Sozialpolitik Ausgabe 2015/2016 • Ein Heft für die Schule

Ausgabe 2015/2016
sozialpolitik
sozial
Ein Heft für die Schule
Politik
Soziale Gerechtigkeit und Sicherheit
Berufswelt
Arbeitswelt im Umbruch
Inklusion
Gesellschaft für alle
Sicherheit
Schutz in allen Lebenslagen
www.sozialpolitik.com
Inhalt
Seite 3
Ein Wort vorab
Sozialstaat, warum? Sozialpolitik, für wen?
Politik
Seiten 4 und 5
Soziale Sicherung
Meilensteine der Sozialpolitik
Seiten 6 und 7
Soziale Gerechtigkeit
Soziale Marktwirtschaft
Seiten 8 und 9
Sozialversicherung im Überblick
Sicherheit im Sozialstaat
Seiten 10 und 11
Armut und Reichtum
Chancen für alle schaffen
Berufswelt
Seiten 12 und 13
Berufsorientierung
Arbeitswelt im Umbruch
Seiten 14 und 15
Berufswahl
Auf dem Weg ins Berufsleben
Seiten 16 und 17
Berufseinstieg
Von Anfang an versichert
Seiten 18 und 19
Arbeitsrecht 1
Was Arbeitnehmer beschäftigt
Seiten 20 und 21
Arbeitsrecht 2
Arbeitnehmer bestimmen mit
www.sozialpolitik.com
Vertiefende Informationen, ein Lexikon, eine Material­
datenbank mit aktuellen Arbeitsblättern und Schau­
bildern, geschichtliche Daten zur sozialen Sicherung,
Wissensquiz, Umfragen, Kommentare sowie weiter ­
führende Links und Adressen
„Sozialpolitik“ ohne Barrieren
Zum Unterrichtsmedienpaket „Sozialpolitik“ gehört
auch ein Arbeitsheft in Leichter Sprache für den
inklusiven Unterricht. Die PDF-Dateien der
gedruckten Materialien und die Internetseiten unter
www.sozialpolitik.com können von Sprachausgaben
am Computer vorgelesen werden. Ergänzende
Angebote in Leichter Sprache und Gebärdensprache
werden ständig weiter ausgebaut.
Inklusion
Seiten 22 und 23
Gesellschaft für alle 1
Arbeiten mit Behinderung
Seiten 24 und 25
Gesellschaft für alle 2
Auf dem Weg zur inklusiven Schule
Seiten 26 und 27
Krankenversicherung
Hauptsache gesund
Seiten 28 und 29
Unfallversicherung
Für den Fall der Unfälle
Seiten 30 und 31
Rentenversicherung 1
Ein Vertrag zwischen den Generationen
Seiten 32 und 33
Rentenversicherung 2
Mehr Rentner, weniger Kinder
Seiten 34 und 35
Arbeitslosenversicherung
Sicherheit
Arbeitslos, aber nicht mittellos
Seiten 36 und 37
Pflegeversicherung
Hilfe und Pflege nicht nur für Senioren
Diskussion
Seiten 38 und 39
2
Arbeitswelt im Wandel
Schüler schreiben für Schüler
Zur leichteren Lesbarkeit wurde meist die
männliche Schreibweise gewählt.
Angesprochen sind natürlich immer Leserinnen
und Leser!
Ein Wort vorab
Sozialstaat, warum?
Sozialpolitik, für wen?
Einmal angenommen, wir wären immer kerngesund und hätten alles, was wir brauchen: Essen, Kleidung,
Wohnung, Smartphone, Verkehrsmittel, Bildungsmöglichkeiten, Arbeit und natürlich auch ausreichend
Geld. Dann müsste sich jeder nur um sich selbst kümmern und sich keine Gedanken um seine Mitmenschen
machen. So ist es aber nicht. Mal sind wir stark, dann wieder schwach, meistens sind wir gesund, manch­
mal aber auch krank. Es gibt immer wieder Phasen im Leben, in denen es nicht so gut läuft. Unsere ersten
Ansprechpartner in diesen Momenten sind Familie und Freunde. In vielen Situationen springt aber auch der
Staat ein und sorgt dafür, dass unser Existenzminimum gesichert ist.
Als es noch keine Sozialversicherungen gab, waren Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter für viele gleich­
bedeutend mit Armut und Not. Heute leben wir in Deutschland in einem Sozialstaat, einer Solidargemein­
schaft. Das bedeutet, die Gesunden helfen den Kranken, die Jungen unterstützen die Alten, die Arbeitenden
leisten Beiträge für die Arbeitslosen. So helfen sie dem Einzelnen und sorgen damit zugleich auch für sich
selbst vor.
Bis dahin war es ein langer Weg, und viele Menschen haben sich dafür eingesetzt. Auch heute funktioniert
der Sozialstaat nicht von allein, sondern steht immer wieder vor neuen Herausforderungen. Vor allem seine
Finanzierung muss stets im Blick behalten werden. Dabei lautet die Grundfrage: Wie viele Menschen, die
Sozialversicherungsbeiträge zahlen, stehen wie vielen Anspruchsberechtigten gegenüber? Wer soll Leistun­
gen beziehen und in welcher Höhe? Zudem steigen in einer Gesellschaft, die immer älter wird, die Kosten für
Gesundheit und Altersvorsorge. Weil gleichzeitig die Geburtenzahlen sinken, werden in Deutschland künf­
tig weniger Erwerbstätige Beiträge für mehr Bezieher von Sozialleistungen einzahlen müssen. Ziel muss es
daher sein, dass möglichst viele Menschen arbeiten können.
Der Staat trägt Verantwortung für seine Bürger, aber umgekehrt gilt dies genauso. Die Menschen erkennen in
der Regel schnell ihre Rechte, aber nicht allen sind auch die moralischen Verpflichtungen bewusst, die sich
aus diesen Rechten ergeben und die für die Gesellschaft ebenfalls wichtig sind. Dazu gehört, Bildungs­
chancen wahrzunehmen, arbeiten zu gehen, wählen zu gehen und sich einzubringen, sei es politisch oder
sozial, in der Nachbarschaft, in Vereinen oder in der Gemeinde. Wer mitreden will, muss sich informieren.
Dabei hilft dieses Heft.
Impressum
Herausgeber:
Stiftung Jugend und Bildung in
Zusammenarbeit mit dem Bundes­
ministerium für Arbeit und Soziales
Vertretungsberechtigte:
Dr. Alexander Jehn (Präsident),
Michael Jäger (Geschäftsführer)
Vereinsregister: Amtsgericht
Charlottenburg, VR 24612 B
Fachliche und pädagogische
Beratung: Berit Heintz (Deutscher
Industrie­ und Handelskammertag),
Roland Henke (Ministerialrat,
Niedersächsisches Kultusministeri­
um), Edmund Kammerer (Leitender
Ministerialrat a. D., Unternehmens­
sprecher), Prof. Dr. Helmut Keim
(Europäische Fachhochschule
Brühl), Siegmut Keller (Ministerial­
rat, Ministerium für Kultus, Jugend
und Sport Baden­Württemberg),
Jeanette Klauza (Deutscher Gewerk­
schaftsbund), Wolfgang Oppel
(Berufsbildungsexperte), Detlef
Schlüpen (Projektmanagement)
Verlag: Eduversum GmbH, Wiesbaden
Redaktion: Frauke Hagemann,
Katja Rieger
Redaktionsschluss: Juli 2015
Texte: Christian Becker
Fotos: Adidas AG (Seite 6), AKG­Ima­
ges (Seiten 4, 5), Bayer Schering
Pharma AG (Seite 6), Toby Binder
(Seiten 30, 32), BMAS (Seite 4), Corbis
(Titel, Seite 24), Fotolia (Seiten 6, 8,
10, 12, 14, 16, 39), Otto Bock Health­
Care (Seite 6), THM, BliZ Gießen/F. H.
Papenmeier, Schwerte (Seite 22),
Picture­alliance/dpa (Seite 5),
Presse­ und Informationsamt der
Bundesregierung (Seite 5), privat
(Seiten 3, 39), Stock photo/kupicoo
(Seite 36), Ullstein (Seite 5), Werner
Sobek Group GmbH (Seite 6)
Illustrationen: Carina Görissen
(Seite 18), Thomas Plaßmann (Seiten
9, 21), Katja Schönfelder (Seiten 26,
28, 32, 34), Tobias Wenz (Seite 20)
Gestaltung: schoen:mueller GmbH,
Wiesbaden
Druck: Konradin Druck GmbH,
Leinfelden­Echterdingen
Schüler schreiben für Schüler
Wie gestalte ich mein späteres Berufsleben?
Welche Herausforderungen kommen auf mich zu?
Welche Chancen habe ich, und wie kann ich sie
ergreifen? Karoline und Leon von der AlbertEinstein-Schule in Maintal haben sich mit diesen
Fragen beschäftigt, sich bei Gleichaltrigen umge hört und ihre Ergebnisse auf den Seiten 38 und 39
zusammengestellt.
Barrierefreie PDF-Datei: Verlags­
gesellschaft Weinmann, Filderstadt
Alle Rechte vorbehalten. Schulen
können Exemplare in begrenztem
Umfang beim Verlag kostenlos
anfordern.
Internet und E-Mail:
www.sozialpolitik.com
redaktion @ sozialpolitik.com
3
Soziale Sicherung
Meilensteine der
Sozialpolitik
Im Zeitalter der Industrialisierung in Deutschland mussten viele Menschen unter katastrophalen Bedingungen arbeiten.
Wenn sie ihre Arbeit verloren, krank oder zu alt wurden, waren sie auf ihre Familien oder auf sich selbst angewiesen
und meist bitterarm. Sozialen Schutz gab es nicht. Doch dann begannen die Arbeiter, gegen ihre elende Situation
zu protestieren und sich zu organisieren.
1863
1878
KAMPF GEGEN DIE NOT
DER ARBEITER
DAS SOZIALISTENGESETZ
Während der Industriellen Revolution veränderten sich die Arbeits­
Unter dem damals regierenden Kaiser Wilhelm I. war eine Demokratie
und Lebensbedingungen in Europa rapide. Viele Menschen mussten
nach heutigen Maßstäben unvorstellbar. Reichskanzler Otto Fürst von
täglich bis zu 13 Stunden oder noch länger in dunklen, überfüllten,
Bismarck (1815 bis 1898) sah in der neu entstandenen Arbeiterbewegung
lauten Fabrikhallen und ungesicherten Bergwerken arbeiten. Sie
eine Bedrohung für den Staat. Das von Bismarck im Jahr 1878 vorgeschla­
kannten weder Arbeits­ noch Kündigungsschutz, Hygienevorschrif­
gene Sozialistengesetz verbot „Vereine, welche durch sozialdemokratische,
ten oder eine soziale Absicherung. Die Löhne
sozialistische oder kommunistische Bestrebungen
reichten kaum für das tägliche Brot.
den Umsturz der bestehenden Staats­ und
Häufig war Kinderarbeit für das Über­
Gesellschaftsordnung bezwecken“.
leben der Familien notwendig. Um
gemeinsam gegen die miserablen
Arbeitsbedingungen zu kämpfen,
DAS SOZIAL VERSICHERUNGSSYSTEM
ENTSTEHT
schlossen sich die Arbeiter in Vereinen
zusammen. Daraus entwickelten sich
Ende des 19. Jahrhunderts soziale Ver­
1881
eine, Gewerkschaften und Parteien. Der
Sozialist Ferdinand Lassalle (1825 bis
1864, siehe Bild) gründete im Jahr 1863 den
Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein.
Reichskanzler Bismarck setzte aber nicht nur auf Verbote. Er erkannte
auch, dass die sozialen Probleme auf Dauer nur durch staatliche Rege­
lungen gelöst werden konnten. Daher forderte er am 17. November 1881
mit der „Kaiserlichen Botschaft“ den deutschen Reichstag auf, Gesetze
zum Schutz der Arbeiter gegen Krankheit, Unfall, Invalidität und zur
Versorgung im Alter zu beschließen, genannt Bismarcksche Sozialgesetze.
Dieses Datum gilt als Geburtsstunde der deutschen Sozialversicherung.
1919
WEIMARER
REICHSVERFASSUNG
Am 19. Januar 1919 wurde zum ersten Mal in der deutschen Geschichte eine verfas­
sunggebende Nationalversammlung in freier, gleicher, geheimer und direkter Wahl ge­
wählt. Neben den klassischen Menschen­ und Freiheitsrechten wurden auch soziale
Grundrechte in die Verfassung aufgenommen. Auf einen vorübergehenden Wirtschafts­
aufschwung folgte im Jahr 1929 die Weltwirtschaftskrise. Firmenzusammenbrüche,
Zwangsversteigerungen, Inflation, Massenarbeitslosigkeit und rapide sinkende Löhne
waren die Folgen. Am 27. März 1930 zerbrach die große Koalition unter dem sozial­
demokratischen Reichskanzler Hermann Müller, weil sie sich nicht über die Finan­
zierung der Arbeitslosenversicherung einigen konnte. Angst, Hoffnungslosigkeit und
radikale Versprechungen trieben die Wähler in die Arme der Nationalsozialisten.
4
1933
Geklickt
GLEICHSCHRITT IM
DRITTEN REICH
Internetseite des Bundesministeri­
ums für Arbeit und Soziales mit
Bildern und Dokumenten zur Deut­
schen Sozialgeschichte und einem
interaktiven „ZeitenKlicker“
www.in-die-zukunft-gedacht.de
Die Nationalsozialisten lösten nach ihrer Macht­
übernahme im Jahr 1933 die Gewerkschaften auf.
Mit ihrer Menschen verachtenden Weltanschau­
ung unterwarfen sie den Staat, die Wirtschaft und
Meilensteine der Sozialgeschichte
umfassend dargestellt – mit
zusätzlichen Fragebögen
www.sozialpolitik.com/
sozialgeschichte
die Gesellschaft vollständig ihren Kriegszielen.
Arbeitsplätze wurden vor allem in der Rüstungs­
industrie zur Vorbereitung des Krieges geschaf­
fen. Im Zuge der so genannten Gleichschaltung
Arbeitsmaterialien in der Sozial­
politik­Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/materialien
bauten sie den gesamten Staatsapparat um und
schafften die Selbstverwaltung in den Sozial­
versicherungen ab.
1990
WIEDERVEREINIGUNG
DEUTSCHLANDS
Die friedliche Revolution der ostdeutschen Bürger
im November 1989 führte zum Ende der DDR. Am
1. Juli 1990 trat der Staatsvertrag zur Währungs­, Wirt­
schafts­ und Sozialunion in Kraft. Am 3. Oktober war
1949
GETRENNTE
WEGE
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Sozialversi­
cherungen im geteilten Deutschland wieder aufgebaut.
In der Bundesrepublik wurde das dezentral gegliederte,
aus verschiedenen Sozialversicherungen bestehende
System erneuert. In der DDR wurden die Sozialversiche­
rungen in eine zentral gelenkte Einheitsversicherung
umgewandelt.
Deutschland wieder vereint. Das ostdeutsche Sozial­
system wurde durch das westdeutsche System der
Sozialversicherung ersetzt. Die Wiedervereinigung
wurde über allgemeine Steuereinnahmen (speziell
2003
DIE „AGENDA 2010“
den Solidaritätszuschlag), Staatsschulden und Mittel
aus der Sozialversicherung finanziert.
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Soziale Sicherung
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Sozialpolitik im Wandel
• Arbeitsblatt: Sozialpolitik im
Jahr 2015
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Demografischer Wandel –
Auswirkungen auf den
Arbeitsmarkt
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Demografischer Wandel –
Auswirkungen auf die Gesellschaft
• Hintergrundinformationen:
Demografischer Wandel
Durch den demografischen Wandel und eine wirtschaftli­
che Krise gerieten die Sozialversicherungen unter Druck:
Immer weniger Menschen zahlten Sozialbeiträge ein,
gleichzeitig erhielten immer mehr Versicherte immer
länger soziale Leistungen. Um das System zu stabilisie­
ren, schuf die Bundesregierung eine wichtige Grundlage:
die „Agenda 2010“. Dieses Bündel von Gesetzen wurde
von 2003 bis 2005 umgesetzt und umfasste einen grund­
legenden Umbau des Arbeitsmarktes sowie Veränderun­
///////////////////////////////
Gefragt
Arbeiten Sie für jeden Meilen­
stein ein zentrales Kennzei­
chen der Sozialpolitik heraus,
und stellen Sie Ihre Ergebnisse
in einem Zeitstrahl dar.
///////////////////////////////
gen bei der Kranken­ und Rentenversicherung. Es führte
dazu, dass die Menschen sich nicht mehr allein auf die
Sozialversicherungen verlassen können und mehr Eigen­
2007
leistung nötig ist. Vor allem bei der Rente ist es wichtig,
FINANZ- UND
WIRTSCHAFTSKRISE
Im Jahr 2007 erfasste eine Finanz­ und Wirtschafts­
krise erst die USA und dann Europa. Die Eurokrise
ab 2009, in deren Folge mehrere EU­Länder aufgrund
ihrer Verschuldung nahezu zahlungsunfähig wurden,
zusätzlich individuell vorzusorgen und Geld für das Alter
anzulegen.
2015
KONSOLIDIERUNG UND STEIGENDE
ERWERBSTÄTIGKEIT
überstand Deutschland vergleichsweise gut. Die Bun­
Viele europäische Länder leiden immer noch unter den Auswirkungen der Wirtschafts­ und Finanzkrise.
desregierung stützte die Banken und gab privaten
In Deutschland hingegen boomt der Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenzahlen sind auf einem historischen
Anlegern Garantien für ihre Guthaben. Mit umfang­
Tiefststand, die der Erwerbstätigen auf einem Höchststand. Dennoch gibt es auch Probleme:
reichen Konjunkturprogrammen wie der „Abwrack­
Die öffentlichen Haushalte sind verschuldet, einzelne Branchen leiden unter einem Fach­
prämie“ und Entlastungen für Steuerzahler wurde die
kräftemangel, an Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen geht der Auf­
Wirtschaft wieder angekurbelt.
schwung vorbei, Geringverdiener müssen ihren
Lohn aufstocken oder mehrere Jobs annehmen.
Die Bundesregierung versucht, diesen Ent­
wicklungen unter anderem mit einem
gesetzlichen Mindestlohn, mehr Un­
terstützung für berufstätige Eltern,
Hilfen für Kinder aus bedürftigen
Familien sowie Qualifizierungsmaß­
nahmen für Ausbildungsplatz­ und
Arbeitsuchende entgegenzuwirken.
5
Soziale Gerechtigkeit
1897
1953
1961
1997
2011
1897 Das Aspirin
von Felix Hoffmann
1953 Der Schraubstollenschuh
von Adi Dassler
1961 Die Pille
von der Bayer Schering Pharma AG
1987 Das MP3-Format
vom Fraunhofer Institut
1997 Das C-Leg
von Otto Bock, Healthcare GmbH
2011 Das Effizienzhaus Plus
von Werner Sobek
1987
„Made in Germany“ hat nicht nur Deutschland verändert, sondern die Welt!
Soziale Marktwirtschaft
„Deutschland besitzt ein Erfolgsmodell für eine langfristig ökonomisch und sozial nachhaltige Entwicklung: das Modell
der sozialen Marktwirtschaft. […] Fairer Wettbewerb, die Effizienz der Märkte nutzen sowie eine gerechte Einbettung in soziale
und ökologische Rahmenbedingungen sind in der Marktwirtschaft keine Gegensätze, sondern Prinzipien, die sich ergänzen
und unsere Gesellschaft produktiver und lebenswerter machen.“
Rede von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel im Deutschen Bundestag am 13. Februar 2014,
www.bundestag.de
Wohlstand für alle!
