Joy freut sich über die Blumen im Garten der Blindenschule Blindenschule Zollikofen Kompetenzzentrum für Sehförderung Neue Räume für blinde und sehbehinderte Kinder INHALT Ständerat Hans Stöckli 3 Stiftungsrat Adrian Lerf 4 Geschichte der Blindenschule 5 Begegnung mit den Kindern 6 Sanierungs- und Bauprojekte 11 Ein Lehrer erzählt 16 Eine Mutter erzählt 18 Direktor Christian Niederhauser 21 Das Patronatskomitee 22 Kontakte23 HANS STÖCKLI PRÄSIDENT DES PATRONATSKOMITEES STÄNDERAT KANTON BERN 2|3 Liebe Leserinnen, liebe Leser Diese Lebensliebe! Wer in Zollikofen durch die Schulund Internatsräume geht, begegnet ihr auf Schritt und Tritt. Es ist berührend, wie diese Ausstrahlung auch Kindern mit schwersten Behinderungen ins Gesicht geschrieben ist. Sie ist für mich eine starke Motivation, mich für die dringend anstehenden Massnahmen der Blindenschule Zollikofen einzusetzen. Es ist die schweizweit älteste Einrichtung für blinde und sehbehinderte Kinder: Seit knapp 180 Jahren fördert und begleitet sie junge Menschen von Geburt bis zum Abschluss der ersten beruflichen Ausbildung: mit einer hochspezialisierten Schule und mehreren Wohngruppen. Zunehmend ist die Stiftung aber zu einer Institution geworden, die sich nicht nur blinden und sehbehinderten Kindern widmet, sondern vor allem auch Kindern und Jugendlichen mit zusätzlich schwersten Mehrfachbehinderungen. Heute stammt die Hälfte der über 80 Kinder aus dieser Gruppe und knapp ein Drittel der stationären Kinder ist auf einen Rollstuhl oder eine Mobilitätshilfe angewiesen. Diese Kinder sind nicht nur sehbehindert, sondern haben zusätzlich noch eine körperliche oder mentale Beeinträchtigung: Sie können nicht gehen, sind mit Trisomie 21 zur Welt gekommen oder mit einer schweren Autismusstörung. Für sie ist besonders hinderlich, dass die Infrastruktur der Schul- und Wohnräume stark veraltet und in weiten Zügen noch auf blinde Kinder ohne zusätzliche Behinderungen ausgelegt ist. Manche Wege kommen einem Hindernislauf gleich: Es gilt Treppen und Absätze zu überwinden, viel zu enge Türen zu passieren, die Klassenzimmer sind für mehrere Elektrorollstühle viel zu klein, in den Wohngruppen teilen sich bis zu vier Kinder ein Zimmer. Dass dringender Sanierungsbedarf besteht, wird beim ersten Augenschein deutlich. Die kantonalen Behörden stehen der Gesamtplanung denn auch äusserst positiv gegenüber, doch muss die Blindenschule die Projekte zu einem bedeutenden Teil selber finanzieren. So möchte ich Sie von Herzen um Ihre Mithilfe bitten. Wir müssen alles daran setzen, die Lebensfreude der Kinder in Zollikofen mit Angeboten aufrechtzuerhalten, die dem Stand ihrer Behinderung und der heutigen Zeit entsprechen. Hans Stöckli ADRIAN LERF PRÄSIDENT DER STIFTUNG FÜR BLINDE UND SEHBEHINDERTE KINDER UND JUGENDLICHE ZOLLIKOFEN Die Welt verändert sich, Bedürfnisse wandeln sich, und auch die Art und Weise, wie blinde, seh- und mehrfachbehinderte Kinder und Jugendliche gefördert und betreut werden, entwickelt sich laufend weiter. Zum Glück. Die Gebäude der Blindenschule Zollikofen aber haben sich während vieler Jahrzehnte kaum verändert. Zwei Wohngruppen mit blinden und stark sehbeeinträchtigten Jugendlichen leben in Häusern aus den Fünzigerjahren, die in keiner Weise behindertengerecht sind. Schmale Treppen führen von einem Stock zum nächsten, überall lauern Schwellen, die Raumgrössen und der jeweilige Ausbau entsprechen längst nicht mehr den heutigen Standards und den von der Invalidenversicherung vorgeschriebenen Massnahmen. Eine aktuelle, von der Firma Ecoplan durchgeführte Studie weist in den Räumen der Schule und des Internats denn auch einen «erheblichen Sanierungs- und Anpassungsbedarf» nach und spricht von «unumgänglichen» Massnahmen. Seit Jahrzehnten sind wir ein ausgewiesenes Kompetenzzentrum in der Schulung und Betreuung blinder und sehbehinderter Kinder und Jugendlicher. Um das weiterhin bleiben zu können, müssen wir unsere Infrastruktur dringend erneuern. Es darf nicht sein, dass Kinder, die bereits mit einer schweren Behinderung leben müssen, durch bauliche Unzulänglichkeiten, durch zu grosse Enge, durch schlecht isolierte Gebäudehüllen noch zusätzlich behindert werden. Gerade im Hinblick auf die laufend wachsende Zahl mehrfachbehinderter Kinder können wir unter den gegebenen Verhältnissen unserer Aufgabe nicht mehr nachkommen. Der Weg, den wir zu gehen haben, ist klar vorgegeben. Alleine können wir ihn nicht bewältigen. Wir sind auf Ihre Solidarität und Mithilfe angewiesen. Ich möchte Sie um einen Moment Zeit bitten, die folgenden Seiten zu lesen, und bedanke mich herzlich für Ihre Solidarität. Adrian Lerf Bewegte Geschichte über bald zwei Jahrhunderte Von der Privat-Blindenanstalt Bern zur modernen Stiftung für blinde und sehbehinderte Kinder und Jugendliche in Zollikofen: Rückblick auf die wichtigsten Stationen der Geschichte. 