SAISON 2015 2016 20. / 21.4.16 SONDERKONZERT »DER CAPELL-VIRTUOS & FREUNDE« Manfred HONECK THE MUTTER-BRONFMANHARRELL TRIO Anne-Sophie MUTTER BRONFMAN HARRELL Yefim Lynn Ein Stück Dresden. Die Gläserne Manufaktur von Volkswagen SAISON 2015 2016 20. / 21.4.16 SONDERKONZERT »DER CAPELL-VIRTUOS & FREUNDE« Manfred HONECK THE MUTTER-BRONFMANHARRELL TRIO Anne-Sophie MUTTER BRONFMAN HARRELL Yefim Lynn Besucherservice +49 351 420 44 11 [email protected] glaesernemanufaktur.de SONDERKONZERT »DER CAPELL-VIRTUOS & FREUNDE« M IT T WO CH 2 0. 4.16 20 UHR D O N N ER STAG 21. 4.16 20 UHR PROGRAMM SEMPEROPER DRESDEN Manfred Honeck * Ludwig van Beethoven (1770-1827) Dirigent Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur op. 73 1. Allegro 2. Adagio un poco mosso – attacca il Rondo 3. Rondo. Allegro The Mutter-Bronfman-Harrell Trio Anne-Sophie Mutter Violine Yefim Bronfman Klavier Lynn Harrell Violoncello für den erkrankten Christian Thielemann * PAU S E Ouvertüre c-Moll zu »Coriolan« op. 62 Allegro con brio Konzert für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester C-Dur op. 56 »Tripelkonzert« 1. Allegro 2. Largo 3. Rondo alla Polacca »Tripelkonzert« Mit Anne-Sophie Mutter, Lynn Harrell und Yefim Bronfman finden sich in diesem Sonderkonzert drei Ausnahmemusiker und herausragende Solisten zusammen, um gemeinsam Beethovens »Tripelkonzert« zu interpretieren, für das sich der Komponist an der Gattung der ehrwürdigen Sinfonia concertante orientierte. Komplettiert wird das Beethoven-Programm durch das fünfte Klavierkonzert und die Ouvertüre zu »Coriolan« des Wiener Meisters. Am Pult steht für den erkrankten Kapellmeister Christian Thielemann der österreichische Dirigent Manfred Honeck. 2 3 SONDERKONZERT »DER CAPELL-VIRTUOS & FREUNDE« Manfred Honeck Dirigent S eit 2008 ist Manfred Honeck Music Director des Pittsburgh Symphony Orchestra. Seine weithin gefeierten Konzerte und richtungsweisenden Interpretationen mit dem Orchester erfahren internationale Anerkennung. Umjubelte Gastspiele führen regelmäßig in zahlreiche Musikmetropolen sowie zu den großen Musikfestivals, darunter den BBC Proms, dem Musikfest Berlin, dem Lucerne Festival, dem Rheingau Musik Festival, dem Beethovenfest Bonn, dem Grafenegg Festival, der Carnegie Hall und dem Lincoln Center in New York. Eine enge Beziehung pflegen Manfred Honeck und sein Orchester zum Wiener Musikverein. Als Gastdirigent stand Manfred Honeck am Pult aller führenden internationalen Klangkörper, darunter das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das Gewandhausorchester Leipzig, das Concert gebouworkest, das London Symphony Orchestra sowie die Wiener Philharmoniker. Zudem leitete er alle großen amerikanischen Orchester. Darüber hinaus ist Manfred Honeck gern gesehener Gast beim Verbier Festival. 2013 gab er sein erfolgreiches Debüt am Pult der Berliner Philharmoniker. Eine gemeinsame CD-Aufnahme mit Anne-Sophie Mutter (Werke von Dvořák) wurde 2014 mit dem ECHO Klassik ausgezeichnet. Der gebürtige Österreicher absolvierte seine musikalische Ausbildung an der Hochschule für Musik in Wien. Seine Arbeit als Dirigent wurde durch Erfahrungen geprägt, die er über viele Jahre als Mitglied der Wiener Philharmoniker und des Wiener Staatsopernorchesters sowie als Leiter des Jeunesses Musicales Orchesters Wien sammeln konnte. Seine Dirigentenlaufbahn begann er als Assistent von Claudio Abbado in Wien. Anschließend wurde er als Erster Kapellmeister an das Opernhaus Zürich verpflichtet. Zu weiteren frühen Stationen seiner Karriere zählen Leipzig, wo er von 1996 bis 1999 einer der drei Hauptdirigenten des MDR Sinfonieorchesters Leipzig war, und Oslo, wo er die musikalische Leitung der Norwegischen Nationaloper übernahm und als Erster Gastdirigent des Oslo Philharmonic Orchestra verpflichtet wurde. Von 2007 bis 2011 war er Generalmusikdirektor der Staatsoper Stuttgart, von 2008 bis 2011 Erster Gastdirigent der Tschechischen Philharmonie in Prag; diese Position übernahm er mit Beginn der Saison 2013 / 2014 für weitere drei Jahre. 4 5 SONDERKONZERT »DER CAPELL-VIRTUOS & FREUNDE« Anne-Sophie Mutter Violine A nne-Sophie Mutter, im badischen Rheinfelden geboren, zählt seit vielen Jahren zu den großen Geigenvirtuosen unserer Zeit. Das Jahr 2016 markiert das 40-jährige Jubiläum ihres Debüts im Alter von 13 Jahren beim Lucerne Festival 1976. Die viermalige Grammy-Award-Gewinnerin konzertiert weltweit in allen bedeutenden Musikzentren. Dabei fühlt sie sich der Aufführung traditioneller Kompositionen ebenso verpflichtet wie der Musik der Gegenwart. 24 Kompositionen hat sie bislang uraufgeführt, etwa von Henri Dutilleux, Sofia Gubaidulina, Witold Lutosławski, Krzysztof Penderecki, Sir André Previn und Wolfgang Rihm. Darüber hinaus widmet sie sich zahlreichen Benefizprojekten und der Förderung des musikalischen Spitzennachwuchses. Anne-Sophie Mutters Konzertkalender 2016 dokumentiert mit Auftritten in Asien und Europa erneut ihren beispiellosen Rang in der Welt der klassischen Musik: Sie gastierte bei den Osterfestspielen Salzburg und folgt im Sommer einer Einladung des Lucerne Festival. Außerdem konzertiert sie u. a. mit den Symphonieorchestern von London und Pittsburgh, den New York und London Philharmonic, den Wiener Philharmonikern und der Tschechischen Philharmonie. Mit »Mutter’s Virtuosi«, dem Ensemble der Anne-Sophie Mutter Stiftung, unternimmt sie eine ausgedehnte internationale Konzertreise. Für ihre zahlreichen Plattenaufnahmen erhielt sie u. a. neun Auszeichnungen mit dem ECHO Klassik, den Deutschen Schallplattenpreis, den Record Academy Prize, den Grand Prix du Disque und den Internationalen Schallplattenpreis. 