220 AFD . Beiheft 27 Matthias Schubert Barocker Totenbrauch und die Überreste einer Kapelle Die Ausgrabungen auf dem Grünen Friedhof des Freiberger Doms Im Gebiet der historischen Altstadt von Freiberg befindet sich der Freiberger Dom mit der weltweit bekannten Goldenen Pforte, der frei im Raum stehenden Tulpenkanzel und der Silbermann-Orgel. Südlich des Doms, unmittelbar zwischen Dom und dazugehörigem Kreuzgang, liegt etwas unscheinbar aber idyllisch, der Grüne Friedhof. Die geplante Sanierung des Kreuzganges war der Anlass für den Neubau einer Küsterei auf dessen Gelände. Im Vorfeld dieses Bauvorhabens konnte eine Fläche von rund 160 m² in den vorgegebenen Bautiefen archäologisch untersucht werden. In drei Monaten reiner Grabungszeit wurden 127 Bestattungen geborgen. Bemerkenswert waren hierbei einige Kinderbestattungen, die mit prachtvollen Totenkränzen und Totenkronen bestattet wurden und einen Einblick in die wiederaufkommende Beigabensitte des 17. und 18. Jahrhunderts, vermutlich wohl situierter Freiberger Bürger, geben. Weiterhin wurden 18 Baubefunde dokumentiert, darunter auch die Grundmauern einer Kapelle, die zum romanischen Vorgängerbau des Freiberger Doms gehört und als Erasmuskapelle gedeutet wurde. von Markgraf Heinrich am 4. Juli 1225 ausgefertigt wurde, der zufolge das Patronat über die Freiberger Pfarrkirchen St. Mariae, St. Petri, St. Jacobi, St. Nicolai, St. Donati und das Johannishospital dem Zisterzienserkloster Altzella verliehen wird (Magirius 1972, 32). Der Baubeginn der Marienkirche dürfte dagegen höchstwahrscheinlich um 1180 liegen (Magirius 2002, 210), jedoch nicht vor den Silberfunden 1168 in dem Waldhufendorf Christiansdorf, das wohl um 1160 entstanden ist und aus dem sich ca. 1170 eine Bergbausiedlung entwickelte (Richter 2002, 6), die im Jahr 1218 als Stadt „Friberch“ wohl zum ersten Mal urkundlich erwähnt ist (CDS IA, 3). Die Marienkirche wurde erstmalig durch den zweiten großen Stadtbrand von 1386 stark zerstört, konnte aber im romanischen Stil wieder repariert werden. Ab 1480 erfolgte die Erhebung zu einer Kollegiatstiftskirche – seither bürgerte sich auch die Bezeichnung Dom ein. Durch den letzten großen und verheerenden Stadtbrand von 1484 war der Dom fast vollständig ausgebrannt. Der Wiederaufbau als spätgotische dreischiffige Hallenkirche Der Freiberger Dom und sein Vorgängerbau An dem Standpunkt des heutigen Freiberger Doms existierte ursprünglich bereits eine Kirche, die im Burglehen der Burg Freudenstein1 errichtet und der Jungfrau Maria geweiht war. Diese spätromanische dreischiffige Pfeilerbasilika wurde im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts erbaut. Durch archäologische Untersuchungen 1959–1968 (Magirius 1972, 38–82) im Inneren des Doms konnte die Struktur dieses romanischen Kirchenbaus ermittelt werden (Abb. 1). Ein Gründungsdatum oder Aufzeichnungen über die Einweihung der Kirche sind bisher anhand von Quellen nicht eindeutig zu belegen. Der früheste geschichtliche Hinweis von der Marienkirche ist eine Urkunde, die auf der Burg Strauf 1 Die erste Wehranlage der Burg Freudenstein wurde vermutlich zwischen 1171 und 1175 von Markgraf Otto erbaut (Magirius 1972, 34). Abb. 1. Freiberg. Isometrische Darstellung der