Schritt für Schritt Tulpe mit Farbstiften gezeichnet

Step by Step
Eine Tulpe mit Farbstiften
fotorealistisch zeichnen
(c) Heidi Günther, Düsseldorf 2015
Vorlage
Als Vorlage verwende ich ein Foto (Abbildung 1) und die Tulpe selbst. Am
Anfang ist es hilfreich, wenn das Foto genauso groß ist wie die spätere
Zeichnung. Drucke das Foto möglichst auch als Schwarz-Weiß-Foto aus.
Bei einer fotorealistischen Arbeit spielen nicht nur die Farben, sondern
auch die Licht- und Schattenverhältnisse eine große Rolle. An einem
Schwarz-Weiß-Foto kann man die unterschiedlichen Tonwerte besser erkennen (Abbildung 2).
Abbildung 1
Abbildung 2
Wenn Du die Blütenblätter und die grünen Blätter einer Tulpe im Detail betrachtest, wird Dir auffallen, dass die Nerven der Blütenblätter senkrecht
von oben nach unten verlaufen und sich der bauchigen und gedehnten
Form der Blätter anpassen. Die Nerven der grünen Blätter verlaufen ebenfalls senkrecht, wobei sie recht parallel angeordnet sind (Abbildung 3 und
4).
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Abbildung 3
Abbildung 4
Materialien
Farbstifte
Ich verwende Farbstifte, die nicht wasserlöslich sind. Im Gegensatz zu den
wasservermalbaren Farbstiften sind die Farben intensiver und leuchtender.
Achte bei den Farbstiften auf eine gute Qualität. Satte Farben, bruchsichere Mienen und ein gleichmäßiger Farbabrieb sind nur bei hochwertigen
Farbstiften zu finden. Für dieses Bild verwende ich Polychromos Farbstifte
der Firma Faber-Castell in roten, gelben und grünen Farbtönen.
➢ Rote Farbtöne:
Dunkelrot, Tiefrot, Scharlachrot tief, Karmin rosa, Karmin rosé
➢ Gelborange Farbtöne
Kadmiumorange dunkel, Kadmiumorange, Neapelgelb dunkel, Grün
gold, Elfenbein
➢ Grüne Farbtöne
Grünerde gelblich, Permanentgrün oliv, Tannengrün
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Pastellkreiden
Den Schatten lege ich mit Pastellkreiden an, die ich mit einem Kosmetiktuch auftrage. Ich verwende Pastellkreiden der Firma Vang in den Farben
Karminrot, Magenta, Grün, Schwarz und Preußischblau.
Splender
Der Splender, der ein farbloser Farbstift ist, veredelt die fertige Zeichnung.
Der Splender bewirkt einen sanften Übergang zwischen den unterschiedlichen Farbflächen und beseitigt innerhalb einer Farbfläche die offen gebliebenen weißen Poren des Papiers. Dadurch erscheint die Oberfläche geschlossen und sehr glatt, was den fotorealistischen Effekt verstärkt.
Papier
Für eine Zeichnung mit Farbstiften wirst Du oft viele Stunden Zeit benötigen. Spare daher nicht an der Qualität des Papiers, zumal die Ergebnisse
bei einem guten Papier besser sind. Wichtig ist eine relativ glatte Oberfläche des Papiers. Sehr raue Papiere, wie z.B. Aquarellpapiere, eignen sich
für diese Technik eher nicht. Auch sollte das Papier über eine gewisse Stabilität verfügen, da die Buntstifte recht feste aufgedrückt werden. Für ein
Bild der Größe DIN A3 (29,7 x 42 cm) sind Papiere mit einem Gewicht von
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250g/m2 hervorragend geeignet. Grundsätzlich gilt: Je größer das Bild, um
so besser ist es, ein höheres Gewicht zu wählen. Das Gewicht steht bei
den Zeichenblöcken immer auf dem Deckblatt. Für die Tulpe verwende ich
das Papier „Illustration“ der Firma Canson mit einem Gewicht von 250g/
m2.
Spitzer
Ein guter Spitzer ist genauso wichtig wie gute Farbstifte. Das Geheimnis
der Technik ist, dass mit extrem spitzen Farbstiften gearbeitet wird. Am
besten geeignet sind elektrische, batteriebetriebene oder mit einer Handkurbel ausgestattete Spitzer. Die gewöhnlichen Anspitzer sind nur bedingt
zu empfehlen, da die erreichbare Spitze nicht spitz genug ist.
Falsch
Richtig
Radiergummis
Achte auch bei den Radiergummis auf eine gute Qualität. Preisgünstige
Radiergummis können Deine Zeichnung derart verschmieren, dass Du
nichts mehr retten kannst. Ich verwende weichere und härtere Radiergummis. Besonders gut ist, wenn die Radiergummis quadratisch geformt
sind. Mit einem Skalpell kannst Du dann spitz geformte Stücke herausschneiden und so auch sehr kleine Details (z. B. Lichtreflexe) ausradieren.