4|5 1837 Gründung der Schweizerischen Privat-Blindenanstalt an der Speichergasse Bern 1877 Bezug der neuen Anstaltsgebäude im Rabbenthal 1890 Umzug der Anstalt ins Schloss Köniz 1892 Jährliche Beiträge des Staates an die Besoldung der Anstaltslehrer 1907 Blindenmuseum in Zürich gegründet 1914 Einführung des Kindergartens 1920 Verlegung der Anstalt von Köniz nach Spiez 1961 Einzug ins neue Schulheim Zollikofen 1962 Verlegung des Schweizerischen Blindenmuseums von Zürich nach Zollikofen 1971 Einführung des neuen Fachs «Orientierung und Mobilität» 1983 Der «Ambulante Dienst» für die Betreuung der Kinder in öffentlichen Schulen wird geschaffen 1984 Eröffnung der Abteilung für mehrfachbehindert-sehgeschädigte Kinder und Jugendliche 1985 Das Fach «Low Vision» wird eingeführt 1987 «Lebenspraktische Fähigkeiten» als neues Fach fördert die Selbstständigkeit im Alltag 1990 Der Bereich «Heilpädagogische Früherziehung» erlaubt die frühe Erfassung und Förderung 2000 Eröffnung der Jugendwohngruppe für Studierende in der ersten beruflichen Ausbildung 2006 Einführung der Basisstufe für mehrfachbehindert-sehgeschädigte Kinder 2008 Neubau Schulhauserweiterung 2010 Übernahme der Schweizerischen Ludothek für Blinde und Sehbehinderte 2010 Eröffnung der Wohngruppe für Erwachsene mit hohem Betreuungsaufwand 2012 Eröffnung der permanenten Ausstellung «anders sehen» «... weil wir weniger abgelenkt sind» Begegnungen mit kleineren und grösseren seh- und mehrfachbehinderten Kindern und Jugendlichen – ein Tag in Zollikofen. Rodana übt mit der Braille-Schreibmaschine 6|7 Eigentlich müsste er die Antwort wissen, Kopfrechnen liegt ihm. Doch an diesem Morgen legt sich seine kleine Stirn in Falten. Das Resultat will einfach nicht über seine Lippen kommen. Geduldig wiederholt die Lehrerin die Aufgabe: Ein Bauernhof mit einem Bauern, zwei Kühen und vier Hühnern. Wie viele Beine macht das insgesamt? – Erneut keine Antwort, der Kopf schräg nach hinten gelegt, die nicht sehenden Augen geschlossen. Irgendwann sagt der Bube leise: «Ich kann die Rechnung nicht lösen.» – «Warum», möchte die Lehrerin wissen. «Weil ich nicht mehr weiss, wie viele Beine ein Huhn hat.» Es sind Geschichten wie diese, die den Alltag in Zollikofen prägen. Und es sind solche Momente, die Aussenstehenden klar werden lassen, dass dies ein Ort ist, an dem vieles speziell ist. Die Zeiger der Wanduhr im Entrée zeigen kurz nach acht Uhr. Extragross sind sie, ebenso wie das Zifferblatt, über das sie sich im Kreise drehen. Draussen, auf dem Vorplatz, fährt ein Auto nach dem anderen vor. Aus Rollstuhltaxis werden Rampen ausgefahren, aus Sammelbussen Blindenstöcke ausgeklappt, Sehende begrüssen Nichtsehende, Kinder, die laufen können solche, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind. «Guten Morgen, hoi, bis gleich.» Ein neuer Schultag beginnt. Den Kopf dicht über die Zahlen gebeugt Die zehnjährige Leonie fährt den speziell auf ihre Bedürfnisse angepassten Rollstuhl in kleinsten Einheiten vor- und zurück, rückt ihren Rucksack, den sie mühevoll auf den Boden gehievt hat, nochmals ein Stück zur Seite, bis ihre Position hinter dem Pult stimmig ist. Dann stellt sie die Tischplatte schräg, auch dies geschieht in kleinen Schritten. «Die Volksschule im Kanton Solothurn ist heute grundsätzlich eine integrativ ausgerichtete Schule. Doch sind wir uns bewusst, dass wir auch zukünftig auf Spezialwissen und Spezialkompetenzen angewiesen sein werden. Die Blindenschule Zollikofen ist für uns seit Jahren ein verlässlicher Partner. Wir – dazu gehören Eltern von Kindern mit Sehbehinderung ebenso wie Fachpersonen aus der Schulpsychologie, Verwaltung und Politik unterstützen deshalb Bemühungen, die den Erhalt und die Entwicklung dieser Spezialschule weiterhin ermöglichen.» Dr. Remo Ankli, Regierungsrat Solothurn, Departement für Bildung und Kultur Manchmal wollen die Arme nicht gleich das tun, was das Mädchen im Kopf hat. Nach einigen Minuten ist ihr Arbeitsplatz eingerichtet. Zusammen mit dem achtjährigen Jemil werden heute einfache Plus- und Minusrechnungen geübt. Beide Kinder sind stark sehbehindert, tragen dicke Brillen. Jemils Gesicht bewegt sich wenige Zentimeter hinter dem Bildschirm des Computers hin und her, Leonies Augen haften dicht an den Papieren, die von Magneten an der schräg gestellten Tischplatte festgehalten werden. Die Zahlen sind in 14-Punkt-Schrift gesetzt, die Rechenblätter übersichtlich und optisch reduziert gehalten. Viele der Lehrmaterialien werden in Zollikofen produziert. Tag für Tag sind die Mitarbeitenden des hausinternen Lehrmittel-Teams darum bemüht, Schulbücher, Reliefs von Einkaufszentren oder Bahnhöfen, Hilfsmittel und Spiele zu entwickeln und häufig speziell auf Mass zu fertigen, die keine Reizüberflutung darstellen und Augen sowie Bewegungsmöglichkeiten optimal gerecht werden. Es ist mucksmäuschenstill im Raum, nichts soll Leonie und Jemil davon ablenken, konzentriert ar- Till bastelt gerne beiten zu können. Damit sie nicht geblendet sind, wird der Raum von indirektem Licht beleuchtet, die Leselampe über dem Schrägpult ist speziell eingestellt, Wände und Decke sind schallgedämpft, damit die Kinder besser hören, die Zettel an den Wänden in extra grossen Buchstaben bedruckt, die Steckdosen für die Laptops im Boden direkt neben den Schreibtischen, damit niemand über ein Kabel stolpert. Nun folgen mündliche Rechenaufgaben – zuerst mit offenen Augen, dann fordert die Lehrerin die beiden auf, ihre Augen zu schliessen. Es sollen alle Sinne geschult werden, speziell auch die Ohren, für den Fall, dass das Sehvermögen weiter abnimmt. Bilder aus Ertastbarem In der Basisstufe im Zimmer nebenan sitzt eine Gruppe Fünf- bis Achtjähriger im Kreis. Alle Kinder sind stark sehbehindert, zwei komplett blind. Bilder schmücken den Raum; sie sind nicht eindimensional, vielmehr bestehen sie aus Ertastbarem: aus Watte, Nüssen, Perlen, Schnüren. Später, in