Die Europäische Union - Bundeszentrale für politische Bildung

Dossier
Die Europäische
Union
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
2
Einleitung
Nach fast sechs Jahrzehnten blickt die Europäische Union auf eine Erfolgsgeschichte zurück. Doch
gerade das Zusammenspiel der mittlerweile 28 Mitgliedstaaten soll weiter verbessert werden. Viele
vertragliche Grundlagen werden als nicht mehr zeitgemäß empfunden. Nach der Ablehnung des EUGrundlagenvertrags 2004 soll der Vertrag von Lissabon diese Lücken schließen.
Den neuen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts soll noch stärker Rechnung getragen werden.
Besonderes Augenmerk liegt auf der Erhaltung des Wohlstands und des sozialen Schutzes innerhalb
der EU. Dabei stehen die Chancen für Europa gut – der europäische Binnenmarkt ist der größte der
Welt. 2007 wurden hier Waren im Wert von 5225,2 Mrd. Euro gehandelt. Mit rund 500 Millionen
Menschen bildet die EU den größten Wirtschaftsraum der Welt. Das Dossier vermittelt einen
lexikalischen Überblick, um sich mit der EU auseinanderzusetzen.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Inhaltsverzeichnis
1.
Warum Europa?
6
1.1
Warum Europa?
7
1.2
Gesamteuropa politisch
11
1.3
Gesamteuropa nach Bündnissen
13
1.4
Mitgliedsstaaten der Europäischen Union
15
1.5
Ich und die EU – EU im Alltag
18
1.6
Die Werte der Europäischen Union
20
2.
Was geschieht in der EU?
22
2.1
Binnenmarkt
23
2.2
Der Europäische Binnenmarkt
27
2.3
Wirtschaftsdaten
29
2.4
Währungsunion (Euro)
31
2.5
Die europäische Währungspolitik
34
2.6
Umweltpolitik
36
2.7
Umwelt und Klima
38
2.8
Energiepolitik
40
2.9
Energiepolitik: Abhängigkeiten und Pipelines - Öl
42
2.10
Energiepolitik: Abhängigkeiten und Pipelines - Gas
44
2.11
Landwirtschaftspolitik
46
2.12
Agrarpolitik
48
2.13
Regional- und Strukturpolitik
50
2.14
Sozialpolitik
52
2.15
Sozialpolitik der EU
55
2.16
Rechts- und Innenpolitik
57
2.17
Rechts- und Innenpolitik der Europäischen Union
59
2.18
Das Schengener Übereinkommen
61
2.19
Das auswärtige Handeln der EU
63
2.20
Die Außenpolitik der Europäischen Union – Handlungsfelder
66
2.21
Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik - Strukturen
68
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4
2.22
Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Die Sicherheitsstrategie 2003/2008
70
2.23
Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Missionen
72
2.24
Internet-Links und weiterführende Literatur
74
3.
Wer tut was in Europa?
75
3.1
Prinzipien des EU-Aufbaus
76
3.2
Die Prinzipien der EU
78
3.3
Europäisches Parlament
80
3.4
Das Europaparlament
83
3.5
Fraktionen im EP
85
3.6
Rat der Europäischen Union
88
3.7
Europäischer Rat
90
3.8
Europäische Kommission
92
3.9
Europäischer Gerichtshof
94
3.10
Europäische Zentralbank
95
3.11
Institutionen der Europäischen Union
97
3.12
Europäische Gesetzgebung
99
3.13
Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik
102
3.14
Beratende Ausschüsse
104
3.15
Europäische Bürgerbeauftragte
105
3.16
Partizipationsmöglichkeiten
106
3.17
Europäischer Haushalt
110
3.18
Haushalt der Europäischen Union
115
3.19
Zuständigkeitsbereiche in der Europäischen Union
117
3.20
Internet-Links und weiterführende Literatur
119
4.
Wie fing das an mit der EU?
121
4.1
Gründung der Europäischen Gemeinschaften
122
4.2
Erweiterungen und Vertiefungen der europäischen Integration
124
4.3
Entwicklung der Integration
128
4.4
Versuche der institutionellen Reform
130
4.5
Der Lissabonner Vertrag auf einen Blick
132
4.6
Internet-Links und weiterführende Literatur
134
5.
Wie geht es weiter mit der EU?
135
5.1
Überblick
136
5.2
Die Akzeptanz der Bevölkerung
138
5.3
Die Sicherung des Wohlstands
141
5.4
Bewältigung der Eurokrise
144
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5
5.5
Erhaltung der Umwelt
146
5.6
Künftige Erweiterungen und Verhältnis zu den Nachbarn
149
5.7
Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts
154
5.8
Migration
156
5.9
Die EU als internationaler Akteur
159
5.10
Internet-Links und weiterführende Literatur
161
6.
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Redaktion
163
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
6
Warum Europa?
24.9.2009
Viele Menschen denken, die Europäische Union ginge sie nichts an. Das stimmt aber nur, wenn sie
nicht atmen und kein Wasser trinken, wenn sie nicht arbeiten, nicht einkaufen und kein Geld haben,
wenn sie nicht studieren und nicht verreisen. Sollten sie das aber doch tun, wirkt die Europäische
Union auf ihr Leben ein.
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Warum Europa?
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Europa? Das ist für viele ein fremder Ort, ein abstraktes Gebilde. Dabei regelt die EU jetzt schon
vieles, was jeden von uns im täglichen Leben betrifft. Eine Einführung.
Europa – was ist das? Oder muss man fragen: Wer ist das? Beide Fragen sind möglich und auf beide
gibt es eine Antwort. Europa war – der griechischen Sage zufolge - eine phönizische Königstochter,
die dem Gott Zeus so gut gefiel, dass er sich in einen weißen Stier verwandelte und sie nach Kreta
entführte, wo sie ihm mehrere Kinder schenkte und dem Kontinent ihren Namen gab.
Dieser Kontinent Europa ist unsere Heimat und hat uns geschichtlich, kulturell und mental geprägt.
Darüber, wo der Erdteil endet, wird heftig diskutiert, da es klare geographische Grenzen im Osten und
Südosten nicht gibt. Europa ist nicht objektiv gegeben, es wird von uns definiert. Das zeigt sich am
Beispiel Islands, das durch das europäische Nordmeer vom Festland getrennt ist, aber allgemeiner
Auffassung nach selbstverständlich zu Europa gehört – und auch in Erwägung gezogen hat, Mitglied
der EU zu werden. Oftmals, wenn von "Europa" gesprochen wird, ist jedoch die Europäische Union
(EU) gemeint, also der Zusammenschluss von derzeit 28 europäischen Staaten. Die EU, mit der sich
dieses Dossier im Wesentlichen befasst, ist aus dem Bündnis von sechs westeuropäischen Staaten
in den 1950er-Jahren entstanden, um den Frieden unter den Mitgliedstaaten zu sichern. Sie ist die
Konsequenz der europäischen Staaten aus dem Zweiten Weltkrieg und war auf der Basis gemeinsamer
Werte immer auf das ganze Europa angelegt. So ist es kein Zufall, dass sie im Laufe der Jahre und
vor allem seit der Zeitenwende in Europa 1989 – 1991 neue Mitglieder gewonnen hat – und auch
bereit ist, weitere Länder aufzunehmen.
Die EU wirkt auf das Leben ihrer Bürger ein
Viele Menschen denken, diese Europäische Union ginge sie nichts an. Das stimmt aber nur, wenn sie
nicht atmen und kein Wasser trinken, wenn sie nicht arbeiten, nicht einkaufen und kein Geld haben,
wenn sie nicht studieren und nicht verreisen. Sollten sie das aber doch tun, wirkt die Europäische
Union auf ihr Leben ein.
Umwelt
Vieles, was unser Leben bestimmt, wird durch europäische Vorschriften geregelt. Nehmen wir den
Bereich unserer natürlichen Umwelt. Hier haben sich die Staaten der Europäischen Union auf wichtige
Standards geeinigt und das war auch nötig. Umweltverschmutzung kennt keine Grenzen. So gibt es
eine Feinstaubrichtlinie (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31999L0030:
DE:HTML), die bestimmt, wie viele (krebserregende) Staubpartikel unsere Atemluft höchstens
enthalten darf und es gibt eine Trinkwasserrichtlinie (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.
do?uri=CELEX:31998L0083:DE:HTML), die Höchstwerte für Giftstoffe im Trinkwasser festlegt. Eine
Richtlinie gibt dabei lediglich die Ziele vor. Wie die Staaten diese Ziele erreichen, verbleibt in ihrer
eigenen Regelungskompetenz.
Einkaufen
Dass im Supermarkt nicht nur deutsche Produkte angeboten werden, ist für uns völlig
selbstverständlich. Spanischer Wein, französischer Käse und polnische Wurstwaren stehen im Regal
neben ähnlichen Produkten aus Deutschland. Was besser ist, entscheiden jede Verbraucherin und
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jeder Verbraucher durch ihren Einkauf selbst. Die Kunden haben die Wahl. Dabei können sie sich auf
zwei Dinge verlassen: Zum einen gelten die Lebensmittelstandards, die sie in Deutschland gewohnt
sind, auch für die Produkte aus dem europäischen Ausland. Zum anderen werden die ausländischen
Waren zu den Preisen angeboten, die die Hersteller und Verkäufer vorgeben. Es gibt keinen Zoll, der
die Waren künstlich verteuert und der für die Käufer eine Art Strafsteuer darstellt, wenn sie sich für
ausländische Produkte entscheiden.
Export und Binnenmarkt
Nun wird in Deutschland nicht nur vieles eingeführt, sondern auch sehr viel produziert, was in den
Export geht. Im Jahr 2012 wurden Waren und Dienstleistungen im Wert von 1.096 Mrd. Euro in
Deutschland hergestellt, die ins Ausland verkauft wurden. 2012 gab es einen Exportüberschuss in
Höhe von 190 Mrd. Euro, das heißt, wir verkaufen ins Ausland mehr Dinge als wir von dort kaufen.
Damit werden bei uns Arbeitsplätze gesichert. Den schnellen Wiederaufschwung aus der großen
Finanz- und Wirtschaftskrise verdanken wir ebenfalls dem Export. Knapp zwei Drittel unserer Exporte
gehen in die anderen Länder der Europäischen Union.
Und genauso, wie die Bundesregierung die Einfuhr italienischer Nudeln nicht verhindern könnte, dürfen
uns die anderen EU-Staaten keine Steine in den Weg legen, unsere Produkte im Ausland anzubieten.
Wenn die Franzosen deutsche Autos besser finden, kann die französische Regierung sie nicht daran
hindern, sie zu kaufen. Die Europäische Union ist ein Binnenmarkt mit mehr als 500 Millionen
Menschen. Das bedeutet, dass innerhalb der EU alles so frei und selbstverständlich geht, wie man
das aus seinem eigenen Land gewohnt ist.
Freizügigkeit in der EU
Aber nicht nur die Waren und Dienstleistungen sind frei, auch die Menschen genießen Freizügigkeit.
Wer in einem anderen EU-Land leben und arbeiten will, kann das tun. Deutschland profitiert davon
zurzeit in besonderem Maße, weil viele Fachkräfte aus anderen EU-Staaten zu uns kommen und hier
zur Wertschöpfung beitragen.
Gemeinsame Währung
Zum Einkaufen benötigt man Geld. Wer in Deutschland sein Portemonnaie öffnet – sieht Europa.
Unsere Währung ist seit 1999 der Euro. Dabei handelt es sich um eine Gemeinschaftswährung, die
seit 2014 in 18 der 28 EU-Staaten benutzt wird. Bei Geld ist vor allem die Preisstabilität wichtig, über
die die Europäische Zentralbank wacht. Im Zentralbankrat sind alle Euro-Staaten gleichberechtigt
vertreten, natürlich auch Deutschland – aber eben genauso beispielsweise Frankreich, Belgien,
Slowenien oder Malta.
Bildung
Viele weitere Beispiele lassen sich nennen, die zeigen, dass die Europäische Union stark in unser
Leben eingreift. Dazu gehört auch der Bereich der universitären Bildung. Hier werden zum einen die
Bildungsabschlüsse angeglichen, um die gegenseitige Akzeptanz zu stärken. Dieser "BolognaProzess" wurde zwar nicht von der EU initiiert, findet aber im Wesentlichen in den EU-Staaten statt.
Auch Länder, die die Mitgliedschaft in der EU anstreben, richten ihr Bildungssystem danach aus – z.
B. Serbien oder die Türkei.
Damit immer mehr Studierende – und auch Auszubildende – Europa selbst erleben können, hat die
EU das Erasmus-Programm ins Leben gerufen. Damit wird Studierenden die Möglichkeit geboten,
dass sie einen Teil ihres Studiums im Ausland verbringen können und ihnen die dort erbrachten
Leistungen an der Heimathochschule angerechnet werden. Im akademischen Jahr 2011/2012 haben
über 250.000 Studierende in der EU von diesem Angebot Gebrauch gemacht. Insgesamt waren das
seit Beginn des Programms im Jahr 1987 mehr als 3 Millionen.
In Europa reisen
Aber auch, wer in ein anderes EU-Land reist, um in den Urlaub zu fahren oder um Freunde zu besuchen,
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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kommt mit den EU-Regelungen in Berührung. Auffallend ist, dass in den allermeisten EU-Staaten keine
Grenzkontrolle mehr stattfindet. Das hat mit dem Schengener Übereinkommen zu tun, mit dem die
Kontrollen an den Binnengrenzen der EU aufgehoben worden sind. Man kann heute von Nordfinnland
bis nach Sizilien fahren, ohne einmal einen Ausweis oder gar Reisepass zeigen zu müssen. Wer mit
dem Flugzeug unterwegs ist, wird durch die EU gleich mehrfach geschützt.
Zum einen sind auf EU-Ebene mittlerweile sogenannte Lockvogel-Angebote verboten, auf die in der
Vergangenheit viele Menschen hereingefallen sind. Da wurde ein Flug für wenig Geld angeboten,
kostete den Kunden jedoch letztendlich ein Vielfaches, weil dem "eigentlichen Flugpreis" Steuer,
Kerosinzuschlag, Sicherheitsgebühr und Bearbeitungszuschlag hinzugerechnet wurden. Heute muss
eine Fluggesellschaft in ihrer Werbung den Preis angeben, den der Kunde letztendlich zahlt. Durch
Billigfluglinien ist das Reisen sehr viel preisgünstiger geworden. Eine intensive Kontrolle innerhalb der
EU verhindert jedoch, dass fluguntaugliche Flugzeuge an den Start geschickt werden.
Schrottmaschinen aus Drittstaaten bekommen in der gesamten EU keine Landeerlaubnis, für sie gibt
es eine schwarze Liste (http://ec.europa.eu/transport/air-ban/pdf/list_de.pdf). Und wer unter
Flugverspätungen oder gar -Überbuchungen zu leiden hat, kann eine Reihe von Passagierrechten
(http://ec.europa.eu/transport/publications/doc/aff_apr_a4_en.pdf) geltend machen, die EU-weit
gelten und auf jedem Flughafen aushängen.
Wer nach seiner Reise ins europäische Ausland gut angekommen ist und mit dem Mobiltelefon zu
Hause anruft, tut das jetzt kostengünstiger als früher, weil die Europäische Union die sogenannten
Roaming-Gebühren der Telefongesellschaften beschränkt hat.
Dass die EU mit dem täglichen Leben der Bürgerinnen und Bürger nichts zu tun hat, ist also eindeutig
falsch. Wenn man seinen Alltag vom Morgen bis zum Abend rekonstruiert, wird man feststellen, dass
man fortlaufend Regelungen und Einflüssen der Europäischen Union begegnet. Das ist uns allerdings
im Allgemeinen nicht bewusst.
Europa und Bürokratie
Viele denken allerdings, wenn sie das Wort "Europäische Union" hören, nicht an Frieden, Freiheit,
Stabilität, Wohlstand, Umwelt- und Verbraucherschutz. Im Gegenteil: Ihnen fallen als erstes
komplizierte Strukturen und viel Bürokratie ein. Man hat die Vorstellung, in Brüssel würden Unmassen
von "Eurokraten" sitzen und unser Geld für sinnlose Dinge ausgeben. Gerne werden auch in der Presse
Beispiele zitiert, oftmals ohne eine Angabe der Zusammenhänge.
Tatsächlich arbeiten in der Europäischen Kommission rund 25.000 EU-Beamte. Zum Vergleich: Auf
dem Frankfurter Flughafen sind etwa 70.000 Personen tätig. Und von ihrem Haushalt von über 134
Mrd. Euro (im Jahr 2014) gibt die Europäische Union lediglich 6 Prozent für die Verwaltung aus.
Sicherlich bestehen auch überflüssige bürokratische Regeln in der EU und es gibt Dinge, über die
man den Kopf schüttelt. Aber das ist in Deutschland nicht anders.
Einfach zu verstehen ist die Europäische Union allerdings tatsächlich nicht. Die Entscheidungsfindung
in einer Union mit 28 Staaten, die in 24 Amtssprachen miteinander reden, ist komplizierter als in einem
Nationalstaat oder gar auf regionaler oder kommunaler Ebene. Da die Europäische Union kein Staat
ist, sondern eine Union der Staaten und der Bürger, kann man auch die Institutionen nicht einfach mit
den deutschen Verfassungsorganen gleichsetzen. Zudem ist die Europäische Union ein sogenanntes
Mehrebenensystem. Damit ist gemeint, dass verschiedene Ebenen in den politischen Prozessen
zusammenwirken. Wenn man sich beispielsweise in der Europäischen Union auf Höchstgrenzen für
Lärm einigt, wie es mit der Umgebungslärmrichtlinie (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.
do?uri=OJ:L:2002:189:0012:0025:DE:PDF) geschehen ist, müssen diese Werte auf nationaler Ebene
in Gesetze gegossen und mit Maßnahmen versehen werden, die letztlich in den Kommunen
umzusetzen sind. Alle drei Ebenen, die europäische, die nationale und die lokale, sind also in den
Prozess einbezogen, der dazu führt, dass wir weniger durch Lärm beeinträchtigt werden.
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Europa als Sündenbock?
Man muss sich also ein wenig Mühe machen, die Europäische Union zu verstehen. Dies ist umso
schwieriger, weil sie gerne zum Sündenbock gestempelt wird. Wenn etwas Positives zu vermelden
ist, wie die Verlängerung der Garantie auf Gebrauchsgüter von sechs Monaten auf zwei Jahre, nehmen
nationale Politiker das gerne für sich in Anspruch, obwohl es auf eine europäische Regelung zurück
geht. Wenn aber umgekehrt etwas Unangenehmes zu berichten ist, dann wird es mit Vorliebe auf
"Brüssel" geschoben und so getan, als hätte die deutsche Politik damit nichts zu tun. Tatsächlich - das
wird sich im Weiteren noch zeigen - wird in den europäischen Institutionen kein einziger Beschluss
gefasst, an dem kein deutscher Politiker oder Beamter beteiligt ist.
Wenn man einmal damit begonnen hat, sich die EU näher anzuschauen, wird man allerdings feststellen,
dass auch sie kein Buch mit sieben Siegeln ist.
Dieses Dossier soll dabei helfen, die EU zu verstehen. Dabei geht es nicht darum, jede Einzelheit in
den Blick zu nehmen. Ziel ist vielmehr, die großen Linien nachzuzeichnen, durch die die EU
charakterisiert wird. Wer dann Lust bekommt, es noch genauer wissen zu wollen, sei auf die in jedem
Kapitel angegebenen Internet-Links sowie die dort genannte Literatur verwiesen.
Internet-Links
europa.eu (Offizielle Internetseite der Europäischen Union) (http://europa.eu)
auswaertiges-amt.de (Europa-Seite des Auswärtigen Amtes) (http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/
de/Europa/Uebersicht.html)
euractiv.de (unabhängiger kostenloser Informationsdienst über die Entwicklungen in der Europäischen
Union) (http://www.euractiv.com/de/HomePage)
cafebabel.de (mehrsprachige kostenlose Internetzeitschrift, die sich speziell an ein jüngeres Publikum
richtet) (http://www.cafebabel.com/ger/)
Weiterführende Literatur
Eckart D. Stratenschulte, Europa: Ein (Über)Blick, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung,
Zeitbilder Nr. 6, 2007 (Neuauflage in Vorbereitung).
Werner Weidenfeld, Die Europäische Union, 3. Akt. Aufl., München: Fink Verlag, 2013.
Werner Weidenfeld und Wolfgang Wessels: Europa von A bis Z, Bonn: Bundeszentrale für politische
Bildung, 2014.
Bruno Zandonella: Pocket Europa. EU-Begriffe und Länderdaten, Bonn: Bundeszentrale für politische
Bildung, 2007. (http://www.bpb.de/shop/buecher/pocket/34345/europa-eu-begriffe-und-laenderdaten)
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/)
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Gesamteuropa politisch
23.9.2009
Die Folie zeigt Europa mit seinen politischen Grenzen. Was auf den ersten Blick einleuchtend
und "objektiv" erscheint, hat jedoch seine Tücken. Tatsächlich liegen die Grenzen des
europäischen Kontinents nicht objektiv fest, sie sind vielmehr eine Setzung.
Ein Kontinent ist klassischerweise eine Landmasse (und ihre vorgelagerten Inseln), die durch schwer
überwindbare natürliche Grenzen von anderen Landmassen unterschieden ist. Bei Europa gibt es
diese Grenzen in Richtung Osten und Südosten nicht. Tatsächlich liegen Europa und Asien auf
derselben Landmasse. Oft hört man, der Bosporus sei die Grenze Europas im Südosten. Der stellt
allerdings keine schwer überwindbare Grenze dar, da man ihn leicht auf zwei Brücken überqueren
und auch durchschwimmen kann. Zypern, weit östlich des Bosporus gelegen, ist seit 2004 Mitglied
der Europäischen Union. Europas Grenze im Osten, heißt es gelegentlich, sei der Ural, bei dem es
sich allerdings um ein Mittelgebirge handelt. Hinzu kommt, sowohl bei Russland als auch bei der Türkei,
die auch über Territorium westlich des Bosporus verfügt, die Frage, ob ein Land teilweise europäisch
sein kann. Auch Georgien strebt die Mitgliedschaft in der Europäischen Union an und verweist dabei
auf seine Geschichte, Kultur und auch Religion – das Land war bereits im 4. Jahrhundert christlich.
Im Westen hingegen gibt es schwer überwindbare Grenzen. Der Ärmelkanal zwischen Frankreich und
Großbritannien ist sicherlich schwieriger mit eigener Körperkraft zu durchqueren, obwohl auch das
gelegentlich geschieht. Aber dass Großbritannien, seit 1973 EU-Mitglied, zu Europa gehört, wird nicht
bestritten. Dies ist auch bei Island nicht der Fall, das weit im europäischen Nordmeer liegt – und
neuerdings mit der EU-Mitgliedschaft liebäugelt.
Auch über die Grenzen oder sogar die Staatlichkeit einiger Gebiete gibt es unterschiedliche
Auffassungen. Kosovo hat sich 2008 für unabhängig erklärt und wird mittlerweile von über 60 Staaten
diplomatisch anerkannt - allerdings von ca. 130 Staaten, darunter auch von fünf EU-Ländern, nicht.
Über den Status von Berg-Karabach wird heftig gestritten. Während Aserbaidschan das Gebiet als
Teil seines Territoriums reklamiert, hat das Gebiet sich 1991 als Republik Nagorny Karabach für
unabhängig erklärt und wird darin von Armenien unterstützt. Allerdings ist das Gebiet bislang von
niemandem völkerrechtlich anerkannt – auch von Armenien nicht. Ähnlich verhält es sich mit Abchasien
und Südossetien, die sich 2008 von Georgien losgesagt haben und darin von Russland militärisch und
diplomatisch unterstützt werden. Außer Russland hat jedoch lediglich Nicaragua die völkerrechtliche
Anerkennung vollzogen. Ebenfalls international nicht anerkannt ist die Transnistrische Moldauische
Republik, die sich 1992 von der Republik Moldau abgespalten hat – mit militärischer Unterstützung
Russlands, aber ohne dessen diplomatische Anerkennung. Diese Sezessionsgebiete – Nagorny
Karabach, Transnistrien, Südossetien und Abchasien – sind Zerfallsprodukte der 1991 aufgelösten
Sowjetunion. Völkerrechtlich spricht man von De-facto-Regimen.
Dies gilt auch für die Türkische Republik Nordzypern, die sich 1983 im nördlichen Teil der Insel Zypern
gegründet hat, darin allerdings nur von der Türkei unterstützt wird. Zypern stellt für die EU eine
besondere Situation dar. 2004 wurde nämlich die gesamte Insel in die Europäische Union
aufgenommen, allerdings gelten die EU-Regeln bislang nur im südlichen Teil, der Republik Zypern,
die das Land auch in den europäischen Institutionen repräsentiert.
Man könnte also die politische Karte Europas auch anders zeichnen. Eine Europakarte, auf die sich
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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geografisch und politisch alle einigen können, gibt es nicht.
Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/
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Gesamteuropa nach Bündnissen
24.9.2009
Die Europäischen Staaten sind Mitglieder in verschiedenen Allianzen, die sich zu einem
wesentlichen Teil ergänzen, im Militärbereich jedoch auch ausschließen.
Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/R9XB7J.pdf)
Dem 1949 gegründeten Europarat gehören fast alle Länder Europas an. Ausnahmen sind der
Vatikanstaat und Belarus, die nicht den demokratischen Standards des Europarates entsprechen,
sowie Kosovo, dessen Staatlichkeit von einigen Europaratsmitgliedern nicht anerkannt ist.
Der Europarat ist eine auf Frieden und Demokratie gerichtete Institution, die ihre Ziele allerdings
ausschließlich durch freiwillige Zusammenarbeit und Erfahrungsaustausch erreichen will. Eine
Institution des Europarats ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dessen
Rechtsprechung auf der Basis der Europäischen Menschenrechtskonvention erfolgt. Die
Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, die Urteile zu akzeptieren und in der nationalen
Rechtsprechung zu berücksichtigen. Der Gerichtshof kann von allen Bürgern der Teilnehmerländer
nach Ausschöpfung des nationalen Rechtswegs angerufen werden.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Die NATO (North Atlantic Treaty Organization) ist ein – ebenfalls 1949 entstandenes –
Verteidigungsbündnis, dem auch die USA und Kanada angehören. Die NATO, gegründet als westliche
Allianz gegen den politischen und militärischen Druck der Sowjetunion und ihrer Bündnispartner, die
sich im Warschauer Pakt zusammengeschlossen hatten, hat sich in den letzten Jahren auf insgesamt
28 Mitglieder erweitert. Die Mitgliedschaft Mazedoniens konnte sich bislang wegen eines bilateralen
Konflikts mit Griechenland nicht verwirklichen. Georgien strebt die NATO-Mitgliedschaft an.
Das in politischer Hinsicht weitestgehende Bündnis ist die Europäische Union, der die derzeit 27
Mitgliedstaaten Souveränitätsrechte übertragen haben, die sie auf europäischer Ebene gemeinsam
ausüben.
In der Schwarzmeerorganisation BSEC (Black Sea Economic Cooperation Organization) sind neben
den sechs Anrainerstaaten auch Griechenland, Armenien, Aserbaidschan, Moldau, Albanien und
Serbien vertreten. Ziel der BSEC ist eine engere wirtschaftliche und maritime Kooperation. Ihr Sitz
befindet sich in Istanbul.
Als 1991 die Sowjetunion aufgelöst wurde, gründeten einige Staaten die Gemeinschaft Unabhängiger
Staaten (GUS), um die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen der ehemaligen Sowjetrepubliken
zueinander zu erhalten. Die baltischen Staaten haben der GUS nie angehört und Georgien ist 2008
ausgetreten. Turkmenistan ist nur beigeordnetes Mitglied. Kompliziert ist die Situation mit der Ukraine:
Sie ist zwar Gründungsmitglied der GUS, ihr aber dennoch nicht beigetreten. Damit hat die Ukraine
eine Art assoziierten Status.
Die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) ist ein Sicherheits- und Militärbündnis,
dem neben Russland, Belarus und Armenien die vier zentralasiatischen Staaten Kasachstan,
Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan angehören. Alle auf der Folie hervorgehobenen Staaten
gehören – genauso wie die fünf zentralasiatischen (und ehemals sowjetischen) Staaten Kasachstan,
Kirgisistan, Tadschikistan Turkmenistan und Usbekistan sowie die USA und Kanada – der
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) an.
Eine Ausnahme stellt hier lediglich Kosovo dar, dessen völkerrechtliche Anerkennung nicht von allen
OSZE-Mitgliedern vollzogen worden ist. Auch die De-facto-Regime (Berg Karabach, Transnistrien,
Abchasien, Südossetien) sind in keiner dieser Organisationen vertreten.
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Mitgliedsstaaten der Europäischen Union
27.9.2010
Auf einen Blick: Die EU-Mitgliedstaaten mit Stimmen im Rat der EU, Europaabgeordneten und
Einwohnern.
Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/4RT2SN.pdf)
Das einzige Gremium, in dem jedes Mitgliedsland eine Stimme hat, ist der Europäische Rat. Dieser
ist die Vertretung der Staats- und Regierungschefs in der Europäischen Union. Aufgabe des
Europäischen Rats ist es, die allgemeinen Zielvorstellungen zu formulieren. Häufig müssen die Staatsund Regierungschefs auf ihren Gipfeltreffen Konflikte lösen, die im Rat der EU (also dem sogenannten
Ministerrat) aufkommen.
In den beiden Organen des Ministerrats und des Europäischen Parlaments hingegen sind durch die
verschiedenen Gemeinschaftsverträge Formeln für die Repräsentation der Staaten festgelegt (beim
Rat werden diese aber nur in bestimmten Abstimmungsmodi angewandt).
Der Grund hierfür liegt in den Größenverhältnissen zwischen den 27 Mitgliedsstaaten in Bezug auf
ihre Bevölkerungszahlen. Die Unterschiede in der Europäischen Union sind so groß, dass eine direkt
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proportionale Repräsentation der Staaten im Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl von den kleineren
Staaten als ungerecht empfunden werden könnte.
Für den umgekehrten Fall wurde in den die EU konstituierenden Verträgen festgelegt, dass eine
gewisse Höchstzahl von Abgeordneten nicht überschritten werden sollte, um die Arbeitsfähigkeit nicht
zu gefährden. Im Fall einer direkten Vertretung anhand der Bevölkerungszahl aber wären kleine
Mitgliedsstaaten benachteiligt. Malta, eines der jüngsten Mitgliedsländer, verfügt nur über ungefähr
400.000 Einwohner, wohingegen das größte Mitgliedsland, die Bundesrepublik, ungefähr 82 Millionen
Einwohner hat.
Bei einer direkten Vertretung würden allein die Stimmen der deutschen Abgeordneten ausreichen,
eine Vielzahl der kleineren Staaten zu überstimmen. Zudem organisieren sich die Mitglieder des
Europäischen Parlaments wie die gewählten Abgeordneten nationaler Parlamente in Parteien. Eine
größere Anzahl Abgeordneter eines Landes ist daher auch besser in der Lage, das Wahlergebnis und
die Parteienpräferenzen im Herkunftsland widerzuspiegeln.
Nach dem Vertrag von Lissabon darf die Gesamtzahl von 750 Abgeordneten zuzüglich des
Parlamentspräsidenten nicht überschritten werden. Dieses würde auch im Fall einer Erweiterung der
Europäischen Union gelten. Diese Regelung soll dazu beitragen, dass die Arbeitsfähigkeit des
Europäischen Parlaments auch bei noch folgenden Erweiterungen der Union gewährleistet bleibt. Kein
Land soll mehr als 96 und weniger als sechs Abgeordnete in das Europaparlament entsenden.
Die Europawahlen im Juni 2009 wurden jedoch noch nach dem Vertrag von Nizza abgehalten, der
eine Begrenzung auf 736 Abgeordnete sowie eine andere Mindest- und Höchstzahl für die
Mitgliedsstaaten vorsah - die im Vergleich zum Vertrag von Lissabon fehlenden Abgeordneten sollten
nachgewählt werden. Im Parlament gibt es daher 99 deutsche Abgeordnete.
Das zweite gesetzgebende Gremium ist der Rat der Europäischen Union. Im Allgemeinen ist der Rat
bestrebt, möglichst alle Entscheidungen im Konsens zu treffen. In bestimmten Bereichen, wie u. a.
der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik oder bei der Festlegung eines langfristigen
Finanzrahmens ist nach wie vor eine Einstimmigkeit erforderlich. In den Verträgen ist genau festgelegt,
in welchen Fällen der Rat mit einfacher Mehrheit, mit qualifizierter Mehrheit oder einstimmig beschließt.
Mit einfacher Mehrheit, also der Mehrheit der Mitglieder (d. h. 14 von 27 Mitgliedern, sofern es keine
Enthaltungen gibt) werden zum Beispiel Verfahrensbeschlüsse getroffen. Jedes Mitglied hat in diesem
Fall eine Stimme.
Für das ordentliche Gesetzgebungsverfahren hat der Vertrag von Lissabon die sogenannte doppelte
Mehrheit eingeführt. Diese besteht aus zwei Parametern: Ein Vorschlag gilt dann als angenommen,
wenn 55 Prozent aller Mitgliedsstaaten für ihn stimmen. Momentan entspricht das 15 Mitgliedsstaaten.
Diese müssen zusätzlich mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU repräsentieren.
Mit dem System der doppelten Mehrheit soll auch dem dualen Charakter der Gemeinschaft als einer
Union der Völker und gleichzeitig einer Union der Staaten Rechnung getragen werden. Es
berücksichtigt die demographischen Größenverhältnisse ebenso wie das Prinzip einer Gleichwertigkeit
der Stimmen aller Ratsmitglieder bei der Abstimmung.
Für die doppelte Mehrheit, die ab 2014 eingesetzt werden soll, gilt noch eine Übergangsfrist bis 2017.
Bis dahin kann jedes Mitgliedsland verlangen, dass nach dem Prinzip der qualifizierten Mehrheit
abgestimmt wird. Dieses wurde durch den Vertrag von Nizza eingeführt. Dazu sind jedem Mitgliedsland
bestimmte Stimmenanteile zugeordnet. Zum Erreichen der qualifizierten Mehrheit müssen gleich zwei
Voraussetzungen erfüllt sein: Von den insgesamt 345 Stimmen müssen 255 ein positives Votum
abgeben. Außerdem muss die Mehrheit der Mitgliedsstaaten zustimmen - in bestimmten Fällen ist
sogar eine Zweidrittelmehrheit nötig. Zudem können Mitgliedsstaaten eine Überprüfung verlangen, ob
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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die erreichte Mehrheit mindestens 62 Prozent der Gesamtbevölkerung der Europäischen Union vertritt.
Andernfalls gilt der Vorschlag als nicht angenommen. Auf diese Weise soll geregelt werden, dass die
kleineren Mitgliedsstaaten bei wichtigen Fragen von nationalem Interesse nicht ohne weiteres von den
größeren überstimmt werden können.
