16 SUCHT. Sind bei der Arbeit Suchtmittel im Spiel, hört der Spass auf. Mitarbeitende mit Alkoholoder Drogenproblemen stellen gerade in Handwerkerbetrieben ein Sicherheitsrisiko dar – unter Umständen sogar mit rechtlichen Konsequenzen. Klare Regeln – klarer Kopf Gefährliche Mischung: Auch wenns noch so trocken und staubig ist – in einer Werkstatt hat Alkohol nichts verloren. Bild: SZ, Andreas Reinhart Die Detailhandelslehre in einer Bäckerei musste Sibylle Meier (Name geändert) abbrechen. Ihr regelmässiger Alkoholkonsum liess eine Fortsetzung der begonnenen Ausbildung nicht mehr zu. Letzten Sommer erhielt die 22-Jährige eine zweite Chance: Sie startete eine Schreinerlehre in einer geschützten Werkstätte. «Mein Grossvater war Schreiner, und auch mein Bruder hat eine Schreinerlehre absolviert. Schon als Kind hat mich die Arbeit mit Holz fasziniert», erzählt die Lernende. Um vom Alkohol loszukommen, besucht sie regelmässig die Suchtberatung. Erste Erfolge zeichnen sich ab; unter der Woche trinkt sie keinen Alkohol mehr. «In der Schreinerei brauche ich einen klaren Kopf, damit ich die Lehre durch ziehen kann. Das ist mir sehr wichtig», sagt Sibylle Meier. Welche Anzeichen beachten? Sibylle Meier ist kein Einzelfall: Laut der Fachstelle Sucht Schweiz ist der Alkohol mit Abstand das am weitesten verbreitete Suchtmittel. Rund 20 % der erwachsenen Schweizerinnen und Schweizer haben ein latentes Alkoholproblem – zumindest ist ihr Konsum als riskant zu bezeichnen. 250 000 Personen gelten als alkoholabhängig. «Suchtprobleme am Arbeitsplatz sind für alle Beteiligten eine grosse Herausforderung», weiss Heinz Lengacher, Regionalleiter der Stiftung Berner Gesundheit in Thun. «Abhängige versuchen meist, ihren Konsum zu verstecken, und haben Angst, ihre Stelle zu verlieren.» Oft entwickle sich eine Drogenabhängigkeit über Jahre hinweg sehr langsam und werde daher von Arbeitskollegen wie auch den Vorgesetzten erst spät erkannt. «Auch wenn Kollegen beobachten, dass mit ihrem Teammitglied ARBEITSSICHERHEIT SCHREINERZEITUNG NUMMER 7 18. Februar 2016 etwas nicht stimmt, getrauen sie sich meis- Die Suva zieht daraus, in Bezug auf Rausch- eine begleitende Suchttherapie. Laut Daniel tens nicht sofort, ihre Vorgesetzten darü- mittel, folgende Schlussfolgerung: «Ein Ar- Quennoz können solche Massnahmen bis ber zu informieren. Schliesslich wollen sie beitgeber, der einen Mitarbeiter oder eine zu einem Jahr dauern: «Als Vorgesetzter ihren Kollegen ja nicht verraten», sagt Mitarbeiterin wissentlich ‹berauscht› arbei- muss ich mir im Vorfeld Gedanken dazu Heinz Lengacher. Indizien für eine mögli- ten lässt, hat nicht alle notwendigen Unfall- machen, wo die Schmerzgrenze liegt und che Drogenabhängigkeit sind ein markan- verhütungsmassnahmen getroffen und da- wie weit ich einen Mitarbeiter unterstützen ter Rückgang der Leistungsfähigkeit, Un- her gegen den UVG-Artikel 82 verstossen. will.» Bevor Massnahmen in Absprache mit pünktlichkeit, meist aus diffusen Gründen, Dabei spielt es keine Rolle, ob dieser Zu- dem Arbeitgeber eingeleitet werden, sei es sowie – gerade beim Alkoholkonsum – die stand durch Alkohol, Haschisch, Medika- wichtig, klare schriftliche Vereinbarungen typische «Fahne». Zwar weisen diese Symp- mente oder andere Drogen verursacht wird.» tome eventuell auf ein Suchtproblem hin, zwischen Unternehmen und Mitarbeiter als Zusatz zum bestehenden Arbeitsvertrag zu sie können jedoch auch andere Ursachen Unterstützung zugesichert haben, geben die Suchtberatungen zu be- Schon mehrmals mit suchtmittelabhängi- können die Suchtberatungen beigezogen denken. Deshalb dürfen keinesfalls voreili- gen Mitarbeitenden zu tun hatte Nicole werden. Dies ist laut Daniel Quennoz vor treffen und zu unterzeichnen. Auf Wunsch ge Schlüsse gezogen werden; nur ein Arzt Wenger, Leiterin der Personalabteilung der allem auch für kleine und mittlere Unter- kann endgültig beurteilen, ob eine Person Wenger Fenster AG in Wimmis mit 135 Mit- nehmen wertvoll, die