Barocker Totenbrauch und die Überreste einer Kapelle

220
AFD . Beiheft 27
Matthias Schubert
Barocker Totenbrauch und die Überreste einer Kapelle
Die Ausgrabungen auf dem Grünen Friedhof des Freiberger Doms
Im Gebiet der historischen Altstadt von Freiberg
befindet sich der Freiberger Dom mit der weltweit
bekannten Goldenen Pforte, der frei im Raum stehenden Tulpenkanzel und der Silbermann-Orgel.
Südlich des Doms, unmittelbar zwischen Dom und
dazugehörigem Kreuzgang, liegt etwas unscheinbar aber idyllisch, der Grüne Friedhof. Die geplante
Sanierung des Kreuzganges war der Anlass für den
Neubau einer Küsterei auf dessen Gelände. Im Vorfeld dieses Bauvorhabens konnte eine Fläche von
rund 160 m² in den vorgegebenen Bautiefen archäologisch untersucht werden. In drei Monaten reiner
Grabungszeit wurden 127 Bestattungen geborgen.
Bemerkenswert waren hierbei einige Kinderbestattungen, die mit prachtvollen Totenkränzen und
Totenkronen bestattet wurden und einen Einblick in
die wiederaufkommende Beigabensitte des 17. und
18. Jahrhunderts, vermutlich wohl situierter Freiberger Bürger, geben. Weiterhin wurden 18 Baubefunde
dokumentiert, darunter auch die Grundmauern
einer Kapelle, die zum romanischen Vorgängerbau
des Freiberger Doms gehört und als Erasmuskapelle
gedeutet wurde.
von Markgraf Heinrich am 4. Juli 1225 ausgefertigt
wurde, der zufolge das Patronat über die Freiberger
Pfarrkirchen St. Mariae, St. Petri, St. Jacobi, St. Nicolai, St. Donati und das Johannishospital dem Zisterzienserkloster Altzella verliehen wird (Magirius
1972, 32). Der Baubeginn der Marienkirche dürfte
dagegen höchstwahrscheinlich um 1180 liegen
(Magirius 2002, 210), jedoch nicht vor den Silberfunden 1168 in dem Waldhufendorf Christiansdorf,
das wohl um 1160 entstanden ist und aus dem sich
ca. 1170 eine Bergbausiedlung entwickelte (Richter 2002, 6), die im Jahr 1218 als Stadt „Friberch“
wohl zum ersten Mal urkundlich erwähnt ist (CDS
IA, 3). Die Marienkirche wurde erstmalig durch den
zweiten großen Stadtbrand von 1386 stark zerstört,
konnte aber im romanischen Stil wieder repariert
werden. Ab 1480 erfolgte die Erhebung zu einer
Kollegiatstiftskirche – seither bürgerte sich auch
die Bezeichnung Dom ein. Durch den letzten großen und verheerenden Stadtbrand von 1484 war
der Dom fast vollständig ausgebrannt. Der Wiederaufbau als spätgotische dreischiffige Hallenkirche
Der Freiberger Dom und
sein Vorgängerbau
An dem Standpunkt des heutigen Freiberger Doms
existierte ursprünglich bereits eine Kirche, die im
Burglehen der Burg Freudenstein1 errichtet und der
Jungfrau Maria geweiht war. Diese spätromanische
dreischiffige Pfeilerbasilika wurde im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts erbaut. Durch archäologische Untersuchungen 1959–1968 (Magirius 1972,
38–82) im Inneren des Doms konnte die Struktur
dieses romanischen Kirchenbaus ermittelt werden
(Abb. 1). Ein Gründungsdatum oder Aufzeichnungen über die Einweihung der Kirche sind bisher
anhand von Quellen nicht eindeutig zu belegen.
Der früheste geschichtliche Hinweis von der Marienkirche ist eine Urkunde, die auf der Burg Strauf
1 Die erste Wehranlage der Burg Freudenstein wurde vermutlich zwischen 1171 und 1175 von Markgraf Otto erbaut
(Magirius 1972, 34).
Abb. 1. Freiberg. Isometrische Darstellung der romanischen
Marienkirche von 1288, nach Magirius 1972, 103.
