Begleitmaterial für den Unterricht Die Piraten! – Ein Haufen merkwürdiger Typen (Originaltitel: The Pirates! – Band of Misfits) Verleih: Sony Pictures Deutscher Kinostart: 29.3.2012 Filmdaten Stop-Motion Animationsfilm basierend auf der Romanreihe Pirates! des Autors Gideon Dafoe Großbritannien, USA 2011, 90 Minuten FSK: ohne Altersbeschränkung Pädagogische Altersempfehlung: ab 4. Klasse / ab 9 Jahre Stab Regie Buch Kamera Produzenten Musik Peter Lord Gideon Defoe Charles Copping Julie Lockhart Peter Lord David Sproxton Theodore Shapiro Film ist immer Teamarbeit – und bei Animationsfilmen ist das Team besonders groß. An Die Piraten! – Ein Haufen merkwürdiger Typen haben insgesamt 525 Leute gearbeitet, darunter 33 Animatoren und 41 Drehteams in 4 Studios Besetzung Rolle Piratenkapitän Holzbein-Hastings Pirat mit dem Schal Pirat mit Gicht Der überraschend kurvenreiche Pirat Albino-Pirat König der Piraten Entermesser-Liz Black Bellamy Queen Victoria Charles Darwin englischer Sprecher Hugh Grant Lenny Henry Martin Freeman Brendan Gleeson deutscher Sprecher Patrick Winczewski Klaas Heufer-Umlauf Sebastian Schulz Lutz Schnell Ashley Jensen Russell Tovey Brian Blessed Salma Hayek Jeremy Piven Imelda Staunton David Tennant Vera Teltz Stefan Krause Bert Franzke Bettina Zimmermann Joko Winterscheidt Martina Treger Axel Malzacher Themen Abenteuer, Freundschaft, Loyalität, Außenseiter, Werte, Wissenschaft, Filmtechnik, Filmgeschichte Fächer Deutsch, Englisch, Lebenskunde/Religion, Kunst, Naturwissenschaften © JugendKulturService | VISION KINO| Sabine Genz Seite |2 Vorbemerkung Dieses Begleitmaterial soll Ihnen Anregungen geben, wie mit Die Piraten! – Ein Haufen merkwürdiger Typen im Unterricht gearbeitet werden kann. Einer kurzen Inhaltsangabe und allgemeinen Darstellungen zum Film folgt eine Übersicht über die Technik und Möglichkeiten der sogenannten Stop-Motion-Animation sowie ein Darstellung ausgewählter Themen des Films. Schließlich finden Sie einige Arbeitsblätter, die als Kopiervorlage für die Arbeit im Unterricht verwendet werden können. Der Film ist sowohl in 2D als auch in 3D verfügbar. Auf die spezifischen Erzählmöglichkeiten des dreidimensionalen Kinos wird in diesem Begleitmaterial nicht gesondert eingegangen. Inhalt Schon 20 Mal hat sich der Piratenkapitän um den Titel „Pirat des Jahres“ beworben, diesmal soll es endlich klappen. Pirat des Jahres wird derjenige, der in einem festgelegten Zeitraum die allermeisten Schätze erbeutet. Begleitet vom Hohngelächter seiner stets viel erfolgreicheren Rivalen, aber zu allem entschlossen, stechen der Piratenkapitän, seine ebenso liebenswürdige wie unfähige Crew und der nicht minder merkwürdige SchiffsPapagei Polly in See. Doch sie scheinen wieder einmal vom Pech verfolgt. Die Schiffe, die sie entern, haben entweder Aussätzige an Bord, Geister, Nudisten oder Schüler auf einer Geografie-Exkursion. Nicht eine einzige goldene Münze oder wertvolles Geschmeide fällt den Piraten in die Hände – bis sie ein Forschungsschiff überfallen. Es hat zwar auch keinen Goldschatz an Bord, dafür aber den leibhaftigen Charles Darwin. Dieser erkennt in Polly ein Exemplar der längst ausgestorben geglaubten Art der Dodos und stellt dem Piratenkapitän ein riesiges Preisgeld bei einem wissenschaftlichen Kongress in England in Aussicht. Doch dafür müssen die Piraten sich nach London wagen und damit in den Einflussbereich von Königin Viktoria – und die hasst nichts mehr als Piraten. Für