Die Anwendung der qualifizierten Mehrheit war durch Verträge im Lauf der Zeit immer weiter ausgebaut
worden. Das im Vertrag von Nizza festgelegte Stimmenverhältnis, bei dem die Staaten der
Europäischen Union mit über 50 Millionen Einwohnern (Deutschland, Frankreich, Großbritannien und
Italien) über je 29 Stimmen und die nächstgrößeren über 27 Stimmen verfügen, wird aber häufig
kritisiert, da es die wirklichen Größenverhältnisse nicht spiegele. So besitzen Spanien (45 Mio.
Einwohner) und Polen (38 Mio. Einwohner) gleich viele Stimmen, nämlich 27.
Weiterführende Links
Rat der Europäischen Union: Einführung in den Rat der Europäischen Union (PDF-Version, 6,92 MB)
(http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/librairie/ PDF/DE_IntroConseil_INT.pdf)
Europäische Union: Das Beschlussverfahren der EU (http://europa.eu/scadplus/constitution/
doublemajority_de.htm)
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
18
Ich und die EU – EU im Alltag
23.9.2009
Die Europäische Union greift in unser tägliches Leben ein und ist von daher für uns von
unmittelbarer Bedeutung.
Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/WBHZYE.pdf)
"Die EU ist für mich (zu) weit weg und hat mit meinem Alltag nichts zu tun." Diesen Satz kann man
täglich hören. Die Folie "Ich und die EU" sagt nichts darüber aus, ob die EU eine gute oder schlechte
Sache ist, sondern zeigt lediglich an einigen Beispielen, dass die Europäische Union in unser tägliches
Leben eingreift und von daher auch für uns von unmittelbarer Bedeutung ist. Diese Erkenntnis ist die
Voraussetzung für die Bereitschaft, sich überhaupt mit der Europäischen Union zu befassen.
Viele der angesprochenen Punkte haben ihre Ursache im gemeinsamen Binnenmarkt, der die 27 EUMitgliedstaaten miteinander verbindet. Er macht den freien Handel von jedem in jedes Land möglich.
Die Voraussetzung, dass so etwas zur Zufriedenheit der Menschen funktionieren kann, ist natürlich,
dass man sich auf gemeinsame Standards einigt. Niemand kauft ein ausländisches Produkt, wenn er
nicht sicher sein kann, dass es dieselben Sicherheitsanforderungen erfüllt wie die einheimischen.
Deshalb gibt es im Europäischen Binnenmarkt europaweite Anforderungen an die
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Lebensmittelhygiene, die Kennzeichnungsvorschriften und ebenso für die Gewährleistungsfrist. Aber
auch für den Umweltschutz gibt es gemeinsame Standards, von der Feinstaubrichtlinie bis zur
Trinkwasserrichtlinie. Diese sichern nicht nur die Gesundheit der EU-Bürgerinnen und –Bürger, sondern
auch gleiche und damit faire Ausgangsbedingungen für die Industrie. So kann nicht die Firma eines
Landes einen Vorteil daraus ziehen, dass die Umweltstandards und damit auch die Produktionskosten
niedriger sind als jenseits der Grenze.
Der Binnenmarkt ist zudem ein gemeinsamer Arbeitsraum, in dem jede(r) dort tätig sein kann, wo sie
oder er möchte und einen Job findet. 16 Staaten der EU haben eine gemeinsame Währung, den Euro.
Weitere Länder werden ihn in den nächsten Jahren übernehmen.
Der gemeinsame Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts garantiert uns Rechtsschutz und
freies Reisen im europäischen Ausland – und auch einen europaweiten Gesundheitsschutz.
"Europa betrifft mich nicht", kann man daher nur sagen, wenn man nicht atmet, kein Wasser trinkt,
nicht einkauft, nicht arbeitet oder eine Ausbildung macht und wenn man nicht reist.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Die Werte der Europäischen Union
24.9.2009
Die EU ist lange Zeit als reine Wirtschaftsgemeinschaft missverstanden worden. Obwohl die
Wirtschaft in der EU eine wichtige Rolle spielt, darf nicht vergessen werden, dass die EU in
erster Linie eine Wertegemeinschaft ist.
Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/HGE84D.pdf)
Die Europäische Union ist lange Zeit als reine Wirtschaftsgemeinschaft missverstanden worden.
Wenngleich die Wirtschaft in der EU eine wichtige Rolle spielt und durch den europäischen Binnenmarkt
integriert ist, darf nicht vergessen werden, dass die EU in erster Linie eine Wertegemeinschaft ist.
Im Vertrag über die Europäische Union (in der Fassung des Lissabonner Vertrags) werden die Werte
in Artikel 2 erwähnt: "Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde,
Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte
einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen
Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung,
Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet."
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Und im folgenden Artikel 3 heißt es im ersten Absatz: "Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte
und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern." Damit wird deutlich, dass die europäische Integration
kein Selbstzweck ist, sondern grundsätzlichen Zielen dient, die das Leben der EU-Bürgerinnen und Bürger bestimmen.
Der Lissabonner Vertrag hat auch die bereits Ende 2000 feierlich unterzeichnete Grundrechtecharta
der Europäischen Union zu einem Teil des Primärrechts gemacht. Dort sind die Grundrechte und freiheiten genau beschrieben und definiert. Den vollständigen Text der Grundrechtecharta findet man
im Amtsblatt der EU:
http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf (http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.
pdf)
Die Grundrechtecharta bindet zwar nur die europäischen Institutionen, sie zeigt aber gleichzeitig, auf
welcher gemeinsamen Wertebasis die EU ruht. In der Präambel der Charta heißt es unter anderem:
"In dem Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Union auf die
unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der
Solidarität. Sie beruht auf den Grundsätzen der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Sie stellt die
Person in den Mittelpunkt ihres Handelns, indem sie die Unionsbürgerschaft und einen Raum der
Freiheit, der Sicherheit und des Rechts begründet."
Mit dem Lissabonner Vertrag kann die Europäische Union auch der Europäischen
Menschenrechtscharta des Europarates beitreten. Dieser Schritt hat zwar vor allem symbolische
Bedeutung, da die Mitgliedstaaten ja bereits als Mitglieder des Europarates auf die Europäische
Menschenrechtscharta verpflichtet sind, macht aber noch einmal deutlich, dass der Sinn der EU darin
liegt, ihren Bürgern Freiheit und Demokratie zu sichern.
Ein wichtiger Wert ist auch die Rechtsstaatlichkeit. Die EU fördert diese nicht nur in den Mitgliedstaaten,
sie ist selbst eine Rechtsgemeinschaft. Da es keine "EU-Polizei" gibt, die bei Rechtsverstößen der
Mitgliedstaaten eingreifen könnte, ist die Europäische Union darauf angewiesen, dass die
Mitgliedstaaten sich an die vereinbarten Regeln bzw. deren letztendliche Auslegung durch den
Europäischen Gerichtshof halten. Wäre das nicht der Fall, hätte die EU keine Zukunft, da sie ihre
Gesetze und Verordnungen nicht mehr durchsetzen könnte.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Was geschieht in der EU?
13.5.2009
Ob die Arbeit der EU tatsächlich auch die Bürger des Staatenbundes betrifft, zeigt sich bei einem Blick
auf die unterschiedlichen Wirkungsbereiche. Der gemeinsame europäische Binnenmarkt garantiert
essentielle Freiheiten für Dienstleitungen und Arbeitskräfte, für Waren und Kapital. In einigen Bereichen
wie dem Umweltschutz ist die EU schon heute einflussreich. Andere Politikfelder wie die gemeinsame
Außen- und Sicherheitspolitik müssen noch weiterentwickelt werden – denn die Bedeutung der EU
als außenpolitischer Akteur ist stetig gewachsen.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Binnenmarkt
Von Prof. Dr. Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
ist Leiter der Europäischen Akademie Berlin.
Freiheit der Waren, Dienstleistungen, Arbeitskräfte und des Kapitals: Der europäische
Binnenmarkt ist viel mehr als eine Freihandelszone – und volumenmäßig der größte der Welt.
Die Europäische Union umfasst viele Politik- und damit für uns auch viele Lebensbereiche. Am
unmittelbarsten kommen wir mit dem Binnenmarkt in Berührung. Binnenmarkt heißt, dass wir kaufen,
arbeiten und investieren können, wo wir wollen. Im nationalen Rahmen ist das selbstverständlich.
Jeder kann in Leipzig wohnen, aber sein Auto in München erwerben, sein Geld bei der Sparkasse in
Rostock anlegen und für seinen Hausumbau einen Architekten aus Dresden verpflichten. Der
europäische Binnenmarkt bedeutet, dass dies in gleicher Weise in der gesamten Europäischen Union
möglich ist.
Wir sprechen von den Vier Freiheiten, nämlich
•
der Freiheit der Waren
•
der Freiheit der Dienstleistungen
•
der Freiheit der Arbeitskräfte und
•
der Freiheit des Kapitals.
Der Binnenmarkt ist damit viel mehr als eine Freihandelszone. Er garantiert nicht nur die Waren-,
sondern auch die Dienstleistungsfreiheit. Wer sich als deutscher Arzt in Frankreich oder in Schweden
niederlassen will, kann dies tun. Wer als Niederländer in Deutschland ein Reisebüro aufmachen will,
kann daran nicht gehindert werden. Jeder hat die Möglichkeit, sich seinen Arbeitsort auszusuchen.
Wer lieber in Griechenland arbeitet und dort einen Job findet, dem kann die Arbeitserlaubnis nicht
verweigert werden. Der Binnenmarkt bedingt viele weitere Gemeinsamkeiten, die zum Teil schon
geschaffen sind, die zum Teil aber auch noch nicht umgesetzt sind.
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Die Freiheit der Waren
Eine wichtige Grundregel des Binnenmarktes ist, dass eine Ware, die in einem Land legal in den
Verkehr gebracht worden ist, auch in allen anderen EU-Ländern verkauft werden darf. Es kann also
nicht sein, dass ein Land den Import durch Sondervorschriften behindert - sogenannte nicht-tarifäre
Handelshemmnisse. In Deutschland haben in diesem Zusammenhang zwei Fälle der
Warenverkehrsfreiheit für Aufmerksamkeit gesorgt, die durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH)
entschieden wurden.
Das "Cassis de Dijon-Urteil" von 1979 bezieht sich auf die Einfuhr eines französischen Likörs, der
einen geringeren Alkoholgehalt aufwies als die deutsche Branntweinverordnung ihn für solche
Getränke vorsah. Als einer Lebensmittelkette die Einfuhr dieses Likörs verboten wurde, klagte sie vor
dem Hessischen Finanzgericht, das den Fall dem EuGH zur Entscheidung vorlegte. Dieser entschied
(http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:61978J0120:DE:HTML), dass die
Einfuhr zu erlauben sei, wenn der Likör "rechtmäßig hergestellt und in Verkehr gebracht worden sei".
Das zweite Urteil, das in Deutschland viele beschäftigte, hatte auch mit Alkohol zu tun. Nach dem
Reinheitsgebot von 1516 darf in Deutschland Bier nur mit Hopfen, Gerste, Hefe und Wasser hergestellt
werden. Nicht nur die Produktion, sondern auch die Einfuhr von Bieren, die andere Zusatzstoffe
enthielten, war verboten. Hiergegen klagte die Europäische Kommission, die den freien Handel
gefährdet sah. Der Europäische Gerichtshof gab ihr 1987 Recht (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/
LexUriServ.do?uri=CELEX:61984J0178:DE:HTML). Seitdem darf nach Deutschland auch Bier
eingeführt werden, das dem Reinheitsgebot nicht entspricht. Für die Brauereien in Deutschland gilt
dieses älteste Lebensmittelgesetz allerdings weiter, da sich EU-Regelungen immer nur auf
grenzüberschreitenden Verkehr beziehen. Der deutsche Brauer muss also nach dem Reinheitsgebot
brauen, aber der deutsche Biertrinker muss nicht danach trinken.
Für Unternehmen ist die Warenverkehrsfreiheit sehr wichtig, weil sie so nicht für jedes Land spezielle
Anforderungen erfüllen müssen. Dies würde die Produktion sehr verteuern, gerade wenn es um kleine
Märkte und damit auch geringe Stückzahlen geht.
Das setzt natürlich voraus, dass man sich in vielen Bereichen auf Sicherheits- und Qualitätsstandards
einigt. Bei manchem, was der EU als Bürokratisierung und Reglementierung angelastet wird, handelt
es sich um die Festlegung gemeinsamer Kriterien.
Die Freiheit der Dienstleistungen
Ein anderes Beispiel für den Binnenmarkt aus dem Bereich der Dienstleistungsfreiheit ist die Aufhebung
des Kabotageverbotes. Das klingt sehr technisch, ist aber für viele Menschen interessant. Vor der
Vollendung des Binnenmarktes konnten Transportunternehmer nur Leistungen aus ihrem Land heraus
anbieten. Die Lufthansa durfte keinen Flug von Madrid nach Paris durchführen und der Gesangverein
in Aachen konnte für seinen Vereinsausflug keinen belgischen Busunternehmer verpflichten. Jetzt ist
jedes Unternehmen frei, seine Transportleistungen dort anzubieten, wo sie nachgefragt werden.
Stärker in der öffentlichen Wahrnehmung sind allerdings andere Formen der Dienstleistungsfreiheit
wie italienische Restaurants in Deutschland oder deutsche Handwerksunternehmen, die ihre
Leistungen in Frankreich anbieten.
Der Binnenmarkt wurde durch die Einheitliche Europäische Akte (http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/
dat/11986U/tif/JOL_1987_169__1_DE_0002.tif) geschaffen, eine Revision der Römischen Verträge,
die 1987 in Kraft trat. Bis Ende 1992 sollte er vollendet sein, aber bestimmte Felder gibt es immer
noch, die für den Binnenmarkt nicht völlig geöffnet sind oder in denen der europaweite Wettbewerb
nicht funktioniert. So hat die Europäische Kommission beispielsweise Ende 2013 einen Fahrplan zur
Vollendung des Binnenmarkts für die Paketzustellung (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/
LexUriServ.do?uri=COM:2013:0886:FIN:DE:PDF) verabschiedet.
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Die Europäische Kommission gibt jährlich einen Bericht über die Vollendung des Binnenmarkts (http://
europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/09/297&format=HTML&aged=0&language=
DE&guiLanguage=en) heraus, dem zu entnehmen ist, was im abgelaufenen Jahr erreicht wurde und
was noch ansteht. Um noch bestehende Einschränkungen zu beseitigen, hat die Europäische
Kommission darüber hinaus eine Binnenmarktakte (http://ec.europa.eu/internal_market/smact/
index_de.htm) beschlossen, mit der sie Druck auf die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament
ausüben will.
Die Freiheit der Arbeitskräfte
Ein wichtiges Element des Binnenmarktes ist die Freizügigkeit der Arbeitskräfte, die jedem EU-Bürger
überall in der Union den Aufenthalt und die Arbeitsaufnahme gestattet. Eigene Staatsbürger dürfen
gegenüber anderen EU-Bürgern nicht bevorzugt werden. Selbst an den deutschen Schulen und bei
den Polizeibehörden können Bürger aus anderen EU-Staaten als Beamte gleichberechtigt eingestellt
werden. Die Freizügigkeit des Binnenmarktes bezieht sich allerdings nur auf Erwerbstätige. Durch die
Schaffung einer Unionsbürgerschaft im EU-Vertrag, der 1992 in Maastricht unterzeichnet wurde und
1993 in Kraft trat, ist diese Freizügigkeit auf alle EU-Bürger ausgeweitet worden, also auch auf
diejenigen, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, wobei es für den Zugang zu sozialen
Sicherungssystemen Einschränkungen gibt. Hierüber gab es 2013 in Deutschland eine heftige
Diskussion, die auch gerichtlich noch nicht abschließend entschieden ist.
Grundsätzlich gilt, dass niemand nach Deutschland ziehen kann und dort auf Dauer Hilfe zum
Lebensunterhalt, also das Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) beanspruchen kann. Allerdings fordert die
Europäische Kommission von Deutschland, jeden Einzelfall zu prüfen. Zwei deutsche Gerichte haben
entsprechende Fälle nun an den Europäischen Gerichtshof überwiesen, um überprüfen zu lassen, ob
die deutschen Vorschriften europäischem Recht entsprechen. Unbestritten ist, dass EU-Ausländern
das Arbeitslosengeld I zusteht, wenn sie – wie alle Arbeitnehmer – mindestens zwölf Monate in die
Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Auch wer länger als ein halbes Jahr
sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, dann aber seinen Job verliert, wird unterstützt – in diesem
Fall mit dem Arbeitslosengeld II. Gleiches gilt für Selbstständige, die so wenig verdienen, dass sie
„aufstocken“ müssen. Auch Kindergeld steht allen EU-Bürgern in Deutschland zu – sogar wenn die
Kinder nicht in Deutschland leben.
Die europaweite Anerkennung der Ausbildungsabschlüsse ist ebenfalls ein wichtiger Schritt hin zur
Vollendung des Binnenmarkts, da die Arbeitnehmer- und die Dienstleistungsfreizügigkeit sonst
verpuffen würden, wenn ein deutscher Schreiner beispielsweise in Spanien nicht seinem Beruf
nachgehen dürfte. Die meisten Abschlüsse sind schon anerkannt, bei einigen gibt es noch Probleme,
die durch Verhandlungen beseitigt werden müssen. Um eine flächendeckende Anerkennung zu
ermöglichen, versucht die EU auf zwei Wegen für Akzeptanz zu sorgen. Es werden für einzelne
Bereiche Richtlinien erlassen, die festlegen, dass in allen EU-Staaten bestimmte Berufsqualifikationen
automatisch und ohne gesonderte Prüfung anerkannt werden. Beispiele hierfür sind Ärzte oder
Krankenpfleger. Dies ist aufgrund harmonisierter Ausbildungsanforderungen möglich, das heißt, dass
ein Arzt, der in den Niederlanden über eine Zulassung verfügt, auch in Großbritannien praktizieren
darf, weil seine niederländische Ausbildung der eines britischen Arztes ähnlich ist und daher als
gleichwertig angesehen wird.
Jedoch kann dies nicht für alle Berufsfelder angenommen werden. Die Ausbildung zum Altenpfleger
unterliegt zum Beispiel nicht einem europaweit einheitlichen System, möglicherweise gibt es den Beruf
auch in einzelnen Mitgliedstaaten gar nicht, weil die Aufgabe andernorts von ausgebildeten
Krankenpflegern übernommen wird. In diesem Fall führt kein Weg an einer neuen Prüfung vorbei, da
die gesetzlichen Befähigungsnachweise zu unterschiedlich sind. Um solche Lücken in der
Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen zu schließen, fertigt die EU Richtlinien (http://eur-lex.
europa.eu/LexUriServ/site/de/oj/2005/l_255/l_25520050930de00220142.pdf) aus, die möglichst viele
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Berufsfelder erfassen sollen. In Deutschland wurde die Situation 2012 durch ein Anerkennungsgesetz
verbessert. Seitdem sind die Verfahren klarer geregelt und die Angehörigen weiterer Berufsgruppen
können sich ihre Qualifikation anrechnen lassen. Nicht immer ist die Anerkennung der Gleichwertigkeit
aber überhaupt die Voraussetzung dafür, dass man den Beruf in Deutschland ausüben darf. Dann ist
es Sache des Arbeitgebers, ob er eine ausländische Arbeitskraft für die Tätigkeit einstellt oder nicht.
Das Bundesinstitut für Berufsbildung bietet im Internet einen Anerkennungs-Finder (http://www.
anerkennung-in-deutschland.de/html/de/) an, mit dessen Hilfe man sich über jeden einzelnen Beruf
informieren kann.
Die Freiheit des Kapitals
Die Freiheit des Kapitals bedeutet, dass jeder sein Geld dort anlegen oder investieren kann, wo es
ihm am lohnendsten erscheint. Wer gerne in eine spanische oder slowakische Firma investieren oder
schwedische Staatsanleihen kaufen möchte, kann dies genauso tun wie er einen Kredit bei einer
österreichischen oder irischen Bank aufnehmen kann. Um auch den europäischen Zahlungsverkehr
zu erleichtern, ist ein einheitlicher europäischer Zahlungsraum (SEPA, Single European Payment Area)
geschaffen worden. Die traditionellen Kontonummern wurden durch den IBAN (International Bank
Account Number) ersetzt.
Der europäische Binnenmarkt ist volumenmäßig der größte der Welt. Er umfasst nicht nur die 28
Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sondern auch die drei Länder, die mit der EU im Europäischen
Wirtschaftsraum (EWR) verbunden sind, nämlich Island, Norwegen und Liechtenstein. Der genaue
Zusammenhang zwischen EWR und EU wird durch das Abkommen über den Europäischen
Wirtschaftsraum (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:21994A0103(01):
DE:HTML) geregelt. So ist beispielsweise Landwirtschaft als sensibler Bereich grundsätzlich
ausgenommen, auch wenn eine Liberalisierung im Agrarsektor durch die EWR-Staaten angestrebt
wird. Für die Schweiz, die dem EWR nicht angehört, sondern durch ein Freihandelsabkommen von
1972 mit der EU verbunden ist, gelten ähnliche Regelungen. Die Schweizer haben in einem
Referendum im Februar 2014 mit knapper Mehrheit die Einschränkung der vollständigen Freizügigkeit
für EU-Bürger beschlossen. Den Kroaten verweigerten sie die Freizügigkeit im Zusammenhang mit
dem Beitritt Kroatiens zur EU sogar schon von Anfang an. Damit steht das gesamte Beziehungsgeflecht
der EU mit der Schweiz auf dem Prüfstand, da die EU nicht bereit ist, der Schweiz die Vorteile des
Binnenmarktes zu gewähren, aber gleichzeitig Nachteile für EU-Bürger zu akzeptieren.
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Der Europäische Binnenmarkt
24.9.2009
Der europäische Binnenmarkt ist – bezogen auf seine Wirtschaftskraft - der größte Binnenmarkt
der Welt. Er konstituiert sich aus den Vier Freiheiten.
Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/5W9UC1.pdf)
Der Binnenmarkt der EU überträgt die Prinzipien, die man von einem Nationalstaat kennt, auf die
gesamte Europäische Union. Er basiert auf den Vier Freiheiten, also der Freiheit der Waren, der Freiheit
der Dienstleistungen, der Freiheit des Kapitals und der Freiheit (im Sinne von Freizügigkeit) der
Arbeitskräfte.
Einfach gesagt bedeutet das, dass jede EU-Bürgerin und jeder EU-Bürger einkaufen, arbeiten,
Dienstleistungen anbieten oder in Anspruch nehmen und investieren kann, wo er will. Französischer
Käse im Supermarktregal, ein italienischer Pizzeria-Wirt in Frankfurt, eine Geldanlage in Dänemark
und ein Job in Großbritannien – das alles klingt für unsere Ohren nicht ungewöhnlich, es ist die Realität
des Binnenmarktes. Zusätzlich zu den 27 EU-Staaten gehören noch Norwegen, Island und
Liechtenstein zum EU-Binnenmarkt. Sie sind der Europäischen Union im Europäischen
Wirtschaftsraum (EWR) verbunden.
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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So einfach es klingt, die Vier Freiheiten anzuwenden, so kompliziert war und ist der Prozess der
Vollendung des Binnenmarktes. In jedem Land gab es unterschiedliche Vorschriften für Waren und
Dienstleistungen, die sich beispielsweise auf die Sicherheit des Produkts oder die Ausbildung des
Dienstleisters bezogen. All das musste harmonisiert werden, um wirklich freien Handel und
Freizügigkeit zu ermöglichen. Ein polnischer Arzt kann sich in Deutschland niederlassen und
praktizieren, aber natürlich möchte der deutsche Patient die Sicherheit haben, dass die Ausbildung
des Arztes der eines deutschen Arztes nicht nachsteht. Dementsprechend gibt es eine EU-Richtlinie
über die Anerkennung ärztlicher Diplome. Wer ein Kinderspielzeug kauft, erwartet, dass es auf
Sicherheit geprüft ist, egal ob es in Belgien oder in Deutschland hergestellt wurde. Auch hier wurden
gemeinsame Sicherheitsstandards erarbeitet und verabschiedet. Wenn die EU oft mit Bürokratie
gleichgesetzt wird, hat das nicht zuletzt mit solchen notwendigen Anpassungsvorschriften zu tun, die
erst die Voraussetzung für einen funktionierenden Binnenmarkt schaffen.
Die Harmonisierung und Standardanpassung ermöglicht auch eine andere Regelung: Eine Ware, die
in einem Mitgliedsland legal auf den Markt gebracht worden ist, darf auch in allen anderen EU-Ländern
frei verkauft werden. Kein Land kann also Sonderprüfungen oder abweichende Regelungen verlangen.
Zum Binnenmarkt gehört weiterhin die Chancengleichheit für Unternehmen aus dem EU-Ausland mit
inländischen Firmen. Öffentliche Aufträge müssen ausgeschrieben werden, um zu verhindern, dass
sie unter der Hand verschoben werden. Aber Firmen aus dem EU-Ausland dürfen bei Ausschreibungen
und bei der Auswahl des Unternehmens für den Auftrag nicht benachteiligt werden. Wenn die Aufträge
eine bestimmte Höhe überschreiten, müssen sie sogar europaweit ausgeschrieben werden. Der
Schwellenwert ist unterschiedlich. Bei Bauaufträgen liegt er bei 5 Millionen Euro Auftragswert, bei
Dienstleistungen bei 200.000 Euro.
Ein weiterer, noch nicht vollendeter Aspekt des Binnenmarkts ist die Abschaffung von Monopolen, wie
sie früher im öffentlichen Bereich üblich waren (Post, Bahn, Nahverkehr, Telekommunikation etc.).
Auch hier sollen andere inländische und europäische Unternehmen die Möglichkeit haben, ein
günstiges Angebot zu unterbreiten und den Auftrag zu erhalten.
Für die Bürgerinnen und Bürger bedeutet der Binnenmarkt ein Maximum an Chancengleichheit und
Auswahlmöglichkeit, allerdings müssen Unternehmen und Produkte sich auch einer europaweiten
Konkurrenz stellen.
Die großen wirtschaftlichen und Einkommensunterschiede, die in der Europäischen Union existieren,
können auch zu sozialen Spannungen führen, wenn Arbeitskräfte eines Landes ihre Leistung in einem
anderen Land gegen eine geringere Entlohnung anbieten. Die meisten Länder der EU schützen sich
dagegen mit Mindestlöhnen, die es bezogen auf bestimmte Branchen auch in Deutschland gibt.
Aktuelle Informationen über den Binnenmarkt finden sich auf der Internetseite
der Europäischen Kommission: ec.europa.eu (http://ec.europa.eu/internal_market/top_layer/
index_3_de.htm)
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Wirtschaftsdaten
24.9.2009
Die Folie zeigt die Bevölkerungsgröße sowie die Wirtschaftskraft der 27 EU-Staaten und macht
deutlich, dass die ökonomische Stärke der einzelnen Länder der Europäischen Union sehr
unterschiedlich ist.
Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/IDTZLB.pdf)
Wie so oft bei Statistiken ist allerdings nicht alles so eindeutig, wie es auf den ersten Blick aussieht.
So gibt es je nach Quelle unterschiedliche Angaben zur der Bevölkerungsgröße in den einzelnen EULändern. Das hat damit zu tun, dass es sich bei den Daten meistens um fortgeschriebene Angaben
aus Volkszählungen oder – in weit größerem Maße – um Angaben aus sogenannten Mikrozensen
handelt. Der Mikrozensus ist eine Art Meinungsumfrage, die in Deutschland das Statistische
Bundesamt auf der Basis einer Zufallsauswahl regelmäßig durchführt. Näheres hierzu findet sich auf
der Internetseite des Statistischen Bundesamtes: www.destatis.de (http://www.destatis.de/jetspeed/
portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/abisz/Mikrozensus,templateId=renderPrint.psml).
Menschen, die sich – auch dauerhaft - illegal und mithin unangemeldet in einem Land aufhalten,
gehören zwar tatsächlich zur Wohnbevölkerung, werden aber auf diese Weise statistisch nicht erfasst.
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Auch andere Ungenauigkeiten müssen selbst bei einer Volkszählung in Kauf genommen werden.
Zudem stimmen in den EU-Ländern die Stichtage nicht immer überein.
Die Wirtschaftskraft wird mit der Größe des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gemessen. Das BIP ist die
Summe aller Güter und Dienstleistungen, die im Verlaufe eines Jahres innerhalb des
Wirtschaftsgebietes hergestellt werden. Die Nationalität des Produzenten spielt keine Rolle, auch die
Wirtschaftsleistung des italienischen Pizzeria-Wirts oder eines afghanischen Zeitungsverkäufer geht
in die Rechnung ein. Hingegen bleiben alle Wirtschaftsleistungen, die von Inländern im Ausland erzeugt
werden, unberücksichtigt. Das betrifft die Ergebnisse eines Deutschen gehörenden Hotels in Kenia
genauso wie die von VW im Ausland produzierten Autos. Zur Definition siehe den Artikel
Bruttoinlandsprodukt (http://www.bpb.de/popup/popup_lemmata.html?guid=GVIPA3|)
Die Höhe des Bruttoinlandsprodukts ist ein Indikator für die Stärke einer Volkswirtschaft. Oft wird sie
auf die Bevölkerung umgerechnet, man hat dann die Angabe "BIP pro Kopf der Bevölkerung". Allerdings
erlaubt auch eine solche Größe nur allgemeine Schätzungen über die wirtschaftliche Lage der
Menschen in diesem Land. Das BIP pro Kopf darf nicht mit dem Einkommen verwechselt werden,
denn es macht keine Angaben darüber, wie viel des errechneten BIP bei dem einzelnen Bürger
ankommt, weil ja beispielsweise Steuern und Abgaben für die Sozialversicherung zu berücksichtigen
sind. Auch wird dadurch noch nichts über die Kaufkraft ausgedrückt. Für unseren Lebensstandard ist
ja nicht eigentlich relevant, wie hoch unser Einkommen ist, sondern wie viel wir uns dafür kaufen
können. Ein niedriges Einkommen in einem Land mit niedrigen Preisen kann mehr sein als ein höheres
Einkommen in einem Staat mit hohen Preisen.
Wenngleich die Folie also keine exakten Angaben über die Lebenswirklichkeit der EU-Bürgerinnen
und –Bürger macht, zeigt sie doch deutlich die Unterschiede auf, die innerhalb der EU bestehen. Wenn
die 4,5 Mio. Iren fast das Vierfache von dem erwirtschaften, was die gut 5 Millionen Slowaken jährlich
erzeugen, ist klar, dass innerhalb der EU erhebliche Disparitäten bestehen.
Ziel der Europäischen Union ist es nicht, diese Unterschiede durch EU-Programme auszugleichen.
Allerdings gibt es strukturpolitische Hilfen für die Regionen innerhalb der EU, die weniger als 75 Prozent
des durchschnittlichen BIP pro Kopf der Bevölkerung aufweisen. Hiervon profitieren auch einige
Regionen in Deutschland.
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Währungsunion (Euro)
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Der Euro ist die Währung der Europäischen Union. Das legt der EU-Vertrag fest. Tatsächlich
wird jedoch nur in 18 der 28 Länder mit der gemeinsamen Währung gezahlt. Einige Länder
wollen dem gemeinsamen Währungsraum in den nächsten Jahren beitreten, andere lehnen die
Gemeinschaftswährung bislang ab.
Zum gemeinsamen Markt gehört seit 1999 eine gemeinsame Währung, der Euro. Er ist gedacht als
Währung aller EU-Staaten, aber zehn Länder haben ihn noch nicht übernommen. Dabei handelt es
sich zum einen um Großbritannien und Dänemark, die sich derzeit einen so weit gehenden
Souveränitätsverzicht noch nicht vorstellen können. Deshalb haben sie sich beim Vertrag von
Maastricht, mit dem der Euro 1993 vereinbart wurde, eine Ausnahme (eine sogenannte Opt-outKlausel) vorbehalten. Schweden hat den Euro bislang - nach einer Volksabstimmung im Jahr 2003,
die die Euro-Einführung abgelehnt hat - ebenfalls nicht übernommen, ohne über diese Ausnahmeregel
zu verfügen.
Bei den anderen Ländern, die noch keine Euro-Staaten sind, handelt es sich um solche, die erst seit
2004 beigetreten sind und die Bedingungen noch nicht erfüllen. Dies sind die Tschechische Republik,
in der es auch eine breite Ablehnung des Euro gibt, Ungarn, Polen, Litauen, Bulgarien, Rumänien und
Kroatien.
Stabilitäts- und Wachstumspakt
Es gibt strenge Anforderungen für einen Beitritt zur Eurogruppe, die im Stabilitäts- und Wachstumspakt
von 1997 festgelegt sind:
•
Das öffentliche Defizit darf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten, und der
öffentliche Schuldenstand darf nicht mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen.
•
Die Preisstabilität muss gewährleistet sein. Die Inflationsrate darf nicht mehr als 1,5 Prozent über
der liegen, die die drei Eurostaaten mit der geringsten Inflation zu verzeichnen haben.
•
Die Zinsen dürfen nicht um mehr als 2 Prozent über denen liegen, die die drei Staaten mit der
höchsten Preisstabilität aufweisen.
•
Der durchschnittliche langfristige Nominalzinssatz darf um nicht mehr als 2 Prozentpunkte über
dem entsprechenden Satz in den drei Mitgliedstaaten liegen, die auf dem Gebiet der Preisstabilität
das beste Ergebnis erzielt haben.
•
Außerdem muss das Land mindestens zwei Jahre dem Europäischen Wechselkursmechanismus
angehört haben, ohne dass es in dieser Zeit zu großen Kursabweichungen gekommen ist. Die
Währung muss also stabil sein.
Auch wenn die Staaten einmal Mitglied der Währungsunion geworden sind, gelten klare Regeln
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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bezüglich der Verschuldung, die auf Null zurückgeführt werden soll, keineswegs aber mehr als 3
Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr und 60 Prozent insgesamt betragen darf.
Allerdings haben die meisten Eurostaaten sich nicht an diese Regeln gehalten, sondern haben die
Tatsache, dass die Zinsen für Kredite wegen der Stabilität des Euro niedrig waren, dazu genutzt, sich
weiter zu verschulden. Auch Deutschland hat sich Anfang des Jahrtausends zu hoch verschuldet und
dann – um eine Mahnung der Europäischen Kommission zu vermeiden – darauf gedrungen, dass die
Regeln der Berechnung von Verschuldung geändert werden – was dann auch geschehen ist.