Wirtschaftliche Leistung, Wettbewerb, sozialer Ausgleich
Ludwig Erhard, Bundeswirtschaftsminister
Soziale Marktwirtschaft heißt: Die wirt­
Arbeitswahl oder Konsum­ und Gewerbe­
von 1949 bis 1963, hatte ein politisches Ziel:
schaftliche Freiheit des Einzelnen soll mit
freiheit müssen gewährleistet sein. Auf der
Wohlstand für alle. Er setzte die von dem
den sozialen Bedürfnissen der Allgemeinheit
anderen Seite muss der Staat für einen sozia­
Ökonomen Alfred Müller­Armack entwickel­
in Einklang gebracht werden. Auf der einen
len Ausgleich sorgen, damit Einkommen und
te Idee der sozialen Marktwirtschaft politisch
Seite muss es daher einen freien Wettbe­
Vermögen innerhalb der Bevölkerung nicht
um. Daran orientiert sich die deutsche
werb geben, in dem alle Unternehmen die
zu ungleich verteilt sind und möglichst viele
Wirtschaftspolitik bis heute. In einer sozialen
gleichen Chancen haben, ihre Produkte und
Menschen Arbeit haben. Zugleich sollen die
Marktwirtschaft ist jeder Einzelne nicht nur
Dienstleistungen zu verkaufen. Auch das
Bürger gegen die größten Lebensrisiken wie
auf seine individuelle Leistungsfähigkeit
Privateigentum muss geschützt werden, und
Arbeitslosigkeit, Krankheit, Pflegebedürftig­
angewiesen, sondern kann in Notsituationen
Wirtschaftsfreiheiten wie freie Berufs­ und
keit und Alter abgesichert sein.
auch mit der Unterstützung der Allgemein­
heit rechnen.
6
Geklickt
Internetseite der Bundeszentrale
für politische Bildung mit zahlrei­
chen Publikationen zur sozialen
Marktwirtschaft
www.bpb.de
Arbeitsmaterialien in der Sozial­
politik­Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/materialien
• Arbeitsblatt: Soziale Markt­
wirtschaft (Fragebogen zur
Ergebnissicherung)
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Soziale Gerechtigkeit
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Marktwirtschaft: frei oder sozial?
• Arbeitsblatt: Mobilität und
soziale Sicherheit in Europa
• Schaubild: Soziale Sicherheit in
Europa: Beispiel Alterssicherung
Gesetze zur sozialen Absicherung
Folgende gesetzliche Regelungen und Angebote helfen den Menschen, ihre Freiheitsrechte zu sichern, ihren
Lebensunterhalt selbst zu verdienen und einen angemessenen Lebensstandard zu erreichen:
• Die Sozialversicherungen helfen in Notlagen wie
• Im Betriebsverfassungsgesetz ist festgelegt, dass
Arbeitslosigkeit, Krankheit, Pflegebedürftigkeit, nach
Arbeitnehmer und Auszubildende in vielen Fragen
einem Unfall oder im Alter. Die Sozialversicherun­
ein Recht auf Mitbestimmung im Betrieb haben
gen werden aus Beiträgen der Arbeitnehmer und der
(siehe Seite 18).
Arbeitgeber finanziert (siehe Seite 8).
• Die Steuergesetze legen fest, wofür und in welcher
Höhe Steuern gezahlt werden müssen. Mit den
Steuereinnahmen finanziert der Staat unter ande­
• Der Kündigungsschutz gibt Arbeitnehmern Sicher­
morgen entlassen werden (siehe Seite 19).
• Der Arbeitsschutz sichert Arbeitnehmer gegen
Gefahren ab und schützt sie vor arbeitsbedingten
Arbeitslosengeld II und Wohngeld (siehe Seite 34).
Krankheiten (siehe Seite 29).
• Öffentliche Bildungseinrichtungen und -finanzie-
Löhne und soll den Arbeitnehmern ermöglichen, von
rungen sollen allen Menschen die gleichen Start­
ihrer Arbeit leben zu können (siehe Seite 21).
chancen ermöglichen, vom Kindergarten bis zur
• Die Tarifautonomie sichert das Recht von Arbeitneh­
mern und Arbeitgebern, Arbeitsbedingungen und Lohn
Gefragt
Stellen Sie die sozialen und
die freiheitlichen Ziele der
sozialen Marktwirtschaft ein­
ander in einer Tabelle gegen­
über.
heit. So darf niemand willkürlich von heute auf
rem soziale Leistungen wie Kindergeld, Elterngeld,
• Der gesetzliche Mindestlohn verhindert zu niedrige
///////////////////////////////
Diskutieren Sie in der Lern­
gruppe folgendes Zitat von
Ludwig Erhard: „Je freier die
Wirtschaft, umso sozialer ist
sie auch.“
///////////////////////////////
Berufsausbildung oder zum Hochschulabschluss
(siehe Seiten 10, 14 und 22 bis 25).
ohne staatlichen Eingriff zu regeln (siehe Seite 20).
Herausforderungen im 21. Jahrhundert
Soziale Gerechtigkeit bedeutet, dass alle Menschen an­
künftige Finanzierung der sozialen Absicherung. Die
nähernd gleiche Chancen haben, am gesellschaftlichen
Bevölkerung wird zunehmend älter, und immer mehr
Leben teilzunehmen. Bildung ist ein wichtiges Mittel,
Rentner stehen weniger Berufstätigen gegenüber, die in
um soziale Ausgrenzung und Armut zu verhindern.
die Sozialversicherungen einzahlen. Die Zuwanderung
Arbeit, die ein ausreichendes eigenes Einkommen
von qualifizierten Menschen aus anderen Ländern kann
ermöglicht, ist die Basis, um persönliche Ziele verwirk­
die Folgen dieses demografischen Wandels mindern,
lichen und unabhängig leben zu können. Zur Chancen­
aber nicht stoppen. Wichtig ist außerdem, dass die
gleichheit gehört auch, dass Menschen mit und ohne
Zuwanderer sich gut in die Gesellschaft integrieren
Behinderung von Anfang an gemeinsam lernen, arbei­
können.
ten und leben können. Aufgabe des Sozialstaats ist es,
in der Schule, am Arbeitsplatz und im Wohnumfeld die
Auch der Klimawandel, knappe Ressourcen und das
Voraussetzungen dafür zu schaffen.
stärkere ökologische Bewusstsein der Verbraucher
verändern unsere Wirtschaft und Gesellschaft. Deshalb
Zu den großen Zukunftsaufgaben in Deutschland
muss sich die soziale Marktwirtschaft immer mehr zu
zählen der Abbau von Staatsschulden, die Bekämpfung
einer ökologisch­sozialen Marktwirtschaft entwickeln,
von Langzeitarbeitslosigkeit und Armut, der Umgang
die den Schutz der Umwelt in ihre Wirtschaftsabläufe
mit den Auswirkungen der Globalisierung sowie die
einbezieht.
7
Sozialversicherung im Überblick
Sicherheit
im Sozialstaat
„Soziale Sicherheit ist nicht nur für die Reichen da. Nur wenn auch die Unterschicht soziale Sicherheit real
verfügbar hat, kann man von Sicherheit als der neuen Freiheit sprechen. […] Der Staat ist zentral für die soziale
Gerechtigkeit. Ohne angemessene Mindestlöhne und gut ausgestattete soziale Sicherungs- und Förderungsnetze
kann es keine soziale Sicherheit und auch keine Förderung der Chancengleichheit geben.“
Nils Heisterhagen, Politikwissenschaftler: Ist Sicherheit die neue Freiheit? In: Zeit-Online, www.zeit.de, 22. Juni 2014
Einer für alle, alle für einen
steigen. Ein längerer Arbeitsausfall oder gar
stützung in Notlagen erhalten, damit ihr
dauerhafte Pflegebedürftigkeit würden bei
Existenzminimum gesichert ist. Dieses
Wer erwachsen und gesund ist und eine
vielen die Existenz gefährden, wenn sie keine
soziale Sicherungssystem wird solidarisch
Vollzeitarbeitsstelle hat, ist in der Regel
Unterstützung bekämen.
finanziert, also von allen Versicherten
gemeinsam. Es besteht aus verschiedenen
nicht auf staatliche oder sonstige Unterstüt­
zung angewiesen. Doch durch eine längere
Deutschland ist ein Sozialstaat, das bedeutet:
Zweigen: der Kranken­, Unfall­, Renten­,
oder gar chronische Krankheit, einen Unfall
Ziel der Politik und Gesetzgebung ist es, für
Arbeitslosen­ und Pflegeversicherung.
oder Arbeitslosigkeit kann sich das schnell
soziale Gerechtigkeit und soziale Absiche­
In diese Sozialversicherungen zahlen die
ändern. Jeder kann in eine solche Notlage
rung gegen die größten Lebensrisiken zu
Arbeitnehmer und Arbeitgeber regelmäßig
geraten. Schon ein Krankenhausaufent­
sorgen. Das heißt, alle Bürger, egal welcher
Beiträge ein. Die Versicherten erhalten
halt mit Operation würde die finanziellen
Herkunft, sollen gleiche Chancen auf Bildung,
Leistungen, sobald sie Bedarf oder Anspruch
Möglichkeiten der meisten Bürger über­
Gesundheit und Wohlstand haben und Unter­
haben.
Die fünf Zweige der Sozialversicherung
KRANKENVERSICHERUNG
UNFALL­
VERSICHERUNG
RENTEN­
VERSICHERUNG*
ARBEITSLOSEN­
VERSICHERUNG
PFLEGE­
VERSICHERUNG
Träger: gesetzliche
Krankenkassen
Träger: Berufsgenossen­
schaften, Unfallkassen
Träger: Deutsche
Rentenversicherung
Träger: Bundesagentur
für Arbeit
Träger: Pflegekassen
der Krankenkassen
Leistungen: Gesundheitsvorsorge, notwendige medizinische Hilfe,
Krankengeld
Leistungen: Unfallverhütung, Hilfen/Entschädigung bei Arbeitsunfällen/Berufskrankheiten
Leistungen: Alters­
rente, Rente bei
Erwerbsminderung,
Hinterbliebenenrente,
Rehabilitation
Leistungen: Unter­
stützung bei Integration
in den Arbeitsmarkt,
Arbeitslosengeld
Leistungen: Pflegegeld,
Sachleistungen, Grundpflege und hauswirt­
schaftliche Versorgung
Beiträge 2015:
14,6 Prozent des
Bruttolohns,
Arbeitgeber 7,3,
Arbeitnehmer 7,3
Beiträge 2015:
unterschiedlich je
nach Träger, werden
vom Arbeitgeber
allein finanziert
Beiträge 2015:
18,7 Prozent des
Bruttolohns, Arbeit­
geber und Arbeit­
nehmer je 9,35
Beiträge 2015:
3,0 Prozent des
Bruttolohns,
Arbeitgeber und
Arbeitnehmer je 1,5
Beiträge 2015:
2,35 Prozent des
Bruttolohns, Arbeit­
geber und Arbeit­
nehmer je 1,175**
mehr Infos auf den Seiten
26 und 27
mehr Infos auf den Seiten
28 und 29
mehr Infos auf den Seiten
30 bis 33
mehr Infos auf den Seiten
34 und 35
mehr Infos auf den Seiten
36 und 37
seit 1883
seit 1884
* ursprünglich: Invaliditäts­ und Altersversicherung
** abweichende Regelung in Sachsen
8
seit 1889
seit 1927
seit 1995
Quelle: eigene Darstellung
Geklickt
RECHT AUF SOZIALE SICHERHEIT
„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“
„Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muss den Grundsätzen des republikanischen,
demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen.“
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 20 und 28
„Jeder hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, durch inner­
staatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit sowie unter Berücksichtigung der Organisation
und der Mittel jedes Staates in den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen,
die für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind.“
„Jeder hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und volle Entwicklung seiner Persön­
lichkeit möglich ist.“
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948, Artikel 22 und 29, Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen
Prinzipien der Sozialversicherung
• Das Prinzip der Versicherungspflicht
Einnahmen und Ausgaben der
Sozialversicherung
Per Gesetz wird bestimmt, wer versicherungspflich­
Wie und in welchem Ausmaß die sozialen Sicherungs­
tig ist und damit unter dem Schutz der Sozialver­
systeme funktionieren, hängt entscheidend davon
sicherung steht. Wer in einem Arbeitsverhältnis
ab, wie viele Menschen in die Sozialversicherungen
steht oder eine Ausbildung macht, ist in der Regel
einzahlen und welche Leistungen für wie viele
automatisch Mitglied der Sozialversicherung. Daher
Empfänger bezahlt werden müssen. Sinkt die Zahl
zahlen in Deutschland etwa 90 Prozent der Bevölke­
der Beitragszahler und steigt die Zahl der Empfänger
rung in die Sozialversicherungssysteme ein.
aufgrund des demografischen Wandels oder infolge
• Das Prinzip der Beitragsfinanzierung
Die Sozialversicherungen werden überwiegend
von wirtschaftlichen Krisen, hat der Sozialstaat drei
Möglichkeiten:
durch Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber
finanziert. Die Höhe der Beiträge orientiert sich am
1. Er kann die Beiträge für diejenigen erhöhen, die in
Bruttogehalt des Arbeitnehmers. Bei der Renten­,
die Sozialversicherungen einzahlen müssen.
Arbeitslosen­, Kranken­ und Pflegeversicherung ist
2. Er kann die Sozialversicherungen durch Steuerein­
der Beitragssatz gesetzlich festgelegt.
nahmen bezuschussen.
• Das Prinzip der Solidarität
Unabhängig von der Höhe der eingezahlten
Beiträge ist jeder durch die Sozialversicherungen
abgesichert. Mit diesem solidarischen Ansatz wird
ein Ausgleich geschaffen zwischen Gesunden und
3. Er kann die Leistungen für die Empfänger kürzen.
Umgekehrt können in wirtschaftlich guten Jahren
Beiträge und Steuern gesenkt oder Leistungen erhöht
werden.
Kranken, Erwerbstätigen und Arbeitslosen, Jungen
Internetseite der Deutschen Sozial­
versicherung mit einer detaillierten
Darstellung der Grundlagen und
der einzelnen Zweige der Sozialver­
sicherung
www.deutschesozialversicherung.de
Arbeitsmaterialien in der Sozial­
politik­Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/materialien
• Arbeitsblatt: Sicherheit im
Sozialstaat (Fragebogen zur
Ergebnissicherung)
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Sozialversicherung im Überblick
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Demografischer Wandel –
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Demografischer Wandel –
Auswirkungen auf die Gesellschaft
• Hintergrundinformationen:
Demografischer Wandel
///////////////////////////////
Gefragt
Erklären Sie mithilfe des
Textes die Prinzipien „Solida­
rität“ und „Versicherungs­
pflicht“. Diskutieren Sie ihre
Bedeutung für den Sozialstaat.
Interpretieren Sie die Karika­
tur. Erklären Sie in eigenen
Worten, auf welche gesell­
schaftliche Entwicklung der
Karikaturist anspielt.
und Alten, Singles und Familien.
///////////////////////////////
• Das Prinzip der Äquivalenz
Äquivalenz bedeutet Gleichwertigkeit. Das heißt,
die Höhe der Leistungen richtet sich nach der Höhe
und Dauer der Einzahlungen. Dieses Prinzip gilt
für die Rente und bedingt für das Arbeitslosengeld,
nicht für die übrigen Sozialversicherungen.
• Das Prinzip der Selbstverwaltung
Die Sozialversicherungen werden unter Aufsicht
des Staates von so genannten Trägern verwaltet,
zum Beispiel die Krankenversicherung von den
Krankenkassen. Diese Träger sind organisatorisch
und finanziell selbstständig. Arbeitnehmer, Arbeit­
geber und Staat sind an ihnen jeweils zu einem
Drittel beteiligt.
• Das Prinzip der Freizügigkeit
Jeder Bürger der Europäischen Union kann in einem
Mitgliedsstaat seiner Wahl leben und arbeiten. Er
genießt dort vergleichbare soziale Grundrechte
unabhängig von seinem Herkunftsland (Charta der
Grundrechte der Europäischen Union).
Quelle: Deutsche Sozialversicherung,
www.deutsche-sozialversicherung.de
Zeichnung: Thomas Plaßmann, 2007
9
Armut und Reichtum
Chancen für alle
schaffen
„Wir haben einen von Jahr zu Jahr wachsenden volkswirtschaftlichen Reichtum in dieser Gesellschaft. Nur er verteilt
sich sehr ungleich. Es ist mittlerweile kein Geheimnis mehr, dass die Zuwächse vor allen Dingen bei den ohnehin schon sehr
Vermögenden landen. […] Und die Tendenz dieser Spaltung steigt. Das heißt, es kommt prozentual betrachtet […] immer weniger
bei denen, die es bräuchten, an.“
Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer Paritätischer Wohlfahrtsverband, im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur, www.dradio.de, 18. April 2015
Ziel der Sozialpolitik: Teilhabe für alle
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes hatten rund 16,1 Prozent
Kinderarmut – ein Startplatz in der
hinteren Reihe
der Menschen in Deutschland im Jahr 2013 weniger als 60 Prozent
Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Familien haben ein
des Durchschnittseinkommens zur Verfügung. Sie gelten als „armuts­
erhöhtes Risiko, körperlich oder seelisch krank zu werden. Sie er­
gefährdet“. In Deutschland liegt die Armutsgefährdungsgrenze für
reichen häufiger gar keine oder niedrigere Schulabschlüsse als Kinder
Alleinlebende bei weniger als 979 Euro Nettoeinkommen (nach Abzug
aus finanziell besser gestellten Familien und müssen als Erwachsene
von Steuern und Sozialabgaben) im Monat, für Familien mit zwei
häufiger mit Arbeitslosigkeit rechnen – ein Teufelskreis.
Kindern bei weniger als 2.056 Euro im Monat. Besonders gefährdet
sind arbeitslose, alleinerziehende und alleinlebende Menschen. Auch
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit lebten im Dezember 2014
Migranten und Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen sind
rund 1,6 Millionen Kinder unter 15 Jahren in Haushalten, die Arbeits­
überdurchschnittlich häufig betroffen. Mit wachsender Kinderzahl
losengeld II in Anspruch nehmen mussten. Schlimmer als der Mangel
steigt das Armutsrisiko.
an Geld wirken sich die sozialen Folgen der Armut aus: das Gefühl,
mit den anderen nicht mithalten zu können, und der Frust über die
Bildung und Beschäftigung vermeiden
Armut
geringeren Möglichkeiten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Alle Menschen sollen am wirtschaftlichen und sozialen Leben teilha­
seit dem Jahr 2011 Kinder und Jugendliche, deren Eltern Arbeits­
ben können. Das soziale Netz soll Menschen in Not auffangen. Zu die­
losengeld II oder Sozialgeld, Sozialhilfe, den Kinderzuschlag oder
sem sozialen Netz gehören zum Beispiel das Arbeitslosengeld II, auch
Wohngeld beziehen. Ziel ist es, den Kindern und Jugendlichen über
Hartz IV genannt, oder die Grundsicherung im Alter und die Unterstützung
Zuschüsse und Kostenerstattungen bessere Lebens­, Bildungs­ und
armer Familien. Armut soll sich nicht vererben. Der Weg zur Armutsver­
Entwicklungschancen zu bieten.
meidung ist mehr Bildung und Beschäftigung. Daher ist es ein vorrangi­
ges Ziel der Bundesregierung, Erwerbslose wieder in Arbeit zu bringen.