noch mehr Verwicklungen sorgt die Tatsache, dass der unglücklich in Queen Victoria verliebte Charles Darwin versucht, die Piraten auszutricksen, dass die Queen seltene Tiere auf eine andere Weise schätzt als angenommen und der Piratenkapitän eine Zeit lang den Blick für die wirklich wichtigen Dinge des Lebens verliert. Umsetzung Nach der „The Pirates“-Romanreihe von Gideon Defoe hat Peter Lord eine irrwitzige, schwarzhumorige Piratenfilmparodie gedreht, die durch ihre liebenswerten Figuren, die präzise Stop-Motion-Animation und ihre zahlreichen Anspielungen und Zitate besticht. Vor allem die detailverliebte Ausstattung lädt zum genauen Hinsehen ein und trägt maßgeblich zum Bildwitz des Films bei. Der Charme des Handgefertigten – nur für wenige Elemente wie Wasser oder Rauch wurden computergenerierte Effekte verwendet – geht nicht zu Lasten der Inszenierung, die sich in ihrer Dynamik und ihrem Montagerhythmus an Realfilme anlehnt. © JugendKulturService | VISION KINO| Sabine Genz Seite |3 Anknüpfungspunkte für die pädagogische Arbeit Der Piratenkapitän ersehnt sich so sehr die Anerkennung und den Ruhm, der mit dem Titel „Pirat des Jahres“ einhergeht, dass er darüber seine altgedienten Crewmitglieder und loyalen Freunde vergisst. Zunächst sieht es so aus, als würde er den Blick für die wichtigen Dinge im Leben verlieren, bis er schließlich doch erkennt, was wirklich zählt. Diese Entwicklung lässt sich in einem Gespräch im Lebenskunde oder Religionsunterricht aufgreifen. Für das Fach Deutsch bietet sich vor allem eine Analyse des Films als Genreparodie oder eine Beschäftigung mit den medialen Querverweisen an, die bis zur Inszenierung von Fernsehshows reichen. Im Englischunterricht wiederum kann der für Großbritannien typische schwarze Humor thematisiert werden, während historische Bezüge, etwa über das viktorianische London oder Piraten Anknüpfungspunkte für den fächerübergreifenden Unterricht bieten. Die Piraten! …. kann auch ein heiterer Auftakt für die Auseinandersetzung mit der Evolutionstheorie Charles Darwins sein. Die Stop-Motion-Technik schließlich regt dazu an, beispielsweise im Kunstunterricht oder im Rahmen einer Projektarbeit eine eigene Szene mit Gegenständen oder Plastilinfiguren zu animieren. Vor dem Kinobesuch Wie verschafft man sich Respekt und Anerkennung? Ein Brainstorming kann die Kinder auf den Film einstimmen. Welche Eigenschaften muss jemand haben, damit du ihn oder sie bewunderst und als Vorbild nehmen würdest? Ist es wichtig, in der Klasse beliebt zu sein? Was bedeutet für dich Freundschaft? Was macht einen guten Freund /eine gute Freundin aus, woran erkennt man falsche Freunde? Um die Aufmerksamkeit im Kino zu schärfen, lenken Beobachtungsaufgaben den Blick: Kannst du etwas entdecken, was du aus anderen Filmen kennst? Nach dem Kinobesuch Impulsfragen für ein erstes Gespräch über den Film Welche Materialien braucht man für eine Knetanimation? Welche Szene hat dir am besten gefallen und warum? Wenn du den Film noch einmal drehen würdest, was würdest du verändern? Wäre auch ein anderes Ende des Films möglich gewesen? Wenn du diesen Film noch einmal sehen würdest, wen würdest du am liebsten ins Kino mitnehmen? Warum hast du diese Person ausgewählt? © JugendKulturService | VISION KINO| Sabine Genz Seite |4 Genre und Parodie: Piratenfilme Der Piratenfilm gehört zu den ältesten Filmgenres und bildet ein Subgenre des Abenteuerfilms. Seinen Höhepunkt erlebte er in den 30er bis 50er Jahren, als