"Griechenlandkrise" und Rettungsschirm
Im Jahr 2010 wurde dann offenkundig, dass Griechenland so hoch verschuldet war, dass es keine
Möglichkeit mehr hatte, seine Kredite zu bedienen. Die anderen Staaten standen nun vor der Wahl,
entweder Griechenland Bankrott gehen zu lassen, was aber weitgehende Folgen für das Ansehen der
Eurozone insgesamt gehabt hätte, oder dem Land zu helfen. Die Europäischen Verträge sahen
letzteres nicht vor, im Gegenteil: Eine "bail-out-Klausel" im Vertrag über die Arbeitsweise der
Europäischen Union legt fest, dass ein Staat nicht für die Schulden eines anderen haftet. Dennoch
sahen die Eurostaaten sich nun in der Pflicht, Griechenland mit Krediten und Bürgschaften zu
unterstützen, was sie im Rahmen des "Ersten Griechenlandpakets" mit 110 Mrd. Euro taten. Die
Euroländer gaben davon 80 Mrd. Euro, 30 Mrd. kamen vom Internationalen Währungsfonds (IWF).
Kurze Zeit später gerieten auch andere Eurostaaten in die Krise: Irland, Portugal, Spanien und Zypern.
Die Ursachen waren unterschiedlich, aber das Ergebnis dasselbe: Die Staaten hatten keine oder nur
noch sehr teure Möglichkeiten, sich am Kapitalmarkt, also über normale Anleihen, zu finanzieren.
Die Eurostaaten schufen daraufhin zuerst einen vorübergehenden und schließlich einen dauerhaften
Rettungsschirm mit dem Namen ESM (Europäischer Stabilitäts-Mechanismus, European Stability
Mechanism). Der ESM ist in der Lage, insgesamt 500 Mrd. Euro an die Mitglieder der Währungsunion
auszuleihen. Das Geld erhält er durch Einzahlungen der Mitgliedstaaten von insgesamt 80 Mrd. Euro
sowie durch abrufbares Kapital, das die Mitgliedstaaten im gegebenen Fall überweisen müssen. Um
die Kreditwürdigkeit auf höchstem Niveau zu halten, ist der ESM übersichert, das heißt, er verfügt über
insgesamt 700 Mrd. Euro Stammkapital. Deutschland ist am ESM mit demselben Finanzierungsanteil
beteiligt, den es an der Europäischen Zentralbank hält, nämlich mit 27,15 Prozent. Ende 2013 hatte
der ESM etwas über 50 Mrd. Euro an Spanien und Zypern ausgeliehen. Hinzu kommen allerdings
rund 188 Mrd. Euro aus dem Vorgänger des ESM, dem EFSM, die an Irland, Portugal und vor allem
an Griechenland gegangen sind.
Gelingt den "Programmstaaten", also den Hilfeempfängern, die Sanierung ihrer Finanzen, fließen diese
Mittel wieder an die anderen Eurostaaten zurück. Sie haben in diesem Fall nur durch ihre
Kreditwürdigkeit auf dem internationalen Finanzmarkt geholfen, es kostet sie aber nichts. Nur für den
Fall, dass ein Programmland seine Schulden nicht bedienen kann, müsste der ESM (bzw. sein
Vorgänger EFSM) einstehen. Irland ist es zum Ende des Jahres 2013 gelungen, aus dem
Rettungsprogramm auszusteigen und sich wieder normal am Kapitalmarkt zu refinanzieren.
Durch die Verschuldungskrise, die beinahe zum Zusammenbruch Griechenlands geführt hätte, sind
alle EU-Länder vor den Folgen zu hoher Kreditaufnahmen gewarnt und unternehmen jetzt
Anstrengungen, die Verschuldung zurückzuführen. Der "Fiskalpakt", den alle EU-Staaten außer
Großbritannien und Tschechien als völkerrechtlichen Vertrag geschlossen haben, verpflichtet die
Staaten zu einem drastischen Schuldenabbau und auch dazu, dieses Ziel in der nationalen
Gesetzgebung, möglichst in der Verfassung, zu verankern. In Deutschland ist dies durch die
"Schuldenbremse" in den Artikeln 109 und 115 des Grundgesetzes geschehen. Danach darf der Bund
ab 2016 nur noch sehr geringe Schulden machen, die Bundesländer dürfen dies ab 2020 überhaupt
nicht mehr.
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Irland, Spanien und auch Zypern sind durch ihre Banken in die Krise geraten, die sich übernommen
und verspekuliert hatten. Damit so etwas nicht noch einmal geschieht, hat die Europäische Union die
Bankenaufsicht verstärkt. Bei der Europäischen Zentralbank wurde eine Aufsichtsbehörde geschaffen,
die die rund 200 größten Banken innerhalb der Eurozone kontrolliert (Einheitlicher
Überwachungsmechanismus, englisch: Single Supervisory Mechanism). So soll die Schieflage von
Banken verhindert werden. Außerdem will man sich 2014 auf einen Sicherungsfonds einigen, der von
den Banken selbst finanziert wird und aus dem eine eventuelle Bankeninsolvenz abgewickelt werden
soll, damit die Steuerzahler nicht, oder zumindest nicht als erste, belastet werden. So sind dann auch
die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Europäische Stabilitäts-Mechanismus, der
Rettungsschirm, Geld direkt an Banken geben kann. Bislang geht dies nur über den Umweg der
Unterstützung des jeweiligen Staates.
Die Gesamtheit dieser Maßnahmen wird unter dem Namen "Bankenunion" diskutiert.
Gleichzeitig ergreifen die EU-Länder Maßnahmen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, da nur
eine produktive Wirtschaft in der Lage ist, die Einnahmen zu erzeugen, die man für das Wohl der
Bürgerinnen und Bürger benötigt. Im Euro-Plus-Pakt (http://www.europarl.europa.eu/brussels/website/
media/Basis/InternePolitikfelder/WWU/Pdf/Euro_Plus_pakt.pdf) verpflichten sich die Staats- und
Regierungschefs zu konkreten Maßnahmen, um ihr Land und damit die EU insgesamt voranzubringen.
Der Pakt heißt so, weil er von den Eurostaaten plus weiteren EU-Ländern geschlossen wurde. An ihm
nehmen alle EU-Mitglieder außer Schweden, Großbritannien, Tschechien und Ungarn teil. Kroatien
gehörte zum Zeitpunkt des Abkommens (2011) der EU noch nicht an.
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Die europäische Währungspolitik
1.1.2011
Die europäische Währungspolitik mit der gemeinsamen Währung "Euro" ist ein Herzstück der
europäischen Integration. Die Währungspolitik basiert auf klaren Grundsätzen und wird von
der Europäischen Zentralbank ausgeführt.
Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/4VD1WJ.pdf)
Eine gemeinsame Währung ist mehr als eine technische Angelegenheit. Alle Staaten, die sich an
einem solchen Vorhaben beteiligen, geben wirtschaftliche Steuerungsmöglichkeiten, die in einer Aufoder Abwertung der eigenen Währung bestehen, aber auch politische Souveränität auf.
Pläne für eine gemeinsame Währung gab es schon seit Beginn der europäischen Integration.
Bedeutung erlangten diese Überlegungen jedoch erst im Zusammenhang mit der Neuordnung
Europas, speziell der deutschen Vereinigung, und der damit einhergehenden Festigung der
europäischen Integration.
Seit 1999 ist der Euro die gemeinsame Währung von ursprünglich elf und derzeit 17 Staaten der
Europäischen Union. Darüber hinaus ist er auch gesetzliches Zahlungsmittel in einigen Staaten, die
nicht der Währungsunion angehören, den Euro aber einseitig übernommen haben: Andorra, San
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Marino, Vatikanstaat, Kosovo und Montenegro. In den ersten Jahren war der Euro nur eine
Buchwährung, während die Geldscheine und –münzen der Mitgliedstaaten weiter galten, aber über
einen festgelegten Wert in Bezug auf den Euro fest miteinander verbunden waren. Seit dem 1. Januar
2002 gibt es die Währung auch "zum Anfassen". Sie ist in den Euro-Staaten ausschließliches
Zahlungsmittel. Wer noch Bestände der alten Währung findet, kann die bei der jeweiligen Zentralbank
gegen Euro eintauschen.
Geld ist gewissermaßen das Blut im Kreislauf der Wirtschaft. Es ist von großer Bedeutung, dass die
Währung "gesund" ist, d.h. nicht von Inflation zerfressen wird. Über die Geldwertstabilität wacht die
Europäische Zentralbank (EZB), deren Zentralbankrat jeweils ein Vertreter aller Mitgliedstaaten der
Währungsunion angehört. An der Spitze der EZB steht ein Präsident, der in seiner Arbeit von einem
Vizepräsidenten und vier Beisitzern unterstützt wird. Präsident der EZB ist der Franzose Jean-Claude
Trichet, der 2003 auf den Niederländer Wim Duisenberg folgte. Seit 2006 ist auch der Deutsche Jürgen
Stark, zuvor Vizepräsident der Deutschen Bundesbank, Mitglied des Direktoriums. Die Amtszeit aller
Direktoriumsmitglieder beträgt acht Jahre, eine Wiederwahl ist ausgeschlossen. So soll die
Unabhängigkeit der Direktoriumsmitglieder verstärkt werden, die weder mit der Verlockung, noch
einmal nominiert zu werden, noch mit der Drohung, nicht wiedergewählt zu werden, beeindruckt werden
können. Da die Amtszeiten der Mitglieder des Gründungsdirektoriums gestaffelt waren, sie also zu
unterschiedlichen Zeiten ausscheiden, ist sichergestellt, dass das Direktorium nicht auf einmal
ausgewechselt wird, sondern dass die Kontinuität gegeben ist.
Die wichtigste Aufgabe der EZB ist die Sicherung der Währungsstabilität. Angestrebt wird eine jährliche
Inflationsrate von knapp zwei Prozent, die einerseits der Wirtschaft genügend Geld zur Verfügung
stellt, aber andererseits verhindert, dass das Geld schnell an Wert verliert. Das wichtigste
Steuerungsinstrument der EZB ist die Festlegung der Zinssätze, zu denen die Geschäftsbanken sich
refinanzieren können.
Der Euro ist die Währung der Europäischen Union. Alle Mitgliedstaaten – mit Ausnahme von
Großbritannien und Dänemark – sind verpflichtet, das gemeinsame Geld einzuführen. Allerdings
müssen sie vorher Kriterien erfüllen, die im Stabilitätspakt der Währungsunion festgelegt sind, in der
Finanzkrise 2008/2009 aber auch von den Mitgliedstaaten verletzt wurden. Von den im Jahre 2004
beigetretenen Mitgliedstaaten haben Malta, Zypern, Slowenien, die Slowakei und Estland die EuroEinführung bereits vollzogen.
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Umweltpolitik
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
"3 x 20 bis 2020": Die EU hat im Jahr 2007 Beschlüsse gefasst, um den Ausstoß von
Treibhausgasen und den Energieverbrauch um jeweils 20 Prozent zu verringern, den Anteil der
erneuerbaren Energie am Gesamtverbrauch hingegen auf 20 Prozent zu erhöhen.
Ein Politikbereich, der in der Europäische Union in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen
hat, ist ihre gemeinsame Umweltpolitik. Diese Politik zielt sowohl auf die ökologischen
Lebensbedingungen in der EU, als auch auf die weltweite Klimaveränderung ab, die nur durch
gemeinsame Anstrengungen abzubremsen ist.
Es ist klar, dass die Europäische Union alleine keinen entscheidenden Einfluss auf den weltweiten
Ausstoß der Treibhausgase nehmen kann. Aber das bedeutet nicht, dass innerhalb der EU, immerhin
der größten Wirtschafts- und Handelsmacht der Welt, nichts zu tun wäre. Außerdem wird es nur
gelingen, andere Staaten und Staatengruppen "ins Boot zu bekommen", wenn die EU mit gutem
Beispiel voran geht.
3 x 20 bis 2020
Unter deutscher Präsidentschaft hat die EU im Jahr 2007 weitreichende Beschlüsse gefasst, die man
unter dem Titel "3 x 20 bis 2020" zusammenfassen kann. Das kann man im Ergebnisprotokoll der
Frühjahrssitzung 2007 (http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/ec/93139.
pdf) des Europäischen Rates nachlesen, das nach EU-Tradition "Schlussfolgerungen des Vorsitzes"
heißt.
So sollen bis 2020 der Treibhausgasausstoß um 20 Prozent reduziert, der Energieverbrauch um 20
Prozent verringert und der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtverbrauch auf 20 Prozent
erhöht werden. Die EU hat darüber hinaus angeboten, dass sie den CO2-Ausstoß bis 2020 sogar um
30 Prozent reduziert, wenn andere Staaten mitmachen, also die USA, Japan, China, Indien, Russland,
Brasilien und weitere Länder.
In der Zwischenzeit ist einiges geschehen, was auch die Umweltpolitik beeinflusst. Durch die
Wirtschafts- und Finanzkrise ist zwischenzeitlich die Industrieproduktion deutlich gesunken – und damit
der CO2-Ausstoß. Europa wird sein 20-Prozent-Ziel also wohl erreichen. Das bedeutet: Das Ziel ist
nun nicht mehr ehrgeizig und führt nur bedingt zu weiteren Einsparanstrengungen. Dies umso weniger
als die Verschmutzungszertifikate, die die Industrie im Rahmen des sogenannten Emissionshandels
kaufen müssen, wegen des Überangebots viel billiger sind als von der Europäischen Kommission
prognostiziert. Gleichzeitig hat sich auf der internationalen Bühne gezeigt, dass andere Länder
außerhalb der EU wenig Interesse daran haben, wirklich etwas für den Klimaschutz zu tun. Hinzu
kommt: Aus verschiedenen Gründen wollen einige Mitgliedstaaten auch wieder oder weiter verstärkt
auf den Energieträger Kohle zurückgreifen. In Deutschland wird dies mit dem zügigen Ausstieg aus
der Kernenergie begründet, in Polen beispielsweise mit der Reduzierung der Abhängigkeit von
Russlands Öl- und Gaslieferungen.
Zwar hat die Europäische Kommission im Jahr 2009 erstmals die Position einer Klimakommissarin
besetzt, aber insgesamt verläuft die Entwicklung in der Klimapolitik der EU in den letzten Jahren
weniger dynamisch. In einem Rahmenplan für eine europäische Klima- und Energiepolitik (http://eur-
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2014:0015:FIN:DE:PDF) schlug die Europäische
Kommission nun im Januar 2014 vor, die Treibhausgase gegenüber 1990 um 40 Prozent zu senken,
den Anteil der erneuerbaren Energien auf 27 Prozent zu erhöhen, die Energieeffizienz weiter zu steigern
und das Emissionshandelssystem zu reformieren.
Entwicklung der europäischen Umweltpolitik
Die gemeinsame Umweltpolitik der Europäischen Union wird schon seit 1972 entwickelt und wurde
mit der Einheitlichen Europäischen Akte 1987 auch in den EG-Vertrag aufgenommen. Die Umweltpolitik
umfasst viele Bereiche: die Reinhaltung der Luft und der Gewässer, die Wiederverwertung von Abfällen,
den Lärmschutz und die Erhaltung von Lebensräumen und Artenvielfalt. Diese
Umweltschutzmaßnahmen dienen der Erhaltung der Gesundheit der europäischen Bürgerinnen und
Bürger.
Seit dem Vertrag von Amsterdam (1999) ist die EU auf ein hohes Umweltschutzniveau sowie die
Grundsätze der Vorbeugung und Vorsorge verpflichtet (jetzt Art. 191 Vertrag über die Arbeitsweise de
Europäischen Union, AEUV). Die Kommission muss, einer Zusatzerklärung zufolge, bei Vorschlägen
mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt Umweltverträglichkeitsstudien erstellen.
Die europäischen Umweltschutzmaßnahmen sollen nicht nur die Lebensbedingungen der in der EU
wohnenden Menschen verbessern, sie schaffen zudem gleiche Ausgangsbedingungen für alle
Unternehmen und Staaten in der Union. Es kann also nicht sein, dass in einem Land ein Produkt
deshalb günstiger hergestellt wird, weil es für das Unternehmen keine oder nur geringe Umweltauflagen
gibt, während jenseits der Grenze hohe Standards eingehalten werden müssen, die das Produkt
verständlicherweise verteuern. Der gemeinsame Umweltschutz schließt diese Verzerrung des
Wettbewerbs und damit einen Wettlauf um die niedrigsten Standards aus.
Im Allgemeinen geben dabei die Organe der EU nur Richtwerte vor, die eingehalten werden müssen.
Diese Vorschriften nennen sich Richtlinien. Dort wird beispielsweise festgelegt, wie laut es abends in
einer Wohnstraße in einer europäischen Stadt höchstens sein darf (in der Umgebungslärmrichtlinie
(http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2002:189:0012:0025:DE:PDF)). Wie die
Stadt diese Maßgabe umsetzt - durch Tempolimit, Straßensperrung, einen lärmdämpfenden
Straßenbelag oder eine andere Maßnahme - bleibt ihr selbst überlassen. "Brüssel" beschließt also
beispielsweise keine Straßensperrung in Hannover.
In vielen Bereichen greifen bereits mittelbar oder unmittelbar europäische Umweltschutzregelungen:
im Klimaschutz, bei der Erhaltung der biologischen Vielfalt, bezüglich der Handhabung und
Verarbeitung von Abfällen, hinsichtlich der Reinheit von Luft, Gewässern und Böden, im
Katastrophenschutz, bei der Kontrolle chemischer Stoffe und beim Lärmschutz.
Dabei gibt es zahlreiche Bestimmungen, die sich jeweils speziellen Aspekten des Umweltschutzes
widmen: So regelt beispielsweise eine Nitratrichtlinie (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.
do?uri=CELEX:31991L0676:DE:HTML) den Einsatz von Düngemitteln, damit nicht übermäßig viel
Nitrat in unser Grundwasser gelangt. REACH (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=
OJ:L:2007:136:0003:0280:DE:PDF) hingegen ist ein mehrere Bestimmungen umfassendes Paket,
welches die Kennzeichnung, Registrierung und Zulassung von Chemikalien in der EU einheitlich
festlegt. Regelmäßig fasst die Umweltagentur der EU die Entwicklung der Umwelt und die Wirksamkeit
der Umweltschutzmaßnahmen im Umweltlagebericht (http://www.eea.europa.eu/www/de/publications/
state_of_environment_report_2007_1) zusammen.
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
38
Umwelt und Klima
24.9.2009
Falls andere Staaten mitmachen will die Europäische Union ihre Klimaziele erhöhen: Die
Emission von Treibhausgasen sollen dann nicht um 20 Prozent, sondern sogar um 30 Prozent
gesenkt werden.
Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/2Z018G.pdf)
Die Veränderung des Weltklimas durch menschlichen Einfluss ist evident und die Folgen sind weltweit
spürbar. Das schnelle Abschmelzen von Gletschern und die damit verbundene Erhöhung des
Meeresspiegels haben ebenso weit reichende Folgen für unser Leben wie die Zunahme extremer
Wetterphänomene, beispielsweise Überflutungen und Stürme.
Die Europäische Union steht vor der Aufgabe, den Anstieg der Erderwärmung zu bekämpfen, wohl
wissend, dass dieser selbst dann nicht zu verhindern wäre, wenn die EU überhaupt keine
Treibhausgase emittieren würde. Es ist daher notwendig, die anderen Verursacher von Treibhausgasen
"ins Boot zu holen". Dies geht allerdings wiederum nur, wenn die EU mit gutem Beispiel voran geht.
Von daher hat der 3 x 20- Beschluss, den die Staats- und Regierungschefs unter deutscher
Ratspräsidentschaft im März 2007 getroffen haben, eine doppelte Bedeutung: Er verbessert die
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Umweltsituation innerhalb der EU und er nimmt andere Staaten in die Pflicht. Zudem enthält er ein
zusätzliches Angebot: Die EU ist bereit, die Emission von Treibhausgasen bis 2020 sogar um 30
Prozent zu reduzieren, wenn die anderen mitmachen.
Im Juli 2009 ist es erstmals gelungen, die führenden 16 Industrie- und Schwellenländer beim
sogenannten G8-Gipfel in Italien zu dem gemeinsamen Beschluss zu bewegen, die Erderwärmung
bis zum Jahr 2050 auf 2 Grad Celsius zu begrenzen. Nach wissenschaftlichen Annahmen kann durch
eine solche Regelung das Schlimmste verhindert werden. Allerdings ist der Weg von einem allgemeinen
Beschluss zur konkreten Umsetzung in den einzelnen Staaten noch weit, da man sich in dem Zielkonflikt
zwischen kurzfristigem ökonomischem Vorteil und langfristigem umweltpolitischem Nutzen befindet.
Die Umsetzung der Klimabeschlüsse der Europäischen Union vollzieht sich über das Klima- und
Energiepaket der EU, das im Juni 2009 in Kraft trat. Das wichtigste Mittel des Maßnahmenbündels ist
der EU-weite Handel mit Emissionszertifikaten. Umweltverschmutzung muss von den Unternehmen
bezahlt werden, wodurch es zu Reduktionen kommt. Hierdurch sollen die Treibhausgasemissionen
der Kraftwerke bis 2020 um über 20 Prozent reduziert werden. Ab dem Jahr 2013 bekommen die
Stromerzeuger keine Verschmutzungszertifikate mehr zugewiesen, sie müssen sie vollständig
ersteigern. Die Gesamtmenge der Zertifikate wird ab 2013 um jeweils 1,74 Prozent gesenkt, die
Verschmutzungsrechte werden also knapper und mithin teurer für die Stromerzeuger. Für die Teile der
Wirtschaft, die nicht dem Emissionshandel unterliegen, wie die Landwirtschaft, der Verkehr und die
Gebäudewirtschaft, werden nationale Obergrenzen für Treibhausgasemissionen eingeführt, die sich
von 2013 bis 2020 ständig verringern. Hierdurch soll ein Rückgang des Treibhausgasausstoßes um
20 Prozent erreicht werden.
Im Bereich der erneuerbaren Energien wurde festgelegt, welche Anstrengungen jedes Mitgliedsland
unternehmen muss, um das Gesamtziel von 20 Prozent zu erreichen. Von Deutschland wird erwartet,
dass es seinen Anteil an erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch auf 18 Prozent anhebt.
Der nächste Schritt in der EU-Klimapolitik ist jetzt, dass die EU-Richtlinien in nationales Recht
umgesetzt und angewandt werden. Ab 2013 müssen konkrete Zwischenziele erreicht werden. Weitere
Informationen finden sich auf der Internetseite des Bundesumweltministeriums: bmu.de (http://www.
bmu.de/europa/und/umwelt/aktuell/1238.php|)
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
40
Energiepolitik
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Die Europäer sind abhängig von Energielieferungen aus dem Ausland. 84,3 Prozent des
verbrauchten Öls und 62,4 Prozent des verbrauchten Erdgases kamen 2010 von außerhalb.
Energiesicherheit ist mittlerweile ein Top-Thema in der Europäischen Union.
In den letzten Jahren ist auch die Energiepolitik in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. In Sachen
Energie ist Europa kein Selbstversorger, sondern auf Lieferungen aus anderen Ländern angewiesen.
84,3 Prozent des bei uns verbrauchten Öls und 62,4 Prozent des verbrauchten Erdgases kamen 2010
von außerhalb. Die Energieabhängigkeit ist von Land zu Land unterschiedlich. Bei einigen EU-Staaten
liegt sie fast bei 100 Prozent. Der Ölbedarf wird zu 34 Prozent von Russland, zu 14 Prozent von
Norwegen gedeckt, jeweils 6 Prozent kommen aus Saudi-Arabien, aus Kasachstan und aus dem Iran.
Bei Gas ist Russland mit 35 Prozent der wichtigste Lieferant, gefolgt von Norwegen (14 Prozent),
Algerien (14 Prozent) und Quatar mit 8 Prozent.
Das Auf und Ab im Nahost-Konflikt hat die Energiekosten immer wieder beeinflusst, aber die Zufuhr
nur einmal kurz unterbrochen - während der Ölkrise 1973. Seit mehreren Jahren gab und gibt es
Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine um Gaslieferungen. Im Zusammenhang
mit diesem Konflikt drehte Russlands Konzern "Gazprom" ab 2006 der Ukraine mehrmals das Gas
ab. Die Ukraine ist aber nicht nur Bezieherland für russisches Gas, sondern auch Transitgebiet, da
wichtige Gasleitungen in den Westen durch die Ukraine führen. Die Ukraine entnahm das ihr fehlende
Gas den Transitleitungen, sodass auch im Westen weniger Energie ankam. Zu Beginn des Jahres
2009 stoppte Russland sogar alle Gaslieferungen, auch die in den Westen, um die Ukraine unter Druck
zu setzen. Gegenüber den Ländern seiner Nachbarschaft setzt Russland den Gaspreis als politisches
Druckmittel ein: Wohlverhalten wird mit einem niedrigen Gaspreis belohnt, eine zu starke
Westorientierung mit einem hohen Preis bestraft.
Durch diese Auseinandersetzungen, die originär mit der EU nichts zu tun hatten, ist in der Europäischen
Union das Thema Energiesicherheit an die Spitze der politischen Tagesordnung gerückt. Russland,
so die Annahme, ist nicht in jedem Fall ein zuverlässiger Lieferant und zudem bereit, die
Energielieferungen als Druckmittel der Politik zu nutzen. Seitdem gibt es starke Bestrebungen, die
gemeinsame Energiepolitik der EU zu intensivieren. Dabei soll ein ganzes Bündel von Maßnahmen
angepackt werden.
1. Die billigste Energiequelle ist die Einsparung.
Nach Angaben der Europäischen Kommission werden in den Mitgliedstaaten der EU 20 Prozent der
Energie vergeudet. Den dadurch entstehenden Verlust beziffert die EU-Kommission auf 100 Mrd. Euro.
Schlecht isolierte Fenster und Wände, veraltete Maschinen, spritfressende Autos und ständig auf
"stand by" gestellte Elektrogeräte bewirken diese Verschwendung.
Die Europäische Kommission hat 2006 einen Aktionsplan für Energieeffizienz vorgelegt, durch den
der Energieverbrauch bis zum Jahr 2020 um 20 Prozent reduziert werden soll. So hat sich die
Europäische Kommission im Frühjahr 2009 beispielsweise der Stromverschwendung durch Netzteile
(für Computer und andere Elektrogeräte) angenommen. In einer Verordnung, die in der gesamten EU
unmittelbar gilt, legt sie Anforderungen an die Energieeffizienz dieser Hilfsmittel fest, die nach der
vollständigen Umsetzung im Jahr 2020 Strom in der Größenordnung einsparen sollen, die dem
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
41
Jahresverbrauch des EU-Mitglieds Litauen entspricht. Der Ausstoß der klimaschädlichen
Treibhausgase soll durch dieses Programm zudem um ca. 3 Mio. Tonnen verringert werden.
Große Aufmerksamkeit und heftige Diskussionen hat das in diesem Zusammenhang erlassene
"Glühbirnenverbot" ausgelöst, mit dem seit 2009 Schritt für Schritt die herkömmlichen, nicht sehr
energieeffizienten Leuchtkörper aus dem Verkehr gezogen werden. Auch dadurch sollen Energie
gespart und weniger Treibhausgase ausgestoßen werden. Diese Maßnahmen kann die Europäische
Kommission "verordnen", viele andere können nur durch eine gemeinsame Anstrengung auf
europäischer, nationaler und lokaler Ebene erreicht werden kann.
Ende 2012 haben der Rat und das Europäische Parlament eine Richtlinie (http://eur-lex.europa.eu/
LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2012:315:0001:0056:DE:PDF) zur Energieeffizienz verabschiedet,
die zahlreiche Maßnahmen zur besseren Nutzung von Energie vorsieht. Bis Juni 2014 haben die
Mitgliedstaaten Zeit, die Maßnahmen in nationales Recht umzusetzen. Der Umstieg auf eine
energiesparendere Wirtschaftsweise soll auch die Verbreitung innovativer Technologien beschleunigen
und so die Wettbewerbsfähigkeit der EU verbessern.
2. Die EU bemüht sich intensiv darum, die Lieferquellen aufzufächern, sodass der Ausfall einer
Quelle leichter kompensiert werden kann.
Aus diesem Grund haben die Staats- und Regierungschefs im März 2009 auch beschlossen, den Bau
einer Pipeline zu fördern, die Gas aus Zentralasien und Aserbaidschan nach Westeuropa transportieren
soll, ohne russisches Gebiet zu durchqueren. Allerdings ist diese Nabucco-Pipeline mittlerweile an
Finanzierungsproblemen gescheitert, während Russland sein Leitungssystem mit der neuen Pipeline
"South Stream" ausbaut.
Die EU setzt daher jetzt auch verstärkt auf Flüssiggas, das ohne Leitungssystem über lange Strecken
transportiert werden kann. Allerdings hat dies auf der Lieferseite Anlagen zur Verflüssigung des
Erdgases sowie auf der Empfängerseite Möglichkeiten, das Gas wieder in seinen ursprünglichen
Zustand zu versetzen, zur Voraussetzung. Die EU hat im Mai 2013 ein Projekt für "blaue
Durchgangswege für Flüssiggas" (LNG Blue Corridors) ins Leben gerufen, um diese Entwicklung zu
fördern.
3. Die Solidarität unter den EU-Staaten soll verstärkt werden.
Sobald ein Land beispielsweise aus politischen Gründen wesentlich weniger Energie erhält, soll es
Hilfe von anderen EU-Staaten bekommen. Hierfür ist allerdings nicht nur der politische Wille nötig,
sondern auch die technische Infrastruktur. Wenn es keine Leitungen und technische Verbindungen
gibt (sog. Interkonnektoren), kann es auch nicht zu wechselseitigen Energielieferungen kommen. EUEnergiekommissar Oettinger, der vor seiner Berufung nach Brüssel Ministerpräsident von BadenWürttemberg war, will jetzt den Ausbau der Netze beschleunigen, und zwar auch durch die Verkürzung
der Genehmigungsverfahren. Mitte 2013 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU darauf,
innerhalb von zehn Jahren eine Verbindung von mehr als zehn Prozent der erzeugten Energiemenge
herzustellen. Anfang 2014 wurde ein Pilotprojekt ins Leben gerufen, mit dem Strom eines OffshoreWindparks in der Ostsee nach Skandinavien und nach Zentraleuropa fließen soll. Durch solche
Energieverbindungen sollen Energieinseln oder zu starke Abhängigkeiten von einem einzelnen
Energielieferanten vermieden werden.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Energiepolitik: Abhängigkeiten und Pipelines - Öl
24.9.2009
Kein Thema hat die Gemüter im Bereich der internationalen Politik in den letzten Jahren so
erhitzt wie die Frage der Energieabhängigkeit der Europäischen Union. Tatsächlich kann die
EU einen Großteil ihres Energiebedarfs nicht aus eigenen Quellen decken.
Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/MC8WRU.pdf)
Eine wichtige Rolle bei der Energieversorgung Europas spielt Russland, das der größte Gas- und
Öllieferant für die europäischen Volkswirtschaften ist. Während die EU den überwiegenden Teil ihrer
Erdgasimporte aus Russland bezieht, macht der Importanteil des russischen Öls ungefähr ein Drittel
aus.
Darin liegt die Bedeutung der Ölpipelines von Russland in die EU. Die längste Leitung, die DruschbaPipeline, die über 5.300 km von Tatarstan nach Schwedt in Brandenburg verläuft, transportiert immerhin
11 Mio. Tonnen Öl pro Jahr. Natürlich haben die Russen damit die Möglichkeit, die Europäer unter
Druck zu setzen, indem sie ihnen das Öl abdrehen, aber es ist äußerst fraglich, ob sie damit einen
politischen oder ökonomischen Erfolg erzielen könnten. Während Gas nämlich in erster Linie und am
günstigsten leitungsgebunden transportiert wird, ist das bei Öl anders. Es kann leicht (und billiger) mit
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Tankern von den Lieferanten zu den Konsumenten gelangen. Dadurch gibt es beim Rohöl einen
richtigen Markt, auf dem Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen – und der auch vor
Spekulationen nicht gefeit ist. So ist es jedoch leicht möglich, ausfallende Lieferungen aus einer Quelle
durch den Bezug von woanders zu ersetzen. Als es im Januar 2007 Streit zwischen Russland und
Belarus gab und die Russen daraufhin für drei Tage die Druschba-Pipeline trocken legten, so dass in
Schwedt kein Öl mehr ankam, hatte das auf Deutschland keine gravierenden Auswirkungen.
Ein Sprecher der Raffinerie in Schwedt wurde von Spiegel Online mit dem Satz zitiert: "Wir haben
noch eine Pipeline nach Rostock, dort chartern wir dann einen Tanker." Wie bei allen Beziehungen
zwischen Lieferanten und Konsumenten ist die Abhängigkeit gegenseitig. Während der Kunde die
Ware oder den Rohstoff, in diesem Fall Öl, benötigt, braucht der Lieferant das Geld. Russland, das
seine Einnahmen zu 71 Prozent, also zu einem erheblichen Teil, aus dem Verkauf von Energieträgern
erzielt (und damit die Exportstruktur eines Entwicklungslandes aufweist), ist sogar sehr stark auf die
Verkaufserlöse aus dem Westen angewiesen, wenn es seine erheblichen sozialen und wirtschaftlichen
Probleme in den Griff bekommen möchte. Dies betrifft auch die Modernisierung der Energieinfrastruktur
(von der Erneuerung der Pipelines bis zur Wärmedämmung der Gebäude), die Voraussetzung dafür
ist, dass Russland weiterhin ausreichend lieferfähig ist. Durch Energieverschwendung im eigenen
Land sowie durch marode Netze gehen der russischen Volkswirtschaft so viele Energieträger verloren,
dass fraglich ist, ob das Land seine Lieferverpflichtungen – völlig unabhängig vom politischen Willen –
in den nächsten Jahren wird erfüllen können. Zudem werden bei anhaltender Förderung die Ölvorräte
nach Einschätzung von Fachleuten in ca. 20 Jahren verbraucht sein. Der Zweifel, ob Russland also
überhaupt liefern kann, was es liefern will, beschäftigt die Experten im Energiebereich im Augenblick
wesentlich stärker als die Angst, Russland könnte aus politischen Gründen den Ölhahn zudrehen.
Russlands Wohlergehen ist zudem stark an den Ölpreis (dem der Gaspreis mit einer Verzögerung von
sechs Monaten folgt) gebunden. Fällt der Preis dauerhaft, wie es im Zuge der Weltfinanzkrise
2008/2009 schon zu beobachten war, gerät Russland in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten.
Damit stünde das gesamte "System Putin" auf der Kippe, das den Bürgerinnen und Bürgern die
Akzeptanz des autoritären Staates durch eine jährliche Vergrößerung des Wohlstands vergilt.