der Turnstunde, stehen die Kinder mit ihren Bäuchen an eine aufgestellte Schaumstoffmatte gepresst, die von zwei Lehrerinnen gehalten und dann losgelassen wird. Das Vergnügen ist gross, an die Matte gelehnt nach vorne umzukippen. Auch die beiden blinden Kinder jauchzen, und am Ende ruft der ganze Chor «nochmal!». Es sind Übungen wie diese, mit denen Boden für Selbstvertrauen, aber auch das Vertrauen in andere gelegt wird. Inzwischen wird in der Küche der Wohngruppe «Piano» geschält, geschnetzelt und gebrutzelt. Im Beisein einer Praktikantin haben heute zwei Jugendliche Kochdienst. Nach und nach kehren ihre Kameraden vom Schulunterricht heim, einer sorgt dafür, dass die Krüge mit Wasser gefüllt sind, jemand anderes deckt den Tisch. Auf der hellen Oberfläche liegen nun acht dunkle Teller – ein bewusst gewählter Kontrast, erleichtert er doch das Erkennen der Umrisse. «En Guete allerseits!» Gabeln stechen in Bohnen, dazwischen wird eine Schupfnudel mit der Hand ertastet und auf dem Weg zur Gabel mit der Fingerspitze geschickt nachgeholfen und jene, die kaum oder nichts mehr sehen, werden mit den Anhaltspunkten eines Ziffernblatts gelotst: «Die Rüebli sind auf drei, der Tofu auf sechs.» Sehen mit den Ohren Nach dem Mittagessen ist auf dem grossen Gelände erneut ein Kommen und Gehen. Kinder springen, trödeln, hüpfen in Gruppen oder alleine durch den Garten zur nächsten Schul- oder Therapiestunde, bewegen eigenständig ihre elektrischen Rollstühle oder werden von Betreuern begleitet. Luzius, komplett erblindet und mit einer Autismus-Spektrum-Störung, schnalzt vor jedem Schritt mit der Zunge. Diese noch junge Technik hat der Achtjährige früh gelernt. Sie geht weit über die passive Echoortung hinaus, welche die meisten Blinden anwenden, um sich ein Bild ihrer Umgebung zu machen. Die «Klicksonar»-Technik ortet 8|9 Echos aus, ähnlich wie es Delfine oder Fledermäuse tun. Das Hirn lernt mit der Zeit, das zurückfallende Echo auszuwerten und ein mit dem Sehen vergleichbares Abbild der Umwelt zu schaffen. Es ist ein Sehen mit den Ohren. Eine Wand wirft ein anderes Echo zurück als eine offen stehende Tür, der Stamm eines Baumes ein anderes als ein Busch. Immer wieder hebt Luzius den Kopf auch gegen den Himmel oder scheint in die Ferne zu lauschen. Denn der Schall reicht dorthin, wohin es sein Stock nicht schafft. Schnalzlaut um Schnalzlaut und Schritt um Schritt bewegt er sich alleine übers Gelände, und fast auf die Minute genau erscheint er zur Deutschstunde. Im Unterricht erhält Luzius Eins-zu-Eins-Betreuung. Heute hat sein Lehrer einen Parcours mit Karten in Brailleschrift gelegt. Während sich die drei sehbehinderten Mitschüler mit dem Schreiben kurzer Texte befassen, ertastet Luzius eine Karte, lässt seine Fingerkuppen über das Punktemuster fahren, erfasst, wohin er sich als nächstes bewegen soll, wendet den Kopf in die entsprechende Richtung, schnalzt und läuft vorsichtig los. So geht es Posten um Posten durch den Raum, an den Pulten seiner schreibenden Klassenkameraden vorbei, an Stühlen und Regalen, denen er geschickt ausweicht, bis der Bub schliesslich am letzten Posten angelangt ist, wo ihn sein Handy erwartet. Er strahlt bis über beide Ohren und sagt wie zu sich selbst: «Ich wusste doch, dass du da bist.» Memory mit Düften spielen Im nebenan liegenden Raum lernt Rodana mit der Punktschriftmaschine zu tippen. Die Lehrerin singt der blinden Sechsjährigen ein Lied vor, und schon bald bewegen sich die kleinen Finger zum Rhythmus der Melodie auf den Tasten. Die Kon- «Ich werde seit meinem 5. Lebensjahr von einer Low-Vision-Betreuerin der Blindenschule Zollikofen ambulant begleitet. Sie hilft mir in der Schule und besorgt die notwendigen Hilfsmittel, die ich in der Schule und im alltäglichen Leben brauche. Sie gibt mir sehr viel Sicherheit und ist eine wichtige Ansprechpartnerin für mich und meine Familie. Was ich auch sehr positiv finde, dass sie mich bis zur beruflichen Eingliederung betreut und begleitet. Es ist natürlich wichtig, dass sich solche Institutionen immer weiter entwickeln können. Denn solche Schulen geben den sehbehinderten Menschen und ihren Familien grosse Unterstützung. Michelle Abgottspon, 15 Mitglied Swiss Paralympic Ski Team zentration des autistischen Mädchens ist gefordert; die Lernsequenzen sind kurz und werden immer wieder mit einem Spiel unterbrochen, dem Korb mit den Bällen etwa, von denen einer mit Sand gefüllt ist, einer aus Plastik ist, im dritten eine Glocke bimmelt, der nächste aus Holz ist und der fünfte aus Stoff. Rodana tastet über die Oberflächen, nimmt die Bälle in ihre kleinen Hände, bewegt und schüttelt sie. Dann entfernt die Lehrerin unhörbar einen von ihnen und das Mädchen muss benennen, welcher nicht mehr im Korb ist. Später spielen die beiden Memory mit kleinen Töpfen, deren Inhalte nach unterschiedlichen Dingen duften. Stimmungen erfühlen Auf jede Behinderung wird möglichst optimal eingegangen. Durchhaltewillen und Nachsicht braucht es von beiden Seiten: von den Kindern und Jugendlichen wie von den Lehrpersonen und Betreuenden. Auffallend gross ist denn auch die Hilfsbereitschaft unter den Kindern, ebenso wie ihre Sozialkompetenz. «Wir können besser zuhören», erklärt eine Teenagerin, «weil wir weniger abgelenkt sind. Und wir können auch Stimmungen Jemil findet den Weg dank dem Blindenstock sicher besser wahrnehmen.» Einige Stunden