gutaussehende, muskulöse Piraten (Burt Lancaster, Erol Flynn, Marlon Brando) die Sehnsucht der Zuschauer(innen) nach Abenteuern vor exotischer Kulisse stillten. Die inhaltlichen Motive variierten wenig: Schätze oder Schatzinseln, die es zu erobern galt, böse, schwarzbärtige oder glattrasierte Gegenspieler (Letztere gerne gesetzestreue Langweiler im Auftrag einer Regierung), spektakuläre Kampfszenen und Schiffsschlachten. Ein Revival erlebten die in der Herstellung sehr kostspieligen Abenteuergeschichten zur See erst wieder mit der „Fluch der Karibik“-Reihe. Die Piraten! – Ein Haufen merkwürdiger Typen ist in der Tradition klassischer Piratenfilme erzählt. Die Macher spielen mit der Erwartungshaltung des Publikums gegenüber diesem Genre, jedoch werden die typischen Merkmale ins Gegenteil verkehrt oder auf die Spitze getrieben. So besteht die Crew des Schiffes aus „einem Haufen merkwürdiger Typen“, glücklose, inkompetente Gesellen, die wohl niemand anheuern würde, es sei denn für ihren Charme und Liebenswürdigkeit. Nicht ganz das, was man von der skrupellosen Mannschaft eines Piratenschiffs erwarten würde. Und natürlich ist so manche amüsante Modernisierung zu entdecken: Entermesser-Liz erinnert an eine harte Hip-Hopperin, es gibt ein Anmeldeformular für den Wettbewerb „Pirat des Jahres“ und Schinken im Kochbeutel, in der königlichen Küche dreht sich ein Döner-Spieß, der Piratenkapitän träumt davon, ins lukrative Babyklamottengeschäft einzusteigen ... © JugendKulturService | VISION KINO| Sabine Genz Seite |5 Die Figuren Der Piratenkapitän liebt alles, was zum Piratenleben gehört: Seine unfähige, aber treu ergebene Crew, den Schiffspapageien – oder das, was er für den Schiffspapageien hält; er ist stolz auf seine prächtige Piraten-Uniform und unglaublich eitel, was seinen rauschenden Bart angeht. Trotz vieler beruflicher Fehlschläge hat er sich seine Begeisterungsfähigkeit und seinen Optimismus erhalten. Seine Crew hält ihn für den Größten, was gut ist, weil das sonst niemand tut. Um es auch den anderen zu zeigen, will der Piratenkapitän dieses Mal unbedingt den Titel ‚Pirat des Jahres‘ gewinnen. Allerdings ist er kein Freund ausgeklügelter Strategien, sondern springt lieber mit beiden Beinen hinein ins Abenteuer – was meistens im Desaster endet. Der Pirat mit dem Schal ist die Nummer 2 an Bord und füllt die Funktion des Schatzmeisters aus. Im Englischen ist ‚pirat with a scarf‘ ein hübsches Wortspiel zu ‚pirat with a scar‘ (Pirat mit Narbe), was dem gängigen Piratenfilm-Schema eher entsprechen würde. Er ist die Stimme der Vernunft an Bord, kümmert sich um wichtige Details, die der Kapitän gerne mal übersieht, richtet ihn nach Fehlschlägen seelisch wieder auf, ist zuverlässig und tut sein Bestes, drohende Katastrophen abzuwenden. Damit steht er in der langen Reihe von Angestellten, die viel cleverer als ihr Boss sind. Polly (rechts im Bild) ist das gefiederte Herz und Seele des Schiffes, das von allen geliebte Maskottchen. Jedes anständige Piratenschiff braucht einen Papageien an Bord, doch leider stellt sich heraus, dass Polly ein Dodo ist. Polly behält auch im größten Chaos die Ruhe und ist zufrieden, solange sich jemand findet, der sie mit Keksen füttert. Der Albino-Pirat glaubt alles, was man ihm erzählt. Er ist durch alles zu erschüttern, leicht zu erschrecken, zu erfreuen und durcheinanderzubringen. Er hasst gefährliche Situationen. Wie ein kleines Kind posaunt er unangenehme Wahrheiten heraus, ohne