romanischen Marienkirche von 1288, nach Magirius 1972, 103. Ausgrabungen in Sachsen 4 221 Abb. 2. Freiberg FG-288, Befund 9, Übersicht Planum 2. Grundmauern der „Erasmuskapelle“. dauerte bis zum Jahre 1501. In den folgenden Jahren, vermutlich 1507 beginnend bis 1514, entstand der zum Dom gehörende Kreuzgang. Mit dem Bau des Kreuzganges wurde nun ein kleineres Areal des Domfriedhofes umschlossen, der sogenannte „Grüne Friedhof“. Im Jahre 1832 wurde der Grüne Friedhof auf Antrag der Domgemeinde als Begräbnisstätte geschlossen2. Die Grundmauern der Erasmus-Kapelle und das romanische Doppelportal Von den freigelegten Baubefunden sind zwei besonders hervorzuheben, da es sich hierbei um Bausubstanz des romanischen Vorgängerbaus der Marienkirche handelt. Zum einen konnten die Grundmauern einer Kapelle nachgewiesen werden, zum anderen fanden sich Hinweise auf ein Doppelportal an der Südseite der romanischen Basilika. Das massive Bruchsteinmauerwerk [9] der Kapelle besteht aus Gneisplatten unterschiedlichster Größen und ist in unregelmäßigen Lagen in einem gelblichbraunen bis ockerfarbenen Kalkmörtel gesetzt. Der Mauerzug verläuft regelmäßig linear von Nord nach Süd und knickt am Südende, in einem Winkel von 90°, nach Osten hin ab. Somit ergab sich ein vollständiges Eckfundament, das eine maximale Mauerbreite von rund 1,50 m aufweist und bis auf eine maximal erhaltene Höhe von 1,30 m freigelegt werden konnte, die Gründungstiefe wurde dabei allerdings nicht erreicht (Abb. 2). Der östliche Teil des Mauerwerks war bereits größtenteils abge- tragen und nur noch relativ flach erhalten. Hierfür kommen verschiedene Umbaumaßnahmen des Doms in Frage: 1861 wurde dort die der Goldenen Pforte vorgelagerte Kapelle und der östliche Kreuzgangflügel abgebrochen, mit dem Ziel die Pforte frei zur Schau zu stellen. Von 1902 bis 1903 erfolgte dann die Errichtung des heutigen Schutzbaues für die Goldene Pforte nach dem Plan der Architekten Schilling und Gräbner im damaligen zeitgenössischen Jugendstil (Magirius 1972, 37). Im Zuge dieser Baumaßnahmen wurde das Gelände und auch ein Teil der Bruchsteinmauer [9] abgetragen und planiert. Weitere Eingriffe sind im Süden des Mauerzuges zuerkennen; hier überlagerte eine jüngere Bruchsteinmauer [20] den Befund 9, die als früherer Treppenaufgang zum Grünen Friedhof auf einem Grundriss des Freiberger Doms nach E. Heuchler von 18623 wiederzufinden ist. Zusätzlich schneidet ein Bruchsteinkanal [19] den Mauerzug [9] im rechten Winkel, dabei handelt es sich um einen jüngeren Abwasserkanal oder auch „Anzucht“, die sehr häufig in Freiberg, durch den Bergbau und daraus notwendiger Entwässerung, anzutreffen sind. Die Datierung der Kapellengrundmauern gelang nachdem ein, den Grundmauern des Freiberger Doms vorgelagerter Lüftungsschacht 2 Hoffmann 1930, 67. „Im Jahre 1832 wurde er auf Antrag der Gemeindevertreter (prov. Kommun-repräsentanten) durch gemeinschaftliche Bekanntmachung des Superintendenten, des Kreisamtes und des Stadtrates vom 13. Juli 1832 geschlossen.“ 3 Heuchler 1862, Taf. 1, Fig. 3. 