später wird eine Lehrerin erzählen, wie sie kürzlich, nachdem sie mit dem linken Bein aufgestanden war, etwas mürrisch das Klassenzimmer betreten habe und bevor sie zu einem «Guten Morgen» ansetzen konnte von einer Schülerin gefragt wurde, ob sie schlecht gelaunt sei. Prüfung zur selbstständigen Bewältigung des Schulweges Mit Beginn der Dämmerung geht das Ausfahren der Blindenstöcke einher, und pünktlich zum Gongschlag der letzten Schulstunde versammeln sich auf dem Vorplatz wieder Rollstuhltaxis und Sammelbusse. Jemil steigt heute nicht ein. Zwei Wochen zuvor hat er eine Prüfung abgelegt, die ihm bescheinigt, seinen Heimweg nun allein zu schaffen. Immer wieder wurde er begleitet, um sich alle Tücken des Weges gut zu merken. Er strahlt, als er den Vorplatz strammen Schrittes und mit innerlich sicherem Ziel verlässt. Dann hebt er den Arm und ruft, ohne den Kopf zurückzudrehen: «Tschüss, bis morgen.» Internat: ein zweites Zuhause Während der Schultage bietet das Internat blinden, sehbehinderten sowie mehrfachbehindert-sehgeschädigten Kindern und Jugendlichen in Wohngruppen Aufnahme. 64 Kinder und Jugendliche im Alter von 5 bis 18 Jahren sind in 8 heterogene Gruppen eingeteilt. Der Rahmen: Die Schüler werden in lebenspraktischen Fähigkeiten und in ihrer Persönlichkeitsbildung begleitet und gefördert. Im Zentrum steht das Gewinnen von Grundvertrauen in die eigene Person sowie die Umgebung, Geborgenheit und Selbstvertrauen zu bilden sowie mannigfache Sinneseindrücke zu erfahren. Die Schüler können ihre Freizeit mit anderen Kindern und Jugendlichen verbringen. Gemeinsam werden Erfahrungen gesammelt, beispielsweise beim Tandemfahren, Tauchen, Klettern oder Torball spielen. Notwendig und ohne Alternative: die Sanierungs- und Bauprojekte Zeitplan 10 | 11 2015 Bewilligungsverfahren Spendenkampagne 2016 2017 2018 2019 2020 Kanton/Gemeinde Spendenkampagne Planung/Realisierung Vorprojekt Ausführung Realisierung Finanzierungskonzept (in Mio CHF) Der Sanierungsbedarf in Zollikofen ist dringend. Das bestätigen nicht nur die Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen, Lehrpersonen und Betreuenden, sondern auch eine aktuelle, externe Studie. Der Schlussbericht der Firma Ecoplan, die eine gründliche Bedarfsanalyse durchgeführt hat, weist dringenden Handlungsbedarf nach und macht eine Differenzierung nach Prioritäten. 46B Gesamtkosten: Zurückgestellte Projekte: (spätere Realisierung) Zwischentotal: 32 5 27 52 Eigenmittel der Stiftung: Kantonsbeitrag (Antrag): Benötigte Spenden: 108 2 19 6 Kirchlindachstrasse 41 Projekt 4: Energetische Sanierung Lehrmittel- und Werkstattgebäude 39 Projekt 1: Ersatzneubau für Wohngruppen n.n. Projekt 2: Hindernisfreies Schulgebäude für mehrfachbehinderte Kinder Projekt 5: Ersatzneubau Pavillon «anders sehen» . n.n Projekt 3: Behindertengerechte Sanierung der Gruppenhäuser 55/57 Gebäude der Blindenschule Neubau/Umbau Energietechnische Sanierung Gebäude, welche ersetzt werden « Blinde und sehbehinderte Menschen verdienen umfassende Förderung, Schulung und Beratung. Deshalb arbeitet der Kanton Freiburg mit starken Partnern zusammen. Dazu gehört auch die Blindenschule Zollikofen. Sie verdient unsere Unterstützung, damit die betroffenen Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen auch künftig gut aufgehoben sind. Helfen auch Sie bei deren Erhaltung mit!» Anne-Claude Demierre, Regierungsrätin Freiburg, Direktion für Gesundheit und Soziales Freiburg Ersatzneubau für Wohngruppen Vierbett-Zimmer Kirchlindachstrasse 12 | 13 Projekt 1: Ersatzneubau für Wohngruppen Die beiden nicht behindertengerechten Häuser, in denen heute je sechs Jugendliche ohne Mobilitätseinschränkung wohnen, werden einem rollstuhlgängigen Neubau für insgesamt 27 Jugendliche weichen. Zudem soll ein neues Therapiebad eingebaut und eine gedeckte Verbindungspasserelle zum Schulhaus führen. => Kosten: CHF 14.5 Mio. 1987 und 1996 konnten zwei Einfamilienhäuser an der Kirchlindachstrasse 39 und 41 zugekauft und zur Erweiterung des Internats genutzt werden. Heute wohnen zwei Gruppen à sechs Jugendliche ohne Mobilitätseinschränkung in den Häusern aus den Fünfzigerjahren. Nicht nur ist der bauliche und energetische Zustand schlecht, sondern liegen auch Grundrisse und Architektur für die zunehmend mobilitätsbeeinträchtigten Kinder weit über der Grenze des Zumutbaren. Die Treppen in beiden Häusern sind eng und so steil, dass sie auch für Sehende und mobile Personen eine Herausforderung darstellen. Beide Gebäude sind in keiner Weise rollstuhlgängig und unterschreiten die Werte der Richtraumprogramme der Invalidenversicherung bei weitem. Manche der kleinen Zimmer werden von vier Jugendlichen belegt, was nicht nur die Privatsphäre massiv einschränkt, sondern auch die Gruppenzuteilung deutlich erschwert. Knapp ein Drittel der stationären Kinder und Jugendlichen müssen einen Grossteil der Zeit in einem Korsett, Pflegebett, Rollstuhl oder mit einer Gehhilfe verbringen. Umso wichtiger ist für genau diese Kinder, sich ab und zu im Wasser bewegen und aufhalten zu können. Das gegenwärtige Therapiebad stammt aus den Sechzigerjahren und ist auf blinde und sehbehinderte Kinder ausgerichtet, nicht aber auf Kinder mit komplexen Mehrfachbehinderungen. Nicht nur ist das Bad alt und sanierungsbedürftig, sondern auch längst nicht mehr auf diese immer grösser werdende Zielgruppe ausgerichtet. So fehlen