Septuagesimae - Predigt zu Mt 9,9-13 Die Berufung des Matthäus

Septuagesimae - Predigt zu Mt 9,9-13
Die Berufung des Matthäus und das Mahl mit den Zöllnern
Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß
Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm.
Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner
und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern.
Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer
Meister mit den Zöllnern und Sündern?
Als das Jesus hörte, sprach er: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern
die Kranken.
Geht aber hin und lernt, was das heißt (Hosea 6,6): »Ich habe Wohlgefallen an
Barmherzigkeit und nicht am Opfer.« Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen
und nicht die Gerechten.
Der Evangelist Matthäus beschreibt hier in für ihn unglaublicher Knappheit
eine oder mehrere Szenen aus dem Leben Jesu, die es in sich haben, und die die
Radikalität und Ernsthaftigkeit seiner Botschaft beschreiben. Wer diesem Mann
nachfolgen wollte, der musste schon wissen, auf was er sich da einließ. Jesus hat
da nichts im Unklaren gelassen oder bewusst weich oder klein geredet, so wie
wir es schon mal gerne tun.
Etwa, wenn wir einen neuen Presbyter oder eine neue Presbyterin gewinnen
wollen, die uns fragt: „Wie viel Zeitaufwand würde das denn bedeuten?“
Und der oder dem wir entgegnen: „Also da ist wirklich nur die eine Sitzung im
Monat, also das ist ein Abend und dann kann mal ab und zu noch etwas dazu
kommen. Keine Angst, das ist wirklich überschaubar und es wird Ihnen auch
bestimmt Freude machen, sich engagiert an einer so wichtigen Aufgabe wie der
Leitung der Kirchengemeinde beteiligen zu dürfen“.
Nein, Jesus hätte auch diesem Menschen gesagt: Stell dich darauf ein, dass Du
viel Zeit und Energie aufwenden musst, wenn Du es richtig machen willst. Stell
dich darauf ein, dass Du dich oft ärgern wirst über die Rahmenbedingungen, die
umständliche kirchliche Verwaltung, die manchmal nicht enden wollenden
Presbyteriumssitzungen. Du wirst viele Sonntage und Feiertage in der Kirche
verbringen und Du wirst Dir Stress mit Deiner Familie einhandeln. Aber ich
verspreche Dir auch, dass Du ganz viel dazu gewinnen wirst, wenn Du
Menschen begegnest, die bereit sind, sich zu engagieren, die Dinge
hinterfragen, weil sie nach Möglichkeiten und Wegen suchen, wie sie helfen
können, diese Welt ein Stück besser zu machen, wie sie helfen können, dass
Gottes Liebe spürbar wird für Menschen, die vielleicht noch nicht viel Liebe
erfahren haben in ihrem Leben. Und Du wirst merken, dass Dein Leben ein
Stück reicher wirst, wenn Du nicht immer nur danach siehst, was Du haben und
kriegen kannst, sondern was Du geben kannst.“
Ja – ähnlich deutlich ist Jesus auch in der hier erzählten Begebenheit. Und
vielleicht ist es ja gerade diese Klarheit, diese Eindeutigkeit gewesen, die
Menschen so angesprochen hat, dass sie sich von einem Moment auf den
nächsten lösen konnten von ihrem bisherigen Leben, das nichts mehr zählte, was
vorher wichtig und gegeben war.
Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß
Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm.
Jesus muss so eindeutig vertrauenswürdig gewesen sein, dass Matthäus wusste:
diesem Mann kannst du folgen, wohin auch immer er geht. Der wird zu seinem
Wort stehen, der wird zu der Liebe stehen, die er mir jetzt und hier
entgegenbringt. Ein amerikanisches Gospellied aus den Südstaaten, also ein
eher frömmlerischer Hintergrund, drückt es schön aus: What a friend we have
in Jesus, all our sins and griefs to bear – Was für einen guten Freund haben wir
doch in Jesus, so dass wir alle Sünde und alle Beschwernisse tragen können.
Ja, das scheint Matthäus gewusst zu haben, als er diesem Mann folgte.
Und vielleicht war er es, der anderen von Jesus erzählte oder es hatte sich auch
so schon lange herumgesprochen: Zu Jesus kann jeder kommen und er ist
willkommen in seinem Haus. Da werden keine Vorschriften gemacht, ob man
alle Reinheitsvorschriften eingehalten hatte, ob man Mann oder Frau war, beim
Zoll arbeitete oder in der Gosse lebte, ob man von Almosen lebte oder sich
prostituieren musste, um zu überleben, ob man behindert war oder seine Regel
hatte. Sie alle durften kommen, waren eingeladen an den Tisch Jesu.
Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner
und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern.
