte betragen würde. Indiz für die Schlüssigkeit dieser Annahme
ist in der Rückschau auch der Umstand, dass der DAX innerhalb von nicht einmal einer halben Stunde
tatsächlich wieder über 3.600 Punkte gestiegen ist, was zu einem vom Kläger vorgetragenen und von der
Streithelferin bestätigten Kurs der Optionsscheine von 0,40 € (bis 0,42 €) gegen 09:30 Uhr geführt hat, der
nach Mitteilung der Streithelferin im Schreiben vom 14.08.2002 (Anl. K 14) unter Heranziehung des ersten
Kurses des DAX-Futures Stand 9.30 Uhr (3.631,50 Punkte, Quelle Blomberg) festgestellt worden sei.
107
ff) Die Streithelferin hat unverzüglich im Sinne der § 5 Abs. 1 und 2 der Mistraderegelung die Aufhebung
verlangt.
108
(1) Der Mitarbeiter der Streithelferin, S., teilte dem Mitarbeiter der Beklagten, T., am 14.08.2002, 09:22 Uhr,
telefonisch mit, dass die Streithelferin die (streitgegenständlichen) Optionsscheine aufgrund eines
technischen Fehlers als wertlos verkauft habe, obwohl diese einen Wert gehabt hätten. Die von beiden
Parteien als zutreffend angesehene (s. Erklärung im Protokoll vom 28.11.2006, Seite 3 = Bl. 192 d. A.)
schriftliche Wiedergabe der Telefonaufzeichnung (Anl. B 14) enthält diesbezüglich unter anderem folgende
Äußerungen:
„…und zwar haben wir eben grad zwei Mistrades gemacht, in ein oder zumindest von Ihnen bei uns und
deswegen rufe ich eigentlich an, weil wir Scheine? wertlos verkauft haben, die aber einen Wert haben, war
hier ein technischer Fehler …“
109
„jetzt sag ich das sind alles Geschäfte zu 0,025 als 2 1/2 Eurocent …“
110
„… und der echte Preist da ist 30 cent ä 33 cent, Entschuldigung, und aufgrund von technischen Fehlern
waren die Teile (?) wertlos und da wir ja einen Wert haben von 2 cent, 2 ½ cent ähm 2½ cent offeriert
haben, weil der Wert ja wertlos ist, das war ein technischer Fehler, das ist ein offensichtlicher Fehler. Dabei
wars um 70% also von 2 ½ bis 33 cent“.
111
„die sind gehandelt worden zwischen 9:07 und 9:08, also in einer Minute alles abgenommen, es war also
ein klarer Fehler …“
112
Diese Angaben reichen für eine plausible Darlegung eines Mistrades aus. Eine nähere Umschreibung der
Fehlerursache durch den Mitarbeiter der Streithelferin war zum Zeitpunkt des Telefonats weder gefordert
noch möglich.
113
(2) Die vom Kläger in Betracht gezogene Regelung in § 5 Abs. 2 Satz 3 des Vertrages ist nicht einschlägig.
Danach ist die Nachricht an die dem Vertragspartner zu diesem Zweck gesondert bekanntgegebene Stelle
der Bank („Handels-Hotline“) zu richten. Wie sich aus dem Gesamtzusammenhang des genannten
Vertrages ergibt, ist mit „Bank“ die Streithelferin und mit „Vertragspartner“ die Beklagte gemeint. Satz 3
betrifft sonach Fälle, in denen die Beklagte gegenüber der Streithelferin ein Aufhebungsverlangen
übermittelt. Unabhängig hiervon dient die Regelung über die Empfangszuständigkeit eines
Aufhebungsverlangens in erster Linie dem Interesse des Nachrichtenempfängers daran, die infolge des
„gegnerischen“ Aufhebungsverlangens erforderlichen weiteren Schritte einzuleiten, um etwa wiederum
seinen Vertragspartner über den Mistrade informieren zu können. Dieser Schutzzweck ist vorliegend nicht
beeinträchtigt worden, da die Beklagte ihrerseits in die Lage versetzt wurde, den Kläger zu benachrichtigen,
was sie auch tat. Die zwischen der Beklagten und der Streithelferin getroffene Regelung in Satz 3 ist jedoch
nicht drittschützend in dem Sinne, dass sich der Kläger auf einen formellen Verstoß (der wie aufgezeigt
überhaupt nicht vorliegt) berufen könnte, ohne dass ein solcher Verstoß zu irgendwelchen
beeinträchtigenden Folgen geführt hätte.
114
gg) Wegen des marktfernen Preises war die Streithelferin berechtigt, die streitgegenständlichen
Wertpapierkaufverträge aufzuheben, da das zwischen der Streithelferin und der Beklagten abgeschlossene
Geschäft aufgrund eines Fehlers im Handelssystem der Bank oder in den technischen Systemen der Bank
oder des Vertragspartners oder aufgrund eines Irrtums auf Seiten der Bank oder des Vertragspartners (z. B.
durch Vertippen) bei der Eingabe eines Geld- oder Briefkurses in das Handelssystem zustande gekommen
ist (vgl. § 5 Abs. 1 der Mistraderegelung).
115
Der Kläger beanstandet, die Bildung eines nicht marktgerechten Preises im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 der
Mistraderegeln sei weder ausreichend dargelegt noch nachgewiesen. Er bezieht sich insoweit auf einen
wechselnden Sachvortrag seitens der Beklagten und der Streithelferin und meint, die dennoch erfolgte
Beweisaufnahme stelle einen Ausforschungsbeweis dar.