10
Mit dem so genannten Bildungspaket unterstützt die Bundesregierung
Geklickt
Aktuelles zum Thema Armut von
der Bundeszentrale für politische
Bildung und den Landeszentralen
für politische Bildung
www.politische-bildung.de/
armut_in_deutschland.html
Arbeitsmaterialien in der Sozial­
politik­Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/materialien
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Armut und Reichtum
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Kinder­ und Jugendarmut
in Deutschland
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Wachsende Kluft zwischen Arm
und Reich
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Maßnahmen der Jugendhilfe
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Bürgerschaftliches Engagement
Gewählt
Bürgertelefon zum Bildungspaket
(0 30) 2 21 91 10 09
Montag bis Donnerstag 8 bis 20 Uhr
Armut in Deutschland und weltweit
///////////////////////////////
Nach Angaben des vierten Armuts­ und Reichtumsbe­
entstehen. Die Folge sind große Wanderungsbewegun­
richts der Bundesregierung aus dem Jahr 2013 besitzen
gen aus den ärmeren in die reicheren Länder.
die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung über die
Hälfte der Vermögen in Deutschland, während die
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind derzeit
ärmere Hälfte der Bevölkerung lediglich über gut ein
über 50 Millionen Menschen auf der Flucht vor Armut,
Prozent verfügt. Aufgabe der Politik ist es, Rahmenbe­
Krieg und Verfolgung. Das ist der höchste Wert seit
dingungen für soziale Aufstiegsmöglichkeiten zu schaf­
dem Zweiten Weltkrieg. Auch Deutschland ist als wohl­
fen und dafür zu sorgen, dass sich die Schere zwischen
habendes und sicheres Land ein begehrtes Ziel. Im Jahr
Arm und Reich nicht weiter öffnet.
2014 gab es mehr als 200.000 Asylanträge in Deutsch­
land, für 2015 erwartet das Bundesamt für Migration
Im weltweiten Vergleich zählt Deutschland dennoch
und Flüchtlinge viermal so viele. Um den Menschen in
zu den reichen Ländern. Die Einkommensunterschiede
ihren Herkunftsländern bessere Lebensbedingungen zu
zwischen Industrie­ und Entwicklungsländern sind
ermöglichen, müssen vor allem der Zugang zu Bildung
groß. Die absolute Armut ist zwar insgesamt weltweit
und die Infrastruktur verbessert werden.
Gefragt
Erläutern Sie mithilfe des
Schaubilds den Zusammen­
hang von Armut und Entwick­
lungschancen von Kindern.
Begründen Sie, ob man Ihrer
Meinung nach von einer
wachsenden sozialen
Ungleichheit sprechen kann.
Nutzen Sie dazu auch die
Materialien bei
www.sozialpolitik.com.
///////////////////////////////
leicht gesunken, und es gibt in vielen Regionen soziale
Fortschritte wie steigende Lebenserwartung, sinkende
Ziel von Entwicklungspolitik ist es, die Entwicklungs­
Kindersterblichkeit und höhere Einschulungsquoten.
länder politisch und wirtschaftlich zu fördern. Nur so
Einkommen und Vermögen sind in diesen Ländern
werden die Menschen in den ärmeren Ländern in die
jedoch immer noch sehr ungleich verteilt. Aus den
Lage versetzt, sich selbst zu helfen und ein besseres
daraus resultierenden Konflikten können Bürgerkriege
Leben aufzubauen.
ABSOLUTE UND RELATIVE ARMUT
Absolute Armut bezeichnet das Leben am Rande des Existenzminimums. Sie wird daher auch als existen­
zielle Armut bezeichnet. Menschen in absoluter Armut haben kaum Zugang zu lebenswichtigen Gütern
wie Nahrung und Trinkwasser. Sie kämpfen tagtäglich ums Überleben. Absolute Armut betrifft in erster
Linie Menschen in Entwicklungsländern und ist in Deutschland ausgeschlossen, wenn die staatlichen Hilfen
in Anspruch genommen werden. Nach Angaben der Vereinten Nationen lebt ein Mensch in absoluter Armut,
wenn er weniger als 1,25 Dollar pro Tag verdient, das ist rund ein Euro.
In Industrieländern wird Armut zumeist als relative Armut definiert. In relativer Armut leben Menschen, die
ein deutlich geringeres Einkommen als der Durchschnitt der Bevölkerung haben. Sie wird daher auch Einkommensarmut genannt. Relative Armut bezieht sich aber nicht nur auf die finanziellen Mittel, sondern auch
auf die Möglichkeiten, an Bildung, Gesundheit und dem gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.
11
Berufsorientierung
Arbeitswelt
im Umbruch
„Einmal bei Krupp, immer bei Krupp!“ Dieser Leitspruch gilt schon lange nicht mehr. Die moderne Arbeitswelt verlangt
von den Arbeitnehmern heute eine gute Ausbildung, Flexibilität und die Bereitschaft zum lebensbegleitenden Lernen.
Aber auch die Anforderungen an die Arbeitgeber sind gestiegen: Sie müssen im Wettbewerb um die begehrten Fachkräfte
umdenken und ihren Mitarbeitern neben einer guten Bezahlung passende Arbeitsbedingungen und Weiterbildungs ­
möglichkeiten bieten.
Berufsbiografie früher
und heute
Fachkräfte gesucht!
Vor rund 50 Jahren war der Berufsweg oft­
Grundsätzlich haben sich die Startbedingun­
Wirtschaftsexperten warnen angesichts
mals vorgegeben. Viele Kinder traten in die
gen für Schulabgänger in den vergangenen
dieser Zahlen vor einem Fachkräftemangel in
Fußstapfen ihrer Eltern. Wer in einem Betrieb
Jahren verbessert. Das Verhältnis zwischen
Deutschland, der sich bereits heute in einigen
Fuß gefasst hatte, konnte sich seines Arbeits­
angebotenen Ausbildungsplätzen und Bewer­
Branchen bemerkbar macht.
platzes in der Regel sicher sein.
bern ist ausgeglichener geworden. Dennoch
gibt es Probleme: Nach wie vor können
Die Bundesregierung hat daher verschiedene
Heutige Lebensläufe sind viel häufiger von
viele Jugendliche, vor allem mit niedrigem
Maßnahmen beschlossen, um zusätzliche
Brüchen, aber auch von neuen Chancen
Schulabschluss oder aus strukturschwachen
Fachkräfte zu gewinnen. Arbeitnehmer sollen
geprägt: Praktika, Zeiten der Arbeitslosigkeit
Gegenden, kaum eine passende Ausbildungs­
die Möglichkeit haben, sich kontinuierlich
oder Selbstständigkeit, befristete Beschäf­
stelle in ihrer Region finden. Gleichzeitig
weiterzubilden. Die Gesundheit älterer
tigungsverhältnisse, Elternzeiten, Teilzeit,
werden viele Ausbildungsplätze nicht besetzt,
Arbeitnehmer soll gefördert werden, damit
Arbeitsplatzwechsel, Umorientierung und
weil Unternehmen keine qualifizierten
sie länger arbeiten und ihre Erfahrungen und
erneutes Durchstarten kennzeichnen das
Bewerber finden oder weil die Ausbildungs­
Fähigkeiten einbringen können. Die Verein­
Berufsleben. Viele Menschen – vor allem
berufe für die Jugendlichen nicht attraktiv
barkeit von Familie und Beruf soll weiter ver­
junge – wollen verschiedene Berufe und Bran­
erscheinen (siehe Schaubild auf Seite 14).
bessert werden, damit vor allem Frauen mit
qualifizierter Ausbildung arbeiten können.
chen kennen lernen, bevor sie sich festlegen.
12
Voraussetzung dafür ist jedoch ein erfolg­
Bis zum Jahr 2025 wird es laut Bundesagen­
Bildungsangebote für Kinder im Vorschulalter
reicher Schul­ oder Ausbildungsabschluss.
tur für Arbeit rund sechs Millionen weniger
sollen ausgebaut werden, und die Zahl der
Erwerbstätige in Deutschland geben. Gesucht
Schulabgänger ohne Abschluss soll sinken.
werden vor allem Fachkräfte, also Menschen
Außerdem sollen qualifizierte Fachkräfte
mit mindestens einer abgeschlossenen
aus dem Ausland besser integriert und deren
Berufsausbildung oder einem gleichwertigen
Bildungsabschlüsse und Zeugnisse leichter
Abschluss.
anerkannt werden.
Geklickt
Portal zur Gewinnung von Fach­
kräften für den Arbeitsmarkt
www.fachkraefte-offensive.de
Index Gute Arbeit, Report des
Deutschen Gewerkschaftsbundes
http://index-gute-arbeit.dgb.de
Job­Lexikon mit Begriffserläute ­
rungen rund um das Thema Berufs­
welt
www.sozialpolitik.com/lexikon
Arbeitsmaterialien in der Sozial­
politik­Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/materialien
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Berufsorientierung
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Arbeitswelt im Wandel
• Arbeitsblatt: Lernen und Arbeiten
in Europa
• Arbeitsblatt: Frauenerwerbs­
tätigenquote
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Gleichberechtigung
Arbeit verändert sich
Wir sind auf dem Weg in die Wissensgesellschaft und in eine digitale Ökonomie. Gleichzeitig erleben die vier tradi­
tionellen Hochtechnologiebranchen (Automobilbau, Maschinen­ und Anlagenbau, chemische Industrie, Elektrotech­
nik) einen Boom. Aber auch Dienstleistungen, die sich direkt an Menschen richten, zum Beispiel im Bildungswesen
und im Gesundheitsbereich, werden immer wichtiger. Noch ist offen, wie dieser Strukturwandel unsere Arbeit
verändern wird. Die Digitalisierung und Vernetzung in Fabriken und Büros nimmt zu. Neue Berufe und flexible
Arbeitszeiten sind die Folge. Jobs mit einem hohen Routinegrad fallen hingegen durch die Automatisierung zu­
nehmend weg.
Selbstständiges Denken und lebensbegleitendes Lernen bestimmen die Arbeitswelt der Zukunft. Das kommt vielen
Arbeitnehmern entgegen, erhöht aber häufig auch den psychischen Druck. Laut Stressreport 2012 der Bundes­
anstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin werden vor allem folgende Faktoren als belastend empfunden:
Termin­ und Leistungsdruck, häufige Unterbrechungen und Störungen der Arbeit sowie die Anforderung, mehrere
///////////////////////////////
Gefragt
Stellen Sie die Zukunft der
Arbeit in Form einer Mindmap
dar. Sammeln Sie Begriffe zu
verschiedenen Bereichen,
zum Beispiel: Arbeitsumfeld,
Sicherheit, Perspektiven,
Familie.
///////////////////////////////
Aufgaben gleichzeitig erledigen zu müssen. Die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie von Bund, Ländern
und Unfallversicherungsträgern setzt sich deshalb nicht mehr nur für die Sicherheit am Arbeitsplatz, sondern auch
für die psychische Gesundheit von Arbeitnehmern ein.
Der Arbeitnehmer von morgen ...
Chancen
•
hat sein Büro mit Notebook und
Herausforderungen
•
Arbeitgeber und Kunden.
Smartphone immer dabei.
•
ist höher qualifiziert, da viele einfache
•
hat mehrere Arbeitgeber und arbeitet
•
•
•
•
arbeitet vernetzt mit internationalen
Unternehmen in unterschiedlichen Projekten.
muss sich intensiver privat um seine
Alterssicherung kümmern.
Home­Office­Zeiten.
•
ist selbst für mehr Weiterbildung und
soziale Absicherung verantwortlich.
verbindet Familien­ und Berufsleben
durch flexible Arbeitsverhältnisse und
ist ohne qualifizierten Schulabschluss
und Ausbildung häufiger arbeitslos.
abwechselnd Vollzeit, Teilzeit, befristet
oder selbstständig.
muss sich auf immer wieder wechselnde
Arbeits­ und Lebensumstände einstellen.
Arbeiten von Maschinen ausgeführt werden.
•
ist ständig erreichbar für seine
•
braucht zunehmend soziale und
interkulturelle Kompetenzen.
Quelle: eigene Darstellung
13
Berufswahl
Auf dem Weg
ins Berufsleben
„Bei der Berufswahl spielt unter anderem das Wissen über Berufe eine Rolle. Darüber hinaus beeinflussen Berichte
und Einschätzungen des direkten Umfeldes, also die der Eltern, Freunde oder Lehrer, die Wahl. Und auch das Image
des Berufs ist ausschlaggebend – kaufmännische Berufe stehen da in der Regel recht gut da. […] Zunächst sollte man
sein Wissen über den Beruf mit der Realität abgleichen. Stimmt die Vorstellung über den Beruf mit dem überein,
was in der Ausbildung tatsächlich auf einen wartet? Dazu ist es hilfreich, sich ausführlich mit Menschen zu unterhalten,
die in diesem Beruf tätig sind. Darüber hinaus ist ein Praktikum ratsam.“
Bärbel Orphal, Berufsberaterin bei der Agentur für Arbeit Berlin Mitte, Interview in: Abi­Magazin, 25. August 2014, www.abimagazin.de,
gekürzt und sprachlich leicht bearbeitet
Nachwuchskräfte gesucht
Eine solche Initiativbewerbung kann sich
lohnen. Die nächste Anlaufstelle bei der
Anforderungen und Bewerbungsfristen. Auf
Auf dem Arbeitsmarkt werden alle jungen
Ausbildungsplatzsuche ist die kostenlose
Antrag gewährt die Arbeitsagentur finanzielle
Menschen gebraucht. Ein Schulabschluss ist
Berufsberatung der örtlichen Arbeitsagentur.
Unterstützung, zum Beispiel mit Zuschüssen
eine wichtige Voraussetzung, aber auch Ver­
Die Berufsberater wissen, wo es vor Ort offene
zu Reise­, Bewerbungs­ und Umzugskosten
lässlichkeit, Zielorientierung, Teamfähigkeit
Stellen gibt, und haben einen Überblick über
oder der einkommensabhängigen Berufsaus­
oder Flexibilität sind wichtig. Wer sich auf die
den bundesweiten Ausbildungsmarkt.
bildungsbeihilfe.
Sie informieren außerdem über die jeweiligen
gewünschte Ausbildung gut vorbereitet und
bereit ist, dafür in eine andere Stadt zu zie­
hen, erhöht seine Chancen. Wenn es trotzdem
nicht auf Anhieb klappt, kann man immer
noch seinen Berufswunsch überdenken und
einen Ausbildungsplatz in einer anderen,
ähnlichen Branche finden. Dazu gehört, dass
MEHR STELLEN ALS BEWERBER:
MEHR BEWERBER ALS STELLEN:
Ausbildungsberufe mit einem hohen Anteil
an unbesetzten Ausbildungsplätzen
Ausbildungsberufe mit einem hohen Anteil
an erfolglosen Bewerbern
• Restaurantfachmann/­frau: 34,4 Prozent
• Gestalter/­in für visuelles Marketing: 49,5 Prozent
schlechtsuntypischen Berufen erkundigt: also
• Fachverkäufer/­in im Lebensmittelhandwerk:
30,0 Prozent
• Tierpfleger/­in: 48,7 Prozent
Mädchen nach technischen, mathematischen
• Klempner/­in: 28,2 Prozent
und naturwissenschaftlichen und Jungen
• Sport­ und Fitnesskaufmann/­frau: 34,1 Prozent
• Fleischer/­in: 27,4 Prozent
• Mediengestalter/­in Digital und Print: 31,0 Prozent
nach sozialen und pflegerischen Berufen.
• Fachmann/­frau für Systemgastronomie:
27,0 Prozent
man sich je nach Interesse auch nach eher ge­
Generell gilt: Als Erstes sollte man selbst aktiv
werden und spätestens ein Jahr vor Schulab­
schluss in Stellenbörsen nach einem Ausbil­
dungsplatz suchen. Eine zweite Möglichkeit
ist, direkt bei vorherigen Praktikumsbetrieben
und anderen Arbeitgebern anzufragen.
14
ANGEBOT UND NACHFRAGE AUF DEM AUSBILDUNGSMARKT
• Bäcker/­in: 25,9 Prozent
• Drogist/­in: 23,8 Prozent
• Mediengestalter/­in Bild und Ton: 44,0 Prozent
• Fotograf/­in: 31,0 Prozent
• Informations­ und Telekommunikationssystem­
Elektroniker/­in: 27,5 Prozent
• Tierwirt/­in: 22,2 Prozent
• Tiermedizinische/­r Fachangestellte/­r:
27,4 Prozent
• Koch/Köchin: 19,7 Prozent
• Veranstaltungskaufmann/­frau: 26,4 Prozent
• Gebäudereiniger/­in: 18,8 Prozent
• Biologielaborant/­in: 25,0 Prozent
Quelle: Bundesministerium für Bildung und Forschung, Berufsbildungsbericht 2015, Seiten 56 und 57
Geklickt
Berufsinformationen der Bunde s­
agentur für Arbeit
www.berufenet.arbeitsagentur.de/
berufe
www.planet-beruf.de
Ausbildungsreport 2014 der DGB­
Jugend
www.jugend.dgb.de/ausbildung
Job­Lexikon mit Begriffserläute ­
rungen rund um das Thema
Berufswelt
www.sozialpolitik.com/lexikon
Arbeitsmaterialien in der Sozial­
politik­Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/materialien
Viele Wege führen zum Ziel
Ausbildung ohne Betrieb
Mit der Berufseinstiegsbegleitung bietet die Bundes­
Wenn es überhaupt nicht mit dem Ausbildungsplatz
agentur für Arbeit noch vor dem Schulabschluss über
klappen will, ist eine Berufsausbildung in einer außer­
einen längeren Zeitraum individuelle Unterstützung,
betrieblichen Einrichtung eine Alternative. Dabei
damit der Übergang von der Schule in die Ausbildung
arbeiten die Auszubildenden nicht in einem Betrieb,
besser gelingt. Dieses Bildungsangebot richtet sich vor
sondern in außerbetrieblichen Einrichtungen bei
allem an förderungsbedürftige Jugendliche an allge­
Bildungsträgern. Hier lernen sie praktische Tätigkeiten,
meinbildenden Schulen.
die für den Beruf wichtig sind, und wenden diese in
mehrwöchigen Betriebspraktika an.
Wer den Abschluss nicht oder nur mit einem schlechten
Durchschnitt geschafft hat, kann seine Chancen durch
Auch der Besuch einer Berufsfachschule kann sich
ein Berufsvorbereitungsjahr verbessern. Oft entwickeln
lohnen. Die einjährige Grundausbildung kann bei einer
die Teilnehmer erst im Laufe der einjährigen Schulzeit
entsprechenden betrieblichen Ausbildung angerechnet
einen konkreten Berufswunsch, denn im Rahmen des
werden. Zweijährige Schulausbildungen bieten die Mög­
Berufsvorbereitungsjahrs werden praktische und theo­
lichkeit, einen höheren Schulabschluss nachzuholen.
retische Grundqualifikationen vermittelt.
Darüber hinaus gibt es Berufsfachschulausbildungen,
die zu einem Berufsabschluss führen, etwa im Bereich
Die Einstiegsqualifizierung für Jugendliche ist ein
der Hauswirtschaft oder der Erziehung.
ausbildungsvorbereitendes Praktikum, das bis zu einem
Jahr dauert und als Brücke in die Berufsausbildung
dienen soll. Es endet mit einem anerkannten Zertifikat
und kann auf eine spätere Berufsausbildung angerech­
net werden.
Im Rahmen einer Assistierten Ausbildung werden
FREIWILLIGES ENGAGEMENT
benachteiligte junge Menschen auch während der be­
Beim Jugendfreiwilligendienst (Freiwilliges Sozi­
trieblichen Ausbildung gefördert und beim Lernen oder
ales oder Ökologisches Jahr) können sich junge
bei der Vorbereitung auf Prüfungen und Bewerbungsge­
Menschen bis zum 27. Lebensjahr ehrenamtlich
spräche gezielt unterstützt.
einsetzen. Der Bundesfreiwilligendienst (früher:
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Berufswahl
• Arbeitsblatt: Pflegeberufe
• Arbeitsblatt: Abi und dann:
Studium oder Ausbildung?