2008 erschien ihre Einspielung des Gubaidulina-Violinkonzertes »In tempus praesens« und der Bach Violinkonzerte in a-Moll und E-Dur. Der Live-Mitschnitt »Anne-Sophie Mutter – Live from Yellow Lounge« ihres Club-Auftritts in Berlin vom Mai 2015 erschien auf CD, Vinyl, DVD und Blu-ray Disc. Anne-Sophie Mutter ist Trägerin zahlreicher Auszeichnungen und Preise wie des Großen Bundesverdienstkreuzes, des französischen Ordens der Ehrenlegion, der Ehrenmitgliedschaft der American Academy of Arts and Sciences (2013), des Atlantic Council’s Distinguished Artistic Leadership Award (2012), des Ernst von Siemens Musikpreises und des Leipziger Mendelssohn-Preises (2008). 6 7 SONDERKONZERT »DER CAPELL-VIRTUOS & FREUNDE« Yefim Bronfman Klavier C A P E L L -V I R T U O S 2 015 | 2 016 D E R S Ä C H S I S C H E N S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N Y efim Bronfman gilt als einer der bedeutendsten Klaviervirtuosen der Gegenwart. Seine makellose Technik und hohe Interpretationskunst werden vom Publikum und von der Fachwelt gleichermaßen geschätzt. Nach seinem Studium in Israel und Amerika bei Rudolf Firkušný, Leon Fleisher und Rudolf Serkin etablierte er sich als Solist auf den führenden Konzertbühnen der Welt. Bereits 1991 erhielt Yefim Bronfman, US-Amerikaner usbekischer Herkunft, den Avery Fisher Prize, eine der höchsten Auszeichnungen für amerikanische Musiker. Als Kammermusiker und musikalischer Partner großer Symphonieorchester ist er gern gesehener Gast renommierter Festivals, u. a. bei den Salzburger Festspielen, dem Lucerne Festival und dem Tanglewood Festival. Dabei konzertiert er mit Solisten wie Yo-Yo Ma, Joshua Bell, Lynn Harrell, Shlomo Mintz, Anne-Sophie Mutter und Pinchas Zukerman. Auch mit Ensembles wie dem Emerson-, dem Guarneri- und dem Juilliard Quartett arbeitet Yefim Bronfman regelmäßig zusammen. Neben dem klassischen Repertoire gilt seine besondere Aufmerksamkeit dem zeitgenössischen Fach. Yefim Bronfmans umfangreiches Wirken ist auf zahlreichen CD- und DVD-Produktionen dokumentiert. Eine Aufnahme der Bartók-Konzerte mit dem Los Angeles Philharmonic unter der Leitung von Esa-Pekka Salonen wurde 1997 mit einem Grammy ausgezeichnet. Auf DVD ist Beethovens fünftes Klavierkonzert mit dem Concertgebouworkest unter Andris Nelsons erschienen, aufgenommen im Rahmen des Lucerne Festivals 2011, ebenso wie ein Konzertmitschnitt von Rachmaninows drittem Klavierkonzert mit den Berliner Philharmonikern und Simon Rattle sowie eine Einspielung der Konzerte Beethovens mit dem Tonhalle-Orchester Zürich und David Zinman. Nach seinem gefeierten Debüt mit der Sächsischen Staatskapelle während der Osterfestspiele 2013 unter der Leitung von Christian Thielemann prägt Yefim Bronfman die Spielzeit 2015 / 2016 als Capell-Virtuos ganz wesentlich. Erst kürzlich hat er in einem umjubelten Rezital Werke von Robert Schumann und Sergej Prokofjew in der Semperoper gespielt und war im 9. Symphoniekonzert mit Beethovens zweitem Klavierkonzert zu hören. 8 9 SONDERKONZERT »DER CAPELL-VIRTUOS & FREUNDE« Lynn Harrell Violoncello D er Cellist Lynn Harrell stammt aus New York City. Er ist regelmäßiger Gast bei den großen amerikanischen Orches tern sowie bei den erstrangigen europäischen Klangkörpern von London, München, Berlin, Dresden, Leipzig und Zürich. Er arbeitete mit renommierten Dirigenten wie James Levine, Sir Neville Marriner, Christoph Eschenbach, Riccardo Chailly, Kurt Masur, Zubin Mehta, Sir André Previn, Sir Simon Rattle, Michael Tilson Thomas und David Zinman zusammen. Als Solist und Kammermusiker weltweit geschätzt, musiziert Lynn Harrell regelmäßig im Trio gemeinsam mit Anne-Sophie Mutter und Yefim Bronfman. Zu seinen weiteren bisherigen Kammermusikpartnern zählen Yuri Bashmet, Sir André Previn, Vladimir Ashkenazy, Itzhak Perlman, Pinchas Zukerman und Nigel Kennedy. Als »Veteran« zahlreicher Sommerfestivals trat der Cellist bereits in Verbier, Grand Teton, Tanglewood und Aspen auf, wobei ihn mit dem letztgenannten Festival eine bereits über 60-jährige künstlerische Partnerschaft verbindet. Auf mehr als 30 Aufnahmen ist Lynn Harrells Repertoire dokumentiert. Für zwei seiner Trio-Aufnahmen mit Perlman und Ashkenazy gewann er jeweils einen Grammy-Award – 1981 für die gemeinsame Einspielung von Peter Tschaikowskys Klaviertrio a-Moll und 1987 für die Interpretation aller Klaviertrios von Ludwig van Beethoven. Vor kurzem nahm er Tschaikowskys »Variationen über ein Rokoko-Thema« für Violoncello und Orchester A-Dur op. 33, Dmitri Schostakowitschs zweites Cellokonzert sowie Sergej Prokofjews Sinfonia concertante op. 125 mit dem Royal Liverpool Philharmonic unter der Leitung von Gerard Schwarz auf. Von 1985 bis 1993 unterrichtete er Cello an der Royal Academy in London und war zwischen 1988 bis 1992 Künstlerischer Direktor des Orchesters am L.A. Philharmonic Institute, wo er auch für Kammermusik und Dirigierkurse verantwortlich war. Lynn Harrell begann seine Studien in Dallas und setzte sie an der Juilliard School und am Curtis Institute of Music fort. Er ist Träger zahlreicher Auszeichnungen, u. a. des ersten Avery Fisher Award. Zudem ist er Gründer, Leiter und Künstlerischer Botschafter der karitativen Einrichtung Heartbeats Foundation in Los Angeles, die sich der Arbeit mit Kindern in Not widmet. 