die Folgen zu bedenken. Der Pirat mit Gicht ist auf den ersten Blick ein kampferprobter alter Seebär. Auf den zweiten jedoch ebenso kindisch und töricht wie der Rest der Crew. Er liebt es, Weisheiten von sich zu geben, die keine sind und seine Liebe zu Fleisch in allen Zubereitungen hat seine Gicht verschlimmert. Darauf ist er ein bisschen zu stolz. © JugendKulturService | VISION KINO| Sabine Genz Seite |6 Der überraschend kurvenreiche Pirat ist der größte Fan des Piratenkapitäns (Ich würd mich jederzeit zwischen ihn und eine Feuerqualle werfen!) und der piratigste Pirat der Mannschaft. Immer in Stimmung für einen kleinen Kampf, ein Hochseeabenteuer oder Planken-Balanciererei. Geboren zu einer Zeit, als Frauen an Bord Unglück bedeuteten, scheint niemand zu bemerken, dass der überraschend kurvenreiche Pirat über ausladende Hüften, eine hohe Stimme, rosa Unterwäsche und einen offensichtlich falschen Bart verfügt. Queen Victoria, die dickliche Herrscherin über ein Drittel der Weltbevölkerung, ist noch neu auf dem Thron, alleinstehend und liebt alle ihre Untertanen von Herzen – mit Ausnahme der Piraten, deren Vernichtung sie sich zum Ziel gesetzt hat. Ein weiteres Hobby von ihr ist das Verspeisen seltener Tiere. Unter ihrem engen Korsett schlägt das Herz einer Kämpferin – und da sie die Königin ist, kann ihr keiner sagen, dass der Kampf fair sein muss. Und wenn sie einen Dodo will, dann bekommt sie ihn auch! Die echte Königin Victoria trat 1837 im Alter von nur 18 Jahren ihre fast 64 Jahre währende Herrschaft an. In dieser Zeit veränderte sich England sehr stark. Überall wurden Eisenbahnschienen verlegt, allerorten entstanden Fabriken, die Städte wuchsen, so dass die Ober- und Mittelschicht eine beispiellose wirtschaftliche Blütezeit erlebte. Das Britische Empire stand unter Königin Victoria auf dem Höhepunkt seiner Macht. Mister Bobo Charles Darwins treuer Gehilfe ist ein menschlicher Schimpanse. Er kann nur mit Hilfe von Karteikarten kommunizieren, was um so trauriger ist, als er offensichtlich intelligenter als alle anderen zusammen ist. Charles Darwin begegnen die Zuschauer als jungen Akademiker, lange bevor er durch seine Evolutionstheorie berühmt wurde. Sie lernen ihn daher von einer ganz anderen Seite kennen. Darwin ist ein weinerlicher Feingeist, der seine Tagebucheinträge stets mit „Liebes Tagebuch…“ beginnt. Er ist sozial inkompetent, und sowohl was die Wissenschaft als auch was die Liebe angeht ein totaler Versager. Durch die zufällige Entdeckung des Dodos verspricht er sich nicht nur einen Karrieresprung, sondern auch, das Herz der angehimmelten Königin Victoria zu erobern. Sein Fehler, dass er sich für schlauer als den Piratenkapitän hält (siehe auch den folgenden Kasten zu Charles Darwin). © JugendKulturService | VISION KINO| Sabine Genz Seite |7 Charles Darwin (1809 – 1882) gehört zu den bedeutendsten Forschern des 19. Jahrhunderts, dem Zeitalter großer Entdeckungen und Erfindungen. Dadurch war es gleichzeitig ein Zeitalter umwälzender Veränderungen. Während Naturforscher wie Darwin, Lyell, Owen, Haeckel oder von Helmholtz das Leben und die Geschichte der Erde zu verstehen suchten, gab es große Fortschritte auf den Gebieten der Medizin, Technik und Astronomie. Neu entwickelte Verfahren und Maschinen veränderten das Leben der Menschen grundlegend, von pasteurisierter Milch bis zum elektrischen Licht. Mit der HMS Beagle umsegelte der Naturforscher Charles Darwin fünf Jahre lang die