Unterrichtsbehelf "CHANCENreich"

CHANCENreich
Unterrichtsbehelf
Kinderarmut
youngCaritas Tirol
CHANCENreich?!
Ein Unterrichtsbehelf zum Thema Kinderarmut
In diesem Unterrichtsbehelf möchten wir dazu anregen nachzuspüren, was es heißt arm zu sein und darüber
nachzudenken, was uns reich macht. Reich sein, bedeutet mehr als nur viel Geld zu besitzen. Es sind die
Freunde, die Familie, die Zeit mit einem Buch in der Hängematte, die Hobbies, der Sport, die Spiele im
Garten, die wundervolle Natur, die uns umgibt, die kraftspendenden Momente… Es sind Dinge, die uns mit
Lebensfreude erfüllen. Dinge, die man nicht unbedingt mit Geld kaufen kann.
Wir sind reich an CHANCEN. Doch genauso kennen wir das Gefühl arm zu sein, weil uns etwas fehlt, wir
uns benachteiligt fühlen oder weil wir nicht teilhaben können. Es macht wütend, traurig, nachdenklich,
ängstlich und vielleicht sogar unglücklich. Armut steht nicht nur für materiellen Mangel, sie kann auch
immaterieller Natur sein. Armut und Reichtum haben viele Facetten.
Inhalt
CHANCENreich?!........................................................................................................................ 2
Absolute Armut ........................................................................................................................... 3
Relative Armut ............................................................................................................................ 4
Dimensionen von Armut .............................................................................................................. 5
Armutskreislauf ........................................................................................................................... 7
Methoden .................................................................................................................................... 8
Lebensqualität – was ist das? .................................................................................................................... 8
Der Fall Daniela ......................................................................................................................................... 9
Factsheets ................................................................................................................................ 11
Armut weltweit .......................................................................................................................................... 11
Daten und Fakten zu Armut in Österreich ............................................................................................... 12
Weiterführende Literatur ........................................................................................................... 13
Kontaktdaten ............................................................................................................................. 13
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Seite 2
Absolute Armut
Siehe Factsheet Seite 11: Armut weltweit
Wenn man versucht Armut zu messen, braucht es Zahlen. Darum werden in Statistiken
Einkommensgrenzen definiert, die eine Armutsschwelle darstellen. Die vereinten Nationen beschreiben die
Grenze für absolute Armut, mit 1,25 US$ pro Tag, die Menschen für die Befriedigung ihrer
Lebensbedürfnisse zur Verfügung haben. Weltweit leben 1,2 Mrd.1 Menschen in absoluter Armut – das
ist jedeR Sechste. Oft haben sie noch weit weniger oder gar kein Bargeld und versuchen durch Tierhaltung
oder Eigenanbau von Nahrungsmitteln über die Runden zu kommen. Menschen, die in absoluter Armut
leben, mangelt es an Möglichkeiten die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens zu erfüllen. Sie haben nicht
genügend zu Essen, kein sauberes Trinkwasser, nur sehr selten Zugang zu Bildung oder zum Arbeitsmarkt.
2,7 Milliarden Menschen weltweit müssen mit weniger als 2,5 US$ pro Tag auskommen. Das bedeutet,
dass 36 % der Weltbevölkerung in absoluter oder moderater Armut leben!
Welche Länder sind am meisten betroffen?2
1
http://hdr.undp.org/sites/default/files/hdr14-report-en-1.pdf
Quelle: Human Development Indikatoren 2013
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2
Seite 3
Relative Armut
Siehe Factsheet Seite 12: Daten und Fakten zu Armut in Österreich
In Österreich und Europa gibt es nur sehr wenige Menschen, die in absoluter Armut leben müssen. Jedoch
bedeutet das nicht, dass es keine Armut gibt. Armut ist relativ zu den anderen Menschen in einer
Gesellschaft zu sehen und drückt die beschränkten Möglichkeiten aus, ein menschenwürdiges Leben
führen zu können aus. Ein menschenwürdiges Leben orientiert sich dabei an den Lebensstandards und –
gewohnheiten in einer Gesellschaft.
Als Maßzahl dafür gilt in Europa das Median-Einkommen. Wer weniger als 60 % des MedianEinkommens einer Gesellschaft zur Verfügung hat, gilt als armutsgefährdet. Das Medianeinkommen ist
jenes Einkommen, bei dem genau die Hälfte der Bevölkerung darüber, die andere Hälfte darunter liegt.
Derzeit liegt die Armutsgefährdungsgrenze in Österreich für alleinstehende Personen bei einem Einkommen
von monatlich 995 Euro (netto 14x/Jahr) bzw. 1161 Euro (netto 12x/Jahr). 1,2 Millionen Menschen (14 %)
leben in Österreich unter dieser finanziellen Armutsgrenze. Ein Viertel (408.000) von ihnen sind Kinder
oder Jugendliche!
Von akuter Armut wird gesprochen, wenn zu den beschränkten finanziellen Mitteln auch maßgebliche
Einschränkungen bei der Abdeckung grundlegender Lebensbedürfnisse spürbar sind. Das kann folgendes
bedeuten:





Substandardwohnung oder überbelegte Wohnung
Große finanzielle Nöte beim Beheizen der Wohnung
Große finanzielle Nöte bei der Anschaffung von Kleidern und beim Kauf von Lebensmitteln
Rückstände bei Zahlungen von Miete, Betriebskosten und Krediten
Es ist für einen Haushalt finanziell nicht möglich, zumindest einmal im Monat Gäste nach Hause zum
Essen einzuladen.
414.000 Menschen (5 %) leben in Österreich in akuter Armut. Davon haben 120.000 das 20. Lebensjahr
noch nicht erreicht!
Akut arm zu sein, bedeutet stark in der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben eingeschränkt zu sein. Eine
schlechte Wohnsituation kann beispielsweise enge Wohnverhältnisse, eine Wohnung in einem
benachteiligten Viertel (Ghettoisierung), mangelhafte Wohnungsausstattung oder einen sehr hohen Anteil
der Wohnkosten am Haushaltseinkommen bedeuten. Enge Wohnverhältnisse bedeuten, dass sehr wenig
Raum für die einzelnen Personen zur Verfügung steht. Das kann zur Folge haben, dass Kinder nicht in
Ruhe ihre Hausaufgaben machen können oder es nicht möglich ist Freunde nach Hause einzuladen.
Gleichzeitig ist es sehr schwierig an Freizeitaktivitäten Gleichaltrigen teilzunehmen, wenn die finanziellen
Mittel fehlen. Soziale Isolation kann die Folge sein.
Relative Armut stellt ein Maß der sozialen Ungleichheit in einer Gesellschaft dar. Wie das kurze Beispiel
zeigt geht Armut zumeist mit sozialer Ausgrenzung einher, die wiederum einen Verlust substantieller
Freiheiten bedeutet. Sich als vollwertiges Mitglied in einer Gesellschaft fühlen zu können, bedeutet auch
am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Armut betrifft jedoch zentrale Lebensbereiche wie Sozialkontakte,
Wohnen, Arbeitsmarkt, Bildung, Gesundheit u.v.m.
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Seite 4
Dimensionen von Armut
Siehe Methode Seite 8: Lebensqualität
Da die finanzielle Situation nur ein Teilaspekt von Armut ist, wird mit dem Lebenslagenansatz versucht die
verschiedenen Dimensionen von Armut und Lebensqualität ganzheitlich zu erfassen:
1. Materielle Grundversorgung des Kindes bzw. der/des Jugendlichen
a. Wohnverhältnisse,
die beengt sein können oder Rückzugsort für jedeN bieten,
die mangelhaft oder gut ausgestattet sein können,
die gut beheizt oder kalt sein können.
b. Ernährung,
die ausgewogen oder sehr einseitig sein kann.
c. Kleidung,
die neu oder abgetragen sein kann,
die passend oder zu groß/klein sein kann,
die der Jahreszeit entsprechend oder zu kalt sein kann.
2. Soziale Dimension
Sie beinhaltet die soziale Integration bzw. Ausgrenzung, soziale Kontakte, Möglichkeiten der
Freizeitgestaltung mit Gleichaltrigen sowie die soziale Teilhabe im Allgemeinen.
„Die Gestaltung der Freizeit ist in erster Linie von Sozialbeziehungen zu Gleichaltrigen (‚Peers‘)
geprägt. Allerdings ist […] eine steigende Kommerzialisierung der Freizeit zu bemerken. Arme Kinder
und Jugendliche können oft finanziell nicht mit anderen mithalten, etwa wenn sie nicht mit ins Kino
gehen können oder keine Spielkonsole besitzen. Zudem haben deprivierte Kinder und Jugendliche
kaum Raum für „nicht-kommerzielle“ Freizeitbeschäftigung: sie wohnen entweder in kleinen
Wohnungen, in denen kein Platz zum Spielen ist, oder haben unter Umständen auch kein eigenes
Zimmer, in das sie FreundInnen einladen könnten.“3
3. Kulturelle Dimension
Die kulturelle Dimension betrifft die Förderung von Kindern in ihrer intellektuellen und kulturellen
Entwicklung, die Eingliederung im Bildungssystem, die Möglichkeit Kinder in ihrer Schulbildung zu
unterstützen, mit ihnen Hausaufgaben machen zu können, sich Nachhilfe leisten zu können.
„Es ist nicht ein Faktor, der zu schlechten Schulleistungen führt. Es ist auch nicht ein Faktor, der