10 11 SONDERKONZERT »DER CAPELL-VIRTUOS & FREUNDE« Ludwig van Beethoven * (getauft) 17. Dezember 1770 in Bonn † 26. März 1827 in Wien IM SCHEIN DER MODERNE Beethovens fünftes Klavierkonzert Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur op. 73 1. Allegro 2. Adagio un poco mosso – attacca il Rondo 3. Rondo. Allegro D ENTSTEHUNG BESETZUNG Ende 1808 bis Anfang 1809 Erzherzog Rudolph von Österreich Soloklavier 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauken und Streicher U R AU F F Ü H R U N G DAU ER im November 1811 in Leipzig, Pianist: Friedrich Schneider ca. 45 Minuten WIDMUNG 12 13 ie Sehnsucht nach einer festen Anstellung ist Beethoven nicht fremd. Seine großen Erfolge täuschen kaum darüber hinweg, dass er sich als freier Musiker und Komponist letztlich in ungewissen Verhältnissen bewegt. 1807 strebt er eine Position in der neuen Leitung des königlich-kaiserlichen Hoft heaters an, die ihm nicht gewährt wird. Weitere unerfüllte Hoffnungen führen schließlich zu dem Entschluss, Wien zu verlassen. 1808 wird seine Absicht durch ein konkretes Angebot von Jérôme Bonaparte bestärkt, als Kapellmeister nach Kassel zu gehen. Jérôme Bonaparte, jüngster Bruder von Napoleon Bonaparte und zwischen 1807 bis 1813 König von Westfalen, trägt Beethoven ein lebenslängliches Gehalt von 600 Dukaten mit zusätzlichen 150 Dukaten Reisegeld gegen die einzige Verbindlichkeit an, gelegentlich vor ihm zu spielen und seine Kammerkonzerte zu leiten, welches »indessen nicht oft und jedesmal nur kurz zu geschehen hat«, wie der umworbene Komponist nicht vergisst zu betonen. Beethoven wird zur wichtigen Figur im Spiel um das Prestige konkurrierender politischer Parteien. Aus Sicht Wiens riskiert man, einen der namhaftesten Tonsetzer seiner Zeit an die Gegenseite zu verlieren. Daraufhin reagieren einflussreiche Gönner aus dem Wiener Hochadel und setzen ihm eine Rente aus, die ihm eine gesicherte Existenz ermöglicht. Beethoven weiß die Gunst der Stunde zu nutzen. Im Vertragsentwurf vom Februar 1809 fordert er 4.000 Gulden jährlich auf Lebenszeit und bringt seinen Wunsch zum Ausdruck, in kaiserliche Dienste zu treten: »Einstweilen würde schon der Titel eines Kaiserlichen Kapellmeisters ihn sehr glücklich machen; könnte ihm dieser erwirkt werden, so wäre ihm der hiesige Aufenthalt [in Wien] noch viel werter.« Der Komponist, der von sich in der dritten Person schreibt, erbittet zudem Kunstreisen, »weil er sich nur auf solchen sehr bekannt machen und einiges Vermögen erwerben kann«. Außerdem verlangt er von der Direktion des Hoftheaters die Versicherung, »alljähr- SONDERKONZERT »DER CAPELL-VIRTUOS & FREUNDE« lich den Palmsonntag im Theater an der Wien zur Aufführung einer Akademie zu seinem Vorteil zu erhalten«. Die Verhandlungen mit dem Erzherzog Rudolph und den Fürsten Kinsky und Lobkowitz bringen für Beethoven das gewünschte Ergebnis: Am 1. März 1809 wird der Vertrag unterzeichnet. Er verpflichtet Beethoven zu keiner Gegenleistung. Der Komponist akzeptiert lediglich, in Wien zu bleiben – ein Umstand, den er bereitwillig im Vertragsentwurf einräumt: »Beethoven hat indessen so viel Vorliebe für den Aufenthalt in dieser Hauptstadt [Wien], so viel Dankbarkeit für die vielen Beweise von Wohlwollen, welches er darin erhalten hat, und so viel Patriotismus für sein zweites Vaterland, daß er nie aufhören wird, sich unter die österreichischen Künstler zu zählen, und daß er nie anderwärts seinen Wohnort nehmen wird, wenn ihm die gesagten Vorteile hier nur einigermaßen zustatten kommen.« Er glaubt sich einen entscheidenden Schritt weiter und geht zur Vervollkommnung seiner angestrebten Lebensverhältnisse offensiv auf Brautschau. Am 18. März 1809 bittet er den Baron Ignaz von Gleichenstein, der am Zustandekommen des Vertrages zu großen Teilen beteiligt war: »Nun kannst Du mir helfen eine Frau suchen; wenn Du dort in Freiburg eine schöne findest, die vielleicht meinen Harmonien einen Seufzer schenkt.« Dieses Ansinnen geht indes ebenso wenig in Erfüllung wie die Hoffnung auf eine geordnete Lage. Anfang April nehmen österreichische Truppen den Kampf gegen Napoleons Armee wieder auf. Am 4. Mai verlässt die habsburgische Familie mit Erzherzog Rudolph die Hauptstadt, die am 13. Mai vom Kaiser der Franzosen eingenommen wird. Auf Augenhöhe Es sind bewegte Zeiten, in denen das fünfte Klavierkonzert entsteht. Als es nach drei Monaten im April 1809 vollendet vorliegt, befindet sich Beethoven an einem Wendepunkt. Persönlich ist ihm die Sicherung seiner materiellen Existenz gelungen. Ohne Zweifel geben ihm die Verhandlungen mit Wiens führender Aristokratie das Gefühl eines ebenbürtigen Umgangs, was sich, wie es scheint, im fürstlichen Gepräge des fünften Klavierkonzerts bemerkbar macht: Beethoven, der ›Fürst der Musik‹, kommuniziert auf gleicher Höhe mit einem Spross aus fürstlichem Geschlecht, dem das Werk gewidmet ist. Man könnte op. 73 auch als ambitionierte Unterrichtsliteratur für Beethovens wichtigsten Gönner und Schüler Erzherzog Rudolph von Österreich bezeichnen. Glaubt man einem Tagebuchvermerk des Grafen Johann Nepomuk von Chotek, führt Erzherzog Rudolph, der Widmungsträger, das Stück am 13. Januar 1811 halböffentlich im Wiener Palais des Fürsten Lobkowitz auf. Andererseits