Erde. Überall sammelte er Pflanzen, Tiere und Gestein, die er studierte und katalogisierte. Aus den daraus gewonnenen Erkenntnissen entwickelte er seine Theorie der Anpassung aller lebenden Organismen an ihren Lebensraum durch Variation und natürliche Selektion (survival of the fittest). Sein berühmtes Buch „Über den Ursprung der Arten“ erschien am 24. November 1859. Damit lieferte Darwin eine streng naturwissenschaftliche Erklärung für die Diversität des Lebens. Sein Werk bildet die Grundlage der modernen Evolutionsbiologie und markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der modernen Biologie. Nicht nur deshalb war es eine Sensation, sondern es empörte auch viele Christen, die die göttliche Schöpfung in Frage gestellt sahen. Arbeitsaufgaben • Der Film wird in einer Programmzeitschrift angekündigt. Finde eine kurze und knackige Inhaltsangabe für den Film (max. 4 Sätze)! • Suche dir zwei der Hauptcharaktere aus und trage für sie Merkmale über deren Aussehen und Charakter zusammen! • Gab es im Film Szenen, die du aus anderen Filmen kennst oder die dich an andere Filme erinnert haben? Welche? • Recherchiere, wie die Menschen in der Mitte des 19. Jahrhunderts in England lebten. • Sprecht gemeinsam über das Ende des Films. Könnt ihr ein Motto oder eine „Moral von der Geschicht“ für den Film finden? Animationsfilm als medienpädagogisches Arbeitsinstrument Der Trickfilm ist an nichts weiter gebunden als an die Grenzen der Fantasie seiner Schöpfer, an die Artistik von Zeichenstift und Radiergummi (…) Der Zeichenstift kann sich über alle Gesetze der Kausalität, der Schwerkraft, der Logik und der Natur hinwegsetzen … (Rolf Giesen 2003) Warum Animationsfilme in der Medienpädagogik? Animationsfilme sind im Alltag von Kindern dauerpräsent: Fernsehsender setzen, teilweise ausschließlich, auf animierte Filme. Im Kino haben sie einen großen Anteil am Programm für Kinder. Auch die Werbung liebt den Trick und Computerspiele basieren auf © JugendKulturService | VISION KINO| Sabine Genz Seite |8 Animationstechnik. Charaktere der Filme wandern cross-medial in Hefte, Bücher und als Merchandisingprodukte auf jede kinderrelevante Zahncremetube, Müslipackung, auf T-Shirts und in Überraschungseier. Trickfilme entsprechen dem „alles-ist-möglich“-magischen Weltbild der Kindergarten- und Vorschulkinder. Sie können durch ihre technischen Möglichkeiten besonders gut märchenhafte und fantastische Geschichten erzählen. Das sind genügend Gründe, die Animation zum Thema in der Medienpädagogik in Kindergarten und Schule zu machen. Außerdem beinhaltet die Arbeit mit dem Animationsfilm die Option des eigenen Gestaltens („Ich kann so was wie im Fernsehen selber machen“, Johannes, 6 Jahre, Trickfilmworkshop 2004). Vor allem werden den Kindern technische Kompetenzen spielerisch vermittelt und eine Auseinandersetzung mit ihren Medienwelten ermöglicht. Was ist ein Trickfilm? Unter einem Trickfilm bzw. einer Animation - diese beiden Begriffe werden oft synonym verwendet - versteht man eine Folge von Einzelbildern, die zusammen gesehen (wirklich im Sinne von ‚Sehen’) den Eindruck einer Bewegung vermitteln. Ermöglicht wird dieser Effekt durch die menschliche Sinneswahrnehmung. Die Trägheit des Auges führt dazu, dass eine schnelle Abfolge von Einzelbildern als kontinuierliche Bewegung wahrgenommen wird. Die Netzhaut des Auges hält den Eindruck eines Bildes noch einen Bruchteil von Sekunden (0,05 Sekunden) fest. Folgt schnell ein zweites