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Praktikum: Sprungbrett oder
Ausbeutung?
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Jobben in den Ferien
Gewählt
Bürgertelefon zur Arbeitsmarkt­
politik und Arbeitsförderung
(0 30) 2 21 91 10 03
Montag bis Donnerstag 8 bis 20 Uhr
///////////////////////////////
Gefragt
Wählen Sie einen Ausbil­
dungsberuf. Informieren Sie
sich im Internet über Anforde­
rungen, Inhalte und Entwick­
lungsmöglichkeiten dieses
Berufs. Fassen Sie Ihre Ergeb­
nisse zusammen, indem Sie
eine Stellenanzeige für Ihre
Regionalzeitung formulieren.
Teilen Sie sich in Gruppen auf,
und formulieren Sie ein
Bewerbungsschreiben für eine
Anzeige Ihrer Mitschüler.
Werten Sie gemeinsam aus:
Wem soll Ihrer Meinung nach
ein Vorstellungsgespräch
angeboten werden?
///////////////////////////////
Zivildienst) steht allen – auch älteren – Menschen
offen. Die Freiwilligendienste dauern sechs Mo­
nate bis maximal zwei Jahre. Die Sozialversiche­
rungsbeiträge übernimmt die jeweilige Einsatz­
stelle. Für die Freiwilligen gibt es ein Taschengeld
von maximal 363 Euro, und sie bekommen zum
Abschluss ein qualifiziertes Zeugnis.
15
Berufseinstieg
Von Anfang an
versichert
Von der Schule in die Ausbildung: Für Jugendliche
ist das ein großer Schritt mit vielen Veränderungen.
Als Schüler war man noch bei den Eltern mitversichert.
Als Auszubildender ist man nun automatisch Mitglied in der
Sozialversicherung und erlebt zum ersten Mal, was
das konkret bedeutet.
Geteilte Kosten
Eine sinnvolle Pflicht
Vom ersten Tag der Ausbildung an besteht
Die Mitgliedschaft in der gesetzlichen So­
Wenn man seinen Arbeitsplatz verliert, hat
Sozialversicherungsschutz. Der ist zwar nicht
zialversicherung ist aus mehreren Gründen
man Anspruch auf Arbeitslosengeld. Dafür
kostenlos, aber die Arbeitnehmer müssen
eine sinnvolle Pflicht: Man beteiligt sich mit
meldet man sich spätestens am ersten Tag
ihre Beiträge für die Arbeitslosen­, Kranken­,
Beiträgen, die sich am eigenen Leistungs­
der Beschäftigungslosigkeit, frühestens
Pflege­ und Rentenversicherung nicht allein
vermögen orientieren, am Solidarprinzip
drei Monate im Vorfeld, persönlich bei
finanzieren. Arbeitgeber und Arbeitnehmer
(„Einer für alle, alle für einen“, siehe Seite
der örtlichen Arbeitsagentur. Wer die Frist
teilen sich die Beiträge jeweils zur Hälfte.
8/9). Dadurch ist man automatisch auch
versäumt, muss mit einer Sperrzeit von einer
Eventuelle Zusatzbeiträge der Krankenkasse
selbst gegen die größten Lebensrisiken wie
Woche rechnen und erhält in dieser Zeit kein
muss der versicherte Arbeitnehmer selbst
Krankheit, Unfälle, Pflegebedürftigkeit, Alter
Arbeitslosengeld.
tragen. Die Beiträge für die Unfallversiche­
und Arbeitslosigkeit abgesichert.
rung übernimmt allein der Arbeitgeber.
16
Neben den gesetzlichen Sozialversicherun­
Die Krankenkasse, über die man kran­
gen gibt es auch eine Vielzahl von privaten
Die Arbeitnehmeranteile werden direkt vom
ken­ und pflegeversichert ist, kann man
Versicherungen. Die Versicherungsgesell­
Lohn abgezogen. Der Arbeitgeber überweist
sich selbst aussuchen und muss sie dem
schaften werben mit zahlreichen Produkten
das Geld zusammen mit seinem Anteil an die
Arbeitgeber nennen. Wichtige Kriterien für
um junge Kunden. Verbraucherschützer
Sozialversicherungsträger. Wenn man nicht
die Auswahl sind beispielsweise der Umfang
halten für Berufseinsteiger nur drei private
mehr als 325 Euro brutto im Monat verdient,
der Leistungen, spezielle Wahltarife oder Prä­
Vorsorgeformen für sinnvoll: eine Haftpflicht­
zahlt der Arbeitgeber die Sozialabgaben so­
mien für gesundheitsbewusstes Verhalten.
versicherung, eine Berufsunfähigkeitsver­
gar allein. Wer den Ausbildungsplatz verliert,
Mit den Beiträgen zur Rentenversicherung
sicherung und eine private Altersvorsorge
etwa weil die Firma schließt, oder wer später
erwirbt man den Anspruch auf eine spätere
(siehe Seite 33).
einmal arbeitslos wird, ist weiter versichert.
Rente. Bei einem Arbeits­ oder Wegeunfall
In diesem Fall übernimmt die Bundesagentur
erhält man Rentenleistungen der Unfall­ und
für Arbeit die Beiträge.
gegebenenfalls auch der Rentenversicherung.
Ausbildungsstart:
Darum muss man sich
selbst kümmern
Darum kümmert sich der
Arbeitgeber
• Dem Arbeitgeber die persönliche Identifikations­
• Zur Sozialversicherung anmelden: Der Arbeitgeber
nummer, abgekürzt Steuer­ID, Geburtsdatum und
muss seine Arbeitnehmer und Auszubildenden bei
Religionszugehörigkeit mitteilen.
der Unfall-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung
• Eine Bescheinigung vom Arzt einholen, sofern man
melden. Die Beiträge für die Sozialversicherung
nicht volljährig ist. Den Berechtigungsschein für eine
werden automatisch vom Gehalt abgezogen.
kostenlose ärztliche Untersuchung kann man bei der
• Sozialversicherungsausweis beantragen: Jeder
Gemeinde­ oder Stadtverwaltung beantragen.
Arbeitnehmer erhält eine persönliche Sozialversiche­
• Eine Krankenkasse aussuchen, Angebote verglei­
rungsnummer, abgekürzt SV­Nummer, die er das
chen. Damit fällt auch die Entscheidung für eine
ganze Leben lang behält. Der Sozialversicherungs­
ausweis wird ihm per Post zugeschickt.
Pflegekasse.
• Ein Gehaltsgirokonto bei einer Bank oder Sparkasse
• Steuern abführen: Wenn Lohnsteuer anfällt, zahlt der
einrichten.
Ausbildungsbetrieb diese an das Finanzamt, ebenso
• Sich über die Rechte und Pflichten von Auszubilden­
den Solidaritätszuschlag und die Kirchensteuer.
• Ausbilder stellen, Ausbildungsinhalte festlegen und
den informieren.
• Sich über staatliche Fördermöglichkeiten informieren
und gegebenenfalls einen Antrag stellen, zum Beispiel
für Wohngeld oder Umzugskosten.
überprüfen.
• Ansprechpartner benennen, zum Beispiel Jugend­
und Auszubildendenvertretung, Betriebsrat,
• Den Arbeitgeber nach vermögenswirksamen
Geklickt
Übersicht des Bundesinstituts für
Berufliche Bildung mit Informati­
onsquellen für Jugendliche zum
Thema Aus­ und Weiterbildung
www.bibb.de
Job­Lexikon mit Begriffserläute ­
rungen rund um das Thema
Berufswelt
www.sozialpolitik.com/lexikon
Arbeitsmaterialien in der Sozial­
politik­Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/materialien
• Arbeitsblatt: Von Anfang an
versichert (Fragebogen zur
Ergebnissicherung)
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Berufseinstieg
• Arbeitsblatt: Abi und dann:
Studium oder Ausbildung?
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Entwicklung der Sozialversiche ­
rungsbeiträge
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Sozialversicherung im Überblick
Gleichstellungsbeauftragte, Behindertenbeauftragte.
Leistungen und betrieblicher Altersvorsorge fragen.
• In die Sicherheitsvorschriften des Betriebs einweisen.
///////////////////////////////
IM AUSBILDUNGSVERTRAG MÜSSEN STEHEN:
•
Name und Anschrift der Vertragspartner
•
Höhe der Ausbildungsvergütung
•
Art der Ausbildung
•
Dauer des Jahresurlaubs
•
Beginn und Dauer der Ausbildung
•
Voraussetzungen für die Kündigung
•
Ziel der Ausbildung
•
Hinweis auf geltende Tarifverträge, Betriebs­
•
Pflichten des Ausbildenden
•
Pflichten des Auszubildenden
•
Arbeitszeit
oder Dienstvereinbarungen
•
Datum und Unterschrift der Vertragspartner
Musterverträge zum Herunterladen gibt es bei www.dihk.de > Themenfelder > Aus­ und Weiterbildung >
Ausbildung > Ausbildungspolitik > Service.
Gefragt
Berechnen Sie ausgehend
von einem Bruttogehalt
von 610 Euro die Höhe der
Sozialabgaben und den monat­
lichen Nettoverdienst.
Stellen Sie diesem Nettover­
dienst in einer Tabelle Ihre
festen monatlichen Ausgaben,
zum Beispiel für Kleidung,
Handy oder Freizeitgestaltung,
gegenüber. Überprüfen Sie, ob
Sie Geld übrig hätten, um zum
Beispiel die Miete für eine
eigene Wohnung bezahlen zu
können.
///////////////////////////////
17
Arbeitsrecht 1
Was Arbeitnehmer
beschäftigt
Die Jugend- und Auszubildendenvertretung im Betrieb, abgekürzt JAV, schaut auf die Ausbildungsqualität
und prüft, ob Gesetze und Tarifverträge eingehalten werden. Auch die Übernahme nach der Ausbildung
ist ein wichtiges Thema. Eric Leiderer, ehemaliger Bundesjugendsekretär der IG Metall, sagt: „Für Auszubildende
haben wir sie in der Stahlindustrie und der Metall- und Elektroindustrie tarifvertraglich durchgesetzt.
Die JAV-Gremien in den Betrieben waren maßgeblich an diesem Erfolg beteiligt.“
IG Metall Jugend: „Ohne JAV läuft es einfach nicht“, www.igmetall.de, 16. September 2014, gekürzt und sprachlich leicht bearbeitet
Die Jugend- und
Auszubildendenvertretung
Betriebsräte:
Arbeitnehmer bestimmen mit
Auszubildende sind keine billigen Hilfskräfte, sondern haben
Wenn in einem Unternehmen mindestens fünf Arbeitnehmer
das Recht auf eine Ausbildung unter genau festgelegten
ständig beschäftigt sind, kann ein Betriebsrat gegründet werden.
Bedingungen. Bei Schwierigkeiten sollten sie zunächst mit
Dieser vertritt die Interessen der Belegschaft und kann Einfluss
dem Ausbilder oder der Jugend­ und Auszubildendenvertre­
auf die Arbeitsplatzgestaltung nehmen. Das Betriebsverfas­
tung, abgekürzt JAV, im Betrieb sprechen. Die JAV achtet
sungsgesetz regelt die Rechte des Betriebsrats:
darauf, dass die für Jugendliche und Auszubildende relevanten
Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen im
• In sozialen Angelegenheiten hat er ein Mitbestimmungs-
Unternehmen eingehalten werden. Sie informiert auch darü­
recht, zum Beispiel bei betriebsspezifischen Arbeitszeit­ oder
ber, was im Betrieb geschieht, welche Projekte anstehen oder
Urlaubsregelungen oder in Fragen des Arbeitsschutzes. Das
wie sich die wirtschaftliche Lage des Unternehmens entwi­
heißt, der Arbeitgeber kann nur mit Zustimmung des Betriebs­
ckelt. In die JAV dürfen sich Auszubildende und Arbeitnehmer
rats entscheiden.
bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres wählen lassen.
Die JAV arbeitet eng mit dem Betriebsrat zusammen. Wenn es
• Bei personellen Angelegenheiten wie Einstellungen, Verset­
keine solche Interessenvertretung gibt, können Auszubildende
zungen oder Kündigungen hat er ein Mitwirkungsrecht, zum
sich auch an die Ausbildungsberater der zuständigen
Beispiel bei der Erstellung eines Sozialplans. Das heißt, er
Industrie­ und Handelskammer wenden.
kann den Entscheidungen des Arbeitgebers widersprechen.
• In wirtschaftlichen Angelegenheiten hat er lediglich ein
Informationsrecht. Das heißt, er muss informiert werden,
zum Beispiel über Investitionsentscheidungen oder Betriebs­
änderungen.
Bei größeren Unternehmen mit Niederlassungen in mehreren
europäischen Ländern vertritt ein Europäischer Betriebsrat,
abgekürzt EBR, die Interessen der Arbeitnehmer. In größeren
Aktiengesellschaften und Organisationen sind die Arbeitneh­
mer zusätzlich im Aufsichtsrat vertreten, der den Vorstand
kontrolliert. Deutschland hat im europäischen Vergleich sehr
viele Mitbestimmungsrechte.
18
Rechte und Pflichten von Auszubildenden
Geklickt
AUSZUBILDENDE ...
… erhalten eine angemessene Ausbildungsvergü­
tung, auch während des Berufsschulunterrichts.
… sind verpflichtet, am Berufsschulunterricht
teilzunehmen.
… erlernen alle für das Ausbildungsziel erforder ­
lichen Fertigkeiten und Kenntnisse.
… sollen alles erlernen, was wichtig für den Beruf ist.
… bekommen nur Aufgaben übertragen, die dem
Ausbildungszweck dienen.
… müssen den Anweisungen des Ausbilders folgen
und die Betriebsordnung einhalten.
… sollen alle Aufgaben sorgfältig ausführen.
… erhalten kostenlose Ausbildungsmittel,
Werkzeuge und Werkstoffe, die für die Ausbildung
und Prüfungen erforderlich sind.
… sind verpflichtet, über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu schweigen.
… werden über Arbeitsschutzmaßnahmen informiert.
… müssen Werkzeuge, Maschinen und sonstige
Einrichtungen pfleglich behandeln.
… werden freigestellt, wenn Berufsschulunterricht,
Prüfungen oder andere Ausbildungsmaßnahmen
anstehen.
… erhalten ein Zeugnis mit Angabe der Art, Dauer
und dem Ziel der Ausbildung sowie über die erworbenen Fertigkeiten und Kenntnisse.
… sind verpflichtet, den Arbeitsschutz einzuhalten.
… sind verpflichtet, Fehlstunden zu melden und
bei Krankheit ein ärztliches Attest vorzulegen.
Informationen der Hans­Böckler­
Stiftung rund um das Thema
Arbeitsrecht
www.boeckler.de
Job­Lexikon mit Begriffserläute ­
rungen rund um das Thema
Berufswelt
www.sozialpolitik.com/lexikon
Arbeitsmaterialien in der Sozial­
politik­Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/materialien
• Arbeitsblatt: Was Arbeitnehmer
beschäftigt (Fragebogen zur
Ergebnissicherung)
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Arbeitsrecht
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Betriebliche Mitbestimmung
Gewählt
RECHTE
PFLICHTEN
Bürgertelefon zum Arbeitsrecht
(0 30) 2 21 91 10 04
Montag bis Donnerstag 8 bis 20 Uhr
Wenn Auszubildende während ihrer Ausbildung am Arbeitsort in Konflikte geraten, vertreten Betriebs­
räte oder die Jugend- und Auszubildendenvertretung ihre Interessen. Bei der zuständigen Industrie- und
Handelskammer gibt es Ausbildungsberater und einen Schlichtungsausschuss.
Quelle: eigene Darstellung, nach: Bundesagentur für Arbeit
Kündigungsschutz: Sicherheit für
Arbeitnehmer und Arbeitgeber
Ausbildungsvergütung –
mit und ohne Tarifbindung
Der Kündigungsschutz bewahrt Arbeitnehmer vor
Ausbildungsvergütungen sollen nach dem Berufsbil­
willkürlichen und sozial ungerechten Entlassungen.
dungsgesetz „angemessen“ sein und einen fühlbaren
Arbeitgebern bietet er ebenfalls Sicherheit, denn auch
Beitrag zum Lebensunterhalt leisten. Sie sollen mit
die Mitarbeiter müssen sich an die gesetzlich geregel­
fortschreitender Berufsausbildung ansteigen und das
ten Fristen und Formalitäten halten. Fristlose Kündi­
Alter der Auszubildenden berücksichtigen.
gungen können nur bei groben Verstößen wie Arbeits­
///////////////////////////////
Gefragt
Lisas Arbeitgeber setzt seine
Auszubildenden immer wie­
der für Tätigkeiten ein, die mit
ihrer Ausbildung nichts zu tun
haben. Lisa hat Sorge, dass
sie ihre Abschlussprüfung des­
halb nicht schafft.
Listen Sie mithilfe des Textes
verweigerung, Beleidigungen, sexueller Belästigung
Für viele Ausbildungsberufe gelten Tarifverträge, die
Lisas Handlungsmöglichkeiten
oder unpünktlichen Gehaltszahlungen ausgesprochen
zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaf­
auf, und bewerten Sie Vor­ und
werden. Gegen eine Kündigung kann vor dem Arbeits­
ten geschlossen wurden (siehe nächstes Kapitel).
Nachteile.
gericht geklagt werden.
In diesen Verträgen wird auch die Höhe der Ausbil­
dungsvergütung geregelt. Die tariflichen Regelungen
Für Auszubildende besteht ein besonderer Kündi­
fallen je nach Region, Branche und Ausbildungsjahr
gungsschutz, ebenso für Schwangere und Mütter bis
unterschiedlich aus.
///////////////////////////////
vier Monate nach der Entbindung, schwerbehinderte
Menschen, freiwillig Wehrdienstleistende und Arbeit­
Ausbildungsbetriebe, die nicht tarifgebunden sind, sol­
nehmer in Eltern­ oder Pflegezeit.
len sich an diesen Regelungen orientieren. Sie können
jederzeit mehr bezahlen, dürfen den Tarif jedoch nicht
weit unterschreiten. Es gibt eine gesetzliche Unter­
ARBEITSRECHT
Das Individualarbeitsrecht regelt das Verhältnis
zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Hier
finden sich Gesetze zu Arbeitsbedingungen, bei­
spielsweise zur Arbeitszeit, zur Kündigung, zum
grenze von 80 Prozent der tariflichen Vergütung in der
betreffenden Branche und Region. Auszubildende kön­
nen sich bei den Gewerkschaften über die tariflichen
Regelungen informieren und mit dem Arbeitgeber
verhandeln.
Entgelt oder zum Urlaub. Das kollektive Arbeits­
recht umfasst Gesetze, welche die Arbeitnehmer
als Gruppe angehen, zum Beispiel Fragen zur Mit­
bestimmung, zu Betriebsvereinbarungen oder zu
Lohnvereinbarungen im Tarifvertrag.
19
Arbeitsrecht 2
Arbeitnehmer
bestimmen mit
„Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften regeln gemeinsam die Arbeitsbedingungen, ohne dass der Staat darauf
unmittelbar Einfluss nimmt. […] Das Prinzip der Sozialpartnerschaft – der Wille zu einvernehmlichen Lösungen –
ermöglicht Stabilität und sozialen Frieden, gestaltet soziale Gerechtigkeit und trägt maßgeblich zu Wachstum,
Beschäftigung und Wohlstand bei.“
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, www.arbeitgeber.de/www/arbeitgeber.nsf/id/DE_Soziale_Marktwirtschaft, Stand: Juni 2014
Tarifautonomie und Sozialpartnerschaft
Tarifautonomie im Wandel
Arbeitnehmer können ihre Interessen ge­
jeden Betrieb in der betreffenden Branche
meinsam vertreten, indem sie eine Gewerk­
gültig. Der Arbeitgeber muss sich in der Regel
schaft bilden. Gleiches gilt für Arbeitgeber, die
nur dann an den Tarifvertrag halten, wenn er
sich in einem Arbeitgeberverband organisie­
entweder Mitglied im Arbeitgeberverband ist
ren können. Diese so genannte Koalitionsfrei­
oder selbst einen Firmentarifvertrag verein­
wir wollen freie Wirtschaftler sein!
heit wird vom Grundgesetz Artikel 9 Absatz 3
bart hat. Außerdem muss der Arbeitnehmer
Fort die Gruppen – sei unser Panier!
geschützt. In Deutschland gibt es eine lange
Mitglied in der Gewerkschaft sein. Ist dies
Na, ihr nicht. Aber wir.