Russland und die Europäische Union sind in Energiefragen eng miteinander verbunden, aber sie sind
auch wechselseitig abhängig voneinander. Angst vor dem russischen Boykott muss man in der
Europäischen Union nicht haben. Dies umso weniger, wenn es gelingt, die anspruchsvollen Klimaund Energieziele der Europäischen Union von 2007 zu realisieren, die bis 2020 auch eine Reduktion
des Energieverbrauchs um 20 Prozent sowie einen Anteil erneuerbarer Energien von ebenfalls 20
Prozent vorsehen. Energieeinsparung ist eine wichtige "Energiequelle" und reduziert Europas
Abhängigkeiten.
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Energiepolitik: Abhängigkeiten und Pipelines - Gas
24.9.2009
Russland ist der wichtigste Energielieferant für die Europäer. Diskutiert wird vor allem das
Thema Gas: Insgesamt erhält die Europäische Union rund ein Viertel ihrer Erdgaslieferungen
aus Russland.
Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/8VT2LD.pdf)
Gas ist ein wichtiger und begehrter Energieträger. Anders als Öl ist seine Lieferung allerdings
leitungsgebunden. Zwar gibt es auch die Möglichkeit, Gas zu verflüssigen und dann beispielsweise
per Schiff zu transportieren. Diese Lösung ist jedoch wesentlich teurer als der Transport durch
Pipelines, außerdem setzt er voraus, dass es beim Absender und beim Empfänger entsprechende
Anlagen gibt, um das Gas in einen flüssigen bzw. wiederum gasförmigen Zustand zu versetzen. Insofern
unterscheidet sich die Situation bei Gas und Öl, das überwiegend und billiger mit Tankern transportiert
wird, grundsätzlich.
Durch die Leitungsbindung des Gastransports sind auch die Lieferbeziehungen zwischen den
Produzenten von Erdgas und den Konsumenten wesentlich stabiler. Weder kann ein Land seine
Lieferungen kurzfristig woanders hin schicken, noch kann ein Abnehmer den Lieferanten wechseln.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
45
Das Gas folgt den Pipelines, die daher von großer wirtschaftlicher und politischer Bedeutung sind. Die
Abhängigkeit von Lieferant und Abnehmer ist wechselseitig.
Seit den 1970er Jahren bezieht der Westen Erdgas aus dem Osten, vor allem aus der damaligen
Sowjetunion. Seit deren Zerfall 1991 ist Russland der größte Gaslieferant der EU-Länder. Macht sein
Lieferanteil derzeit insgesamt ca. 25 Prozent aus, stellt sich die Situation für die einzelnen
Abnehmerländer sehr unterschiedlich dar. Zum Teil sind sie – wie beispielsweise Finnland – vollständig
oder annähernd vollständig auf russisches Gas angewiesen.
Für die sichere Gasversorgung sind allerdings nicht nur stabile Beziehungen zwischen Lieferanten
und Abnehmern von Bedeutung, sondern auch ein zuverlässiger Transit durch die Länder, die zwischen
Liefer- und Abnehmerstaat liegen. In den letzten Jahren ist es mehrfach zu Auseinandersetzungen
zwischen Russland und der Ukraine gekommen, in denen es vordergründig um den Gaspreis ging,
den die Ukraine entrichten sollte, im Hintergrund allerdings auch und vor allem darum, dass der
russische Gaslieferant Gazprom die Kontrolle über das ukrainische Leitungsnetz übernehmen wollte.
Um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, hat Russland mehrfach die Gaslieferungen an die
Ukraine reduziert bzw. ganz eingestellt. Die Ukraine hat daraufhin den Leitungen Gas entnommen,
das eigentlich für die Weiterleitung nach Westen vorgesehen war. Als Russland den Konflikt Anfang
2009 dadurch verschärfte, dass es seine gesamten Lieferungen in Richtung Westen einstellte, wurden
auch EU-Länder wie Tschechien, Ungarn, oder Bulgarien stark betroffen.
Um Transitländer auszuschalten ist die direkte "Nord Stream"-Pipeline von Russland durch die Ostsee
nach Deutschland geplant. Der frühere deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder ist
Aufsichtsratsvorsitzender der Gesellschaft, die die "Ostseepipeline" bauen möchte. Die umgangenen
Transitländer, also die baltischen Staaten und Polen, haben sich deutlich gegen diese Leitung
ausgesprochen, weil sie fürchten, russischem Druck stärker ausgeliefert zu sein, wenn sie nicht das
Faustpfand des Energietransits in der Hand haben.
Die Europäische Union bemüht sich seit einiger Zeit, ihre Lieferbeziehungen zu diversifizieren.
Wichtigstes Vorhaben ist die Nabucco-Pipeline, die vom Kaspischen Meer unter Umgehung Russlands
nach Mitteleuropa führen soll. Neben Finanzierungsfragen ist allerdings derzeit noch offen, ob es
genug Gas aus Zentralasien geben wird, um die Leitung zu füllen. Die Lage würde sich ändern, wenn
der Iran als Lieferant zur Verfügung stünde, was aus politischen Gründen derzeit nicht der Fall ist.
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Landwirtschaftspolitik
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Die Landwirtschaft ist eines der wichtigsten Politikfelder und Dauerstreitpunkt zwischen den
Mitgliedstaaten. Noch immer gibt die EU über 40 Prozent ihrer Mittel für die Landwirtschaft und
die Entwicklung des ländlichen Raums aus.
Ein Hausrind liegt auf einer Almwiese in den Sextener Dolomiten (Italien). Knapp 42 Prozent ihrer Mittel gibt die EU
für die Landwirtschaft und die Entwicklung des ländlichen Raums aus. (© picture-alliance)
Der erste Politikbereich, der in Europa vergemeinschaftet wurde, war die Landwirtschaftspolitik. Sie
ist bis heute immer wieder ein Streitpunkt zwischen den Mitgliedstaaten der EU und führt zu viel Kritik
bei den Bürgern.
Als die gemeinsame Landwirtschaftspolitik in den 1950er-Jahren konzipiert wurde, ging es darum,
genügend Lebensmittel zu produzieren, um nach Jahren des Hungers und knapp gefüllter Teller die
Menschen ausreichend zu versorgen. Zur Erhöhung der Produktion befreite man die Bauern vom
Marktrisiko. Konnte ein Landwirt seine Produkte nicht regulär verkaufen, wurden sie ihm von der
Europäischen Gemeinschaft zu einem Garantiepreis abgenommen. Der gewünschte Effekt trat bald
ein, die Versorgung der Bevölkerung war gesichert. Aber damit nicht genug: Da die Landwirte ihr
Einkommen durch Mehrproduktion steigern konnten, ohne auf den Markt Rücksicht nehmen zu
müssen, kam es zu Überproduktionen. In den Lagerhäusern der Europäischen Gemeinschaften
stapelten sich die Lebensmittel, vom "Butterberg" war die Rede und auch vom "Weinsee".
Seitdem ist die Agrarpolitik mehrfach reformiert worden. Die Abnahmegarantien sind erloschen, aber
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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immer noch gibt die EU knapp 42 Prozent ihrer Mittel für die Landwirtschaft und die Entwicklung des
ländlichen Raums aus. Damit werden im Wesentlichen landwirtschaftliche Betriebe durch
Direktzahlungen unmittelbar unterstützt, die aber zu einem Drittel nur dann vergeben werden, wenn
die Bauern bestimmte ökologische Leistungen erbringen. Auch die Existenzgründung junger Landwirte
soll gefördert werden.
Die Förderung der europäischen Landwirtschaft wird auch damit begründet, dass man keine
Monokulturen entstehen lassen will. Sie würden zwar kostengünstiger produzieren können, die
Landschaft jedoch monotonisieren und wären auch wegen mangelnder Pflanzen- und Tiervielfalt
ökologisch bedenklich.
Bei aller Kritik an der Landwirtschaftsförderung darf nicht vergessen werden, dass diese auch ein
Stück Sozialpolitik ist. Ohne die Unterstützung der Europäischen Union könnten viele Bauern ihren
Betrieb nicht aufrechterhalten und würden arbeitslos. Abgesehen vom persönlichen Schicksal ist dies
auch für die Gesellschaft mit Kosten verbunden, zumal gerade im ländlichen Raum wenig alternative
Arbeitsplätze zur Verfügung stehen.
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Agrarpolitik
24.9.2009
Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ist die älteste Gemeinschaftspolitik – und auch die
umstrittenste. Die EU gibt hierfür über 40 Prozent ihres Budgets aus.
Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/903BLE.pdf)
Die ersten Marktordnungen im Bereich der Landwirtschaft traten bereits 1962 in Kraft. Ihr Ziel war es,
einerseits eine ausreichende Lebensmittelversorgung zu garantieren und andererseits den Landwirten
das Auskommen zu sichern.
Die GAP hat aus diesem Grund den EG-/EU-Markt vor landwirtschaftlichen Gütern aus Drittstaaten
abgeschottet und den Landwirten eine Abnahmegarantie zu einem festgesetzten Preis gegeben.
Konnten die Bauern ihre Produkte nicht auf dem freien Markt verkaufen, wurde diese von der EG
aufgekauft und "aus dem Markt genommen", das heißt, entweder aufwändig gelagert oder vernichtet.
Durch diese Abnahmesicherheit einerseits und den Fortgang der agrotechnischen Entwicklung
andererseits entstanden bald große Mengen landwirtschaftlicher Güter, für die es keine Interessenten
gab. Man sprach vom "Butterberg" und vom "Weinsee". Da die EG-Preise deutlich über denen des
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Weltmarkts lagen, waren die EG-Agrarprodukte außerhalb der Grenzen der Gemeinschaft weitgehend
unverkäuflich. Durch Ausfuhrsubventionen wurde es den Landwirten möglich gemacht, ihre Güter in
Drittstaaten an den Mann zu bringen: Sie verkauften zu einem niedrigen Preis und erhielten die Differenz
zum Binnenpreis von der EG erstattet. Diese Ausfuhrsubventionen, die es bis heute gibt, sind auch
entwicklungspolitisch höchst umstritten, weil sie in Entwicklungsländern dazu führen, dass EUProdukte billiger sind als die Erzeugnisse der heimischen Landwirtschaft, die dadurch massiv
geschädigt wird.
Die GAP ist seit ihrer Einführung mehrmals grundlegend reformiert worden. So wurden die
Preisgarantien weitgehend abgeschafft. Die Landwirte müssen in diesen Fällen ihre Erzeugnisse auf
eigenes Risiko verkaufen.
Allerdings erhalten sie von der EU zum Ausgleich eine direkte Beihilfe. Gleichzeitig sind die
landwirtschaftlichen Betriebe ab einer bestimmten Größe verpflichtet, einen Teil ihrer Fläche
stillzulegen, wofür ihnen eine "Stilllegungsprämie" gezahlt wird. Für Milch gibt es bis 2015 eine
Quotenregelung. So wird die Höchstmenge festlegt, die von den EU-Staaten und in diesen von den
einzelnen Landwirten geliefert werden darf. Wer in der EU Milch produzieren und verkaufen will,
benötigt daher nicht nur eine Kuh, sondern auch eine Quote. So gibt es Landwirte, die ihren Betrieb
aufgegeben haben, aber weiterhin über eine Milchquote verfügen, die sie gegen Entgelt weitergeben
(sog. Sofamelker).
In den letzten Jahren hat die EU den Anteil der Ausgaben für die Landwirtschaft an den
Gesamtausgaben kontinuierlich abgesenkt, er liegt jetzt unter 50 Prozent. Außerdem werden die Mittel
zunehmend für die Entwicklung des landwirtschaftlichen Raums, für die Landschaftspflege und für
eine ökologisch hochwertige Agrarproduktion eingesetzt. Seit 2009 werden die Nutznießer von
Agrarsubventionen im Internet veröffentlicht (www.agrar-fischerei-zahlungen.de (http://www.agrarfischerei-zahlungen.de/)). Dabei wird deutlich, dass die großen Betriebe auch die relevanten Beträge
erhalten, die Agrarförderung also keine spezielle Unterstützung kleinerer und mittlerer Betriebe
darstellt.
Die Kritiker der GAP bemängeln, dass diese Politik sich nicht mit den Grundsätzen der Marktwirtschaft
verträgt, sondern ein unüberschaubares Geflecht staatlicher Eingriffe darstellt. Die Befürworter
verweisen darauf, dass mit der GAP eine Reihe wichtiger Ziele erreicht werden, die auch auf der Folie
dargestellt sind.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Regional- und Strukturpolitik
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Mit der Regional- und Strukturpolitik unterstützt die EU ärmere oder besonders vom
Strukturwandel betroffene Regionen in der EU - mit rund einem Drittel ihres gesamten
Haushalts.
Die Regional- und Strukturpolitik der Europäischen Union ist der Bereich, für den die EU das meiste
Geld ausgibt. Sie folgt dem Gedanken der Solidarität und war von Anfang an Teil des europäischen
Politikansatzes. 1987 fand sie in der Einheitlichen Europäischen Akte als Kohäsionspolitik ihren
Niederschlag: Durch sie werden ärmere oder besonders vom Strukturwandel betroffene Regionen in
der EU unterstützt, um ihnen dabei zu helfen, den Rückstand aufzuholen.
In der neuen Förderperiode, die sich von 2014 bis 2020 erstreckt, wird die Regionalpolitik auf die Ziele
der Entwicklungsstrategie "Europa 2020" ausgerichtet und zielt vor allem auf die Schaffung von
Arbeitsplätzen, Wirtschaftswachstum sowie die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Auch die
nachhaltige Entwicklung und damit einhergehend die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen
sind Ziele der Regionalpolitik. Insgesamt sollen bis 2020 351 Mrd. Euro für die Regional- und
Kohäsionspolitik ausgegeben werden. Dabei soll das Geld auf die Bereiche und Sektoren konzentriert
werden, in denen die größten Fortschritte zu erwarten sind. Es sollen Projekte gefördert werden, die
kleine und mittlere Unternehmen stärken, Innovationen realisieren, Verkehrsverbindungen schaffen
und die Qualifizierung der Arbeitskräfte unterstützen. Ein wichtiger Fördergesichtspunkt ist auch die
digitale Agenda der Europäischen Union, mit der digitale Techniken einschließlich des Internets
verstärkt zur Schaffung von Wachstum und Wohlstand genutzt werden sollen.
Die EU-Regionalpolitik wird über fünf verschiedene Fonds gesteuert: den Europäischen Fonds für
Regionale Entwicklung (EFRE), den Europäischen Sozialfonds (ESF), den Kohäsionsfonds, den
Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) und den
Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF).
Die Regionalförderung steht allen Regionen in der EU zu. Allerdings werden diese in drei Kategorien
eingeteilt:
1.
weniger entwickelte Regionen (deren Bruttoinlandprodukt - BIP - pro Kopf weniger als 75 Prozent
des EU-Durchschnitts beträgt)
2.
Übergangsregionen, in denen das BIP pro Kopf zwischen 75 und 90 Prozent liegt, und
3.
stärker entwickelte Regionen, die mehr als 90 Prozent des BIP pro Kopf der gesamten EU
aufweisen
Das meiste Geld fließt in die erste Gruppe. Deutschland erhält bis 2020 19,2 Mrd. Euro. Das ist deutlich
weniger als Polen bekommen wird, für das 77,6 Mrd. Euro vorgesehen sind, aber mehr als nach
Frankreich überwiesen wird (15,9 Mrd. Euro). Einen Überblick über alle Länder der EU erhält man hier
(http://ec.europa.eu/regional_policy/thefunds/funding/index_de.cfm).
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Voraussetzung für den Erhalt europäischer Mittel ist ein Programm, das mit der Europäischen
Kommission vereinbart werden muss. Von den Regionen wird grundsätzlich, aber in unterschiedlicher
Höhe, eine Kofinanzierung verlangt, um sicherzustellen, dass die Gebiete tatsächlich Interesse an den
Maßnahmen haben.
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52
Sozialpolitik
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Über sozialpolitische Fragen entscheiden nach wie vor die nationalen Gremien der einzelnen
Mitgliedstaaten. Allerdings hat die Europäische Union die Richtlinienkompetenz - unter
anderem in den Bereichen Gesundheit und Sicherheit.
Menschen stehen vor einem Arbeitsamt in Madrid Schlange . (© picture-alliance/AP)
Die Sozialpolitik gehört nicht zu den Kompetenzen der Europäischen Union. Ihre Aufgabe ist es
lediglich, die Mitgliedstaaten auf einigen Feldern der Beschäftigungs- und Sozialpolitik zu unterstützen.
Die meisten Maßnahmen der europäischen Sozialpolitik werden nach der offenen Methode der
Koordinierung, die im Jahr 2000 eingeführt wurde, unterstützt. Nach diesem Verfahren vergleichen
die Mitgliedstaaten die Ergebnisse ihrer Politik in einem Bereich und tauschen ihre Erfahrungen aus.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
53
Entwicklung der Sozialpolitik
Dennoch ist die EU auch auf diesem Feld nicht völlig unbedeutend. In den Verträgen verpflichten sich
die Mitgliedsstaaten, die in der Sozialcharta des Europarates (http://conventions.coe.int/Treaty/GER/
Treaties/Html/035.htm) seit 1961 verankerten Standards und Rechte einzuhalten. Hierbei handelt es
sich unter anderem um das Recht auf gerechte Arbeitsbedingungen und Entlohnung, um das Recht,
sich in Gewerkschaften zusammenzuschließen, sowie den Jugend- und Mutterschutz.
Mit dem Vertrag von Maastricht (1993) wurde zudem in der EU ein Sozialprotokoll unterzeichnet, das
die Unterstützung sozialer Maßnahmen in den Mitgliedstaaten zum Inhalt hatte. Großbritannien wurde
in diesem Protokoll auf ausdrücklichen Wunsch ausgenommen. Nachdem das Land als Folge eines
Regierungswechsels seinen Widerstand aufgegeben hatte, konnte das Protokoll in den Amsterdamer
Vertrag (1999) eingefügt werden.
Im durch den Lissabonner Vertrag geschaffenen Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
(AEUV, vor Lissabon EG-Vertrag) findet sich das Sozialkapitel in den Artikeln 151 bis 161. Die
Sozialpolitik ist mittlerweile eine gemeinsame Zuständigkeit von Union und Mitgliedstaaten. Der Rat
kann durch Richtlinien, die im Mitentscheidungsverfahren mit dem Europäischen Parlament und nach
Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen mit
qualifizierter Mehrheit angenommen werden, Maßnahmen unter anderem in den Bereichen Gesundheit
und Sicherheit der Arbeitnehmer erlassen. Einstimmig kann der Rat, ebenfalls im
Mitentscheidungsverfahren, auch Maßnahmen zum sozialen Schutz der Arbeitnehmer, zum
Kündigungsschutz und weiteren Fragen beschließen. Die Festlegung der Sozialpolitik als
"gemeinsame Zuständigkeit" ermöglicht der EU also regelnd einzugreifen, allerdings muss sie dabei
die Kompetenzen der Mitgliedstaaten achten. Tatsächlich sind die Mitgliedstaaten sehr daran
interessiert, auf diesem Feld die Gestaltungsmacht zu behalten, so dass der EU im Wesentlichen die
Fixierung von Mindeststandards bleibt.
Sozialpolitische Regelungen
So hat die Europäische Union beispielsweise eine Richtlinie zur Arbeitszeitgestaltung (http://europa.
eu/legislation_summaries/other/c10405_de.htm) erlassen, die solche Mindeststandards bei der
Festlegung der Arbeitszeiten vorschreibt. Die Mitgliedstaaten sind der Richtlinie zufolge dazu
verpflichtet zu regeln, dass die Höchstarbeitszeit nicht mehr als 48 Stunden pro Woche beträgt und
dass zwischen Arbeitsende und erneuter Arbeitsaufnahme eine angemessene Ruhezeit eingehalten
wird.
Auch das Verbot, Menschen wegen ihres Geschlechts oder anderer persönlicher Merkmale zu
benachteiligen, gilt europaweit. Die Europäische Union hat hierzu mehrere Richtlinien erlassen, die
bei uns durch das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/
agg/gesamt.pdf) umgesetzt wurden. Dabei ist Deutschland über die Vorgaben der EU hinausgegangen.
Dies zeigt das bei Richtlinien übliche Verfahren: Es werden Werte vorgegeben, die einzuhalten sind.
Wenn ein Staat mehr tun will, kann er dies machen.
Zur Freizügigkeit innerhalb Europas gehört auch, dass die Menschen ihre sozialen Ansprüche mit über
die Grenze nehmen können. Jemand, der beispielsweise zwanzig Jahre in Frankreich, zehn Jahre in
den Niederlanden und zehn Jahre in Deutschland gearbeitet hat, wo er sich dann im Ruhestand
niederlässt, muss auch für vierzig Jahre Rente erhalten. Dies ist auf europäischer Ebene garantiert.
Heftig diskutiert wurde in der Europäischen Union allgemein und in Großbritannien und in Deutschland
im Besonderen, ob Bürger anderer EU-Staaten Sozialleistungen beanspruchen können. Ein EUBürger, der in Deutschland mindestens sechs Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, hat
Anspruch auf Arbeitslosengeld II ("Hartz IV"), wird er nach mehr als einem Jahr Berufstätigkeit
arbeitslos, tritt fürs Erste die Arbeitslosenversicherung für ihn ein. Andererseits gilt grundsätzlich, dass
ein Zuzug nach Deutschland mit dem Ziel, dort von Sozialhilfe zu leben, nicht rechtens ist. Strittig ist
jedoch, inwieweit EU-Bürger Anspruch auf Sozialleistungen haben, die ihnen den Zugang zum
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Arbeitsmarkt erleichtern, wenn sie also nicht arbeiten, aber eine Arbeit suchen oder sich für eine solche
qualifizieren könnten. Gemäß einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2009 dürfen
EU-Bürger nicht von beitragsunabhängigen Leistungen ausgeschlossen werden, die ihnen den Zugang
zum Arbeitsmarkt erleichtern. Mehrere deutsche Gerichte haben daher in den letzten Jahren EUAusländern Sozialleistungen zugesprochen, auch wenn sie nicht berufstätig waren. Das
Bundessozialgericht hat mittlerweile den Europäischen Gerichtshof um eine grundsätzliche
Entscheidung gebeten.
Auch der Gesundheitsschutz ist sichergestellt, wenn sich ein EU-Bürger in einem anderen Land der
Gemeinschaft vorübergehend aufhält und dort krank wird. Es gibt mittlerweile eine europäische
Versicherungskarte, die gewährleistet, dass man ärztliche Betreuung erhält, ohne dafür in Vorkasse
zu treten und das dann hinterher mit seiner Krankenkasse abrechnen zu müssen.
Zum Binnenmarkt gehört weiterhin, dass man auch außerhalb von Notfällen Gesundheitsleistungen
im Ausland in Anspruch nehmen darf und die eigene Krankenkasse dies bis zu der Höhe tragen muss,
die auch im eigenen Land angefallen wäre. Das ist für viele bei Leistungen interessant, die nach
unserem System Zuzahlungen erfordern wie beispielsweise Zahnersatz. Wer will, kann sich seine
Zähne in Polen oder Ungarn richten oder ersetzen lassen und so seinen Eigenbeitrag minimieren oder
ganz einsparen.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Sozialpolitik der EU
24.9.2009
Die Sozialpolitik ist Aufgabe der Mitgliedstaaten und nicht der EU. Allerdings setzt die
Europäische Union soziale Mindeststandards und greift auch über den Europäischen
Sozialfonds in die soziale Lage in den EU-Ländern ein.
Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/0AGLSP.pdf)
Anders als beispielsweise die Agrarpolitik ist die Sozialpolitik keine originäre Zuständigkeit der
Europäischen Union. Ein gemeinsamer Binnenmarkt mit der Freizügigkeit von Arbeitnehmern und
Dienstleistern macht jedoch auch gemeinsame Standards und Regelungen im sozialen Bereich nötig.
Von Beginn an hat sich die europäische Integration auch mit sozialen Fragen beschäftigt, wenngleich
mit phasenweise sehr unterschiedlicher Intensität. Als der Europäische Rat im Jahr 2000 die LissabonStrategie beschloss, deren Ziel es war und ist, die Europäische Union zum dynamischsten
wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, wurde im selben Jahr mit der "Europäischen
Sozialagenda" auch eine soziale Flankierung dieses Vorhabens beschlossen. Im Internet findet sich
die Sozialagenda unter consilium.europa.eu (http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/
librairie/PDF/SocialAgenda_DE.pdf).
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Die Europäische Union hat mittlerweile eine Reihe von Standards vereinbart, die in den Mitgliedstaaten
nicht unterschritten werden dürfen, um so zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts in der EU
beizutragen.
Besondere Bedeutung kommt der Gleichstellung von Mann und Frau zu, die sowohl den gleichen
Zugang zu allen Berufen, identische Arbeitsbedingungen und auch die gleiche Entlohnung für die
gleiche Tätigkeit zum Inhalt hat. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) achtet in seiner Rechtsprechung
auf die Durchsetzung dieses Prinzips. Ein Ergebnis der EuGH-Rechtsprechung ist es, dass Frauen
seit 2001 bei der Bundeswehr dienen dürfen. Eine junge Frau hatte erfolgreich geklagt, da ihre
Bewerbung wegen ihres Geschlechts keine Berücksichtigung fand. Nicht diskriminiert werden dürfen
auch die Erwerbstätigen anderer EU-Mitgliedstaaten, denen dieselben sozialen Rechte zustehen wie
den Bürgern des jeweiligen Landes.
Auch der Arbeitsschutz ist auf europäischer Ebene vereinbart.
Da es innerhalb der EU erhebliche Lohngefälle gibt, besteht bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten
die Gefahr des Lohndumpings, indem beispielsweise ein Unternehmen aus Rumänien in Deutschland
arbeitet, seinen Arbeitnehmern aber nur die wesentlich niedrigern Löhne des rumänischem Niveaus
zahlt. Diese Wettbewerbsverzerrung, die für die einheimischen Arbeitskräfte negative Folgen hätte,
wird durch die Entsenderichtlinie verhindert oder doch zumindest eingeschränkt. Der Richtlinie zufolge
müssen allen Arbeitnehmern an ihrem Arbeitsort die gültigen Mindestlöhne oder soweit es solche –
wie in Deutschland - nicht gibt die tariflich vereinbarten Entgelte gezahlt werden. Auch die weiteren
Arbeitsbedingungen wie Höchstarbeitszeit, Mindestruhezeit, bezahlter Mindestjahresurlaub und
Arbeits- und Hygieneschutz müssen für Inländer und EU-Ausländer gleich sein.
Sozialpolitisch aktiv wird die Europäische Union auch durch den Europäischen Sozialfonds (ESF), mit
dem Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit und für die berufliche Qualifzierung, gegen soziale
Ausgrenzung und für die Gleichstellung von Männern und Frauen finanziert werden. Für den Zeitraum
2007 – 2013 stellt die EU im Rahmen des ESF 75 Mrd. Euro zur Verfügung. In Deutschland werden
in dieser Förderperiode tausende von Menschen in unterschiedlichen Projekten mit rund 9 Mrd. Euro
unterstützt. Näheres findet man auf der Internetseite der Bundesregierung für den ESF in Deutschland:
esf.de (http://www.esf.de/portal/generator/944/esf__grundlagen.html)
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Rechts- und Innenpolitik
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Das Schengener Übereinkommen hat die meisten Grenzkontrollen in der EU abgeschafft.
Länderübergreifende Polizeiarbeit und gegenseitige Anerkennung von Gerichtsurteilen
machen die EU immer mehr zu einem gemeinsamen Rechtsraum.
Das Schengen-Abkommens macht Grenzkontrollen, wie hier an der ungarisch-slowenischen Grenze, obsolet. (©
picture-alliance/dpa)
Zunehmend organisieren die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Teile ihrer Rechts- und
Innenpolitik gemeinschaftlich. Ein ins Auge fallendes Beispiel ist die Verwirklichung des Schengener
Übereinkommens. Mit diesem Vertrag sind nicht nur die meisten Grenzkontrollen innerhalb der EU
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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weggefallen, sondern es findet auch ein gemeinsamer Schutz der Außengrenzen statt.
Alle Schengen-Staaten - das sind die EU-Staaten außer Großbritannien und Irland, die nicht mitmachen
wollen, und Bulgarien, Rumänien und Zypern, die aus unterschiedlichen Gründen noch nicht dabei
sind, außerdem Norwegen, Island, die Schweiz und Liechtenstein - verfügen über ein gemeinsames
Fahndungssystem. Darüber hinaus geben sie Visa für das gesamte Schengengebiet aus. Wenn der
deutsche Generalkonsul in St. Petersburg einem Russen ein Visum erteilt, erlaubt er ihm damit auch
den Besuch von beispielsweise Madrid, Paris oder Warschau. Umgekehrt gilt das Visum, das die
französische Botschaft in Marokko ausstellt, auch für Deutschland.
In den Jahren 2012 und 2013 gab es eine Diskussion innerhalb der EU, die Freizügigkeit vorübergehend
einzuschränken, wenn die Gefahr besteht, dass sie missbraucht wird. Hintergrund war die Ausgabe
von Aufenthaltserlaubnissen durch Italien an Flüchtlinge, die daraufhin vor Prüfung ihres Asyl-Antrags
das Land in Richtung Frankreich und Deutschland verließen. Mittlerweile gibt es einen Beschluss von
Rat und Europäischem Parlament, demzufolge ein Land vorübergehend (das heißt für maximal zwei
Jahre) Grenzkontrollen wieder einführen kann. Damit könnten dann auch Flüchtlinge am Wechsel in
ein anderes EU-Land gehindert werden - sollten sie den Wechsel anstreben bevor ihr
Aufnahmeverfahren abgeschlossen oder wenn es negativ beschieden worden ist. Die gilt natürlich
nur, wenn sie sich an einem Grenzübergang präsentieren und nicht den Weg über die langen und
unbewachten "grünen Grenzen" zwischen den Mitgliedstaaten wählen würden.
Damit offene Grenzen nicht zu mehr Kriminalität führen, gibt es eine enge polizeiliche Zusammenarbeit
zwischen den Polizeibehörden vor Ort sowie eine gegenseitige Information über EUROPOL (LINK:
http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/176960/europol). Wer in Deutschland ein Verbrechen begeht,
kann nicht darauf hoffen, in den Niederlanden "seine Ruhe" zu haben. Für eine Reihe von Delikten
besteht die Möglichkeit, einen europäischen Haftbefehl zu erlassen. Alle Mitgliedstaaten haben sich
verpflichtet, auf der Basis eines solchen Haftbefehls auch eigene Staatsbürger zu überstellen. Ein
Deutscher, der in Spanien eine Bombe gelegt hat, kann nach Spanien ausgeliefert und dort vor Gericht
gestellt werden.
Ein anderes Thema sind grenzüberschreitende Eheschließungen: Je mehr Menschen in Europa reisen
und in anderen Ländern arbeiten, desto mehr gemischt-nationale Ehen entstehen auch. Leider endet
manche Ehe jedoch mit der Scheidung. Nach welchem Recht werden beispielsweise eine italienische
Frau und ein polnischer Mann, die in Großbritannien leben, geschieden? Hier waren die Regelungen
von Land zu Land unterschiedlich, was für die Paare vor allem im Bereich des Sorgerechts eine
zusätzliche Belastung mit sich gebracht hat. Bestrebungen, die Zuständigkeiten in der gesamten EU
zu regeln, sind jedoch daran gescheitert, dass nicht alle EU-Staaten die neuen Regelungen mittragen
wollten. Daher kam es zum ersten Mal zu einem Fall der verstärkten Zusammenarbeit (http://www.
bpb.de/nachschlagen/lexika/177341/verstaerkte-zusammenarbeit): 14 Staaten, darunter auch
Deutschland, beschlossen eine gemeinsame Regelung, der sich mittlerweile auch Litauen
angeschlossen hat. Ehepaare, bei denen die Partner verschiedenen Staaten angehören, können jetzt
schon bei der Hochzeit festlegen, welches nationale Scheidungsrecht im Falle des Scheiterns der Ehe
gelten soll. Sollte es darüber keine Einigkeit geben, entscheiden die Gerichte nach einem einheitlichen
Verfahren. Die Regelung stellt keinen Eingriff in das nationale Scheidungsrecht dar, das sich weiterhin
von Staat zu Staat unterscheidet, aber mit der Regelung ist geklärt, welches Recht zur Anwendung
kommt.
Ein wichtiger Schritt zu einem gemeinsamen Europa ist für die Bürgerinnen und Bürger darüber hinaus
die gegenseitige Anerkennung von Gerichtsurteilen, auch in Zivilgerichtsverfahren. Damit entwickelt
sich Europa zu einem gemeinsamen Rechtsraum, was beispielsweise von Bedeutung ist, wenn man
in einem anderen EU-Land etwas kauft und aus diesem Kauf Rechtsstreitigkeiten entstehen.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Rechts- und Innenpolitik der Europäischen Union
24.9.2009
Die Leitvorstellung der Europäischen Union ist der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des
Rechts, der es den Bürgern der EU ermöglichen soll, in der gesamten Union so frei zu leben,
wie man das traditionell aus dem Nationalstaat kennt.
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Die Leitvorstellung der Europäischen Union ist der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts,
der es den Bürgern der EU ermöglichen soll, in der gesamten Union so frei zu leben, wie man das
traditionell aus dem Nationalstaat kennt.
Die Europäische Union verankert die Ziele Freiheit, Sicherheit und Recht in einem Konzept, das mit
dem Vertrag von Amsterdam 1999 in Kraft getreten ist.
Freiheit bedeutet in erster Linie die Verwirklichung der sog. vier Grundfreiheiten des Europäischen
Binnenmarkts, den freien Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital. Während die
drei letzen Grundfreiheiten in die Wirtschaftspolitik fallen, gehört die Personenfreizügigkeit zur Rechtsund Innenpolitik. Jeder Unionsbürger darf sich in jedem EU-Land niederlassen, um dort zu arbeiten
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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oder zu leben. Nur wenn er dauerhaft die sozialen Sicherungsnetze des Gastlandes in Anspruch nimmt,
kann sein Aufenthalt beschränkt werden. Zudem werden Reisende in 22 der derzeit 27 Mitgliedsländern
an den Staatsgrenzen nicht kontrolliert. Diese Aufhebung der Grenzkontrollen ist im Schengener
Abkommen geregelt. Während Großbritannien, Irland, Zypern, Bulgarien und Rumänien dieser
Übereinkunft nicht oder noch nicht angehören, nehmen andererseits Nicht-EU-Staaten wie Norwegen,
Island, die Schweiz und Liechtenstein daran teil.
Alle EU-Bürger besitzen neben ihrer nationalen Staatsangehörigkeit die Unionsbürgerschaft, die
ihnen in anderen Mitgliedsländern das kommunale und europäische Wahlrecht sichert. Wer in einem
Drittland Hilfe benötigt, aber nicht auf eine Botschaft seines Landes zurückgreifen kann, erhält als
Unionsbürger von einer anderen EUMission Unterstützung.
