ist mein kind krank?

ratgeber für eltern
ist mein kind krank?
ADHS, Asthma oder Entwicklungsverzögerungen – vom Säuglingsalter bis zur Pubertät
gibt es viele Themen, die Eltern Sorgen machen. Aber es gibt auch beruhigende Antworten
Szene mit Models nachgestellt
und vernünftige Ratschläge.
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ie gute Nachricht: Die meisten Kin-
kann schon …«, »Im Kindergarten sehe ich,
»ADHS ist in manchen Schulen zu einer
der sind gesund. 95 Prozent aller El-
was die anderen Kinder bereits können…«
Art Modediagnose geworden, alle mögli-
tern beurteilen die Gesundheit ihrer Kinder
– auf besorgte Reaktionen dieser Art kön-
chen
als gut oder sogar sehr gut. Nur drei Prozent
nen die Ärzte in den meisten Fällen die be-
›schwierigen Kinder‹ bekommen die Diag-
sagen, dass ihre Kinder gesundheitliche
ruhigende Antwort geben, dass Kinder sich
nose ins Heft geschrieben«, meinen die
Probleme haben, die den Alltag beeinträch-
sehr unterschiedlich entwickeln.
Ärzte Herbert Renz-Polster, Nicole Menche
D
Probleme
und
alle
möglichen
tigen. Das ergab eine repräsentative Umfra-
Kinderärzte achten bei allen Vorsorge-
und Arne Schäffler in ihrem Ratgeber »Ge-
ge, die das Forsa-Institut im Sommer 2015
untersuchungen darauf. Manche Kinder
sundheit für Kinder«. Anzeichen für ADHS
bundesweit durchführte. Die Antworten le-
lernen früh laufen, aber spät sprechen, an-
sind Überaktivität, eine kurze Aufmerk-
gen nahe, dass die Erwachsenen gelassener
dere
Durch-
samkeitsspanne und starke Impulsivität
werden: Deutlich mehr Eltern als bei der
schnittswerte sagen wenig aus. Es gibt
im Sinne von Erregbarkeit und Wutausbrü-
letzten Befragung dieser Art vor sieben Jah-
eine große Bandbreite, ohne dass eine
chen. Zwischen fünf und 15 Prozent der
ren sind der Auffassung, »dass Kinder ro-
Krankheit oder Behinderung hinter der
Kinder sollen betroffen sein, Jungen we-
buster sind als man denkt«.
umgekehrt.
Statistische
relativ langsamen Entwicklung steckt. Das
sentlich häufiger als Mädchen. Insgesamt
Trotzdem ist bei vielen Eltern die Sorge
gilt auch beim Sprechen lernen. »Je früher,
hat sich die Zahl der ADHS-Diagnosen in
da, dass die eigenen Kinder Gesundheits-
desto besser« ist jedenfalls kein Maßstab
den vergangenen 20 Jahren vervielfacht.
probleme durch verzögerte Entwicklung,
für Gesundheit oder gar Intelligenz von
Asthma, Neurodermitis oder Aufmerk-
Kindern.
samkeitsdefizite (ADS) in Verbindung mit
Dabei ist jedoch unklar, ob tatsächlich
die Zahl der kranken Kinder ansteigt oder
nur die Zahl der Diagnosefälle, zumal
Hyperaktivität (ADHS) bekommen könn-
diagnose adhs
ADHS als eine der am schwierigsten zu di-
ten. Die Sorgen sind nachvollziehbar, zu-
Ähnliches gilt auch für »schwierige Kin-
agnostizierenden und abzugrenzenden
mal Allergien, Ernährungsprobleme und
der«, die allzu oft die Diagnose ADHS er-
Krankheiten bei Kindern gilt. Schwierige
Verhaltensfragen in der öffentlichen Dis-
halten (»Zappelphilipp-Syndrom«). ADHS
Phasen und störendes Verhalten sind auch
kussion eine große Rolle spielen. Vor allem
hat sich zu einem Angst-Thema entwi-
bei gesunden Kindern nicht unbekannt.
bei Säuglingen und Kleinkindern sind viele
ckelt, bei dem viele Fragen nach wie vor of-
Und auch hier gilt wie bei dem Entwick-
Eltern verunsichert, ob sich ihr Kind auch
fen sind: Ist Hyperaktivität erblich oder so-
lungstempo von Kindern: Es gibt eine gro-
Woran liegt es, wenn Kinder Probleme in der Schule oder Konzentrationsschwächen haben?
wirklich unproblematisch entwickelt: Sind
zial bedingt? Wie soll man beurteilen, ob
ße Vielfalt und Bandbreite. »Ist Ihr Kind
Größe und Gewicht normal? Lernt es recht-
Kinder nur verträumt sind oder ADS haben,
sehr unruhig, wenig konzentriert und sehr
zeitig sitzen, krabbeln, laufen? Wie und
ob unruhige Kinder in einer problemati-
reizbar, fragen Sie sich zuerst, ob Ihr Kind
wann lernt das Kind zu sprechen, wie ver-
schen Phase sind oder ADHS haben? Und
genügend Bewegungsmöglichkeiten hat
läuft die soziale Entwicklung, wie gut ist es
vor allem – brauchen diese Kinder Medika-
und diese auch wahrnimmt«, empfiehlt
dann später in der Schule?
mente wie Ritalin oder eine andere, indivi-
der Ratgeber »Gesundheit für Kinder«.
