30.07.2003 16:15 Uhr Seite 37 Foto: Hoechst S_37_38_Haniel.qxd Genetische Diagnostik und Versicherungen Anja Haniel Risikominimierung oder Diskriminierung? it der Entscheidung, einen Test zur Erkennung einer genetischen Krankheitsdisposition durchführen zu lassen, verbinden sich Hoffnungen und Ängste: Hoffnungen, weil der Gentest ein entlastendes Ergebnis bringen kann, die befürchtete Veranlagung also nicht diagnostiziert wurde; Ängste, weil es im anderen Fall nicht leicht ist, mit dem Wissen um ein erhöhtes Krankheitsrisiko zu leben. Gegebenenfalls drohen auch Nachteile beim Abschluss von Versicherungen. M Gentests zur Einstufung des gesundheitlichen „Risikos“, das ein Versicherter mit sich trägt, bieten Chancen und Risiken zugleich. Menschen ohne genetische Prädisposition könnten auf günstige Beiträge hoffen, andere würden trotz momentaner Gesundheit höher eingestuft oder gar nicht mehr versichert – sozialpolitischer Sprengstoff und Verletzung des Solidaritätsprinzips in einem, doch im Zuge der Globalisierung eine bald nicht mehr aufzuhaltende Entwicklung? Während die gesetzliche Krankenkasse aufgrund des Solidaritätsprinzips die zu zahlenden Beiträge im Verhältnis zum Einkommen berechnet, im Krankheitsfall aber jeder die gleichen Leistungen erhält, entscheidet bei privaten Kranken- und Lebensversicherungen das persönliche gesundheitliche Risiko über die Beiträge. Dieses Risiko wird ermittelt, indem man etwa Vorerkrankungen oder Operationen darlegen muss. Diese Pflicht, Informationen über den Gesundheitszustand zu offenba- ren, gilt zum Beispiel auch für eine HIV-Infektion, selbst wenn man noch nicht an AIDS erkrankt ist. Viele Versicherungsrechtler sind der Ansicht, dass der Antragsteller auch ihm bekannte genetische Veranlagungen offenbaren müsste. Derzeit verzichten Versicherungsunternehmen allerdings darauf, ihre potentiellen Kunden nach Gentests zu befragen. Sie haben sich dazu bis Ende 2006 freiwillig verpflichtet. Doch befürchtet die Branche immense wirtschaftliche Einbußen, wenn es zu einem gene- 37 S_37_38_Haniel.qxd 30.07.2003 16:15 Uhr Risikominimierung oder Diskriminierung? rellen Verbot der Berücksichtigung von Gentests käme. Dann könnte nämlich ein Antragsteller beim Abschluss einer Lebensversicherung verschweigen, dass er nach genetischer Untersuchung beispielsweise um die ihm drohende Krankheit Chorea Huntington und damit seine verkürzte Lebenserwartung weiß. Er würde dann einen Vertrag bekommen, bei dem die zu zahlenden Prämien auf eine durchschnittliche Lebenserwartung bezogen kalkuliert sind. Verstirbt der Versicherte tatsächlich früh, hätte er relativ zur Versicherungssumme nur geringe Beitragszahlungen geleistet. Ähnliches wäre auch in der privaten Krankenversicherung möglich, wo der Versicherungsnehmer gegebenenfalls überdurchschnittlich viele Leistungen in Anspruch nehmen würde, aber nur eine durchschnittliche Prämie bezahlen würde. Mit der Globalisierung und der Internationalisierung der Versicherungsmärkte wäre auch ein anderes Szenario denkbar: Würde die Nutzung von Gentests den deutschen Versicherungen generell verboten, dürften auch entlastende Ergebnisse nicht zur Prämienkalkulation herangezogen werden. Falls andere Länder dagegen kein Verbot erlassen, könnten dortige Versicherer solchen Personen, die um ihr niedriges genetisches Krankheitsrisiko wissen, eine besonders günstige Prämie anbieten. Die „guten Risiken“ würden sich also im Ausland versichern, die schlechten blieben den deutschen Versicherern erhalten. Die Frage der Nutzung genetischer Tests wird bislang vorwiegend hinsichtlich der Krankenund Lebensversicherungsmärkte diskutiert. Theoretisch könnten jedoch