kochen ohne krampf - ImmobilienScout24

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EIN MANN & SEINE KÜCHE:
SERIE, TEIL 21
feuerstelle
KOCHEN
OHNE
KRAMPF
16 mal ist der Journalist Thomas
Niederste-Werbeck umgezogen.
Heute ist er Selbstversorger in
Nordfriesland und genießt die
Ruhe dort – vor allem am Herd
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Text: MARTIN JÄSCHKE Fotos: SALOREM IPSZUM
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urch Schwabstedt in Nordfriesland führt eine sehr
breite Straße, und sie ist in einem sehr schlechten
Zustand. Asphaltflicken, überall. Man möchte
hier nicht zu schnell fahren. „Schwabstedt hat so
etwas von einer Sommerfrische”, sagt Thomas
Niederste-Werbeck.
„Sommerfrische“ – das ist ein altes Wort. Die Gebrüder
Grimm definieren es so: „Erholungsaufenthalt der Städter auf
dem Lande zur Sommerzeit“.
Passt. Zu Schwabstedt, und zum eindrucksvollsten Gebäude im Ort, direkt an der Straße mit den vielen Flicken. Da man
ohnehin langsam fährt, ist die Gefahr gering, den Renatenhof
zu verpassen. Die Fassade des 1705 errichteten Gutshofs ist
frisch gestrichen, leuchtend weiß, mit neuem Dach und herrschaftlicher Aura. 1878 schrieb Theodor Storm – aufgewachsen
im 13 Kilometer entfernten Husum – seine Novelle „Renate”,
die auf dem Hof spielt. Deshalb hält jetzt ab und zu ein Bus
mit Touristen vorne an der Straße.
Thomas Niederste-Werbeck hat weder Schuhe noch Socken
an. Er – Journalist, Chefredakteur der Hundezeitschrift „Dogs”,
Wahl-Schwabstedter – steht in seiner Küche an der Spüle und
schält Karotten und Rote Beete. Die mobile Bulthaup-Küche,
System 20, sieht genauso schlicht aus wie alles andere hier:
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1 Die Küche: „System 20“ von Bulthaup als Kochinsel 2 Der Hof: Terrier
Buddy tobt über das 6500 Quadratmeter, mit Apfelbäumen bestandene
Grundstück. Für grobe Gartenarbeiten kommt ein Gärtner. Vor 309 Jahren
gebaut, besteht der Renatenhof in seiner jetzigen Form seit 1873 3 Der
Mann: Thomas Niederste-Werbeck im Gewächshaus 4 Das Gemüse: Am
liebsten schält der Hausherr mit einem Windmühlen-Messer aus Solingen
reduzierte, flexible Elemente, zentral zur Insel verbaut. Aluminium und Edelstahl. Industrieküchen als Vorbild, das Ganze hat Werkbankcharakter. Besonders mag er den fahrbaren
Mülleimer – „der beste der Welt.” Er lächelt, aber das bedeutet
nichts. Thomas Niederste-Werbeck lächelt im Grunde immer.
Seit acht Jahren pendelt der 51-Jährige zwischen dem Renatenhof und Hamburg. Er schwärmt davon, wie er sich mit
jedem Kilometer vom Arbeitsalltag entfernt. „Als ich hier herkam fühlte ich mich wie von dem Ort umarmt“, erinnert er
sich. In Schwabstedt verbringt er viel Zeit, auf Sommerwiesen,
auf den Flüsschen Treene und Eider auf seinem Motorboot, in
seinem Garten – oder eben in der Küche. Er und sein Mann.
Voriges Jahr haben sie geheiratet, ganz privat, bei einer netten
Standesbeamtin ein Dorf weiter. „Und dann für einen Tag nach
Amrum.“ Tot macht er sich hier nicht, so scheint es. Und schon
nach kurzer Zeit beneidet man ihn dafür.
Der Chef von „Dogs” also, einem Magazin für Hundehalter.
Wie viele Hunde es wohl in seinem Leben gibt? Es ist überschaubar: „Einen. Für Hunde braucht man Zeit.” Buddy, ein
Irish Terrier – die mit der langen Schnauze und dem Kräuselfell. Zwei Jahre alt, verspielt. Bei der Begrüßung springt er
einem in den Schritt. Steht man wieder gerade, fällt einem als
erstes der Garten auf – wie für einen Mann mit Hang zur Küche gemalt: vorn alte Obstbäume, hinten Kräuter- und Gemüsebeete zwischen schulterhohen, exakt getrimmten Hecken.
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Rosmarin, Salbei, Oregano und Thymian liegen gezupft auf
einem anderen Holzbrett gestapelt. Schön sieht das aus. Niederste-Werbeck entkorkt das Öl, Le Moulin D’Uzes, “hat eine
Freundin aus Frankreich mitgebracht, das muss was richtig
Gutes sein.” Goldfarben gluckert es aus der Flasche über die
Kürbisspalten. Er durchmengt es mit der Hand mit dem Hokkaido und den Kräutern. Der Duft fruchtiger Oliven steigt auf.
Danach Lauchstangen, Möhren, Kartoffeln, Rote Beete, alles
aufs Backblech und in den Gaggenau-Ofen: 200 Grad, für eine
Stunde. Das Ofeninnere ist blau emailliert. „Mit Selbstreinigungsfunktion”, sagt Niederste-Werbeck. „Das ist toll: Bei ichweißnichtwieviel Grad verbrennt der ganze Schmutz.”