222 AFD . Beiheft 27 Abb. 3. Freiberg FG-288, Profil 4. Kapellengrundmauern [9] gelb; Pfeilervorlage Doppelportal [69] rot; Entlastungsbogen [93] grün. aus Ziegelmauerwerk [26] abgetragen wurde. Dabei zeigte sich, dass die Bruchsteinmauer [9] direkt unter einen Entlastungsbogen [93] des Freiberger Doms zieht und somit älter als dieser sein muss (Abb. 3). Höchstwahrscheinlich setzt der Mauerzug [9] direkt gegen die Fundamente der romanischen Marienkirche, die innerhalb des Freiberger Doms ungefähr einen Meter nach Innen versetzt, parallel zum heutigen Bauwerk verlaufen. Einen guten Eindruck des Verlaufs dieser romanischen Grundmauern vermitteln die Grabungsergebnisse von Magirius aus dem Jahre 19724. In der Flucht von Befund 9 wurde hier durch Magirius innerhalb des Domes ein Fundamentvorsprung dokumentiert, der exakt mit dem Verlauf von Befund 9 korreliert (Abb. 4). Anhand dieser Ergebnisse kann der Befund 9 mit ziemlicher Sicherheit dem romanischen Vorgängerbau des Freiberger Doms zugeordnet werden, der an die Außenmauer der romanischen Grundmauern setzt. Als mögliche Interpretation ist eine Kapelle sehr wahrscheinlich - die Erasmuskapelle - die wohl 1366 errichtet wurde (Magirius 1972, 36). Über die Lage dieser Kapelle findet man einen Hinweis im Urkundenbuch der Stadt Freiberg in Sachsen, dort wird die St. Erasmuskapelle am 22. Februar 1519 als „über dem Kreuzgang“, also südlich der Kirche gelegen, bezeichnet und letztmalig erwähnt5. Die Rekonstruktion eines Doppelportals an der Südseite der romanischen Marienkirche nach Magirius 1972 (Abb. 1) konnte anhand der beiden Fundamente [69] und [152] untermauert werden. Bei den beiden Mauerbefunden handelt es sich um unre- gelmäßiges Bruchsteinmauerwerk aus Gneisplatten unterschiedlichster Größe, das in mittelbraunen, leicht grünstichigen Lehm gesetzt ist. Beide Befunde sind durch den Lüftungsschacht aus Ziegelmauerwerk [26] gestört und zum Teil verstürzt. Jedoch ist für [69] eine ältere Datierung als die Grundmauern des Freiberger Doms zu belegen, da die Überreste der Fundamentmauer [69] eindeutig unter den Entlastungsborgen [93] und deren Verfüllung [94] ziehen (Abb. 3). Für das Fundament [152] ist, in gedachter Verlängerung, ein Anschluss an einen Fundamentvorsprung nach den Grabungsergebnissen von Magirius (1972) höchstwahrscheinlich (Abb. 4). Von der Lage her könnten die beiden ähnlich gesetzten Fundamente als mögliche Überreste eines Unterbaus für Strebepfeiler eines Doppelportals des romanischen Bauwerks interpretiert werden, wie es Magirius an der Südseite des romanischen Vorgängerbaus rekonstruiert. Aufgrund der mäßigen Erhaltung der beiden Bruchsteinformationen kann keine genauere Aussage über deren Funktion gemacht werden. Eine Interpretation als Strebepfeiler eines Doppelportals scheint hier aber am Wahrscheinlichsten. Die barocken Bestattungen Der Friedhof der Marienkirche begrenzte sich erst mit dem Bau des Kreuzganges am Beginn des 16. Jahrhunderts auf das relativ kleine Areal des 4 Siehe dazu Übersichtsplan bei Magirius 1972, Plan 5. 5 CDS II, 12, 22. Februar 1519, „… und der letztere zu einer ewigen Messe auf dem Altar bei der sanct Erasmus-Kapelle über dem Kreuzgang verwendet hat, …“. 223 N Ausgrabungen in Sachsen 4 Abb. 4. Freiberg FG-288. Grabungsplan vom Inneren des Freiberger Doms, nach Magirius 1972 (Plan 5) mit Übersichtsplan FG-288 (nur Mauerzüge dargestellt): Es korrelieren Mauervorsprung G32 mit den Grundmauern der „Erasmuskapelle“ [9] (dunkelgrau), sowie der Mauervorsprung G28 mit der Pfeilervorlage des Doppelportals FM [152] (hellgrau). 