Ausgrabungen in Sachsen 4
221
Abb. 2. Freiberg FG-288,
Befund 9, Übersicht Planum
2. Grundmauern der
„Erasmuskapelle“.
dauerte bis zum Jahre 1501. In den folgenden Jahren, vermutlich 1507 beginnend bis 1514, entstand
der zum Dom gehörende Kreuzgang. Mit dem Bau
des Kreuzganges wurde nun ein kleineres Areal
des Domfriedhofes umschlossen, der sogenannte
„Grüne Friedhof“. Im Jahre 1832 wurde der Grüne
Friedhof auf Antrag der Domgemeinde als Begräbnisstätte geschlossen2.
Die Grundmauern der Erasmus-Kapelle
und das romanische Doppelportal
Von den freigelegten Baubefunden sind zwei besonders hervorzuheben, da es sich hierbei um Bausubstanz des romanischen Vorgängerbaus der Marienkirche handelt. Zum einen konnten die Grundmauern
einer Kapelle nachgewiesen werden, zum anderen
fanden sich Hinweise auf ein Doppelportal an der
Südseite der romanischen Basilika.
Das massive Bruchsteinmauerwerk [9] der
Kapelle besteht aus Gneisplatten unterschiedlichster Größen und ist in unregelmäßigen Lagen
in einem gelblichbraunen bis ockerfarbenen Kalkmörtel gesetzt. Der Mauerzug verläuft regelmäßig
linear von Nord nach Süd und knickt am Südende,
in einem Winkel von 90°, nach Osten hin ab. Somit
ergab sich ein vollständiges Eckfundament, das eine
maximale Mauerbreite von rund 1,50 m aufweist
und bis auf eine maximal erhaltene Höhe von 1,30 m
freigelegt werden konnte, die Gründungstiefe wurde
dabei allerdings nicht erreicht (Abb. 2). Der östliche
Teil des Mauerwerks war bereits größtenteils abge-
tragen und nur noch relativ flach erhalten. Hierfür
kommen verschiedene Umbaumaßnahmen des
Doms in Frage: 1861 wurde dort die der Goldenen
Pforte vorgelagerte Kapelle und der östliche Kreuzgangflügel abgebrochen, mit dem Ziel die Pforte frei
zur Schau zu stellen. Von 1902 bis 1903 erfolgte dann
die Errichtung des heutigen Schutzbaues für die Goldene Pforte nach dem Plan der Architekten Schilling
und Gräbner im damaligen zeitgenössischen Jugendstil (Magirius 1972, 37). Im Zuge dieser Baumaßnahmen wurde das Gelände und auch ein Teil der Bruchsteinmauer [9] abgetragen und planiert. Weitere
Eingriffe sind im Süden des Mauerzuges zuerkennen;
hier überlagerte eine jüngere Bruchsteinmauer [20]
den Befund 9, die als früherer Treppenaufgang zum
Grünen Friedhof auf einem Grundriss des Freiberger
Doms nach E. Heuchler von 18623 wiederzufinden
ist. Zusätzlich schneidet ein Bruchsteinkanal [19] den
Mauerzug [9] im rechten Winkel, dabei handelt es
sich um einen jüngeren Abwasserkanal oder auch
„Anzucht“, die sehr häufig in Freiberg, durch den
Bergbau und daraus notwendiger Entwässerung,
anzutreffen sind. Die Datierung der Kapellengrundmauern gelang nachdem ein, den Grundmauern
des Freiberger Doms vorgelagerter Lüftungsschacht
2 Hoffmann 1930, 67. „Im Jahre 1832 wurde er auf Antrag
der Gemeindevertreter (prov. Kommun-repräsentanten)
durch gemeinschaftliche Bekanntmachung des Superintendenten, des Kreisamtes und des Stadtrates vom 13. Juli 1832
geschlossen.“
3 Heuchler 1862, Taf. 1, Fig. 3.
222
AFD . Beiheft 27
Abb. 3. Freiberg FG-288,
Profil 4. Kapellengrundmauern [9] gelb; Pfeilervorlage Doppelportal [69] rot;
Entlastungsbogen [93] grün.
aus Ziegelmauerwerk [26] abgetragen wurde. Dabei
zeigte sich, dass die Bruchsteinmauer [9] direkt unter
einen Entlastungsbogen [93] des Freiberger Doms
zieht und somit älter als dieser sein muss (Abb. 3).