Tradition, dass Gewerkschaften und Arbeitge­
nicht der Fall, besteht nur dann ein Anspruch
berverbände die Konflikte partnerschaftlich
auf die tariflichen Rechte, wenn Arbeitgeber
lösen. Man spricht daher auch von Sozialpart­
und Arbeitnehmer dies vereinbart haben.
nerschaft.
Von diesem Grundsatz gibt es eine Ausnah­
Tarifverträge sind nicht automatisch für
me: Die zuständigen Bundes­ oder Landes­
Ihr sollt auf euern Direktor vertrauen.
Ihr sollt die Schlichtungsausschüsse verlassen.
Ihr sollt alles Weitere dem Chef überlassen.
Kein Betriebsrat quatsche uns mehr herein,
Ihr braucht keine Heime für eure Lungen,
keine Renten und keine Versicherungen.
Ihr solltet euch allesamt was schämen,
von dem armen Staat noch Geld zu nehmen!
Ihr sollt nicht mehr zusammenstehn –
Die Sozialpartner verhandeln autonom, also
ministerien können einen Tarifvertrag als
wollt ihr wohl auseinandergehn!
eigenständig. Der Staat darf ihnen dabei nicht
allgemein verbindlich erklären.
Keine Kartelle in unserm Revier!
Ihr nicht. Aber wir.
hineinreden. Dabei geht es vor allem um
Tarife, also die Löhne, welche die Arbeitneh­
Das System der Tarifverträge ist in den
mer von den Arbeitgebern bekommen. Um
vergangenen beiden Jahrzehnten löchriger
ihre Forderungen durchzusetzen, haben die
geworden, da weniger Arbeitnehmer und
gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer
Arbeitgeber in Gewerkschaften und Arbeit­
das Recht zu streiken. Sie erhalten in dieser
geberverbänden organisiert sind. Die Zahl
Zeit für den wegfallenden Lohn ein Streikgeld
der Beschäftigten mit Tarifvertrag ist bis zum
von ihrer Gewerkschaft. Die Arbeitgeber kön­
Jahr 2013 stetig gesunken, erst im Jahr 2014
Gut organisiert sitzen wir hier –
nen darauf mit Aussperrung reagieren und
stieg sie wieder leicht an. Durch Minijobs,
Ihr nicht. Aber wir.
den ausgesperrten Arbeitnehmern für diese
Leiharbeit oder befristete Arbeitsverträge
Zeit ihren Lohn und den Zutritt zur Arbeits­
werden Betriebsratsgründungen erschwert.
stelle verweigern. Ziel des Arbeitskampfes ist
Je weniger Beschäftigte im Unternehmen
es, zu einer Vereinbarung zu gelangen, die für
sind, desto seltener ist eine Mitarbeiterver­
beide Seiten akzeptabel ist.
tretung vorhanden. Dies betrifft vor allem
den Dienstleistungsbereich.
20
Ihr sollt die verfluchten Tarife abbauen.
Wir bilden bis in die weiteste Ferne
Trusts, Kartelle, Verbände, Konzerne.
Wir stehen neben den Hochofenflammen
in Interessengemeinschaften fest zusammen.
Wir diktieren die Preise und die Verträge –
kein Schutzgesetz sei uns im Wege.
Auszug aus Kurt Tucholskys Gedicht
„Die freie Wirtschaft“, 1930
Geklickt
Internetseiten des Deutschen
Gewerkschaftsbundes und der
Bundesvereinigung der Deutschen
Arbeitgeberverbände
www.dgb.de
www.arbeitgeber.de
Job­Lexikon mit Begriffserläute ­
rungen rund um das Thema
Berufswelt
www.sozialpolitik.com/lexikon
Arbeitsmaterialien in der Sozial­
politik­Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/materialien
• Arbeitsblatt, Schaubild und Hin­
tergrundinformationen: Arbeits­
recht
• Arbeitsblatt: Tarifpolitik
• Schaubild: So entsteht ein Tarif­
vertrag
• Arbeitsblatt und Schaubild: Streik
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Der gesetzliche Mindestlohn
• Arbeitsblatt und Schaubild: Zeit­
arbeit
Mindestlohn
///////////////////////////////
Seit dem 1. Januar 2015 gilt in Deutschland erstmals
Ziel des gesetzlichen Mindestlohns ist es, das Einkom­
ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn. Bundesweit
men von Geringverdienern zu verbessern und sie in
erhalten alle Beschäftigen in sämtlichen Branchen
die Lage zu versetzen, mit ihrer Arbeit ihren Lebens­
nun einen Lohn in Höhe von mindestens 8,50 Euro pro
unterhalt bestreiten zu können. Gleichzeitig soll der
Stunde. Dies gilt auch für so genannte Minijobber. Da­
Mindestlohn das Sozialversicherungssystem stärken,
von ausgenommen sind lediglich Kinder und Jugendli­
da bei höheren Löhnen auch höhere Sozialbeiträge in
che, Auszubildende, ehrenamtlich Tätige und unter
die Sozialversicherungen eingezahlt werden. Kritiker
bestimmten Umständen Praktikanten. Wer einen Lang­
des Mindestlohns sehen in dem Gesetz einen Eingriff
zeitarbeitslosen einstellt, muss ihm in den ersten sechs
in die Tarifautonomie. Viele Arbeitgeber befürchten,
Monaten noch keinen Mindestlohn zahlen. Damit soll
aufgrund der höheren Löhne nicht mehr wirtschaftlich
die Beschäftigungsquote von Langzeitarbeitslosen
arbeiten zu können und somit Beschäftigte entlassen
erhöht werden. Darüber hinaus gibt es für einzelne
zu müssen. Sie fordern weitere Ausnahmeregelungen.
Branchen wie die Land­ und Forstwirtschaft und das
Eine unabhängige Kommission mit Arbeitnehmer­ und
Friseurhandwerk Übergangsregelungen bis Ende 2016,
Arbeitergebervertretern berät alle zwei Jahre über die
bevor der gesetzliche Mindestlohn dann auch hier zur
Anpassung des Mindestlohns. Außerdem werden die
Anwendung kommt. In anderen Branchen wird bereits
wirtschaftlichen Auswirkungen des Mindestlohns
heute gemäß Tarifvertrag ein höherer Mindestlohn als
auf den Arbeitsmarkt regelmäßig beobachtet. Weitere
8,50 Euro gezahlt.
Informationen zum Mindestlohn gibt es unter
www.der-mindestlohn-wirkt.de.
Gefragt
Prüfen Sie, welche Aussagen
in Tucholskys Gedicht „Freie
Wirtschaft“ heute noch Gültig­
keit haben oder was sich ge­­
ändert hat. Entwerfen Sie eine
neue Strophe aus der sozial­
politischen Sicht von heute.
Geben Sie die im Schaubild
dargestellten Schritte zum
Tarifvertrag in eigenen Worten
wieder. Begründen Sie, warum
es manchmal sinnvoll sein
kann, mit einem Vertragsab­
schluss zu warten und den
Weg der Schlichtung oder des
Streiks einzuschlagen.
///////////////////////////////
Ohne Mindestlohn
Zeichnung: Thomas Plaßmann, 2011
21
Gesellschaft für alle 1
Arbeiten
mit Behinderung
Frau W.* ist Sozialarbeiterin und stark sehbehindert. Sie arbeitet
bei einem gemeinnützigen Träger. Aufgrund ihrer Sehbehinderung ist sie
sowohl auf eine Arbeitsassistentin angewiesen, die ihr bei den verschiedenen Tätigkeiten
während ihrer Arbeit zur Verfügung steht, als auch auf eine Arbeitsplatzausstattung,
mit der sie als Sehbehinderte selbstständig am Computer arbeiten kann.
Frau W. beantragte bei der Agentur für Arbeit eine technische Hilfsmittelausstattung und Arbeitsassistenz in Form eines Persönlichen Budgets.
Das Persönliche Budget verschaffte ihr zum einen mehr Freiraum für die Organisation der Arbeitsassistenz und zum anderen Hilfsmittel an
verschiedenen Standorten.
Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Das Persönliche Budget für Menschen mit Behinderungen – Gute Beispiele aus der Praxis,
Seite 55, gekürzt und sprachlich leicht bearbeitet.
* Die im Text genannte Person stimmt nicht mit der abgebildeten Person überein.
Berufsausbildung mit Behinderung
Nach dem Berufsbildungsgesetz haben Jugendliche mit Behinderung
grundsätzlich Anspruch auf eine reguläre Berufsausbildung. Wenn
sie zusammen mit Jugendlichen ohne Behinderung ausgebildet werden,
haben sie bessere Chancen, vom Betrieb übernommen und auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt zu werden. Nach Angaben des
Bundesinstituts für Berufsbildung bewertet etwa die Hälfte der Betriebe,
die Jugendliche mit Behinderung ausbilden, ihre Erfahrungen als positiv.
VON DER BEEINTRÄCHTIGUNG ZUR BEHINDERUNG
Der Teilhabebericht der Bundesregierung unterscheidet zwischen
Menschen mit Beeinträchtigungen und Menschen mit Behinde­
rungen. Menschen mit Beeinträchtigungen haben aufgrund von
geistigen oder körperlichen Störungen zum Beispiel beim Sehen,
Hören oder Gehen eine verminderte Leistungsfähigkeit. Aber erst
wenn ihre Teilhabe an der Gesellschaft und am Arbeitsleben durch
diese Störung und aufgrund ungünstiger Umweltfaktoren dauer­
Bei der Ausbildung für einen anerkannten Ausbildungsberuf werden
haft eingeschränkt ist, spricht der Teilhabebericht von einer
die besonderen Verhältnisse von Menschen mit Behinderung berück­
Behinderung.
sichtigt. Dies gilt vor allem für Zeit und Aufbau der Ausbildung, Dauer
der Prüfungszeiten, Zulassung von Hilfsmitteln und für Hilfeleistungen
Dieser Definition liegt die Sichtweise zu Grunde, dass es normal
wie Gebärdensprachdolmetscher. Wenn eine Regelausbildung wegen
ist, verschieden zu sein, und dass Beeinträchtigungen Teil der
einer Behinderung nicht möglich ist, kann ein so genannter Fach-
menschlichen Vielfalt sind. Erst die Benachteiligung macht aus
praktikerberuf erlernt werden. Dafür gibt es besondere Ausbildungs­
einer Beeinträchtigung eine Behinderung. Diese Sichtweise ermög­
regelungen. Für Jugendliche mit Lernschwierigkeiten werden zum
Beispiel praktische Ausbildungs­ und Prüfungsinhalte stärker betont
als theoretische. Umgekehrt können bei körperlichen Behinderungen
bestimmte praktische Anteile weggelassen werden.
22
licht es, die individuelle Lebenssituation zu berücksichtigen und
diejenigen Faktoren genauer in den Blick zu nehmen, die vom
„Beeinträchtigt­Sein“ zum „Behindert­Werden“ führen.
Gleiche Chancen
Unterstützte Beschäftigung
In Artikel 3 des Grundgesetzes heißt es: „Niemand darf
Unterstützte Beschäftigung ist ein Angebot für Men­
wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
schen, die aufgrund ihrer Behinderung keine reguläre
Außerdem gibt es ein spezielles Gesetz zur Gleichstel­
Berufsausbildung oder Berufsvorbereitungsmaßnahme
lung von Menschen mit Behinderung. Damit sollen Dis­
machen können, aber auch keine speziellen Angebote
kriminierungen beseitigt und ein selbstbestimmtes
in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung
Leben ermöglicht werden. So müssen zum Beispiel neue
brauchen. Die Berufseinsteiger werden durch Beratung
öffentliche Gebäude behindertengerecht geplant werden.
unterstützt und bis zu zwei Jahre lang in einem Betrieb
Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen sind
qualifiziert. Diese Beschäftigung wird als Rehabilitati­
gesetzlich verpflichtet, wenigstens fünf Prozent der
onsmaßnahme in der Regel von der Bundesagentur für
Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen zu
Arbeit finanziert.
besetzen. Wer diese Quote nicht erfüllt, muss eine
Abgabe zahlen. Mit dem Geld werden schwerbehinderte
Menschen dabei unterstützt, auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt eine Beschäftigung zu finden. Das Sozial­
gesetzbuch Neuntes Buch, abgekürzt SGB IX, hat die
Förderung der aktiven, selbstbestimmten und eigenver­
Persönliches Budget
antwortlichen Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
Mit dem so genannten Persönlichen Budget können
zum Ziel.
Menschen mit Behinderung selbstbestimmt soziale
Leistungen einkaufen und bezahlen, beispielsweise
Die Bundesregierung plant außerdem ein Bundesteilha­
Fahrdienste oder Haushaltshilfen. Jüngere Menschen
begesetz. Mithilfe des Gesetzes sollen sich die Leistun­
mit Behinderung, die volljährig werden, können das
gen für Menschen mit Behinderung künftig stärker am
Persönliche Budget auch nutzen, um beispielsweise
persönlichen Bedarf orientieren. Menschen mit Behinde­
zuhause auszuziehen und in einer betreuten Wohnge­
rung und ihre Verbände werden in Arbeitsgruppen am
meinschaft zu leben. Das Persönliche Budget ist frei­
Gesetzgebungsprozess beteiligt.
willig: Als Experte in eigener Sache entscheidet jeder
Geklickt
Informationen des Bundesministe ­
riums für Arbeit und Soziales zur
Teilhabe und zum Persönlichen
Budget
www.budget.bmas.de
www.einfach-teilhaben.de
www.gemeinsam-einfachmachen.de
Arbeitsmaterialien in der Sozial­
politik­Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/materialien
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Gesellschaft für alle
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Inklusion an Schulen
• Arbeitsblatt: Inklusion – Politik
für Menschen mit Behinderung
• Schaubild: Inklusion: Behinde ­
rung in Zahlen
Gewählt
Bürgertelefon zum Thema Behin­
derung
(0 30) 2 21 91 10 06
Montag bis Donnerstag 8 bis 20 Uhr
Gebärdentelefon
Zieladresse: gebaerdentelefon @
sip.bmas.buergerservice-bund.de
Montag bis Donnerstag 8 bis 20 Uhr
selbst, welche Maßnahmen für ihn persönlich hilfreich
sind. Diese Wahlfreiheit fördert die Selbstbestimmung
und Teilhabe von Menschen mit Behinderung.
///////////////////////////////
Gefragt
Erklären Sie in eigenen Wor­
ten die Begriffe „Beeinträchti­
gung“, „Behinderung“ und
„Benachteiligung“.
///////////////////////////////
23
Gesellschaft für alle 2
Auf dem Weg zur
inklusiven Schule
„Gemeinsam in Vielfalt“: Das ist an der Gemeinschaftsgrundschule Wolperath-Schönau nicht nur Motto, es wird auch
praktiziert. Von den zurzeit 194 Schülerinnen und Schülern, die hier unterrichtet werden, haben 24 einen ausgewiesenen
sonderpädagogischen Förderbedarf. Die Schulleitung besteht aus einer Regelschullehrerin und einer Sonderpädagogin.
Im Unterricht steht immer das individuelle Können im Vordergrund. Das bedeutet, dort anzusetzen, wo die Kinder stehen, damit sie ihre Potenzi­
ale gezielt entwickeln können. Während vier Kinder ein Würfelspiel spielen, rechnet ein anderes mithilfe von Mengenbildern und mit Unterstüt­
zung einer pädagogischen Mitarbeiterin konzentriert seine Aufgaben. Einige Kinder arbeiten an unterschiedlichen Arbeitsblättern, und wer mit
seinen Aufgaben fertig ist, holt sein aktuelles Buch unter dem Tisch hervor und liest.
Quelle: Jakob­Muth­Preis für inklusive Schule, Preisträger 2013/14, Stand Mai 2015,
www.jakobmuthpreis.de, gekürzt und sprachlich leicht bearbeitet
Die Idee der Inklusion
Inklusion bedeutet die gemeinsame und vor allem gleichbe­
UN-KONVENTION ÜBER DIE RECHTE
VON MENSCHEN MIT BEHINDERUNG
rechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung
Im März 2009 ist das Übereinkommen der Vereinten Nationen (United
am politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kultu­
Nations, abgekürzt UN) über die Rechte von Menschen mit Behinderung
rellen Leben. Dazu zählen Arbeitswelt und Freizeit, aber natür­
in Deutschland in Kraft getreten. Die Bundesregierung hat sich zu dessen
lich auch Erziehung und Bildung in Kindergarten, Schule,
Einhaltung und Umsetzung verpflichtet. Menschen mit Behinderung sol­
Universität und Betrieb. Vielfalt und Unterschiedlichkeit der
len in allen gesellschaftlichen Bereichen genauso am öffentlichen Leben
Menschen werden in der Inklusion als Chance begriffen, von­
teilhaben können wie Menschen ohne Behinderung. Arbeit und Bildung
einander zu lernen und zu profitieren, unabhängig von den
Voraussetzungen, die ein Mensch mitbringt. Inklusion ist aber
nicht nur eine Idee. Vielmehr ist sie mit dem Übereinkommen
der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit
Behinderung vom Dezember 2006 zu einer verbindlichen
Richtlinie der Politik auf allen Ebenen geworden.
24
sind dabei zentrale Bereiche, welche die Bundesregierung mit dem Natio­
nalen Aktionsplan für mehr Teilhabe und Chancengleichheit fördern will.
Teil des Aktionsplans ist die Inklusionsinitiative für Ausbildung und
Beschäftigung. Ihr übergreifendes Ziel ist es, für das Potenzial und die
Leistungsfähigkeit von Menschen mit Behinderung zu sensibilisieren und
sie besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Weitere Informationen gibt
es unter www.bmas.de.
Inklusiver Unterricht
Inklusion als Prozess
Noch besuchen in Deutschland drei von vier Schülern
Seit die Bundesregierung die UN­Konvention über die
mit Förderbedarf spezielle Förderschulen. Ziel und
Rechte von Menschen mit Behinderung unterzeichnet
zugleich Forderung der UN­Konvention ist es jedoch,
hat, ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit
möglichst viele Kinder und Jugendliche mit und ohne
Förderbedarf an den Regelschulen von rund 18 auf über
Behinderung gemeinsam an Regelschulen zu unter­
28 Prozent gestiegen. Da jedoch bei immer mehr Kin­
richten. Dazu müssen an den Regelschulen entspre­
dern und Jugendlichen ein Förderbedarf festgestellt
chende Voraussetzungen geschaffen werden: Lehrkräf­
wird, ist die absolute Zahl der Schüler, die an Förder­
te müssen mit Blick auf die Anforderungen des inklusi­
schulen unterrichtet werden, im selben Zeitraum kaum
ven Unterrichts aus­ und weitergebildet werden, Klas­
zurückgegangen.
senräume müssen barrierefrei gestaltet sein. Außer­
dem muss sich das Bewusstsein von Lehrern, Eltern
Kritiker bemängeln, dass die gestiegene Förderquote
und Kindern wandeln.
zum Erhalt der Förderschulen beiträgt und den Ausbau
der Inklusionsschulen behindert. Ihrer Meinung nach
sollten das Personal und die finanziellen Mittel der För­
Geklickt
Projekt des Bundesverbandes der
evangelischen Behindertenhilfe
zur Umsetzung des Inklusionsge ­
dankens an Schulen
www.vielfalt-in-bildung.de
Arbeitsmaterialien in der Sozial­
politik­Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/materialien
• Arbeitsblatt, Schaubild und Hin­
tergrundinformationen: Inklusion
an Schulen
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Gesellschaft für alle
• Arbeitsblatt: Inklusion – Politik
für Menschen mit Behinderung
• Schaubild: Inklusion: Behinde ­
rung in Zahlen
derschulen besser im inklusiven Unterricht an Regel­
schulen eingesetzt werden. Der hohe Anteil von Schü­
lern an Förderschulen verweist darauf, dass die Aus­
stattung der Regelschulen häufig noch nicht ausreicht,
um den Inklusionsgedanken umzusetzen. Er zeigt
auch, dass viele Eltern ihre Kinder mit Förderbedarf
immer noch lieber auf Förderschulen schicken und sie
dort besser aufgehoben sehen. Inklusion in der Schule
bleibt also nach wie vor eine große Herausforderung
für alle Beteiligten.
