offenen Brief - und Sehbehindertenverband Thüringen

BSVT e.V., Postfach 2113 99402 Weimar
Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales,
Gesundheit, Frauen und Familie
Frau Ministerin
Heike Werner
Werner Seelenbinder-Str. 6
99096 Erfurt
Landesvorsitzender
09.11.2015
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Unser Schreiben
Datum
Offener Brief an die Ministerin Frau Heike Werner, des Thüringer Ministerium
für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie (TMASGFF)!
Info zur Vorbereitung der 92. ASMK (Arbeits- und Sozialministerkonferenz) am
18. und 19. November in Erfurt.
Sehr geehrte Frau Ministerin Heike Werner,
gestatten Sie mir einige kurze Hinweise in Vorbereitung o.g. ASMK zu geben. Unser
Dachverband DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband) informierte in
der letzten Verwaltungsratssitzung u.a. über die Situation zur Einführung des
Bundesteilhabegeldes und dem Merkzeichen für Taublinde.
1. Mit dem Bundesteilhabegesetz eine bundesweit einheitliche gerechte
Blindengeldlösung und letztendlich einheitliches Bundesteilhabegeld für
alle Betroffenen schaffen!
Kurzer Rückblick für Thüringen:
Voraussetzung für die Inklusion behinderter Menschen ist die soziale
Sicherstellung. Der Nachteilsausgleich Blindengeld ist daher unentbehrlich.
Ab 1992 erhielten die blinden Menschen in Thüringen ein monatliches
Blindengeld von 600 DM. Dynamisierung und Anpassung ans Bundesniveau war
vorgesehen, so dass in den Jahren 1997 bis 2001 bereits 1050 DM bzw. 544 €
gezahlt wurden. Danach erfolgte eine schrittweise Absenkung bis zur völligen
Streichung in den Jahren 2006 und 2007. Leider konnten wir dies trotz zahlreicher
Gespräche auf allen politischen Ebenen, sowie öffentlich wirksamen Aktionen bis
BSVT
Landesvorsitzender
Joachim Leibiger
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hin zur Großdemonstration am 08.10.2005 mit etwa 5000 Teilnehmern nicht
verhindern. Die Unterstützung des DBSV, sowie die Solidarität der blinden
Menschen aus allen Bundesländern dürfen hier nicht unerwähnt bleiben. Seit
2008 gibt es wieder Landesblindengeld. Die derzeitige Höhe von 270 € deckt aber
bei weitem nicht den Bedarf.
Die Erhöhungszusagen unserer jetzigen Landesregierung wären ein notwendiger
Schritt zur Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen, aber auch eine
Bereinigung des erfahrenen Unrechts durch die alte Landesregierung.
Für uns ist und bleibt aber das Hauptanliegen gemeinsam mit den
Behindertenverbänden ein Bundesteilhabegeld entsprechend der Bedarfe für alle
Behinderten durchzusetzen.
Der Verwaltungsrat (die Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe der
Bundesländer) des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV)
fordert die Bundesregierung auf, im Rahmen der Schaffung des
Bundesteilhabegesetzes eine Geldleistung vorzusehen, damit endlich alle
blinden, hochgradig sehbehinderten und taubblinden Menschen in Deutschland
einen angemessenen bundes-einheitlichen und damit gerechten
Nachteilsausgleich zur Deckung ihrer spezifischen behinderungsbedingten
Mehrbedarfe erhalten.
Dabei müssen folgende Grundsätze gelten:
Die Teilhabegeldleistung muss einen der heutigen Blindenhilfe vergleichbaren
Charakter – insbesondere hinsichtlich des typisierenden Zugangs zu dieser
Leistung, der Art der Mittelverwendung, ihres Verwendungszwecks, und der
Dynamisierung haben.
Die in den Landesblindengeldregelungen bewährte Leistungsgewährung ohne
Anrechnung von Einkommen und Vermögen muss auf die Bundeslösung
übertragen werden.
