Klare Regeln – klarer Kopf

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SUCHT. Sind bei der Arbeit Suchtmittel im Spiel, hört der Spass auf. Mitarbeitende mit Alkoholoder Drogenproblemen stellen gerade in Handwerkerbetrieben ein Sicherheitsrisiko dar – unter
Umständen sogar mit rechtlichen Konsequenzen.
Klare Regeln – klarer Kopf
Gefährliche Mischung:
Auch wenns noch so
trocken und staubig ist
– in einer Werkstatt hat
Alkohol nichts verloren.
Bild: SZ, Andreas Reinhart
Die Detailhandelslehre in einer Bäckerei
musste Sibylle Meier (Name geändert) abbrechen. Ihr regelmässiger Alkoholkonsum
liess eine Fortsetzung der begonnenen Ausbildung nicht mehr zu. Letzten Sommer
­erhielt die 22-Jährige eine zweite Chance:
Sie startete eine Schreinerlehre in einer geschützten Werkstätte. «Mein Grossvater war
Schreiner, und auch mein Bruder hat eine
Schreinerlehre absolviert. Schon als Kind
hat mich die Arbeit mit Holz fasziniert», erzählt die Lernende. Um vom Alkohol loszukommen, besucht sie regelmässig die Suchtberatung. Erste Erfolge zeichnen sich ab;
unter der Woche trinkt sie keinen Alkohol
mehr. «In der Schreinerei brauche ich einen
klaren Kopf, damit ich die Lehre durch­
ziehen kann. Das ist mir sehr wichtig», sagt
­Sibylle Meier.
Welche Anzeichen beachten?
Sibylle Meier ist kein Einzelfall: Laut der
Fachstelle Sucht Schweiz ist der Alkohol
mit Abstand das am weitesten verbreitete
Suchtmittel. Rund 20 % der erwachsenen
Schweizerinnen und Schweizer haben ein
latentes Alkoholproblem – zumindest ist
ihr Konsum als riskant zu bezeichnen.
250 000 Personen gelten als alkoholabhängig. «Suchtprobleme am Arbeitsplatz sind
für alle Beteiligten eine gros­se Herausforderung», weiss Heinz Lengacher, Regionalleiter der Stiftung Berner Gesundheit in
Thun. «Abhängige versuchen meist, ihren
Konsum zu verstecken, und haben Angst,
ihre Stelle zu verlieren.» Oft entwickle sich
eine Drogenabhängigkeit über Jahre hinweg sehr langsam und werde daher von Arbeitskollegen wie auch den Vorgesetzten
erst spät erkannt. «Auch wenn Kollegen beobachten, dass mit ihrem Teammitglied
ARBEITSSICHERHEIT
SCHREINERZEITUNG NUMMER 7 18. Februar 2016
­etwas nicht stimmt, getrauen sie sich meis-
Die Suva zieht daraus, in Bezug auf Rausch-
eine begleitende Suchttherapie. Laut Daniel
tens nicht sofort, ihre Vorgesetzten darü-
mittel, folgende Schlussfolgerung: «Ein Ar-
Quennoz können solche Massnahmen bis
ber zu informieren. Schliesslich wollen sie
beitgeber, der einen Mitarbeiter oder eine
zu einem Jahr dauern: «Als Vorgesetzter
ihren Kollegen ja nicht verraten», sagt
Mitarbeiterin wissentlich ‹berauscht› arbei-
muss ich mir im Vorfeld Gedanken dazu
Heinz Lengacher. Indizien für eine mögli-
ten lässt, hat nicht alle notwendigen Unfall-
machen, wo die Schmerzgrenze liegt und
che Drogenabhängigkeit sind ein markan-
verhütungsmassnahmen getroffen und da-
wie weit ich einen Mitarbeiter unterstützen
ter Rückgang der Leistungsfähigkeit, Un-
her gegen den UVG-Artikel 82 verstossen.
will.» Bevor Massnahmen in Absprache mit
pünktlichkeit, meist aus diffusen Gründen,
Dabei spielt es keine Rolle, ob dieser Zu-
dem Arbeitgeber eingeleitet werden, sei es
sowie – gerade beim Alkoholkonsum – die
stand durch Alkohol, Haschisch, Medika-
wichtig, klare schriftliche Vereinbarungen
typische «Fahne». Zwar weisen diese Symp-
mente oder andere Drogen verursacht wird.»
tome eventuell auf ein Suchtproblem hin,
zwischen Unternehmen und Mitarbeiter als
Zusatz zum bestehenden Arbeitsvertrag zu
sie können jedoch auch andere Ursachen
Unterstützung zugesichert
haben, geben die Suchtberatungen zu be-
Schon mehrmals mit suchtmittelabhängi-
können die Suchtberatungen beigezogen
denken. Deshalb dürfen keinesfalls voreili-
gen Mitarbeitenden zu tun hatte Nicole
werden. Dies ist laut Daniel Quennoz vor
treffen und zu unterzeichnen. Auf Wunsch
ge Schlüsse gezogen werden; nur ein Arzt
Wenger, Leiterin der Personalabteilung der
­allem auch für kleine und mittlere Unter-
kann endgültig beurteilen, ob eine Person
Wenger Fenster AG in Wimmis mit 135 Mit-
nehmen wertvoll, die wenig Erfahrung im
drogenabhängig ist.
arbeitenden. Die Betroffenen wurden am-
Umgang mit drogenabhängigen Mitarbei-
bulant, teilweise auch stationär behandelt.
tenden haben.
