Artikel öffnen (ca. 680 KB)

Mein LeRbepeonrt
1
Ein Mann auf
Sinnsuche
„Die Reise hat uns
glücklich gemacht“
2
Er ist mit seiner Familie fünf Jahre
um die Welt gesegelt. Hat die wohl
schönsten Orte gesehen und dabei
sein Glück wiedergefunden
1 Segelboot „Lasse“ trägt die Familie fünf
Jahre über die Ozeane, zu den schönsten
Inseln des Planeten. 2 Von der Südsee nach
Asien, kleiner Zwischenstopp im Golf von Phuket
3 Carola (33), Ben (37), Nils (8) und Lisa (7)
888 bella
3
Text: Ben Hadamovsky
E
igentlich ging es uns gut. Wir wohnten
in der schönsten Straße Bremens,
wenn auch im einzigen hässlichen
Haus. Mein Sohn Nils war gerade
zwei geworden und meine Tochter
Lisa sechs Monate. Ich hatte als Farbdesigner
gut zu tun, meine Frau Carola den Mutterberuf fest im Griff. Doch dann kam die Flaute
am Bau, und ich wurde arbeitslos.
Meine Unzufriedenheit wuchs, die
Arbeitslosigkeit machte mir zu schaffen.
Immer häufiger bekam ich depressive Momente, stelle mein gesamtes Lebenskonzept
in Frage. Um mich abzulenken, surfte ich
stundenlang im Internet auf Segelseiten
und Bootsbörsen – hing meinem großem
Traum vom Segeln nach. Irgendwann hatte
Carola genug: „Wieso verkaufen wir nicht
unsere Wohnung, nehmen ein Boot und
segeln los? Lieber ein verrücktes Leben
auf einem Schiff, als ein verzweifelter u n d
depressiver Mann in einer schönen Wohnung.“ Ich war platt: Ich hätte niemals gedacht, dass Carola unser „Nest“ für so eine
Verrücktheit aufgeben würde – aus Liebe.
Unser Entschluss stand also fest. Wir
verkauften, warfen weg und verschenkten
alles, was sich in den letzten knapp fünf
Jahren Ehe angesammelt hatte. Denn eines
war klar: Ein abgesichertes Leben an Land
und ein Schiff konnten wir uns nicht leisten.
Unseren Ängste und den Bedenken unserer
Familien und Freunde zum Trotz stachen
wir ein Jahr später tatsächlich in See. Das
Abenteuer sollte beginnen.
FOTOS: BLINDTEXT
Ich lerne, alles einfach so
zu nehmen, wie es ist
In Bremen gehen wir an Bord. Das erste Ziel
sind die Kanaren, von dort segeln wir weiter
über Panama, Tahiti bis nach Australien.
Unser Boot, das wir LASSE getauft haben, ist
vollgestopft bis obenhin: Bücher, Windeln,
Kleidung, Nahrungsmittel und natürlich die
gesamte Segelausrüstung mit Funkgeräten,
Rettungsinsel, Satellitentelefon – und ganz
wichtig: die Bordapotheke. Denn das ist unsere größte Angst: Was ist, wenn einem der
Kinder etwas passiert? Für unsere Seelenruhe
liegt im Erste-Hilfe-Kasten die private Telefonnummer unseres Bremer Kinderarztes,
der uns dann auch wirklich fünf Jahre treu
durch alle möglichen Krankheiten und Verletzungen begleiten wird.
Es gibt viel zu lernen – nicht nur über die
Arbeit an Bord. Carola und ich sind es nicht
gewohnt, zusammen für die Kinder verantwortlich zu sein. Erziehung war immer ihr
Gebiet und jetzt pfusche ich darin herum.
Ich schimpfe zu viel, bin ungeduldig, unpädagogisch und überhaupt zu jähzornig. Vielleicht sind auch die Entzugserscheinungen
vom Arbeitsleben Schuld. Es fällt mir schwer
„nichts“ zu sein, keine Funktion zu haben. Mir
wird bewusst, wie sehr ich mich nur über den
Beruf definiert habe. Ich bin erschrocken.
Aber ich entdecke,
wie schön es ist, die Kinder um mich zu haben,
sie zu erleben. Nils und
Lisa beginnen, mit den
Dingen zu spielen, die
sie am Strand entdeckt
haben. Äste werden zu
Wäldern, Sand zu Feenstaub, Muschelschalen
zu Freunden. Meine Kinder finden 1000 „Seelen“
Nils ist zu
Beginn der Reise
in der Kajüte, während
drei Jahre alt. Er
ich in der Weite des Ozeist schnell vertraut
ans unser Ziel suche. Der
mit dem Meer
Preis der neuen Nähe ist
die fehlende Privatsphäre.
