Risikominimierung oder Diskriminierung?

30.07.2003
16:15 Uhr
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Genetische Diagnostik und Versicherungen
Anja Haniel
Risikominimierung
oder Diskriminierung?
it der Entscheidung, einen Test zur Erkennung
einer genetischen Krankheitsdisposition durchführen zu
lassen, verbinden sich Hoffnungen
und Ängste: Hoffnungen, weil der
Gentest ein entlastendes Ergebnis
bringen kann, die befürchtete Veranlagung also nicht diagnostiziert
wurde; Ängste, weil es im anderen
Fall nicht leicht ist, mit dem Wissen um ein erhöhtes Krankheitsrisiko zu leben. Gegebenenfalls
drohen auch Nachteile beim Abschluss von Versicherungen.
M
Gentests zur Einstufung des gesundheitlichen „Risikos“,
das ein Versicherter mit sich trägt, bieten Chancen und
Risiken zugleich. Menschen ohne genetische Prädisposition könnten auf günstige Beiträge hoffen, andere würden trotz momentaner Gesundheit höher eingestuft oder
gar nicht mehr versichert – sozialpolitischer Sprengstoff
und Verletzung des Solidaritätsprinzips in einem, doch
im Zuge der Globalisierung eine bald nicht mehr aufzuhaltende Entwicklung?
Während die gesetzliche Krankenkasse aufgrund des Solidaritätsprinzips die zu zahlenden Beiträge im Verhältnis zum Einkommen berechnet, im Krankheitsfall
aber jeder die gleichen Leistungen
erhält, entscheidet bei privaten
Kranken- und Lebensversicherungen das persönliche gesundheitliche Risiko über die Beiträge. Dieses Risiko wird ermittelt, indem
man etwa Vorerkrankungen oder
Operationen darlegen muss. Diese
Pflicht, Informationen über den
Gesundheitszustand zu offenba-
ren, gilt zum Beispiel auch für eine
HIV-Infektion, selbst wenn man
noch nicht an AIDS erkrankt ist.
Viele Versicherungsrechtler sind
der Ansicht, dass der Antragsteller
auch ihm bekannte genetische Veranlagungen offenbaren müsste.
Derzeit verzichten Versicherungsunternehmen allerdings darauf, ihre potentiellen Kunden nach
Gentests zu befragen. Sie haben
sich dazu bis Ende 2006 freiwillig
verpflichtet. Doch befürchtet die
Branche immense wirtschaftliche
Einbußen, wenn es zu einem gene-
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Risikominimierung oder Diskriminierung?
rellen Verbot der Berücksichtigung
von Gentests käme. Dann könnte
nämlich ein Antragsteller beim Abschluss einer Lebensversicherung
verschweigen, dass er nach genetischer Untersuchung beispielsweise
um die ihm drohende Krankheit
Chorea Huntington und damit seine verkürzte Lebenserwartung
weiß. Er würde dann einen Vertrag
bekommen, bei dem die zu zahlenden Prämien auf eine durchschnittliche Lebenserwartung bezogen
kalkuliert sind. Verstirbt der Versicherte tatsächlich früh, hätte er relativ zur Versicherungssumme nur
geringe Beitragszahlungen geleistet. Ähnliches wäre auch in der privaten Krankenversicherung möglich, wo der Versicherungsnehmer
gegebenenfalls überdurchschnittlich viele Leistungen in Anspruch
nehmen würde, aber nur eine
durchschnittliche Prämie bezahlen
würde.
Mit der Globalisierung und der
Internationalisierung der Versicherungsmärkte wäre auch ein
anderes Szenario denkbar: Würde
die Nutzung von Gentests den
deutschen Versicherungen generell verboten, dürften auch entlastende Ergebnisse nicht zur
Prämienkalkulation herangezogen
werden. Falls andere Länder dagegen kein Verbot erlassen, könnten dortige Versicherer solchen
Personen, die um ihr niedriges
genetisches Krankheitsrisiko wissen, eine besonders günstige Prämie anbieten. Die „guten Risiken“
würden sich also im Ausland versichern, die schlechten blieben
den deutschen Versicherern erhalten.