Die Grundrechte aller Personen, die sich in der EU aufhalten, gleich ob Unionsbürger oder nicht,
werden von der Grundrechtecharta der EU abgedeckt. Sie wurde bereits im Jahr 2000 unterzeichnet
und ist mit dem Lissabonner Vertrag ein Teil des EU-Rechts geworden.
Ebenfalls im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts geregelt ist der Umgang der EU-Staaten
mit Drittstaatsangehörigen. Die EU unterscheidet hier zwischen drei Personengruppen: Erstens,
Personen mit dem von der EU definierten Anspruch auf Asyl. Zweitens, Personen, die für die
Arbeitsmärkte der EU benötigt werden oder die ein Recht auf Familienzusammenführung haben. Für
diese Personen will die EU in den nächsten Jahren eine Einwanderungspolitik entwickeln. Drittens,
Personen, die kein Anrecht auf eine Einreise in die EU haben und die als sog. illegale Migranten an
der Einreise gehindert werden sollen. Um ihre Zahl zu reduzieren, hat die EU ihre Außengrenzsicherung
verstärkt und eine eigene Grenzschutzagentur, FRONTEX, ins Leben gerufen.
An den Außengrenzen sollen auch Straftäter gefasst werden. Darüber hinaus koordiniert die
gemeinsame Polizeidienststelle EUROPOL Daten und Ermittlungen über Grenzen hinweg. Bei
schweren Straftaten kann ein Haftbefehl grenzüberschreitend ausgeführt werden – und zwar auch
gegen die Bürger des Heimatstaates. Zusätzlich wird die Terrorismusbekämpfung zwischen den
Mitgliedstaaten von der EU koordiniert. In Brüssel gibt es dafür einen Anti-Terrorbeauftragten der
EU, der im Auftrag des Rates der Europäischen Union handelt.
Für die Zusammenarbeit in der gerichtlichen Strafverfolgung haben die EU-Staaten die Institution
EUROJUST gegründet. Je mehr EUBürger sich über die Binnengrenzen der EU bewegen, dort leben,
heiraten, sich scheiden lassen, sterben und erben, desto wichtiger ist eine EU-weite Zusammenarbeit
auch im Zivilrecht, die mittlerweile entsteht. Hierzu gehört auch eine gegenseitige Anerkennung von
Gerichtsurteilen. Gleichzeitig findet eine Standardanpassung des Internationalen Privatrechts
innerhalb der EU statt um zu verhindern, dass man bei grenzüberschreitenden Vereinbarungen – zum
Beispiel Versicherungen – zwischen die Mühlsteine unterschiedlicher rechtlicher Normen in
verschiedenen EU-Staaten gerät.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
61
Das Schengener Übereinkommen
24.9.2009
Die meisten EU-Staaten sowie einige weitere Länder haben sich dem Schengener
Übereinkommen angeschlossen. Zwischen ihnen gibt es keine Grenzkontrollen mehr - aber
eine gemeinsame Visapolitik und Standards bei der Sicherung der Außengrenzen.
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Schengen ist ein kleiner Ort in Luxemburg. Dort unterzeichneten 1985 die Vertreter Frankreichs,
Deutschlands, Belgiens, der Niederlande und Luxemburgs ein Abkommen, mit dem die Grenzkontrollen
zwischen ihren Ländern aufgehoben werden sollten. Tatsächlich geschah dies erst 1995, nachdem
1990 ein Durchführungsabkommen geschlossen worden war und die technischen Voraussetzungen
geschaffen worden waren. Seit dem Wegfall der Kontrollen an den Binnengrenzen werden die
Außengrenzen nach gemeinsamen Standards kontrolliert (an Grenzübergangsstellen) und überwacht
(an den Land- und Seegrenzen); dies erfordert auch eine gemeinsame Datenbank. Im SchengenDurchführungsabkommen ist die Vereinheitlichung von Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen
geregelt, außerdem die Ausstellung von Visa für den gesamten "Schengen-Raum". Auch auf
Maßnahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit, der gemeinsamen Drogenfahndung
sowie auf Bestimmungen bezüglich der Gewährung von Asyl einigte man sich. Zum Zeitpunkt des
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
62
Inkrafttretens des Schengener Durchführungsabkommens waren auch Griechenland, Portugal und
Italien zu den Teilnehmerstaaten hinzu gestoßen, 1997 folgte Österreich.
Das Schengener Überkommen wurde außerhalb der damaligen Europäischen Gemeinschaften als
völkerrechtlicher Vertrag geschlossen. Erst 1999 mit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages
wurde "Schengen" eine gemeinsame EU-Politik.
Mittlerweile gehören dem Schengen-Verbund die meisten EU-Staaten an. Für Großbritannien und in
seiner Folge auch Irland gilt das Schengener Übereinkommen nicht, da Großbritannien aufgrund seiner
besonderen Einwanderungskontrollpolitik den Souveränitätsverzicht nicht hinnehmen und die Republik
Irland zwischen ihrem Territorium und Nordirland keine Schengen-Grenze etablieren wollte. Bulgarien
und Rumänien haben die Standards für die Kontrolle und Überwachung der Außengrenzen, den
sogenannten Schengen-Acquis, noch nicht erfüllt und Zypern ist wegen der Teilung der Insel in einer
besonderen Situation.
Während einerseits also nicht alle EU-Staaten bei Schengen mitmachen, gehören dem SchengenVerbund andererseits auch Länder an, die nicht zur EU gehören. Dies sind einerseits Island und
Norwegen, andererseits die Schweiz und Liechtenstein.
Die Mikrostaaten Andorra, San Marino, Monaco oder der Vatikanstaat sind rechtlich nicht Teil des
Schengener Übereinkommens, was praktisch allerdings bedeutungslos ist, da es an ihren Grenzen
sowieso keine Kontrollen gibt (wie das auch bei Liechtenstein der Fall war).
Wer aus einem visumpflichtigen Drittstaat in einen Vertragsstaat des Schengener Übereinkommens
einreist, erhält in aller Regel ein "Schengen-Visum", das ihm den legalen Aufenthalt auch in den anderen
Schengen-Staaten ermöglicht. Dadurch wird die Reisefreiheit von Besuchern aus Drittstaaten
wesentlich vergrößert. Allerdings erlaubt "Schengen" keine abweichenden Regelungen mehr, wie es
sie früher beispielsweise für den visumfreien Reiseverkehr zwischen Polen und der Ukraine gab.
Deshalb wird das Schengen-Regime aus Drittstaaten heraus oftmals als "Festung Europa" bezeichnet.
Im Einzelfall ist es tatsächlich schwerer geworden, ein Visum zu erhalten, das allerdings eine größere
Reichweite hat. Die Entscheidung, von welchen Staatsangehörigen ein Visum verlangt wird, treffen
die Schengen-Staaten gemeinsam.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Das auswärtige Handeln der EU
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Im Vertrag von Lissabon hat die EU sich weitreichende Ziele für ihre Außen- sowie eine
Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik gesetzt und neue Instrumente zu deren
Umsetzung geschaffen.
Eine gemeinsame Außenpolitik war bei Gründung der Europäischen Gemeinschaften nicht
vorgesehen. Die Außenpolitik blieb eine Domäne der Mitgliedstaaten. Allerdings wurde im Laufe der
Jahre deutlich, dass man wenig erreicht, wenn jedes Land für sich alleine handelt. Aus ersten Formen
der Koordination, der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ), entstand mit dem Vertrag von
Maastricht, der 1993 in Kraft trat, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der
Europäischen Union. Durch den Vertrag von Lissabon wurde das auswärtige Handeln der Union
deutlich gestärkt.
Die Europäische Union will mit ihrer Außenpolitik nicht nur "ihre grundlegenden Interessen, ihre
Sicherheit, ihre Unabhängigkeit und ihre Unversehrtheit wahren" (Art. 21 Abs. 2 Punkt a des EUVertrags in der Fassung von Lissabon), sondern auch weltweit Demokratie, Menschenrechte und
Rechtsstaatlichkeit fördern, zur Beseitigung der Armut in der Welt beitragen und eine
"verantwortungsvolle Weltordnungspolitik" fördern (Art. 21 Abs. 2 Punkt h, EU-Vertrag).
Stärkung durch den Lissabonner Vertrag
Um ihre Außenpolitik zu verwirklichen, hat die EU einige Instrumente entwickelt. Durch den Lissabonner
Vertrag wurde das Amt des Hohen Vertreters für die Außen- und Sicherheitspolitik geschaffen, das bis
2014 von der Britin Catherine Ashton bekleidet wird. Zwar gab es schon vor dem Inkrafttreten des
Lissabonner Vertrags einen Hohen Vertreter, nämlich den Spanier Javier Solana. Allerdings war der
"alte" Hohe Vertreter nur der Repräsentant des Rates der Europäischen Union, während der "neue"
zugleich Vizepräsident der Europäischen Kommission ist. So wird das außenpolitische Handeln dieser
beiden Institutionen eng miteinander verflochten. Der Hohen Vertreterin steht ein Europäischer
Auswärtiger Dienst zur Seite, den man sich wie ein EU-Außenministerium mit einer Zentrale in Brüssel
und Botschaften ("Delegationen") in aller Welt vorstellen kann. Die Hohe Vertreterin verfügt also über
einen Apparat, mit dem sie die Außenpolitik der EU auch umsetzen kann.
Im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) gibt es verschiedene
Instrumente, die in Art. 25 des EU-Vertrages (EUV) festgelegt sind. So erlässt die Union allgemeine
Leitlinien zur GASP und fasst Beschlüsse zu ihrer Umsetzung. Dabei kann es sich um gemeinsame
Standpunkte oder auch gemeinsame Aktionen handeln. Die GASP ist nicht vergemeinschaftet, sondern
intergouvernemental. Das bedeutet, dass sie zwischen den Regierungen, also im Rat, verabredet und
das Europäische Parlament lediglich angehört wird. Die Europäische Kommission ist über die Hohe
Vertreterin eingebunden, außerdem ist die Kommission für Teile des auswärtigen Handelns außerhalb
der GASP (also Entwicklungshilfe, humanitäre Hilfe, Nachbarschaftspolitik) zuständig. Da sich diese
Politikfelder von der GASP nicht ganz klar trennen lassen, ist eine enge Zusammenarbeit nötig.
Die GASP ist auf Einstimmigkeit angelegt, sieht allerdings eine konstruktive Enthaltung vor. Ein Staat
kann sich der Stimme enthalten und erklären, sich an der Durchführung des Beschlusses nicht zu
beteiligen. Allerdings darf er nichts unternehmen, was dem Beschluss zuwider laufen würde.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Die Außenbeziehungen der EU
In den letzten Jahren hat die Bedeutung der Europäischen Union als außenpolitischer Akteur stark
zugenommen. Nach wie vor ein wichtiges Instrument ist die Beitrittspolitik. Die EU bietet anderen
Ländern die Mitgliedschaft an, wenn diese bestimmte Bedingungen erfüllen, die in den "Kopenhagener
Kriterien" von 1993 festgelegt sind. Kurz gesagt verlangt die EU eine demokratische Ordnung, eine
funktionierende Marktwirtschaft sowie die Übernahme des Regelwerks der EU. 2013 ist Kroatien als
vorläufig letztes Mitglied beigetreten. Eine Beitrittsperspektive gibt es auch für die anderen Staaten
des westlichen Balkans, mit denen schon verhandelt wird (Montenegro, Serbien) oder die als
Kandidaten (Mazedonien) beziehungsweise als potenzielle Kandidaten (Albanien, BosnienHerzegowina, im Prinzip auch Kosovo) anerkannt sind. Bereits seit 2005 laufen die
Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, die jedoch geringe Fortschritte machen. Dies hat nicht zuletzt
damit zu tun, dass es innerhalb der EU Uneinigkeit darüber gibt, ob man die Türkei überhaupt als
Mitglied haben will. Die Beitrittsverhandlungen mit Island sind auf Wunsch der isländischen Regierung
ausgesetzt und werden wohl von isländischer Seite ganz abgebrochen.
In Richtung Osten und Süden hat die Union die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) entwickelt,
die sich im Osten an die Ukraine, die Republik Moldau, Belarus sowie an die drei südkaukasischen
Staaten Armenien, Aserbaidschan und Georgien richtet, und im südlichen Mittelmeerraum zehn
Staaten von Marokko bis Syrien adressiert. Zur Verstärkung der regionalen Ansätze hat sie 2008 die
"Union für das Mittelmeer" als Verbund mit den Mittelmeeranrainern und 2009 die "Östliche
Partnerschaft" als engere Anbindung der osteuropäischen Staaten geschaffen.
Dennoch wurde die Europäische Union vom Arabischen Frühling überrascht, der sich in Nordafrika
Bahn brach, nachdem die Tunesier Diktator Ben Ali gestürzt hatten. Die EU bemüht sich nun, die
demokratische Transformation im arabischen Raum zu fördern.
Im Zusammenhang mit der Östlichen Partnerschaft hat die EU es mit Russland als Gegenspieler zu
tun, das den östlichen Nachbarn der EU immer wieder wirtschaftliche Angebote macht oder droht. So
haben vor dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs aus der EU und den sechs Partnerländern
Ukraine, Moldau, Belarus, Armenien, Aserbaidschan und Georgien im November 2013 sowohl
Armenien als auch die Ukraine erklärt, das ausgehandelte Assoziierungsabkommen nicht zu
unterschreiben beziehungsweise zu paraphieren. Armenien möchte stattdessen der in Gründung
befindlichen und von Russland dominierten Eurasischen Union beitreten.
In der Ukraine hat die Weigerung des Präsidenten, das Abkommen mit der EU zu schließen, zu
monatelangen Protesten und schließlich zu dessen Absetzung geführt. Wie das Verhältnis der Ukraine
zur EU sich weiterentwickelt, ist zurzeit (April 2014) nicht abzusehen. Es ist allerdings anzunehmen,
dass es zu einer vertieften Zusammenarbeit kommen wird.
Mit Russland besteht eine "strategische Partnerschaft", die durch vier Gemeinsame Räume (Wirtschaft;
Äußere Sicherheit; Innere Sicherheit; Forschung, Bildung, Kultur) realisiert werden soll. Tatsächlich
stagniert das europäisch-russische Verhältnis jedoch seit einigen Jahren, vor allem seit dem russischgeorgischen Krieg im Jahr 2008. Im Frühsommer 2010 haben daher beide Seiten einen neuen Anlauf
unternommen und eine "Modernisierungspartnerschaft" begründet. Nennenswerte Ergebnisse hat
diese allerdings bislang nicht erzielt. Aufgrund der Meinungsunterschiede und Spannungen, die sich
zwischen der EU und Russland im Konflikt um die Ukraine und die Krim im Frühjahr 2014 verstärkt
haben, sind solche Resultate in absehbarer Zeit auch nicht erwartbar.
Gegenüber Afrika hat die EU 2007 eine Strategie verabschiedet, die dem Kontinent helfen soll, Armut
und Unterentwicklung zu überwinden. Dem dient auch das Abkommen von Cotonou, das 2000 in der
Hauptstadt von Benin geschlossen wurde, und das durch direkte Unterstützung sowie eine
Wirtschaftspartnerschaft 79 Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (einschließlich Kuba und
Südafrika) helfen soll, sich politisch und ökonomisch zu entwickeln.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
65
Die EU und die USA sehen sich wechselseitig als die engsten Partner auf der weltpolitischen Bühne.
Allerdings hat sich das Verhältnis dadurch eingetrübt, dass die USA generell weniger Interesse an
Europa aufbringen und dass durch umfangreiche Abhöraktionen durch die Amerikaner, von denen
auch das Mobiltelefon der deutschen Bundeskanzlerin sowie die EU-Büros in Washington, New York
und Brüssel betroffen waren bzw. sind, das Vertrauen der Europäer zu den Amerikanern stark
eingeschränkt ist. Dennoch verhandeln die EU und die USA seit Mitte 2013 über ein Transatlantisches
Freihandelsabkommen, von dem beide Seiten sich wirtschaftliche Vorteile versprechen, das aber auch
diesseits und jenseits des Atlantiks auf Widerstand stößt.
Mit den Staaten Mittel- und Lateinamerikas finden regelmäßige EU-Lateinamerika-Gipfel statt. Der
tatsächlichen Intensivierung der Kooperation stehen allerdings innere Spannungen in Lateinamerika
im Wege.
Entwicklung der gemeinsamen europäischen Außenpolitik
Dass es den EU-Staaten in den 1990er-Jahren nicht möglich war, die Kriege in Jugoslawien zu
verhindern oder ohne amerikanische Hilfe einzudämmen, hat genauso wie die europäische Unfähigkeit,
sich im Jahr 2003 auf eine gemeinsame Einstellung zum Irak-Krieg der USA zu einigen, in der
Öffentlichkeit zu heftiger Kritik geführt. Beide Ereignisse machen deutlich, dass die GASP noch ein
relativ neues Politikfeld ist, das der Weiterentwicklung bedarf. Auf dem Feld der Außenpolitik wünscht
sich eine klare Mehrheit der EU-Bürger eindeutig "mehr Europa", wie die regelmäßigen Umfragen von
"Eurobarometer" zeigen.
Durch den Vertrag von Nizza (2003) ist auch eine Sicherheitspolitik geschaffen worden, die im
Lissabonner Vertrag "Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik" (GSVP, bis zum Vertrag von
Lissabon noch ESVP) heißt.
Die GSVP soll die NATO nicht ersetzen und ihre Aufgabe besteht nicht in der Landesverteidigung. Sie
soll vielmehr ermöglichen, außerhalb der EU militärisch eingreifen zu können, wenn dies zur
Friedenssicherung oder -erhaltung notwendig ist. Nach einer Vereinbarung mit der NATO kann die EU
dabei auf Kapazitäten des Nordatlantikpakts zurückgreifen. Das ursprüngliche, 1999 beschlossene
Ziel der EU, 60.000 Soldaten innerhalb von zwei Monaten einsetzbar zu haben, konnte nicht erreicht
werden und wurde 2004 durch das Konzept der Battle Groups ersetzt. Zwei dieser Gefechtsverbände
stehen jeweils zur Verfügung und können binnen 14 Tagen in einem Radius von 6.000 km um Brüssel
aktiv werden. Allerdings sind die Battle Groups noch nie zum Einsatz gekommen, weswegen Kritiker
sagen, dieses Konzept funktioniere nur auf dem Papier.
Die Europäische Union hat in den letzten Jahren zahlreiche Militärmissionen und zivil-militärische
Missionen durchgeführt, so zum Beispiel seit 2004 die Polizeimission in Bosnien-Herzegowina, seit
2008 die Mission zur Abwehr von Piratenüberfällen im Golf von Aden oder seit 2013 zur Stabilisierung
von Mali. Die Truppen mussten jeweils in mühsamen Verhandlungen auf EU-Ebene zusammengestellt
werden.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Die Außenpolitik der Europäischen Union –
Handlungsfelder
24.9.2009
Die Europäischen Union hat eine Bevölkerung von knapp 500 Mio. Menschen, das sind gerade
einmal 7,3 Prozent der Weltbevölkerung. Dennoch ist die EU aufgrund ihrer wirtschaftlichen
Stärke ein wichtiger internationaler Akteur.
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In den vergangenen 20 Jahren hat die EU ihre internationalen Kontakte sehr stark ausgebaut. Ziel der
EU-Aktivitäten sind die Schaffung und die Sicherung des Friedens, die Förderung der wirtschaftlichen
Entwicklung der Länder der sog. Dritten Welt, der Schutz der Umwelt und des Klimas, die Sicherung
des eigenen Energiebedarfs sowie die Intensivierung des wirtschaftlichen Austausches mit anderen
Ländern. Besonderes Augenmerk legt die Union auf ihre unmittelbare Nachbarschaft. Durch die
Osterweiterung der Jahre 2004 und 2007 ist es der EU gelungen, die Demokratisierungs- und
Transformationsprozesse in den damaligen Partner- und heutigen Mitgliedstaaten wirkungsvoll zu
unterstützen. Eine ähnliche Politik verfolgt die EU auch gegenüber den Balkan-Staaten, denen ein
Beitritt zugesagt wurde, sofern sie die Beitrittsbedingungen erfüllen. Die gleiche Zusage gibt es auch
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
67
an die Türkei, mit der (wie mit Kroatien) seit 2005 über die Mitgliedschaft verhandelt wird. Allerdings
wird der Beitrittswunsch der Türkei in der EU nicht einmütig unterstützt.
In Ergänzung der Erweiterungsstrategie hat die Europäische Union seit 2003 die Europäische
Nachbarschaftspolitik (ENP) entwickelt, die sich an insgesamt 16 Nachbarstaaten im Osten und Süden
richtet. Mittlerweile haben sich die Ansätze in Richtung Süden (Union für das Mittelmeer) und nach
Osten (Östliche Partnerschaft) differenziert. Ziel der Nachbarschaftspolitik ist es, die Partnerstaaten
so eng wie möglich an die EU zu binden, allerdings unterhalb der Schwelle der Mitgliedschaft.
Russland ist in die Nachbarschaftspolitik nicht einbezogen, sondern unterhält mit der EU eine sog.
strategische Partnerschaft, die in vier Gemeinsamen Räumen (Wirtschaft, Innere Sicherheit, Äußere
Sicherheit, Bildung/Wissenschaft/Kultur) münden soll.
Im Jahr 2007 hat die EU unter deutscher Präsidentschaft auch einen Politikansatz für das Schwarze
Meer beschlossen. Die Schwarzmeersynergie soll die drei Strategien (ENP, strategische Partnerschaft
mit Russland, Beitrittsstrategie mit der Türkei) zusammenfassen und richtet sich an die Staaten der
Schwarzmeerregion. Das sind neben den sechs Anrainern (darunter die EU-Mitglieder Rumänien und
Bulgarien) auch die Republik Moldau, Armenien, Aserbaidschan und das EU-Mitglied Griechenland.
Ebenfalls 2007 hat die EU eine Zentralasienstrategie verabschiedet, die dazu dienen soll, die
Beziehungen mit Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikistan und Kirgisistan zu verbessern.
Mit den ostasiatischen Staaten ist die EU in der ASEM verbunden, einem europäisch-asiatischen
Gesprächsforum, dem einerseits die EU-Länder, andererseits 16 asiatische Staaten, darunter auch
China, Japan und Indonesien, angehören.
Ähnliche Beziehungen unterhält die EU auch mit den Staaten Mittel- und Südamerikas, deren Staatsund Regierungschefs sich regelmäßig mit den führenden Politikern der EU bei EU-LateinamerikaGipfeln treffen.
Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten sind weltweit der größte Geber von Entwicklungshilfe.
Die EU fühlt sich den Milleniums-Zielen der Vereinten Nationen, die der Reduktion von Armut und
Krankheit in der Dritten Welt dienen, verpflichtet und betreibt auf der Basis des Abkommens von
Cotonou eine aktive Entwicklungspolitik, die neben dem wirtschaftlichen Aufbau der Partnerländer
auch deren demokratische Struktur fördern will.
Zusätzlich unterhält die EU mit den meisten Staaten dieser Welt bilaterale Beziehungen.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Strukturen
1.12.2010
Als die Europäischen Gemeinschaften gegründet wurden, war eine gemeinsame Außenpolitik
nicht vorgesehen. Dies blieb vielmehr eine nationale Angelegenheit. Mittlerweile hat die EU
eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik entwickelt.
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Das auswärtige Handeln der Europäischen Union ist durch den Vertrag von Lissabon neu strukturiert
worden. Das bezieht sich vor allem auf die Außenpolitik im engeren Sinne, die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik (GASP) der EU.
Diese wird von der Hohen Vertreterin für die Außen- und Sicherheitspolitik geleitet. Bei dieser
europäischen Außenministerin, Catherin Ashton aus Großbritannien, laufen verschiedene Funktionen
zusammen. Sie ist zum einen die Vertreterin des Rates der Europäischen Union für die Außenpolitik,
also die Repräsentantin der Mitgliedstaaten. Deshalb führt sie auch den Vorsitz im Rat der
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
69
Außenminister, in dem – anders als in den anderen Fachministerräten – der Vorsitz nicht alle sechs
Monate wechselt. Zum anderen ist die Hohe Vertreterin auch Mitglied und sogar Vizepräsidentin der
Europäischen Kommission. Durch diese Dreifach-Hut-Lösung möchte man erreichen, dass die
verschiedenen Institutionen, die sich mit Außenpolitik beschäftigen, enger verzahnt werden und die
EU so einheitlicher auftreten kann.
Die grundlegende Ausrichtung der EU-Außenpolitik wird vom Europäischen Rat beschlossen, das
sind die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union. Die Umsetzung der Vorgaben in
Beschlüsse erfolgt durch den Rat der Europäischen Union, also in der Regel durch die Außenminister
(unter Vorsitz des Hohen Vertreters) oder durch die Verteidigungsminister. Der Rat wird vom
Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK), dem die Direktoren der Außenministerien
der EU angehören, unterstützt. Dem PSK obliegt bislang auch die Kontrolle über die militärischen und
zivil-militärischen Missionen der EU. Hierfür steht ihm der Militärausschuss der Europäischen Union
zu Seite. Inwieweit die Kontrolle über die Missionen in Zukunft auch auf die Hohe Vertreterin übergehen
wird, ist noch nicht klar.
Der Rat beauftragt die Hohe Vertreterin, die Beschlüsse umzusetzen. Hierfür steht ihr ein
Europäischer Auswärtiger Dienst (EAD) zur Verfügung, der zurzeit aufgebaut wird und aus
Mitarbeitern der Europäischen Kommission, des Generalsekretariats des Rates sowie aus Diplomaten
aus den Mitgliedstaaten bestehen soll. Zum EAD sollen auch die Vertretungen der Europäischen
Kommission in aller Welt gehören und so zu EU-Botschaften werden.
Die Europäische Kommission, der die Hohe Vertreterin angehört, unterbreitet ebenfalls Vorschläge
zur Außenpolitik und führt im Übrigen das auswärtige Handeln in anderen Bereichen
(Entwicklungspolitik, Humanitäre Hilfe und Nachbarschaftspolitik) durch. Die Hohe Vertreterin
koordiniert das Auftreten der Europäischen Kommission durch regelmäßige Absprachen mit ihren
Kollegen, die für die anderen genannten Bereiche zuständig sind.
Das Europäische Parlament hat in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik kein
Mitentscheidungsrecht, es muss jedoch angehört werden. Die Hohe Vertreterin ist verpflichtet, die
Auffassung des Parlaments gebührend zu berücksichtigen.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik:
Die Sicherheitsstrategie 2003/2008
24.9.2009
Ende 2003 verabschiedete der Europäische Rat eine Sicherheitsstrategie, die 2008
fortgeschrieben wurde. Sie definiert die wichtigsten Bedrohungen der EU sowie die globalen
Herausforderungen und zeigt die Konsequenzen der Weiterentwicklung Europas.
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Die Europäische Union, heißt es in der Strategie von 2003, sei "zwangsläufig ein globaler Akteur" und
müsse daher bereit sein, "Verantwortung für die globale Sicherheit und für eine bessere Welt mit zu
tragen" (Strategie 2003, S. 1). Allerdings müsse sie "noch aktiver, kohärenter und handlungsfähiger"
(S. 11) werden, wenn sie ihr Potenzial ausschöpfen wolle. Als Hauptbedrohungen für Europas
Sicherheit definiert die Strategie von 2003 den Terrorismus, die Verbreitung von
Massenvernichtungswaffen, regionale Konflikte, das Scheitern von Staaten sowie die Organisierte
Kriminalität. Bei einer Überarbeitung der Strategie im Jahr 2008 ("Bericht über die Umsetzung der
Europäischen Sicherheitsstrategie") kamen noch die Sicherheit im Internet, die Sicherheit der
Energieversorgung sowie der Klimawandel hinzu.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Diese Ergänzungen reflektieren die politische Entwicklung der letzten Jahre. Ein russischer
Internetangriff auf Estland im Jahr 2007 (als "Vergeltung" dafür, dass die estnischen Behörden ein
Soldatenstandbild aus der Stadtmitte Tallinns an den Stadtrand umgesetzt hatten) zeigte, wie abhängig
Wirtschaft und Verwaltung mittlerweile vom Internet sind. Seit es im Zusammenhang mit in den letzten
Jahren aufgetretenen Differenzen zwischen Russland und der Ukraine über Gaspreise und Liefernetze
auch in Westeuropa zu Lieferengpässen gekommen ist, hat man die – schon 2003 in der Strategie
angesprochene – Energieabhängigkeit der EU als Problem erkannt. Dies betrifft auch den Klimawandel,
der sich schneller vollzieht, als dies noch vor Kurzem prognostiziert worden war, und bei dem es jetzt
nur noch darum gehen kann, ihn einzudämmen und mit seinen Folgen wie Naturkatastrophen und
Zerstörungen umzugehen: "Der Klimawandel kann auch Streitigkeiten über Handelsrouten,
Meeresgebiete und vormals unerreichbare Ressourcen auslösen." (Bericht 2008, S. 5)
Ziel der Sicherheitsstrategie ist es, die erkannten Bedrohungen abzuwehren, die eng mit den ebenfalls
definierten globalen Herausforderungen zusammenhängen. Hierzu fordert die Strategie, dass die EU
und ihre Mitgliedstaaten sich stärker engagieren und handlungsfähiger werden. Auch eine
Vergrößerung der Kohärenz ist ein bedeutender Ansatz, der sowohl die Übereinstimmung zwischen
dem Handeln der EU und dem ihrer Mitgliedstaaten meint als auch die zwischen verschiedenen
Politiken der EU. Was beispielsweise für die Landwirtschaft gut ist (Abschottung des Marktes
gegenüber Drittländern), ist für die Entwicklungspolitik und die Armutsbekämpfung in der Dritten Welt
schlecht, deren wichtigste Exportgüter landwirtschaftliche Erzeugnisse sind.
Die Europäische Union sieht klar, dass sie ihre Ziele nicht alleine erreichen kann und spricht sich daher
für eine enge Zusammenarbeit mit anderen aus. Die transatlantische Partnerschaft bleibt dabei ein
"unersetzliches Fundament" (Bericht 2008, S. 2) Sie unterstützt das Konzept eines wirksamen
Multilateralismus und setzt sich in diesem Zusammenhang für eine Stärkung der Vereinten Nationen
ein. Besondere Aufmerksamkeit fordert die Sicherheitsstrategie für die Nachbarregionen der EU, also
Osteuropa, den Südkaukasus, Zentralasien und das südliche Mittelmeer.
Auch der Bericht von 2008 sagt klar, dass die EU noch lange nicht am Ziel ist, was ihre Außen- und
Sicherheitspolitik betrifft: "Wir müssen unseren eigenen Zusammenhalt durch eine bessere
institutionelle Koordinierung und eine strategischere Beschlussfassung stärken. Die Bestimmungen
des Vertrags von Lissabon bieten den Rahmen dafür." (Bericht 2008, S. 9)
Die Strategie und ihre Überarbeitung finden sich im Internet unter: www.consilium.europa.eu (http://
www.consilium.europa.eu/showPage.aspx?id=266&lang=de)
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Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik:
Missionen
24.9.2009
Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik blickt innerhalb der EU auf eine lange
Entwicklungsgeschichte zurück. Sie dient dazu, Interessen der EU durch militärische und zivile
Missionen durchzusetzen.
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Ursprünglich waren militärische Fragen kein Teil der europäischen Integration, nachdem der frühe
Versuch der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) 1954 gescheitert war. Erst unter dem
Eindruck der Veränderungen in Europa und besonders im Zusammenhang mit den Krisen und Kriegen
beim Zerfall Jugoslawiens waren die EU-Staaten bereit, sich auf eine gemeinsame Sicherheits- und
Verteidigungspolitik zu einigen.
Die Landesverteidigung bleibt allerdings weiterhin Aufgabe der NATO, sie ist kein Bestandteil der
ESVP. Diese richtet sich vielmehr darauf, die Interessen der EU außerhalb des EU-Territoriums durch
zivile und militärische Missionen herzustellen. Dabei soll durch einen Einsatz von zivilen Beratern,
Richtern, Polizisten oder eben auch Soldaten auf einen Krisenherd eingewirkt werden, um die
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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sogenannten Petersberg- Aufgaben zu erfüllen. Bei diesen - auf dem Petersberg bei Bonn 1992
definierten - Zielen handelt es sich um "humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze,
friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung, einschließlich
friedensschaffender Maßnahmen" (Art. 28 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen
Union, AEUV).
Seit Beginn der ESVP hat die EU über 20 solcher Missionen ins Leben gerufen. Diese sind mittlerweile
zum Teil abgeschlossen - wie beispielsweise die Sicherung der Wahlen im Kongo im Jahr 2006 - oder
werden noch durchgeführt wie die größte EU-Mission EULEX, die den Aufbau des Kosovo als
demokratischen und stabilen Staat begleiten soll.
Ende 1999 hatten die Mitgliedstaaten sich ein Planziel gesetzt (ein sog. Headline Goal), demzufolge
bis zum Jahr 2003 60.000 Soldaten und 5.000 Polizisten für die EU-Missionen zur Verfügung stehen
sollten. Dieses Ziel, das bisher verfehlt wurde, soll nun bis 2010 erreicht werden. Dabei handelt es
sich nicht um eine stehende Formation, sondern um die Assignierung von Truppenteilen und
Polizeikräften, die im Bedarfsfall aus den Mitgliedstaaten aktiviert werden können. Die Soldaten sollen
in zwei sog. Battle Groups à 1.500 Personen für schnelle Einsätze zur Verfügung stehen.
Die Zusammenarbeit mit der NATO gestaltete sich lange Zeit schwierig, da die Mitgliedschaften in
beiden Bündnissen nicht identisch sind. Vor allem die Türkei verband die Bereitschaft, den EUMissionen Zugriff auf NATO-Einrichtungen (wie Führung, Aufklärung, Transport) zu gewähren, mit der
Forderung, auch über EU-Missionen mitbestimmen zu dürfen, was von der EU abgelehnt wurde.
Hintergrund sind die Differenzen zwischen der Türkei und Griechenland.
Die Europäische Union arbeitet an der Verbesserung ihrer militärischen Fähigkeiten und hat sich hierfür
einen "European Capability Action Plan" (ECAP) gegeben. Die verschiedenen ECAP-Arbeitsgruppen
sind mittlerweile in die 2004 ins Leben gerufene Europäische Verteidigungsagentur integriert.
Bei der Mehrzahl der EU-Missionen handelt es sich um zivile Einsätze, die dazu dienen sollen, den
Partnerstaaten durch Rat, Beobachtung und Ausbildung(-sunterstützung) beim Aufbau fester
Strukturen zu helfen. Dänemark nimmt an der militärischen Kooperation im Rahmen der EU nicht teil,
obwohl es nicht nur EU-, sondern auch NATO-Mitglied ist. Es hat aber erklärt, dass es die
Zusammenarbeit der anderen EU-Partner nicht behindern wird.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Internet-Links und weiterführende Literatur
Von Eckart D. Stratenschulte
15.5.2009
Hier finden Sie Internet-Links und weiterführende Literatur zum bpb-Dossier: Die Europäische
Union: "Was geschieht in der Union?".