116
(1) Der Senat teilt diese Einwendungen nicht. Allerdings war der Sachvortrag der Beklagten und der
Streithelferin zum Vorliegen eines Fehlers § 5 Abs. 1 der Mistraderegelung zunächst unklar und teilweise
widersprüchlich.
117
(1.1.) Die Beklagte hat erstinstanzlich in der Klageerwiderung (Seite 7) vorgetragen, nach Angaben der
Streithelferin sei Ursache des Mistrades eine falsche Preisstellung gewesen, der wiederum eine fehlerhafte
manuelle Eingabe des Parameters für die Volatilität am 14.08.2002 um 9.00 Uhr zugrunde gelegen habe.
Dies habe dazu geführt, dass der Preis des Optionsscheins sich von 0,28 € auf 0,025 € reduziert habe.
118
Diesem Vorbringen lagen offenbar Ausführungen der Streithelferin entsprechend ihrem vorgerichtlichen, an
den Kläger gerichteten Schreiben vom 23.09.2002 (Anl. K 24) zugrunde, die die Beklagte jedoch
unzutreffend interpretiert hat. Dort teilte die Streithelferin folgendes mit:
„Unter dem Begriff „Handelssystem“ ist nach der Präambel dieses Vertrages das elektronische
Wertpapierhandelssystem „citi CATS-OS“ zu verstehen. Der Begriff umfasst sämtliche Komponenten dieser
programmierfähigen Einrichtung, in denen Angebot und Nachfrage in handelbaren Gegenständen mit dem
Ziel dargestellt werden, Vertragsabschlüsse zu ermöglichen (...).
119
Das Preiskalkulationsmodul für Optionsscheine der Y AG ist ein integraler Bestandteil dieses
Handelssystems, da hierdurch die jeweiligen Preisfeststellungen unmittelbar in das Handelssystem
eingespeist werden.
120
Das Berechnungsmodul ist infolge der manuellen Eingabe des Parameters für die Volatilität des CallOptionsscheines WKN 681 820 (...) am 14. August 2002 gegen 9.00 Uhr, von dem vorher angezeigten Preis
von 0,28 Euro auf den niedrigsten möglichen Verkaufspreis, nämlich die ausgewiesenen 0,025 Euro
gesprungen. Grund hierfür ist eine mit der genannten Eingabe verbundene Zurücksetzung aller von dem
Berechnungsmodul verwendeten Werte. Das Modul hat folglich nicht mehr den noch am Verfallstag
verbliebenen Zeitwert des Optionsscheins bei der Preisfeststellung berücksichtigen können und einen
offensichtlich falschen - weil viel zu niedrigen - Preis ausgewiesen. Dieser Fehler ist unverzüglich nach
Erkennen kurze Zeit später, gegen 9.10 Uhr, wiederum manuell korrigiert worden.“
121
(1.2.) Die Streithelferin gab erstinstanzlich im Schriftsatz vom 31.03.2006 (dort S. 1 f.) an, da von der
Beklagtem aufgrund der besonderen Sachverhaltskonstellation kein weitergehender Vortrag erfolgen könne,
habe sie - die Streithelferin - den gesamten Vorgang nochmals einer Überprüfung unterzogen. Sie
verwende seit dem Jahr 2000 das automatische Preisberechnungssystem „Xavex-OnlineTM“ („XOL“) für
von ihr emittierte Optionsscheine und Zertifikate. Hierbei handele es sich um ein internes
Preisberechnungssystem der Streithelferin im Sinne eines „technischen Systems der Bank“ nach § 5 Abs. 1
Satz 2, 2. Alt. der Mistraderegelung. Über dieses System sei auch die Preisstellung für die
streitgegenständlichen Optionsscheine am 14.08.2002 erfolgt. Die Preisstellung erfolge nicht über das
Handelssystem „citi CATS-OS“, welches im Vertrag vom 23.11.2001 nachfolgend als „Handelssystem“
benannt werde. Das Handelssystem „citi CATS-OS“ bilde insofern nur die elektronische Schnittstelle
zwischen den jeweiligen internen technischen Systemen der Streithelferin und der Beklagten zum
Abschluss der Wertpapiergeschäfte (s. a. §§ 1, 2 des Vertrages).
122
In das System „XOL“ der Streithelferin sei die Eingabe des Parameters für die Volatilität damals immer
manuell erfolgt, während die übrigen Parameter, die für die Berechnung nach der Formel von Black/Scholes
erforderlich seien, vom System „XOL“ automatisch für die Preisstellung herangezogen würden.
123
Im vorliegenden Fall sei für die Kursstellung der streitgegenständlichen Optionsscheine am 14.08.2002 der
zutreffend ermittelte Wert für den Parameter „Volatilität“ manuell in das System „XOL“ vor Handelsbeginn
eingegeben worden. Aufgrund eines Fehlers im System „XOL“ am 14.08.2002 sei dieser Wert für den
Parameter „Volatilität“ vom System jedoch nicht aufgegriffen und somit in der nachfolgenden Preisbildung
auch nicht berücksichtigt worden.