deuten die zeitlichen Umstände der Entstehung auf eine äußerliche 14 15 Ludwig van Beethoven, um 1808 Zeichnung von Ludwig Schnorr von Carolsfeld SONDERKONZERT »DER CAPELL-VIRTUOS & FREUNDE« Stimmung, die unverhohlen militärisch aufgeladen ist. Es kommt nicht von ungefähr, wenn das fünfte Klavierkonzert oft als Beethovens kriegerischstes apostrophiert wird. Vor dem letzten Aufbäumen des Solisten in der Coda des Schlusssatzes wird der Solopart einzig von der Pauke in einem unaufhaltsam sich wiederholenden punktierten Rhythmus begleitet. Wie von fern ist dem langsamen Verklingen des Klavierparts eine bedrohliche Grundierung hinzugefügt, als ob aufziehende Schatten den Horizont verdunkelten. Im Spannungsfeld von kämpferischer, Energie strotzender Willensbekundung und nobel glänzender Haltung bewegt sich das Werk bereits in den ersten Takten. Das Klavier bricht die wuchtig-emphatischen Tutti-Akkorde, gesetzt in den drei harmonischen Hauptfunktionen, in solistischer Verspieltheit auf. Orchester und Solist stehen in größtmöglichem Gegensatz. Hier die ordnende Macht, die das Geschehen in verbindlichen Sammelpunkten zeitlich auffängt, dort ein geradezu improvisatorischer Zugriff, der figürlich aufreißt, was zuvor vertikal gebündelt wurde. Beethoven vergegenwärtigt damit das KonzertUrbild, welches der Idee einer kalkulierten Gebrochenheit folgt. Das wirksam gebaute erste Thema im ersten Satz arbeitet mit zwei auffälligen Rhythmen – einem triolischen Umspielen des Grundtons sowie einer auftaktig empfundenen punktierten Figur auf der fünften Stufe – und fällt durch einen herausfordernden Ton auf. Dieses Thema ist zupackend und repräsentativ zugleich und steht im Kontrast zum ruhigeren zweiten, das zwischen Dur und Moll changiert und sich aus kleinen Tonschritten zusammensetzt. Zu einer weiteren Konfrontation kommt es mit Einsatz des Klaviers. Der Solopart bricht die Aufschichtung punktierter Dominantakkorde, namentlich in den Blasinstrumenten, mit einer aufsteigenden chromatischen Skala auf, bevor er das erste Thema »dolce« wiedergibt. Eine wichtige Etappe im Entwicklungsteil ist genommen, wenn Beethoven den charakteristischen Quartsprung des ersten Themas als Fanal eines absteigenden Motivs destilliert und daraus eine zerklüftete Atmosphäre schafft. Was Beethoven hier entwirft, ist das Szenario einer Gefährdung; erst mit Eintritt der kämpferischen Reprise erreicht es seine Aufhebung. Die Metaphysik des Übergangs Erzherzog Rudolph von Österreich Lithographie von Josef Lanzedelli d. Ä., 1823 16 17 Der zweite Satz wechselt die Stimmung, er ist getragen von einer hymnenartigen Anfangsmelodie. »Als Beethoven dieses Adagio schrieb, schwebten ihm die religiösen Gesänge frommer Wallfahrer vor«, vermerkt sein Schüler Carl Czerny. Und in der Tat scheint dieser Satz Räume zu öffnen, aus denen heraus eine tief empfindende Innerlichkeit sich mitteilt. Nach einem kompakten Mischsatz in den Streichern und SONDERKONZERT »DER CAPELL-VIRTUOS & FREUNDE« später hinzukommenden Bläsern spreizt das Klavier den Klangraum. In geheimnisvoll sich weitendem Pianissimo tönt es »espressivo«, durchzogen von meditativen Linien im hohen Register. Allerdings erhalten die »religiösen Gesänge frommer Wallfahrer«, die Czerny ausmacht, in Beethovens reicher Verzierungs- und Trillertechnik eine unübersehbar diesseitige Färbung. Traumähnliche Erregungen, so könnte man meinen, zittern im bewegten Individuum allenthalben nach. Im Dialog zwischen Klavier einerseits und Klarinette und Fagott andererseits kommt es zu einzelnen kontrapunktischen Verschlingungen. Sie gehen ein als Teil einer elementaren Erzählung, die sich aus der narrativen Kraft sich verströmender Mysterien (im Orchester) und deren ehrfürchtiger Annäherung (im Solopart) zusammensetzt. Wenn beide Kommunikationsebenen miteinander in Verbindung treten, bereiten sie Kommendes vor. Eklatant ist das zu spüren, wenn über dem Orgelpunkt des Fagotts das Klavier stufenartig nach oben strebt und sich plötzlich in kraftvoll gebrochenen Akkorden entlädt. An diesem neuralgischen Punkt zwischen zweitem und drittem Satz inszeniert Beethoven einen coup de théâtre und setzt zu einer lustvollen Attacke an, die den Hörer unvermittelt in eine neue Situation wirft – zumal im ersten Takt des Rondos noch nicht klar ist, welches Metrum eingeschlagen wird. Synkopenbildungen, Forte-Piano-Wechsel und ein fast stotternder, chromatischer Abgang bilden die wesentlichen Zutaten des Rondothemas, das sich unverblümt und ziemlich dringlich in Opposition zu den restlichen Teilen des Satzes verhält. Wenn in der bereits beschriebenen Stelle zwischen Klavier und Pauke der Solopart am Ende langsam verklingt, könnte man in den herabsinkenden Klängen gleichsam die Umkehrung des Satzanfangs erblicken, als sich das Geschehen machtvoll aufwölbte. Mit dem Ansetzen eines aufbrausenden, prometheischen Energieschubs findet Beethovens letztes Klavierkonzert schließlich zu seinem Ende. Öffentlich uraufgeführt wird das Werk augenscheinlich ohne Mitwirkung und Anwesenheit des Komponisten in Leipzig im November 1811 von Friedrich Schneider. Die Premiere, so kann man in der Allgemeinen musikalischen Zeitung lesen, ist ein großer Erfolg. Dennoch braucht es weitere Jahre, bis sich op. 73 durchsetzt. Das Bild wandelt sich. Der Eindruck, die Kraft fürstlichen Durchsetzungswillens beherrsche das Werk, wechselt in nachnapoleonischer Zeit, als der Glanz auftrumpfender Feldmusik matter scheint. Sichtbar werden Konzertqualitäten, die ein zunehmend bürgerliches Publikum durch die Mittel bestechender Virtuosität und Konfliktbewältigung ansprechen. Überspitzt gesagt, zeigen sich darin die ersten Anzeichen einer Dämmerung der Moderne. 