Von 90 Quadratmeter
Wohnung auf 10 Quadratmeter Schiffsfläche – was auch ich inzwischen denke: Unser
das ist eine große Umstellung. Selbst auf
Herz braucht ein Zuhause – und das ist
dem Klo ist man nicht alleine. Der Raum ist
Deutschland. Dort möchten wir nach fünf
zu eng, um die Tür zu schließen. Und so
spannenden Jahren wieder hin.
brodelt es immer mal wieder zwischen uns.
Jetzt sitze ich an unserem Küchentisch
In diesen Momenten lichten wir den Anker,
in einem Dorf in Süddeutschland. Dank
fahren schnell weiter – als könnten wir vor
der Hilfe unserer Freunde, konnten wir in
der Auseinandersetzung fliehen.
Deutschland wieder Fuß fassen. Schneller
26 Tage dauert unsere längste Seepassage als erwartet, ist Normalität eingekehrt.
in die Südsee. Wir landen auf der TongaDraußen kräht ein Hahn. Die Kinder sind
Insel Nuku. Für mich der schönste Flecken
in der Schule, meine Frau einkaufen. Ich
Erde. Eine zerfranste Insel mit unzähligen
schreibe gerade an einem Vortrag über
Buchten. Die Häuser sind schief, die Kirchen unsere Reise. Ab und zu arbeite ich noch
zahlreich, die Menschen freundlich. Nieals Farbdesigner, doch in ein festes Korsett
mand trägt eine Uhr. Zeit gibt es im Überhabe ich mich nicht mehr spannen lassen.
fluss – Corned Beef nicht. Ich tausche tägDie Reise hat uns verändert, hat mich verlich eine Dose gegen Papayas und frischen
ändert. Geblieben ist die Fähigkeit, mit
Hummer. Um unser Boot tanzen Buckelwale. Wenig zufrieden zu sein, eine größere
Nachts funkeln Milliarden Sterne der
Offenheit und Kontaktfreudigkeit. DankMilchstraße über uns. Unter uns spiegelt
barkeit für die Schönheit der Welt. Und
sich ihr Ebenbild im Ozean. Wir können
weit mehr: Dankbarkeit für meine mutige
bleiben, so lange wir wollen. Wir leben imFrau. Ohne sie würde ich immer noch
mer stärker mit dem Meer: machen unser
griesgrämig in Bremen in unserer Woheigenes Algen-Pesto, unser Meersalz. Ich
nung sitzen und von der großen Freiheit
gehe gelassener mit seinen Launen um:
bloß träumen. l
Sturm, Flaute, Regen, Sonne – nichts ist
von Dauer. Alles kann sich ständig ändern.
GU T ZU W IS SE N
Oder auch nicht. Allmählich versuche ich,
mich zu fügen. Alles so zu nehmen, wie es
ist. Und ich lerne eine wichtige Lektion dieser
Drei Anregungen für
Reise: Das Leben ist nicht hinter dem Horidie eigene Sinnsuche
zont, nicht in der Zukunft. Es ist hier. Jetzt.
Und das Glück des Moments kann man für
+ Ben Hadamovsky hat ein Buch über
kein Geld der Welt kaufen.
seine Reise geschrieben: „Mit allen
Dann spüren wir: Unser
Herz braucht seine Heimat
Wir überqueren auf unserer Reise Ozeane,
sehen Seepiraten, rasten an den schönsten
Orten der Welt, beobachten exotische Tiere
und kommen uns dabei selbst näher. Die
intensiven Begegnung mit den anderen
Seglern und Einheimischen helfen uns lange
über das Gefühl der Heimatlosigkeit hinweg. Wir fühlen uns nie wirklich fremd.
Doch immer öfter spüre ich ein Gefühl von
Müdigkeit und die Sehnsucht nach Planbarkeit. Eines Abends spricht Carola aus,
Wassern gewaschen“. Zu bestellen
unter: www.hadamovsky.de
+ Eine Frau probiert,
dem Glück auf die
Spur zu kommen: Der
Film „Eat, Pray, Love“
mit Julia Roberts.
+ Spannende
Geschichten zum
Thema Sinnsuche
oder auch Spiritualität
finden Sie in dem
Magazin „happinez“.
bella 889