124
(1.3.) In der Berufungserwiderung (Seite 8 oben) geht die Beklagte zunächst weiter von ihrem
erstinstanzlichen Vortrag (fehlerhafte Eingabe des Parameters für die Volatilität) aus, übernimmt aber dann
die Behauptung der Streithelferin, dass das System XOL den manuell eingegebenen Wert für die Volatilität
nicht übernommen und in die Preisbildung eingerechnet habe. Damit stehe im Ergebnis fest, dass die
Volatilität falsch gebildet worden sei. Es handele sich auch um einen technischen Fehler, der eben darin
liege, dass das System XOL ein manuell eingegebenes Datum (Wert der Volatilität) in der Formel nicht
berücksichtigt („... vom System nicht aufgegriffen ...“) habe (Anm.: (Hervorhebungen durch Senat).
125
(1.4.) Dieser vom Vortrag der Streithelferin zunächst völlig, dann teilweise abweichende Vortrag der
Beklagten zur Fehlerursache veranlasste den Senat mit Aufklärungsbeschluss vom 01.07.2010, die
Beklagte sowie die Streithelferin um Klarstellung zu bitten, ob nunmehr der Parameter für die Volatilität
manuell falsch eingegeben worden (mit der Folge, dass das System zwar richtig gerechnet hat, aber
folgerichtig zu einem falschen Ergebnis gekommen ist) oder - bei richtiger manueller Eingabe - ein
Systemfehler vorgelegen habe (mit der Folge eines falschen Ergebnisses), oder ob die falsche manuelle
Eingabe zu einem technischen Fehler geführt habe?
126
(1.5.) Daraufhin teilte die Streithelferin im Schriftsatz vom 17.09.2010 (sowie auf weitere Nachfragen des
Senats gemäß Verfügung vom 12.11.2010 ergänzend im Schriftsatz vom 09.12.2010) unter anderem
folgendes mit:
Zu der fehlerhaften Preiseinstellung in das Wertpapierhandelssystem sei es gekommen, nachdem das
Berechnungsmodul infolge des manuellen Umstellens auf den tatsächlichen DAX-Wert am 14.08.2002 nach
9.00 Uhr von dem vorher im Handelssystem angezeigten Preis von 0,28 € auf den Preis von 0,025 €
gesprungen sei. Aufgrund eines Fehlers im System XOL am 14.08.2002 sei der Wert für den Parameter
„Volatilität“ vom System nicht aufgegriffen und somit in der nachfolgenden Preisbildung auch nicht
berücksichtigt worden. Der Fehler habe darin gelegen, dass die durch eine Nichtberücksichtigung der
Restlaufzeit begründete Nichteinbeziehung des richtigen Wertes für die Volatilität dazu geführt habe, dass
die Volatilität mit „Null“ angesetzt worden sei [dies habe zu keinem sinnvollen Ergebnis geführt („Null“ im
Nenner der Black und Scholes Formel)] und ein Preis des Optionsscheins von 0,00 € berechnet worden sei.
Aufgrund einer technischen Barriere werde bei den Systemen der Streithelferin niemals für Kauforders der
Wert 0,00 € ausgewiesen, sondern als überhaupt niedrigster Wert 0,025 € als Preis festgesetzt.
127
Im Schriftsatz vom 09.12.2010, Seite 2 ff., ergänzt sie dieses Vorbringen dahingehend, dass nur ein
technischer Fehler vorgelegen sei, der im Berechnungsmodul aufgetreten sei. Dieses sei Bestandteil des
Handelssystems XOL, welches auch ein technisches System darstelle. Eine exakte Differenzierung
zwischen den beiden Varianten „Fehler im Handelssystem“ und „Fehler in den technischen Systemen“ sei
insoweit nicht möglich und auch nicht erforderlich, da beide Varianten ineinander greifen. Ein elektronisches
Handelssystem wie XOL stelle immer auch zugleich ein technisches System dar und umfasse somit auch
die technischen Einzelkomponenten wie vorliegend das Berechnungsmodul für die Restlaufzeit. Allerdings
könne nicht angegeben werden, welcher einzelne Mikroprozessor oder Algorithmus versagt habe.
128
Dieses Berechnungsmodul berechne die Restlaufzeit „T“ der Optionsscheine und habe am 14.08.2002
fehlerhaft diese mit „Null“ berechnet bzw. angenommen. Dieser Fehler habe sich dann in der
Gesamtgleichung fortgesetzt, wobei jeweils im Nenner das Produkt aus Volatilität und Wurzel T gebildet
werde.
129
Die fehlerhafte Preiseinstellung sei nur die Folge des Fehlers aus dem Berechnungsmodul. Der Fehler sei
immer dann ohne Relevanz für eine marktgerechte Preisbildung geblieben, wenn der anzunehmende DAXWert über dem Strike-Wert von 3.600 Punkten lag und dadurch nur der innere Wert der Optionsscheine für
die Preisbildung relevant gewesen sei (Schriftsatz vom 09.12.2010, Seite 6 f.).
130
Der Fehler habe den ganzen Tag gedauert. Zwischen 09:08:55 Uhr und 09:36:16 Uhr sei das System XOL
abgeschaltet und für die beiden in der Auflistung letztgenannten Geschäfte um 09:35:16 Uhr und um
10:01:43 Uhr habe nur noch ein telefonischer Handel stattgefunden, was auch an den Abkürzungen
„rohemi“ und „reinuw“ in der Auflistung erkennbar sei. Das Verkaufsgeschäft um 09:35:16 Uhr sei zur
Vermeidung eines Leerverkaufs storniert worden, weil bereits das Kaufgeschäft um 09:06:35 Uhr storniert
worden war.