Internet-Links
Offizielle Internetseite der Europäischen Union
http://europa.eu (http://europa.eu)
Europa-Seiten des Auswärtigen Amtes
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Europa/Uebersicht_node.html (http://www.auswaertiges-amt.de/
DE/Europa/Uebersicht_node.html)
euractiv - täglicher kostenloser Informationsdienst rund um die EU
http://www.euractiv.com/de/HomePage (http://www.euractiv.com/de/HomePage)
cafebabel - kostenloses Europamagazin, von jungen Leuten in mehreren europäischen Ländern
geschrieben
http://www.cafebabel.com/ger/ (http://www.cafebabel.com/ger/)
Internetseite der tschechischen Ratspräsidentschaft – vom Januar bis Juni 2009
http://www.eu2009.cz (http://www.eu2009.cz)
Internetseite der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft – von Juli bis Dezember 2009
http://www.eu2009.se (http://www.eu2009.se)
Weiterführende Literatur
Dietmar Herz/Christian Jetzlsperger, Die Europäische Union, München: C.H. Beck Verlag 2008
Eckart D. Stratenschulte, Europa – Ein Überblick, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung,
Zeitbilder Nr. 6, 2007
Werner Weidenfeld, Die Staatenwelt Europas, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2009
Werner Weidenfeld und Wolfgang Wessels, Europa von A bis Z, Bonn: Bundeszentrale für politische
Bildung, 2007
Bruno Zandonella, Pocket Europa. EU-Begriffe und Länderdaten, Bonn: Bundeszentrale für politische
Bildung, 2007
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
75
Wer tut was in Europa?
13.5.2009
Die EU besteht aus verschiedenen Institutionen und Organen. Bei ihrer Arbeit müssen sie genaue
Regeln einhalten und sind an bestimmte Verfahren gebunden. Ein Blick auf die wichtigsten
Einrichtungen soll verdeutlichen, wer in der EU für was zuständig ist.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Prinzipien des EU-Aufbaus
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Die Europäische Union ist kein Nationalstaat. Mit altbekannten Maßstäben kann man ihre
Struktur nicht verstehen. Prinzipien wie die Rechtsgemeinschaft zeichnen sie als Union der
Staaten und Bürger aus.
Ältere Menschen kennen das: Sie können etwas nicht richtig erkennen, und stellen dann fest, dass
sie die falsche Brille auf haben. So geht es uns auch oft mit der Europäischen Union. Man findet ihre
Struktur und ihre Institutionen kompliziert und verwirrend, weil man nicht das richtige Analyseraster
verwendet.
Die Europäische Union ist kein Staat. Deshalb greift jeder Vergleich mit den Strukturen des
Nationalstaats zu kurz. Wenn man trotzdem die Maßstäbe anlegt, die man von zu Hause kennt, wird
die ganze Sache schwer durchschaubar. Die Europäische Union ist eine Union der Staaten und der
Bürger. Sie hat also eine doppelte Legitimitätsgrundlage, durch die Mitgliedstaaten (diese vertreten
durch die Regierungen) und durch die Bevölkerung (diese vertreten durch das Europäische Parlament).
Bevor man sich die Strukturen im Einzelnen anschaut, sollte man sich allerdings mit den Prinzipien
vertraut machen, auf denen die Europäische Union beruht.
Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft.
Das ist nicht nur so dahin gesagt, sondern elementar für die EU. Sie ist nicht nur ein Zusammenschluss
von Staaten, die gemeinsam ihre Interessen besser vertreten können als isoliert, sondern sie basiert
auf gemeinsamen demokratischen Grundwerten, die in Artikel 2 des EU-Vertrages in der Fassung des
Vertrags von Lissabon und ausführlicher in der Grundrechtecharta der Europäischen Union (http://
www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf) dargestellt sind.
Die Achtung der Menschenwürde, die Freiheit, die pluralistische Demokratie, die Toleranz, die
Gleichheit und Nichtdiskriminierung, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit sowie die Wahrung der
Menschenrechte einschließlich des Minderheitenschutzes bilden das Fundament der Europäischen
Union.
Die Europäische Union basiert auf dem Prinzip der Supranationalität.
Dieses Grundprinzip unterscheidet die EU von anderen Zusammenschlüssen. Supranationalität
bedeutet, dass die Staaten nationale Souveränität abgeben und auf europäischer Ebene gemeinsam
ausüben. Damit limitiert sich für jeden Mitgliedstaat die Möglichkeit, Angelegenheiten alleine zu
entscheiden. Aber es erhöht sich die Möglichkeit, auf andere Einfluss zu nehmen und zu gemeinsamen
Entscheidungen zu kommen, die dann auch für alle verbindlich sind.
Die Europäische Union kann unmittelbar Gesetze (sogenannte Verordnungen) erlassen oder Vorgaben
("Richtlinien") machen, die die Staaten dann in nationales Recht umsetzen müssen. Nur so ist es
möglich, Europa zu einem gemeinsamen Lebens- und Handlungsraum zu entwickeln. Beispiele für
die Supranationalität sind der Binnenmarkt einschließlich Verbraucherschutz, die Währungspolitik
(Euro), der Umweltschutz oder auch die Regelungen des Schengener Übereinkommens.
Die Europäische Union ist eine Rechtsgemeinschaft.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Die EU funktioniert nur, weil alle sich an die gemeinsam beschlossenen Regeln halten.
Verständlicherweise gibt es über die Auslegung einer Richtlinie oder Verordnung auch Streit, den dann,
falls man sich anders nicht einigen kann, der Europäische Gerichtshof (EuGH) schlichten muss. Aber
schlussendlich akzeptieren alle dessen Urteil. Das ist deshalb besonders wichtig, weil es in der EU,
anders als in den Nationalstaaten, keine "vollziehende Gewalt" gibt, die eingreifen könnte. Es gibt
keine "Europolizei", die einen Regierungschef verhaften könnte, weil er gegen europäisches Recht
verstößt. In der Rechtsgemeinschaft EU ist dies glücklicherweise auch nicht erforderlich.
Von der Bereitschaft, geltendes Recht anzuwenden, ist das Verhalten zu unterscheiden, das beim
Fassen neuer Beschlüsse an den Tag gelegt wird. Da kommt es immer wieder zu Verweigerungen
und Blockaden von einzelnen Staaten. Das kann im konkreten Fall sehr ärgerlich sein, aber es handelt
sich nicht um einen Rechtsverstoß, denn dabei geht es ja nicht darum, was Recht und Gesetz ist,
sondern darum, was solches werden soll.
Die Europäische Union folgt dem Grundsatz der Subsidiarität.
Die EU hat echte Regelungskompetenzen. Es besteht aber Konsens in den Mitgliedsländern, dass
man die EU nicht zu einem Superstaat entwickeln möchte, der alles und jedes festlegt. Deshalb gilt
die Subsidiarität. Das bedeutet: Eine Entscheidung soll so weit unten wie möglich getroffen werden.
Auf europäischer Ebene soll nur entschieden werden, wenn deutlich ist, dass die EU den Sachverhalt
besser regeln kann als die Nationalstaaten oder darunter liegende regionale Ebenen. Diese Grundsätze
sind in einem eigenen Protokoll (http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/dat/12004V/htm/C2004310DE.01020701.
htm) festgehalten.
Zur Subsidiarität gehört auch die Kompetenz-Kompetenz. Dieses Wort klingt beim ersten Hören
ungewöhnlich, beschreibt aber eine wichtige Sache. Die Kompetenz-Kompetenz regelt nämlich, wer
die Vollmacht hat, darüber zu entscheiden, welche Ebene sich eines Problems annimmt. Die
Kompetenz-Kompetenz liegt bei den Mitgliedstaaten. Das bedeutet, dass die EU nicht einfach
Kompetenzen an sich ziehen kann, sondern dass sie nur die Dinge erledigen darf, die die
Mitgliedstaaten ihr ausdrücklich zuweisen.
Die Union baut auf dem Grundsatz der degressiven Proportionalität auf.
Die EU ist ein Zusammenschluss von Staaten mit sehr unterschiedlicher Größe. Malta hat nicht mehr
Einwohner als ein Stadtbezirk der deutschen Hauptstadt Berlin. Malta, Luxemburg, Zypern und Estland,
also immerhin vier Staaten der EU, sind an ihren Einwohnern gemessen zusammen kleiner als die
Stadt Berlin. Da muss man einen Maßstab finden, der es einerseits ermöglicht, die Bevölkerung der
größeren Staaten angemessen zu repräsentieren, aber andererseits sicherstellt, dass die kleinen
Staaten auch ausreichend vertreten sind. Das ist der Sinn der degressiven Proportionalität, die dem
Grundsatz folgt, dass die großen Staaten ein größeres Stimmgewicht als die kleinen haben, dass sie
aber relativ gesehen (also auf die Bevölkerung bezogen) weniger Einfluss nehmen können als ihnen
zahlenmäßig zustünde.
So steht ein Europaparlamentarier aus Malta für ca. 80.000 Menschen, ein Europaabgeordneter aus
Deutschland für 800.000.
Das Bundesverfassungsgericht sieht dies insofern kritisch, als es der Ansicht ist, dass dadurch das
Europaparlament keine vollwertige Vertretung der EU-Bürger sei, da bei seiner Wahl gegen den
Grundsatz der Gleichgewichtigkeit der Wählerstimmen verstoßen werde.
Allerdings ist eine Europäische Union ohne diesen Grundsatz der degressiven Proportionalität wohl
kaum überlebensfähig, da den kleinen Staaten sonst der Anreiz zur Teilnahme fehlen würde.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Die Prinzipien der EU
24.9.2009
Eine Gemeinschaft aus 28 Staaten, von denen der kleinste so groß ist wie ein Stadtbezirk der
Hauptstadt des größten und die sich in Geschichte, Kultur Mentalität und wirtschaftlicher Stärke
sehr unterscheiden, muss auf klaren Prinzipien basieren.
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Die EU-Bürger sowie ihre Regierungen sind sich darin einig, dass sie zwar eine handlungsfähige
Europäische Union haben wollen, aber keinen zentralistischen Superstaat, der alle Befugnisse an sich
zieht. Daher ist ein wichtiges Prinzip die Subsidiarität, d.h. die Regelung, dass auf europäischer Ebene
nur das geregelt wird, was dort besser zu bewirken ist. Dieser Grundsatz ist vertraglich festgehalten.
Er geht einher mit der Kompetenz-Kompetenz der Mitgliedstaaten. Dieser auf den ersten Blick
erstaunliche Begriff meint, dass die Kompetenz festzulegen, welche Ebene die Kompetenzen zur
Regelung eines Politikfelds wahrnimmt, bei den Mitgliedstaaten liegt. Die EU kann also nur die
Zuständigkeiten übernehmen, die die Mitgliedstaaten ihr zuweisen.
Ein wichtiger Grundsatz der EU und der Punkt, in dem sie sich von anderen internationalen Bündnissen
unterscheidet, ist die Supranationalität. Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten nationale Souveränität
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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abtreten und diese auf der europäischen Ebene gemeinsam ausüben. Die Regelungen, die dort
verabschiedet werden (sog. Richtlinien oder Verordnungen), sind dann für alle Mitgliedstaaten
verbindlich. Das zeigt, wie bedeutsam ein anderer Grundsatz ist, nämlich die Rechtstreue. Das gesamte
System der EU kann nur funktionieren, wenn sich alle Mitgliedstaaten an die vereinbarten Regeln
halten. Das schließt Streit über die Auslegung der Beschlüsse nicht aus. Wenn keine Einigung erzielt
werden kann, entscheidet der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, dessen Urteil dann
aber respektiert werden muss.
Die Unterschiedlichkeit der Mitgliedstaaten in Größe, Tradition, Wirtschaftsstruktur, politischer
Ausrichtung und Kultur macht es nicht immer einfach, überhaupt zu einem Beschluss zu kommen.
Umso wichtiger ist es, dass alle Beteiligten die Bereitschaft zum Kompromiss mitbringen, da kein Land
davon ausgehen kann, seine eigene Position vollständig durchzusetzen. Die Einstellung, dass die
Kompromissbildung eine europäische Tugend darstellt und nicht etwa ein Zeichen von Schwäche, ist
eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren der EU.
Die wirtschaftliche Stärke der Mitgliedstaaten ist sehr unterschiedlich. Der Anspruch der EU ist es
nicht, alle Staaten auf dasselbe ökonomische Niveau zu bringen. Allerdings ist die Union dem Grundsatz
der Solidarität verpflichtet, die dem Schwächeren hilft, seine Probleme anzupacken und so stärker zu
werden. Materiell drückt diese Solidarität sich vor allem in der Strukturpolitik aus, die wirtschaftliche
Problemregionen zielgerichtet fördert. Aber die Solidarität ist auch politisch, bei
Sicherheitsbedrohungen oder in Katastrophenfällen die Basis der Zusammenarbeit der EU-Staaten.
Wenn große Staaten wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien sich mit kleinen Staaten wie
Malta, Zypern oder Estland verbinden, muss man Rücksicht darauf nehmen, dass die kleineren Länder
angemessen vertreten sind. Dies ist das Ziel der degressiven Proportionalität. Damit ist gemeint, dass
die Kleinen relativ gesehen mehr Gewicht erhalten. Malta stellt mit 400.000 Einwohnern fünf
Europaabgeordnete, Deutschland mit ca. 80 Millionen 99 Parlamentarier. Das bedeutet: Während in
Malta ein Europaabgeordneter auf 80.000 Bürger kommt, repräsentiert ein deutscher Parlamentarier
800.000 Menschen. Ohne diese degressive Proportionalität wären die kleineren Länder in den
politischen Gremien nicht oder kaum vertreten. Das könnte allerdings keine Basis für eine
supranationale Union der Staaten und der Völker sein.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Europäisches Parlament
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Gemeinsam mit dem Rat der Europäischen Union ist das Europäische Parlament für die
Gesetzgebung verantwortlich. Es kann daher zwar keine Regelungen alleine erlassen, aber
ohne das Parlament kann fast nichts beschlossen werden.
Dem Rat, also der Vertretung der Regierungen der Mitgliedstaaten, steht das Europäische Parlament
als weitestgehend gleichberechtigter Gesetzgeber und Vertreter der "Union der Bürger" gegenüber.
Das Parlament wird in allen Mitgliedstaaten alle fünf Jahre direkt gewählt, die nächste Wahl nach 2014
ist dann also 2019.
Die Abgeordneten werden auf nationalen Parteilisten gewählt. In Deutschland hat man beispielsweise
die Wahl zwischen der Liste der CDU, der SPD, von Bündnis 90/Die Grünen, der Partei DIE LINKE
oder der CSU (nur in Bayern). Auch kleinere Parteien, die im Deutschen Bundestag nicht vertreten
sind,
nehmen an den Europawahlen teil. Ihre Chancen sind dabei größer als bei den
Bundestagswahlen, da das Bundesverfassungsgericht im Februar 2014 die bis dahin im Wahlgesetz
verankerte Drei-Prozent-Sperrklausel aufgehoben hat (http://www.bpb.de/politik/hintergrundaktuell/179547/urteil-zur-drei-prozent-sperrklausel). Da Deutschland 96 Abgeordnete stellt, benötigt
eine Partei nun für einen Sitz im Parlament etwa ein Prozent der Wählerstimmen.
Verschiedene Wahlsysteme
Das Wahlsystem ist in den EU-Staaten nicht einheitlich. Zwar wählen alle Staaten nach dem
Verhältniswahlrecht, auch diejenigen, die wie Großbritannien ihr nationales Parlament durch die
Mehrheitswahl bestimmen. Auch ist einheitlich geregelt, dass alle Bürgerinnen und Bürger spätestens
ab dem 18. Lebensjahr wählen dürfen. In Österreich kann man allerdings schon mit 16 Jahren an der
Europawahl teilnehmen.
Größere Unterschiede gibt es beim passiven Wahlrecht. Während man in Deutschland (und auch in
Österreich) mit 18 Jahren Europaparlamentarier werden kann, muss man in einigen anderen Ländern
schon 21 oder 23 Jahre alt sein. In Italien, Griechenland und Zypern kann man erst mit 25 Jahren fürs
Europaparlament kandidieren. Und es gibt noch weitere Unterschiede: In einigen Ländern gibt es
Sperrklauseln, die bei drei, vier oder fünf Prozent liegen. In manchen Staaten können die Wähler
darüber hinaus die Reihenfolge der Kandidaten auf den Parteilisten beeinflussen (http://www.bpb.de/
politik/wahlen/europawahl/71360/wie-waehlt-europa-2009). In Luxemburg, Griechenland und Belgien
gibt es zudem eine Wahlpflicht.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
81
Fraktionen und Vorsitz im Parlament
Im Europäischen Parlament schließen sich die Abgeordneten zu politischen Fraktionen zusammen.
Im bisherigen Parlament vor der Wahl im Mai 2014 gab es die "Fraktion der Europäischen Volkspartei"
als Bündnis der Konservativen (mit CDU und CSU), die Fraktion der "Progressiven Allianz der
Sozialisten und Demokraten im Europäischen Parlament" (mit der SPD), die "Fraktion der Allianz der
Liberalen und Demokraten für Europa" (mit der FDP), die "Fraktion der Grünen /Freie Europäische
Allianz" (mit Bündnis 90/Die Grünen) und die "Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen
Linken/Nordische Grüne Linke" mit der Partei Die Linke. Den anderen Fraktionen gehörte bislang kein
deutscher Abgeordneter an. Im neugewählten Parlament werden sich Fraktionen bilden, die nicht
unbedingt mit den bisherigen identisch sein müssen. So gehörten beispielsweise die britischen
Konservativen früher der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) an, spalteten sich jedoch davon
ab und gründeten mit der tschechischen ODS und der polnischen PiS die Fraktion der Europäischen
Konservativen und Reformisten.
Das Parlament wird von einem Präsidenten geleitet, der für zweieinhalb Jahre gewählt wird. Von Januar
2012 bis zum Ende der Legislaturperiode am 30. Juni 2014 hat der deutsche SPD-Politiker Martin
Schulz das Amt inne. Bei der Wahl des Parlamentspräsidenten wird darauf geachtet, dass sich sowohl
die verschiedenen "politischen Familien" als auch die Herkunftsländer abwechseln. Es ist also nicht
üblich, dass die jeweilige Parlamentsmehrheit diese Position auf Dauer mit ein und demselben Vertreter
besetzt, wie wir das in nationalen Parlamenten vorfinden.
Kompetenzen des Parlaments
Das Europäische Parlament beschließt gemeinsam mit dem Rat der Europäischen Union die Gesetze.
Die Entscheidungen werden in Ausschüssen vorbereitet, denen Vertreter aller Fraktionen angehören.
Bei Abstimmungen im Plenum entscheidet die Mehrheit der Abgeordneten. Allerdings kann das
Parlament - genauso wie der Rat der Europäischen Union - nicht von sich aus eine Gesetzesinitiative
ergreifen. Dieses Initiativrecht steht lediglich der Europäischen Kommission zu. Will das Parlament
also einen Sachverhalt regeln, muss es die Kommission auffordern, dazu einen Vorschlag
auszuarbeiten. Für den Rat gilt dies gleichermaßen.
Es gibt zudem Themenfelder, bei denen das Parlament lediglich
angehört werden muss. Hierbei handelt es sich vor allem um die
Außenpolitik, in der die EU jedoch generell keine Gesetze
beschließt, und die Steuerpolitik. Bei allen anderen Themen muss
das Parlament Gesetzen zustimmen. Man spricht hier von der
"Mitentscheidung" oder dem "ordentlichen Gesetzgebungsverfahren".
Das Parlament kann also Regelungen nicht alleine erlassen, aber
ohne das Parlament können sie auch nicht Gesetz werden. Das
Film zum Europäischen Parlament Parlament wählt darüber hinaus den Präsidenten der Europäischen
(http://www.bpb.de/mediathek/176485/
Kommission – allerdings auf Vorschlag des Europäischen Rats,
europaeisches-parlament)
also der Staats- und Regierungschefs der EU. Bei der Nominierung
des Präsidenten soll nach der Wahl zum Europäischen Parlament 2014 erstmals das Ergebnis der
Wahlen berücksichtigt werden. Je nachdem, welche Gruppe die Mehrheit im Europäischen Parlament
erringt, ist eine Kandidatin oder ein Kandidat aus diesem politischen Spektrum auszuwählen. Diese
Vorschrift ist durch den Lissabonner Vertrag Teil des EU-Rechts geworden. Das Europäische Parlament
muss auch der Europäischen Kommission als Ganzes zustimmen. Vorher befragen die
entsprechenden Parlamentsausschüsse die Kommissaranwärter.
Das Parlament genehmigt zudem den Haushalt der EU, genauer gesagt die Ausgaben. Über die
Einnahmen entscheiden die Mitgliedstaaten im Rat.
Eine weitere wichtige Aufgabe des Europäischen Parlaments ist die Kontrolle der Europäischen
Kommission. Die Mitglieder der Europäischen Kommission erstatten dem Parlament und seinen
Ausschüssen regelmäßig Bericht über ihre Arbeit und ihre Vorhaben. Das Parlament hat die
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Möglichkeit, der Kommission das Misstrauen auszusprechen und sie damit zum Rücktritt zu zwingen.
Als Ende der 1990er-Jahre einzelne Kommissionsmitglieder mit Begünstigungsvorwürfen konfrontiert
wurden, sich aber weigerten, von sich aus zurückzutreten, drohte das Parlament der Kommission
unter dem Luxemburger Jacques Santer die Abwahl an. Die Kommission trat daraufhin im März 1999
von sich aus zurück.
Das Parlament als "Wanderzirkus"
Das Europäische Parlament hält seine Plenarsitzungen in Straßburg ab, kurze Sitzungen sowie die
Ausschussarbeit finden in Brüssel statt. Dieser "Wanderzirkus" wird oft als teuer und ineffektiv kritisiert,
die Verantwortung dafür ist allerdings nicht dem Parlament anzurechnen. Über den Sitzungsort
entscheiden nämlich die Mitgliedstaaten im Rat, und zwar einstimmig. Da Frankreich nicht bereit ist,
die Sitzungen in Straßburg zur Disposition zu stellen, wird es wohl auf absehbare Zeit bei der Dualität
der Tagungs- und Arbeitsorte bleiben, auch wenn eine Mehrheit der Europa-Abgeordneten darauf
pocht, die Entscheidung über den Sitz des Parlaments selbst treffen zu können. Die Verwaltung des
Europäischen Parlaments ist in Luxemburg angesiedelt.
Die Europa-Abgeordneten
Das Parlament, genauer gesagt seine einzelnen Abgeordneten, sind oftmals die ersten
Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger, wenn es um europäische Fragen geht. Gelegentlich
wird bemängelt, die Europaabgeordneten seien in der jeweiligen nationalen Öffentlichkeit nicht präsent
genug. Dabei muss man berücksichtigen, dass das Europäische Parlament 40 Plenar-,
Ausschusssitzungs- und Fraktionssitzungswochen im Jahr hat (2013). Zum Vergleich: Der Deutsche
Bundestag hatte 2012 im letzten kompletten Jahr vor der Wahl lediglich 20 Sitzungswochen.
In den Sitzungswochen können die Europaparlamentarier die ganze Woche über nicht in ihren
Heimatregionen sein. Für Wahlkreisarbeit (und ihre Familie) bleibt ihnen daher nur das Wochenende.
Hinzu kommt, dass der Einzugsbereich eines Europaabgeordneten viel größer ist als der eines
Bundestagsmitglieds. Auf Deutschland entfallen im neuen 2014 gewählten Parlament 96 Abgeordnete.
Der 2013 gewählte Deutsche Bundestag zählt 631 Mitglieder. Es gibt also über sechs Mal mehr
Bundestagsabgeordnete als deutsche Europaparlamentarier. Daher haben die Mitglieder des
Bundestages auch mehr Möglichkeiten, in den Wahlkreisen und bei den Veranstaltungen der
Parteigliederungen anwesend zu sein.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
83
Das Europaparlament
27.9.2010
Das Europäische Parlament ist die Vertretung der EU-Bürger. Seine Kompetenzen und
Befugnisse gliedern sich in die drei traditionellen Kompetenzbereiche eines nationalen
Parlaments: Gesetzgebung, Haushalt und Kontrollbefugnisse.
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Das Europäische Parlament ist an allen Prozessen der Gesetzgebung innerhalb der Union beteiligt.
Zwar kann es selbst keine Gesetze initiieren - dieses Recht hat allein die Kommission - es kann aber
die Kommission auffordern, Vorschläge zu erarbeiten.
Bürger der Europäischen Union haben die Möglichkeit, mittels Petitionen an das Parlament die
Kommission auf einen Gesetzgebungsbedarf hinzuweisen. Das Europäische Parlament kann das
Arbeitsprogramm der Kommission bezüglich der geplanten Gesetze prüfen und Ergänzungen oder
Änderungen fordern.
Das Europaparlament wird ferner bei jedem Rechtsetzungsakt konsultiert. In der überwiegenden
Anzahl der Rechtssetzungsakte der Europäischen Union kommt das sogenannte ordentliche
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Gesetzgebungsverfahren zur Anwendung, in dem das EP eine wesentliche Rolle spielt. Sollte es im
Verlauf des Verfahrens zu Konflikten zwischen dem Rat der Europäischen Union und dem EP kommen
und auch der Vermittlungsausschuss kein Einvernehmen herstellen können, so kann das EP jede
Gesetzesinitiative, die durch dieses Verfahren eingebracht wurde, scheitern lassen.
Auch bei den anderen üblichen Verfahren zur Gestaltung von Vorschriften und Gesetzen ist das
Europäische Parlament in unterschiedlichem Umfang mit beteiligt. Kein Gesetz kann innerhalb der
Union ohne eine Stellungnahme der gewählten Abgeordneten verabschiedet werden. Ihre
Kompetenzen sind aber insbesondere in Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik oder
der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit eingeschränkt.
Zusammen mit dem Rat teilt sich das Europäische Parlament die Entscheidungsbefugnis über den
Haushalt der Europäischen Union und bildet zusammen mit dem Rat die beiden Arme der
Haushaltsbehörde. Das Europaparlament entscheidet gemeinsam mit dem Rat über die Ausgaben
der Europäischen Union.
Der Haushaltsvorentwurf der Kommission wird nach der ersten Lesung im Europäischen Rat und ggf.
mit Änderungsvorschlägen dem Parlament vorgelegt. Nach dessen Zustimmung oder Änderung geht
der Entwurf erneut in den Rat und wird dort akzeptiert oder abgelehnt. Akzeptiert der Rat mögliche
Änderungswünsche des Europaparlaments nicht, wird der Vermittlungsausschuss eingeschaltet.
Scheitert das Vermittlungsverfahren, muss die Kommission einen neuen Haushalt entwerfen. Legt der
Vermittlungsausschuss einen Vorschlag vor, kann das Parlament diesen annehmen, auch wenn der
Rat ihn ablehnt.
Eng mit seiner Rolle im Zustandekommen des Haushalts ist auch die dritte Funktion des Parlaments
verknüpft: die Kontrolle. Das Europäische Parlament ist allein für die Entlastung der Kommission
zuständig. Es kann der Kommission eine Annahme des Haushalts verweigern oder ihr die Entlastung
versagen. Bei groben Verstößen kann das EP auch ein Misstrauensvotum gegen die Kommission
aussprechen. Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wählt das Europaparlament auch den
Präsidenten der Europäischen Kommission auf Vorschlag der Staats- und Regierungschefs. Diese
müssen bei ihrem Vorschlag auch das Ergebnis der Europawahl berücksichtigen. Mit dem Vertrag von
Lissabon wurden auch die Kompetenzen des Hohen Vertreters für die Außen- und Sicherheitspolitik
erweitert, der als Mitglied und Vizepräsident der Kommission ebenfalls die Zustimmung der
Europaabgeordneten benötigt. Das gleiche gilt für internationale Abkommen der EU, die mit dem
Vertrag von Lissabon ebenfalls vom Parlament gebilligt werden müssen.
Aus seiner Mitte können jederzeit Fragen an alle EU-Organe formuliert werden. Hier haben der Rat,
die Kommission und auch die Mitgliedsländer eine Informationspflicht, d. h. sie müssen Auskunft geben.
Diese Berichte werden dann offiziell vom Parlament geprüft.
Diese Kontrollmöglichkeit können auch die Bürger der EU nutzen, wenn sie sich mit Petitionen an das
Parlament wenden. Stellt der Petitionsausschuss einen Verstoß fest, kann das Europäische Parlament
Klage gegen Organe oder Mitgliedstaaten der EU vor dem Europäischen Gerichtshof erheben.
Dabei agiert das Parlament selbst nicht als gerichtliche Instanz. Es ist also nicht in der Lage, Urteile
auszusprechen oder auch Gerichtsbeschlüsse durch Gerichte der Mitgliedsstaaten aufheben. Die
Petitionen bieten aber eine Möglichkeit der Bürger, auf Missstände aufmerksam zu machen. Die
meisten eingehenden Petitionen betreffen Themen des Umweltschutzes, der sozialen Sicherheit, die
Freizügigkeit innerhalb der EU oder Bereiche der Steuerharmonisierung.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Fraktionen im EP
24.9.2009
Die Europaabgeordneten werden auf der Grundlage nationaler Parteilisten für fünf Jahre
gewählt und spiegeln im Idealfall das Parteiensystem des Heimatlands wider. Im Europäischen
Parlament (EP) arbeiten sie gemäß ihrer politischen Orientierung zusammen.
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Dass Parteien über die Grenzen ihrer Länder zusammenarbeiten, ist kein neues Phänomen.
Insbesondere Parteien der linken Seite des Parteienspektrums schlossen sich schon Ende des 19.
Jahrhunderts zu der so genannten Internationalen zusammen. Auch die Parteien der EUMitgliedsstaaten arbeiten bereits seit längerer Zeit zusammen. Durch den starken Ausbau der
Europäischen Union und das zunehmende Gewicht des Europäischen Parlaments wurden
auch stärkere organisatorische Strukturen entwickelt. Die erste europaweite Partei war die Europäische
Volkspartei (EVP), die sich 1976 als Zusammenschluss christdemokratisch-konservativer Parteien
gründete. Mit der fortschreitenden europäischen Integration verstärkten die in der EVP
zusammengeschlossenen Parteien und die anderen im EP vertretenen nationalen Parteien noch
einmal ihre Zusammenarbeit. So schlossen sich 1992 mehrere zuvor kooperierende europäische
Parteien mit sozialdemokratischer Orientierung zur Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE)
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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zusammen.
Der Vertrag von Maastricht hat die Funktion und Stellung der Parteien auf Ebene des EP weiter gestärkt
und auch vertraglich festgelegt. Laut Artikel 191 EGV (ehemals 138a) erfüllen sie eine wichtige Aufgabe
bei der Herausbildung eines europäischen Bewusstseins und bei der Vertretung des politischen Willens
der Bürger. Sie erhalten damit im Institutionengefüge der EU eine besondere Rolle. Allerdings sind
nicht alle im Europäischen Parlament vertretenen Parteien auch in einer größeren europaweiten Partei
vereint.
Die große Mehrzahl der Parteien aber hat sich in Fraktionen zusammengeschlossen. Diese verfügen
über einen Vorsitzenden, einen Vorstand und ein eigenes Sekretariat, welches die Abgeordneten bei
Ihrer Arbeit unterstützt. Für diese Arbeit erhalten die Fraktionen zusätzliche
Finanzmittel. Die Fraktionen genießen gewisse Vorrechte: So können nur sie oder aber die Gesamtzahl
von 40 Mitgliedern des Parlaments Kandidaten für das Präsidium des EP vorschlagen. Und nur sie
sind stimmberechtigt in der Konferenz der Präsidenten vertreten. Ferner stehen den Fraktionen
erweiterte Antragsrechte in bestimmten Verfahren des EP zu.
Eine Fraktion muss aus Abgeordneten aus mehreren Staaten bestehen. Notwendig sind hierfür seit
der Europawahl 2004 mindestens 20 Abgeordnete aus mindestens einem Fünftel der Mitgliedsländer.
Diese Anforderung wurde vom Europäischen Parlament 2008 für die Wahlperiode 2009 noch einmal
angehoben. Nach der Wahl müssen sich mindestens 25 Abgeordnete aus einem Viertel der
Mitgliedsländer zusammenfinden, um eine Fraktion im EP zu bilden. Zur Zeit gibt es im Europäischen
Parlament sieben Fraktionen (Stand
August 2009). Diese sind:
Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) (EVP);
Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten im Europäischen Parlament (S&D);
Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE);
Europäische Konservative und Reformisten (ECR);
Fraktion der Grünen/Europäische Freie Allianz (GRÜNE/EFA);
Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (KVEL/NGL);
Fraktion "Europa der Freiheit und der Demokratie" (EFD).
Ferner gibt es eine kleine Anzahl fraktionsloser Mitglieder des
Europäischen Parlaments.
Deutsche Mitglieder des EP sind zur Zeit in fünf verschiedenen Fraktionen vertreten, der EVP, der
S&D, der ALDE, der GRÜNE/EFA, und der KVEL/NGL. Die Mitgliedsparteien einiger dieser Fraktionen
ändern sich über die Zeit, manche Parteien treten aus oder es werden neue
Fraktionen gebildet. Auch sind die einzelnen Fraktionen oft sehr heterogen, da sie keinen
einheitlich organisierten Parteien entsprechen. So ist in vielen Fraktionen mehr als eine Partei aus
einem Land vertreten. In der größten Fraktion des EP, der EVP, arbeiten aus der Bundesrepublik
sowohl die CDU als auch die CSU zusammen.
Es finden sich in ihr aber auch zum Beispiel drei slowakische und zwei bulgarische konservative
Parteien. Das Spektrum der in ihr zusammengeschlossenen Parteien umfasst die gesamte Bandbreite
christdemokratischer und konservativer Parteien – von der schwedischen konservativen Partei
Moderata Samlingspartiet bis zur spanischen Partido Popular.
Auch bei der zweitgrößten Fraktion im EP, der S&D, sind aus einzelnen Ländern mehrere Parteien
zusammengeschlossen. Aus der Bundesrepublik ist hier die SPD vertreten, aus Großbritannien die
Labour Party, aus Frankreich die Parti Socialiste und aus Italien die Partito
Democratico.
Die
bpb.de
deutsche
FDP
ist
zusammen
mit
27
anderen
liberalen
Parteien
in
der ALDE
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
87
zusammengeschlossen. Die deutschen Grünen arbeiten in der viertstärksten Fraktion mit 19
europäischen Parteien und einem unabhängigen Kandidaten an einer gemeinsamen politischen Linie.