224 AFD . Beiheft 27 Abb. 5. Freiberg FG-288. Befund 17, Planum 1A. Grünen Friedhofes. Bestattet wurde abhängig vom Stand der verstorbenen Person direkt im Dom, in der Schönbergschen Grabkapelle, im Kreuzgang und eben auf dem Grünen Friedhof (Grübler 1731). Durch eine lange Belegungsdauer bis 1832 und aufgrund des begrenzten Platzes auf dem Grünen Friedhof konnte mit einer Vielzahl von Bestattungen im Zuge der Ausgrabungen gerechnet werden. Die ersten intakten Grablegen fanden sich in einer Tiefe von 1,20 m unter der heutigen Oberfläche, nachdem die oberen umgelagerten Bodenschichten mit einem Minibagger abgetragen wurden. Die Bestattungen Ausgrabungen in Sachsen 4 zeichneten sich äußerst selten anhand einer Grabgrube ab. Zumeist waren nur die rechteckigen oder leicht trapezförmigen Überreste eines Holzsarges erkennbar, so denn die verstorbene Person in einen Holzsarg gebettet wurde. Für einen Großteil der Grablegen vom Grünen Friedhof konnte die Bestattung in Holzsärgen nachgewiesen werden. Häufig lagen die Gräber auch übereinander und beim Anlegen neuer Grabgruben wurden ältere Bestattungen zum Teil gestört oder sogar ganz zerstört. Die menschlichen Überreste der älteren Bestattungen kamen beim Verschließen der neu angelegten Gräber einfach wieder mit in den geweihten Boden. Insgesamt konnten 127 Bestattungen dokumentiert werden, davon sind 39 Kinderbestattungen vom Neugeborenen-Alter bis ungefähr sieben Jahren. Damit handelt es sich bei fast einem Drittel der dokumentierten Gräber um Kinderbestattungen, was die damalige höhere Kindersterblichkeit somit gut widerspiegelt. Die übrigen 88 Bestattungen umfassen ein Altersspektrum vom Jungerwachsenen bis hin zum Greisenalter6. Bis auf zwölf Ausnahmen waren die Bestattungen vom Grünen Friedhof erwartungsgemäß west-ost-ausgerichtet. Die ungewöhnliche Süd-Nord-Ausrichtung von zwölf Verstorbenen war anhand der Befunde vor Ort nicht erklärbar. Zumal mit Hilfe der Beigaben vom sehr „reichen“ Kindergrab bis zum beigabenlosen Erwachsenen keine Unterschiede zu anderen Grablegen auszumachen sind. Die Gräber vom Grünen Friedhof zeichnen sich durch die ab dem 17. Jahrhundert wieder aufkommende Beigabensitte aus. Die christliche Sitte, die üblicherweise jegliche Art von Beigaben verbietet, wurde im Barock wieder stark aufgelockert. In einigen Kindergräbern spiegelt sich diese Beigabensitte in besonders eindrucksvollen und aufwendig gestalteten Totenkronen und vor allem in den Totenkränzen wieder. Totenkronen wurden vorwiegend unverheiratet verstorbenen Mädchen und Jungen mit in das Grab gegeben. Damit sollte die notwendige Verehelichung bis in den Tod noch symbolisch vollzogen werden (Rupp 1995, 227). Bei den Bestattungen vom Grünen Friedhof wurde aber nicht allen jungen Individuen dieses Privileg der symbolischen Vermählung zuteil, da auch völlig beigabenlose Bestattungen zu beobachten sind. Ob es sich dabei um ältere Grablegen handelt, die den Totenkronenbrauch noch nicht kannten, oder eine soziale Komponente dahintersteckt, soll nicht außer Acht gelassen werden. Vermutlich wurden die