Die Frage der Nutzung genetischer Tests wird bislang vorwiegend hinsichtlich der Krankenund Lebensversicherungsmärkte
diskutiert. Theoretisch könnten jedoch auch Unfallversicherungen
oder Berufsunfähigkeitsversiche-
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Versicherungen nämlich ist es bereits heute üblich, nach erheblichen Krankheiten des Versicherungsnehmers zu fragen. Denn
wer beispielsweise an Epilepsie
leidet, könnte aufgrund der mit
der Krankheit einhergehenden
Anfälle ein erhöhtes Unfallrisiko
haben; wer bereits ein Rückenleiden hat, könnte gegebenenfalls
schneller berufsunfähig werden.
Und im Prinzip könnten wohl auch
genetische Daten Rückschlüsse
über Krankheitsdispositionen erlauben, bei denen der Versicherte
etwa im Falle eines Unfalls mit
(für die Versicherung teueren)
Komplikationen rechnen müsste
oder eben mit hoher Wahrscheinlichkeit berufsunfähig werden
würde.
So lange nur wenige Menschen einen Gentest durchführen
lassen, mag der den Versicherungsfirmen entstehende wirtschaftliche Schaden sowohl bei
einem gesetzlichen Verbot der
Nutzung von Gentests als auch
dann, wenn die Versicherten einen
Gentest-Befund verschweigen, gering sein. Steigt mit dem Angebot
diagnostischer Möglichkeiten jedoch auch die Nachfrage, so könnte ein Verbot, Gentest-Ergebnisse
zur Kalkulation der Versicherungsbeiträge heranzuziehen, massive
Einbußen für die Versicherungen
und damit die Versichertengemeinschaft bedeuten.
Andererseits sind ethische
Bedenken mindestens ebenso begründet wie die Befürchtungen
der Versicherer. Sind nicht die von
genetischen Dispositionen Betroffenen schon benachteiligt genug?
Müsste ihnen daher nicht unsere
Solidarität sicher sein und weitere
Nachteile durch Versicherungen
verhindert werden? Werden Patienten gegebenenfalls sinnvolle
Gentests nicht durchführen lassen, weil sie Angst vor erhöhten
Versicherungsbeiträgen haben?
Oder werden Menschen mit genetischen Dispositionen in den sowieso überlasteten gesetzlichen
Krankenkassen verbleiben, während sich bei den privaten Versicherern nur die „guten Risiken“
ansammeln?
mensch+umwelt spezial 16. Ausgabe 2003
Relativ wenige Erkrankungsfälle lassen
sich auf monogen vererbbare Leiden,
ausgelöst durch einen Defekt in einem
einzigen Gen, zurückführen. Polygene
Leiden sind hingegen auf Defekte in
mehr als einem Gen zurückzuführen.
Je nach Krankheit ist eine veränderliche Mischung genetischer Faktoren,
vererbt oder durch Spontanmutation
entstanden, in Wechselwirkung mit
Umwelteinflüssen verantwortlich.
Grafik: BMBF/DHGP
All dies sind Fragen, auf die es
keine leichten Antworten gibt. Das
Recht der Patienten auf Nicht-Wissen ist jedoch in jedem Fall zu
respektieren. Niemand kann also
gezwungen werden, seine genetische Konstitution zu kennen. Private Versicherungen werden insofern keinen Zwang ausüben können, überhaupt einen Gentest
durchzuführen. Ob aber bereits
bekannte genetische Daten mit anderen krankheitsbezogenen Daten
vergleichbar sind und wie diese
offenbart werden müssten, da
besteht Klärungs- und wohl auch
politischer Handlungsbedarf.
Literaturhinweise:
Fesch, C.: (2000) Genetische Tests. Wie
funktionieren sie, was sagen sie aus?
Fischer-Verlag, Frankfurt
Feuerstein, G., Kollek, R., Uhlemann, T.
(2002) Gentechnik und Krankenversicherung. Neue Leistungsangebote im Gesundheitssystem. Nomos-Verlag, BadenBaden
Forum TTN Nr. 5 (2001): Schwerpunktthema „Humangenetik und Versicherungen“, Herbert Utz-Verlag, München
Simon, J.: (2001) Gendiagnostik und Versicherung. Die internationale Lage im Vergleich. Nomos-Verlag, Baden-Baden
Internettipp:
Münchner Rück: Im Medienpool finden Sie
zahlreiche Publikationen zum Themengebiet Gentechnologie und Versicherung,
größtenteils als PDF-Dateien.
http://www.munichre.com