Höchstwahrscheinlich setzt der Mauerzug [9] direkt
gegen die Fundamente der romanischen Marienkirche, die innerhalb des Freiberger Doms ungefähr
einen Meter nach Innen versetzt, parallel zum heutigen Bauwerk verlaufen. Einen guten Eindruck des
Verlaufs dieser romanischen Grundmauern vermitteln die Grabungsergebnisse von Magirius aus dem
Jahre 19724. In der Flucht von Befund 9 wurde hier
durch Magirius innerhalb des Domes ein Fundamentvorsprung dokumentiert, der exakt mit dem
Verlauf von Befund 9 korreliert (Abb. 4). Anhand
dieser Ergebnisse kann der Befund 9 mit ziemlicher
Sicherheit dem romanischen Vorgängerbau des
Freiberger Doms zugeordnet werden, der an die
Außenmauer der romanischen Grundmauern setzt.
Als mögliche Interpretation ist eine Kapelle sehr
wahrscheinlich - die Erasmuskapelle - die wohl 1366
errichtet wurde (Magirius 1972, 36). Über die Lage
dieser Kapelle findet man einen Hinweis im Urkundenbuch der Stadt Freiberg in Sachsen, dort wird
die St. Erasmuskapelle am 22. Februar 1519 als „über
dem Kreuzgang“, also südlich der Kirche gelegen,
bezeichnet und letztmalig erwähnt5.
Die Rekonstruktion eines Doppelportals an der
Südseite der romanischen Marienkirche nach Magirius 1972 (Abb. 1) konnte anhand der beiden Fundamente [69] und [152] untermauert werden. Bei den
beiden Mauerbefunden handelt es sich um unre-
gelmäßiges Bruchsteinmauerwerk aus Gneisplatten
unterschiedlichster Größe, das in mittelbraunen,
leicht grünstichigen Lehm gesetzt ist. Beide Befunde
sind durch den Lüftungsschacht aus Ziegelmauerwerk [26] gestört und zum Teil verstürzt. Jedoch ist
für [69] eine ältere Datierung als die Grundmauern
des Freiberger Doms zu belegen, da die Überreste
der Fundamentmauer [69] eindeutig unter den Entlastungsborgen [93] und deren Verfüllung [94] ziehen (Abb. 3). Für das Fundament [152] ist, in gedachter Verlängerung, ein Anschluss an einen Fundamentvorsprung nach den Grabungsergebnissen von
Magirius (1972) höchstwahrscheinlich (Abb. 4). Von
der Lage her könnten die beiden ähnlich gesetzten
Fundamente als mögliche Überreste eines Unterbaus für Strebepfeiler eines Doppelportals des romanischen Bauwerks interpretiert werden, wie es Magirius an der Südseite des romanischen Vorgängerbaus
rekonstruiert. Aufgrund der mäßigen Erhaltung der
beiden Bruchsteinformationen kann keine genauere
Aussage über deren Funktion gemacht werden. Eine
Interpretation als Strebepfeiler eines Doppelportals
scheint hier aber am Wahrscheinlichsten.
Die barocken Bestattungen
Der Friedhof der Marienkirche begrenzte sich
erst mit dem Bau des Kreuzganges am Beginn des
16. Jahrhunderts auf das relativ kleine Areal des
4 Siehe dazu Übersichtsplan bei Magirius 1972, Plan 5.
5 CDS II, 12, 22. Februar 1519, „… und der letztere zu einer
ewigen Messe auf dem Altar bei der sanct Erasmus-Kapelle
über dem Kreuzgang verwendet hat, …“.
223
N
Ausgrabungen in Sachsen 4
Abb. 4. Freiberg FG-288. Grabungsplan vom Inneren des Freiberger Doms,
nach Magirius 1972 (Plan 5) mit Übersichtsplan FG-288 (nur Mauerzüge
dargestellt): Es korrelieren Mauervorsprung G32 mit den Grundmauern
der „Erasmuskapelle“ [9] (dunkelgrau), sowie der Mauervorsprung G28 mit
der Pfeilervorlage des Doppelportals FM [152] (hellgrau).