Die pauschaliert zu erbringenden Leistungen müssen am Bedarf orientiert
gestaffelt werden. Für den Bedarf bei Blindheit bedeutet dies, dass die Höhe der
Geldleistung der ungekürzten Blindenhilfe gem. § 72 SGB XII entsprechen muss,
denn dieser Betrag unterliegt den sehr engen Vorgaben des Sozialhilferechts und
bildet damit das Minimum des Mehrbedarfs blinder Menschen bei der Teilhabe
am gesellschaftlichen Leben ab. Daran anschließend ist die Hilfe bei
hochgradiger Sehbehinderung, wie zum Beispiel in Hessen geregelt, mit 30 %
des bei Blindheit gewährten Betrages angemessen berücksichtigt. Der Bedarf bei
Taubblindheit ist wegen der besonders großen Auswirkungen auf die Teilhabe
mindestens in zweifacher Höhe des bei Blindheit gewährten Betrages
anzusetzen.
Für Bereiche, in denen ein Höchstmaß an Individualität bzw. Zielgenauigkeit
gefragt ist (zum Beispiel bei den Fachleistungen zur beruflichen Eingliederung)
sowie in Fällen, in denen aufgrund der Besonderheit des Einzelfalles (zum
Beispiel wegen des Ausmaßes und der Auswirkungen der Behinderungsfolgen)
den Betroffenen mit einer pauschalierten Leistung nicht im erforderlichen Umfang
Rechnung getragen werden kann, kann und muss es darüber hinaus weiterhin im
Rahmen des Bedarfsdeckungsprinzips individuell erforderliche Teilhabeleistungen
geben.
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Die bundesweit einheitliche gerechte Blindengeldlösung kann entweder im
Rahmen einer für alle Menschen mit wesentlichen Teilhabebeeinträchtigungen
vorzusehenden Geldleistung „mitgedacht“ werden, im Rahmen des neuen
Teilhaberechts als budgetierte Leistung bzw. als eigener Leistungsanspruch
ausgestaltet werden oder schlicht im Rahmen einer Reform der Blindenhilfe gem.
§ 72 SGB XII Berücksichtigung finden.
Warum braucht jeder blinde Mensch eine finanzielle Unterstützung?
Die fehlende visuelle Wahrnehmung hat eine massive Teilhabeeinschränkung in
nahezu allen Lebensbereichen zur Folge. Sehverlust bedeutet eine deutliche
Einschränkung der Orientierungsfähigkeit und damit der eigenständigen Mobilität.
Gleichzeitig ist der Zugang zu Informationen jeglicher Art erheblich erschwert, teilweise gänzlich ausgeschlossen. Zeitung, Post oder Bücher lesen, beim Einkaufen
die Produkte oder Preise erkennen, den Haushalt selbstständig führen, einen
Beruf ausüben, die digitale Welt nutzen, die nonverbale Kommunikation Anderer
deuten, sich eigenständig in fremder Umgebung zurechtfinden – sei es in einer
anderen Stadt, im Urlaub oder auch nur im Park um die Ecke – all das geht ohne
sehen zu können gar nicht oder nur sehr eingeschränkt. Ein hohes Maß an
individueller Assistenz, allgemeine Unterstützung, der Einsatz spezieller
Hilfsmittel und ein damit verbundener erheblicher finanzieller Aufwand sind daher
unvermeidbar.
Warum Bund und Länder endlich aktiv werden müssen:
Parallel zum System der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen hat sich in
den vergangenen Jahrzehnten ein sehr spezielles „Blindengeldsystem“ entwickelt
bestehend aus Landesleistungen und nachrangiger im Sozialhilferecht
verankerter Blindenhilfe gem. § 72 SGB XII. Diese beiden Leistungen sind es im
Wesentlichen, die blinde Menschen für die Deckung ihrer zahlreichen
Mehraufwendungen, Assistenzleistungen und Hilfsmittel einsetzen. Im Vergleich
zu anderen Gruppen behinderter Menschen ist es nicht zuletzt dank dieser
Geldleistungen so, dass nur sehr wenige blinde Menschen in teuren
Einrichtungen der Behindertenhilfe leben müssen.