Jesus fragte sie nach gar nichts, er zog sie förmlich an mit seiner Liebe, und alle
kamen sie. Doch andere Menschen fragten. Und es waren nicht die schlechten
Menschen, auch, wenn wir das gerne so leichtfertig sagen, dass die, die ein
Problem mit der Freizügigkeit Jesu hatten, selbst die Sünder waren. Nein, das
waren sie nicht. Sie waren selbst auf der Suche, waren selbst ernsthaft bemüht,
dem Weg Gottes zu folgen. Mit ihrer ganzen Seele wünschten sie, dass, wenn nur
die Gesetze ernsthaft befolgt würden, der Messias nun endlich kommen würde
und das Reich Gottes errichtet werden könnte. Und nun sehen sie, dass Jesus,
den sie schätzen, weil auch er deutlich ist in seiner Ernsthaftigkeit, die Gebote
Gottes zur Gänze zu erfüllen, er sitzt dort mit den Sündern.
Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer
Meister mit den Zöllnern und Sündern?
Und hier ist die Chance gekommen, zu verstehen, warum Jesus, den sie
respektvoll Meister nennen, tatsächlich nicht die Gebote missachten will,
sondern sie erfüllen will:
Als das Jesus hörte, sprach er: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern
die Kranken.
Was soll das heißen? Etwa soviel wie: Die Starken, die haben doch euch, ihr
zeigt ihnen, wie man die Tora erfüllen kann. Aber da sind doch auch die
anderen, die, die im Leben gescheitert sind. Gott braucht das nicht, die
Menschen in Gewinner und Verlierer einzuteilen. Wer krank ist, der braucht
Fürsorge. Fürsorge bedeutet, sich zu kümmern, den Menschen anzunehmen,
dafür zu sorgen, dass er wieder auf die Beine kommt. Wer gesund ist, kann sein
Leben wieder in Ordnung bringen, kann sich wieder um die Einhaltung von
guten Geboten kümmern. Wer krank ist, wer am Boden liegt, hat keine Kraft
dazu. Dies ist das höchste Gebot, hat Jesus gesagt: „Du sollst Gott lieben, mit
ganzem Herzen und mit all deiner Kraft. Und du sollst deinen Nächsten lieben
wie dich selbst.“
Und jetzt spricht Jesus die Pharisäer direkt an, mit einer Wendung eines
autorisierten Schriftgelehrten:
„Geht aber hin und lernt …“ Tatsächlich, sie haben auch noch einiges zu lernen
über Gott und das Leben. So einfach ist es eben nicht und ist es noch nie
gewesen. Das Leben kannst du nicht in eine Kiste packen und mit Regeln
versehen und alles wird gut. Daran sind wir Menschen schon immer gescheitert
und werden es auch immer wieder. Denn wir haben die Fähigkeit zu fühlen,
lassen unsere Entscheidungen und unsere Handlungen vom Gefühl lenken. Und
dabei wird es immer wieder passieren, dass wir Fehler machen, dass wir uns
selbst und andere verletzen, dass wir uns von Gott entfernen. Wir sind eben
keine Maschinen.
Geht aber hin und lernt, was das heißt (Hosea 6,6): »Ich habe Wohlgefallen an
Barmherzigkeit und nicht am Opfer.«
Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.
Ein starkes Wort, und noch nicht mal ein neues Wort, das Jesus hier ausspricht.
Ein Wort, mit dem er den Propheten Hosea zitiert. Ganz deutlich will ich es
noch einmal wiederholen für unsere Zeit: „Niemand braucht vor den Altar
Gottes gezerrt werden um seiner Übertretungen willen, um Gott wieder gnädig
zu stimmen. Gott braucht den Gestank eines solchen Opfers nicht. Und das heißt
auch, dass niemand, der für sich selbst ernsthaft auf der Suche ist und sein
Leben in den Griff kriegt durch das Befolgen der guten Gebote Gottes, sich
verpflichtet fühlen muss, alle anderen auf seinen Weg zu bringen. Es ist gut,
wenn er stark ist. Aber erlaube anderen ihre Schwachheit. Sei barmherzig zu
anderen, sei barmherzig zu dir selbst. Jesus sagt: „Erbarmen will ich und nicht
allein Pflichterfüllung.“ Und wie das geht, zeigt Jesus mit seinem Leben. Und
nur deshalb, liebe Gemeinde, hat er Menschen in die Nachfolge rufen können,
die ihm bedingungslos geglaubt haben. Hier ist einer, bei dem kann ich heil und
gesund werden.
Ob es jetzt der Gelähmte war, der Blinde, der geistig Gestörte oder einfach nur
der Verstockte, die Hure und die Verstoßenen. Alle durften zu ihm kommen,
durften bei ihm sein, mit ihm Tischgemeinschaft haben und ihm nachfolgen.
Auch die Pharisäer und Schriftgelehrten, liebe Gemeinde, hat er immer mit
eingeschlossen in sein Erbarmen, in sein liebendes Handeln. Niemand ist
ausgeschlossen. Ich bin es nicht und Sie schon gar nicht. Amen.
Und der Friede Gottes …