224
AFD . Beiheft 27
Abb. 5. Freiberg FG-288.
Befund 17, Planum 1A.
Grünen Friedhofes. Bestattet wurde abhängig vom
Stand der verstorbenen Person direkt im Dom, in
der Schönbergschen Grabkapelle, im Kreuzgang
und eben auf dem Grünen Friedhof (Grübler 1731).
Durch eine lange Belegungsdauer bis 1832 und
aufgrund des begrenzten Platzes auf dem Grünen
Friedhof konnte mit einer Vielzahl von Bestattungen
im Zuge der Ausgrabungen gerechnet werden. Die
ersten intakten Grablegen fanden sich in einer Tiefe
von 1,20 m unter der heutigen Oberfläche, nachdem
die oberen umgelagerten Bodenschichten mit einem
Minibagger abgetragen wurden. Die Bestattungen
Ausgrabungen in Sachsen 4
zeichneten sich äußerst selten anhand einer Grabgrube ab. Zumeist waren nur die rechteckigen oder
leicht trapezförmigen Überreste eines Holzsarges
erkennbar, so denn die verstorbene Person in einen
Holzsarg gebettet wurde. Für einen Großteil der
Grablegen vom Grünen Friedhof konnte die Bestattung in Holzsärgen nachgewiesen werden. Häufig
lagen die Gräber auch übereinander und beim Anlegen neuer Grabgruben wurden ältere Bestattungen zum Teil gestört oder sogar ganz zerstört. Die
menschlichen Überreste der älteren Bestattungen
kamen beim Verschließen der neu angelegten Gräber einfach wieder mit in den geweihten Boden.
Insgesamt konnten 127 Bestattungen dokumentiert
werden, davon sind 39 Kinderbestattungen vom
Neugeborenen-Alter bis ungefähr sieben Jahren.
Damit handelt es sich bei fast einem Drittel der
dokumentierten Gräber um Kinderbestattungen,
was die damalige höhere Kindersterblichkeit somit
gut widerspiegelt. Die übrigen 88 Bestattungen
umfassen ein Altersspektrum vom Jungerwachsenen bis hin zum Greisenalter6. Bis auf zwölf Ausnahmen waren die Bestattungen vom Grünen Friedhof erwartungsgemäß ­west-ost-ausgerichtet. Die
ungewöhnliche Süd-Nord-Ausrichtung von zwölf
Verstorbenen war anhand der Befunde vor Ort
nicht erklärbar. Zumal mit Hilfe der Beigaben vom
sehr „reichen“ Kindergrab bis zum beigabenlosen
Erwachsenen keine Unterschiede zu anderen Grablegen auszumachen sind.
Die Gräber vom Grünen Friedhof zeichnen sich
durch die ab dem 17. Jahrhundert wieder aufkommende Beigabensitte aus. Die christliche Sitte, die
üblicherweise jegliche Art von Beigaben verbietet,
wurde im Barock wieder stark aufgelockert. In einigen Kindergräbern spiegelt sich diese Beigabensitte
in besonders eindrucksvollen und aufwendig gestalteten Totenkronen und vor allem in den Totenkränzen wieder. Totenkronen wurden vorwiegend
unverheiratet verstorbenen Mädchen und Jungen
mit in das Grab gegeben. Damit sollte die notwendige Verehelichung bis in den Tod noch symbolisch
vollzogen werden (Rupp 1995, 227). Bei den Bestattungen vom Grünen Friedhof wurde aber nicht allen
jungen Individuen dieses Privileg der symbolischen
Vermählung zuteil, da auch völlig beigabenlose
Bestattungen zu beobachten sind. Ob es sich dabei
um ältere Grablegen handelt, die den Totenkronenbrauch noch nicht kannten, oder eine soziale Komponente dahintersteckt, soll nicht außer Acht gelassen werden. Vermutlich wurden die Totenkronen
und Kränze von Familienangehörigen und Freun-
den gestiftet, was bei der übermäßigen Anzahl der
Kränze bei Grab [17] und [32] auf eine größere oder
auch besonders reiche Verwandtschaft schließen
lassen könnte (Abb. 5). Die frühesten Belege für den
Totenkranz finden sich dabei auf Grabsteinen adliger Kinder aus dem 16. Jahrhundert (Lauffer 1916).