eigentliche Verkehrsflächen, der Einstieg ins Wasser ist nicht behindertengerecht, die Garderoben sind nicht rollstuhlgängig. Schliesslich ist der Lärm der Belüftungen für blinde und mehrfachbehinderte Kinder verwirrend. => Die beiden heutigen Wohnhäuser mit je sechs Plätzen müssen durch einen Neubau ersetzt werden. Künftig wird dieser drei Wohngruppen mit je neun Plätzen beinhalten und kann damit die Aufhebung der beiden Wohngruppen im Haupthaus auffangen. Der Neubau soll auch für Kinder mit schweren Körperbehinderungen bewohnbar sein und wird auch das neue Therapiebad enthalten. Bisheriges Therapiebad Situation im Gang der Schule für mehrfachbehinderte Kinder Projekt 2: Hindernisfreies Schulgebäude für mehrfachbehinderte Kinder Die Schule für Mehrfachbehinderte platzt aus allen Nähten. Es werden immer mehr Kinder und Jugendliche mit Krankheitsbildern aufgenommen, die auf spezielle Hilfsmittel und Einzelförderung angewiesen sind. Die Räumlichkeiten müssen den neuen Anforderungen angepasst und saniert werden. => Kosten: CHF 6.6 Mio. Wohin das Auge in der Schule für Mehrfachbehinderte blickt: Dieses Haus platzt aus allen Nähten. Rollstühle stehen dort, wo die Feuerpolizei es nicht gerne sähe, da Fluchtwege versperrt sind. In den langen Gängen vor den Türen zu den Schulzimmern stapeln sich nicht nur Jacken und Schuhe, sondern lehnen da und dort auch Blindenstöcke an der Wand: eine grosse Stolpergefahr. Jeder Zentimeter des Bewegungsraums am Ende des Korridors ist mit Hilfsmitteln und Gegenständen belegt, der vor jeder Nutzung des Raumes erhebliche Umräumaktionen nach sich zieht und grosses Talent voraussetzt, Dinge zu stapeln. Manche der elektrischen Türen öffnen in die falsche Richtung, was von Kindern und Jugendlichen in Elektrorollstühlen oder von ihren Begleitpersonen einiges an Manövriergeschick verlangt. Auch die beiden Wohngruppen mit je fünf Plätzen müssen sich auf engstem Raum arrangieren. Für Pflegebetten sind die Zimmer viel zu klein und viele der Durchgänge sind mit Schwellen versehen und kommen einem Hindernislauf gleich. Die mittlerweile 53-jährigen Fenster müssen dringend ersetzt werden, ebenso die sanitären Leitungen und Heizkörper. = > Das Projekt beinhaltet die Aufhebung der beiden Wohngruppen und die Anpassung der Grundrisse an die Bedürfnisse einer Schule für mehrfachbehindert-sehgeschädigte Kinder und Jugendliche. Die neuen Flächen bieten mindestens 40 Schulplätze (heute 30) und erfüllen die Richtraumvorgaben von Bund und Kanton. Notwendig und dringend sind ausserdem der Ersatz der Fenster im ganzen Hauptgebäude, die Sanierung der Aussenhülle und der Ersatz der maroden Leitungen und Heizkörper. Projekt 3: Behindertengerechte Sanierung der Gruppenhäuser 55/57 Die beiden Gruppenhäuser 55 und 57 für je 18 Kinder und Jugendliche müssen energietechnisch saniert werden. Das Gruppenhaus 55 muss zusätzlich dringend behindertengerecht werden. => Kosten: CHF 2.6 Mio. Während im Doppelgruppenhaus 55/55a bis heute Lift und Pflegebad fehlen, konnte das Haus 57/57a bereits im Jahr 2003 mit beidem ergänzt werden. Das erlaubte zusätzliche Plätze für die steigende Anzahl von Kindern und Jugendlichen mit Mobilitätsbeeinträchtigung und hohem Pflegebedarf. Seither ist der Anteil dieser Kindergruppe weiter markant angestiegen und damit die Heterogenität der Kinder laufend grösser geworden. Das bedingt eine grössere Flexibilität bei der Gruppeneinteilung. Diese wird stark eingeschränkt, wenn zu wenige Plätze mit Pflegebad und Lift zur Verfügung stehen. Treppenhaus Kirchlindachstrasse 14 | 15 Beiden Häusern bescheinigt eine Energieanalyse zudem einen dringenden Sanierungsbedarf. Ist die Gebäudehülle saniert, werden die Energiekosten deutlich tiefer ausfallen. => Um die laufend wachsende Zahl an Kindern und Jugendlichen mit Mehrfachbehinderungen und hohem Pflegebedarf auffangen zu können, müssen beide Häuser über Pflegebad und Lift verfügen. Projekt 4: Energetische Sanierung Lehrmittelund Werkstattgebäude Das Lehrmittel- und Wekstattgebäude muss dringend energietechnisch saniert werden. => Kosten: CHF 2.2 Mio Das langgestreckte Gebäude beherbergt das Medienzentrum für die blinden- und sehbehindertenspezifischen Lehrmittelübertragungen (Brailleund Grossdruck, Reliefbau, Quellkopien) und die Räume für den technischen Unterhalt der Anlage. Ausserdem befindet sich darin die Dienstwohnung des Hauswarts und die Werkstatt des Technischen Dienstes. Die energietechnische Sanierung auch dieses Gebäudes wird von Ecoplan als «notwendig, dringend und ohne Alternative» beurteilt. Sie umfasst den Ersatz der Fenster und die Dämmung der Gebäudehülle. => Die Studie von Ecoplan kommt zum klaren Schluss, dass eine Sanierung unumgehbar ist. Büro und Pikettzimmer Kirchlindachstrasse Projekt 5: Neubau Pavillon «anders sehen» Das vielbesuchte Zentrum für die Vermittlung von Blindenpädagogik an Schulen und Öffentlichkeit braucht einen neuen Pavillon. => Kosten: CHF 1.2 Mio. Viele Schulklassen, Studierende und zahlreiche weitere Interessierte aus der ganzen Schweiz wenden sich regelmässig an die Blindenschule, um mehr über Blindheit und Sehbehinderung zu erfahren. Seit 2012 werden Führungen und Workshops angeboten. «anders sehen» ist eine Ausstellung mit eindrücklichen Exponaten aus 200 Jahren Blindenpädagogik und modernen interaktiven Medien. Die Führung des Blindenmuseums gehört seit 1962 zu den