131
Zur sich daraus ergebenden Frage, warum an diesem Tag während der Dauer des technischen Fehlers mit
der Restlaufzeit „null“ nicht alle Werte 0,025 € betragen haben, führte die Streithelferin aus, dass dann,
wenn der Strike-Betrag des Optionsscheins (X = 3.600 Punkte) überschritten werde, sich der
Restlaufzeitfehler nicht mehr mit dem Gesamtergebnis „null“ auswirke, sondern das gesamte
Berechnungssystem auf den inneren Wert des Optionsscheins abstelle.
132
Für die beiden Geschäfte um 08:08:22 Uhr und 08:09:09 Uhr sei der DAX-Wert auf der Basis des
Marktgeschehens unter dem Strike-Betrages berechnet worden (welcher genaue DAX-Wert sei nicht mehr
feststellbar). Hier wirke sich der Fehler in dem Berechnungsmodul aus mit der Restlaufzeit „null“ und damit
im Gesamtergebnis von 0,025 € = wertlos aus.
133
Um 08:56:51 Uhr sei der DAX-Wert mit 3.630 Punkten berechnet worden, da sich ein steigender Markt
angedeutet habe. In diesem Fall stelle das gesamte System auf den inneren Wert des Optionsscheins ab.
Der Kurs errechnete sich auf Basis des inneren Wertes in Höhe von 0,30 €.
134
Ebenso verhalte es sich bei den Verkaufsgeschäften um 09:03:15 Uhr und 09:04:55 Uhr, wobei die
Streithelferin bis etwa fünf Minuten nach Börsenöffnung der DAX-Wert auf die eigene Indikation der
Streithelferin berechnet werde, um insoweit bestehende anfängliche nicht marktgerechte Werte zu
vermeiden. Der DAX sei in beiden Fällen mit 3.628 Punkten angenommen worden. Diese beiden
Verkaufsgeschäfte seien zur Vermeidung von Leerverkäufen aufgrund der zuvor stornierten Kaufgeschäfte
um 08:08:22 und 08:09:09 Uhr storniert worden. Ab 09:05 Uhr seien die DAX-Werte der Börse übernommen
worden. Diese hätten konstant unter dem Strike-Wert von 3.600 Punkten gelegen, so dass der technische
Fehler wieder relevant geworden sei.
135
(2) Der Sachvortrag der Beklagten und deren Streithelferin zum Vorliegen eines Fehlers und dessen
Auswirkungen ist hinreichend substantiiert: Die Streithelferin trägt zuletzt vor, ihr Preisberechnungsmodul
habe am 14.08.2002 den ganzen Tag fehlerhaft die tatsächliche Restlaufzeit des streitgegenständlichen
Optionsscheins nicht berücksichtigt und diese mit dem Wert „null“ in die Black und Scholes Formel
eingestellt, was im Nenner zum Produkt der Volatilität mit der Wurzel aus „null“ und somit zu keinem
sinnvollen Rechenergebnis geführt habe, so dass ein Preis des Optionsscheins von 0,00 € berechnet
worden sei. Aufgrund einer technischen Barriere werde bei den Systemen der Streithelferin niemals für
Kauforders der Wert 0,00 € ausgewiesen, sondern als überhaupt niedrigster Wert 0,025 € als Preis
festgesetzt.
136
Diese detailliertere Erklärung der Streithelferin steht nicht im unüberbrückbaren Widerspruch zu ihrem
erstinstanzlichen Vortrag im Schriftsatz vom 31.03.2006, sondern berichtigt und ergänzt diesen lediglich
insoweit, als zunächst davon ausgegangen wurde, der Fehler sei infolge der manuellen Eingabe des Wertes
des Volatilität ab 9.00 Uhr aufgetreten, während nunmehr behauptet wird, der Fehler sei den ganzen Tag
aufgetreten und habe auch die Geschäfte vor 9.00 Uhr betroffen. Der Umstand, dass die Beklagte zunächst
behauptete, ein Eingabefehler habe vorgelegen, beruht offenbar darauf, dass sie die Informationen von der
Streithelferin bezog, selbst keinerlei Einblicke in das System der Streithelferin hatte und deren
vorgerichtliches Vorbringen missverstanden hat.
137
Der Senat übersieht hierbei nicht, dass gewisse Ungereimtheiten vorliegen. So begründet die Streithelferin
den für 09:03:16 und 09:04:55 Uhr ausgewiesenen Preis von 0,26 € mit einem DAX-Stand von 3.628, was
aber einem inneren Wert des Optionsscheins von 0,28 € entsprechen würde. Die Differenz erklärt sie damit,
dass der Preis von 0,28 € dem Briefkurs der mit einem Geldkurs von 0,26 € angezeigten Verkaufsgeschäfte
entspreche. Da eine Verkaufsorder (Anm. aus Sicht des Kunden) vorgelegen habe, sei im Handelssystem
der Geldkurs von 0,26 € bei beiden Geschäften angezeigt worden (Schriftsatz vom 09.12.2010, Seite 6).
Der Senat versteht dies dahingehend, dass die Streithelferin zwischen einem niedrigeren Ankaufs- und
einem höheren Verkaufskurs unterscheidet.
138
(3) Die Beklagte hat auch mit einer für die Überzeugungsbildung des Senats nötigen Sicherheit den
Nachweis des beschriebenen technischen Fehlers im Computersystem der Streithelferin erbracht.