Die Bestattungen vom Grünen Friedhof datieren
anhand der Beigabensitte allgemein in die Barockzeit, wesentlich in das 17. und 18. Jahrhundert, als es
noch üblich war, die individuell gestalteten Kronen
und Kränze der verstorbenen Person als Beigabe
direkt mit ins Grab zu geben (Sörries 2007, 247).
Bei der Anordnung der Totenkränze in den Gräbern konnte eine Art Grundmuster beobachtet werden, die unabhängig von Aufwand und Gestaltung
dieser Kränze ist. Allgemein ist zum überwiegenden
Teil allen Kinderbestattungen mit Totenkrone und
-kranz gleich, dass ein größerer Kranz den Bereich
der Beine und Füße bedecken sollte und kleinere
Kränze sich eher im Bereich des Oberkörpers und
des Kopfes befinden. Diese Anordnung der Totenkränze konnte sowohl bei den Einfachen, die aus
Holzspan und etwas Kupferdraht gestaltet wurden,
als auch bei den aufwendig und sehr kostbar anzusehenden Kränzen beobachtet werden (Abb. 5).
Die Totenkronen und Totenkränze vom Grünen
Friedhof sind geprägt durch florale Ornamente,
dies spiegelt sich in diversen Formen von Blüten,
Blättern, Ranken und Knospen wieder. Ein dünner
Eisenreif bildet meist die Basis der Totenkrone, bei
den Kränzen dagegen besteht die Basis vermehrt aus
einem einfachen Holzspanreif. An diesem Grundgestell sind Blütenfassungen, Zierborten und andere
Ornamente meist nur mittels Drahtwickelungen
befestigt und zu floralen Elementen gestaltet. Durch
zusätzliche Elemente, wie aufgefädelte, kleine Glasperlen oder winzige Glastupfen, wurden diese Blüten noch detailreicher (Abb. 5). Die Kupferdrähte
aus denen diese diversen, recht eindrucksvollen floralen Elemente gefertigt wurden bestehen aus leonischen Drähten, die vergoldet, versilbert oder verzinkt waren. Leonische Drähte sind aus feinen, spiralförmig um einen Basisdraht gewickelte Drähtchen
(Frenzel u. a. 1995, 228) und werden in Freiberg seit
dem 17. Jahrhundert bis heute von der Firma Thiele
und Steinert hergestellt (Sietz 2008, 321). Es ist also
gut denkbar, dass mit dem Beginn der großma 6 Es stehen noch anschließende Anthropologische Untersuchungen von Frau Dr. Bettina Jungklaus, AnthropologieBüro Jungklaus in Berlin sowie an den Staatssammlungen für
Anthropologie und Paläoanatomie München (Frau Prof. Dr.
Gisela Grupe) aus.
225
226
AFD . Beiheft 27
Abb. 6. Freiberg FG-288.
Befund 119, Planum 2A
(links); Befund 120,
Planum 2A (rechts).
schinellen Herstellung dieser leonischen Drähte in
Freiberg auch die Fertigung der Totenkronen und
-kränze erschwinglicher wurde und so die Vielzahl
der Kindergräber mit diesen filigranen Beigaben auf
dem Grünen Friedhof erklärbar ist.