Nicht mit der Tür ins Haus fallen
«Wir sichern diesen Mitarbeitern unsere
Wie sollen Arbeitskollegen und Vorgesetzte
Unterstützung zu, erwarten von ihnen aber
Regeln schaffen Transparenz
reagieren, wenn sie bei einem Mitarbeiter
auch ein Engagement gegen ihr Suchtpro-
Besonders suchtfördernd sind heisse und
eine Drogenabhängigkeit vermuten? In
blem», sagt Nicole Wenger. Allerdings kam
staubige Werkstätten, monotone und lang-
­einem ersten Schritt empfiehlt Daniel Quen-
es auch schon zu Kündigungen, nachdem
weilige Tätigkeiten, unregelmässige Arbeits-
noz, Stellenleiter der Suchtberatung AGS
die Mitarbeiter die verschriebenen Medika-
zeiten sowie Arbeitsplätze, welche der so-
der Bezirke Rheinfelden und Laufenburg,
mente nicht eingenommen und sich nicht
zialen Kontrolle weitgehend entzogen sind –
die betroffene Person auf die Beobachtun-
an Abmachungen gehalten hatten.
gen wie etwa Unpünktlichkeit oder Leistungsabfälle anzusprechen. «Auf keinen Fall
sollten die Vorgesetzten mit der Tür ins
Haus fallen», sagt Quennoz. «Vielmehr geht
es darum, den Mitarbeiter einzuladen, sich
zu öffnen, und ihm Hilfe anzubieten.» Da
die meisten Betroffenen Angst haben, die
Stelle zu verlieren, sei es wertvoll, wenn ein
Unternehmen klar kommuniziere, wie es
im Falle einer Drogenabhängigkeit vorgehe.
zum Beispiel Einzelbüros, Alleinarbeit oder
Aus­sendienst. Klare Regeln und entsprechen-
«Wir sichern Betroffenen
unsere Unterstützung zu,
erwarten aber auch ein
Engagement gegen ihr
Suchtproblem.»
NICOLE WENGER, WENGER FENSTER AG
Viele Unternehmen zeigen sich laut Quen-
de Kontrollen schaffen hier Transparenz
für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Um ein
Suchtmittelverbot durchzusetzen, braucht
es geeignete präventive Massnahmen, regelmässige Kontrollen und entsprechende
Sanktionen. Dass dies funktionieren kann,
zeigt die Baubranche: Dort hat laut der
Suva ein regelrechter Sinneswandel stattgefunden, ausgelöst durch jahrelange Präventions- und Informationsarbeit sowie
noz bereit, den Mitarbeitenden zu helfen,
Das Unternehmen verfügt über einen Leit-
konsequente Durchsetzung der Suchtmittel-
damit diese ihre Arbeitsstelle behalten
faden im Umgang mit drogenabhängigen
nulltoleranz mit strengen Kontrollen bzw.
können. «Je besser ein Führungsstab auf
Mitarbeitenden: Zuerst wird über die Per-
Sanktionen. solche Fälle vorbereitet ist, umso eher kann
sonalabteilung das Gespräch mit der be-
eine Firma frühzeitig reagieren und Betrof-
troffenen Person gesucht. In einem weite-
→www.suchthilfe-ags.ch
fenen helfen», sagt der Suchtberater. Sucht-
ren Schritt wird – zusammen mit einem
→www.bernergesundheit.ch
beratungsstellen bieten Schulungen für
Arzt und der Suchtberatung von der Berner
→www.suva.ch
Unternehmen an.
Gesundheit – ein Massnahmenpaket ge-
→www.alkoholamarbeitsplatz.ch
schnürt. «Unser Ziel ist, die betroffenen
Arbeitgeber in der Pflicht
Mitarbeitenden wenn immer möglich im
Diese handeln im eigenen Interesse, schliess-
Betrieb zu behalten und sie beim Entzug zu
lich nimmt das Gesetz auch die Arbeitgeber
unterstützen», betont Nicole Wenger. Da-
in die Pflicht: Wer wissentlich einen ange-
bei sei es besonders wichtig, im Verdachts-
trunkenen oder sonst sicherheitsrelevant
fall frühzeitig zu reagieren, um die Arbeits-
beeinträchtigten Mitarbeiter arbeiten lässt,
sicherheit zu gewährleisten.
macht sich strafbar. Denn gemäss Unfallversicherungsgesetz (UVG, Artikel 82) ist
Schriftliche Vereinbarung
der Arbeitgeber verpflichtet, alle notwendi-
Je nach Ausprägung einer Sucht durchlau-
gen Massnahmen zur Verhütung von Berufs-
fen die abhängigen Personen einen stationä-
unfällen und Berufskrankheiten zu treffen.
ren oder ambulanten Entzug. Hinzu kommt
Weitere Infos
unter schreinerzeitung.ch
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