139
Aus der Aussage des Zeugen S. ergibt sich zur grundsätzlichen computertechnischen Abwicklung des
Wertpapierhandels folgendes Bild: Dieser wurde zwischen der Streithelferin und der Beklagten zum
streitgegenständlichen Zeitpunkt über das Handelssystem XOL abgewickelt. Die für den Online-Handel
technisch erforderliche Internetverbindung der Computer der Streithelferin und der Beklagten wurde über
System „CATS_OS“ hergestellt; hierbei handelt es sich um ein technisches Interface zwischen
Handelsteilnehmer (= im vorliegenden Fall die Beklagte) und Emittent (= Streithelferin).
140
Wie bereits dargelegt, bekundete der Zeuge S. weiter, dass zum Zeitpunkt, als die streitgegenständlichen
Wertpapiergeschäfte getätigt worden seien, die Indikation unter dem Strike von 3.600 gelegen habe, der
innere Wert des Papiers also Null gewesen und der Zeitwert nicht gerechnet worden sei. Der Fehler sei
gewesen, dass dieser Zeitwert vom System der Streithelferin nicht gerechnet worden sei. Dies habe dazu
geführt, dass der theoretische Preis des Produkts Null gewesen und der Minimumverkaufspreis von 2,5
Cent angesetzt worden sei, was offensichtlich falsch gewesen sei, weil der Zeitwert höher gelegen habe.
Der Zeitwert sei bei einem DAX von 3.590 etwa 25 bis 30 Cent. Ein realistischer Zeitwert von 2,5 Cent wäre
nur dann anzunehmen, wenn der Ausübungsstrike wesentlich höher wäre, etwa 3.700 oder 3.900. Der
Fehler, der etwa zwischen 09.10 Uhr und 09.30 Uhr festgestellt worden sei, sei den ganzen Tag über im
System enthalten gewesen. Als der Fehler festgestellt worden sei, hätten „wir“ (gemeint die bei der
Streithelferin für den Handel zuständigen Mitarbeiter) allerdings nicht mehr automatisch handeln lassen. Die
Ursache des Fehlers hätten sie nicht feststellen können, sondern nur seine Auswirkungen. Er gab hierzu an,
die Annahme eines technischen Fehlers habe sich im konkreten Fall auf den Preis von 2,5 Cent gegründet.
141
Vor dem Landgericht hatte der Zeuge S. (Protokoll vom 28.11.2006, Seite 6), bekundet, für ihn sei die
Tatsache des Mistrades so offenkundig gewesen, dass er möglicherweise auch sofort (ohne eine
Rückmeldung der Beklagten abzuwarten, ob deren Kunde das Mistrade akzeptiert oder nicht) storniert
habe. Im Hinblick auf die Informationen, die sie als Händler gehabt hätten, sei auffällig gewesen, dass im
Verhältnis zu den vorhergegangenen Geschäften etwa 26 Cent Unterschied gewesen sei. Er und ein
Kollege hätten damals den Eindruck gehabt, dass ein technischer Fehler vorliegen müsse. Diese
ursprüngliche Vermutung habe sich später bestätigt. Diese Feststellung hätten sie getroffen, ehe er mit
Herrn T. von der Beklagten telefoniert habe. Sie hätten ihre Vermutung an die zuständige Stelle im Haus
der Streithelferin weitergegeben. Von dort sei bestätigt worden, dass ein technischer Fehler im
Computersystem, vorhanden gewesen sei. Dieser sei dann beseitigt worden.
142
Auf Vorhalt dieser Aussage erklärte der Zeuge, er wisse nicht, ob er den Fehler an die IT-Abteilung
weitergegeben habe. Er könne nur sagen, dass dieser Fehler letztlich bestätigt worden sei. Genaueres
wisse er heute (also zum Zeitpunkt seiner Vernehmung) nicht mehr. Der Fehler sei nicht mehr aufgetreten;
er wisse nicht mehr, wie er beseitigt worden sei.
143
Die Aussagen des Zeugen sind schlüssig und stehen in Einklang mit der schriftlichen Wiedergabe der
bereits oben zitierten Aufzeichnung des Telefongesprächs vom 14.08.2002, 9.22 Uhr, wonach der Zeuge S.
dem Mitarbeiter der Beklagten T. mitteilte, dass die Streithelferin die (streitgegenständlichen)
Optionsscheine aufgrund eines technischen Fehlers als wertlos verkauft habe, obwohl diese einen Wert
gehabt hätten. Es ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass der Zeuge bei seiner Vernehmung durch den
Senat am 24.04.2012 - also fast zehn Jahre nach dem Vorfall - sich an Einzelheiten nicht mehr erinnern
konnte, sondern sich ihm bis heute nur noch die Auswirkungen des Fehlers im Gedächtnis eingeprägt
haben.
144
Dass der Zeuge S. nach eigenen Angaben Betriebswirtschaft an der Fachhochschule studiert hat und
Diplomkaufmann ist, stellt seine Bekundungen ebenso wenig in Frage, wie der Umstand, dass er nicht
angeben konnte, in welchem Raum der Rechner steht und wie der Fehler beseitigt wurde, bzw. nicht
wusste, wie das Handelssystem XOL, das aus einem Softwareprogramm besteht, das auf einer
Hardwareumgebung läuft, ausgesehen hat.