Die Partei "Die Linke." hat sich mit 12 weiteren linken, kommunistischen und sozialistischen Parteien
in der Fraktion der KVEL/NGL zusammengetan. In den beiden Fraktionen, die nach eigener Darstellung
EU-kritische oder EU-skeptische Politik verfolgen, sind keine deutschen Parteien vertreten. In der EFD
sind zu einem Großteil Mitglieder der UK Independence Party vertreten, während in der ECR
nationalkonservative Parteien wie die polnische Prawo i Sprawiedliwość (PiS) oder die britische
Conservative Party zusammengeschlossen sind.
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
88
Rat der Europäischen Union
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Im Rat der Europäischen Union kommen die unterschiedlichen Fachminister aus den 28
Mitgliedstaaten zusammen. Das Gremium ist einer der beiden Gesetzgeber der EU.
Das Gebäude des EU-Rates in Brüssel. (© picture-alliance/dpa)
Der Rat der Europäischen Union ist auch im buchstäblichen Sinne eines der entscheidenden Organe
der Europäischen Union. Er ist auch gemeint, wenn nur von dem "Rat" die Rede ist. Der Rat der EU
besteht aus je einem Minister der derzeit 28 Mitgliedstaaten. Je nach Fachgebiet kommen die
zuständigen Minister, also beispielsweise die Außenminister oder die Agrarminister, zusammen.
Insgesamt gibt es zehn verschiedene Ratsformationen. Wenn also dreimal in einer Woche der Rat
der Europäischen Union tagt, kann es durchaus sein, dass sich verschiedene Personen treffen. Der
Rat lenkt die Arbeit der Europäischen Union und ist - bis auf wenige Ausnahmen gemeinsam mit dem
Europäischen Parlament - der Gesetzgeber der EU.
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
89
Entscheidungsmechanismen im Rat
Wie der Rat Entscheidungen trifft, ist von Fall zu Fall unterschiedlich und in den Verträgen genau
festgelegt. Manche Dinge müssen einstimmig beschlossen werden, andere werden mit Mehrheit
geregelt. Durch den am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Lissabonner Vertrag wird das System
zum 1. November 2014 zugunsten einer doppelten Mehrheit verändert, wobei es selbst dann noch für
drei Jahre Übergangsregelungen gibt. Eine Mehrheitsentscheidung muss der neuen Regelung zufolge
die Mehrheit der Mitglieder des Rats (mindestens 55 Prozent), die gleichzeitig die Mehrheit der
Bevölkerung der EU (mindestens 65 Prozent) repräsentiert, auf sich vereinigen.
Bis zum Inkrafttreten der neuen Regelung wird bei Mehrheitsentscheidungen im Allgemeinen die
"qualifizierte Mehrheit" angewandt, das sind ca. 70 Prozent der Stimmen des Rats. Bei
Mehrheitsentscheidungen verfügt jeder Staat über ein bestimmtes Stimmengewicht. Die großen
Staaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien haben beispielsweise je 29 Stimmen,
Estland und Luxemburg haben je 4 und Malta verfügt über 3 Stimmen. Grundsätzlich folgt die
Stimmenverteilung dem
Prinzip der degressiven Proportionalität. Im Einzelnen ist die
Stimmenzuteilung jedoch nicht anhand eines klaren Schemas nachvollziehbar, sondern das Ergebnis
politischer Aushandlungsprozesse.
Ratspräsidentschaft
Der Vorsitz im Rat der Europäischen Union wechselt halbjährlich. 2014 haben Griechenland (erste
Jahreshälfte) und Italien (zweite Jahreshälfte) die Ratspräsidentschaft inne, 2015 folgen Lettland und
Luxemburg und 2016 die Niederlande und die Slowakei.
Die jeweilige Präsidentschaft koordiniert die Arbeit des Rates und führt den Vorsitz bei den
Ratssitzungen - allerdings nicht bei den Außenministern, dort hat die Hohe Vertreterin für die Außenund Sicherheitspolitik der Union diese Position inne. Zudem erarbeitet jede Präsidentschaft eigene
Schwerpunkte und setzt sie auf die Tagesordnung. Dies führt zu einer nicht zu übersehenden
Diskontinuität in der Arbeit des Rates, auch wenn dort vieles auf Arbeitsebene beständig
weitergetrieben wird.
Seit 2007 versucht man diesem Mangel durch eine sogenannte Trio-Präsidentschaft abzuhelfen. Das
bedeutet, dass jeweils drei Staaten, die die Präsidentschaft hintereinander ausüben, sich
zusammentun und gemeinsame Leitlinien für ihre Arbeit entwickeln. Das nächste Trio ab der zweiten
Jahreshälfte 2014 besteht aus Italien, Lettland und Luxemburg. Große Wirkung hat diese Methode
der Trio-Präsidentschaft allerdings bislang nicht entfaltet. Die Möglichkeit, sich selbst als Präsident
(schaft) Europas zu präsentieren, ist offensichtlich verlockender als diesen Ruhm zu teilen.
Die Präsidentschaft spielt nach wie vor eine wichtige Rolle, um die Abläufe in der EU zu gewährleisten,
hat jedoch durch die Neuregelungen des Lissabonner Vertrages an Bedeutung verloren, da der
Europäische Rat mit seinem ständigen Präsidenten sowie die Hohe Vertreterin stärker Einfluss
nehmen.
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
90
Europäischer Rat
Von Eckart D. Stratenschulte
1.12.2014
Seit 2009 ist die Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs ein Organ der EU. Die
Bedeutung des Gremiums war auch zuvor schon groß: Seine Mitglieder bestimmen die Politik
in den Mitgliedstaaten und geben auch in Europa die Richtung vor.
Der Europäische Rat ist die Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs. Ihm gehört auch der
Präsident der Europäischen Kommission an. Der Europäische Rat gibt der Union "die für ihre
Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und
Prioritäten hierfür fest", wie es in Art. 15 des EU-Vertrags in der Lissabonner Fassung heißt. Erst durch
diesen Vertrag wurde der Europäische Rat ein Organ der EU.
Zwar hat er auch vor Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags eine bedeutende Rolle für die Entwicklung
der EU gespielt, das geschah aber aufgrund der Tatsache, dass die Staats- und Regierungschefs in
den Mitgliedstaaten die Zügel in der Hand haben und ihre Minister in den Räten anweisen können.
Auch jetzt hat der Europäische Rat keine gesetzgeberische Kompetenz. Diese liegt vielmehr beim Rat
der Europäischen Union (also bei dem Rat der Minister) und beim Europäischen Parlament.
Der Präsident des Europäischen Rates
Im Dezember 2014 übernahm Donald Tusk (links) das Amt des Präsidenten des Europäischen Rates von Herman
Van Rompuy (rechts). (© picture-alliance)
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
91
Bis zum Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags wechselte der Vorsitz im Rat halbjährlich, wie das bei
den Ministerräten (mit Ausnahme der Außenminister) noch heute der Fall ist. Seit Ende 2009 hat der
Europäische Rat einen ständigen Präsidenten, der kein nationales Amt ausüben darf und sich ganz
auf diese Aufgabe konzentrieren kann.
Der Präsident kann allerdings keine Entscheidungen treffen, er ist im Europäischen Rat nicht einmal
stimmberechtigt. Seine Funktion ist vielmehr die eines Moderators und Koordinators. Er beruft den
Europäischen Rat ein und bereitet die Sitzungen vor. Durch die Gestaltung der Tagesordnung kann
er Einfluss auf die Entscheidungsfindung nehmen und - wie es der EU-Vertrag auch vorsieht - Impulse
für die Arbeit des Gremiums geben. Der Präsident leitet die Gespräche der Staats- und
Regierungschefs, zudem koordiniert er die Tätigkeit des Europäischen Rates mit den Ministerräten,
der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament. Außerdem vertritt er die Europäische
Union "auf seiner Ebene", also gegenüber Staats- und Regierungschefs, nach außen.
Der Präsident des Europäischen Rates wird vom Europäischen Rat für zweieinhalb Jahre gewählt und
kann einmal wiedergewählt werden. Der frühere belgische Ministerpräsident Herman Van Rompuy
wurde als erste Persönlichkeit von den Staats- und Regierungschefs 2009 in dieses Amt berufen und
hatte es durch eine Wiederwahl bis zum 30. November 2014 inne. Sein Nachfolger wurde im Dezember
2014 der ehemalige polnische Ministerpräsident Donald Tusk.
Laut Vertrag tagt der Europäische Rat zweimal im Halbjahr. Allerdings hat sich die Sitzungshäufigkeit
seit der Führung von Herman Van Rompuy durch weitere informelle und Sondergipfel erhöht. Dies
zeigt, dass der Europäische Rat stärker in das Geschehen in der EU eingreifen möchte und es auch tut.
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
92
Europäische Kommission
Von Eckart D. Stratenschulte
4.12.2014
Die Europäische Kommission ist die Kontrollinstanz der Europäischen Union: Sie kann
Mahnungen aussprechen, Bußgelder gegen Unternehmen verhängen und Klage vor dem
Europäischen Gerichtshof einreichen, falls EU-Staaten gegen getroffene Regelungen
verstoßen. Sie wird auch als "Hüterin der Verträge" bezeichnet.
Die dritte wichtige Kraft in der Europäischen Union neben dem Rat und dem Parlament ist die
Europäische Kommission. Wenn wir von der Kommission sprechen, meinen wir sowohl die Verwaltung
als auch das Kollegium der Kommissare. Letzteres besteht aus je einer Person pro Mitgliedsland. Die
Kommissarinnen und Kommissare sind allerdings keine Vertreter ihres Heimatstaates und nicht an
dessen Weisungen gebunden. Sie sollen die europäische Sache vertreten. Deshalb nennt man die
Europäische Kommission auch die "Hüterin der Verträge".
Günther Oettinger (links) im Gespräch mit Jean-Claude Juncker (rechts). (© picture-alliance/dpa)
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Kommissare und Verwaltung
Die einzelnen Kommissionsmitglieder haben bestimmte Aufgabengebiete. Allerdings trifft die
Kommission Entscheidungen als Ganzes, und zwar mit Mehrheit. Der Deutsche im Kollegium ist seit
2009 der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger, der bis 2014 für
Energiefragen zuständig war und nun den Bereich Digitale Wirtschaft und Gesellschaft verantwortet.
Die Kommission wird von einem Präsidenten geleitet, der für fünf Jahre von den Staats- und
Regierungschefs bestimmt und vom Europäischen Parlament gewählt wird. Seit 2014 ist dies der
frühere luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker.
Die Europäische Kommission ist darüber hinaus die Verwaltung der Europäischen Union. Hier laufen
die administrativen Fäden zusammen. Zu diesem Zweck ist der Kommissionsapparat in über 40
Generaldirektionen (GD) und Dienste aufgeteilt. An der Spitze jeder GD steht ein Generaldirektor. Dem
Apparat der Europäischen Kommission gehören ca. 25.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen
28 Mitgliedstaaten an, die sich meist auf Englisch oder Französisch verständigen. Offiziell ist auch
Deutsch Arbeitssprache in der Kommission, es wird aber weniger benutzt.
Hüterin der Verträge
Die Europäische Kommission ergreift Initiativen zur Weiterentwicklung der Europäischen Union und
legt dem Rat und dem Parlament entsprechende Vorschläge vor. Dieses Initiativrecht hat die
Kommission exklusiv als einziges Organ der EU. Die Kommission übt zudem die Kontrolle darüber
aus, dass sich alle in der EU, also sowohl die Mitgliedstaaten als auch Unternehmen, an die getroffenen
Regeln halten. Wenn das nicht der Fall ist, kann sie Bußgelder gegen Unternehmen verhängen, wenn
diese beispielsweise gegen Binnenmarktregeln verstoßen oder Kartelle für Preisabsprachen treffen.
So hat die Kommission im Dezember 2013 gegen europäische
Banken eine Geldbuße von 1,7 Mrd. Euro verhängt, weil sie
jahrelang Zinssätze zu Lasten der Verbraucher manipuliert hatten.
Alleine die Deutsche Bank musste eine Strafe von 725 Mio. Euro
zahlen. 2011 wurde eine Buße von 315 Mio. Euro gegen drei
Waschmittelhersteller verfügt, weil diese ein Kartell gebildet hatten.
Die deutsche Firma Henkel ging damals straffrei aus, weil sie als
Kronzeuge die illegalen Absprachen angezeigt hatte.
Film zur Europäischen Kommission
(http://www.bpb.de/mediathek/176484/
europaeische-kommission)
Falls ein Mitgliedstaat gegen europäisches Recht verstößt und auf
eine Mahnung durch die Europäische Kommission nicht reagiert,
kann die Europäische Union ein Vertragsverletzungsverfahren gegen ein Land einleiten, das
letztendlich, wenn man sich nicht vorher einigt, vor dem Europäischen Gerichtshof landet. Die Themen
sind nicht immer spektakulär, aber für den einheitlichen Rechtsbestand wichtig. Da geht es um die
Diskriminierung von ausländischen Kreditinstituten in Belgien, um die Mehrwertsteuer für Leistungen
staatlicher Gerichtsvollzieher in Bulgarien, um die Besteuerung neuer Autos in Irland oder um
Mehrwertsteuerleistungen von Reisebüros in Tschechien.
Dass die Europäische Kommission Ende 2013 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland
eröffnet hat, das sich auf die Rabatte auf die Öko-Umlage für Großverbraucher beim ErneuerbareEnergien-Gesetz bezieht, hat viel Aufmerksamkeit erregt. Auch wegen der Flugrouten des neuen, aber
nicht fertiggestellten Berliner Flughafens BER hat die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren
eingeleitet, weil sie einen Verstoß gegen Umweltrichtlinien vermutet.
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
94
Europäischer Gerichtshof
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Der Europäische Gerichtshof ist das Gericht der Europäischen Union. Es entscheidet
letztinstanzlich über die Auslegung des EU-Rechts. 2012 fällte er 527 Urteile und
Entscheidungen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheidet über die Auslegung des EU-Rechts. Der EuGH
besteht aus je einem Richter pro Mitgliedsland, der von seinem Heimatland im gegenseitigen
Einvernehmen mit den anderen Mitgliedstaaten für sechs Jahre ernannt wird und danach auch erneut
berufen werden kann. Das Gericht hat seinen Sitz in Luxemburg und sollte nicht mit dem Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verwechselt werden, der ein Organ des Europarates ist
und institutionell nichts mit der Europäischen Union zu tun hat. Der EuGH hingegen ist das Gericht
der Europäischen Union, das letztinstanzlich über die Auslegung des EU-Rechts entscheidet.
Wenn ein Mitgliedsland, das Europäische Parlament oder die Europäische Kommission der Ansicht
ist, ein Partnerland oder eine der anderen Institutionen verstießen gegen das Recht der Europäischen
Union, können sie in Luxemburg Klage einreichen. Das ist auch allen möglich, die von europäischen
Entscheidungen betroffen sind, z. B. von einem Bußgeldbescheid der Europäischen Kommission.
Wenn ein nationales Gericht unsicher ist, ob eine Regelung mit europäischem Recht vereinbar ist, holt
es eine Stellungnahme des EuGH ein, bevor es unter deren Berücksichtigung entscheidet. So wird
die Einheitlichkeit der Auslegung europäischen Rechts gewahrt.
2012 fällte der EuGH, der bei seiner Arbeit von neun Generalanwälten unterstützt wird, knapp 527
Entscheidungen.
Hierbei handelt es sich zum einen um Vorabentscheidungsersuchen, bei denen nationale Gerichte
einen Fall zur Beurteilung dem EuGH vorlegen. Zum anderen fällt der Gerichtshof Urteile in
Vertragsverletzungsverfahren, die sich gegen einen Mitgliedstaat richten, der gegen das europäische
Vertragsrecht verstößt, oder bei Nichtigkeitsklagen, die sich gegen EU-Rechtsvorschriften richten.
Darüber hinaus befasst das Gericht sich mit Untätigkeitsklagen, falls die EU-Organe nicht tun, was
sie sollen, und steht Privatpersonen oder Unternehmen und Organisationen als Gericht zur Verfügung,
wenn diese sich von Maßnahmen der EU ungerecht behandelt fühlen.
In der politischen Diskussion wird gelegentlich kritisiert, der EuGH lege dabei europäisches Recht zu
weit aus. Diese Ansicht hat sich auch der frühere Bundespräsident Roman Herzog zu eigen gemacht
und 2008 in einem Artikel (http://www.cep.eu/fileadmin/user_upload/Pressemappe/CEP_in_den_Medien/
Herzog-EuGH-Webseite.pdf) kritisiert.
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
95
Europäische Zentralbank
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Die Währungspolitik in den Euro-Ländern wird von der Europäischen Zentralbank bestimmt.
Sie ist unabhängig und an keinerlei Weisungen gebunden. In ihrer Funktion ist sie der Deutschen
Bundesbank nachempfunden.
Die Europäische Zentralbank (EZB) bestimmt die Währungspolitik der Staaten, in denen der Euro
Zahlungsmittel ist. Die EZB hat ihren Sitz in Frankfurt am Main. Ihr oberstes Organ ist der
Zentralbankrat, dem das Direktorium sowie die Präsidenten der Zentralbanken der Euroländer
angehören. Ohne Stimmrecht nehmen auch je ein Vertreter des Rates sowie der Europäischen
Kommission teil. Der Europäische Zentralbankrat trifft die wichtigsten Entscheidungen, die die
Geldpolitik des Euroraums betreffen. Diese setzt dann das Direktorium um, das die laufenden
Geschäfte führt.
EZB-Präsident Mario Draghi (© picture-alliance/dpa)
Dem Direktorium gehören neben dem EZB-Präsidenten und einem Vizepräsidenten vier weitere
Mitglieder an. Der Präsident der Europäischen Zentralbank leitet sowohl das Direktorium als auch den
Zentralbankrat. Das Amt hat der Italiener Mario Draghi inne. Er führt die EZB seit 2011. Mitglied des
Direktoriums der EZB ist auch die frühere Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank Sabine
Lautenschläger. Im Zentralbankrat ist Deutschland durch den Präsidenten der Deutschen Bundesbank,
Jens Weidmann, vertreten.
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
96
Die EZB ist die entscheidende Institution innerhalb des Europäischen System der Zentralbanken
(ESZB), dem auch die EU-Staaten angehören, die den Euro nicht eingeführt haben. So soll
sichergestellt werden, dass die Geldpolitik der EU insgesamt einheitlichen Grundsätzen folgt und dass
die europäischen Zahlungssysteme reibungslos funktionieren.
Die EZB ist - nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank - unabhängig und keinerlei Weisungen
unterworfen. Um das auch personell sicherzustellen, werden die Mitglieder des Direktoriums von den
Staats- und Regierungschefs des Euroraums nach Anhörung des Europäischen Zentralbankrats und
des Europäischen Parlaments für acht Jahre ernannt. Sie können nur einmal berufen werden. Ihre
Hauptaufgabe ist die Sicherung der Preisstabilität. Danach hat die EZB ihre Entscheidungen über
Geldumlauf und Zinssätze auszurichten.
Auseinandersetzungen um die EZB
Einige Mitgliedstaaten wie zum Beispiel Frankreich würden die EZB gerne stärker in die Pflicht nehmen
und sie veranlassen, bei ihren Entscheidungen auch andere Faktoren wie Arbeitslosigkeit und
Konjunkturverlauf zu berücksichtigen. Die Bank und eine Mehrheit der Euro-Länder, darunter auch
Deutschland, lehnen das jedoch ab und argumentieren, dass eine stabile Währung ein wichtiger Beitrag
für wirtschaftliche Prosperität sei.
Allerdings hat die EZB im Jahr 2010 in die Bewältigung der durch den drohenden griechischen
Staatsbankrott ausgebrochenen Euro-Krise dadurch eingegriffen, dass sie griechische Staatsanleihen
gekauft und dadurch Griechenland quasi einen Kredit gewährt hat. Diese vorübergehende Maßnahme
ist in der Öffentlichkeit heftig als Verletzung der Grundsätze der EZB kritisiert worden. Kritiker sehen
die Unabhängigkeit der Zentralbank durch diesen politischen Schritt in Frage gestellt, zumal die EZB
ein solches Verfahren auch im Hinblick auf die Staatsanleihen anderer Mitgliedsländer nicht
ausgeschlossen hat.
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
97
Institutionen der Europäischen Union
27.9.2010
Europäische Politik spielt sich auf drei Ebenen ab, die funktional komplex miteinander
verflochten sind: Auf Ebene der Bürger der Mitgliedstaaten, der von ihnen gewählten
Parlamente und Regierungen sowie auf der Ebene der Europäischen Institutionen.
Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/F5732Z.pdf)
Die Bürger der Mitgliedsstaaten wählen seit 1979 alle fünf Jahre die Mitglieder des Europäischen
Parlaments. Zudem bestimmen sie in demokratischen Wahlen ihre Volksvertreter in den nationalen
Parlamenten. Diese wiederum bestimmen demokratisch legitimierte Regierungen, welche im Rat der
Europäischen Union und im Europäischen Rat die Mitgliedsländer vertreten. So sind die Bürger der
Europäischen Union zweimal demokratisch vertreten, einmal unmittelbar und einmal mittelbar.
Die zentralen Organe der Europäischen Union sind der Rat der Europäischen Union, die Europäische
Kommission, das Europäische Parlament und - seit dem Vertrag von Lissabon - auch der Europäische
Rat. In diesem Geflecht werden die Rechtssetzungsakte der Gemeinschaft vollzogen. Die Institutionen
vertreten jeweils eine der Ebenen der europäischen Politik.
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
98
Das Parlament vertritt die Bürger der Union, der Rat der Europäischen Union und der Europäische
Rat die Staatschefs- und Regierungen der Mitgliedsländer und die Kommission die Ebene der
europäischen Institutionen. Mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wählt das Europäische
Parlament auf Vorschlag der Staats- und Regierungschefs den Präsidenten der Europäischen
Kommission. Der Europäische Rat muss bei seinem Vorschlag auch das Ergebnis der Europawahlen
berücksichtigen.
Der Rat der Europäischen Union (auch Ministerrat) wird häufig mit dem Europäischen Rat, dem
Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten, verwechselt. Bei letzterem handelt
es sich um Gipfelkonferenzen, auf denen die Vertreter der Mitgliedsstaaten die Leitlinien der
europäischen Politik festlegen und die grundlegenden Verträge der Gemeinschaft verhandeln und
beschließen.
Weitere zentrale Institutionen der EU sind der Europäische Gerichtshof, die Europäische Zentralbank,
der Europäische Rechnungshof, die Europäische Investitionsbank, der Ausschuss der Regionen und
der Wirtschafts- und Sozialausschuss.
Der Rechnungshof und der Gerichtshof sollen ein einheitliches europäisches Recht garantieren, die
Rechte der Bürger und der Organe schützen und für die sachgerechte Verwendung der
Gemeinschaftsmittel sorgen. Im Ausschuss der Regionen sind seit 1994 die regionalen und
kommunalen Gebietskörperschaften vereinigt und werden bei Maßnahmen, die deren
Verwaltungsaufgaben betreffen, angehört.
Im Wirtschafts- und Sozialausschuss hingegen ist die organisierte Bürgergesellschaft vertreten.
Gewerkschaften, Arbeitgeber- und Verbraucherverbände und die Verbände der Agrarwirtschaft geben
hier Stellungnahmen zu Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik ab. Die Europäische Zentralbank
zeichnet für die europäische Währungspolitik verantwortlich.
Mit dem Vertrag von Lissabon wurden auch die Rechte der nationalen Parlamente in der EU gestärkt.
Diese können durch die Subsidiaritätsrüge und die Subsidiaritätsklage am Gesetzgebungsprozess
der EU mitwirken, wenn sie ihre Kompetenzen durch die Union verletzt sehen. Durch die
Subsidiaritätsrüge kann ein Drittel der nationalen Parlamente die Kommission zwingen, einen
Gesetzentwurf zu überprüfen. Eine Subsidiaritätsklage kann ein nationales Parlament beim
Europäischen Gerichtshof einreichen, wenn die EU Rechtsakte erlässt, die nach Ansicht der Kläger
auch auf nationaler oder regionaler Ebene umgesetzt werden können.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
99
Europäische Gesetzgebung
27.9.2010
Die EU ist eine Gemeinschaft, in der die Einzelinteressen ihrer Mitgliedsstaaten miteinander
vereint werden müssen. Da alle Mitgliedsstaaten Souveränitätsrechte an die Gemeinschaft
abtreten, entscheiden ihre gewählten Regierungsvertreter mit.
Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/ANR6Y2.pdf)
Aus diesem Grund ist das Europäische Parlament (EP) im Gegensatz zu nationalen Parlamenten nicht
der alleinige Rechtssetzer und Souverän im Institutionengefüge der Europäischen Union. Bei allen
Rechtsetzungsakten des so genannten sekundären Gemeinschaftsrechts sind sowohl die Kommission
als auch der Rat der Europäischen Union als Vertretung der nationalen Regierungen beteiligt.
Als sekundäres Gemeinschaftsrecht bezeichnet man - um es vom primären Gemeinschaftsrecht, den
Gründungsverträgen der Gemeinschaften, zu unterscheiden - das von den Gemeinschaftsorganen
geschaffene Recht. Hier wird zwischen einer großen Zahl von Regelarten unterschieden.
Die wichtigsten sind zum einen Verordnungen, also Rechtsetzungsakte, die unmittelbar in allen
Mitgliedsstaaten Geltung erlangen. Zum anderen gibt es Richtlinien, die vom Mitgliedsstaat, an den
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
100
sie gerichtet sind, nur hinsichtlich des von ihnen formulierten Ziels umgesetzt werden müssen. Bei
Letzteren ist es dem Nationalstaat überlassen, wie er sie umsetzt.
In diesem Prozess verfügt allein die Europäische Kommission über das Vorschlagsrecht bei
Rechtsetzungsakten. Unter bestimmten Voraussetzungen kann das EP allerdings die Kommission
auffordern, Vorschläge zu wichtigen Themen zu erarbeiten.
Wegen des mitunter schwierigen Einigungsprozesses unter allen Mitgliedsstaaten in der Europäischen
Union kommt der Kommission eine große Bedeutung zu. Ihre Mitglieder und Mitarbeiter müssen im
Vorfeld eines geplanten Gesetzgebungsverfahrens einen Vorschlag erarbeiten, der sowohl im
Europäischen Parlament als auch im Rat konsensfähig sein sollte.
Je nach Rechtsgegenstand und Thema
Entscheidungsfindung zum Einsatz kommen.
können
die
unterschiedlichsten
Verfahren
der
Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren (vor dem Reformvertrag von Lissabon und seit seiner
Einführung durch den Vertrag von Maastricht im Jahr 1992 auch Mitentscheidungs- oder
Kodezisionsverfahren genannt) ist das wichtigste Gesetzgebungsverfahren in der Europäischen Union.
Das Parlament ist durch dieses Verfahren an der Mehrheit der Rechtssetzungsakte direkt beteiligt und kann diese geplanten Verordnungen, Richtlinien oder Beschlüsse per Mehrheitsbeschluss
verhindern oder abändern.
Der Kommissionsvorschlag zu einem Rechtsakt wird beim ordentlichen Gesetzgebungsverfahren
zunächst im Europäischen Parlament beraten. Nach einer Stellungnahme des EP, das den Vorschlag
billigen oder Änderungsvorschläge äußern kann, ist nun anschließend die Zustimmung des Rats der
Europäischen Union (des sogenannten Ministerrats) zum Vorschlag in der vorliegenden Form
notwendig. Erfolgt diese, ist der Rechtsakt angenommen und neues sekundäres Gemeinschaftsrecht
entstanden.
Ist der Rat mit den Änderungsvorschlägen nicht einverstanden, muss er seinen abweichenden
Standpunkt begründen und der Vorschlag wird erneut vom EP beraten. Dieses kann nun seinerseits
den Änderungsvorschlägen des Rats folgen und den Rechtsakt durch Abstimmung des neuen
Vorschlags abschließen oder aber das Verfahren durch Ablehnung beenden. Auch kann es mit einer
absoluten Mehrheit erneute Änderungen des Ratsvorschlags fordern.
In diesem Fall gibt die Kommission ihre Stellungnahme zu den Änderungsvorschlägen des EP ab.
Billigen die Minister mit qualifizierter Mehrheit den Gesetzentwurf in der Fassung des Parlaments, ist
das Gesetz erlassen. Wenn die Kommission die Abänderungen des Parlaments abgelehnt hat, muss
der Rat einstimmig entscheiden, um das Gesetz in Kraft zu setzen. Lehnt der Rat die Änderungen des
Parlaments ab, muss ein Vermittlungsausschuss einberufen werden.
Ist auch in diesem keine Einigung der beiden Organe herbeizuführen, scheitert der Rechtsakt endgültig.
Kommt es dort aber zu einer Einigung, wird der Rechtsakt in Dritter Lesung von Parlament und Rat
verabschiedet. Im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren sind also weder der Rat noch das EP in der
Lage, eigene Vorschläge oder Änderungen des ursprünglichen Kommissionsvorschlags alleine
durchzusetzen.
Entscheidend ist, dass keine Rechtsetzung in der Europäischen Union ohne Konsultation des EP
möglich ist und ein Großteil der Rechtsetzungsakte nicht ohne seine Zustimmung erfolgen kann.
Weitere Beispiele für Gesetzgebungsverfahren in der Europäischen Union sind das
Zustimmungsverfahren und das Konsultationsverfahren. Im Zustimmungsverfahren ist die
Zustimmung des EP beim Abschluss von Assoziierungsabkommen der EU oder Verträgen mit
Drittstaaten und Beitritten gefragt. Zwar hat das Parlament hier keine gestalterische Rolle, durch das
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
101
Verfahren wird ihm aber eine Art Vetorecht in entscheidenden Fragen eingeräumt.
Im Konsultationsverfahren hingegen hat das EP nur eine beratende Funktion. Der Rat ist hier das
entscheidende Gremium, das EP gibt allerdings eine Stellungnahme vor dessen Entscheidung ab.
Die beschriebenen Verfahren machen deutlich, welche unterschiedlichen Funktionen das Europäische
Parlament im Vergleich zu den nationalen Parlamenten hat. Weder kommen aus seiner Mitte die
Vorschläge zu europäischen Rechtsakten, noch kann es allein ein Gesetz beschließen. Es ist stets
auf Kompromisse mit den anderen Organen der Union angewiesen.
Nur unter bestimmten Bedingungen kann es die Kommission auffordern, einen Vorschlag zu erarbeiten.
Diese besondere Stellung des EP spiegelt sich auch in der parlamentarischen Arbeit wider. Da es
keine Regierungsmehrheit oder Opposition im nationalstaatlichen Sinn benötigt, beruhen viele
Entscheidungen auch hier auf einer überparteilichen Zusammenarbeit.
Mit den nationalen Parlamenten teilt sich das EP eine wesentliche Gemeinsamkeit, nämlich die
Befugnis zur Kontrolle der Exekutive. Das beginnt beim Recht des EP, den Kommissionspräsidenten
zu wählen (allerdings nur auf Vorschlag des Europäischen Rates) und die Kommission in ihrer
Gesamtheit zu bestätigen. Zudem sind die Kommission, der Rat der Europäischen Union und der
Hohe Vertreter der Union für die Außen- und Sicherheitspolitik dem EP gegenüber berichtspflichtig.
Die Kommission präsentiert ihr Jahresprogramm im Parlament und legt über dessen Ausführung
Rechenschaft ab. Dieses kann gegebenenfalls der Kommission das Misstrauen aussprechen. Auch
die halbjährlich zwischen den Mitgliedsstaaten wechselnde Ratspräsidentschaft berichtet im EP über
die Gipfeltreffen. Das EP ist berechtigt, beiden Organen Fragen zu stellen und
Untersuchungsausschüsse einzusetzen.
Dem Europäischen Parlament fallen auch gemeinsam mit dem Rat die Haushaltsbefugnisse zu. Es
beschließt zusammen mit dem Rat den von der Kommission vorgelegten Haushaltsplan, kontrolliert
dessen Ausführung und erteilt hierzu am Ende des Haushaltsjahres eine Entlastung.
Mit diesen Aufgaben hängt unmittelbar auch die Informationsfunktion des Europäischen Parlaments
zusammen. Die meisten Ausschusssitzungen und alle Plenarsitzungen sind öffentlich. Dadurch und
durch seine zahlreichen Veröffentlichungen können sich die Bürger der Europäischen Union über die
Arbeit aller Organe informieren.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik
Von Eckart D. Stratenschulte
1.11.2014
Die "Außenministerin" der EU vereint mehrere Positionen in einer Person: Sie ist
Vizepräsidentin der Kommission, Vorsitzende im Rat der Außenminister und Leiterin des
"Europäischen Auswärtigen Dienstes". Ihre tatsächliche Macht ist aber unklar.
Federica Mogherini ist seit dem 1. November die Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik. Zuvor war sie
seit Februar 2014 italienische Außenministerin. (© picture-alliance/dpa)
Durch den Lissabonner Vertrag ist auch das Amt des Hohen Vertreters der Union für Außen- und
Sicherheitspolitik neu gestaltet worden. Zwar gab es diese Position, die von 1999 bis 2009 der Spanier
Javier Solana ausfüllte, bereits, aber sie war auf den Rat der Europäischen Union beschränkt, dessen
Generalsekretär Solana zugleich war. In der Europäischen Kommission gab es ein eigenes Mitglied
für Außenpolitik, bis 2009 war das die Österreicherin Benita Ferrero-Waldner. Dieser Dualismus führte
oft zu Reibungen und Effizienzverlusten.
Die "neue" Hohe Vertreterin ist die Vertreterin des Rates (also das, was bisher Solana war) und
gleichzeitig Mitglied und sogar Vizepräsidentin der Europäischen Kommission (in der Nachfolge von
Ferrero-Waldner). Zudem leitet sie den Rat der Außenminister, für den die halbjährliche Rotation
aufgehoben worden ist. Aufgabe der Hohen Vertreterin ist es, zur Festlegung der Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik der EU beizutragen und diese international zu vertreten. Sie ist also die
Außenministerin der Europäischen Union.
Allerdings kann die Hohe Vertreterin keine einsamen Entscheidungen treffen, sie ist an das Mandat
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der Mitgliedstaaten, deren Domäne die Außenpolitik weiterhin ist, gebunden. Wenn diese sich in einer
wichtigen Frage nicht einig sind (wie zum Beispiel bei der Anerkennung des Kosovo oder einer
Intervention in Libyen), kann die Hohe Vertreterin nur versuchen, eine gemeinsame Position
herbeizuführen, sie kann nicht bestimmen, wie verfahren werden soll.
Europäischer Auswärtiger Dienst
Zur Unterstützung verfügt die Hohe Vertreterin über ein "Außenministerium", das den Namen
"Europäischer Auswärtiger Dienst" (EAD) trägt. Dieser Dienst hat ein Jahr nach dem Inkrafttreten des
Lissabonner Vertrages, durch den er geschaffen wurde, seine Arbeit aufgenommen. Er hat eine
Zentrale in Brüssel sowie Botschaften in aller Welt.
