Wirtschaftskriminalität

Titelthema
Wirtschaftskriminalität
Tatort
Mittelstand
Online-Attacken,
Produktpiraterie,
Spionage oder
Adressbuchbetrug:
Viele Gefahren
bedrohen den
regionalen Mittelstand.
Allerdings stehen
Fragen der Sicherheit
nicht immer ganz oben
auf der Agenda.
Text: Andreas Nordlohne
Illustration: Steve Marshall
G
rundsätzlich gilt: Wenige Täter schädigen
viele Opfer. Doch die durch Wirtschaftskriminalität resultierende Schadenssumme
beäugt Gero Dietrich, Geschäftsführer der
Vereinigung für die Sicherheit der Wirtschaft
(VSW), kritisch: „Je nachdem, wie eine Abgrenzung erfolgt, schwanken die Werte bundesweit pro Jahr zwischen 15 und 85 Milliarden Euro.“ Hinzu komme eine hohe Dunkelziffer. Solche Schätzungen könnten nur eine grobe Orientierung bieten, um ein Gefühl für die
Dimension des Ausmaßes zu bekommen.
Zu den Kernbereichen von Wirtschaftskriminalität zählen laut Dietrich Delikte wie Industriespionage, Marken- und Produktpiraterie, Korruption, aber auch kartell- und wettbewerbsrechtliche Verstöße. Die Abteilung Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz beim
Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) verweist darauf, dass sich konkurrierende Unternehmen oder fremde Nachrichtendienste für
anwendungsbezogene Forschung interessieren, die oft hohe Summen verschlingt. Neue
und zukunftsträchtige Technologien sowie
Unternehmens- und Markenstrategien stehen
ebenfalls häufig im Fadenkreuz. „Die internationale Spitzenrolle der deutschen Wirtschaft
weckt Begehrlichkeiten“, bilanziert das BfV.
Offen oder verdeckt schöpfen Angreifer Informationen ab. Sie geben sich als Zulieferer
aus, kontaktieren Tagungsteilnehmer. Oder sie
greifen auf Innentäter zurück wie Praktikanten, Studenten, Wissenschaftler und Mitarbeiter. „Die Stimmung in der Belegschaft und die
Loyalität zur Firma sind sehr wichtig“, betont
Dietrich. „Eine positive Unternehmenskultur
ist vielleicht die wichtigste Sicherheitsschranke.“ Neben den klassischen Mitteln der Spionage führt die zunehmende elektronische Vernetzung zu neuartigen und erhöhten Risiken.
Das Fazit des VSW-Geschäftsführers: „Bei fast
allen kleinen und mittleren Unternehmen gibt
es noch viel Luft nach oben, sich stärker um
Fragen der Sicherheit zu kümmern.“ Gerade
Mittelständler gehörten immer öfter zu den
Opfern.
Der Verfassungsschutz rät der Wirtschaft,
zunächst die elementaren Unternehmenswerte – die Kronjuwelen – zu ermitteln. Sie sind
Voraussetzung für den Bestand und Erfolg der
Firma. Dieses essenzielle Know-how müsse
möglichst zielgerichtet geschützt werden.
Sollte sich der Verdacht erhärten, Informationen würden illegal abfließen, können sich Firmen an den Verfassungsschutz wenden. Dieser
unterliege nicht dem Strafverfolgungszwang.
Aus diesem Grund garantiere er umfassende
Vertraulichkeit und Quellenschutz.
Plagiate: Wenn der Ruf leidet
Darüber hinaus setzen auch Produkt- und
Markenpiraterie der heimischen Wirtschaft zu
– es gibt kaum eine Branche, die nicht betroffen ist. Kopiert werden vor allem erfolgreiche
Produkte. „Der Plagiator spart nicht nur die
Kosten für Forschung und Entwicklung, sondern auch für das Marketing“, erklärt Michael
Dietzsch, Innovations- und Technologieberater bei der IHK Kassel-Marburg. Die minderwertige Material- und Verarbeitungsqualität
könne zu Beschwerden und Produkthaftungsklagen beim Originalhersteller führen. Das
Schreckensszenario: Der Ruf eines Herstellers
verliert an Wert. „Schlussendlich können sogar
Arbeitsplätze verloren gehen“, warnt Dietzsch.
Um dem vorzubeugen, empfiehlt er, Produkte auf besondere Weise zu gestalten, zu
kennzeichnen und zu kontrollieren. Ferner
stelle das kostenlose Grenzbeschlagnahmeverfahren der Zollbehörden ein wirkungsvolles
Instrument dar. Dieses könne helfen zu verhindern, dass gefälschte Artikel aus dem Ausland
in den Handel gelangen.
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Wirtschaft Nordhessen 2.2016
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