145
Der Zeuge hat im Kern bekundet, dass die Annahme eines technischen Fehlers sich im konkreten Fall auf
den Preis von 2,5 Cent, also auf dessen Auswirkungen gegründet habe. Für die Überzeugung des Senats
vom Vorliegen eines technischen Fehlers genügt es, dass der Zeuge bei seiner Aussage aus dessen
Auswirkungen die entsprechenden Rückschlüsse zog. Auch der Umstand, dass der Zeuge S. noch heute
bei der Streithelferin in leitender Position beschäftigt ist und diese ein wirtschaftliches Interesse am
Ausgang des Rechtsstreits hat, weil sie eventuelle Schadensersatzleistungen der Beklagten an den Kläger
im Innenverhältnis übernehmen müsste, stellt dessen schlüssige Angaben nicht in Frage.
146
Die Frage des Klägervertreters, ob an diesem Tag eine Wartung stattgefunden habe, verneinte der Zeuge
mit der Begründung, weil sonst kein Handel möglich gewesen wäre. Er bekundete, er wisse nicht, wie oft
angebliche, vermutete technische Fehler auftreten. Börsliche Mistrades würden im Internet von den Börsen
veröffentlicht; außerbörsliche nicht. Er wisse nicht, ob die Streithelferin im Jahre 2002 für ihre EDV ein
Risikomanagement gehabt habe. Das Handelssystem XOL sei nicht in ein Risikomanagement eingebaut.
147
Die Fragen nach Wartung und Risikomanagement tragen im Übrigen zum Beweisthema nichts bei. Denn
auch ein auf Wartungsarbeiten beruhender technischer Fehler ist ein solcher im Sinne der
Mistraderegelung; gleiches gilt für einen auf einem eventuell unzureichenden Risikomanagement
beruhenden Fehler.
148
Der Sachverständige gelangte aufgrund der von ihm angestellten Preisberechnungen zum Ergebnis, dass
der von der Streithelferin eingestellte Preis marktfern war und dies offenbar auf einem Fehler beruhte, ohne
sich zur Art eines solchen Fehlers zu äußern. Er gab an, was die Ursache für diesen marktfernen Preis
anlange, erscheine ihm die Angabe der Streithelferin, es sei für die Laufzeit ein falscher Wert von Null
eingegeben, plausibel. Seine Feststellung, es könne nicht sein, dass ein Preis von 2,5 Cent in der Zeit
zwischen 08.05 Uhr, 08.08 Uhr und 09.08 Uhr nicht auf einem Fehler oder Irrtum beruhe, ist unter
Zugrundelegung der gutachterlichen Einschätzung, dass der marktgerechte Preis zum fraglichen Zeitpunkt
jedenfalls 0,18 € oder mehr betragen habe, konsequent.
149
Dass ein Fehler bei der Kursstellung von 0,025 € vorlag, ergibt sich auch aus einem Vergleich dieses
Kurses zum Kurs von 0,40 €, zu dem der Kläger um 9:27 Uhr verkaufen wollte und zum Kurs von 0,30 €, zu
dem um 10:01:43 Uhr ein Verkaufsgeschäft getätigt wurde. Derart große Kurssprünge sind durch die
dargestellte Entwicklung des DAX im Verhältnis zum Strike-Betrag von 3.600 in dem verhältnismäßig
kurzen Zeitraum, in dem die Geschäfte stattgefunden haben, nicht zu erklären.
150
Für das Vorliegen eines technischen Fehlers spricht auch, dass dieser - so der Zeuge S. - den ganzen Tag
angedauert hat und für den Rest des Tages manuell gehandelt wurde. Hätte es sich um einen
Eingabefehler gehandelt, so spricht alles dafür, dass die falsche Eingabe nachträglich hätte korrigiert
werden können.
151
Für die Überzeugungsbildung des Senats sind die dargestellten Umstände in jeder Hinsicht ausreichend.
Für das Vorliegen eines technischen Fehlers ist weder entscheidend, wo die Rechenanlage ihren
Standpunkt hatte noch welche Spezifikation das fehlerhafte Berechnungsmodul besaß, oder gar dessen
Seriennummer. Dass der Sachverständige keinen Ortstermin durchführte, liegt bei einem Fehler, der Jahre
vor der Begutachtung auftrat und längst behoben ist, auf der Hand. Computerfehler, die im Alltag auch des
Oberlandesgerichts Nürnberg sowie etwa bei den privaten Computern der unterzeichnenden Richter ständig
auftreten, haben die Eigenschaft, etwa durch einen Neustart des Systems beseitigt zu werden, ohne dass
hinterher exakt nachzuvollziehen ist, welches die genaue Ursache und wo der Ort der Entstehung war.
152
Im Übrigen wäre auch ein manueller Eingabefehler ein solcher im Sinne der Mistraderegelung. Das Gleiche
gilt etwa dann, wenn ein Mitarbeiter vergessen haben sollte, eine Volatilität einzugeben. Dies würde einen
Irrtum in Form einer irrtümlichen Nichteingabe darstellen. Denn ausreichend ist, dass der Preis aufgrund
eines Fehlers im Handelssystem der Bank oder in den technischen Systemen der Bank oder des
Vertragspartners oder aufgrund eines Irrtums auf Seiten der Bank oder des Vertragspartners (z. B. durch
Vertippen) bei der Eingabe eines Geld- oder Briefkurses in das Handelssystem zustande gekommen ist.
Diese Regel umfasst in der Tat alle erdenklich möglichen Ursachen. So würde ein Irrtum etwa nur dann
nicht vorliegen, wenn die Mitarbeiter der Streithelferin bewusst falsche Werte eingegeben hätten, was
jedoch vom Kläger nicht vorgetragen wurde und wofür auch jeglicher Anhaltspunkt fehlt.