Aufgaben der Blindenschule. Das Projekt wird ausschliesslich durch Spenden finanziert und in Freiwilligenarbeit betrieben. Die Ausstellung befindet sich in einer alten Holzbaracke, die vorübergehend genutzt werden kann, deren Betriebszeit aber längst abgelaufen ist. Sie muss unbedingt durch einen neuen Pavillon ersetzt werden. => Die interessierte Öffentlichkeit soll teilhaben können am Thema Blindsein und Sehbehinderung. Dazu ist für ausgewählte und teilweise einzigartige Exponate dringend ein neuer schlichter Raum vonnöten. Neubauprojekt Pavillon anders sehen «Behinderung ist eine Frage der Perspektive» Der Lehrer Alexander Wyssmann verlor bei einem Sprengunfall im Militärdienst das Augenlicht. Als Blinder sehende und nicht sehende Kinder zu unterrichten, beschreibt er als Herausforderung und Vorteil in einem. 16 | 17 Es gab einen Knall. Er teilte sein Leben in zwei Hälften: In eine mit Augenlicht und in eine ohne. An jenem Tag hielt Rekrut Alexander Wyssmann eine Sprengkapsel in der Hand. Zur selben Zeit löste ein Kollege versehentlich eine Sprengung aus. Wyssman verlor ein Auge, das andere war stark verletzt. Als er das Spital verliess, betrug das Sehvermögen auf dem verletzten Auge noch 15 Prozent. Hielt er ein Fernrohr auf das Brillenglas konnte er am Bahnhof die Zeiten auf der Abfahrtstafel gerade noch entziffern, und auch Lesen und Schreiben gelang mit zwanzigfacher Vergrösserung. Als Alexander Wyssmann das Lehrerseminar abgeschlossen hatte, sah er nichts mehr; das anschliessende Musik- und Heilpädagogikstudium absolvierte er als Blinder. Ob die Schüler Faxen machen, sieht er nicht Das Leben nach seinem Unfall führte durch manche Talsohle. Bis ihn ein Gedanke befreite: «Irgendwann wurde mir bewusst, dass alle Menschen auf irgendeine Weise behindert sind. Behinderung ist nur eine Frage der gewählten Betrachtungsperspektive.» Immer stärker befasste er sich mit der Thematik, was üblicherweise unter «Norm» verstanden wird und was es bedeutet, dieser nicht zu entsprechen. Zu Beginn wollte er nicht an einer Blindenschule unterrichten; «ich dachte, Blinde sollten sich nicht in einen Inselstaat zurückziehen». Er arbeitete als Lehrer an einer öffentlichen Schule. «Ich wusste nicht, ob die Kinder hinter meinem Rücken beziehungsweise hinter meinen Augen Faxen machten, aber ich vertraute darauf, dass sie es nicht taten.» Oftmals erfuhr er gerade in dieser Zeit, welch grossen Respekt Kinder und Jugendliche vor Menschen haben, die erblindet sind. Hilfe bei der Akzeptanz der eigenen Situation In der Zwischenzeit erlebte er auch umgekehrte Situationen. Seit Jahren belegt er in Zollikofen ein Teilzeitpensum für Mittelstufenklassen. Im zurückliegenden Semester forderte ihn eine aus sehenden Kindern zusammengesetzte Klasse, die er als ausgesprochen «wild » bezeichnet. Immer wieder sei es schwierig gewesen, den Schülern nicht «hinterherrennen» zu können. Viel häufiger erlebt Alexander Wyssmann allerdings, dass sein Lebensweg eine Hilfe für die Verarbeitung der eigenen Behinderung seiner Schüler ist. Miterleben zu können, mit welchem Selbstbewusstsein und mit welcher «Normalität» sich ihr erblindeter Lehrer bewegt, kann bei der Akzeptanz der eigenen Situation unterstützend sein. Auch in Elterngesprächen empfindet Alexander Wyssmann seinen Erfahrungshintergrund oft als Vorteil. «Ich kann Dinge aussprechen, bei denen sehende Lehrer vielleicht grössere Mühe haben» – beispielsweise, dass ein sehbehindertes oder blindes Kind lernen muss, selbst zu agieren, wenn ihm etwas aus den Händen fällt. «Es darf nicht erwarten, dass sich jemand bückt und immer jemand hilft», so Wyssmann; alles, was ein Kind selbstständig könne, müsse es auch üben, selbstständig zu tun. «Man darf eine Behinderung nicht ausnutzen.» «Johannes liebt seine Schule» Der elfjährige seh- und mehrfachbehinderte Johannes geht in Zollikofen zur Schule und ins Internat. «Es gibt für ihn keinen besseren Ort», sagt seine Mutter. 18 | 19 Am liebsten spielt er «Zahlenerzählen», und am allerliebsten nicht allein. Dann nennt er laut eine Nummer, vielleicht 57 oder 58, und freut sich, wenn sich das Gegenüber auch für eine Zahl entscheidet. Sie muss nicht in einem direkten Zusammenhang zur voran genannten stehen, es muss einfach eine Zahl sein. Und so geht es immer weiter, hin und her. Statt mit Worten zu kommunizieren erzählt Johannes gern mit Zahlen. Ein Gespräch mit ihm zu führen, ist nicht möglich. Auf eine konkrete Frage kann seine Antwort ebenso «57» wie «Bratwurst» lauten. Der elfjährige Johannes ist mit mehreren Behinderungen zur Welt gekommen. Diagnostiziert sind Downsyndrom, Autismus-Spektrum-Störung, eine starke Kurzsichtigkeit sowie das Irlen-Syndrom – eine Überempfindlichkeit gegenüber Lichteinwirkung, die eine korrekte Verarbeitung der visuellen Wahrnehmung verhindert. Die Eltern waren am Ende ihrer Kräfte Die Spannweite zwischen dem, was Johannes kann und nicht kann, ist gross. Ohne Auslassen eines einzigen Wortes singt er alle Strophen von über hundert Liedern auswendig, und seine kleinen Finger vermögen unzählige Nummern Verwandter und Bekannter ins Telefon einzutippen, inklusive Vorwahl ins Ausland. Zugleich ist er aber noch auf Windeln angewiesen. Seit elf Jahren schläft er schlecht, pro Nacht wacht er bis zu zehn Mal auf und jede Nacht endet spätestens um fünf Uhr morgens. «Wir brauchten dringend mehr Entlastung», sagt seine Mutter Silke Mattner, «die Betreuung zu Hause ging über unsere Kräfte». Seit zwei Jahren besucht Johannes in Zollikofen die Schule und schläft seither nur noch zwei Nächte «‹Schlimmer als blind sein, ist nicht sehen zu wollen.