Eine besondere Relevanz kommt dabei bislang den Leistungen der Länder – dem
sog. Landesblindengeld – zu. Im Rahmen freiwilliger sozialer Leistungen
erbringen sie den Löwenanteil der Hilfen an blinde Menschen, was wir durchaus
zu schätzen wissen. Seit langem haben sich die Rahmenbedingungen allerdings
deutlich verändert, was zu folgenden Problemen führt:
•
Die letzten Jahre waren von ständigen Auseinandersetzungen um den
Erhalt der Landesleistungen für blinde Menschen geprägt. Gipfel der
Einsparungen war die vorübergehende Abschaffung des
Landesblindengeldes in Niedersachsen, die zur Folge hatte, dass sich die
Ausgaben der Sozialhilfe als nachrangiges Unterstützungsnetz schlagartig
verzehnfachten, während ihr Rückgang so langsam verläuft, dass sie acht
Jahre nach Wiedereinführung des Blindengeldes immer noch
viereinhalbmal so hoch wie zuvor sind.
•
In Folge massiver und durchweg finanzpolitisch motivierter Kürzungen
fallen die Blindengeldleistungen in einigen Bundesländern mittlerweile so
gering aus, dass diese nicht annähernd die hohen blindheitsbedingten
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Bedarfe abzudecken vermögen. So wird etwa in Brandenburg und
Thüringen nur noch ein monatlicher Betrag von rund 270 € ausbezahlt.
Damit kann unter Berücksichtigung des Mindestlohns nicht einmal eine
Stunde individueller Unterstützung täglich finanziert werden, sonstige
behinderungsbedingte Mehraufwendungen, wie Hilfsmittel, Taxifahrten
etc., nicht mitgerechnet.
•
Die Landesblindengelder sind in Bezug auf die Höhe der gewährten
Leistungen mittlerweile extrem unterschiedlich – trotz bundesweit gleicher
Bedarfslagen blinder Menschen. Es sind keine bundeseinheitlichen
Lebensbedingungen mehr gewährleistet. So beträgt das
Landesblindengeld in fünf der 16 Bundesländer weniger als die Hälfte des
Betrages der Blindenhilfe, wie sie durch § 72 SGB XII vorgesehen ist.
Unter 18-jährige erhalten in manchen Ländern nur 25 % der Leistungen
anderer Länder. In Heimen gibt es Blindengeld von 0 Euro bis zur Hälfte
des Blindenhilfesatzes.
•
Mit Schaffung der neuen Länder wurden auch dort Blindengeldleistungen
ein-geführt. Nach 25 Jahren sind diese jedoch immer noch nicht an die
Leistungen der alten Länder angeglichen. Die neuen Länder liegen im
Vergleich beinahe ausnahmslos im letzten Drittel, ihre Leistungen betragen
im Schnitt nur 70 % der Unterstützung in den alten Ländern.
•
Unbestritten ist, dass auch hochgradig sehbehinderte Menschen, die an
der Schwelle zur Blindheit stehen, sowie taubblinde Menschen, die wegen
der fehlenden Kompensationsmöglichkeit durch das Gehör in ganz
besonderem Maße beeinträchtigt sind, einen erheblichen
behinderungsbedingten Mehrbedarf haben. Trotzdem sind nur in einem
Teil der Landesgesetze spezifische Leistungen für taubblinde und
hochgradig sehbehinderte Menschen vorgesehen.
•
Schließlich sind die Landesgesetze in Bezug auf innerdeutsche
Grenzüberschreitungen nicht harmonisiert, was dazu führt, dass Betroffene
nach ihrem Umzug von einem in ein anderes Bundesland in manchen
Fällen überhaupt keine Leistungen mehr erhalten.