Bild, ist das Auge bzw. das Gehirn nicht fähig, die beiden Bilder voneinander zu trennen. Denkt man an das Daumenkino wird diese physiologische Tatsache anschaulich: Starre Einzelbilder, von Bild zu Bild minimal verändert, verschmelzen zu einer Bewegung. Genau das ist das Faszinierende am Daumenkino und eben auch am Trickfilm: Zeichnungen oder Gegenstände, die im realen Leben zu keinerlei Eigenbewegung fähig sind, bewegen sich. Unmögliches wird möglich! Gerade diese dem Trickfilm innewohnende Möglichkeit macht ihn zu einem Medium, das Kindern genau entspricht. Es stellt die magische, die beseelte (anima = Seele, animieren = beseelen) Welt dar, macht sie sichtbar. Formen des Trickfilms Es gibt unterschiedliche Formen von Trickfilmen. Sie werden je nach Art ihrer „Darsteller“, den zu filmenden Objekten, in 2-D-Animationen und 3-D-Animationen unterschieden. Diese Unterscheidung hat zunächst nichts mit der späteren Darstellung im Kino als 2-D oder 3-D Film zu tun. Der Begriff der 2-D-Animation umfasst: ● Zeichentrickfilm – die „Darsteller“ werden gezeichnet ● Flachfigurenfilm (Legetrickfilm, Silhouettenfilm) – ausgeschnittene, flache (Papier-) Objekte werden auf horizontaler Fläche Bild für Bild bewegt Den zweidimensionalen Trickfilm gibt es seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Franzose Emile Cohl gilt mit dem Film „Fantasmagorie“ von 1908 als Erfinder der gezeichneten Animation. Im Laufe des Jahrhunderts dominieren die Filme des Amerikaners Walt Disney, dessen Name fast synonym für den Zeichentrickfilm gebraucht wurde. © JugendKulturService | VISION KINO| Sabine Genz Seite |9 Der Begriff der 3-D-Animation umfasst ● Modellanimation – Bewegen von Gegenständen ● Puppentrick – Bewegen von Puppen. Hierzu gehören auch Knetfilm und Brickfilm (das Animieren von Legosteinen) ● Computeranimationen (wird hier nicht weiter erläutert) Bei der 3-D-Animation – mit Ausnahme der Computeranimation, die das Dreidimensionale nur simuliert – werden statt zweidimensionaler Zeichnungen dreidimensionale Modelle/Objekte animiert. Die Modelle, Puppen, Knetfiguren, Alltagsgegenstände etc. werden bei ausgeschalteter Kamera minimal bewegt bzw. verändert. Das veränderte Bild wird dann aufgenommen. Dieses Verfahren nennt man „Stop-Motion-Animation“. Die 3-D-Animation ist die früheste Form des Trickfilms. In ihren Ursprüngen war sie oftmals eine in den Realfilm eingebaute „Wundergeschichte“: Der Film „El Hotel Eléctrico“ des Spaniers Segundo de Chomón von 1905 erzählt von Möbeln, die sich in einem Hotel selber umstellen. Der Legetrick ist für die Arbeit mit Kindern sehr gut geeignet. Sein Name bezieht sich auf das Arbeitsverfahren. Die Filmobjekte werden auf einer Horizontalen gelegt, d.h. bewegt und abfotografiert. Der Legetrick gehört zur Gattung der „Flachfigurenfilme“. Aber auch dreidimensionale, allerdings sehr flache Objekte können die „Filmdarsteller“ sein: Gemalte Figuren, Streichhölzer, auch Papierschnipsel, Radiergummis, Wäscheklammern und vieles mehr eignen sich als Filmstar. Mehrere Kinder gleichzeitig können am Tricktisch die Objekte bewegen. Im Vergleich zu anderen Trickfilmverfahren, die aufwändiges Herstellen oder Zeichnen von Figuren und Hintergründen verlangen, kommt man mit dem Legetrickverfahren zu schnellem Erfolg. Das Prinzip des Trickfilms wird klar deutlich. Und auch Büroklammern können aufregende Geschichten erzählen. Das erfordert natürlich einiges an Zeit für Planung, Vorbereitung und Durchführung. Im