153
Letztlich ist noch darauf hinzuweisen, dass auch der Bundesgerichtshof in diesem Bereich einen
Indizienbeweis zulässt, wenn er etwa ausführt, dass ein Irrtum der Emittentin an einer starken Abweichung
der angegebenen Kurse von den korrekten Kursen deutlich werden könne (vgl. BGH NJW-RR 2002, 1344
Rn. 27 nach juris).
III.
154
Der Kläger kann den auf Ersatz des entgangenen Gewinns gerichteten Schadensersatzanspruch nicht
darauf stützen, dass die Beklagte ihre Pflichten als Kommissionärin aus § 384 HGB verletzt hätte.
155
Als Kommissionärin war die Beklagte zum Abschluss von Wertpapiergeschäften mit der Streithelferin als
Emittentin und zur Abwicklung der Ausführungsgeschäfte verpflichtet. Sie hatte mit der Emittentin einen
Kaufvertrag über die georderten Papiere abzuschließen und den Kaufvertrag abzuwickeln, also die
Wertpapiere entgegenzunehmen und den Kaufpreis zu zahlen (§ 384 Abs. 1, Halbs. 1, Abs. 2 HGB). Hierbei
hatte sie gemäß § 384 Abs. 1, Halbs. 2 HGB die Interessen des Klägers zu wahren
156
1. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Schadensersatz wegen einer Verletzung seiner Interessen bei
(unten a) oder nach (unten b) Abschluss des Ausführungsgeschäfts zu.
157
a) Eine Pflichtverletzung käme zwar dann in Betracht, wenn die Beklagte das Ausführungsgeschäft mit der
Emittentin zu Bedingungen abgeschlossen hätte, durch die die Interessen des Klägers gemäß § 384 Abs. 1
HGB nicht ausreichend gewahrt wären. Danach ist der Kommissionär verpflichtet, das übernommene
Geschäft mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns auszuführen; er hat hierbei das Interesse des
Kommittenten wahrzunehmen und dessen Weisungen zu befolgen.
158
Ein Verstoß gegen diese Interessenswahrnehmungspflicht könnte zwar vorliegen, weil durch die zwischen
der Beklagten und der Streithelferin als Emittentin geschlossenen vertraglichen Vereinbarungen der
Streithelferin ein über die ihr gesetzlich zustehenden Anfechtungsrechte hinausgehendes einseitiges
Lösungsrecht vom bereits geschlossenen Wertpapierkaufvertrag eingeräumt wurde, ohne dass die
zwischen der Beklagten und der Streithelferin vereinbarte Mistraderegelung eine dem § 122 BGB
entsprechende Schadensersatzregelung enthält.
159
Hierauf kommt es aber letztlich nicht an, da der Kläger gerade keinen Vertrauensschaden geltend macht,
sondern einen Anspruch auf Ersatz des (entgangenen) Gewinns aus dem Ausführungsgeschäft. Ein solcher
wird von der für die Anfechtung geltenden Norm des § 122 BGB gerade nicht erfasst (vgl. BGH, Urt. v.
25.06.2002 - XI ZR 239/01, NJW-RR 2002, 1344, Rn. 22 nach juris).
160
b) Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch auch nicht unter dem Gesichtspunkt
einer Verletzung ihrer Pflichten aus § 384 Abs. 1 HGB, die Interessen des Klägers im Stadium nach
Abschluss des Ausführungsgeschäfts zu wahren, zu. Insoweit könnte eine Pflichtverletzung grundsätzlich
dann vorliegen, wenn die Beklagte nach Kenntniserlangung des Einwands eines Mistrades durch die
Streithelferin den Kläger nicht rechtzeitig hierüber informiert, die Berechtigung der Streithelferin zur
Aufhebung des Ausführungsgeschäfts nicht überprüft oder keine ihr zumutbaren Schritte hiergegen
unternommen hätte.
161
Der Kläger kann jedoch einen Anspruch auf den entgangenen Gewinn nicht auf eine Verletzung der Pflicht
zur Wahrung seiner Interessen durch die Beklagte stützen, weil eine solche nicht kausal für den
behaupteten Schaden des Klägers wäre.