Besonders Eindrucksvoll ist die aufwendige
Gestaltung einer Kranzform, die mit einer Vielzahl
vergoldeter Gewürznelken versehen war und bei
insgesamt drei Kinderbestattungen erfasst werden
konnte (Abb. 6). Der Aufbau dieser Kränze war bei
allen drei Bestattungen [70], [119] und [120] bis
auf wenige Kleinigkeiten gleich. Als Gestell diente
einer oder mehrere vergoldete Holzspanringe
und ein Geflecht aus quer zueinander liegenden
flachen, länglichen Holzstückchen, die untereinander mit dünnem Kupferdraht umwickelt, die
Basis des Kranzes bilden. An den Kreuzpunkten
dieser flachen Holzstückchen sind viele vergoldete
Gewürznelken blütenartig angeordnet und erneut
mit Kupferdraht fixiert. Auf diesen blütenartigen
Gebilden sind zusätzlich kleine, feine Seidenblüten
aufgesetzt. Entlang des zumeist vergoldeten Holzspanrings wurden, ebenso mit Kupferdraht befestigt, weitere vergoldete Gewürznelken diesmal
eher rankenartig drapiert. Es ergibt sich somit ein
eindrucksvolles Gesamtbild eines größeren Kranzes
(rund 30 cm im Durchmesser) mit floralem Charakter, der wahrscheinlich eher nur von einer wohlhabenden Familie für das verstorbene Kleinstkind
gestiftet werden konnte.
Eine weitere Besonderheit konnte anhand der
Kindergräber [27] und noch deutlicher bei Grab
Ausgrabungen in Sachsen 4
227
Abb. 7. Freiberg FG-288.
Befund 117, Planum 1B.
[117] festgestellt werden. Beide Kleinstkinderbestattungen weisen als Beigabe ein, separat vom eigentlichen Holzsarg getrenntes, größeres Gesteck im
Osten des Befundes auf. Das prachtvolle separate
Gesteck befindet sich bei [117] in einer länglichen
Holzkiste, die quer zum Sarg und im Osten zu Füßen
des Kindes gelegt wurde (Abb. 7). Das Gesteck
besitzt als Basis ein Gestell aus einen oder mehreren
Eisenreifen, an denen, aus leonischen Drähten gefertigt, diverse florale Elemente sitzen. Die größeren
Blätter aus gewalztem Kupferdraht, Seide oder auch
organischem Material hergestellt, sind dabei besonders fein gearbeitet.
Neben den Beigaben für die Kindergräber sollen aber auch einige Beigaben der Erwachsenen
Personen nicht unerwähnt bleiben. Die christliche
Konfession der Toten bezeugen dabei, neben der
bereits erwähnten West-Ost-Ausrichtung, Kruzifixe
mit dem Corpus Christi, die bei insgesamt sechs
Bestattungen nachweisbar sind (Abb. 8). Zum ganz
Abb. 8. Freiberg FG-288.
Befund 45, Planum 1A.
Detailfoto des Kruzifixes.
228
AFD . Beiheft 27
persönlichen Besitz sind drei Fingerringe aus drei
Grablegen zu zählen. Dabei ist ein goldenes Ringspiel (Grab 52), aus vier verbundenen Ringen bestehend, besonders zu bemerken, richtig zusammengesetzt konnte dieser als Fingerring getragen werden. Ein weiterer Goldring mit Initialen aus Grab
[95] lieferte für die Datierung der Bestattungen auf
dem Grünen Friedhof ein absolutes Datum7. Weiter
sind noch eine Perlenkette aus Bernstein, oder auch
zwei bronzene Ösennadeln zu erwähnen.
Zusammenfassung
Die Bestattungen des Grünen Friedhofs geben
einen weitreichenden und eindrucksvollen Einblick
in die Begräbnissitte des 17. und 18. Jahrhunderts,
sicher etwas höhergestellter Personen aus Freiberg.
Anhand des Totenkronenbrauchs und eines absoluten Datums der Bestattung einer jungen Frau
mit goldenem Trauring konnten die Bestattungen
datiert werden. Zudem konnte mit den Grundmauern der mutmaßlichen Erasmuskapelle der Standort
dieser wohl um 1366 entstanden Kapelle lokalisiert
und nachgewiesen werden. Mit den Fundamentüberresten möglicher Pfeilervorlagen findet das von
Magirius 1972 rekonstruierte Doppelportal an der
Südseite der romanischen Marienkirche zusätzliche
Bestätigung.
7 Ein absolutes Datum lieferte der goldene Fingerring aus
dem Grab [95], der als Trauring die Initialen des Ehepartners
und das Jahr der Vermählung trägt. Die Initialen lauten: „M.