Besonders häufig verwende ich auch einen Knetgummiradierer. Er lässt
sich in die richtige Form kneten und ich kann mit ihm Farbe an den kleinsten Stellen abtupfen.
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Sonstige Materialien
Wenn Du geübt bist, kannst Du direkt auf den Zeichenpapier vorzeichnen.
Möglich ist es aber auch, dass Du das Foto mit Transparentpapier abpaust
und dann überträgst.
Am Schluss wird die fertige Zeichnung mit einem Spray fixiert. Achte bei
der Wahl des Fixiersprays darauf, dass es für Farbstifte und Pastellkreiden
geeignet ist.
Technik
Ich wende zwei verschiedene Techniken an: die Mauschel- und die Strichtechnik.
Bei der Mauscheltechnik werden viele klitzekleine Schreibschrift „e“s in
Schlangenlinien kreuz und quer aneinandergereiht. Die Technik ist zwar
ein wenig aufwendig, führt aber zu satten Farben und geschlossenen Farbflächen.
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Mauscheltechnik
Bei der Strichtechnik werden viele kleine Striche neben- und übereinander
gesetzt.
Strichtechnik
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Der Farbauftrag wird schichtweise aufgebaut (Abbildung 7). Der erste Auftrag erfolgt hauchdünn. Alle weiteren Farbaufträge werden mit jeder
Schicht etwas satter angelegt, bis am Schluss eine deckende und farbintensive Fläche entsteht. Die Anzahl der Farbaufträge lässt sich nicht genau
angeben. Sie variiert von verschiedenen Faktoren und ist beispielsweise
davon abhängig, aus wie vielen Farben sich die Farbfläche zusammensetzt.
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Abbildung 7: Von links nach rechts sind immer mehr Schichten auf die bereits vorhandenen gezeichnet. Der Übergang zur nächsten Schicht erfolgt
fließend.
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Zeichnen
1. Schritt: Grundierung
Zuerst lege ich die Schattenbereiche in der Strichtechnik sehr schwach an.
Die roten Bereiche der Blütenblätter zeichne ich mit Dunkelrot. Für die
Ränder der gelben Farbflächen sowie für die dicke Mittelrippe des inneren
Blütenblattes verwende ich Neapelgelb dunkel (Abbildung 12 und 13).
Auch der Stängel und die Blätter erhalten einen ersten leichten Farbauftrag mit Permanentgrün oliv. Die Farben werden locker gestrichelt aufgetragen, wobei sie dem natürlichen Verlauf der Blätter und des Stängels
folgen. Die Strichlänge sollte unterschiedlich sein, da dies den natürlichen
Effekt verstärkt.
Abbildung 8
Abbildung 9
2. Schritt: Ausarbeitung
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Nun bekommen die noch freien weißen Farbflächen einen Hauch Farbe.
Die äußeren Blütenblätter fülle ich mit Karmin Rosa und die grünen Blütenblätter sowie der Stängel mit Grünerde gelblich. In die gelben Bereiche
sowie rechts und links der dicken Mittelrippe arbeite ich noch mehr Neapelgelb ein. Die schattigen gelben Bereiche dunkle ich leicht mit Grüngold
ab (Abbildung 10 und 11).
Abbildung 10
Abbildung 11
Der Farbauftrag ist zwar noch sehr hell, doch kann man schon ein wenig
die Oberflächenstruktur erkennen. Im nächsten Schritt darf der Farbauftrag dann etwas kräftiger sein.
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3. Schritt: Details
Ich verwende alle bisherigen Farben noch einmal, trage sie aber satter
auf. Die Stellen, an denen das Licht reflektiert wird, sollen weiß bleiben.
Alle anderen noch vorhandenen weißen Stellen arbeite ich mit der Strichtechnik und einem etwas festeren Druck aus. Die Striche setze ich nun
dicht an dicht, so dass sie eine geschlossene Fläche bilden, aber dennoch
die Strichrichtung erkennbar bleibt. Als neue Farbe kommt das frische
Karmin Rosé hinzu, welches ich für die äußeren Blütenblätter nehme. Ich
achte darauf, dass sich die gelben Flächen innerhalb eines Blütenblattes
nicht hart von den roten abgrenzen. Vielmehr sollten immer einige gelbe
Striche in die roten Bereiche und einige rote Striche in die gelben Bereiche
hineinreichen. Klare Farbgrenzen gibt es nur zwischen den einzelnen Blütenblättern, nicht aber innerhalb eines Blattes (Abbildung 12 und 13).
Abbildung12
Abbildung 13
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4. Schritt: Farbübergänge
Nun gestalte ich fließende Übergänge zwischen den gelben und roten Bereichen. Dafür setze ich Kadmiumorange dunkel und Kadmiumorange ein.