› Diese Aussage von Lenin mag auf blinde oder sehbehinderte Kinder und Jugendliche recht zynisch wirken. Schliesslich haben sie keine Wahl. Ob sie nun wollen oder nicht, sie sind auf fremde Hilfe angewiesen. Daher ist es enorm wichtig, ihnen ein Stück Eigenständigkeit und Selbstbestimmung zurückzugeben. So können diese Kinder positive Erfahrungen sammeln und dadurch mehr Lebensqualität und ein stärkeres Selbstwertgefühl aufbauen. Dies und vieles mehr ermöglicht ihnen die Blindenschule Zollikofen. Deshalb wünsche ich mir, dass unsere Gesellschaft die richtige Wahl trifft und hinsieht. Halten auch wir Blickkontakt und unterstützen die Blindenschule Zollikofen.» Esther Waeber-Kalbermatten, Staatsrätin Kanton Wallis, Vorsteherin des Departements für Gesundheit, Soziales und Kultur pro Woche bei seinen Eltern, die übrigen im Internat. Der Junge braucht tagsüber rundum Betreuung. Damit die Eltern etwas zum Durchatmen kommen, nehmen sie an manchen Wochenenden und auch in den Ferien überdies den Entlastungsdienst in Anspruch. «Johannes liebt die Schule und sein zweites Zuhause, und mein Mann und ich sind glücklich für die Stunden mit Johannes, aber auch dankbar für die Tage und Nächte, in denen wir Energie tanken können», sagt seine Mutter. Als Einzelkind fehlen Johannes in seinem Elternhaus andere Kinder. Seine Autismus-Störung verhindert ebenso, dass er zu Spielen eine Beziehung hat wie dass er auf andere Kinder aktiv eingehen kann. Allein beschäftigen kann er sich nur mit Seifenblasen, Luftballons und Bällen. Doch fühlt er sich sicht- und spürbar wohl, wenn er andere Kinder um sich weiss. Fehlt in Zollikofen einmal einer seiner Kameraden, nimmt er das sofort wahr und reagiert stark. Pausenraum in der Schule für Mehrfachbehinderte Lückenloses Zusammenspiel von Schule und Wohnen Die Enge der Schulzimmer führt zu Problemen Die Betreuung in der Schule bezeichnet Silke Mattner als «grosses Geschenk». Johannes Klasse besteht aus vier Kindern; neben der Lehrerin und einer Praktikantin sind stets zwei weitere Betreuungspersonen anwesend, da zwei der Kinder auf eine Einzelbegleitung angewiesen sind. Diese engmaschige Betreuung sei wunderbar, sagt Johannes Mutter, dadurch könne wirklich etwas «in Bewegung kommen». Zumal auch das Zusammenspiel von Schule und Wohngruppe sehr gut funktioniere, da alle am gleichen Strick zögen. «Das gibt uns Eltern wirklich das Gefühl, unsere Kinder optimal aufgehoben zu wissen.» Kürzlich wurden Mattners beispielsweise gebeten, ihrem Sohn ein zweites Paar Schuhe in die Schule mitzugeben. An diesem wurde hinten eine grosse Lasche angebracht, damit Johannes lernen kann, seine Schuhe selbst anzuziehen. Als einzigen Wermutstropfen bezeichnet Silke Mattner die räumliche Enge. Das Klassenzimmer sei sehr klein, was für Johannes immer wieder zu grossen Irritationen führte. «Er ist äusserst geräuschempfindlich. Stimme, Töne oder Rufe, mit denen er nicht rechnet, bringen ihn aus dem Lot.» Zur Beruhigung der Situation müssen Johannes oder ein anderes Kind deshalb regelmässig den Raum verlassen. Doch auch wenn alles ruhig verläuft, haben die Räume ihre Tücken. So wird es im Sommer sehr heiss und im Winter müssen die Kinder manchmal zwei Kleiderschichten tragen, weil das Gebäude so schlecht isoliert ist. «Die Schule macht das Beste aus der Situation», sagt Silke Mattner, «aber da besteht grosser Sanierungsbedarf.» Schulzimmer der Schule für Mehrfachbehinderte «Das breit gefächerte und hochwertige Angebot der Blindenschule Zollikofen ist nicht nur für den Kanton Bern, sondern weit darüber hinaus von grosser Bedeutung. Nur mit einer modernen Infrastruktur kann die hohe Qualität aufrechterhalten werden. Schon früher haben Spenden das vom Kanton mitfinanzierte Angebot sinnvoll ergänzt. Es würde mich darum sehr freuen, wenn dies auch in Zukunft gelingen würde.» 20 | 21 Philippe Perrenoud, Regierungsrat BE, Gesundheits- und Fürsorgedirektor Ich möchte Sie von Herzen um Ihre Unterstützung bitten Wir hoffen, dass wir Ihnen auf den vorangehenden Seiten einen Einblick in unser Schaffen geben konnten. Wie Sie sehen und lesen können, geht es nicht darum, unsere Institution zu einer Luxusschule zu machen, sondern vielmehr um die Umsetzung dringend notwendiger Massnahmen. Ohne die geplanten Sanierungsschritte und Neubauten können wir unserer Aufgabe nur noch schwer nachkommen. Wir möchten aber alles daran setzen, für die uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen, die zum Teil weit weg von ihren Eltern ein zweites Zuhause bei uns haben, nach den heutigen Normen bestmöglich zu sorgen. Blinde, sehbehinderte und sehbehindert-mehrfachbehinderte Menschen finden nur einen Weg durchs Leben, wenn sie nicht vorwiegend an Probleme denken, sondern immer wieder nach Lösungen suchen. Das ist eine ihrer unglaublichen Stärken, die wir in Zollikofen Tag für Tag erfahren. Dazu dürfen sie aber nicht mit vermeidbaren Hindernissen konfrontiert sein. Leider erfahren sie tagtäglich unnötige Barrieren an unseren baulichen Einrichtungen. Im Namen der betroffenen Kinder und Jugendlichen bitte ich Sie, uns dabei zu unterstützen, ihr Leben so hindernisfrei wie