Aus diesen Gründen besteht dringender Handlungsbedarf zur Schaffung eines
bundeseinheitlichen, rechtssicheren, den spezifischen Bedarf angemessen
berücksichtigenden und damit gerechten Nachteilsausgleichs. Entsprechende
Regelungen dürfen im Rahmen des neuen Teilhabegesetzes keinesfalls
unberücksichtigt bleiben, denn nur so gibt es die Chance auf ein gerechtes
Teilhabegesetz auch für blinde, hochgradig sehbehinderte und taubblinde
Menschen.
Wie kann der Nachteilsausgleich finanziert werden?
Mit Einführung eines durch den Bund finanzierten Nachteilsausgleichs für blinde,
hochgradig sehbehinderte und taubblinde Menschen in der beschriebenen Höhe
ergibt sich eine jährliche Entlastung der Länder und Kommunen von bis zu rund
550 Mio. €. Das sind zurzeit die jährlichen Haushaltsansätze für die
Landesblindengeld- und Blindenhilfeleistungen. Zusätzlich zu diesem möglichen
kostenneutralen Finanztransfer entstehen dem Bund durch die an der Höhe der
Blindenhilfe ausgerichtete und damit den behinderungsbedingten
Unterstützungsbedarf abbildende Ausgestaltung der Bundesleistung
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Mehrbelastungen i. H. v. rund 200 Mio. €. Eine neue Ausgabendynamik wird
dadurch aber nicht generiert. Zum einen würden durch ein Bundesteilhabegeld,
wie es hier vorgeschlagen wird, lediglich die durch die Haushaltssituation der
Länder verursachte, aber keinesfalls mit dem behinderungsbedingten
Mehrbedarfen in Einklang stehende Kürzung der Blindengelder korrigiert und es
würde bundesweit einheitlich die Teilhabeeinschränkung in dem erforderlichen
Maße für alle Betroffenen am behinderungsbedingten Bedarf orientiert
ausgeglichen. Zum anderen werden die Ausgaben des Bundes perspektivisch
wieder sinken, da ein stetiger Rückgang gesetzlich blinder Menschen von derzeit
rund 2 % jährlich zu verzeichnen ist.
2. Einführung Merkzeichen „Taubblind“
Die Selbsthilfe hat das Merkzeichen 2007 erstmals gefordert.
Im November 2012 hat die ASMK einstimmig gefordert, dass ein Merkzeichen
eingeführt werden soll.
Der aktuelle Koalitionsvertrag auf Bundesebene sieht vor, der besonderen
Situation Taubblinder besser gerecht werden zu wollen.
Beim Verbandstag des DBSV im Mai 2014 in Berlin hat Staatssekretärin
Lösekrug-Möller im Auftrag von Sozialministerin Nahles zugesagt, dass ein
Merkzeichen für Taubblinde eingeführt werden wird.
Bei einem Taubblindenkongress in Potsdam im September 2014 hat Herr
Rombach vom BMAS zugesichert, dass das Merkzeichen ab 2016 gelten wird.
In einem Brief an den DBSV hat dies Frau Lösekrug-Möller im Auftrag von Frau
Nahles noch einmal bekräftigt.
Derzeit ist eine Ärztegruppe damit beauftragt, Grenzen für Taubblindheit zu
erarbeiten, die für das Merkzeichen gelten sollen. Diese Gruppe hat seit einem
Jahr nicht mehr getagt.
Die Einführung des Merkzeichens ist somit im Moment nicht in Sicht.
Soweit einige Hinweise, mit der Bitte um Durchsetzung gegenüber dem Bund.
mit freundlichen Grüßen
Joachim Leibiger
Landesvorsitzender
Blindsein ist in ganz Deutschland gleich. Warum nicht auch das Blindengeld ?
Anmerkung:
Offener Brief, veröffentlicht auf der Internetseite des BSVT unter: www.bsvt.org
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