IMMAN GERBER 1655“. Anhand der Leichenpredigten vom
Grünen Friedhof konnte ein M. Immanuel Gerber herausgefunden werden. Verheiratet war dieser mit einer Frau
Martha Gerber, die wiederum nach 6 ¾ Jahren Ehe am 16.
Juni 1662, im Alter von 26 Jahren verstarb. Zieht man diese
fast 7 Jahre Ehe von dem Sterbedatum ab, erhält man das
eingravierte Vermählungsjahr 1655. Bei der bestatteten Person aus Grab [95] handelt es sich somit um die Frau Martha
Gerber, verheiratet mit M. Immanuel Gerber, die im Alter
von 26 Jahren, am 16. Juni 1662 verstorben ist.
Quellen:
CDS IA, 3: Codex Diplomaticus Saxoniae Regiae IA, 3, Nr.
249 – Urkundenbuch der Stadt Freiberg 1, hrsg. von
H. Ermisch (Leipzig 1883) (Onlinepublikation des ISGV
http://codex.isgv.de/codex.php).
CDS II, 12: Codex Diplomaticus Saxoniae Regiae II, 12, Nr.
848 - Urkundenbuch der Stadt Freiberg 1, hrsg. von
H. Ermisch (Leipzig 1883) (Onlinepublikation des ISGV
http://codex.isgv.de/codex.php).
Literatur:
Frenzel u. a. 1995: F. Frenzel/A. Tröller-Reimer/C. Bäucker,
Begraben, vergessen, in neuem Glanz erstrahelend: Die
Restaurierung einer Totenkrone. Arch. aktuell Freistaat
Sachsen 3, 1995, 228–230.
Grübler 1731: J. S. Grübler, Ehre Der Freybergischen TodtenGrüffte Das ist Historisches Verzeichniß Von den, so wohl
in dem Chur-Fürstl. Begräbniße, Als auch Den gesammten 5. Kirchen, und den dazu gehörigen Kirch-Höfen Zu
Freyberg befindlichen Epitaphiis, Inscriptionibvs und
Monimentis Nebst Kurtzen Lebens-Beschreibungen Der
meisten dasigen Patriciorum und Geschlechter, In Zwey
Theilen (Leipzig 1731).
Heuchler 1862: E. Heuchler, Der Dom zu Freiberg – In
geschichtlicher und kunsthistorischer Beziehung (Freiberg 1862).
Hoffmann 1930: H. Hoffmann, Die Freiberger Friedhöfe.
Mitt. Freiberger Altver. 60, 1930, 66–74.
Lauffer 1916: O. Lauffer, Der volkstümliche Gebrauch von
Totenkronen in Deutschland. Zeitschr. Ver. Volkskde. 26,
1916, 225–246.
Magirius 1972: H. Magirius, Der Freiberger Dom. Forschungen und Denkmalpflege (Weimar 1972).
Magirius 2002: H. Magirius, Sakralbauten in Freiberg. In:
Y. Hoffmann/U. Richter (Hrsg.), Denkmale in Sachsen.
Stadt Freiberg. Beiträge. Bd. I (Freiberg 2002) 208–242.
Richter 2002: U. Richter, Freiberg im Mittelalter. In: Y.
Hoffmann/U. Richter (Hrsg.), Denkmale in Sachsen.
Stadt Freiberg. Beiträge. Bd. I (Freiberg 2002) 5–45.
Rupp 1995: C. Rupp, Hochzeit am Grabe – Die Totenkronen
vom Frauenkirchhof. Arch. aktuell Freistaat Sachsen 3,
1995, 226–227.
Sietz 2008: M. Sietz, Die Restaurierung eines barockzeitlichen Totenkranzgesteckes vom Frauenkirchhof Dresden. Arbeits- und Forschungsberichte zur Sächsischen
Bodendenkmalpflege 48/49, 2006/2007 (2008), 311–355.
Sörries 2007: R. Sörries, Einige grundsätzliche Anmerkungen
zum Totenkronenbrauch. In: Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal (Hrsg.), Totenhochzeit mit Kranz und
Krone. Zur Symbolik im Brauchtum des Ledigenbegräbnisses (Kassel 2007) 247–252.