Totenkronen und Kränze von Familienangehörigen und Freun- den gestiftet, was bei der übermäßigen Anzahl der Kränze bei Grab [17] und [32] auf eine größere oder auch besonders reiche Verwandtschaft schließen lassen könnte (Abb. 5). Die frühesten Belege für den Totenkranz finden sich dabei auf Grabsteinen adliger Kinder aus dem 16. Jahrhundert (Lauffer 1916). Die Bestattungen vom Grünen Friedhof datieren anhand der Beigabensitte allgemein in die Barockzeit, wesentlich in das 17. und 18. Jahrhundert, als es noch üblich war, die individuell gestalteten Kronen und Kränze der verstorbenen Person als Beigabe direkt mit ins Grab zu geben (Sörries 2007, 247). Bei der Anordnung der Totenkränze in den Gräbern konnte eine Art Grundmuster beobachtet werden, die unabhängig von Aufwand und Gestaltung dieser Kränze ist. Allgemein ist zum überwiegenden Teil allen Kinderbestattungen mit Totenkrone und -kranz gleich, dass ein größerer Kranz den Bereich der Beine und Füße bedecken sollte und kleinere Kränze sich eher im Bereich des Oberkörpers und des Kopfes befinden. Diese Anordnung der Totenkränze konnte sowohl bei den Einfachen, die aus Holzspan und etwas Kupferdraht gestaltet wurden, als auch bei den aufwendig und sehr kostbar anzusehenden Kränzen beobachtet werden (Abb. 5). Die Totenkronen und Totenkränze vom Grünen Friedhof sind geprägt durch florale Ornamente, dies spiegelt sich in diversen Formen von Blüten, Blättern, Ranken und Knospen wieder. Ein dünner Eisenreif bildet meist die Basis der Totenkrone, bei den Kränzen dagegen besteht die Basis vermehrt aus einem einfachen Holzspanreif. An diesem Grundgestell sind Blütenfassungen, Zierborten und andere Ornamente meist nur mittels Drahtwickelungen befestigt und zu floralen Elementen gestaltet. Durch zusätzliche Elemente, wie aufgefädelte, kleine Glasperlen oder winzige Glastupfen, wurden diese Blüten noch detailreicher (Abb. 5). Die Kupferdrähte aus denen diese diversen, recht eindrucksvollen floralen Elemente gefertigt wurden bestehen aus leonischen Drähten, die vergoldet, versilbert oder verzinkt waren. Leonische Drähte sind aus feinen, spiralförmig um einen Basisdraht gewickelte Drähtchen (Frenzel u. a. 1995, 228) und werden in Freiberg seit dem 17. Jahrhundert bis heute von der Firma Thiele und Steinert hergestellt (Sietz 2008, 321). Es ist also gut denkbar, dass mit dem Beginn der großma 6 Es stehen noch anschließende Anthropologische Untersuchungen von Frau Dr. Bettina Jungklaus, AnthropologieBüro Jungklaus in Berlin sowie an den Staatssammlungen für Anthropologie und Paläoanatomie München (Frau Prof. Dr. Gisela Grupe) aus. 225 226 AFD . Beiheft 27 Abb. 6. Freiberg FG-288. Befund 119, Planum 2A (links); Befund 120, Planum 2A (rechts). schinellen Herstellung dieser leonischen Drähte in Freiberg auch die Fertigung der Totenkronen und -kränze erschwinglicher wurde und so die Vielzahl der Kindergräber mit diesen filigranen Beigaben auf dem Grünen Friedhof erklärbar ist. Besonders Eindrucksvoll ist die aufwendige Gestaltung einer Kranzform, die mit einer Vielzahl vergoldeter Gewürznelken versehen war und bei insgesamt drei Kinderbestattungen erfasst werden konnte (Abb. 6). Der Aufbau dieser Kränze war bei allen drei Bestattungen [70], [119] und [120] bis auf wenige Kleinigkeiten gleich. Als Gestell diente einer oder mehrere vergoldete Holzspanringe und ein Geflecht aus quer zueinander liegenden flachen, länglichen Holzstückchen, die untereinander mit dünnem Kupferdraht umwickelt, die Basis des Kranzes bilden. An den Kreuzpunkten dieser flachen Holzstückchen sind viele vergoldete Gewürznelken blütenartig angeordnet und erneut mit Kupferdraht fixiert. Auf diesen blütenartigen Gebilden sind zusätzlich kleine, feine Seidenblüten aufgesetzt. Entlang des zumeist vergoldeten Holzspanrings wurden, ebenso mit Kupferdraht befestigt, weitere vergoldete Gewürznelken diesmal eher rankenartig drapiert. Es ergibt sich somit ein eindrucksvolles Gesamtbild eines größeren Kranzes (rund 30 cm im Durchmesser) mit floralem Charakter, der wahrscheinlich eher nur von einer wohlhabenden Familie für das verstorbene Kleinstkind gestiftet werden konnte. Eine weitere Besonderheit konnte anhand der Kindergräber [27] und noch deutlicher bei Grab Ausgrabungen in Sachsen 4 227 Abb. 7. Freiberg FG-288. Befund 117, Planum 1B. [117] festgestellt werden. Beide Kleinstkinderbestattungen weisen als Beigabe ein, separat vom eigentlichen Holzsarg getrenntes, größeres Gesteck im Osten des Befundes auf. Das prachtvolle separate Gesteck befindet sich bei [117] in einer länglichen Holzkiste, die quer zum Sarg und im Osten zu Füßen des Kindes gelegt wurde (Abb. 7). Das Gesteck besitzt als Basis ein Gestell aus einen oder mehreren Eisenreifen, an denen, aus leonischen Drähten gefertigt, diverse florale Elemente sitzen. Die größeren Blätter aus gewalztem Kupferdraht, Seide oder auch organischem Material hergestellt, sind dabei besonders fein gearbeitet. Neben den Beigaben für die Kindergräber sollen aber auch einige Beigaben der Erwachsenen Personen nicht unerwähnt bleiben. Die christliche Konfession der Toten bezeugen dabei, neben der bereits erwähnten West-Ost-Ausrichtung, Kruzifixe mit dem Corpus Christi, die bei insgesamt sechs Bestattungen nachweisbar sind (Abb. 8). Zum ganz Abb. 8. Freiberg FG-288. Befund 45, Planum 1A. Detailfoto des Kruzifixes. 228 AFD . Beiheft 27 persönlichen Besitz sind drei Fingerringe aus drei Grablegen zu zählen. Dabei ist ein goldenes Ringspiel (Grab 52), aus vier verbundenen Ringen bestehend, besonders zu bemerken, richtig zusammengesetzt konnte dieser als Fingerring getragen werden. Ein weiterer Goldring mit Initialen aus Grab [95] lieferte für die Datierung der Bestattungen auf dem Grünen Friedhof ein absolutes Datum7. Weiter sind noch eine Perlenkette aus Bernstein, oder auch zwei bronzene Ösennadeln zu erwähnen. Zusammenfassung Die Bestattungen des Grünen Friedhofs geben einen weitreichenden und eindrucksvollen Einblick in die Begräbnissitte des 17. und 18. Jahrhunderts, sicher etwas höhergestellter Personen aus Freiberg. Anhand des Totenkronenbrauchs und eines absoluten Datums der Bestattung einer jungen Frau mit goldenem Trauring konnten die Bestattungen datiert werden. Zudem konnte mit den Grundmauern der mutmaßlichen Erasmuskapelle der Standort dieser wohl um 1366 entstanden Kapelle lokalisiert und nachgewiesen werden. Mit den Fundamentüberresten möglicher Pfeilervorlagen findet das von Magirius 1972 rekonstruierte Doppelportal an der Südseite der romanischen Marienkirche zusätzliche Bestätigung. 