///////////////////////////////
Gefragt
Beziehen Sie begründet Stel­
lung zu der Aussage „Inklu­
sion ist ein Prozess“.
Analysieren Sie das Schaubild,
und bewerten Sie Ihre Ergeb­
nisse mithilfe des Textes.
///////////////////////////////
25
Krankenversicherung
Hauptsache gesund
Auszubildende sind vom ersten Tag an bei einer gesetzlichen Krankenkasse pflichtversichert. Damit sind sie Teil
einer Gemeinschaft, die rund 70 Millionen Mitglieder inklusive der mitversicherten Angehörigen umfasst.
Hier gilt das Motto: Die Starken unterstützen die Schwachen.
Alle für einen:
gesetzliche Krankenversicherung
Jeder nach dem persönlichen Risiko:
private Krankenversicherung
Als erste Sozialversicherung wurde in Deutschland unter Reichs­
Wer so viel verdient, dass das Einkommen die genannte Versiche­
kanzler Bismarck im Jahr 1883 die Krankenversicherung eingeführt
rungspflichtgrenze übersteigt, kann nach einem Jahr wählen, ob er
(siehe Schaubild auf Seite 8). Die gesetzliche Krankenversicherung
sich freiwillig gesetzlich oder privat versichern möchte. Auch Selbst­
übernimmt medizinische Leistungen und Kosten zur Gesundheitsvor­
ständige und Beamte können sich privat krankenversichern. 2013
sorge. Sie wird aus Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern
waren rund 8,9 Millionen Menschen Mitglied in einer privaten Kran­
gemeinsam finanziert. Beide zahlen jeweils 7,3 Prozent des monat­
kenversicherung. Sie finanziert sich über die Prämien, also Beiträge
lichen Bruttoeinkommens des Arbeitnehmers (Stand 2015, siehe
der Versicherten. Die Höhe der Prämie richtet sich nicht nach dem
Gehaltsabrechnung auf Seite 17). Arbeitnehmer und Angestellte mit
Einkommen, sondern ist vom individuellen Krankheitsrisiko, Alter
einem Einkommen unterhalb der so genannten Versicherungspflicht­
und Geschlecht sowie vom gewählten Umfang des Versicherungs­
grenze von 54.900 Euro im Jahr 2015 sind in der Krankenversicherung
schutzes abhängig. Privatversicherte, die den vollen Leistungskatalog
pflichtversichert. Gleiches gilt für Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger,
finanzieren können, erhalten jede gewünschte Gesundheitsleistung.
Rentner, landwirtschaftliche Unternehmer, Heimarbeiter, Studierende,
bestimmte Berufsgruppen bei Selbstständigen sowie Bundesfreiwilli­
Bei der privaten Krankenversicherung findet also kein sozialer
gendienstleistende.
Ausgleich statt. Jeder zahlt für sich selbst nach persönlichem Risiko
und Bedürfnissen. Das nennt man Äquivalenzprinzip. Je jünger und
26
Die gesetzliche Krankenversicherung beruht auf dem Solidarprinzip.
gesünder man bei Versicherungsabschluss ist, desto niedriger fallen
Das bedeutet, dass Arbeitnehmer mit einem höheren Einkommen
die Prämien aus. Das ist vor allem für jüngere und gesunde Menschen
höhere Beiträge zahlen, Arbeitnehmer mit einem niedrigeren Einkom­
attraktiv. Es gibt jedoch auch Nachteile: Familienmitglieder sind nicht
men entsprechend niedrigere. Ehepartner, die nicht berufstätig sind,
automatisch mitversichert, die Arzt­ und Krankenkosten müssen
und Kinder sind kostenfrei mitversichert. Unabhängig davon, wie
zunächst vom Patienten selbst beglichen und von der Kasse zurück­
hoch der finanzielle Beitrag des Einzelnen ist, erhalten alle Mitglieder
gefordert werden, und die Prämien steigen mit dem Alter und dem
die erforderlichen medizinischen Leistungen.
wachsenden Krankheitsrisiko an.
DAS BIETET DIE GESETZLICHE KRANKENVERSICHERUNG
Gesundheitliche Prävention: Um die Kosten für Krankheitsfälle möglichst gering zu halten, bieten die ge­
setzlichen Krankenkassen gesundheitliche Vorsorge an: Sportkurse, Kurse zum Thema gesunde Ernährung,
kostenfreie Untersuchungen im Kindes­ und Jugendalter und Früherkennungsuntersuchungen auf Krebser­
krankungen. Darüber hinaus unterstützen die Krankenkassen Unternehmen bei der betrieblichen Gesund­
heitsförderung. Dadurch werden gesunde Arbeitsbedingungen geschaffen, von denen die Beschäftigten und
letztlich auch die Unternehmer profitieren.
Finanzielle Absicherung: Bei langwierigen Krankheiten bekommt der Arbeitnehmer in der Regel sechs
Wochen lang seinen Lohn weitergezahlt. Danach überweisen die Krankenkassen Krankengeld. Es beträgt
70 Prozent des Bruttoarbeitslohns.
Sozialversichert bei Krankheit: Auch wenn man Krankengeld erhält, endet der soziale Schutz nicht. Wie der
Arbeitnehmer zahlt auch der Krankengeldbezieher seinen Anteil an den Beiträgen zur Arbeitslosen­ und
Rentenversicherung.
Die gesetzliche Krankenversicherung stabilisieren
Aufgrund der alternden Gesellschaft und des technischen
Durch diese Maßnahmen und dank der hohen Zahl von
Fortschritts in der Medizin steigen die Gesundheitskosten
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten hat sich die
stetig. Die Bundesregierung hat deshalb in den vergange­
finanzielle Situation der Krankenkassen zuletzt deutlich
nen Jahren mehrere Reformen auf den Weg gebracht, um
verbessert. Zum 1. Januar 2015 konnte der allgemeine
die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung
Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung von
zu sichern. Einzelne Leistungen wurden gekürzt oder
15,5 Prozent auf 14,6 Prozent gesenkt werden. Arbeitge­
gestrichen. So werden Zahnersatz und Brillen heute nur
ber und Arbeitnehmer zahlen den gleichen Anteil von
noch anteilig von der Krankenkasse übernommen. Seit
7,3 Prozent. Der Arbeitgeberanteil bleibt auf dieser Höhe
dem Jahr 2009 gibt es außerdem einen Gesundheitsfonds,
eingefroren, die Arbeitnehmer müssen jedoch mit zusätz­
in den die Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber flie­
lichen Belastungen rechnen. Wenn die Kassen mit dem
ßen. Der Beitragssatz ist einheitlich, egal welche Kranken­
Geld nicht auskommen, können sie Zusatzbeiträge von
kasse der Versicherte gewählt hat. Aus dem Gesundheits­
ihren Mitgliedern erheben. Künftige Kostensteigerungen
fonds erhalten die Kassen für jeden Versicherten einen
müssen also die Arbeitnehmer tragen.
pauschalen Betrag sowie ergänzende Zu­ und Abschläge,
die sich jeweils nach Alter, Geschlecht und Krankheit der
Versicherten richten.
Geklickt
Internetseite des Bundesministeri­
ums für Gesundheit mit vielen
Informationen zur gesetzlichen
Krankenversicherung
www.bmg.bund.de
Arbeitsmaterialien in der Sozial­
politik­Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/materialien
• Arbeitsblatt: Hauptsache
gesund (Fragebogen zur
Ergebnissicherung)
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Krankenversicherung
• Arbeitsblatt: Gesundheits­
prävention in der Schule
• Schaubild: Stress in der Schule
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Gesundheit und Selbstbestim­
mung
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Arbeit und Gesundheit
Gewählt
Bürgertelefon zur
Krankenversicherung
(0 30) 3 40 60 66 01
Montag bis Donnerstag 8 bis 18 Uhr,
Freitag 8 bis 12 Uhr
///////////////////////////////
Gefragt
Erklären Sie am Beispiel der
Krankenversicherungen das
Solidarprinzip und das Äqui­
valenzprinzip. Bewerten Sie
Vor­ und Nachteile der unter­
schiedlichen Systeme.
Beschreiben Sie die Entwick­
lung der Gesundheitskosten,
und erläutern Sie mithilfe des
Textes die Gründe für diese
Entwicklung.
////////////////////////////////
27
Unfallversicherung
Für den Fall
der Unfälle
Steffi ist mit ihrem Rad auf dem Weg zur Berufsschule. An einer Kreuzung nimmt ihr ein Autofahrer die Vorfahrt. Sie stürzt
und knallt hart mit dem Kopf auf den Asphalt. Sie verliert sofort das Bewusstsein und wacht erst wieder im Krankenhaus auf.
Der behandelnde Arzt erklärt ihr, dass sie „Glück im Unglück“ hatte. Ihr Fahrradhelm habe ihr aller Wahrscheinlichkeit nach das
Leben gerettet. Doch trotz des Helms seien ihre Kopfverletzungen so gravierend, dass sie auch in Zukunft damit rechnen müsse,
unter immer wiederkehrenden Kopfschmerzen und kognitiven Einschränkungen zu leiden.
Lernen und Gesundheit, Schulportal der DGUV: Arbeitsunfall 02/2012, Arbeitsblatt 1.1, www.dguv.de/lug
Rehabilitation vor Rente
Für Arbeitnehmer kostenlos
Die gesetzliche Unfallversicherung wird aus­
Vorrangiges Ziel ist es, den Arbeitnehmer
Anders als bei den übrigen Zweigen der So­
schließlich vom Arbeitgeber finanziert und
wieder in das Berufsleben einzugliedern.
zialversicherung brauchen die Arbeitnehmer
sichert gegen die Folgen von Berufskrank­
Wenn es nötig ist, wird dem Unfallopfer auch
zur gesetzlichen Unfallversicherung keinen
heiten, Arbeitsunfällen und Wegeunfällen
eine Umschulung oder Rente gezahlt.
Cent beizusteuern. Sie wird aus den Bei­
ab (siehe Schaubild auf Seite 8). Wegeunfälle
trägen der Unternehmen in der jeweiligen
sind Unfälle, die auf dem direkten Weg zur
Träger der Unfallversicherung sind die Be­
Branche finanziert. Das heißt, der Arbeitge­
Arbeit oder zurück nachhause passieren.
rufsgenossenschaften und Unfallkassen. Ihre
ber zahlt seinen Beitrag an die zuständige
Die gesetzliche Unfallversicherung über­
wichtigste Aufgabe ist es, arbeitsbedingte
Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse.
nimmt alle notwendigen Kosten für die
Unfälle, Krankheiten oder Gesundheitsgefah­
Diese übernimmt bei einem Unfall die
medizinische Behandlung, Rehabilitations­
ren zu verhindern. Sie erlassen Unfallverhü­
Kosten für den Versicherten. Beschäftigte im
maßnahmen und spätere Berufshilfen.
tungsvorschriften und fördern die Erste Hilfe.
öffentlichen Dienst sind bei den öffentli­
chen Unfallkassen, Landesunfallkassen oder
Gemeindeunfallversicherungsverbänden
versichert.
28
Geklickt
Plattform der Deutschen Gesetzli­
chen Unfallversicherung mit aus­
führlichen Informationen zum
Arbeitsschutz
www.dguv.de
Arbeitsmaterialien in der Sozial­
politik­Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/
materialien
Schutz in Kita, Schule
und Universität
Unfälle am Arbeitsplatz
Kinder in Tageseinrichtungen, Schüler und Studierende
Unfallverhütungsvorschriften sind für Betriebe ebenso
sind in der Schülerunfallversicherung abgesichert.
verbindlich wie gesetzliche Vorschriften. Sie bestimmen,
Im Jahr 2013 waren das nach Angaben der Deutschen
• wie man sich am Arbeitsplatz richtig verhält,
Gesetzlichen Unfallversicherung rund 17,2 Millionen
• wie ein Arbeitsplatz und die Maschinen ausgestattet
Menschen. Neben dem Unterricht und dem Schulweg
stehen auch Ausflüge, Sport und andere schulische
Veranstaltungen unter Versicherungsschutz.
sein müssen,
• welche Schutzausrüstung getragen werden muss,
zum Beispiel Helm, Gehörschutz und Sicherheits­
schuhe,
Die Leistungen nach einem Unfall reichen, wie bei der
Unfallversicherung für Arbeitnehmer, von Heilbehand­
• wie oft ärztliche Kontrolluntersuchungen wahr­
genommen werden müssen.
lungen über Rehabilitation bis hin zur lebenslangen
Rente. Zuständig sind die Gemeindeunfallversicherungsverbände und Unfallkassen. Auch die Schülerun­
Jugendarbeitsschutz
fallversicherung kostet die Versicherten nichts. Die
Das Jugendarbeitsschutzgesetz bewahrt 15­ bis unter
Beiträge für öffentliche Schulen übernimmt der Schul­
18­jährige Jugendliche vor Arbeit, die für sie zu ge­
träger, für private Schulen das zuständige Bundesland.
fährlich oder ungeeignet ist. Es bestimmt zum Beispiel
die maximale Dauer der täglichen Arbeitszeit, die
Anzahl der Wochenstunden und den Urlaubsanspruch.
• Arbeitsblatt: Für den Fall der
Unfälle (Fragebogen zur Ergeb ­
nissicherung)
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Unfallversicherung
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Unfallversicherung in Ehrenamt
und Pflege
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Schul­ und Arbeitsunfälle
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Arbeit und Gesundheit
• Arbeitsblatt: Belastungen am
Arbeitsplatz
• Schaubild: Berufskrankheiten
Gewählt
Bürgertelefon zu Unfall­
versicherung und Ehrenamt
(0 30) 2 21 91 10 02
Montag bis Donnerstag 8 bis 20 Uhr
Servicerufnummer der gesetz­
lichen Unfallversicherung
(08 00) 6 05 04 04, kostenfrei
Montag bis Freitag 8 bis 18 Uhr
///////////////////////////////
Jeder Jugendliche unterliegt der Schulpflicht. Die
Gefragt
Schule hat daher immer Vorrang. Auszubildende müs­
Erklären Sie das Prinzip
sen für ihren Berufsschulunterricht freigestellt werden.
„Rehabilitation vor Rente“,
und entwickeln Sie mögliche
Regelungen nach dem
Jugendarbeitsschutzgesetz
Beispiele dafür, wie dieses
Prinzip umgesetzt werden
Pause: spätestens nach 4½ Stun­
den eine Pause von mindestens 15
Minuten, mindestens 60 Minuten
Pause bei mehr als sechs Stunden
Arbeitszeit
kann.
Begründen Sie, warum das
Jugendarbeitsschutzgesetz
auch dem Unfallschutz dient.
///////////////////////////////
Arbeitsende: spätestens um 20
Uhr für unter 18­Jährige, Aus­
nahmen in einzelnen Branchen
möglich
Arbeitsbeginn: frühestens ab 6 Uhr,
Ausnahmen in einzelnen Branchen
möglich
Arbeitszeit: höchstens acht Stun­
den pro Tag bei einer Fünftage ­
woche und maximal 40 Stunden pro
Woche, Ausnahmen in einzelnen
Branchen möglich
Urlaub: je nach Alter zwischen 25
und 30 Tage im Jahr
Quelle: eigene Darstellung, nach: Jugendarbeitsschutzgesetz
29
Rentenversicherung 1
„Wir können uns nicht so richtig vorstellen, was in 50 Jahren sein wird.
Deshalb fällt es schwer, jetzt schon über Altersabsicherung nachzudenken.“
Ein Vertrag zwischen
den Generationen
In Deutschland finanzieren die Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit ihren Beiträgen, die sie in die gesetzliche Rentenversicherung
einzahlen, die Renten der Rentner von heute. Man spricht daher auch vom Generationenvertrag. Er ist nirgendwo schriftlich
festgehalten, sondern vielmehr ein unausgesprochenes gesellschaftliches Abkommen zwischen Jung und Alt.
Die gesetzliche Rentenversicherung
Die Rentenversicherung ist der umfassendste Zweig der Sozialversicherung. Sie übernimmt die Kosten zur Alterssicherung und zur
Teilhabe am Arbeitsleben bei gesundheitlichen Einschränkungen (siehe Schaubild auf Seite 8). Die gesetzliche Rentenversicherung
wird aus Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gemeinsam getragen. Beide zahlen jeweils 9,35 Prozent des monatlichen
Bruttoeinkommens des Arbeitnehmers (Stand 2015, siehe Gehaltsabrechnung auf Seite 17). Die gesetzliche Rentenversicherung deckt
zwei Drittel aller Altersvorsorgeausgaben in Deutschland ab.
Voraussetzungen und Leistungen:
• Frauen und Männer zahlen gleiche Beiträge.
• Die Beiträge sind nicht nach Alter oder Zahl der selbst erzogenen Kinder gestaffelt.
• Der Rentenversicherungsschutz besteht auch in Zeiten von Krankheit, Arbeitslosigkeit, Kindererziehung und Pflege von Angehörigen.
• Wer aus gesundheitlichen Gründen seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, wird von der Rentenkasse unterstützt, um seine
Erwerbsfähigkeit zu verbessern oder wieder zu erreichen.
• Es gibt eine Rente bei Erwerbsminderung, im Alter und für die Hinterbliebenen.
• Rentner erhalten einen Zuschuss zum Beitrag für die Krankenversicherung.
30
Wer ist in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert?
Angestellte und Arbeiter :
Pflegende:
Dazu gehören auch Auszubildende, Entwicklungshelfer,
Menschen, die mindestens 14 Stunden pro Woche
Menschen mit Behinderung, die in anerkannten Behin­
einen pflegebedürftigen Angehörigen betreuen und
dertenwerkstätten arbeiten, freiwillig Wehrdienstleis­
nicht mehr als 30 Stunden wöchentlich nebenbei
tende und Bundesfreiwilligendienstleistende.
arbeiten, sind ohne eigene Beitragszahlung pflichtver­
sichert. Ihre Beiträge übernehmen die Pflegekassen.
Erziehende :
Auch Mütter und Väter sind in Zeiten, in denen sie
Selbstständige:
Kinder erziehen, pflichtversichert. Bis zu drei Jahre
Nur bestimmte Berufsgruppen wie Handwerksmeister,
werden bei der Rente berücksichtigt. In dieser Zeit
Künstler und Hebammen sind laut Sozialgesetzgebung
müssen sie keine Beiträge zahlen, das übernimmt
pflichtversichert. Alle anderen Selbstständigen können
der Bund für sie.
sich freiwillig versichern und erwerben dann ebenfalls
Rentenansprüche. Viele Selbstständige zahlen den Min­
destbeitrag von monatlich etwa 84 Euro, den sie bis auf
einige Ausnahmen allein tragen müssen.