18 ANDRÉ PODSCHUN 19 SONDERKONZERT »DER CAPELL-VIRTUOS & FREUNDE« Ludwig van Beethoven »KAMPF DER BEIDEN PRINZIPE« Beethovens Ouvertüre zu »Coriolan« Ouvertüre c-Moll zu »Coriolan« op. 62 Allegro con brio I ENTSTEHUNG BESETZUNG 1807 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauken und Streicher WIDMUNG dem Dichter Heinrich Joseph v. Collin gewidmet DAU ER ER S TAU F F Ü H R U N G März 1807 in einem Subskriptionskonzert im Palais Lobkowitz unter Leitung des Komponisten 20 21 ca. 8 Minuten m März des Jahres 1807 veranstaltete Ludwig van Beethoven im Palais des Fürsten Lobkowitz zu Wien eine denkwürdige »Akademie«. Mit Kompositionen unterschiedlichen Charakters von heroischem Pathos bis zu tänzerischer Freude, von dramatischer Kraft bis zu gelöster Heiterkeit gab er einen umfassenden Einblick in sein bisheriges symphonisches Schaffen. Das außerordentlich umfangreiche Programm enthielt neben den Symphonien Nr. 1 bis 4, dem G-Dur-Klavierkonzert und Teilen aus »Fidelio« auch die soeben vollendete Ouvertüre »zum Trauerspiel Coriolan«, op. 62. Die Gattung der Ouvertüre beschäftigte Ludwig van Beethoven mehr als zwei Jahrzehnte. Zwischen 1801 (»Prometheus«) und 1822 (»Die Weihe des Hauses«) entstanden insgesamt elf Werke dieser Art. Anknüpfend an die Opernouvertüre Christoph Willibald Glucks und Wolfgang Amadeus Mozarts sowie von Komponisten wie Étienne-Nicolas Méhul und Luigi Cherubini, die im Geiste der Revolution von 1789 schrieben, wies er auch hier den Weg zu neuen Inhalten und Formen, die in ihrer symphonisch-programmatischen Gestaltung für die weitere Entwicklung der Musik von wesentlicher Bedeutung waren. Beethoven wurde zur Komposition der »Coriolan«-Ouvertüre durch die gleichnamige Tragödie eines seiner Wiener Freunde angeregt, des Dramatikers Heinrich Joseph von Collin. (Als Theatermusik erklang sie übrigens erstmals am 24. April 1807.) Im Zentrum der Handlung steht die Gestalt des Coriolan, der im Kampf um Rom aus verletztem Stolz zum Gegner überläuft. Durch diesen Verrat sieht er sich nunmehr gezwungen, SONDERKONZERT »DER CAPELL-VIRTUOS & FREUNDE« Ludwig van Beethoven, Partiturausschnitt aus der »Coriolan«-Ouvertüre in der Handschrift des Komponisten schrieb: »In diesem neuesten Werk bewunderte man die ausdrucksvollste Tiefe seiner Kunst, die, ohne auf jene mit Recht gerügten Abwege neuerer Musik sich zu verwirren, das wild bewegte Gemüt Coriolans und den plötzlich schrecklichen Wechsel seines Schicksals auf das herrlichste darstellte und die erhabenste Rührung hervorbrachte.« Johann Friedrich Reichardt, der die Ouvertüre Anfang Januar 1808 hörte, fühlte sich von den »Kraftschlägen« geradezu betäubt, nannte die Musik »herkulisch« und fand, Beethoven hätte »sich selbst noch besser dargestellt als seinen Helden«. Anton Bernhard Marx stellte fest: »Es gibt kein Werk, das Beethovens männliche und künstlerische Energie in engem Raum so voll bewährte wie Coriolan.« Trotzig und aufbegehrend eröffnen Akkordschläge, von Generalpausen unterbrochen, die Ouvertüre. Dann erhebt sich wild und leidenschaftlich das erste Thema; unruhige, nervöse Bewegung treibt die Musik voran. Der klagende, bittende Gesang des zweiten Themas wird ihr gegenübergestellt. Die Durchführung bringt spannungsvolle, energiegeladene Auseinandersetzungen. Fast scheint die beseelte Melodie den Sieg davontragen zu können. Letztlich aber folgt aus den Kämpfen das schmerzliche Ende des Helden: Sein Thema ermattet, zerbricht, verlöscht. gegen das eigene Volk zu kämpfen, obgleich er gelobt hatte, dies niemals zu tun. Seine Mutter bittet ihn flehentlich, von der verbrecherischen Zerstörung der Stadt abzulassen. In ausweglosem Gewissenskonflikt sucht und findet er den Tod. Die Ouvertüre ist gleichsam eine vorausgenommene symphonische Dichtung, geistig-inhaltlich verwandt der »Eroica«, der »Egmont«Musik und der »Leonore«. Das Interesse gilt dem Kampf eines Helden, der hier allerdings ein negatives Erscheinungsbild bietet und hoffnungslos, tragisch endet. Beethoven ging es nicht darum, den Ablauf der dichterischen Vorlage musikalisch nachzuzeichnen. Er konzentrierte sich bei ihrer symphonischen Verarbeitung vielmehr auf die beiden Hauptgestalten, die seiner Auffassung von der Symphonik als dem »Kampf der beiden Prinzipe«, des »widerstrebenden« und des »bittenden«, vollkommen entsprachen. So konnte er ein Werk schaffen, das in seiner zugespitzten Dramatik und seiner Tragik die Idee des Bühnenstücks plastisch, fesselnd und erschütternd darstellte. Die Wirkung auf das Publikum war bereits bei der Uraufführung groß. Das Morgenblatt vom 8. April 1807 22 23 EBERHARD STEINDORF Heinrich Joseph von Collin (1771-1811) Wiener, zu seiner Zeit populärer Dichter und Dramatiker. Im Hauptberuf Hofsekretär, mit Beethoven gut bekannt. Er arbeitete für den Komponisten u. a. an einem Opernstoff »Macbeth« und an einem Oratorientext »Die Befreiung Jerusalems«, deren Entwürfe Beethoven 1809 vorlagen. Als Collin 1802 seine »Coriolan«-Tragödie schrieb, hat er William Shakespeares gleichnamiges Bühnenwerk nicht gekannt, wie er Ludwig Tieck 1808 