Kinder aus ökonomisch benachteiligten Familien geringe Aufstiegschancen beschert. Es ist die
Kombination aus einem Bündel von Kriterien: Eine überbelegte Wohnung fällt zusammen mit einer
Halbtagsschulordnung. Wenig Einkommen trifft auf ein einkalkuliertes Nachhilfesystem. Keine
Unterstützung zu Hause kommt mit eigener Erschöpfung und Unkonzentriertheit zusammen.“ 4
4. Physische und psychische Dimension
Hierbei geht es um chronische und psychosomatische Beschwerden, um ein gewaltfreies Aufwachsen
und das gesamtheitliche Wohlbefinden.
„Arme Kinder von heute sind die chronisch Kranken von morgen. Bei Kindern (11-13jährige) von
Erwerbslosen und Sozialhilfe-EmpfängerInnen treten überproportional asthmatische Erscheinungen
und Kopfschmerzen auf. Die Atemwegserkrankungen führen oft von feuchten Wohnungen her. Teilt
man die Gesellschaft in drei soziale Schichten, treten bei Kindern in der unteren Schicht mehr
Kopfschmerzen, Nervosität, Schlafstörungen und Einsamkeit auf.“5
Bundesjugendvertretung (2009) „Positionspapier gegen Armut und soziale Ausgrenzung von Kindern und Jugendlichen“
http://www.armutskonferenz.at/index.php?option=com_docman&task=cat_view&gid=31&Itemid=69, 4.9.15
4
Schenk, Martin (2013) „Schule: Vererbbarkeit Armut“
http://www.armutskonferenz.at/index.php?option=com_docman&task=cat_view&gid=38&Itemid=69, 4.9.15
5
http://www.armutskonferenz.at/index2.php?option=com_docman&task=doc_view&gid=94&Itemid=6, 4.9.15
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3
Seite 5
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Seite 6
Armutskreislauf
Siehe Methode Seite 9: Der Fall Daniela
Es gibt keinen allgemeingültigen, vorgezeichneten Weg von Armut oder einem Armutskreislauf. Rutscht
man jedoch einmal in die Armut, ist es sehr schwer wieder daraus auszubrechen. So könnte ein
beispielhafter Armutskreislauf6 aussehen:
Armut ist sehr oft mit einem Scham- und Ohnmachtsgefühl verbunden, das von Selbstzweifeln begleitet
wird. Wenig Geld zu haben, in schlechten Wohnverhältnissen zu leben, niemanden zu sich einladen zu
können, kann zu Ausgrenzungserfahrungen führen. Man kann nicht am gesellschaftlichen Leben
teilhaben und zweifelt an seinem Selbstwert, fühlt sich vielleicht wertlos und zieht sich immer mehr
zurück. Wenn es am Geld fehlt, um mit ins Kino, Eis essen oder auf ein Konzert zu gehen wird, ist es
sehr schwierig soziale Kontakte zu halten. Vielen ist es peinlich sagen zu müssen, dass sie sich etwas
nicht leisten können. Man fühlt sich ausgegrenzt und zieht sich noch weiter zurück. Dabei erleben Kinder
und Jugendliche nicht nur die eigene Unterversorgung als traumatisch, sondern auch die Ohnmacht der
Eltern Probleme zu meistern. Das kann wiederum Entmutigung bei der Entwicklung des eigenen
Selbstwertgefühles bedeuten. Schwierige Umstände in denen man aufwächst können sich auf die
Konzentration und schulische Leistungen auswirken. Eine schlechtere Schulausbildung führt wiederum
zu weniger guten BerufsCHANCEN… und der Kreislauf dreht sich weiter.
Armut bedeutet oft soziale Ausgrenzung und hat langfristige Auswirkungen auf die Entwicklung und den
weiteren Lebensweg. Trotzdem muss an dieser Stelle betont werden, dass jeder Mensch in einer
individuellen Situation ist. Dass jede Armutssituation verschiedene Hintergründe und Auswirkungen
haben kann. Es ist NICHT UNMÖGLICH aus Armut auszubrechen, auch wenn es schwierig ist.
6
https://www.demokratiewebstatt.at/thema/kinderarmut/kinderarmut-in-oesterreich/die-armutsspirale/?sword_list[]=armutsspirale&no_cache=1,
7.9.15
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Seite 7
Methoden
Lebensqualität – was ist das?
Siehe Input Seite 4: Dimensionen von Armut
Ziele:



Jugendliche setzen sich damit auseinander, was Lebensqualität (= ein reiches Leben) für sie
bedeutet.
Sie erkennen, dass Reichtum und Armut unterschiedliche Aspekte haben und nicht nur an Geld/
Materielles geknüpft sind.
Anhand der Dimensionen von Armut kann auf den Armutskreislauf übergeleitet werden.
Dauer:
Material:
30- 45 min
Moderationskärtchen, Stifte, Plakat mit den vier
Dimensionen von Lebensqualität
Ablauf:
1) Brainstorming: Jugendliche notieren auf Moderationskärtchen einzelne Aspekte ihrer
Lebensqualität: Was macht ein gutes Leben für mich aus? Was macht mein Leben reich?
Im Plenum werden unterschiedliche Aspekte gesammelt und eventuell ergänzt:







Gesundheit
Bildung
Partizipation
Schutz vor Bedrohung
Bewegungsfreiheit
ausreichendes
Einkommen
befriedigende Arbeit



vielfältige
Freizeitgestaltung
(kulturell, sportlich,…)
Absicherung bei
Krankheit/ im Alter
seriöse
Informationsquellen
(Presse, Radio, TV)





intakte Umwelt
gute
Verkehrsverbindungen
Freundschaften
eigene Wohnung
ausreichende und
schmackhafte Nahrung
2) Kurzer Input zum Modell der vier Dimensionen von Lebensqualität
Jugendliche ordnen ihre Moderationskärtchen den vier Dimensionen zu (eventuell in
Kleingruppen an mehreren Plakaten)
3)







Reflexionsfragen:
Kannst du die unterschiedlichen Diemensionen kurz beschreiben?
Welche Aspekte von Lebenssqualität können mit Geld gekauft werden?
In welchem Aspekt habe ich mich schon einmal arm gefühlt?
In welchem Aspekt fühle ich mich reich?
Welche Aspekte sind unbedingt für ein gutes Leben nötig?
Bei welchen Aspekten könnte ich Abstriche machen?
Welche Aspekte hängen voneinander ab bzw. beeinflussen sich gegenseitig?
Lebensqualität vs. Armut
Die materiellen, sozialen, kulturellen, psychischen und physischen Dimensionen drücken aus, was uns
reich macht. Es ist nicht Geld alleine das Reichtum ausmacht. Wenn wir uns überlegen, was
Lebensqualität für uns bedeutet, was uns Kraft und Energie gibt, was uns mit Freude erfüllt, uns
Sicherheit gibt, dann handelt es sich um sehr vielschichtige Aspekte unseres Lebens. Armut ist
hingegen ein Verlust an Lebensqualität in vielen Bereichen. In den meisten Fällen ist Geldnot ein
Ausgangspunkt, der jedoch sehr viel weitere Kreise zieht. Arm sein bedeutet viel mehr als kein Geld zu
haben. Einerseits zeigen die Dimensionen von Armut auf, auf wie vielen Ebenen „arm sein“ ausgrenzen
kann und zugleich eröffnet sie Blickwinkel für Lösungen. Wie können wir unsere Freizeit gestalten ohne
auszugrenzen, weil wir sie teuer gestalten? Welche Möglichkeiten gibt es ohne Geld Spaß zu haben?
Wie könnten wir uns in der Schule gemeinsam unterstützen? Welche Türen könnten wir öffnen, um trotz
finanzieller Schwierigkeiten in andere Lebensbereiche mehr Lebensqualität zu bringen?
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Seite 8
Der Fall Daniela
Siehe Input Seite 7: Armutskreislauf
Ziele:



Durch die Veranschaulichung anhand des Fallbeispiels Daniela setzen sich Jugendliche mit dem
Kreislauf von Armut auseinander.
Jugendliche erkennen, dass Armut oft unsichtbar ist.
Jugendliche werden dafür sensibilisiert, welche Folgen Armut und soziale Ausgrenzung haben
können.
Dauer:
Ca. 30 min
Impulsfragen:






Was ist damit gemeint, wenn es heißt, dass Daniela zu den meisten Türen keinen Zutritt hat?
Warum begreift sie Armut als einen Kreislauf der alles kaputt macht?
Ist Daniela ein Einzelfall?
Kennt ihr aus eurem eigenen Umfeld Menschen, die als arm bezeichnet werden?
Es heißt, Armut ist unsichtbar. Warum bemüht sich Daniela so, ihre Armut nicht zu zeigen?
Was ist der Unterschied zwischen Armut in Österreich und in einem Entwicklungsland?
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Seite 9
Der Fall Daniela
Daniela ist ein armes Kind. Aber man kann mit Daniela auf dem Handy telefonieren. Daniela
und ihr Handy gehören zusammen. Benutzt die Armut Handys? Daniela ist 14 Jahre alt. Und
wie sie so dasitzt, scheint es unmöglich, die Armut an ihr zu entdecken. Daniela schaut
jedem gerade ins Gesicht. Da ist nichts Kleinlautes, keine Spur von Unsicherheit. Und was
sie trägt, könnte das nicht jede tragen?
Sozialhilfe? Daniela kennt das Wort nicht einmal. Sie ist kein Sozialhilfekind. Was ihr Vater
bekommt, weiß Daniela genau. Arbeitslosengeld. Und sie weiß auch wie viel. Nicht viele
Kinder wissen, was ihre Eltern verdienen. Aber Daniela hat es sich gemerkt. Etwas mehr als
200 Euro braucht der Vater davon, um die Miete zu bezahlen, und dann sind da noch die
Nebenkosten. Daniela hat das eingesehen. Früher sind arme Kinder erfroren, wenn es kalt
wurde. Heizen kostet. Am Ende aber, rechnet Daniela, bleiben noch 150 Euro für beide. Für
einen ganzen Monat. Es klingt, als spreche sie von einem unermesslichen Reichtum. Und
davon, sagt Daniela, kriege ich ganze 15 Euro. Sie lässt ihre untere Gesichtshälfte fallen. Die
aus ihrer Klasse kriegen fast alle 50 Euro. Man sieht Daniela an, dass sie nicht bereit ist
darüber zu reden. Wo warst du in den Ferien? Das Mädchen versteht die Frage nicht. Zu
Hause. Wo bitte soll sie denn sonst sein? In Paris? Paris kennt sie. Nun gut, nicht direkt
Paris, aber Eurodisneyland. Es war ein Super-Sonderangebot. 17 Stunden hin mit dem Bus
und 17 wieder zurück, ohne Zwischenübernachtung. Aber es war schön. Es war die einzige
Urlaubsreise in Danielas Leben. Im Grunde gibt es nur 3 Dinge in Danielas Leben: ihr
Handy, den Traum von einer Kreuzfahrt und das Keyboard in der Schule. Zu Hause hat sie
keines.
Armut ist, was einem die Welt kleiner macht. Armut zieht eine unsichtbare Grenze durch das
Leben. Daniela geht wie andere auf der Straße und hat doch zu den meisten Türen keinen
Zutritt. Sie kann von ihren 15 Euro nicht wie andere in die Disco gehen. Ihr Mund wird jetzt
klein und schmal wie eine Narbe. Auch das ist Armut: mehr Narben zu haben als andere. Es
bedeutet, unempfindlich geworden zu sein an dieser Stelle. Daniela hat viele solcher Stellen.
Sie klagt nicht, sie steht darüber. Die Typen in der Disco seien sowieso blöd. Sie kann auch
nicht ins Kino gehen. Kino, findet Daniela, sei nun wirklich total uncool.
Arm zu sein bedeutet dauernd unter Druck zu stehen, ohne Zugriff zu den Ventilen zu haben.
Also bleiben nur Explosionen. Schläge? Daniela ist Schläge gewohnt. Früher ist sie
manchmal zu ihrer Mutter geflohen, aber bei der lebt schon ihr Bruder, und zwei Kinder
waren ihr zu viel. Vielleicht ist das das Schlimmste am Armsein – es ist im Grunde die
Erfahrung, zu viel zu sein. Manchmal denkt Daniela, ohne die Enge zu Hause, ohne den
Streit ums Geld hätten ihre Eltern es besser miteinander ausgehalten. Also ist Armut auch
das: Ein Kreislauf, der alles kaputt macht.
Gekürzter Text aus: Jugendrotkreuz, Reiches Land – arme Kinder, 2004
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Factsheets
Armut weltweit
Bevölkerung, die mit weniger als 1,25 US$ pro Tag lebt
in % (nur Entwicklungsländer)
Sub-Saharan Africa
Middle East & North Africa
Latin America & Caribbean
South Asia
East Asia & Pacific
Europe & Central Asia
0
10
2008
20
2005
30
2002
40
50
60
1999
Quelle: http://www.worldbank.org/en/topic/measuringpoverty
Details zu einzelnen Regionen: http://data.worldbank.org/region

Weltweit leben 1,2 Mrd. Menschen in absoluter Armut. Das bedeutet, dass sie für ihre
Grundbedürfnisse nicht mehr als 1,25 US$ täglich zur Verfügung haben.

2,7 Mrd. Menschen leben von weniger als 2,5 US$ täglich! Das bedeutet, dass 36 % der
Weltbevölkerung in absoluter oder moderater Armut leben!

Im Human Development Report wird darüber hinaus noch der Multidimensionale Armutsindex
erhoben. Dabei werden Gesundheitszustand, Ausbildung und Lebensstandards berücksichtigt. 1,5
Milliarden Menschen sind zumindest bei einem dieser Aspekte depriviert. Lt. dem Human
Development Report 2014 leben weltweit 2,2 Mrd. Menschen in multidimensionaler Armut oder
sind gefährdet in die Armut abzugleiten.

Das geografische Gebiet in dem Menschen Leben hat großen Einfluss auf Armut. Drei Viertel
aller Armen weltweit lebt im ländlichen Raum. Landwirtschaftliche ArbeiterInnen sind am
häufigsten von Armut betroffen.

UNICEF definiert Kinderarmut als einen Mangel in folgenden Bereichen: Ernährung,
Wasserversorgung, Hygiene, Gesundheit, Unterkunft, Bildung und Information. Über 1 Mrd.
Kinder ist zumindest in einem dieser sieben Bereiche depriviert!

In Entwicklungsländern sind 90 Mio. Kinder unter 5 Jahren stark mangelernährt. Das sind
16 % aller Kinder weltweit. Jedes 5. Kind (400 Mio.), hat keinen sicheren Zugang zu Wasser, da
die nächste Wasserstelle mehr als 15 Minuten entfernt liegt.

Über 140 Mio. Kinder im Alter zwischen 7 und 18 Jahren haben nie eine Schule besucht.
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Seite 11
Daten und Fakten zu Armut in Österreich
Stand August 2015
Armutsgrenzen

Statistisch gibt das EU-Programm SILC eine europaweit vergleichbare Armutsgrenze vor:
Kriterium für deren Berechnung sind 60 % des Median-Einkommens. Das ist jenes Einkommen,
bei dem genau die Hälfte der Bevölkerung darüber, die andere Hälfte darunter liegt. Wer weniger
als 60 % dieses Median-Einkommens zur Verfügung hat, gilt als armutsgefährdet.

In Österreich beträgt diese Armutsgrenze derzeit für Einpersonenhaushalte 995i Euro (netto
14x/Jahr) bzw. 1161 Euro (netto 12x/Jahr) wobei hier alle Sozial-, Pflege- Wohn-, Arbeitslosenaber auch Pflegegeldleistungen inkludiert sind, ebenso wie regelmäßige Privattransfers. Als
armutsgefährdet in Österreich gilt somit, wer weniger als diese 995 bzw. 1161 Euro zur
Verfügung hat.

Zusätzlich zur Armutsgefährdung, die rein auf das Einkommen bezogen ist, wird materielle
Deprivation (bspw. Zahlungsrückstände bei Miete, keine angemessen warme Wohnung, kein
Urlaub) sowie die Erwerbsintensität erhoben. Haushalte, die erheblich materielle depriviert (4 von
9 Faktoren) sind oder keine bzw. eine niedrige Erwerbstätigkeit ausweisen gelten als
ausgrenzungsgefährdet.

Haushalte, die armuts- und ausgrenzungsgefährdet sind gelten als akut arm. Hier kommen zu
einem Einkommen unter der Armutsgrenze Einschränkungen in zentralen Lebensbereichen wie
eine schlechte Wohnsituation oder Arbeitslosigkeit hinzu.

Eine weitere wichtige österreichische Armutsgrenze ist das Existenzminimum, bis zu dem ein
Einkommen gepfändet werden kann. Dies ist abhängig von der Anzahl der Unterhaltspflichten und
der Höhe des Einkommens. Die Untergrenze für das Existenzminimum liegt bei 872 Euro (netto
12x/Jahr). Bei Unterhaltspfändungen kann sich die Existenzgrundlage bis auf 654 Euro
reduzieren.
Armut in Österreich

414.000 Menschenii (rund 5 % der Bevölkerung) leben derzeit in Österreich in akuter Armut.
Zusätzlich leben rund 1,2 Millionen Menschen in Österreich (14,2 % der Bevölkerung) unter der
Armutsgrenze. Das bedeutet, dass insgesamt 19,2 % der österreichischen Bevölkerung armutsoder ausgrenzungsgefährdet sind. Ihnen fehlt oft das Geld für das Nötigste wie Heizmaterial,
Kleidung oder schon kleinere Reparaturen. (EU-SILC 2014)

Insgesamt sind rund 408.000iii Kinder und Jugendliche unter 20 Jahre in Österreich armuts- oder
ausgrenzungsgefährdet. Von ihnen leben 120.000 Kinder und Jugendliche in akuter Armut. Das
Armutsrisiko von Kindern und Jugendlichen liegt bei 23 %. Insgesamt sind 25 % aller
armutsgefährdeten Menschen Kinder und Jugendliche. (EU-SILC 2014)

34 %iv aller Ein-Eltern-Haushalte sind armutsgefährdet. Aber auch Familien mit drei oder mehr
Kindern sind mit 27 % überdurchschnittlich oft armutsgefährdet.

In Haushalten mit Kindern würde die Armutsgefährdung ohne den Sozialleistungen
(insbesondere Familienbeihilfe) von 14% auf 35%v ansteigen. Bei Alleinerziehenden würde
dieser Wert sogar auf 64 % steigen.

Armut und Bildungsniveau korrelieren: Während 21%vi jener, die maximal über einen
Pflichtschulabschluss verfügen (347.000 Personen) armutsgefährdet sind, sind es nur 10 % der
Personen mit Lehre oder mittlerer Schule (359.000 Personen) und 13 % der MaturantInnen
(137.000 Personen).

Zu den am meisten von Armut betroffenen Gruppen gehören MigrantInnen (ohne ÖStaatsbürgerschaft, keine EU-BürgerInnen) (41%)vii, Alleinerziehende (34 %), alleinlebende
Frauen (28 %) und kinderreiche Familien (27 %).

Männer sind zu 12% armutsgefährdet, Frauen zu 14%. Auffallend ist, dass die
Armutsgefährdungsquote bei Frauen in allen Altersgruppen höher als jene der Männer ist. Bei den
über 65-Jährigen klafft die Lücke am deutlichsten auseinander: 16 % der Frauen zu 11 % der
Männer.
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Seite 12
Weiterführende Literatur
Die Armutskonferenz ist als Netzwerk von über 40 sozialen Organisationen, sowie Bildungs- und
Forschungseinrichtungen aktiv. Sie thematisiert Hintergründe und Ursachen, Daten und Fakten,
Strategien und Maßnahmen gegen Armut und soziale Ausgrenzung in Österreich.
http://www.armutskonferenz.at/
Armut.de ist ein entwicklungspolitisches Bildungsangebot des World Vision Instituts für Forschung und
Entwicklung. Das Institut hat seinen inhaltlichen Fokus auf Child-Well-Being gelegt.
http://armut.de
Statistik Austria erhebt jährlich die aktuellen Indikatoren zu Armut und sozialer Eingliederung auf Basis
der EU-SILC (European Community Statistics on Income and Living Conditions).
http://www.statistik.at/ Suchbegriff: Armut
UNICEF childpoverty: http://www.unicef.org/sowc05/english/poverty.html
United Nations: http://www.un.org/en/index.html
Seit 25 Jahren wird jährlich der Human Development Report veröffentlicht, in dem auf die Entwicklung
und Lebensqualität der Menschen und nicht nur der Wirtschaftssysteme in denen sie Leben
eingegangen wird: http://hdr.undp.org/en
Thematische Weltkarten: Human Development Indikatoren zu Armut, Bildung, Einkommen,
Gesundheit etc. als Weltkarte (individuell anpassbar): http://hdr.undp.org/en/data/map
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Seite 13
http://www.statistik.at/ „Armutsgefährdungsschwelle 2014 bei 60% des Medians für unterschiedliche Haushaltstypen“
http://www.statistik.at/ „Europäische Indikatoren zur sozialen Eingliederung in Österreich 2004 bis 2014“
iii
http://www.statistik.at/ „Ein- bzw. Mehrfachausgrenzungsgefährdung nach soziodemographischen Merkmalen“ (in Tabellenband:
Kapitel 5: Armutsgefährdung und soziale Ausgrenzung
iv
http://www.statistik.at/ „Armutsgefährdung vor und nach sozialen Transfers nach soziodemographischen Merkmalen 2014“
v
http://www.statistik.at/ „Armutsgefährdung vor und nach sozialen Transfers nach soziodemographischen Merkmalen 2014“
vi
http://www.statistik.at/ „Armutsgefährdung vor und nach sozialen Transfers nach soziodemographischen Merkmalen 2014“
vii
http://www.statistik.at/ „Armutsgefährdung vor und nach sozialen Transfers nach soziodemographischen Merkmalen 2014“
i
ii
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Seite 14