wenig Erfahrung im drogenabhängig ist. arbeitenden. Die Betroffenen wurden am- Umgang mit drogenabhängigen Mitarbei- bulant, teilweise auch stationär behandelt. tenden haben. Nicht mit der Tür ins Haus fallen «Wir sichern diesen Mitarbeitern unsere Wie sollen Arbeitskollegen und Vorgesetzte Unterstützung zu, erwarten von ihnen aber Regeln schaffen Transparenz reagieren, wenn sie bei einem Mitarbeiter auch ein Engagement gegen ihr Suchtpro- Besonders suchtfördernd sind heisse und eine Drogenabhängigkeit vermuten? In blem», sagt Nicole Wenger. Allerdings kam staubige Werkstätten, monotone und lang- einem ersten Schritt empfiehlt Daniel Quen- es auch schon zu Kündigungen, nachdem weilige Tätigkeiten, unregelmässige Arbeits- noz, Stellenleiter der Suchtberatung AGS die Mitarbeiter die verschriebenen Medika- zeiten sowie Arbeitsplätze, welche der so- der Bezirke Rheinfelden und Laufenburg, mente nicht eingenommen und sich nicht zialen Kontrolle weitgehend entzogen sind – die betroffene Person auf die Beobachtun- an Abmachungen gehalten hatten. gen wie etwa Unpünktlichkeit oder Leistungsabfälle anzusprechen. «Auf keinen Fall sollten die Vorgesetzten mit der Tür ins Haus fallen», sagt Quennoz. «Vielmehr geht es darum, den Mitarbeiter einzuladen, sich zu öffnen, und ihm Hilfe anzubieten.» Da die meisten Betroffenen Angst haben, die Stelle zu verlieren, sei es wertvoll, wenn ein Unternehmen klar kommuniziere, wie es im Falle einer Drogenabhängigkeit vorgehe. zum Beispiel Einzelbüros, Alleinarbeit oder Aussendienst. Klare Regeln und entsprechen- «Wir sichern Betroffenen unsere Unterstützung zu, erwarten aber auch ein Engagement gegen ihr Suchtproblem.» NICOLE WENGER, WENGER FENSTER AG Viele Unternehmen zeigen sich laut Quen- de Kontrollen schaffen hier Transparenz für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Um ein Suchtmittelverbot durchzusetzen, braucht es geeignete präventive Massnahmen, regelmässige Kontrollen und entsprechende Sanktionen. Dass dies funktionieren kann, zeigt die Baubranche: Dort hat laut der Suva ein regelrechter Sinneswandel stattgefunden, ausgelöst durch jahrelange Präventions- und Informationsarbeit sowie noz bereit, den Mitarbeitenden zu helfen, Das Unternehmen verfügt über einen Leit- konsequente Durchsetzung der Suchtmittel- damit diese ihre Arbeitsstelle behalten faden im Umgang mit drogenabhängigen nulltoleranz mit strengen Kontrollen bzw. können. «Je besser ein Führungsstab auf Mitarbeitenden: Zuerst wird über die Per- Sanktionen. solche Fälle vorbereitet ist, umso eher kann sonalabteilung das Gespräch mit der be- eine Firma frühzeitig reagieren und Betrof- troffenen Person gesucht. In einem weite- →www.suchthilfe-ags.ch fenen helfen», sagt der Suchtberater. Sucht- ren Schritt wird – zusammen mit einem →www.bernergesundheit.ch beratungsstellen bieten Schulungen für Arzt und der Suchtberatung von der Berner →www.suva.ch Unternehmen an. Gesundheit – ein Massnahmenpaket ge- →www.alkoholamarbeitsplatz.ch schnürt. «Unser Ziel ist, die betroffenen Arbeitgeber in der Pflicht Mitarbeitenden wenn immer möglich im Diese handeln im eigenen Interesse, schliess- Betrieb zu behalten und sie beim Entzug zu lich nimmt das Gesetz auch die Arbeitgeber unterstützen», betont Nicole Wenger. Da- in die Pflicht: Wer wissentlich einen ange- bei sei es besonders wichtig, im Verdachts- trunkenen oder sonst sicherheitsrelevant fall frühzeitig zu reagieren, um die Arbeits- beeinträchtigten Mitarbeiter arbeiten lässt, sicherheit zu gewährleisten. macht sich strafbar. Denn gemäss Unfallversicherungsgesetz (UVG, Artikel 82) ist Schriftliche Vereinbarung der Arbeitgeber verpflichtet, alle notwendi- Je nach Ausprägung einer Sucht durchlau- gen Massnahmen zur Verhütung von Berufs- fen die abhängigen Personen einen stationä- unfällen und Berufskrankheiten zu treffen. ren oder ambulanten Entzug. Hinzu kommt Weitere Infos unter schreinerzeitung.ch FM 17
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