versichert hat. SONDERKONZERT »DER CAPELL-VIRTUOS & FREUNDE« Ludwig van Beethoven Konzert für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester C-Dur op. 56 »Tripelkonzert« 1. Allegro 2. Largo 3. Rondo alla Polacca ENTSTEHUNG BESETZUNG 1803 / 1804 Fürst Joseph v. Lobkowitz Violine, Violoncello, Klavier Flöte, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauken und Streicher ER S TAU F F Ü H R U N G DAU ER im Mai 1808 in einem Wiener Augartenkonzert ca. 40 Minuten WIDMUNG 24 25 IM BRUNNEN DER PRODUKTIVITÄT Der Pianist und Komponist Beethoven und sein »Tripelkonzert« W elche Richtung ein aufstrebender Künstler einschlägt, wenn die Zeit seiner Entwicklung gekommen ist, scheint kaum absehbar. Zu viele Faktoren fließen ein in die produktive Entfaltung, als dass Ausmaß und Umfang von vornherein erahnt werden könnten. Wenn zudem noch Einflüsse einer ungewohnten Lebensumgebung einwirken und den Ankommenden zu einer neuen Verortung drängen, ist es gut möglich, dass die schöpferische Energie gleich mehrfach entfacht wird. Es kommt zu einem Prozess der Selbstbehauptung, der das Erreichte auf den Prüfstand stellt und sich Neuem weder verschließen kann noch will. Als Beethoven im November 1792 zum zweiten Mal nach Wien aufbricht, steht die Reise ganz im Zeichen eines wiederholten Studienaufenthalts an der Donau. Doch als sein Vater kurz nach Beethovens Ankunft stirbt und die politischen Verhältnisse in seiner rheinischen Heimat durch die französische Revolutionsarmee immer unüberschaubarer werden und schließlich auch die Zahlungen des aus Bonn geflohenen Kurfürsten ausbleiben, rückt Wien ihm auch gedanklich immer näher – was jedoch nicht heißt, dass es ihm die kaiserliche Hauptstadt von Anfang an leicht macht. Trotz des Geniekults, der ihm vom Adel sensationslüstern entgegengebracht wird, muss er sich behaupten und fällt zunächst durch sein Klavierspiel auf. Wie kontrovers seine pianistischen Fähigkeiten allerdings aufgenommen werden, verdeutlichen mehrere Zeitzeugenberichte. Sein Schüler Carl Czerny skizziert in seinen Erinnerungen eine grundlegende Situation, in der sich Beethoven von dem nachhaltigen Wirken des verstorbenen Mozart und dessen Parteigängern a priori absetzt: »Hummels Anhänger warfen dem Beethoven vor, daß er das Fortepiano malträtiere, daß ihm alle Reinheit und Deutlichkeit mangele, daß er durch den Gebrauch des Pedals nur konfusen Lärm hervorbringe und daß seine Kompositionen gesucht, unnatürlich, melodielos und überdem unregelmäßig seien. Dagegen behaupteten die Beethovenisten, Hummel ermangele aller echten Phantasie, sein Spiel sei monoton wie ein SONDERKONZERT »DER CAPELL-VIRTUOS & FREUNDE« Leierkasten, die Haltung seiner Finger sei kreuzspinnenartig und seine Kompositionen seien bloße Bearbeitungen Mozartscher und Haydnscher Motive.« Die Auseinandersetzung um Stil und Geschmack, um Technik und Ausdruck zeigt, mit welchem Anspruch Beethoven die Musikszene Wiens konfrontiert. Es geht um die Durchsetzung neuer Maßstäbe, deren vermeintliche Unregelmäßigkeit Abbild der aktuellen politischgesellschaftlichen Lage ist. Im »konfusen Lärm«, der die Ohren eines Mozartschülers wie Hummel merklich irritiert, manifestieren sich die alles andere als geordneten Grundzüge eines revolutionären Weltbildes, das im Rheinland durch die Nähe zu Frankreich bereits seine wirkmächtigen Spuren hinterlassen hat. Von dem als »Variationenschmied« bekannten Abbé Gelinek ist das Wort »den wollen wir zusammenhauen« im Zusammenhang eines Klavierwettspiels überliefert, worin sich ein gewisses Maß an Herablassung mit einer aufgesetzten Gönnerhaftigkeit mischt. Auf die Frage, wie der Kampf mit Beethoven ausgegangen ist, soll der Abbé geantwortet haben: »An den gestrigen Tag werde ich denken! in dem jungen Menschen steckt der Satan. Nie habe ich so spielen gehört! Er fantasierte auf ein von mir gegebenes Thema, wie ich selbst Mozart nie fantasieren gehört habe. Dann spielte er eigene Compositionen, die im höchsten Grade wunderbar und großartig sind, und er bringt auf dem Clavier Schwierigkeiten und Effecte hervor, von denen wir uns nie etwas haben träumen lassen.« Der »Satan« öffnet seinen Zuhörern ungeahnte Perspektiven und stößt in neue Dimensionen vor. Dass sein Spiel manchen dabei als »rauh« gilt, wie etwa dem von Beethoven verehrten Komponisten Luigi Cherubini, passt in die Atmosphäre der Zeit, in der das Konventionell-Elegante von jungen Talenten selbstgewiss verdrängt wird. Vielleicht bedarf es auch einer von außen kommenden Gestalt, die Wiens gewohntes Gefüge mit neuen Wendungen in Berührung bringt. Noch in späteren Jahren urteilt der Pianist Johann Baptist Cramer: »Das Spiel war nur wenig ausgebildet, nicht selten ungestüm, wie er selber, immer jedoch von Geist.« Ungestüm, vorwärtsdrängend, überraschend, vielleicht auch wild und verstörend – das sind die Schlagworte, die Beethovens Klavierspiel in seinen ersten Wiener Jahren kennzeichnen. Gut möglich, dass er, so jung wie er ist, zunächst »nur wenig ausgebildet ist«. Umso rascher fällt sein produktiver Wille auf, seine geistsprühende Ideenfülle und Ausdrucksintensität, mit der er als Virtuose in Wien – und später darüber hinaus – von sich reden macht. In allem steckt eine unbändige, sich emporschwingende schöpferische Potenz, die ihren Eindruck bei den zumeist adligen Zuhörern nicht verfehlt. »Kraft ist die Moral der Menschen, die sich vor anderen auszeichnen, und sie ist auch die meinige«, lautet Beethovens denkwürdiger, vor Selbstbewusstsein strotzender Satz, der einen Menschen voller weitgreifender Pläne zeigt. 