möglich zu machen. Ein herzliches Dankeschön! Christian Niederhauser Direktor der Blindenschule Zollikofen Das Patronatskomitee Uns liegt viel daran, dass die Blindenschule Zollikofen die nötige Unterstützung erhält. Deshalb engagieren wir uns im Patronat für die geplanten Sanierungsmassnahmen. Präsident Fürsprecher Hans Stöckli, Ständerat Kanton Bern Dr. med. Corina Klaeger, Augenärztin FMH, Stiftungsrätin Blindenschule Zollikofen Patronatskomitee-Mitglieder PD Dr. med. Dr. sc. nat. Mathias Abegg, Leiter Orthoptik, Universitätsklinik für Augenheilkunde, Bern Guido Albisetti, CEO Von Graffenried-Gruppe Kathrin Anderegg-Dietrich, Notar, alt Grossrätin Kanton Bern Vreni Augsburger, Ehrenpräsidentin Blindenschule Zollikofen, Sekundarlehrerin phil. nat., Schulleiterin Fürsprecherin Christine Beerli, alt Ständerätin Kanton Bern, Vizepräsidentin IKRK Daniel Bichsel, Gemeindepräsident Zollikofen, Grossrat Kanton Bern Dr. iur. Georges Bindschedler, Delegierter des Verwaltungsrates der Merz + Benteli AG Hansruedi Köng, CEO PostFinance AG Daniel Bloch, CEO Chocolats Camille Bloch SA Andreas Byland, Notar, ambralaw Notariat + Advokatur Prof. Dr. med. Justus Garweg, Direktor Berner Augenklinik am Lindenhofspital Fürsprecher Urs Gasche, Nationalrat Kanton Bern Christian Gossweiler, Rechts- und Finanzberatung Simone von Graffenried, Präsidentin Sozialkommission Burgergemeinde Bern Dr. iur. Fürsprecher Adrian Haas, Direktor Handelsund Industrieverein des Kt. Bern, Grossrat Kt. Bern Fürsprecher Donatus Hürzeler, Partner BDO AG, Leiter Steuern + Recht Mittelland Jörg Kaufmann, Verwaltungsratspräsident Gebäudeversicherung Bern GVB Fürsprecherin Rahel Leimer, Notarin, alt Stiftungsrätin Blindenschule Zollikofen Monika Löffel-Bösch, Delegierte des Verwaltungsrates, Mitinhaberin Bigla AG Werner Luginbühl, Ständerat Kanton Bern Elsbeth Maring-Walther, Gemeindepräsidentin Münchenbuchsee, Präsidentin der Regionalkonferenz Bern-Mittelland Christa Markwalder, Nationalrätin Kanton Bern, Nationalratspräsidentin 2015/2016 Dr. phil. nat. Christoph Meyer, Mitglied der Geschäftsleitung, Verwaltungsrat GEOTEST AG Prof. em. Dr. phil. nat. Peter Mürner, ehem. Akademischer Direktor der Universität Bern Dr. iur. Urs Schwaller, Rechtsanwalt, alt Ständerat Kanton Freiburg Hansjürg Schwander, Geschäftsführer Bernische Pensionskasse Adrian Studer, Vorsitzender der Geschäftsleitung beco Berner Wirtschaft Josef Wäckerle, Präsident des Synodalrates der Röm.-Kath. Landeskirche des Kantons Bern Sigmund von Wattenwyl, Schlossherr und Landwirt Tom Winter, Mitglied der Geschäftsleitung Magazine zum Globus AG Prof. Dr.-Ing. Dr. med. Sebastian Wolf, Direktor und Chefarzt Universitätsklinik für Augenheilkunde, Bern Pfr. Dr. theol. Andreas Zeller, Präsident des Synodalrates der Ref. Kirchen Bern-Jura-Solothurn Kontakte 22 | 23 Blindenschule Zollikofen Kirchlindachstrasse 49, 3052 Zollikofen Telefon +41 (0)31 910 25 16 www.blindenschule.ch Hans Stöckli Ständerat Kanton Bern Präsident des Patronatskomitees [email protected] Adrian Lerf Präsident Stiftungsrat Blindenschule Zollikofen Telefon +41 (0)79 300 31 34 [email protected] Christian Niederhauser Direktor der Blindenschule Zollikofen Telefon +41 (0)31 910 25 14 [email protected] Silvia Brüllhardt Projektleiterin Telefon +41 (0)31 910 25 69, (0)79 865 46 91 [email protected] Antonia Schlup Projektassistentin Telefon +41 (0)79 865 46 92 [email protected] Kontoinformation Spendenkonto: PC 30-974-3 BIC/SWIFT: POFICHBEXXX IBAN: CH03 0900 0000 3000 0974 3 Vermerk: Neubau und Sanierung Ihre Spende an das Projekt «Neubau und Sanierung Blindenschule Zollikofen» ist im gesetzlichen Rahmen von der Steuer abzugsfähig. Musik ist ein wichtiges Medium für Menschen mit Behinderung, um nicht nur verborgene Fähigkeiten eines jeden zu entdecken, sondern auch kognitive, soziale, emotionale und kreative Strukturen weiter zu entwickeln. Adrian Krohn Kinder unserer Schule singen und spielen «Die Bremer Stadtmusikanten». Rechts sehen sie den Text des Bremer-Marsches in Brailleschrift: Auf geht’s, auf geht’s, auf geht’s jetzt nach Bremen. Denn in Bremen machen wir Musik! Ist der Weg auch noch so weit, Bremen lohnt sich jederzeit, weil es gute Musik gibt, hört noch einmal unser Lied: ... Impressum Herausgabe: Dezember 2015 Text: Ursula Eichenberger, Kontrast Gestaltung: Silvia Brüllhardt, BSZ Korrektorat: Stephanie Ackermann, BSZ Druck: Druckerei Gerteis, Zollikofen Brailleseiten: Susanne Zahnd, BSZ Ausrüsten: Regula Aeberhard, BSZ Zeichnungen von Ilan Alexandra Rebekka Florian Rodana Rabie «Ich möchte mich für blinde und sehbehinderte Menschen engagieren, weshalb ich in der Vergangenheit bereits über ein Projekt im Blindenfussball nachgedacht habe. Sehbeeinträchtigte Kinder benötigen Schulen, Therapie- und Betreuungsorte, die auf ihre Bedürfnisse bestmöglichst eingehen können und sie in ihrer Entwicklung optimal unterstützen. Die Blindenschule Zollikofen erfüllt schweizweit eine zentrale Rolle und leistet Beeindruckendes. Bitte unterstützen Sie die Institution bei den nun anstehenden Schritten in die Zukunft.» Gilbert Gress, Fussballtrainer Blindenschule Zollikofen Kirchlindachstrasse 49 . CH-3052 Zollikofen www.blindenschule.ch . [email protected] Telefon +41 (0)31 910 25 16 . Postcheck 30-974-3 Kimi übt das Lesen mit der Lupenbifokalbrille
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