Die drei Säulen der Alterssicherung
Betriebliche
Altersvorsorge
Gesetzliche
Altersvorsorge
Pflichtversicherung, die Beiträge teilen
sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer je
zur Hälfte.
• gesetzliche Rentenversicherung
der Arbeitnehmer/­innen
• berufsständische
Alterssicherungssysteme
• Künstlersozialkasse
Betriebsrente, Teile des Gehalts des
Arbeitnehmers werden angespart.
Die steuerliche Förderung können
nutzen:
• Arbeitnehmer/­innen in der Privat­
wirtschaft
• Angestellte im öffentlichen Dienst
• geringfügig Beschäftigte
Private
Altersvorsorge
Individuelles Schutzpaket, die Beiträ­
ge zahlt der Arbeitnehmer selbst. Es
gibt verschiedene, zum Teil staatlich
geförderte Geldanlageformen:
• private Rentenversicherungen
Geklickt
Informationen der Deutschen Ren­
tenversicherung zum Thema Rente
und Altersvorsorge
www.deutscherentenversicherung.de
www.rentenblicker.de
Arbeitsmaterialien in der Sozial­
politik­Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/materialien
• Arbeitsblatt: Ein Vertrag zwischen
den Generationen (Fragebogen
zur Ergebnissicherung)
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Rentenversicherung
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Modelle der gesetzlichen
Altersvorsorge
• Arbeitsblatt und Hintergrund­
informationen: Rentenver­
sicherung – nicht nur fürs Alter
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Demografischer Wandel – Auswir­
kungen auf die Gesellschaft
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Demografischer Wandel – Auswir­
kungen auf den Arbeitsmarkt
Gewählt
Bürgertelefon zur Rente
(0 30) 2 21 91 10 01
Montag bis Donnerstag 8 bis 20 Uhr
• Fondssparpläne
• Banksparpläne
///////////////////////////////
Gefragt
Finanzierung:
Finanzierung:
Finanzierung:
Umlageverfahren
Kapitaldeckungsverfahren
Kapitaldeckungsverfahren
Quelle: eigene Darstellung
Das Umlageverfahren
Das Kapitaldeckungsverfahren
Die gesetzliche Rentenversicherung wird seit dem Jahr
Für zukünftige Rentner werden die Zahlungen aus der
1957 über das so genannte Umlageverfahren finanziert.
gesetzlichen Rentenversicherung allein nicht mehr
Das bedeutet, dass das Geld der Beitragszahler direkt
genügen, um den gewohnten Lebensstandard aufrecht­
für die Zahlung der Renten des nächsten Monats ver­
zuerhalten. Dafür müssen die heutigen Arbeitnehmer
wendet wird. Ein Rentner erhält sein Altersgeld also
selbst vorsorgen und zusätzlich in eine der beiden
aus den Beiträgen, welche die derzeitigen Erwerbstäti­
Säulen der Alterssicherung einzahlen: die betriebliche
gen und Arbeitgeber je zur Hälfte im Vormonat gezahlt
oder die private Altersvorsorge. Diese beruhen auf dem
haben. Wie hoch die Rente ausfällt, hängt davon ab,
so genannten Kapitaldeckungsverfahren: Jeder spart
wie lange der Betreffende vorher berufstätig war und
für seine eigene Rente. Die Höhe der Rente hängt vom
wie viel er verdient und an Beiträgen eingezahlt hat: je
angesparten Kapital und dessen Anlageertrag ab. Der
länger das Erwerbsleben und je höher der Verdienst,
Anlageertrag ist wiederum abhängig vom Zinsniveau.
desto höher die Rente.
Der Staat unterstützt die betriebliche und private
Erklären Sie in eigenen Wor­
ten den Unterschied zwischen
Umlageverfahren und Kapital­
deckungsverfahren. Diskutieren
Sie Pro­ und Kontra­Argumen­
te für beide Finanzierungs­
modelle.
Begründen Sie, weshalb der
Staat die betriebliche und
die private Altersvorsorge
finanziell fördert.
///////////////////////////////
Altersvorsorge durch Zulagen und Steuervorteile.
Die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung rei­
chen jedoch schon seit längerer Zeit nicht mehr, um alle
Renten auszuzahlen. Deshalb muss der Staat zusätzlich
Steuergelder als Bundeszuschuss zur Verfügung stellen.
Im Jahr 2014 waren das rund 61 Milliarden Euro.
31
Rentenversicherung 2
„Ob wir in 50 Jahren noch zusammen sind? Ein schöner Gedanke, aber wie werden wir wohl leben und wo?
Wie werden wir aussehen? Werden wir uns das leisten können, worauf wir Lust haben?“
Mehr Rentner,
weniger Kinder
In 30 Jahren werden auf einen Rentner weniger als zwei Beitragszahler kommen, da immer weniger Kinder geboren werden. Zudem leben
die Menschen immer länger, also erhalten sie auch länger Rentenzahlungen. Damit künftige Generationen finanziell nicht überfordert
werden, können die Renten nicht mehr so stark steigen wie in früheren Jahren. Außerdem müssen die Menschen länger arbeiten.
Wichtige Reformen zur Sicherung der Rente
2001: Absenkung des Rentenniveaus, Riester-Rente
Die Rentenleistungen sind an die Entwicklung der Bruttolöhne der
Versicherte früher in Rente geht, muss er eine Kürzung von 0,3 Pro­
Arbeitnehmer gekoppelt. Das wird auch „dynamische Rente“ genannt.
zent in Kauf nehmen (zu den Ausnahmen für langjährig Erwerbs­
Mit der Rentenreform 2001 wurde der Rentenanstieg deutlich verrin­
tätige siehe unten).
gert und damit das Rentenniveau abgesenkt, um das System finan­
zierbar zu halten. Außerdem wurde die Riester­Rente eingeführt
2009: Rentengarantie
(siehe nächste Seite).
Angesichts der Wirtschafts­ und Finanzkrise hat die Bundesregierung
2004/2005: Nachhaltigkeitsfaktor
eine Rentenschutzklausel beschlossen. Diese garantiert, dass die Renten
bei sinkenden Löhnen in Krisenzeiten nicht zurückgehen. Als Ausgleich
Die aktuelle Bevölkerungsentwicklung führt dazu, dass immer weni­
dafür werden mögliche Rentenerhöhungen in wirtschaftlich guten
ger Beitragszahler immer mehr Rentnern gegenüberstehen werden.
Jahren nicht mehr voll an die Ruheständler weitergegeben.
Deshalb wurde ein so genannter Nachhaltigkeitsfaktor bei der Ren­
den Rentenanstieg dämpft. Werden die Beitragszahler weniger, fallen
2014: Verbesserungen für Mütter und langjährig
Erwerbstätige
die jährlichen Rentenerhöhungen geringer aus als der Anstieg der
Erwerbstätige, die 45 Jahre oder länger Beiträge in die Rentenversiche­
Bruttoeinkommen.
rung gezahlt haben, können zwei Jahre früher in Rente gehen, ohne dass
tenberechnung eingebaut, der diese Entwicklung berücksichtigt und
2007: Rente mit 67
32
die Rentenzahlungen gekürzt werden. Für die Geburtsjahrgänge bis 1957
heißt das: bereits mit 63 Jahren. Mütter oder Väter, deren Kinder vor dem
Das Renteneintrittsalter wird schrittweise von 65 auf 67 Jahre ange­
Jahr 1992 geboren sind, erhalten für jedes Kind nachträglich Rentenzu­
hoben. Wer 1964 und später geboren wurde, kann in der Regel erst
schläge, da die Erziehungsleistung bei der Rentenberechnung damals
mit 67 Jahren ohne Abzüge in Rente gehen. Für jeden Monat, den der
noch deutlich niedriger bewertet worden war als nach 1992.
Riester-Rente
Der Staat fördert seit dem Jahr 2002 mit finanziellen
Zulagen und Steuervergünstigungen den Aufbau einer
betrieblichen oder privaten Altersvorsorge. Sie wird
nach dem damaligen Arbeitsminister „Riester­Rente“
genannt. Pflichtmitglieder in der gesetzlichen Renten­
versicherung, Beamte, Richter und Soldaten, die min­
destens vier Prozent des Vorjahreseinkommens für die
Altersvorsorge aufwenden, erhalten die volle Förde­
rung. Bei Verheirateten genügt es, wenn einer von bei­
den die Voraussetzungen erfüllt, dann erhält auch der
andere die Förderung. Geringverdiener müssen nur
einen Mindestbeitrag zahlen. Geringverdiener und
Familien profitieren am meisten von der Riester­Rente.
Der Staat fördert nur so genannte zertifizierte Finanz­
produkte, die bestimmte Anforderungen erfüllen. Eine
Zertifizierungsstelle bei der Bundesanstalt für Finanz­
dienstleistungsaufsicht überprüft, ob die Angebote den
GERECHTER GENERATIONENVERTRAG?
Jenny S., 19, Auszubildende: „Wenn ich mal Ren­
te kriege, ist die wahrscheinlich auf Hartz­IV­
Niveau. Was ist daran gerecht?“
Harald H., 63, Arbeiter: „Ich habe 45 Jahre lang
meine Knochen für meine Firma hingehalten
und in die Rentenkasse gezahlt. So langsam
streikt mein Körper. Da ist es nur fair, dass ich
keine Rentenkürzungen habe, wenn ich früher in
Rente gehe.“
Michael F., 45, Grafiker: „Ich bin Freiberufler und
habe immer wieder Zeiten, in denen keine Auf­
träge reinkommen. Wie soll ich in diesen Phasen
Rentenbeiträge zahlen und auch noch privat vor­
sorgen?“
Susanne M., 35, Angestellte: „Ich finde es ja okay,
dass meine Eltern eine gute Rente bekommen.
Aber irgendwie müssen wir es hinkriegen, dass
meine Generation nicht immer höhere Beiträge
bei geringeren Leistungen zahlen muss.“
gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Die Zertifizierung
ist aber keine Garantie für eine hohe Auszahlung. Fol­
gende Anlageformen werden gefördert: Banksparpläne,
Rentenversicherungen und Fondssparpläne. Mit dem
so genannten Wohn­Riester kann auch privates
Wohneigentum gefördert werden.
Die Zukunft der Renten­
versicherung
Geklickt
Internetseiten des Bundesministe ­
riums für Arbeit und Soziales mit
Informationen zu den aktuellen
Rentenreformplänen
www.bmas.de
www.rentenpaket.de
Internetauftritt der Deutschen
Rentenversicherung für Schüler,
Auszubildende, Studierende und
Berufsanfänger zum Thema
Altersvorsorge
www.rentenblicker.de
Arbeitsmaterialien in der Sozialpolitik­Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/materialien
• Arbeitsblatt:
Diskussion: Rente mit 63
und Mütterrente
• Schaubild: Das Rentenpaket 2014
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Modelle der gesetzlichen Alters­
vorsorge
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Jugend und Altersvorsorge (1)
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Jugend und Altersvorsorge (2):
Riester­Rente
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Rente mit 67
Die Finanzierung der Rentenversicherung in ihrer jetzi­
Betriebliche Altersversorgung
gen Form bleibt angesichts der demografischen Ent­
Seit dem Jahr 2002 kann jeder Arbeitnehmer vom
Der Gesetzgeber hat zwei Steuerungsmöglichkeiten:
Arbeitgeber verlangen, dass ein Teil seines Lohns in
Wenn die Zahl der Beitragszahler abnimmt und die der
eine betriebliche Altersversorgung fließt. In Tarifverträ­
Empfänger zunimmt, können die Beiträge langfristig
gen ist diese Anlageform oft festgeschrieben. Wer also
angehoben werden. Aber auch das Rentenniveau, also
auf einen Teil seines aktuellen Einkommens verzichtet,
die ausgezahlte Rente, kann abgesenkt werden, um die
kann auf diese Weise eine zusätzliche Rente für das
Renten weiterhin finanzieren zu können. Nur nach lan­
Alter ansparen. Auch hier unterstützt der Staat die
ger Erwerbstätigkeit und mit eigenen Aufwendungen
Arbeitnehmer, zum Beispiel durch Steuervergünsti­
für eine private Vorsorge kann der gewohnte Lebens­
gungen.
standard im Alter noch aufrechterhalten werden. Frau­
wicklung in Deutschland eine große Herausforderung.
en, Alleinerziehende, Geringverdiener und Minijobber
sind am stärksten von Altersarmut bedroht.
///////////////////////////////
Gefragt
Erläutern Sie, mit welchen
Maßnahmen die Bundesregie­
rung in den vergangenen 15
Jahren versucht hat, das Ren­
tensystem finanzierbar zu
halten.
Schreiben Sie einen Kommen­
tar für eine Schülerzeitung zur
Frage „Ist das Rentensystem
gerecht?“
///////////////////////////////
Um das bestehende Sozialversicherungssystem und vor
BERUFSUNFÄHIGKEIT ZUSÄTZLICH
ABSICHERN
allem die Rente zu stabilisieren, muss die Zahl der sozi­
Die gesetzliche Rentenversicherung zahlt bei
so hoch wie möglich sein. Die verschiedenen Maßnah­
eingeschränkter oder voller Erwerbsminderung
men zur Fachkräftegewinnung und zur Integration von
eine Erwerbsminderungsrente. Die Höhe dieser
Zuwanderern (siehe Seite 12) dienen ebenfalls diesem
Zahlungen orientiert sich an den erworbenen
Ziel. Kritiker der bisherigen Reformen fordern, auch
Ansprüchen auf Altersrente. Diese sind bei
Selbstständige und Beamte in die Rentenversicherung
Berufsanfängern noch sehr gering. Daher ist es
einzubeziehen, um die Zahl der Beitragszahler zu erhö­
sinnvoll, gleich zu Berufsbeginn eine private
hen. Dies würde jedoch neue Probleme aufwerfen: In
Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen.
den 1970er­Jahren wurden besonders viele Beamte ein­
Im Fall der Berufsunfähigkeit zahlt diese an den
gestellt, die in den kommenden Jahren in den Ruhe­
Versicherten eine monatliche Rente. Da sich die
zu zahlenden Prämien am Alter und Gesund­
heitsrisiko bemessen, ist die finanzielle Belas­
alversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse
stand gehen, was die gesetzliche Rentenversicherung
schwer belasten würde.
tung für Berufsanfänger vergleichsweise niedrig.
33
Arbeitslosenversicherung
Arbeitslos, aber
nicht mittellos
„Die Arbeitslosigkeit kam so überraschend, dass ich mir nicht rechtzeitig was Neues suchen konnte. Nachdem feststand,
dass meine Firma schließt, bin ich am nächsten Tag zur Agentur für Arbeit gegangen und habe Arbeitslosengeld beantragt.
Das hat meine größten Sorgen etwas gemindert. Meine Beraterin dort hat erst einmal nach meinen Stärken und Schwächen
geschaut und die Jobsuche mit mir geplant. Drei Monate später hat es dann mit einer neuen Beschäftigung geklappt.“
Verena S. (27), Einzelhandelskauffrau aus Stuttgart
Das Arbeitslosengeld
Arbeitnehmer erhalten Arbeitslosengeld aus der Arbeitslosenversicherung, wenn sie ihren Job verlieren, und werden bei der Suche nach einer
neuen Arbeitsstelle unterstützt (siehe Schaubild auf Seite 8). Die gesetzliche Arbeitslosenversicherung wird aus Beiträgen von Arbeitnehmern
und Arbeitgebern gemeinsam getragen. Beide zahlen jeweils 1,5 Prozent des monatlichen Bruttoeinkommens des Arbeitnehmers (Stand 2015,
siehe Gehaltsabrechnung auf Seite 17). Ziel der Arbeitsmarktpolitik ist es, Arbeitsuchende so schnell und so nachhaltig wie möglich wieder in
sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zu vermitteln.
Wer arbeitslos wird und keine Kinder hat, erhält 60 Prozent des vorherigen Nettolohns als Arbeitslosengeld, mit Kindern sind es 67 Prozent.
Wie lange Arbeitslosengeld gezahlt wird, hängt davon ab, wie alt der arbeitslose Mensch ist und wie lange er vorher Beiträge gezahlt hat. Die
Bezugsdauer reicht von sechs bis zu zwölf Monaten. Nach längerer Versicherungsdauer und bei Versicherten im Alter von über 50 Jahren kann
sie verlängert werden, höchstens jedoch auf 24 Monate. Auch Selbstständige, die auf freiwilliger Basis vorher Beiträge entrichtet haben, können
Arbeitslosengeld erhalten.
Das Arbeitslosengeld II
Wer länger arbeitslos ist, hat Anspruch auf Arbeitslosengeld II, häufig auch „Hartz IV“ genannt. Diese Grundsicherung wird aus Steuermit­
teln finanziert. Deshalb können es auch Menschen beziehen, die vorher nicht versicherungspflichtig beschäftigt waren. Bevor es in Anspruch
genommen werden kann, muss Gespartes bis zu einer Grenze von maximal 10.050 Euro* aufgebraucht werden. Geldanlagen, die ausschließlich
der Altersvorsorge dienen, sind geschützt. Für sie gilt ein erhöhter Freibetrag von maximal 50.250 Euro*. Weitere Freibeträge gibt es für Kinder.
Im Jahr 2015 beträgt das Arbeitslosengeld II 399 Euro für Alleinstehende. Ehe­ oder Lebenspartner erhalten jeweils 360 Euro. Die Regelsätze für
Kinder und Jugendliche betragen für Kinder unter 6 Jahren 234 Euro, für 6­ bis einschließlich 13­Jährige 267 Euro und für 14­ bis unter 18­Jährige
302 Euro im Monat. Angemessene Kosten für Miete und Heizung sowie die Beiträge für die gesetzliche Kranken­ und Pflegeversicherung werden
übernommen. Für Alleinerziehende und Schwangere gibt es zusätzliche Leistungen für den Mehrbedarf.
* ab Geburtsjahr 1964
34
Reformen auf dem Arbeitsmarkt
Um die Arbeitslosigkeit wirkungsvoll zu bekämpfen
und Arbeitsuchende schneller wieder in Beschäftigung
zu bringen, sind zwischen 2003 und 2005 mehrere
Gesetze in Kraft getreten. Sie beinhalten folgende Re­
gelungen und Arbeitsformen:
MITTEILUNGS- UND MITWIRKUNGSPFLICHT
Arbeitslose müssen der Arbeitsagentur oder
dem zuständigen Jobcenter umgehend mittei­
len, wenn sich ihr persönlicher Status ändert
und sie zum Beispiel eine Nebentätigkeit auf­
Zumutbare Arbeit: Wer als Bezieher von Arbeits­
nehmen, umziehen, arbeitsunfähig werden oder
losengeld II eine zumutbare Arbeit ohne wichtigen
Ähnliches. Außerdem müssen sie regelmäßig
Grund ablehnt, muss Kürzungen bei den Geldleistun­
zu Terminen mit dem Berufsberater erscheinen,
gen in Kauf nehmen. Als zumutbar gilt zum Beispiel
an Trainingsmaßnahmen teilnehmen oder zu
für Alleinstehende ein Umzug in eine andere Stadt,
Vorstellungsgesprächen gehen, die der Berater
wenn sie dort einen Arbeitsplatz angeboten bekom­
vermittelt hat. Zumutbare Arbeit (siehe links)
men. Auch eine Stelle, bei der die Bezahlung bis zu 30
dürfen sie nicht einfach ablehnen. Bei Verstoß
Prozent unter dem Tariflohn liegt, gilt als zumutbar.
droht eine Sperrzeit oder eine Kürzung des
Minijobs: Geringfügige Beschäftigungen mit einer
Arbeitslosengeldes.