Im inneren und im rechten äußeren Blütenblatt arbeite ich etwas Kadmiumorange ein. Dies schafft eine harmonische Verbindung zwischen den
Farbflächen. Ich intensivieren auch immer wieder die schon angelegten
Farbflächen, so dass nach und nach ein satter Farbauftrag entsteht. Die
schattigen Bereiche verstärke ich mit Tiefrot und überarbeite alle Blütenblätter, besonders das mittlere und rechte mit Scharlachrot tief. Die hellen Stellen der unteren und oberen gelben Bereiche arbeite ich in der
Mauscheltechnik mit Elfenbein aus (Abbildung 18).
Abbildung 18
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5. Schritt: Stängel
Weiter geht es mit der Ausarbeitung des Stängels. Wie bei den Blütenblättern intensiviere ich die Farben nach und nach. Die dem Licht abgewandte
rechte Seite des Stängels und der Blätter lege ich dunkler an als die linke
Seite. Für die hellen Bereiche verwende ich Grünerde gelblich und für die
dunklen Bereiche Permanentgrün Oliv. Die schattigen Bereich zeichne ich
mit Tannengrün. Mit dem dunklen Tannengrün arbeite ich auch die parallelen Blattadern heraus (Abbildung 19).
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Abbildung 19
Die linke Seite des Stängels sowie die Blattspitzen helle ich mit Neapelgelb
dunkel auf. Auch innerhalb der Blätter strichle ich vereinzelt mit Neapelgelb dunkel, um einige Reflexe zu erhalten. Bis auf den Lichtfleck im oberen Teil des Stängels versehe ich alle noch durchscheinenden weißen Bereiche mit Farbe.
Blüte und Blätter werden ein letztes Mal mit allen Farben überarbeitet.
Damit die Farben noch mehr ineinander fließen, wende ich ganz am
Schluss den Splender an und überarbeite das gesamte Motiv mit in der
Mauscheltechnik (Abbildung 20). Wandere dabei immer von den hellen Bereichen in die dunkleren, da es ansonsten zu unschönen Schmierspuren
kommen kann. Reinige ab und zu die Spitze des Splenders. Dies geht am
besten, wenn Du mit dem Splender über ein sauberes Papier fährst.
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6. Schritt: Schatten
Jetzt fehlt nur noch der Schatten. Schatten zeichne ich am inneren und
äußeren rechten Blütenblatt sowie am Stängel und rechten grünen Blatt.
Ich arbeite mit Pastellkreiden, die sich nicht nur wunderbar untereinander
mischen, sondern sich auch hervorragend mit einem Kosmetiktuch verteilen lassen. Der Schatten sollte niemals einfach nur grau oder schwarz
sein. Ein lebendiger Schatten besteht aus vielen Farben. Ich habe den
Schatten mit Karminrot, Magenta, Grün und einem Hauch Schwarz und
Preußischblau gemischt. Dafür werden Magenta und Grün nebeneinander
auf einem sauberen Schmierpapier aufgetragen und in der Mitte verrieben. Es entsteht ein grauer Farbton. Nacheinander wird ein wenig Karminrot, sehr wenig Preußischblau und sehr wenig Schwarz eingearbeitet (Abbildung 20). Das Pulver kann dann vorsichtig aufgetragen werden.
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Abbildung 20
Zunächst verteile ich vorsichtig auf der rechten Seite des rechten Blütenblattes ein Hauch des Pulvers (Abbildung 21). Das Pulver darf nicht zu fest
eingerieben werden, da sich sonst Schmierstreifen bilden. Der Druck darf
aber auch nicht zu schwach sein, da dann das Pulver nicht haften bleibt.
Am besten probierst Du den Druck zunächst auf einem anderen Papier
aus. Pulver, das über das Blütenblatt hinaus auf den weißen Hintergrund
versehentlich verteilt wird, wird später einfach ausradiert. Für den Schatten, den das linke Blütenblatt auf das mittlere Blütenblatt wirft, wird ein
Papier zu Hilfe genommen, um eine saubere Grenze zu erhalten (Abbildung 22). Der Schatten, der im Schritt zuvor etwas auf den Hintergrund
gelangte, kann recht mühelos entfernt werden. Anders verhält es sich,
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wenn ein Schatten aus Versehen innerhalb des Motivs eingearbeitet wird.
Der Fehler kann nicht ausradiert werden, weil dann das Motiv zerstört
wird. Arbeite deshalb innerhalb des Motivs immer absolut sauber.
Abbildung 21
Abbildung 22
Auch der Stängel und das rechte grüne Blatt bekommen auf der rechten
Seite einen leichten Schatten. Sind alle Bereiche angelegt, werden mit Hilfe eines geformten Knetgummis und eines zurechtgeschnittenen Radiergummis alle Ränder gesäubert (Abbildung 23)
Abbildung 23
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7. Schritt: Fixieren
Das Kunstwerk ist fertig. Am Schluss verwende ich Fixierspray, das ich
mehrmals (zwei- bis dreimal) leicht auftrage.
Viel Spaß beim Nachzeichnen!
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