auch Unfallversicherungen oder Berufsunfähigkeitsversiche- 38 Seite 38 rungen mit der Problematik konfrontiert werden. Auch bei diesen Versicherungen nämlich ist es bereits heute üblich, nach erheblichen Krankheiten des Versicherungsnehmers zu fragen. Denn wer beispielsweise an Epilepsie leidet, könnte aufgrund der mit der Krankheit einhergehenden Anfälle ein erhöhtes Unfallrisiko haben; wer bereits ein Rückenleiden hat, könnte gegebenenfalls schneller berufsunfähig werden. Und im Prinzip könnten wohl auch genetische Daten Rückschlüsse über Krankheitsdispositionen erlauben, bei denen der Versicherte etwa im Falle eines Unfalls mit (für die Versicherung teueren) Komplikationen rechnen müsste oder eben mit hoher Wahrscheinlichkeit berufsunfähig werden würde. So lange nur wenige Menschen einen Gentest durchführen lassen, mag der den Versicherungsfirmen entstehende wirtschaftliche Schaden sowohl bei einem gesetzlichen Verbot der Nutzung von Gentests als auch dann, wenn die Versicherten einen Gentest-Befund verschweigen, gering sein. Steigt mit dem Angebot diagnostischer Möglichkeiten jedoch auch die Nachfrage, so könnte ein Verbot, Gentest-Ergebnisse zur Kalkulation der Versicherungsbeiträge heranzuziehen, massive Einbußen für die Versicherungen und damit die Versichertengemeinschaft bedeuten. Andererseits sind ethische Bedenken mindestens ebenso begründet wie die Befürchtungen der Versicherer. Sind nicht die von genetischen Dispositionen Betroffenen schon benachteiligt genug? Müsste ihnen daher nicht unsere Solidarität sicher sein und weitere Nachteile durch Versicherungen verhindert werden? Werden Patienten gegebenenfalls sinnvolle Gentests nicht durchführen lassen, weil sie Angst vor erhöhten Versicherungsbeiträgen haben? Oder werden Menschen mit genetischen Dispositionen in den sowieso überlasteten gesetzlichen Krankenkassen verbleiben, während sich bei den privaten Versicherern nur die „guten Risiken“ ansammeln? mensch+umwelt spezial 16. Ausgabe 2003 Relativ wenige Erkrankungsfälle lassen sich auf monogen vererbbare Leiden, ausgelöst durch einen Defekt in einem einzigen Gen, zurückführen. Polygene Leiden sind hingegen auf Defekte in mehr als einem Gen zurückzuführen. Je nach Krankheit ist eine veränderliche Mischung genetischer Faktoren, vererbt oder durch Spontanmutation entstanden, in Wechselwirkung mit Umwelteinflüssen verantwortlich. Grafik: BMBF/DHGP All dies sind Fragen, auf die es keine leichten Antworten gibt. Das Recht der Patienten auf Nicht-Wissen ist jedoch in jedem Fall zu respektieren. Niemand kann also gezwungen werden, seine genetische Konstitution zu kennen. Private Versicherungen werden insofern keinen Zwang ausüben können, überhaupt einen Gentest durchzuführen. Ob aber bereits bekannte genetische Daten mit anderen krankheitsbezogenen Daten vergleichbar sind und wie diese offenbart werden müssten, da besteht Klärungs- und wohl auch politischer Handlungsbedarf. Literaturhinweise: Fesch, C.: (2000) Genetische Tests. Wie funktionieren sie, was sagen sie aus? Fischer-Verlag, Frankfurt Feuerstein, G., Kollek, R., Uhlemann, T. (2002) Gentechnik und Krankenversicherung. Neue Leistungsangebote im Gesundheitssystem. Nomos-Verlag, BadenBaden Forum TTN Nr. 5 (2001): Schwerpunktthema „Humangenetik und Versicherungen“, Herbert Utz-Verlag, München Simon, J.: (2001) Gendiagnostik und Versicherung. Die internationale Lage im Vergleich. Nomos-Verlag, Baden-Baden Internettipp: Münchner Rück: Im Medienpool finden Sie zahlreiche Publikationen zum Themengebiet Gentechnologie und Versicherung, größtenteils als PDF-Dateien. http://www.munichre.com
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