Kinderärzte kennen die Ängste der El-
duelle Hilfe? Darüber wird auf Elternaben-
»Nur wenn die Erscheinungen über einen
tern unter dem Stichwort Entwicklungs-
den, in den Arztpraxen und in den Medien
längeren Zeitraum zu beobachten sind
verzögerung. »Das Kind meiner Freundin
heftig diskutiert.
und nicht nur Sie, sondern auch andere
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stören, besteht der Verdacht auf ein
cher Langzeitfolgen (wie Tablettensucht)
tionszwang unter Druck, die Psychopillen
ADHS.« Eine ärztliche Diagnose auf ADHS
und aus grundsätzlichen Erwägungen:
einzusetzen. Stattdessen, so plädieren die
setzt zudem voraus, dass ein auffallend un-
Werden allzu viele Kinder mit Psychophar-
Buchautorinnen,
ruhiges und störendes Verhalten über ei-
maka ruhiggestellt, deren soziale Auffäl-
Schwierigkeiten die psychosozialen Grün-
nen längeren Zeitraum und in verschiede-
ligkeit besser mit anderen therapeuti-
de ermittelt werden, die zu Verhaltens-
nen Umgebungen (beispielsweise in der
schen Mitteln zu behandeln wäre?
auffälligkeiten führen.
psychopillen
Renz-Polster, Menche und Schäffler in ih-
Schule ebenso wie zu Hause und unter
Freunden) auftritt.
sollten
bei
Differenzierter äußern sich die Ärzte
Mit heftigem Für und Wider wird auch
Es ist immer leichter, ein Rezept über den
rem Gesundheitsratgeber. Sie empfehlen
über entsprechende Behandlungsmög-
Tisch zu schieben und Medikamente ein-
grundsätzlich erst einmal erzieherische
lichkeiten diskutiert, insbesondere über
zusetzen, als die Kinder in ihrer umfassen-
und therapeutische Maßnahmen: klare
den Einsatz von Medikamenten wie Rita-
den Lebenssituation zu betrachten und die
Grenzen und Strukturen, Reizüberflutung
lin. Es gibt viele Eltern und Lehrer, die keine
gestiegenen Leistungsanforderungen in
verringern, ausreichend Bewegung und
andere Möglichkeit sehen, den Kindern zu
betracht zu ziehen, kritisieren die Journa-
Schlaf, Unterstützung der Persönlichkeit
helfen. Nur mit Ritalin (das bei Gesunden
listinnen Beate Frenkel und Astrid Rande-
des Kindes. Aber wenn bei schwer betroffe-
die Aktivität ankurbelt, ADHS-Kinder dage-
rath in ihrem neuen Buch »Die Kinder-
nen Kindern schon ein Teufelskreis aus Ver-
gen beruhigt) seien viele Kinder in der
krankmacher«. Sie klagen die Pharmaun-
haltensstörungen und sozialen Folgepro-
Lage, mit sich selbst klarzukommen und
ternehmen an, aus den Verhaltensauf-
blemen entstanden ist, »kann Ritalin ein
mit anderen sozialverträglich umzugehen.
fälligkeiten von Kindern ein Geschäft zu
Segen sein«, urteilen die Ärzte.
»Wer
Auf der anderen Seite die gibt es vielfäl-
machen. Die Verordnung von Ritalin sei
Medikamente gegen ADHS in Bausch und
tige Kritik an Ritalin wegen kurzfristiger
in zwei Jahrzehnten um das 40-fache
Bogen ablehnt, hat noch nie ein schwer
Nebenwirkungen (Appetitmangel, Angst-
gestiegen. Eltern, Lehrer und Ärzte gerie-
betroffenes Kind vor und nach Einleitung
zustände, Schlaflosigkeit), wegen mögli-
ten angesichts von Leistungs- und Perfek-
der Behandlung beobachtet!« ■
lese-tipps
Unbeschwerte Lebenslust Kinderärzte empfehlen
ausreichend Bewegung.
Herbert Renz-Polster,
Nicole Menche, Arne
Schäffler: Gesundheit
für Kinder. Moderne
Medizin, Naturheilverfahren, Selbsthilfe.
528 Seiten, 29,95 €,
Kösel Verlag München 2015.
Beate Frenkel, Astrid
Randerath: Die Kinderkrankmacher.
Zwischen Leistungsdruck und Perfektion.
256 Seiten, 19,99 €,
Herder Verlag München 2015.
Dr. Jan Vagedes,
Georg Soldner:
Das Kindergesundheitsbuch. Ganzheitlich vorbeugen
und heilen.
416 Seiten, 29,99 €,
Gräfe und Unzer Verlag
München 2015.
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