www.kiz-online.de e b a g s u a r e d n o S 6. November 2015 Missbrauch schockt Bistum Ehemaliger Bischof Heinrich Maria Janssen soll sich an einem Messdiener vergangen haben Er galt als eine Art Lichtgestalt in der jüngeren Geschichte des Bistums Hildesheim. Seit vergangenem Freitag um kurz nach elf erscheint der frühere Bischof Heinrich Maria Janssen in einem ganz anderen Licht. Zunächst vor den Mitarbeitern, drei Stunden später in einer Pressekonferenz informierte Weihbischof HeinzGünter Bongartz: Janssen sei des schwerwiegenden sexuellen Missbrauchs beschuldigt worden. Die Diözese halte die Schilderungen für plausibel. Hinter verschlossenen Türen war der Fall schon seit einigen Monaten zwischen Missbrauchsopfer (einem heute fast 70-jährigen damaligen Messdiener), Bistum und Bischofskonferenz hin und her gegangen. Mitte der Woche gab es dann erste Nachfragen des Spiegel im Generalvikariat. Hintergrund: das Missbrauchsopfer hatte sich selbst an die Redaktion gewandt. Und während Weihbischof Bongartz am Freitag nachmittag in der Pressekonferenz Rede und Antwort stand, wurden die ungeheuren Vorwürfe bereits über das Internet verbreitet: Der Betroffene habe angegeben, dass der Bischof ihn ab dem Alter von zehn Jahren regelmäßig durch Masturbation, Oral- und Analverkehr missbraucht habe. Diese Übergriffe hätten zwischen 1958 Heinrich Maria Janssen war ein äußerst beliebter Bischof. Jetzt werden schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben. Foto: Archiv und 1963 „unter Ausnutzung der bischöflichen Autorität und Stellung“ stattgefunden, hieß es. Solche Einzelheiten wollte Bongartz am Freitag nicht bestätigen, er sprach aber von einem schweren Fall von Missbrauch. Schilderungen klingen plausibel Mitte Mai hatte sich der Mann an das Generalvikariat gewandt und die Vorwürfe gegen den früheren Hildesheimer Bischof erhoben. Seine Schilderungen hätten plausibel geklungen, es habe keinen Grund gegeben, seine Aussagen zu bezweifeln, so der Weihbischof. „Er bat damals darum, den Fall absolut vertraulich zu behandeln. Daran haben wir uns aus Gründen des Opferschutzes strikt gehalten“, erläuterte Bongartz. Der Antrag des Missbrauchsopfers auf eine Anerkennung des Leids – so wird diese Art finanzieller Entschädigung bezeichnet – sei an die zuständigen Stellen der Bischofskonferenz geleitet worden. Die hatte von sich aus eine Zahlung von 10 000 Euro empfohlen, das Doppelte der in solchen Fällen bisher gezahlten Summe. „Das haben wir ohne Diskussion akzeptiert und gezahlt“, sagte Bongartz. Opfer fordert höhere Entschädigung Der Mann habe sich zunächst mit dieser Lösung einverstanden erklärt, kurze Zeit später aber eine deutlich höhere Entschädigung gefordert. „Das haben wir abgelehnt – aus Gründen der Gleichbehandlung der Opfer, aber auch, weil es uns als Erpressbarkeit hätte ausgelegt werden können“, so Weihbischof Bongartz. Darauf hin habe sich der Mann an die Presse gewandt und Einzelheiten des Missbrauchs erzählt. Die offenbar begründeten Vorwürfe gegen Bischof Heinrich Maria Janssen erwischen das Bistum Hildesheim zum Ende seines Jubiläumsjahres kalt. „Das alles ist schrecklich und wird ein Beben im Bistum auslösen“, so Bongartz, der sichtlich bemüht war, sachlich zu informieren. Für einen kurzen Moment allerdings stockte ihm die Sprache und er musste gegen Tränen ankämpfen, als er sagte, Janssen habe ihn als jungen Mann ins Bistum geholt und zum Priester geweiht. Bischof war äußerst beliebter Seelsorger Heinrich Maria Janssen war von 1957 bis 1982 Bischof von Hildesheim. Weit über die Grenzen des Bistums hinaus genoss er höchste Anerkennung, galt als exzellenter Seelsorger, als Bischof zum Anfassen. In seiner Zeit wurden rund 300 Kirchen gebaut. Er setzte sich für die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge ein, war Ehrenbürger mehrerer Städte und Träger des Verdienstkreuzes der Bundesrepublik. Wer Janssen persönlich kannte, erlebte einen feinsinnigen, gebildeten, zurückhaltenden Menschen, der sein Amt in großer Demut ausübte. Als erster deutscher Bischof rief er nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine Diözesansynode ein, deren Ergebnisse bis heute richtungsweisend sind. Dieser Mann – ein Kinderschänder? Für viele Menschen wird es nicht einfach sein, mit so einer Vorstellung fertig zu werden. Da sind die Priester, die in Heinrich Maria Janssen ihr Vorbild und ihren Vertrauten sahen, da sind die Mitarbeiter im kirchlichen Dienst, denen ein Bischof in dieser Zeit als nahezu so unfehlbar schien wie der Papst. Und da sind die vielen Katholiken im Bistum, die Heinrich Maria zujubelten und ihn bewunderten. Der sexuelle Missbrauch durch Priester und Mitarbeiter der Kirche ist alles andere als neu. Fast 40 Fälle aus den vergangenen Jahrzehnten sind im Bistum Hildesheim bekannt. Die Diözese hat daraus weitreichende Konsequenzen gezogen. Dass aber ein deutscher Bischof jetzt zu den Tätern gehört, ist bisher einmalig Stellten sich den Fragen der Journalisten: Weihbischof Heinz-Günter Bongartz und Domkapitular Martin Wilk. Foto: Branahl und bedeutet eine völlig neue Tragweite, die auch in dem bisherigen Bild von Heinrich Maria Janssen gesehen werden muss. Seine letzte Ruhe hat der frühere Bischof im Dom gefun- den. Sein Opfer fordert jetzt, die sterblichen Überreste aus der Gruft zu entfernen. „Wie wir in dieser Richtung reagieren, kann ich jetzt beim besten Willen noch nicht sagen“, so Weihbischof Bongartz. Bischof Norbert Trelle zeigte sich bestürzt über die aktuelle Situation. Er wird sich an diesem Wochenende mit einem BriefandieGemeindenwenden (siehe unten). Stefan Branahl Wort des Bischofs an die Gemeinden Liebe Schwestern und Brüder! Sie alle haben in den letzten Tagen vom Missbrauchsvorwurf gegen Bischof Heinrich Maria Janssen gehört oder gelesen. Der betroffene Mann hat angegeben, Ende der 1950-er und Anfang der 1960-er Jahre als Junge vom damaligen Hildesheimer Bischof sexuell missbraucht worden zu sein. Der bischöfliche Beraterstab zu Fragen sexuellen Missbrauchs hat die Schilderungen des Mannes geprüft und hält sie für plausibel. Die Nachricht über diesen Missbrauch bestürzt mich. Das Leid, das dem Mann nach dessen Aussage zugefügt worden ist, erfüllt mich mit tiefer Trauer. Als der Missbrauch in diesem Frühjahr angezeigt worden ist, hat der Betroffene um strikte Vertraulichkeit gebeten. Diesem Wunsch wurde zunächst ent- sprochen. Nachdem es in dieser Woche eine konkrete Presseanfrage gegeben hat, habe ich mich jedoch entschieden, Sie, liebe Schwestern und Brüder in den Gemeinden unseres Bistums, direkt zu informieren. Viele von Ihnen werden erschüttert sein, diese Nachricht zu hören. Vor allem diejenigen von Ihnen, die Bischof Heinrich Maria Janssen noch selbst kennengelernt haben und ihm persönlich begegnet sind, werden Verstörung und Trauer empfinden. Vor fünf Jahren haben wir uns entschieden, bei der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch mit Transparenz und Klarheit vorzugehen. Diesem Grundsatz fühle ich mich auch in diesem Fall verpflichtet, auch wenn uns dadurch das Thema „Sexueller Missbrauch“ in seiner ganzen Tragweite wieder einholt. Dennoch halte ich diesen Weg für den einzig richtigen und verantwortbaren. Der Missbrauchsvorwurf wird in den nächsten Tagen und Wochen in unseren Gemeinden und vor allem bei den Menschen, die sich Bischof Janssen eng verbunden fühlen, Fragen und Bestürzungen auslösen. Ihnen allen sage ich Unterstützung und Begleitung zu. Der Geschäftsführer des Beraterstabs zu Fragen sexuellen Missbrauchs, Domkapitular Martin Wilk, hat sich bereiterklärt, die Anfragen zu koordinieren. Von Herzen bitte ich Sie um Ihr Gebet, dass wir in dieser für unser ganzes Bistum schwierigen Situation beieinander bleiben. Mit freundlichen Grüßen und herzlichen Segenswünschen + Norbert Trelle Bischof von Hildesheim Impressum: KirchenZeitung – Die Woche im Bistum Hildesheim, Verlag: Bernward Mediengesellschaft mbH, Domhof 24, 31134 Hildesheim. Verantwortlich: Matthias Bode
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