162
Wären die Voraussetzungen für eine einseitige Stornierung durch die Streithelferin als Emittentin nicht
gegeben, dann lägen wirksame Kaufverträge vor, deren Erfüllung die Streithelferin zu Unrecht verweigert
hätte. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Stornierung betrifft somit die Durchsetzung der Ansprüche der
Beklagten (= Kommissionärin) gegen die Emittentin. Zur Durchsetzung der Ansprüche aus dem
Ausführungsgeschäft ist der Kommissionär aber nicht verpflichtet. Seine Pflichten beschränken sich
grundsätzlich allein auf den Abschluss des Ausführungsgeschäfts sowie dessen Abwicklung. Der
Kommissionär handelt bei Abschluss des Ausführungsgeschäftes im eigenen Namen für fremde, nämlich
des Kommittenten, Rechnung (§ 383 HGB). Vertragsparteien des Ausführungsgeschäftes bei der
Einkaufskommission sind nur der Verkäufer und der Kommissionär als Käufer. Für den Kommittenten
entstehen aus dem Ausführungsgeschäft grundsätzlich weder Rechte (vgl. § 392 Abs. 1 HGB) noch
Pflichten gegenüber dem Verkäufer. Jedoch ist wirtschaftlich gesehen der Herr des Ausführungsgeschäftes
der Kommittent, da das Geschäft für seine Rechnung abgeschlossen ist, ihn also die Vorteile und Nachteile
des Ausführungsgeschäftes treffen. Aus diesem Grunde bestimmt § 392 Abs. 2 HGB, dass die Forderungen
des Kommissionärs aus dem Ausführungsgeschäft, auch wenn sie an den Kommittenten nicht abgetreten
sind, im Verhältnis zwischen dem Kommittenten und dem Kommissionär (oder dessen Gläubigern) als
Forderungen des Kommittenten gelten. Der wirtschaftlichen Interessenlage wird dadurch Rechnung
getragen, dass der Kommissionär den Ersatz eines von seinem Vertragspartner zu vertretenden Schadens,
der in der Person des Kommittenten entstanden ist, von seinem Vertragsgegner verlangen kann
(Schadensliquidation im Drittinteresse; BGH NJW 1965, 249, 250). Der Kommissionär kann
dementsprechend etwaige Schäden des Kommittenten im Wege der Drittschadensliquidation von der
Emittentin ersetzt verlangen. Damit ist aber nicht der Kommittent als anspruchsloser Geschädigter, sondern
der Kommissionär als schadensloser Anspruchsinhaber zur Geltendmachung des Anspruchs befugt (BGHZ
25, 250, 259 Rn. 13 nach juris; BGHZ 133, 36, 41 Rn. 23 nach juris; s. hierzu auch Fleckner, WuB I G 2.
Effektengeschäft - 1.08). Denn die Wahrung des Fremdinteresses durch den formell Anspruchsberechtigten
gibt dem Geschädigten noch keinen unmittelbaren Anspruch gegen den Schädiger (BGHZ 25, 250, 259 Rn.
14 nach juris). Dies hat zur Folge, dass der Kommittent bei einer Verletzung der Interessenwahrungspflicht
durch den Kommissionär nicht materiellen Schadensersatz in Geld, sondern lediglich Abtretung des
Schadensersatzanspruchs des Kommissionärs gegen die Emittentin verlangen kann. Hierauf ist die Klage
aber nicht gerichtet.
163
Im Übrigen hätten weder der Kommissionär noch der Kommittent eine Möglichkeit, durch Widerspruch die
(unterstellt unrechtmäßige) Ausübung des Aufhebungsrechtes zu verhindern; diese stellt ein einseitiges
Gestaltungsrecht dar, so dass es auf ein Einverständnis des Kommissionärs nicht ankommt. Eine Prüfung
der Voraussetzungen würde somit leer laufen und wäre nicht geeignet, Schwebezustände zu beseitigen.
Ein Interesse des Kommittenten i. S. d. § 384 Abs. 1 HGB an einer Prüfung der Voraussetzungen für eine
Aufhebung seitens des Emittenten durch den Kommissionär ist damit nicht erkennbar.
164
2. Auch eine Haftung wegen Verletzung der die Beklagte aus § 384 Abs. 2, Halbsatz 2 HGB treffenden
Pflichten scheidet aus. Danach ist die Kommissionärin verpflichtet, dem Kommittenten über das Geschäft
Rechenschaft abzulegen und ihm dasjenige herauszugeben, was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt
hat. Die Beklagte wendet zu Recht ein, der Pflicht, den Kaufvertrag abzuwickeln, also die Wertpapiere
entgegenzunehmen und den Kaufpreis zu zahlen, habe sie nicht nachkommen können, da die Streithelferin
die Erfüllung des Kaufvertrags verweigert und nicht geliefert hat. Da sie nichts erlangt hat, habe sie auch
nichts gemäß § 384 Abs. 2 HGB herausgeben müssen. Die dennoch auf den Konten des Klägers
durchgeführten automatischen Buchungen hätten unter dem Vorbehalt der Erfüllung des Geschäfts durch
die Streithelferin gestanden.
165
3. Schließlich hat die Beklagte auch nicht die sie nach § 384 Abs. 3 HGB treffende Pflicht verletzt. Danach
haftet der Kommissionär dem Kommittenten für die Erfüllung des Geschäfts, wenn er ihm nicht zugleich mit
der Anzeige von der Ausführung der Kommission den Dritten namhaft macht, mit dem er das Geschäft
abgeschlossen hat. Diese Vorschrift führt bereits deshalb nicht zu einer Schadensersatzpflicht der
Beklagten, da dem Kläger die Streithelferin als Emittentin der streitgegenständlichen Optionsscheine von
vornherein bekannt war.
IV.
166
Da dem Kläger der von ihm geltend gemachten Anspruch aus keinem Rechtsgrund zusteht, kann
dahinstehen, ob ihm - wie die Vorinstanz angenommen hat - eine unzulässige Rechtsausübung deshalb
vorzuwerfen ist, weil - wie die Beklagte einwendet - die Aufteilung der Order durch den Kläger in fünf
Tranchen im Sekundenabstand gerade dazu gedient habe, das bei einer Order ab 50.000 Stück
bestehende Erfordernis einer manuellen Freigabe durch die Emittentin zu umgehen, bei der der nicht
marktgerechte Preis mit großer Wahrscheinlichkeit aufgefallen wäre.
C.
167
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 97 Abs. 1 ZPO.
168
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 709 S. 2, § 711 ZPO.
169
Die Revision wird nicht zugelassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 543 Abs.
2 ZPO). Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts.