Im Engagement für Flüchtlinge nicht nachlassen Antworten der EKvW auf die aktuelle Lage von Schutzsuchenden in NRW Vortrag beim Workshoptag „Gastfreundschaft leben“ in Iserlohn 22.08.2015 Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen Pfarrer Helge Hohmann Gliederung I. Biblische und menschenrechtliche Grundlagen des Flüchtlingsschutzes II. Festung Europa III. Krise in der Aufnahme von Flüchtlingen IV. Kirchenasyl Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen I. (1) Flüchtlinge und Fremde in der Bibel • • • • • • Gottesebenbildlichkeit (-> Menschenwürde, Menschenrechte) „Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und er schuf ihn als Mann und als Frau. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie Euch untertan und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“ (Gen 1,27f) Schutz, Gleichberechtigung und Teilhabe von Fremden: „Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott.“ (3. Mose/ Lev 19, 33f ) Barmherzigkeit gegenüber Fremden als Wesensmerkmal christlicher Existenz: Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt, und ihr habt mir Kleider gegeben; ich war krank, und ihr habt mich besucht… Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,35-40) Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen I. (2) Menschenrechtliche Grundlagen • Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948 „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.“ (Art. 1) • Grundgesetz der BRD vom 23.05.1949 „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ (Art. 16a) • Europäische Menschenrechtskonvention vom 4.11.1950 „Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“ (Art. 3) • Genfer Flüchtlingskonvention vom 28.07.1951 „Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.“ (Art. 33) Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen II. Festung Europa Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen Tod als Abschreckung? „Die europäischen Außengrenzen wurden dicht gemacht. Europa schützt die Grenzen, aber nicht die Flüchtlinge. In dieser Politik hat die Abwehr von Menschen den Vorrang vor der Rettung von Menschen. Diese Politik behandelt den Flüchtlingstod auf dem Meer wie ein Schicksal, das man nicht ändern kann, nicht ändern will und nicht darf - weil die Politiker fürchten, dass Hilfe noch mehr Flüchtlinge anlocken könnte. Der Tod der Flüchtlinge ist Teil der Abschreckungsstrategie.“ (Heribert Prantl, SZ) Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen Forderungen der Evangelischen Kirchen (EKD, Landeskirchen) • Einrichtung eines effektiven Systems der Seenotrettung mit klaren Zuständigkeiten • Verbot von Regelungen in Mitgliedsstaaten, die Rettung unter Strafe stellen • Zugang zu einem fairen und effektiven Asylverfahren mit menschenwürdigen Aufnahmebedingungen • Legale Wege in die EU schaffen • Einrichtung eines solidarischen Verteilungssystems • Einrichtung von großzügigen Resettlementprogrammen (z.Zt. v.a. für Flüchtlinge aus Syrien, 100.000 für Deutschland?) • Ernsthafte Bekämpfung der Fluchtursachen in den Herkunftsländern • Entwicklung einer neuen menschenrechtlich orientierten europäischen Einwanderungspolitik • EKvW: Förderung von „Mediterranean Hope“ (Projekt Waldenser) Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen III. Krise in der Aufnahme von Asylbewerbern in NRW Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen Entwicklung der Asylbewerberzahlen Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen Monatliche Entwicklung Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen Hauptherkunftsländer Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen Überlastung der Erstaufnahmeeinrichtungen – Einrichtung von Notunterkünften • Aufnahme von Asylbewerbern in NRW 2011: 11.720 2012: 17.080 2013: 27.940 2014: ca. 44.000 2015: bis zu 170.000 (Prognose BAMF bundesweit: 800.000) • Gesamtkapazität Aufnahmeplätze Ende 2012: 1725 Ende 2013: 3675 (teilweise Notunterkünfte) Ende 2014: 10.000 (überwiegend Notunterkünfte) Angestrebt: 20.000 inkl. Notunterkünfte • Zusammenbruch des Erstaufnahmesystems, ungeregelte Aufnahme und Weiterleitung Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen Folgen für die Asylbewerber • Schlechte Qualität der Unterkünfte (räumliche Enge, niedriger Baustandard, kaum Sozialräume, keine medizinische Versorgung, etc.) • Chaos in der Verteilung, kurze Aufenthaltszeiten (3 Tage – 1 Woche), häufige Transfers, keine Ruhe zur Vorbereitung auf das Verfahren • Trennung von Familien, keine Berücksichtigung von humanitären Notsituationen • Keine Asylverfahrensberatung möglich • Weiterleitung in die Kommune ohne Registrierung und Anhörung, teilweise ohne Antragstellung • Prekäre Unterbringung und schlechte Kommunikation provozieren Bevölkerungsprotest und rechte Propaganda • Situation setzt sich in den Kommunen fort • Damit wird die Inanspruchnahme des Grundrechts auf Asyl durch die Situation in der Erstaufnahme praktisch eingeschränkt! Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen Krise in der kommunalen Unterbringung • Die Unterbringung von Flüchtlingen ist oft schlecht • Steigende Flüchtlingszahlen: Überbelegung, ungeeignete Liegenschaften, neue teure Heime, Container • Schon bisher oft desolate, enge Heime • Oft kein klares Konzept zu Aufnahme, Unterbringung und sozialer Versorgung (gesetzliche Vorgaben und Standards fehlen) • Zugleich: stark anwachsendes zivilgesellschaftliches und ehrenamtliches Engagement – das keine Anbindung an überlastete Hauptamtlichkeit findet Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen Positionen von Kirche und Diakonie zur kommunalen Unterbringung • Privates Wohnen muss Vorrang haben: selbstbestimmtes Wohnen, städtisch angemieteter Wohnraum, sozialen Wohnungsbau fördern • „Leverkusener Modell“: Auszugsmanagement, soziale Begleitung des Wohnens (günstiger als Sammelunterkünfte!) • Bei gemeinschaftlichem Wohnen kleine Einheiten und die Privatsphäre schützen (zu Mindeststandards Diakonie-Texte 07/2014) • Unterbringung unterstützen durch System sozialer Versorgung (Beratung, psychotherapeutische Hilfen, Sprachkurse, Netz Ehrenamt…) Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen Flüchtlingsgipfel I und II • • • • • • • • • Ausbau der Erstaufnahmeeinrichtungen Mehr Stellen Bezirksregierung, flächendeckende Kontrollen, dezentrales Beschwerdemanagement, Erweiterung Asylverfahrensberatung (Aufstockung der Mittel) Erhöhung Kostenerstattung Kommunen 3 Mio. Euro für Härtefallfonds für hohe Krankheitskosten Beschulung sicherstellen: Seiteneinsteigerklassen schaffen Flüchtlingsberatungsstellen in den Kreisen und kreisfreien Städten 300 zusätzliche Lehrerstellen Zusätzliche Mittel für Kitas und Ganztagsbetreuung sowie Sprachförderung Flüchtlinge in Arbeit: Modellprojekt „Early Intervention“ Forderungen an den Bund: Aufstockung BAMF (750 + 2.000), strukturelle finanzielle Beteiligung an Unterbringung wenn Antragsbearbeitung länger als 3 Monate, Zulassung zu Integrationskursen, etc. Aber: noch immer kein belastbares Konzept für die Erstaufnahme! Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen Bleibende Forderungen von Kirchen und Wohlfahrtspflege • Paradigmenwechsel: von den Flüchtlingen her denken • Schnellstmögliche langfristige Ausweitung der Unterbringungskapazitäten • Schaffung von ausreichend neuen Erstaufnahmeeinrichtungen – auch an Neubau denken • Mindestaufenthaltsdauer von 6 Wochen • Entwicklung eines neuen Gesamtkonzepts für die Erstaufnahme mit der Festlegung qualitativer Standards für Unterbringung und soziale Betreuung, Verankerung im Flüchtlingsaufnahmegesetz • Auskömmlichkeit der Mittel für Asylverfahrensberatung • Einbindung von sozialräumlicher Arbeit im Umfeld von Erstaufnahmeeinrichtungen • Bessere Landesfinanzierung der Aufnahme in den Kommunen Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen Engagement der EKvW • Brief der Präses (8/2013): „Im Engagement für Flüchtlinge nicht nachlassen“ • Brief von VP Henz an Kirchengemeinden (9/2013): Wohnraum zur Verfügung stellen • Hintergrundgespräche mit Landtagsabgeordneten über die AG Migration RWL, Beteiligung an Anhörungen und Fachtagen der Fraktionen und des MIK • Beschluss der Landessynode 2013: 250.000 Euro Sondermittel + Ökumene • Beschluss der Landessynode 2014 („Wort zur aktuellen Situtation der Flüchtlinge“): 300.000 für die Flüchtlingshilfe in Westfalen, 300.000 für die EU-Außengrenzen mit ökumenischen Partnern • Asylpolitisches Forum in der Ev. Akademie Villigst mit Flüchtlingsrat NRW, Pro Asyl, Amnesty Interational, BAG Asyl in der Kirche und Diakonie RWL als Dialogplattform zwischen NGO, Politik und Verwaltung Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen Sondermittel der EKvW für Flüchtlingsarbeit 2015 • 300.000 Euro insgesamt • 258.000 Euro für hauptamtliche Flüchtlings(sozial)arbeit an EAE, ZUE, PSZ und in den Regionen • Einrichtung neuer Stellen, Ausbau + Erhalt • Entlastung der Träger bei den Eigenmitteln, in der Regel in Ergänzung zum Landesprogramm „soziale Beratung für Flüchtlinge“ • 30.000 Euro für die Qualifizierung + Koordination von Ehrenamtlichen • 12.000 Euro für Aktionen für den Flüchtlingsschutz • Mittel sind abrufbar von kirchlichen und diakonischen Körperschaften im Bereich der EKvW Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen Was kann Kirche vor Ort tun? • • • • • • • • Situation der Flüchtlinge im Gemeindeleben thematisieren (Predigt, Frauenhilfe, Jugendgruppen, Konfis, etc.) Netzwerk ehrenamtlicher Flüchtlingshilfe aufbauen oder sich daran beteiligen – Koordination und Fortbildung sind wichtig Ehrenamtliche Tätigkeiten: „Patenschaft“, Begleitung bei Behördengängen, Hausaufgabenhilfe, Kinderspielstube, Spenden sammeln, Fahrradwerkstatt, Nähstube, Sprachkurse Zusammenarbeit mit Flüchtlingsberatungstellen u.a. Akteuren in der Region Gelegenheiten für Begegnung schaffen (z.B. interkulturelle Feste) Geistliche Angebote (für christliche Flüchtlinge): Seelsorge, mehrsprachige Gottesdienste (mit Shuttle-Bus?) – Interreligiöser Dialog Unterbringung und soziale Betreuung durch die Kommunen öffentlich ansprechen – offizielle Besuche durch kirchliche Delegationen in Flüchtlingsunterkünften Freien Wohnraum suchen und anbieten Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen Ansprechpartner bei EKvW und Diakonie für Flucht und Asyl + Externe • • • • • • • • • • Theol. Vizepräsident Albert Henz (Dezernat für Gesellschaftliche Verantwortung) Landeskirchenrat Dr. Thomas Heinrich (Jurist im Dezernat Gesellschaftliche Verantwortung, Härtefallkommission NRW) Pfarrer Helge Hohmann (Beauftragter der EKvW für Zuwanderungsarbeit, Studienleiter im Institut für Kirche und Gesellschaft) Fachteam Migration und Flucht der Diakonie RWL - Dietrich Eckeberg, Referent für Flüchtlingsarbeit und junge Zugewanderte - Karin Asboe, Koordination Asylverfahrensberatung der Wohlfahrtsverbände AG Migration RWL (Landeskirchen in NRW, Diakonie RWL, Ev. Büro) Ökumenisches Netzwerk Asyl in der Kirche NRW e.V. - Regionalstelle Westfalen: Pfarrer Poggenklaß Asylverfahrensberatung in Erstaufnahmeeinrichtungen Örtliche Flüchtlingsberatungstellen Kommunales Integrationszentrum Flüchtlingsrat NRW Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen IV. Kirchenasyl • 23 Kirchenasyle im Bereich der EKvW • Oft Dublin-III-Problematik, Bedarf steigt ständig • Handreichung der drei NRW-Landeskirchen und der Diakonie RWL: „Wenn ein Fremdling bei euch wohnt“ seit 1/2014 veröffentlicht, neue Auflage 1/2015 • Information an / Beratung durch - LKR Dr. Heinrich / Beauftragten für Zuwanderungsarbeit Helge Hohmann - Ökumenisches Netzwerk Asyl in der Kirche (Außenstelle Westfalen: Pfarrer Poggenklaß in Gütersloh) Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen „Kirchenasylkompromiss“ BAMFKirchen • • • • • • Sonderfall Dublin-Kirchenasyl: dient dem Ziel, die Rücküberstellungsfrist in ein EU-Land (6 Monate) zu überbrücken und damit ein Asylverfahren in Deutschland zu ermöglichen 2014: Starker Anstieg der Dublin-Kirchenasyle von 24 auf 169 Streit mit Bundesinnenminister und BAMF: Wird das Kirchenasyl als politisches Instrument gegen die Dublin-Regelung genutzt? Antwort: wird es nicht, ist aber eine Folge der menschenrechtswidrigen Anwendung der Dublin-Verordnung durch das BAMF (keine Härtefallprüfung) Gegenmaßnahme des BAMF: Einstufung von Flüchtlingen im Kirchenasyl als „flüchtig“, Verdreifachung der Überstellungsfrist auf 18 Monate „Kirchenasylkompromiss“ am 24.2.15: • • Einführung einer „Kommunikationsstruktur“ über Härtefälle zur Vermeidung von Kirchenasylen Rücknahme der Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate bis „Herbst 2015“ Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen Zum Schluss… „Es ist unaufgebbarer Ausdruck unseres christlichen Glaubens, Flüchtlingen, die bei uns Schutz vor Verfolgung und Not suchen, beizustehen. […] Ihre Würde verlangt auch eine gleichberechtigte Teilhabe am Gemeinwesen. […] Ich bitte Sie: Tun Sie alles, was Ihnen möglich ist, um Flüchtlinge und Asylsuchende in Ihrem Umfeld zu schützen“ Präses Annette Kurschus, Offener Brief an die Kirchenkreise und Kirchengemeinden Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Fachbereich Theologische und gesellschaftliche Grundfragen
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