Logisch: Putzen passt nicht in das Entspannungskonzept
dieser Küche, dieses Hauses, dieses Ortes. Spülen auch nicht.
„Die Spülmaschine ist die beste Erfindung der Welt”, sagt Niederste-Werbeck. „Wir stellen da alles rein – Töpfe, Pfannen,
Gläser...” Und auch das ohnehin schon angelaufene Silberbesteck von Georg Jensen aus Dänemark. Für gebratenen Saibling müssen aber selbst Ofenköche zur
Pfanne greifen. Ein Esslöffel Olivenöl, ein Teelöffel Butter, eine Knoblauchzehe. Thomas Niederste-Werbeck legt sorgfältig
den Fisch hinein. Leises Brutzeln. Am Ende noch ein Zweig
Dill auf die krosse Haut. Aus dem Garten. Versteht sich.
Gemüse und Fisch schmecken fantastisch. Als Nachtisch
gibt es rote und gelbe Himbeeren frisch vom Strauch. Gutes
Essen kann so einfach sein. Und so entspannt. Erst recht hier,
in der alten Sommerfrische.
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1 Geschält: Im Sommer kommt die Rote Beete, wie das meiste
Gemüse hier, aus dem Garten 2 Geschliffen: Der Messerblock
„Edge of Belgravia“ ist ein moderner Akzent in der Werk-Küche
– geschwärzter Stahl aus London 3 Geordnet: Die meisten Töpfe
im Edelstahlregal sind von WMF 4 Gewürzt: Auf das Ofengemüse
kommen frische Kräuter aus dem Garten, Meersalz und Olivenöl 5
Gebrutzelt: Der Saibling wird sanft in Butter und Öl in der Pfanne
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FOTOS: XXXXXXXXXXXXXXX
Niederste-Werbeck hebt einen Boskopapfel vom Gras auf –
einen, der noch keine braune Hälfte mit weißen Punkten hat.
Plötzlich fliegt der Apfel durch den Garten. Buddy schaut verwirrt, überall Äpfel! Dann jagt er dem richtigen hinterher.
„Man kann Hunde schnell zu Ball-Junkies machen”, sagt Niederste-Werbeck mit seiner ruhigen, tiefen Stimme. Dann
schaut er zufrieden in den Garten. Er sieht jünger aus als 51.
Hinter dem Haus: ein Esstisch mit acht Stühlen, an dem
locker zwölf Menschen Platz finden, ein kleines begehbares
Gewächshaus, das Fundament aus Ziegeln, das Gerüst aus
Gusseisen. Drinnen fällt auf, wie groß Niederste-Werbeck ist.
Er lächelt nach draußen, durch die leicht milchige Scheibe.
„Wir sind Selbstversorger. Zumindest im Sommer”, sagt er.
Jetzt, im Herbst, liefere ihm sein Garten „nur” Blaubeeren,
Himbeeren, Johannisbeeren, Rhabarber, Zucchini und Kräuter; im Gewächshaus hängen Eiertomaten, Flaschentomaten,
Gurken und Hokkaido. Dazu die drei alten Birnbäume. Verschiedene Sorten, deren Namen der Hofherr nicht kennt. „Ach
so, und den 250 Jahre alten Walnussbaum. Und die Pflaumenund Apfelbäume”. Jedes Jahr presst die Mosterei im Nebendorf
100 bis 200 Liter Saft aus den Äpfeln vom Renatenhof.
Zurück in der Küche schneidet Thomas Niederste-Werbeck
die Karotten in große Stücke. Genauso die Rote Beete, den Kürbis und die Kartoffeln. Die Lauchstangen lässt er ganz, nur die
Blätter kommen ab. „Früher hab ich viel genauer gekocht und
hab das Ofengemüse ganz klein geschnitten. Mit den Jahren
wurde es bei mir immer größer und gröber.”
Thomas Niederste-Werbeck und sein Mann kochen fast jeden Tag, unter der Woche meist Gemüse, aus dem Garten.
Fleisch kaufen sie in Husum bei Schlachter Clausen. „Die haben ein paar Rinder auf einer Hallig stehen.” Vom Markt gibt
es freitags Zander oder Lachs aus der Eider.
Oder Saibling – wie heute. Der Chefredakteur will ihn braten und dazu Ofengemüse servieren – eines seiner Lieblingsgerichte. Keine Haute Cuisine, schlicht und gut, das reicht
ihm. „Ich bin eher ein Ofenkoch. Da kannst du alles vorbereiten, reinschieben, dann holst du’s raus und gut.” Am Wochenende ist der Renatenhof oft voll mit Freunden aus der Stadt.
„Aber für zwölf Personen machen wir kein superfancy Menü.”
Entspannung scheint über allem zu stehen, beim Projekt Sommerfrische. 16 mal ist der Mann ist in seinem Leben umgezogen. Gelsenkirchen, Bad Homburg, Zweibrücken, Hamburg.
Irgendwann ist auch mal gut.
Früher hat Thomas Niederste-Werbeck viel nach Jamie Oliver gekocht. Ein Stapel Kochbücher zeugt davon. Heute kocht
er eher frei nach Schnauze. „Ich lasse mich gern von den Zutaten aus dem Garten oder vom Markt inspirieren.“ Dann
braucht er nur noch die Zubereitungszeit für Fleisch oder Fisch,
das war‘s. Oft liegt am Ende Iberico-Schwein, Hallig-Rind oder
Zitronenhuhn auf dem Teller. Oder mal ein Tintenfisch.
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