Internet finden sich eine Reihe von Websites mit nützlichen Tipps. Eine hilfreiche Schritt-für-Schritt Anleitung hat beispielsweise der Grafiker Andreas Pfeifle auf seiner Homepage gestellt: http://www.grafik-etc.de/page_fullstory.php?id=23 Arbeitsaufgaben • Welche Geschichten eignen sich deiner Meinung nach besonders für einen Trickfilm? Warum ist gerade die Geschichte über den Piratenkapitän und seine Crew geeignet für einen Trickfilm? • Was können Trickfiguren einfach besser als lebendige Schauspieler? © JugendKulturService | VISION KINO| Sabine Genz S e i t e | 10 Animation mit Knetfiguren Die Piraten! – Ein Haufen merkwürdiger Typen besticht durch eine ganz eigenständige Ästhetik, die aus den Sehgewohnheiten herausfällt und so zu einem außergewöhnlichen Seherlebnis für Kinder wird. Der Film wurde fast ausschließlich liebevoll per Hand animiert und ist entsprechend aufwändig herzustellen. Fakten über den Film: Die Piraten und anderen Figuren des • Das Filmteam bestand aus 525 Mitgliedern, Films wurden aus einer speziellen darunter 33 Animatoren und 41 Dreh-Teams in 4 Plastillin-Knetmasse, teils auch Studios Silikon und/oder Schaumlatex • Jeder Animator hat pro Woche durchschnittlich 4 geformt und im „Stop-MotionSekunden fertigen Film animiert Verfahren“ animiert. Dabei werden • 70 Puppenbauer arbeiteten an dem Film und sie millimeterweise bewegt oder schufen 250 Figuren für 112 unterschiedliche verformt oder ihr Gesichtsausdruck Charaktere (von den Hauptprotagonisten gibt es wird langsam und vorsichtig immer mehrere Figuren, damit verschiedene verändert, damit ein natürlich Szenen parallel gedreht bzw. vorbereitet werden wirkender Ablauf entsteht. Im können. So gab es allein 20 Figuren des Piratenkapitäns). Unterschied zur Puppenanimation, • Das 4,27m lange und 4,57m hohe Schiff ist die mit fertigen Objekten arbeitet, handgemacht und besteht aus 44.569 Einzelteilen. erlaubt die Knetanimation unendlich Es dauerte 5.000 Arbeitsstunden, es zu bauen und viele Metamorphosen, bei denen die wiegt 350 kg. Objekte sich unendlich verwandeln • Besonders arbeitsaufwändig sind Massenszenen können (Morphing). Königin Viktoria zu animieren. Die Szene in der Bar zu Beginn des z.B. muss einige dieser extremen Film hat allein 18 Monate Produktionszeit in Verwandlungen über sich ergehen Anspruch genommen lassen. • Für die Requisiten kann man nicht einfach in den Fundus gehen. Zuvor muss alles gezeichnet und Es ist daher wichtig, dass die dann von Requisitenbauern angefertigt werden. Figuren sich leicht bewegen lassen Für Die Piraten!... wurde sogar ein Extraund dann in genau der Position Glasbläser beschäftigt, der Weingläser, Flaschen, bleiben, in die sie bewegt wurden. Lampenschirme und anderes herstellte. Die Deshalb haben sie ein Stahlskelett, Ausstattung gibt auch viel Gelegenheit für das ihnen Stabilität verleiht. beiläufige Witze: Was auf den Plakaten steht, wie die Tavernen am Kai heißen, dass sich in der Um die Figuren möglichst Schatzkammer der Königin goldene Statuen von naturgetreu zu animieren, spielen Wallace und Gromit und Shaun, dem Schaf zunächst Schauspieler die Szenen. befinden, ist nicht nur für die Zuschauer ein großes Die Animatoren studieren die Vergnügen. Aufzeichnungen des sogenannten © JugendKulturService | VISION KINO| Sabine Genz S e i t e | 11 „live action video rehearsal“ ganz genau und versuchen, Gestik, Mimik, das Rudern der Arme, die Laufbewegungen usw. so exakt wie möglich