7 Ein absolutes Datum lieferte der goldene Fingerring aus dem Grab [95], der als Trauring die Initialen des Ehepartners und das Jahr der Vermählung trägt. Die Initialen lauten: „M. IMMAN GERBER 1655“. Anhand der Leichenpredigten vom Grünen Friedhof konnte ein M. Immanuel Gerber herausgefunden werden. Verheiratet war dieser mit einer Frau Martha Gerber, die wiederum nach 6 ¾ Jahren Ehe am 16. Juni 1662, im Alter von 26 Jahren verstarb. Zieht man diese fast 7 Jahre Ehe von dem Sterbedatum ab, erhält man das eingravierte Vermählungsjahr 1655. Bei der bestatteten Person aus Grab [95] handelt es sich somit um die Frau Martha Gerber, verheiratet mit M. Immanuel Gerber, die im Alter von 26 Jahren, am 16. Juni 1662 verstorben ist. Quellen: CDS IA, 3: Codex Diplomaticus Saxoniae Regiae IA, 3, Nr. 249 – Urkundenbuch der Stadt Freiberg 1, hrsg. von H. Ermisch (Leipzig 1883) (Onlinepublikation des ISGV http://codex.isgv.de/codex.php). CDS II, 12: Codex Diplomaticus Saxoniae Regiae II, 12, Nr. 848 - Urkundenbuch der Stadt Freiberg 1, hrsg. von H. Ermisch (Leipzig 1883) (Onlinepublikation des ISGV http://codex.isgv.de/codex.php). Literatur: Frenzel u. a. 1995: F. Frenzel/A. Tröller-Reimer/C. Bäucker, Begraben, vergessen, in neuem Glanz erstrahelend: Die Restaurierung einer Totenkrone. Arch. aktuell Freistaat Sachsen 3, 1995, 228–230. Grübler 1731: J. S. Grübler, Ehre Der Freybergischen TodtenGrüffte Das ist Historisches Verzeichniß Von den, so wohl in dem Chur-Fürstl. Begräbniße, Als auch Den gesammten 5. Kirchen, und den dazu gehörigen Kirch-Höfen Zu Freyberg befindlichen Epitaphiis, Inscriptionibvs und Monimentis Nebst Kurtzen Lebens-Beschreibungen Der meisten dasigen Patriciorum und Geschlechter, In Zwey Theilen (Leipzig 1731). Heuchler 1862: E. Heuchler, Der Dom zu Freiberg – In geschichtlicher und kunsthistorischer Beziehung (Freiberg 1862). Hoffmann 1930: H. Hoffmann, Die Freiberger Friedhöfe. Mitt. Freiberger Altver. 60, 1930, 66–74. Lauffer 1916: O. Lauffer, Der volkstümliche Gebrauch von Totenkronen in Deutschland. Zeitschr. Ver. Volkskde. 26, 1916, 225–246. Magirius 1972: H. Magirius, Der Freiberger Dom. Forschungen und Denkmalpflege (Weimar 1972). Magirius 2002: H. Magirius, Sakralbauten in Freiberg. In: Y. Hoffmann/U. Richter (Hrsg.), Denkmale in Sachsen. Stadt Freiberg. Beiträge. Bd. I (Freiberg 2002) 208–242. Richter 2002: U. Richter, Freiberg im Mittelalter. In: Y. Hoffmann/U. Richter (Hrsg.), Denkmale in Sachsen. Stadt Freiberg. Beiträge. Bd. I (Freiberg 2002) 5–45. Rupp 1995: C. Rupp, Hochzeit am Grabe – Die Totenkronen vom Frauenkirchhof. Arch. aktuell Freistaat Sachsen 3, 1995, 226–227. Sietz 2008: M. Sietz, Die Restaurierung eines barockzeitlichen Totenkranzgesteckes vom Frauenkirchhof Dresden. Arbeits- und Forschungsberichte zur Sächsischen Bodendenkmalpflege 48/49, 2006/2007 (2008), 311–355. Sörries 2007: R. Sörries, Einige grundsätzliche Anmerkungen zum Totenkronenbrauch. In: Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal (Hrsg.), Totenhochzeit mit Kranz und Krone. Zur Symbolik im Brauchtum des Ledigenbegräbnisses (Kassel 2007) 247–252.
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