26 27 Ludwig van Beethoven, um 1804 Ölbild von Joseph Willibrord Mähler SONDERKONZERT »DER CAPELL-VIRTUOS & FREUNDE« »… immer das Ganze vor Augen« Vielleicht ist es genau das, was die Nachgeborenen mit ihm assoziieren. Einhundertfünfzig Jahre nach Beethovens Tod spricht Hugo von Hofmannsthal von Beethovens Haupt als von einem »Gottestempel in Gestalt einer Burg«. Seine Kunst gilt dem Späteren als wehrhaft in einer Zeit, als der monarchisch geführte Vielvölkerstaat nach Ende des Ersten Weltkriegs dramatisch zusammenbricht. Hofmannsthal stellt die vergleichende Frage: »Aber wer ist Beethoven, daß wir trotz Mozart ihn heute feiern, in der dunklen, ungewissen Stunde, als einen, der keinem weicht; daß wir heute sagen: Jener war der Einzige, Er aber war der Gewaltige?« Dem melancholisch getrübtem Blick des österreichischen Dichters erscheinen Beethovens Gewalten standhaft, sie generieren eine Qualität, die neu in die Musikgeschichte eintritt: Mit Beethoven wird der Ton ›heldisch‹. In der heroischen Aufladung spiegelt sich eine Epoche, die mit grundstürzenden Revolutionen und umfassender Gewaltbereitschaft zu kämpfen hat. Nicht umsonst wird Beethoven von seinem Lehrer Haydn mit feiner Ironie und unter vorgehaltener Hand zum »Großmogul« ernannt. Schnell werden die Folgen des heldischen Stils sichtbar: Die Musik gewinnt raumgreifendere Züge, sie ermöglicht, um nicht zu sagen erfordert größere Spannungsfelder und begünstigt eine Architektur, in der das Verhältnis der einzelnen Teile maßgebend für den Gesamtbau wird. »Wie ich gewohnt bin zu schreiben, auch in meiner Instrumentalmusik, habe ich immer das Ganze vor Augen«, bemerkt Beethoven. Wenn er als Komponist pianistisch denkt, denkt als Pianist kompositorisch – eine verschlungene, überaus schöpferische Einheit. Dabei geht es ihm um Entwicklung, um das Erfinden von Neuem, in dem der Kern eines für das neunzehnte Jahrhundert folgenreichen Fortschrittsglaubens liegt. Im Juli 1819 schreibt er an den Erzherzog Rudolph: »allein Freiheit, weiter gehn ist in der Kunstwelt, wie in der gantzen großen Schöpfung Zweck.« An anderer Stelle heißt es: »Die Kunst verlangt von uns, daß wir nicht stehenbleiben.« Wenn die Frage auf den inneren Antrieb seines Schaffens kommt, ist er überzeugt, dass »keine Regel sei, die nicht durch eine andere um des Schönen willen verstoßen werden dürfte« – was nichts anderes meint, als dass Kunst erst mit der Überwindung von Regeln zur Kunst wird. Die Aufhebung von Normen scheint auch vor Gattungen nicht haltzumachen. Beethovens Sympathie am Experimentieren mit Mischformen setzt ihn einem Wagnis aus, dessen ästhetischer Ausgang nicht absehbar ist. Vieles deutet darauf hin, dass für ihn genau darin der schöpferische Reiz liegt. Die Kommunikation der Gattungen befruchtet diese und bildet auf musikalischer Ebene ab, was im gesellschaftlichen 28 29 Zusammenleben einen Austausch von Interessen darstellt. Miteinander in Berührung kommen – das scheint Beethovens kompositorischem Credo durchaus zu eigen zu sein. Ein Vertreter dieser Mischform ist das sogenannte Tripelkonzert, das er in der eigenhändigen Überschrift einer verschollenen Klavierstimme ein »Konzertant Konzert« nennt. Beethoven verleiht dem Konzert für Violine, Violoncello und Klavier damit eine Bezeichnung, die in seinem Œuvre einmalig ist und ordnet das Werk einer Gattung zu, die in ihrer Art nicht existiert. Gleichwohl weist die Bezeichnung »Konzertant« in die Richtung der Sinfonia concertante und folgt ihr in einigen Punkten, etwa in der Mehrzahl der konzertierenden Solostimmen, in der Mehrsätzigkeit sowie in der Rondoform des Schlusssatzes. Angesichts der Entfaltung der drei Soloinstrumente fällt es schwer, das Werk als Symphonie zu kennzeichnen, zumal Beethoven mit der eben erst beendeten »Eroica« in ganz andere Bereiche des Symphonischen vordringt. Von Beethovens zeitweiligem Sekretär und späterem Biographen Anton Schindler stammt der Hinweis, dass der Klavierpart Beethovens Schüler Erzherzog Rudolph zugedacht ist. Dem steht gegenüber, dass Beethoven den Erzherzog wohl erst gegen 1808 kennenlernt, vier Jahre nach Entstehung des Stückes. Mit einer Widmung an den Fürsten Lobkowitz erscheint es 1807 in Ausführung der Stimmen. Ein Jahr später erfolgt die erste öffentliche Aufführung mit eher mäßigem Echo. Dem Werk eignet eine Spiel- und Musizierfreude im Stil wechselseitiger Themenkonversation, durchsetzt von Schlussläufen, Kadenztrillern der Solisten und eingestreuten Zwischentutti des Orchesters. Der Beginn präsentiert ein vorbereitendes Motiv in den Violoncelli und Bässen, bevor die übrigen Streicher sowie Hörner zum ersten Orches tertutti überleiten. Als erstes der drei Soloinstrumente setzt das Cello ein, übrigens auch in den nachfolgenden Sätzen. Der Übergang vom langsamen Satz zum »Rondo alla Polacca« wird ebenfalls vom Solocello gewährleistet, sodass angesichts seiner herausgehobenen Position gelegentlich von einem ansatzweisen Cellokonzert die Rede ist. Wie gesagt, Beethovens experimenteller Zugriff auf Form und Ästhetik folgt dem Grundimpuls eines unablässigen Erfindens. In einem Brief an seinen Bonner Jugendfreund Wegeler aus dem Jahr 1801 schreibt er: »Jeden Tag gelange ich mehr zu dem Ziel, was ich fühle, aber nicht beschreiben kann. Nur hierin kann Dein Beethoven leben. Nichts von Ruhe!