nachzumachen und perfekt zusammenzusetzen. Eine der schwierigsten Szenen war, als der Piratenkapitän und Darwin betrunken auf die Kamera zulaufen, weil jede Bewegung der einen Figur sich auf den Bewegungsablauf der anderen auswirkt, berichtet der ein Animator. Unterstützt wurde die Knetanimation an manchen Stellen durch Computeranimation, wie etwa für das Wasser, das man im Stop-Motion-Verfahren nicht befriedigend herstellen kann. Sprechende Knete Ein Sekunde Film besteht aus 24 Einzelbildern. Für das Abenteuer um den Piratenkapitän mussten also mehr als 129.000 Einzelbilder erstellt werden. Einen einzigen Satz mit den entsprechenden Mundbewegungen zu filmen, konnte leicht einen gesamten Tag und mehr in Anspruch nehmen. Noch mehr Zeit würde es kosten, wenn der Mund einer Figur nach und nach verformt werden müsste. Deshalb benutzen die Animatoren viele verschiedene vorgeformte Münder. D.h., der komplette untere Bereich des Gesichts mit dem Mund wird ausgetauscht und mit Magneten am oberen Teil des Kopfes befestigt. Eine komplette Abteilung mit Synchron-Animatoren hat dafür zuvor festgelegt, welche Münder gebraucht werden. Jede Mundstellung wurde zunächst am Computer komplett mit Zähnen und Zunge entworfen, mit einem 3D Drucker ausgedruckt und schließlich aus Kunstharz geformt. Der Piratenkapitän hat allein 257 verschiedene Münder! Nicht aus den Aardman-Studios, sondern aus einem Trickfilm-Workshop 2007: Münder einer Figur Arbeitsaufgaben • Erstellt ein Cluster rund um den Begriff „Knetanimation“. Dazu schreibt ihr das Wort in die Mitte eines Blatt Papiers und notiert rundherum alle möglichen anderen Begriffe, Schlagwörter, Eigenheiten usw., die euch dazu einfallen • Welche anderen Knetanimationsfilme kennt ihr aus dem Fernsehen oder aus dem Kino? • Der Piratenkapitän ist sehr stolz auf seinen rauschenden Bart. Male ein Bild, zu welchen praktischen Dingen im Leben er ihn einsetzen könnte! © JugendKulturService | VISION KINO| Sabine Genz S e i t e | 12 Nützliche Links Homepage des deutschen Verleihs http://www.piraten-derfilm.de/ Homepage der Aardman Studios, die auch die Schöpfer von „Wallace und Gromit“ und „Shaun, dem Schaf“ sind www.aardman.com Kritikensammlung auf filmz.de http://www.filmz.de/film_2012/die_piraten_ein_haufen_merkwuerdiger_typen/links.htm Anleitung für einen Stop-Motion-Animationsfilm http://www.grafik-etc.de/page_fullstory.php?id=23 Literaturhinweis Rolf Giesen: Lexikon des Trick- und Animationsfilms. Berlin 2003 Impressum Herausgeber: Autorinnen: Redaktion: Bildnachweis: JugendKulturService gGmbH und Vision Kino g GmbH – Netzwerk für Film- und Medienkompetenz Sabine Genz, Regina Voss Michael Jahn (VISION KINO) Sony Pictures Das vorliegende Heft entstand im Rahmen der SchulKinoWochen Berlin 2012 SchulKinoWochen ist ein Projekt von VISION KINO in Kooperation mit zahlreichen Partnern unter Beteiligung der Bildungs- und Kultusministerien der Länder und der Filmwirtschaft. Die SchulKinoWochen Berlin werden gefördert vom Medienboard Berlin-Brandenburg, der Filmförderungsanstalt und dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. www.schulkinowochen.de www.schulkinowochen-berlin.de www.jugendkulturservice.de www.visionkino.de Kontakt: SchulKinoWochen Berlin c/o JugendKulturService gGmbH Obentrautstr. 55 10963 Berlin Tel: 030-2355 62 18 Fax: 030-2355 6233 [email protected] © JugendKulturService | VISION KINO| Sabine Genz S e i t e | 13
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