Lohnobergrenze von 450 Euro werden Minijobs ge­
nannt. Minijobber sind in der Arbeitslosen­, Kran­
ken­ und Pflegeversicherung versicherungsfrei. Nur in
der Rentenversicherung müssen sie Beiträge zahlen:
Ein-Euro-Jobs:
Zusatzverdienst möglich
bei gewerblichen Minijobs 3,7 Prozent, in Privathaus­
Ein­Euro­Jobs heißen offiziell Arbeitsgelegenheiten
halten 13,7 Prozent des Bruttolohns. Die Arbeitgeber
mit Mehraufwandsentschädigung. Die Arbeit muss im
zahlen für gewerbliche Minijobs pauschal 30 Prozent
öffentlichen Interesse liegen und darf keinem örtlichen
für Sozialversicherungen und Steuern plus den Beitrag
privaten Unternehmen Aufträge entziehen. Bezieher von
zur Unfallversicherung, in Privathaushalten 12 Prozent
Arbeitslosengeld II können damit zusätzlich Geld verdie­
zuzüglich Unfallversicherung. Gewerkschaften kriti­
nen. Wer sich weigert, einen solchen Job anzunehmen,
sieren, dass durch die Einführung zahlreicher Minijobs
dem kann die Arbeitsagentur die Zahlungen kürzen.
viele Vollzeitarbeitsplätze und damit auch Beiträge für
die Sozialversicherung verloren gingen. Die Wirtschaft
Ein­Euro­Jobs sollen vor allem schwer vermittelbaren
äußert sich dagegen positiv. Unternehmen könnten auf
Langzeitarbeitslosen helfen, sich wieder an einen nor­
diese Weise flexibler auf die Wirtschaftslage reagieren
malen Arbeitstag zu gewöhnen und damit ihre Wie­
und mehr – wenn auch geringer bezahlte – Arbeitsplät­
dereingliederung am Arbeitsmarkt erleichtern. Kritiker
ze schaffen.
befürchten, dass sie reguläre Arbeitsplätze vernichten.
Vermittlungsbudget
Das persönliche Vermittlungsbudget ist ein Bestandteil
des Fördersystems der Arbeitslosenversicherung, das
auf die individuelle Situation des Arbeitsuchenden
ausgerichtet wird. Dazu zählen etwa die Übernahme
von Bewerbungskosten oder finanzielle Umzugsbeihil­
fen. Auch wer Arbeit sucht und keinen Schulabschluss
hat, kann ihn mithilfe des persönlichen Vermittlungs­
Untersuchungen bestätigen, dass in einigen Fällen Arbei­
ten der regulären Belegschaft auf Ein­Euro­Jobber über­
tragen werden. Zudem gibt es Hinweise, dass jedes zwei­
te Unternehmen zumindest einen Teil der beschäftigten
Ein­Euro­Jobber nicht im Sinn des Gesetzgebers einsetzt.
Da die Ein­Euro­Jobber in der Arbeitslosenstatistik nicht
auftauchen, spricht man hier von versteckter Arbeits­
losigkeit.
Geklickt
Informationen der Bundesagentur
für Arbeit zu allen finanziellen Hil­
fen bei Arbeitslosigkeit
www.arbeitsagentur.de
Job­Lexikon mit Begriffserläute ­
rungen rund um das Thema Berufs­
welt
www.sozialpolitik.com/lexikon
Arbeitsmaterialien in der Sozial­
politik­Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/materialien
• Arbeitsblatt: Arbeitslos, aber
nicht mittellos (Fragebogen
zur Ergebnissicherung)
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Arbeitslosenversicherung
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Arbeitslos – was nun?
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Zehn Jahre Arbeitslosengeld II
• Schaubild: Langzeitarbeitslosigkeit
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Jugendarbeitslosigkeit in Europa
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Arbeitsmarkttrends
• Arbeitsblatt und Schaubild:
Minijobs
• Arbeitsblatt: Hartz­IV­Reform
Gewählt
Bürgertelefon zur Arbeitsmarktpo ­
litik und Arbeitsförderung
(0 30) 2 21 91 10 03
Montag bis Donnerstag 8 bis 20 Uhr
///////////////////////////////
Gefragt
Die Arbeitsmarktreformen ste­
hen unter dem Motto „Fördern
und Fordern“.
Erläutern Sie diese Prinzipien
anhand der Regelungen für
Bezieher von Arbeitslosengeld
und Arbeitslosengeld II.
///////////////////////////////
budgets nachholen.
35
Pflegeversicherung
Hilfe und Pflege
nicht nur für Senioren
„Ich pflege, weil ich die Lebensqualität der Pflegebedürftigen erhöhen und fördern möchte, um ihnen den Rest des Lebens
so schön wie möglich zu machen.“ Das sagt Jennifer Borcherding *, Altenpflegerin aus Stuttgart und zugleich Pflegebotschafterin
des Bundesministeriums für Gesundheit. Ihre Aufgabe wird immer wichtiger, denn die Menschen werden immer älter und
damit häufiger pflegebedürftig. Laut Prognose des Statistischen Bundesamts werden von 2010 bis 2012 in Deutschland
geborene Männer durchschnittlich fast 78 Jahre, Frauen fast 83 Jahre alt. Bis zum Jahr 2050 wird die Zahl der pflege ­
bedürftigen Menschen in Deutschland voraussichtlich auf mehr als vier Millionen steigen.
* Die im Text genannte Person stimmt nicht mit der abgebildeten Person überein.
Der fünfte Zweig
der Sozialversicherung
Das Prinzip der Pflege
Die Pflegeversicherung wurde als fünfter und
In der Pflegeversicherung unterscheidet man
wählen. Die Betreuung durch ambulante
letzter Zweig der Sozialversicherung im Jahr
drei Pflegestufen, die sich nach dem Grad
Pflegedienste oder eine Sozialstation gehört
1995 eingeführt (siehe Schaubild auf Seite 8).
und der Häufigkeit der erforderlichen Hilfe­
zu den Sachleistungen. Pflegebedürftige kön­
Die gesetzliche Pflegeversicherung über­
leistungen richten:
nen anstelle der häuslichen Pflegehilfe auch
Pflegegeld beantragen. Wenn weder eine
nimmt Kosten zur Pflege im Alter oder bei
Krankheit und wird aus Beiträgen von Arbeit­
nehmern und Arbeitgebern gemeinsam
getragen. Beide zahlen jeweils 1,175 Prozent
des monatlichen Bruttoeinkommens des
Arbeitnehmers (Stand 2015, siehe Gehaltsab­
rechnung auf Seite 17).
I.
erhebliche Pflegebedürftigkeit
häusliche noch eine teilstationäre Pflege
(Pflegegeld: 244 Euro monatlich)
infrage kommen, hilft nur noch die Aufnah­
II. Schwerpflegebedürftigkeit
III. Schwerstpflegebedürftigkeit
(Pflegegeld: 728 Euro monatlich)
(Stand 2015)
Wer einen Familienangehörigen pflegt, muss
oft die Berufstätigkeit einschränken. Um die
Pflegenden zu unterstützen, zahlt die Pflege­
kasse für sie die Beiträge zur gesetzlichen
Früher wurden Pflegebedürftige häufig zu
Sozialfällen. Selbst eine gute Rente reichte in
Darüber hinaus gibt es „Zusätzliche Betreu­
Rentenversicherung. Voraussetzung ist, dass
der Regel nicht aus, um eine Unterbringung
ungsleistungen bei eingeschränkter Alltags­
sie nebenher nicht mehr als 30 Stunden pro
in einem Pflegeheim zu bezahlen, daher
kompetenz“, häufig „Pflegestufe 0“ genannt.
Woche arbeiten. Wer krank wird oder Urlaub
musste der Staat einspringen. Mit dem Pfle­
Diese können auch Menschen erhalten, die
machen will, hat seit 2015 Anspruch auf eine
geversicherungsgesetz wurde das geändert.
pflegerische Unterstützung benötigen, jedoch
Pflegevertretung von bis zu sechs Wochen im
Es fördert vor allem die häusliche Pflege.
noch nicht unter die Kriterien der Pflegestufe I
Jahr.
Nach Angaben des Bundesministeriums für
fallen.
Gesundheit erhielten im Jahr 2014 über
2,5 Millionen Menschen Leistungen aus der
Die Pflegekasse entscheidet auf der Grundla­
Pflegeversicherung, Tendenz steigend. Mehr
ge eines pflegerischen Gutachtens über die
als zwei Drittel von ihnen wurden zuhause
Einstufung. Wer sich zuhause pflegen lassen
versorgt.
will, kann zwischen Geld­ und Sachleistun­
gen oder einer Kombination von beidem
36
me in ein Heim.
(Pflegegeld: 458 Euro monatlich)
Geklickt
Internetseiten des Bundesministe ­
riums für Gesundheit mit Informa­
tionen zur Pflegeversicherung und
zu Pflegeberufen
www.bmg.bund.de
www.ich-pflege-weil.de
Arbeitsmaterialien in der Sozial­
politik­Materialdatenbank
www.sozialpolitik.com/materialien
• Arbeitsblatt: Hilfe und Pflege
nicht nur für Senioren (Fragebo ­
gen zur Ergebnissicherung)
• Arbeitsblatt, Schaubild und
Hintergrundinformationen:
Pflegeversicherung
• Arbeitsblatt: Pflegeberufe haben
Zukunft
• Schaubild: Pflegesektor: Fach­
kräfte gesucht
Neuerungen in der Pflege
Durch die steigende Lebenserwartung haben sich die Anforderungen an die Pflegeversicherung verändert.
Um auf die steigende Zahl von Demenzkranken, also altersverwirrten Menschen, zu reagieren, wurde im
Juni 2012 ein Pflege­Neuausrichtungs­Gesetz beschlossen. Die Leistungen für Demenzkranke wurden mit
dem Gesetz erweitert und pflegende Angehörige und Familien stärker unterstützt.
Gewählt
Bürgertelefon zur
Pflegeversicherung
(0 30) 3 40 60 66 02
Montag bis Donnerstag 8 bis 18 Uhr,
Freitag 8 bis 12 Uhr
Zu Beginn des Jahres 2015 ist ein Pflegestärkungsgesetz in Kraft getreten. Es beinhaltet eine pauschale
Erhöhung der finanziellen Leistungen der Pflegeversicherung um 4 Prozent. Das Gesetz entlastet vor allem
die Pflegenden zuhause: Wenn sie selbst krank oder im Urlaub sind, können sie ihre pflegebedürftigen Ange­
hörigen leichter in stationäre Kurzzeitpflege, zum Beispiel in ein Heim, geben. Sie haben Anspruch auf
zusätzliche Helfer im Haushalt und höhere Zuschüsse für Umbaumaßnahmen. Außerdem können sie sich
bis zu zehn Tage bezahlt von der Arbeit freistellen lassen, wenn die Pflege dies erfordert. Mithilfe des Pflege­
stärkungsgesetzes sollen auch bis zu 45.000 zusätzliche Betreuungskräfte in Heimen und Krankenhäusern
bezahlt werden.
///////////////////////////////
Gefragt
Entwerfen Sie in Gruppenar­
beit einen Prospekt, der junge
Menschen für die Pflegeberufe
gewinnen soll.
Mit einem zweiten Pflegestärkungsgesetz soll ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt werden. Das
Stadium der Einschränkung soll dann in fünf Grade eingestuft werden: von geringer Beeinträchtigung der
Selbstständigkeit (Pflegegrad 1) bis zur schwersten Beeinträchtigung (Pflegegrad 5).
Die Finanzierung der Pflege
Um die zusätzlichen Leistungen zu finanzieren, wurde der Beitragssatz für die Pflegeversicherung zum
Die gesetzliche Pflegeversiche­
rung zeichnet sich gegenüber
den übrigen Sozialversiche­
rungen durch eine Besonder­
heit aus: Kinderlose ab 23
Jahre müssen einen Zuschlag
zahlen.
1. Januar 2015 um 0,3 Prozent erhöht. Die freiwillige private Vorsorge wird vom Staat mit einem Zuschuss
von 60 Euro im Jahr gefördert. So sollen die Bürger ähnlich wie bei der Rentenversicherung (siehe Seite 30/31)
ermutigt werden, zusätzlich privat vorzusorgen und Geld für bessere Pflegeleistungen im Alter zu sparen.
Diskutieren Sie, ob es gerecht­
fertigt ist, dass Kinderlose
einen höheren Beitrag zur
Pflegeversicherung leisten.
///////////////////////////////
PFLEGEBERUFE HABEN ZUKUNFT
Während in anderen Branchen Arbeitsplätze weg­
desländern bei 9,40 Euro pro Stunde, in den östli­
fallen, steigt die Zahl der Beschäftigten im Pflege­
chen Bundesländern bei 8,65 Euro (Stand 2015). Er
bereich kontinuierlich an. Doch es fehlt immer noch
soll in zwei Schritten weiter wachsen und im Januar
an Nachwuchs. Um die Attraktivität der Pflegeberufe
2017 10,20 Euro (West) und 9,50 Euro (Ost) betragen.
weiter zu steigern, gibt es seit August 2010 für Pfle­
Davon profitieren vor allem ungelernte Pflegekräfte
gekräfte einen gesetzlichen Mindestlohn. Derzeit
bei privaten Pflegediensten. Die Verbände der freien
liegt die Lohnuntergrenze in den westlichen Bun­
Wohlfahrtspflege zahlen in der Regel deutlich mehr.
37
Arbeitswelt im Wandel
Schüler schreiben für Schüler
Wie gestalte ich mein späteres Berufsleben? Welche Herausforderungen kommen
auf mich zu? Welche Chancen habe ich, und wie kann ich sie ergreifen?
Karoline und Leon von der Albert-Einstein-Schule in Maintal haben sich
mit diesen Fragen beschäftigt, sich bei Gleichaltrigen umgehört und ihre Ergebnisse
auf diesen Seiten zusammengestellt.
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bevorzugen.
Leon Bornemann
16 Jahre
Albert-Einstein-Schule Maintal
Karoline Dotterweich
15 Jahre
Albert-Einstein-Schule Maintal
Diskussion: Arbeitswelt von morgen
Leon und Karoline diskutieren mit Schülern, Auszubildenden, Studierenden und
Berufstätigen.
Der Arbeitnehmer von morgen wird flexibler
arbeiten als heute, selbstständiger, aber auch
selbstverantwortlicher. Er wird in wechselnden Teams, wechselnden Projekten und für
wechselnde Arbeitgeber arbeiten. Betrachtest
du das als positive Herausforderung, oder
bereitet dir die fehlende Sicherheit und Plan-
barkeit Sorge?
Giuliana (13), Schülerin: Das kommt auf
den Beruf an. Wenn er Spaß macht, ist es
bestimmt total schön, immer wieder neue
Leute und Arbeitsweisen kennen zu ler­
nen. Denise (18), Auszubildende: Wechselnde
Arbeitsorte und Arbeitgeber sind sicher­
lich nützlich, um sich weiterzubilden und
neue Kontakte zu knüpfen. Man hat mehr
Möglichkeiten, wenn man nicht gebunden
ist.
Dennis (21), Student: Für junge Arbeitneh­
mer sind neue Projekte und Arbeitsplätze
bestimmt interessant, sie können viele
Wege für die Karriere öffnen. Aber ab
einem gewissen Alter möchte man einen
geregelten beruflichen Alltag haben, um
sich besser um die Familie und Freizeit
kümmern zu können.
Als moderner Arbeitnehmer muss man sich
ständig weiterbilden. Doch nicht immer
reicht die Zeit für alles. Am Wochenende findet eine interessante und wichtige Fortbil-
dung statt, doch am gleichen Wochenende
feiert dein Onkel Geburtstag. Wie würdest
Du hast Urlaub und willst entspannen. Bist
du für deinen Chef trotzdem erreichbar, oder
schaltest du dein Handy aus?
Denise: Ich würde mein Handy anlassen,
um erreichbar zu sein. In meinem Urlaub
würde ich jedoch nur arbeiten, wenn es
absolut wichtige Aufgaben sind.
Marcel (16), Schüler: Nein, im Urlaub will
ich entspannen. Ich würde mein Handy
du entscheiden?
zwar anlassen, doch wenn der Chef anruft
,
das Gespräch nicht annehmen.
Sybille (48), Finanzberaterin: Wenn ich die
Chance bekomme, mich weiterzubilden,
Sybille: Ich bin auf jeden Fall erreichbar.
Wenn ich gut in meinem Beruf bin und
wäre das zu meinem eigenen Vorteil, und
ich hätte bessere Aufstiegschancen. Ich
würde meinem Onkel am Telefon gratulie­
ren und den Geburtstag eventuell nach­
mich offen zeige, bin ich irgendwann die­
jenige, die befördert wird und mehr Geld
bekommt. Gerade bei der heutigen Wirt­
schaftslage muss ich als Arbeitnehmer
feiern.
sehr motiviert sein.
Dennis: Familie geht absolut vor. Ich
Andre (20), Auszubildender: Ich würde
meinem Chef sagen, dass ich nur zu
würde versuchen, die Fortbildung nachzu­
holen.
Cathy (16), Schülerin: Nein, den Onkel
sieht man noch oft, aber die Fortbildung
ist eine einmalige Gelegenheit.
bestimmten Zeiten erreichbar sein werde,
zum Beispiel von 12 bis 15 Uhr. Den Groß­
teil meines Urlaubs hätte ich gerne für
mich.
39
Über dieses Heft
Sozialpolitik
Sozialpolitik ist ein kostenloses Medienpaket für den Unterricht in den Klassen
9 bis 12/13 an allgemeinbildenden Schulen sowie an berufsbildenden Schulen und
FÜR SMARTPHONE-NUTZER:
BESTELLUNG IM INTERNET
für das Selbststudium. Die Materialien führen in das Thema Soziale Sicherung ein
und geben einen Überblick über den Sozialstaat Deutschland sowie die wichtigsten
Bereiche der Sozialpolitik.
Das Medienpaket umfasst ein Schülermagazin, zwei Arbeitshefte (davon eins
zusätzlich in Leichter Sprache für den inklusiven Unterricht), einen Foliensatz,
BESTELLADRESSE:
eine Lehrerinformation sowie die Internetplattform www.sozialpolitik.com mit
Bestellservice Jugend und Bildung
interaktiven Modulen (Wissensquiz, Umfragen, Kommentare). Auf der Internet-
65341 Eltville
seite werden jeden Monat aktuelle sozialpolitische Themen für den Unterricht
aufbereitet und Arbeitsblätter als barrierefreie PDF-Dateien zum Herunterladen
Fax: (0 61 23) 9 23 82 44
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Internet: www.sozialpolitik.com
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kostenlos beziehen.
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AUSSTELLUNG „IN DIE ZUKUNFT GEDACHT“
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Die Ausstellung bietet eine Zeitreise durch die Deutsche Sozialgeschichte – besonders
geeignet für Schülerinnen und Schüler ab der 7. Klasse in den Fächern Geschichte, Politik
und Deutsch.
ORT: Foyersaal des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales,
Wilhelmstraße 49, 10117 Berlin
ÖFFNUNGSZEITEN: Montag bis Freitag von 9 Uhr bis 16 Uhr bei freiem Eintritt
FÜHRUNGEN: kostenlose Gruppenführungen, organisiert vom Ministerium, auch für
gehörlose und hörgeschädigte Menschen
ANMELDUNG ZUR FÜHRUNG PER E-MAIL: [email protected],
bitte mindestens zwei Wochen vor dem gewünschten Führungstermin
ANMELDUNG ZUR FÜHRUNG PER TELEFON: (01 60) 90 97 46 85, bitte mindestens
vier Wochen vor dem gewünschten Führungstermin
KOSTENLOSE ARBEITSHEFTE ZUR AUSSTELLUNG: Heft 1: Vom späten Mittelalter bis zum
Zweiten Weltkrieg (Bestellnummer A204), Heft 2: Von 1945 bis heute (Bestellnummer A205)
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