« Stillstand ist für einen wie ihn keine Option. Zu gern schöpft er aus dem Brunnen der Produktivität. In den Tiefen der Eingebung stößt er auf Bruchstücke, deren unermüdliche Bearbeitung schließlich zu Artefakten führen, ohne die die europäische Musikgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts vermutlich anders verlaufen wäre. ANDRÉ PODSCHUN SONDERKONZERT »DER CAPELL-VIRTUOS & FREUNDE« Sonderkonzert 2015 | 2016 Orchesterbesetzung 1. Violinen Bratschen Frank-Michael Erben* / 1. Konzertmeister Sebastian Herberg / Solo Thomas Meining Stephan Pätzold Jörg Faßmann Anya Dambeck Michael Frenzel Michael Horwath Christian Uhlig Uwe Jahn Barbara Meining Ulrich Milatz Birgit Jahn Ralf Dietze Wieland Heinze Marie-Annick Caron Henrik Woll Susanne Neuhaus Anja Krauß Juliane Böcking Anett Baumann Violoncelli Anselm Telle Sae Shimabara Norbert Anger / Konzertmeister Franz Schubert Friedwart Christian Dittmann / Solo Simon Kalbhenn / Solo 2. Violinen Uwe Kroggel Reinhard Krauß / Konzertmeister Bernward Gruner Holger Grohs / Konzertmeister Johann-Christoph Schulze Matthias Meißner Anke Heyn Stephan Drechsel Titus Maack Jens Metzner Kontrabässe Olaf-Torsten Spies Mechthild von Ryssel Andreas Wylezol / Solo Elisabeta Schürer Martin Knauer Emanuel Held Helmut Branny Kay Mitzscherling Fred Weiche Martin Fraustadt Reimond Püschel Robert Kusnyer Thomas Grosche Flöten Sabine Kittel / Solo Cordula Bräuer Oboen Bernd Schober / Solo Sibylle Schreiber Klarinetten Robert Oberaigner / Solo Egbert Esterl Fagotte Joachim Hans / Solo Hannes Schirlitz Hörner Jochen Ubbelohde / Solo Manfred Riedl Trompeten Mathias Schmutzler / Solo Siegfried Schneider Pauken Thomas Käppler / Solo * als Gast 30 31 SONDERKONZERT »DER CAPELL-VIRTUOS & FREUNDE« Vorschau 10. Symphoniekonzert D O N N ER S TAG 5 . 5 .16 2 0 U H R F R EI TAG 6 . 5 .16 2 0 U H R S A M S TAG 7. 5 .16 11 U H R S E M P ER O P ER D R E S D E N Herbert Blomstedt Dirigent Peter Serkin Klavier 6 .2 0 1 6 L E . 6 2 – . 24 IONA T A N ER SCH T I 7. I N T W O AK T S O H C S TA G E H C S I R H O G Max Reger Klavierkonzert f-Moll op. 114 Zum 100. Todestag des Komponisten Ludwig van Beethoven Symphonie Nr. 7 A-Dur op. 92 Kostenlose Konzerteinführungen jeweils 45 Minuten vor Beginn im Foyer des 3. Ranges der Semperoper 3. Aufführungsabend D O N N ER S TAG 2 6 . 5 .16 2 0 U H R BEET N HOVE ER – E I S L AYA, NITSK G, NA VIN AN HERBER N A , N I E T D S S A E B T DR E L, S E T, SCH ONCER R RÖS HQUARTET SDEN O C A L C E R S, P E T E C E I V E , R L R D E T S N ND DS OR DA ANG E SDNER MPER WIN E Q U AT U O L L O N G , I S W S K I , D R E S , CH IAS W HAIL JURO HAEL SCHÖ P L AT Z M AT T H MIC E AT E R , MIC R E G AM TH N E A H T C R A E 0 25 E LW NORB C H IN K ( 0 3 5 0 2 1 ) 5 9 DER S ER IN T N N E U T KAR S O W IE IT D E R S D E N IO N M P E R AT A P E L L E D R E O O K IN TSK N S TA A IS C H E SÄCHS OWI O S TA K T S C H – S E M P ER O P ER D R E S D E N Kazuki Yamada Dirigent Rozália Szabó Flöte Volker Hanemann Englischhorn Jacques Ibert Divertissement für Kammerorchester Arthur Honegger Concerto da Camera für Flöte, Englischhorn und Streichorchester H 196 Francis Poulenc Sinfonietta für Kammerorchester FP 141 WWW.SCHOSTAKOWITSCH-TAGE.DE Semperoper Semperoper Dresden Dresden SONDERKONZERT »DER CAPELL-VIRTUOS & FREUNDE« Richard-Wagner-Stätten Graupa, 22.5.16, 12.30 Uhr IMPRESSUM Sächsische Staatskapelle Dresden Künstlerische Leitung/ Orchesterdirektion Sächsische Staatskapelle Dresden Chefdirigent Christian Thielemann Spielzeit 2015 | 2016 H E R AU S G E B E R Sächsische Staatstheater – Semperoper Dresden © April 2016 R E DA K T I O N André Podschun G E S TA LT U N G U N D L AYO U T schech.net Strategie. Kommunikation. Design. DRUCK Union Druckerei Dresden GmbH ANZEIGENVERTRIEB Christian Thielemann Chefdirigent Juliane Stansch Persönliche Referentin von Christian Thielemann Jan Nast Orchesterdirektor Von der Perücke bis zur Arie Tobias Niederschlag Konzertdramaturg, Künstlerische Planung André Podschun Programmheftredaktion, Konzerteinführungen Matthias Claudi PR und Marketing Matiss Druvins Assistent des Orchesterdirektors EVENT MODULE DRESDEN GmbH Telefon: 0351 / 25 00 670 e-Mail: [email protected] www.kulturwerbung-dresden.de Elisabeth Roeder von Diersburg Orchesterdisponentin B I L D N AC H W E I S E Agnes Thiel Dieter Rettig Notenbibliothek Felix Broede (S. 4); Harald Hoffmann DG (S. 6); Dario Acosta (S. 9); Christian Steiner (S. 10); Dieter Rexroth, Beethoven. Leben – Werke – Dokumente, Mainz / München 1982 (S. 15, 22, 23); Albertina, Wien (S. 16); Wien Museum (S. 27) OPER Matthias Gries Orchesterinspizient T E X T N AC H W E I S E Die Einführungstexte von André Podschun sind Originalbeiträge für dieses Programmheft. Der Artikel von Eberhard Steindorf stammt aus dem Programmheft zum 6. Symphoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden in der Saison 1998 / 1999. Urheber, die nicht ermittelt oder erreicht werden konnten, werden wegen nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten. Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet. W W W. S TA AT S K A P E L L E - D R E S D E N . D E Wagner-Geburtstag für die ganze Familie und Internationaler Museumstag mit bundesweiter Eröffnung in Graupa ! 34
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