Allerdings wurden diese nicht neu geschaffen. Schon bisher hatte die Europäische Kommission in den
meisten Staaten der Erde eine "Delegation", die jetzt zur Delegation der EU umgeformt wird. Auch die
Beamten des EAD, ungefähr 3.700 Personen, wurden nicht neu eingestellt, sondern aus der
Europäischen Kommission, dem Generalsekretariat des Rates und zu einem Drittel aus den
Mitgliedstaaten übernommen. Der EAD ist eine eigenständige Organisation und gehört weder zum
Rat noch zur Kommission. Sein Haushalt unterliegt allerdings der Genehmigung und Kontrolle durch
das Europäische Parlament.
Erste Amtsinhaberin: Catherine Ashton
Die Britin Catherine Ashton übernahm das neue gestaltete Amt der Hohen Vertreterin Ende 2009
übernommen und war für fünf Jahre, also bis 2014, berufen. Bevor sie diese Position übernahm,
gehörte sie der Europäischen Kommission an und war dort für Handelsfragen zuständig. Die
Amtsführung von Catherine Ashton wurde oft als zögerlich und ideenarm kritisiert worden. Allerdings
müssen bei einer Kritik die Rahmenbedingungen europäischer Außenpolitik, die komplizierter sind als
in einem Nationalstaat, berücksichtigt werden.
Zweite Amtsinhaberin: Federica Mogherini
Am 1. November 2014 trat Federica Mogherini die Nachfolge als Hohe Vertreterin für Außen- und
Sicherheitspolitik an. Mogherini war zuvor seit Februar 2014 italienische Außenministerin.
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Beratende Ausschüsse
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Um die EU-Institutionen fachlich zu unterstützen, sind ihnen beratende Ausschüsse zur Seite
gestellt. In Entscheidungsprozesse werden hier aus regionaler, wirtschaftlicher und sozialer
Sicht Erfahrungen und Kompetenzen bürgernah eingebracht.
Keinen direkten Einfluss auf Entscheidungsprozesse haben der Ausschuss der Regionen sowie der
Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Union. Im Ausschuss der Regionen sind
Bundesländer und vergleichbare regionale Untergliederungen vertreten, im Wirtschafts- und
Sozialausschuss die Sozialpartner Gewerkschaften und Arbeitgeber. Beide Ausschüsse beraten die
EU-Institutionen bei ihrer Arbeit und bringen ihre Erfahrungen und Expertise ein, um die Arbeit der EU
bürgernäher zu machen.
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Europäische Bürgerbeauftragte
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Seit 2013 ist die frühere irische Ombudsfrau Emily O’Reilly Europäische Bürgerbeauftragte.
Ihre Aufgabe: Beschwerden von Bürgern nachgehen und Missstände in den Organen und
Einrichtungen der EU aufdecken.
Die Europäische Bürgerbeauftragte nimmt Beschwerden von allen Bürgerinnen und Bürgern
entgegen, die sich von den europäischen Institutionen ungerecht behandelt fühlen. Diese Europäische
Ombudsfrau hat ihren Sitz in Brüssel und geht Hinweisen über Fehlverhalten europäischer Institutionen
gegenüber Bürgern nach. Zwar hat die Bürgerbeauftragte juristisch keine Macht, dennoch gelingt es
ihr, vielen Beschwerden abzuhelfen. Oftmals reicht es schon, dass die Bürgerbeauftragte in einer
Abteilung der Europäischen Kommission nachfragt, um zur Revision einer bürokratischen
Entscheidung zu kommen.
So beschwerte sich beispielsweise ein Bewerber für einen Job bei der Europäischen Kommission, der
auf der Reserveliste stand und sich Hoffnungen machte, in absehbarer Zeit für die Kommission arbeiten
zu können, dass die Kommission eines Tages die Liste schloss und nicht mehr weiter berücksichtigte,
ohne den Bewerber zu informieren. Auf Vorschlag der Europäischen Bürgerbeauftragten wurde der
Beschwerde stattgegeben und der Bewerber erneut auf der Reserveliste berücksichtigt. In einem
anderen Fall beschwerte sich ein deutscher Journalist, dass die Kommission von ihm angefragte
Dokumente, die Griechenlands Beitritt zur Eurozone betrafen, nicht zur Verfügung gestellt hat, weil
die Recherche von Unterlagen aus einer Zeit, in der diese noch nicht elektronisch erfasst wurden, der
Kommission zu zeitaufwändig erschien. Nach der Beschwerde bei der Ombudsfrau suchte die
Kommission die Dokumente zusammen und gab sie heraus.
Seit 2013 hat die frühere Journalistin Emily O-Reilly das Amt inne, die zuvor Bürgerbeauftragte ihres
Heimatlandes Irland war. Sie informiert auf einer eigenen Internetseite (http://www.ombudsman.
europa.eu/home.faces)
über ihre laufende Arbeit. Beschweren kann sich bei ihr jede natürliche oder juristische Person, die
ihren (Wohn-) Sitz in der Europäischen Union hat.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Partizipationsmöglichkeiten
27.9.2010
Die Bürger der EU-Mitgliedsstaaten empfinden die Organe der Union häufig als sehr weit
entfernt. Die EU ist eben auch eine Staatengemeinschaft, in der die Regierungsvertreter eine
wichtige Rolle spielen.
Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/SGW5EP.pdf)
Ein erklärtes Ziel des Vertrags von Lissabon ist darum auch die Stärkung des Europäischen Parlaments
als Vertreter aller Bürger. Außerdem sollen die nationalen Parlamente stärker einbezogen werden.
Durch eine eindeutige Festlegung der Zuständigkeiten soll die europäische Bürokratie zudem
transparenter werden.
Die Bürger der EU-Staaten können durch die Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments direkt
Einfluss nehmen. Seit 1979 wird es für fünf Jahre direkt gewählt. Die Wahlen erfolgen in den
Mitgliedsstaaten auf Grundlage der dort gültigen Wahlverfahren.
Der Rat der Europäischen Union legt eine Zeitspanne fest, in der die Wahlen in den jeweiligen
Mitgliedsländern abgehalten werden müssen. Da in Großbritannien zum Beispiel die Wahllokale
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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traditionell an einem Donnerstag, in der Bundesrepublik hingegen an einem Sonntag geöffnet werden,
erstreckt sich die Zeitspanne auf die Tage Donnerstag bis Sonntag.
In allen Mitgliedsländern wird in diesem Zeitraum nach dem Verhältniswahlrecht gewählt, auch wenn
bei den Wahlen zum jeweiligen nationalen Parlament, wie in Großbritannien, eigentlich das
Mehrheitswahlrecht gilt. Eine Mindestschwellenklausel ist gestattet, sie darf aber nicht höher als fünf
Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen sein.
Die 99 deutschen Abgeordneten werden von ihren Parteien in geschlossenen Landes- oder
Bundeslisten aufgestellt. Die Wähler geben eine Stimme für eine gesamte Liste ab, können die
Reihenfolge der Kandidaten aber nicht verändern. Aktiv wahlberechtigt sind alle deutschen
Staatsbürger, die am Wahltag das Wahlrecht zum deutschen Bundestag besitzen.
Anders als bei den Bundestagswahlen sind auch Staatsangehörige eines anderen EU-Mitgliedsstaats
wahlberechtigt, wenn sie älter als 18 Jahre sind und bereits seit mehr als drei Monaten in Deutschland
einen festen Wohnsitz haben. Dieses gilt umgekehrt auch für Deutsche, die in anderen Mitgliedsländern
wohnen. Allerdings müssen sich diese Wähler entscheiden, ob sie dieses Wahlrecht in ihrem
Herkunftsland oder dem Land ihres Wohnsitzes ausüben wollen. In der Bundesrepublik lebende
Staatsangehörige anderer Mitgliedsländer sind anders als bei Wahlen auf nationalstaatlicher Ebene
auch wählbar.
Der Vertrag von Lissabon hat die europäische Bürgerinitiative eingeführt. Finden sich eine Million
Bürger aus "einer erheblichen Anzahl" von Mitgliedsstaaten zur Unterstützung einer Initiative
zusammen, können sie die Kommission auffordern, neue politische Vorschläge zu einem bestimmten
Thema zu unterbreiten. Diese müssen dann im Rat der Europäischen Union und im Europäischen
Parlament behandelt werden.
Auch Direktkontakt zu Europaabgeordneten ist möglich: Diese haben in ihren Wahlkreisen Büros und
bieten beispielsweise häufig Bürgersprechstunden an.
Alle Bürger der Europäischen Union können darüber hinaus einen direkten Kontakt mit dem
Europäischen Parlament aufnehmen. Sie können Bürgeranfragen stellen, Informationen abfragen oder
Vorschläge unterbreiten. Zu diesem Zweck gibt es unter anderem einen elektronischen Briefkasten.
Alle Bürger haben das Recht, in ihrer Muttersprache eine Antwort zu erhalten, also in einer der 23
offiziellen Amtssprachen der Union (EG-Vertrag § 290).
Fühlen sich Bürger, Vereine oder Unternehmen durch die Verwaltungspraxis der Gemeinschaftsorgane
benachteiligt, können sie bereits heute Beschwerden zu Missständen in den Organen der Union beim
Bürgerbeauftragten einreichen. Der oder die Bürgerbeauftragte (auch Ombudsmann) suchen dann in
aller Regel einen für die Konfliktparteien annehmbaren Kompromiss.
Neben dem Bürgerbeauftragten können Bürger sich auch mittels Petitionen direkt an das Europäische
Parlament wenden. Dieses gilt für die Fälle, in denen sich Bürger nicht durch Gemeinschaftsorgane
diskriminiert fühlen, sondern eine mögliche Verletzungen der Rechte durch einen Mitgliedsstaat oder
lokale Gebietskörperschaften erfolgt ist.
Bürger können das EP per Petition auffordern, zu einer bestimmten Angelegenheit Stellung zu nehmen.
Manche Petition fordert das EP auch auf, einen Gegenstand zu behandeln, der dann später mittels
eines Rechtsetzungsakts in sekundäres Gemeinschaftsrecht umgewandelt wird.
Bei einem festgestellten Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht kann das Europäische Parlament eine
Klage gegen Organe oder Mitgliedsstaaten der EU vor dem Europäischen Gerichtshof erheben. Das
EP handelt hier nicht selbst als gerichtliche Instanz, eine von ihm angestrebte Klage hat aber eine
erhebliche öffentliche Wirksamkeit. Die Petitionen bieten so eine Möglichkeit für die Bürger, auf
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Missstände aufmerksam zu machen.
Die meisten eingehenden Petitionen betreffen Themen des Umweltschutzes, der sozialen Sicherheit,
die Freizügigkeit innerhalb der EU oder Bereiche der Steuerharmonisierung. Unter bestimmten
Voraussetzungen können Bürger darüber hinaus Individualklagen beim Europäischen Gerichtshof in
Luxemburg einreichen.
Eine weitere Möglichkeit, sich in Entscheidungsprozesse der EU einzubringen, ist organisierte
Lobbyarbeit. Die Initiative Lobby Control schätzt, dass in Brüssel ca. 15.000 hauptberufliche Lobbyisten
tätig sind. Etwa 1.200 (Stand März 2009) haben sich offiziell auch im Register der Interessenvertreter
registriert. In diesem Verzeichnis können Politiker, Bürger und andere Interessierte auch online die
registrierten Interessenvertreter suchen.
Lobbyismus ist nicht auf Versuche von Einflussnahme beschränkt, eine wichtige Aufgabe ist auch das
so genannte Monitoring. Eine weitere Aufgabe der Interessenvertreter ist demnach, ihre Verbände
oder Unternehmen über die Prozesse der europäischen Politik zu informieren. Neben
Interessenvertretern aus Wirtschaft und Unternehmen arbeitet eine große Anzahl der in Brüssel tätigen
Interessenvertreter auch für Gewerkschaften, Umweltorganisationen, Verbraucherschutzorganisationen
und gemeinnützige Einrichtungen.
Der überwiegende Teil der Lobbyisten vertritt jedoch wirtschaftliche Interessen. Kritiker des
organisierten Lobbyismus bemerken, dass eben dieses für ein Ungleichgewicht in der Vertretung
verantwortlich sei. Wirtschaftsunternehmen und Wirtschaftsverbände könnten die Kosten für eine
Vertretung in Brüssel eher tragen als Nichtregierungsorganisationen oder Sozialverbände (Woll 2006).
Um dieses auszugleichen, unterstützen sowohl die Kommission als auch das Europäische Parlament
die Bildung von Netzwerken oder Verbänden, die sich mit entwicklungspolitischen oder humanitären
Aufgaben befassen, sowie Umwelt- und Konsumentengruppen.
Insgesamt kann Lobbyismus zum Funktionieren der EU-Politik beitragen. Der im Mai 2008 im
Europäischen Parlament vorgestellte Bericht zum Lobbyismus in der EU betont, dass
Interessenvertreter durchaus eine wichtige Rolle im pluralistischen Dialog spielen. Für die
Abgeordneten stellen ihre Kompetenz und ihr Sachverstand eine Informationsquelle dar.
Deshalb sei ihr Zugang zu den Organen der EU von prinzipieller Wichtigkeit. Er müsse allerdings für
die Abgeordneten, Mitarbeiter und die Bürger der EU nachvollziehbar sein.
Auch über die gewählten Volksvertreter im Deutschen Bundestag können Bundesbürger mittelbar an
europäischer Politik partizipieren. Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
(Europaausschuss) des Bundestags unterscheidet sich in mehreren Gesichtspunkten von anderen
Ausschüssen des deutschen Parlaments. Zum einen ist er einer der wenigen Ausschüsse ohne
"Spiegelbild" in einem Regierungsressort, zum anderen wirken in ihm neben den 33 ordentlichen
Mitgliedern auch 16 mitwirkungsberechtigte deutsche Mitglieder des Europäischen Parlaments mit.
Zwar werden europapolitische Fragestellungen aufgrund der gewachsenen Bedeutung der
Gemeinschaft für die deutsche Politik auch in anderen Ausschüssen behandelt, aber insbesondere
dient der Europaausschuss der Erarbeitung der wichtigen Entscheidungsvorlagen zu
europapolitischen Fragen im Parlament. Durch die oft öffentlichen Sitzungen trägt der Ausschuss auch
zur Vergrößerung der Transparenz europapolitischer Themen bei.
Das Europäische Parlament bietet selbst auch die Möglichkeit, an den Plenarsitzungen teilzunehmen.
An allen drei Arbeitsorten in Brüssel, Straßburg und Luxemburg können Besuche, Besichtigungen und
die Teilnahme an wichtigen Veranstaltungen organisiert werden. Auch die Mitglieder des Europäischen
Parlaments laden regelmäßig interessierte Gruppen ein, ihre Arbeit und die des Parlaments kennen
zu lernen. Sie stehen für ihre Wähler nach Terminabsprache auch für persönliche Gespräche bereit.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Diese Besuchsprogramme des EP und seiner Mitglieder können dabei helfen, mehr Aufmerksamkeit
auf das Europäische Parlament zu ziehen und für ein stärkeres Engagement der Bürger zu
europapolitischen Themen zu werben.
Weiterführende Links und Literatur
Der Europäische Bürgerbeauftragte: Studie des Europäischen Parlaments "EU-Lobbyismus im
Blickpunkt" (http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?language=DE&type =IMPRESS&reference=20080414FCS26495&secondRef=0)
Europäisches Parlament, Informationsbüro für Deutschland: Besuch im Parlament (http://www.
europarl.europa.eu/parliament/public/staticDisplay.do?language=DE&id=50)
Europäisches Parlament, Informationsbüro für Deutschland: Datenbanken der Europäischen Union
(http://www.europarl.de/view/de/Service/Zugang_zu_Dokumenten/EU_Datenbank.html)
Woll, Cornelia, Herrschaft der Lobbyisten in der Europäischen Union?, in Aus Politik und Zeitgeschichte,
Nr. 15 - 16, 2006 (http://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/29791/verbaende-und-lobbyismus), S.
33 - 38.
Platzer, Hans-Wolfgang, Interessenverbände und europäischer Lobbyismus, in Weidenfeld, Werner
(Hg.), Die Europäische Union. Politisches System und Politikbereiche, Bonn: Bundeszentrale für
politische Bildung 2008, S. 187 - 205.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Europäischer Haushalt
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Der Europäische Haushalt ist die Quelle, aus der die Arbeit der Europäischen Union finanziert
wird. Die Mitgliedstaaten legen die Einnahmen fest. Die EU erzielt sie aus verschiedenen
Quellen.
Der Haushalt beläuft sich für das Jahr 2014 auf 135,5 Milliarden Euro. Dabei handelt es sich um die
Ausgaben, die tatsächlich im Laufe des Haushaltsjahres getätigt werden. Darüber hinaus ist die EUKommission ermächtigt, weitere finanzielle Zusagen (zum Beispiel für mehrjährige Programme) zu
machen. Deshalb ist die Zahlenangabe für die Verpflichtungsermächtigungen des EU-Haushalts immer
höher als die der Zahlungen. Die Verpflichtungsermächtigungen belaufen sich 2014 auf 142,6 Milliarden
Euro. Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt 2014 umfasst circa 295 Milliarden Euro.
Einnahmen
Die Einnahmen der Europäischen Union legt der Rat der Europäischen Union, also die Mitgliedstaaten,
fest. Dies geschieht in dem jeweils auf sieben Jahre zielenden Mehrjährigen Finanzrahmen, der im
Europäischen Rat ausgehandelt wird. Dieser ersetzt nicht die jährlichen Haushaltsplanungen, sondern
ist vielmehr eine perspektivische Festlegung, wie viel Geld die EU für welche Bereiche ausgeben will.
Die derzeitige Finanzplanung läuft von 2014 bis 2020.
Die Einnahmen erzielt die EU aus verschiedenen Quellen, nämlich aus:
•
Zöllen und Abschöpfungen, die Drittstaaten beim Import ihrer Waren in das Wirtschaftsgebiet der
EU entrichten,
•
einem festgelegten Anteil an der Mehrwertsteuer der Mitgliedstaaten und
•
einem prozentualen Anteil am Bruttonationaleinkommen (BNE) (http://www.bpb.de/nachschlagen/
lexika/pocket-europa/16649/bruttonationaleinkommen-bne) der Mitgliedsländer.
Zölle und Abschöpfungen, das sind gewissermaßen Zölle auf landwirtschaftliche Produkte, fließen der
EU direkt zu. Diese „traditionellen Eigenmittel" erheben die nationalen Zollbehörden, beispielsweise
beim Import einer Ware aus China im Hamburger Hafen, und leiten sie nach Abzug einer
Bearbeitungspauschale von 20 Prozent direkt nach Brüssel weiter. Diese Einnahmen tragen wegen
der Verringerung der Zölle im Rahmen des Welthandels nur noch zu elf Prozent zur Finanzierung der
EU bei.
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111
EU Haushaltseinnahmen, 2000 - 2010 Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (bpb)
Der EU-Anteil an der Mehrwertsteuer liegt bei 0,3 Prozent auf der Basis einer einheitlich berechneten
und festgelegten Mehrwertsteuergrundlage, die nötig ist, da die Mehrwertsteuer in den EU-Ländern
unterschiedlich hoch ist. Für Deutschland wurde wegen seiner starken finanziellen Belastung der
Betrag auf 0,15 Prozent reduziert. Auch Österreich, Schweden und die Niederlande haben einen
verringerten Mehrwertsteueranteil zu zahlen. Der Mehrwertsteueranteil bringt rund 14 Prozent der
Einnahmen in die EU-Kasse. Ein weiteres Prozent kommt aus sonstigen Einnahmen, z. B. den Steuern
der EU-Beschäftigten.
Der Betrag, der dann zur Zielmarke des Haushaltes noch fehlt, immerhin gut 73 Prozent, wird als Anteil
am Bruttonationaleinkommen (BNE) erhoben. Nach den geltenden Regelungen darf der BNE-Anteil
1,23 Prozent vom gesamten BNE nicht übersteigen. Tatsächlich liegt er jedoch darunter, nämlich bei
ca. 1,06 Prozent bei den Verpflichtungs- und bei 1,01 Prozent bei den Zahlungsermächtigungen. Der
Unterschied zwischen diesen beiden Größen ist wichtig. Die Zahlungsermächtigungen bezeichnen
die Summe, die in einem Jahr tatsächlich ausgegeben wird. Die Verpflichtungsermächtigungen binden
darüber hinaus Mittel für längerfristige Projekte, die nicht innerhalb eines Jahres abgeschlossen
werden, für die das Geld aber eingeplant werden muss.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Ausgaben
Die Ausgaben werden in einem jährlichen Haushalt zur Verfügung gestellt, den die Europäische
Kommission gemeinsam mit Rat und Parlament, dem sogenannten Trilog, erarbeitet und der in Kraft
tritt, wenn der Rat und das Europäische Parlament ihm zugestimmt haben. Normalerweise ist diese
Zustimmung das Ergebnis eines Vermittlungsprozesses, an dessen Anfang unterschiedliche
Positionen stehen. Generell möchte der Rat weniger Mittel für die EU bereitstellen, während das
Parlament an verschiedenen Stellen höhere Ausgaben fordert.
Die Ausgaben der EU gliedern sich in einige große Blöcke. Für 2014 ergibt sich bei den
Verpflichtungsermächtigungen folgendes Bild:
•
Knapp 64 Milliarden Euro fließen in den Titel „Intelligentes und integratives Wachstum“, aus dem
die Wettbewerbsfähigkeit gefördert, Wachstum und Beschäftigung geschaffen sowie der
wirtschaftliche, soziale und territoriale Zusammenhalt gestärkt werden sollen (44,85 Prozent des
Gesamthaushalts).
•
59,3 Milliarden Euro fließen in die Agrarpolitik und die Förderung des ländlichen Raums (unter
dem Titel „Nachhaltiges Wachstum: natürliche Ressourcen“)); damit ist die Landwirtschaftspolitik,
wie schon seit einigen Jahren, zwar noch ein sehr großer, aber nicht mehr der größte
Ausgabenposten (41,5 Prozent des Gesamthaushalts).
•
2,2 Milliarden werden für Justiz- und Innenpolitik eingesetzt (1,5 Prozent des Gesamthaushalts).
•
8,3 Milliarden wendet die EU für ihre Außenpolitik einschließlich humanitärer Hilfe auf (5,8 Prozent
des Gesamthaushalts).
•
8,4 Milliarden dienen der Deckung der Kosten der Verwaltung (5,9 Prozent des Gesamthaushalts).
Wenn am Ende des Haushaltsjahres Geld in der Brüsseler Kasse übrig bleibt, fließt es an die
Mitgliedstaaten zurück.
Nettozahler und -empfänger
Es gibt Staaten, die mehr aus der EU-Schatulle bekommen, als sie einzahlen (Nettoempfänger), und
andere, bei denen es umgekehrt ist (Nettozahler). Das Ungleichgewicht ergibt sich nicht bei den
Einzahlungen, sondern beim Rückfluss der Mittel in die Mitgliedstaaten.
Die Einzahlungen in den EU-Haushalt erfolgen im Grundsatz für alle Mitgliedstaaten nach den gleichen
Kriterien. Dass die stärkeren Staaten, die über ein hohes Bruttonationaleinkommen verfügen, in
absoluten Zahlen höhere Beträge zahlen, ändert nichts daran, dass prozentual auf alle Mitgliedstaaten
der gleiche Anteil entfällt.
Bei den Ausgaben ist das anders. Die beiden größten Ausgabepositionen sind jene für die
Landwirtschaftspolitik und für die Regionalpolitik. Hiervon profitieren die Mitgliedsländer in
unterschiedlichem Maße. Ein Land, das über eine große Landwirtschaft verfügt und gleichzeitig
strukturschwach ist, erhält viel Geld aus Brüssel, ein Land, in dem diese Bedingungen nicht gegeben
sind, entsprechend weniger. Aus dieser Differenz zwischen Einzahlungen und Rückflüssen speist sich
die Debatte um die Nettozahler-Position.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
113
Top 5 Nettozahler und Nettoempfänger der EU Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (bpb)
Allerdings sind die entsprechenden Zahlen mit Vorsicht zu genießen, da sie lediglich dokumentieren,
in welches Land das Geld fließt, und nicht, wer davon in welchem Maße profitiert. Wenn ein Land Geld
aus Brüssel erhält, um damit beispielsweise seinen Flughafen auszubauen, die großen Aufträge dafür
aber an Firmen aus dem Nachbarland gehen, ist das Nachbarland ein erheblicher Nutznießer dieser
Mittel, taucht allerdings in der Statistik nicht auf. Außerdem wird in die Zahlen oft die Summe
hineingerechnet, die ein Land an seinen Außengrenzen als Zoll einnimmt und an die EU abführt. Das
sind aber keine nationalen Mittel, sondern sogenannte traditionelle Eigenmittel der EU. Ein japanisches
Motorrad, das im Hamburger Hafen auf EU-Territorium kommt, bleibt möglicherweise gar nicht in
Deutschland, sondern wird beispielsweise nach Österreich geliefert. Die deutschen Behörden erheben
zwar den Zoll, leiten ihn aber weiter nach Brüssel. Das Geld stünde Deutschland aber ohnehin gar
nicht zu, sondern in unserem Beispiel Österreich. Umsonst machen die nationalen Zollverwaltungen
das übrigens nicht: Ein Fünftel der Einnahmen dürfen sie als Verwaltungsgebühr behalten.
Deutschland ist der größte Nettozahler, allerdings nur in absoluten Zahlen, weil es das größte Land
ist. 2012 zahlte die Bundesregierung rund 11,9 Milliarden Euro mehr in die EU-Kasse ein, als von dort
zurückkam. Pro Kopf betrug die Nettoleistung 2012 rund 146,10 Euro, für die Schweden lag sie jedoch
bei 203 Euro und für die Dänen bei 201,80 Euro.
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114
Britenrabatt
Für Großbritannien gibt es eine viel diskutierte und kritisierte Sonderregelung, den sogenannten
Britenrabatt. Den hatte die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher 1984 ihren Kollegen
abgetrotzt. Ihr Satz „I want my money back!“ („Ich will mein Geld zurück!“) ist zu einem geflügelten
Wort geworden. Großbritannien gehörte damals zu den schwächeren Mitgliedern und profitierte kaum
von der Landwirtschaftspolitik, für die zu dieser Zeit deutlich mehr als die Hälfte der Haushaltsmittel
ausgegeben wurde. Man vereinbarte, dass Großbritannien zwei Drittel seiner Nettozahlungen, also
der Differenz zwischen Einzahlungen und Rückflüssen, zurückerhält. Dieser Britenrabatt ist seitdem
mehrfach modifiziert worden, ihn abzuschaffen ist allerdings noch nicht gelungen, da Großbritannien
sich dagegen sehr stark wehrt. Im Gegenteil: Im Zusammenhang mit den Verhandlungen über den
Mehrjährigen Finanzrahmen 2014 bis 2020 gelang es dem britischen Premierminister David Cameron
mit der Drohung, den Haushalt sonst scheitern zu lassen, zu den bisherigen 3,6 Mrd. Euro Rabatt
zusätzliche 200 Mio. zu erhalten.
In kleinerem Maße gibt es auch für andere Staaten solche Sonderregelungen, mit denen Ausgaben
„gedeckelt“ werden. Hiervon profitiert auch Deutschland, das lediglich einen Mehrwertsteueranteil von
0,15 Prozent (statt 0,3 Prozent) entrichten muss. Solche Ausnahmen erleichtern die
Kompromissbildung im Einzelfall, machen das System insgesamt jedoch intransparenter und
schwieriger zu steuern.
Immer wieder wird daher diskutiert, die EU über eine eigene Steuer zu finanzieren. Der Präsident der
Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, hatte dieses Thema in seiner „Rede zur Lage der
Union“ im September 2010 vor dem Europäischen Parlament wieder aufgegriffen, wenn auch indirekt,
indem er sagte, die EU solle sich in Zukunft aus „Eigenmitteln“ finanzieren. Dass ein solcher Vorschlag
die einstimmige Unterstützung der Mitgliedstaaten findet, ist jedoch in absehbarer Zeit nicht zu
erwarten. Die deutsche Bundesregierung lehnte ihn sofort ab.
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Haushalt der Europäischen Union
24.9.2009
Der Haushaltsplan der Europäischen Union beläuft sich im Jahr 2009 auf 133,8 Mrd. Euro –
wenn man die Verpflichtungsermächtigungen zugrunde legt. Tatsächlich werden in diesem
Haushaltsjahr wohl ca. 17 Mrd. Euro weniger ausgegeben werden.
Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/G98XQW.pdf)
Im EU-Haushaltsrecht wird zwischen Verpflichtungsermächtigungen und Zahlungen oder
Zahlungsermächtigungen unterschieden. Die Verpflichtungsermächtigungen bezeichnen die Summe,
über die Zusagen gegeben werden dürfen. Aber nicht alle Verpflichtungsermächtigungen werden "
kassenwirksam", weil beispielsweise Projekte sich über einen längeren Zeitraum hinziehen oder gar
nicht zustande kommen. Tatsächlich gibt die EU also weniger aus. Im Jahr 2009 standen
Verpflichtungsermächtigungen von 133,8 Mrd. Euro tatsächliche Zahlungen von etwas über 116 Mrd.
Euro gegenüber.
45 Prozent der Ausgaben werden für die Kohäsionspolitik aufgewendet, durch die die
Wettbewerbsfähigkeit, das Wachstum und die Beschäftigung in benachteiligten Regionen unterstützt
wird. Vor allem Regionen, deren Wirtschaftskraft unter 75 Prozent des EU-Durchschnitts liegt,
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
116
profitieren davon, aber auch Wirtschaftsräume mit besonderen Strukturproblemen wie hoher
Arbeitslosigkeit.
41,9 Prozent sind für die Bewahrung und Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen der Union
eingeplant. Darunter fallen die Ausgaben für den Umweltschutz, den Löwenanteil machen jedoch die
Agrarausgaben aus. Alleine für Landwirtschafts-Subventionen (Preisstützungen und Direktzahlungen)
werden über 30 Prozent des Gesamthaushalts aufgewendet. 2009 sind das über 41 Mrd. Euro.
Dennoch wird heute für die Agrarpolitik prozentual deutlich weniger Geld aufgewendet als in früheren
Jahren, in denen der Anteil deutlich über 50 Prozent der Gesamtausgaben lag.
6,1 Prozent des Haushalts fließen in die EU-Außen- und Entwicklungspolitik und weitere 5,7 Prozent
werden für die Verwaltung der Europäischen Union ausgegeben. Dieser recht niedrige Prozentsatz
erstaunt viele, da in der Öffentlichkeit der Eindruck vorherrscht, die EU sei ein bürokratisches Monster,
das die meisten Mittel für sich selbst verbrauche. Tatsächlich fließen, wie die Folie zeigt, über 87
Prozent der Mittel im Rahmen der EU-Politiken an die Mitgliedstaaten zurück. Die Ausgleichszahlungen
für Bulgarien und Rumänien sind vorübergehend, um zu verhindern, dass die beiden – relativ armen
- Länder zu Nettozahlern werden, da sie schon Beiträge zahlen, aber die Zahlungen aus den
verschiedenen Programmen zum Teil noch nicht erhalten.
Der Haushaltsplan wird im Rahmen einer siebenjährigen Vorschau ("Finanzielle Vorausschau") von
der Europäischen Kommission erstellt. Die gegenwärtige Finanzperiode umfasst die Jahre 2007 bis
2013. Nach oftmals zähen Verhandlungen zwischen den verschiedenen Institutionen wird der Haushalt
dann vom Rat der Europäischen Union sowie dem Europäischen Parlament gemeinsam beschlossen.
Die Einnahmen werden allerdings im Rahmen der Finanziellen Vorausschau von den Mitgliedstaaten
alleine bestimmt. Dabei gibt es eine Obergrenze von 1,24 Prozent des Bruttonationaleinkommens
(BNE), die allerdings zurzeit bei weitem nicht erreicht wird. Die Zahlungen an die EU belaufen sich
vielmehr auf ca. 1 Prozent des BNE.
Die Einnahmen der EU setzen sich einerseits aus Zöllen und Abschöpfungen zusammen, die an den
EU-Außengrenzen für den Import von Waren und Agrargütern aus Drittländern erhoben werden.
Andererseits wird von den Mitgliedstaaten ein – nach einem einheitlichen Schlüssel berechneter –
Mehrwertsteueranteil erhoben. Der mit über zwei Dritteln mit Abstand größte Teil des Haushalts wird
durch einen Anteil am Bruttonationaleinkommen der Mitgliedstaaten generiert. Soweit Mittel im Laufe
des Haushaltsjahres nicht ausgegeben werden, fließen sie im Folgejahr an die Mitgliedstaaten zurück.
Die Europäische Union darf keine Kredite aufnehmen und ist von daher völlig schuldenfrei. Über die
ordnungsgemäße Verwendung des Geldes wacht der Europäische Rechnungshof. Außerdem unterhält
die Europäische Kommission eine eigene Kontrollbehörde (OLAF), die Betrug mit den EU-Mitteln
verhindern soll bzw. verfolgt.
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117
Zuständigkeitsbereiche in der Europäischen Union
24.9.2009
In der Europäischen Union und bei den Mitgliedstaaten unterscheidet man drei Arten von
Zuständigkeiten: Solche, die völlig in der Kompetenz der EU liegen, solche, die den
Mitgliedstaaten vorbehalten ist, und jene, die EU und Mitgliedstaaten sich teilen.
Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/LF1XME.pdf)
Grundsätzlich gilt in der Europäischen Union, dass die Institutionen der EU, also die Europäische
Kommission, der Rat oder auch das Europäische Parlament, sich nicht selbst Zuständigkeiten
zuschreiben können. Die EU kann nur die Aufgaben übernehmen, die ihr von den Mitgliedstaaten
zugeteilt werden. Man spricht hier von Kompetenz-Kompetenz, also der Kompetenz zu entscheiden,
bei wem die Kompetenz liegt.
Zudem gilt in der Europäischen Union der Grundsatz der Subsidiarität. Das bedeutet, dass der EU
eine Kompetenz nur übertragen werden kann, wenn ersichtlich ist, dass das Problem auf europäischer
Ebene besser zu lösen ist als auf nationaler (oder regionaler). Der Lissabonner Vertrag verstärkt den
Subsidiaritätsgedanken noch und gibt den nationalen Parlamenten ein vorfristiges Einspruchsrecht,
falls sie die Kompetenzordnung zu ihren Lasten verletzt sehen.
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
118
In seinem Urteil zum Lissabonner Vertrag hat das Bundesverfassungsgericht im Juni 2009 einige
Kompetenzen definiert, die in nationaler Obhut bleiben müssen - gleichzeitig und vor allem allerdings
festgestellt, dass die von ihm gezogenen Grenzen durch den Lissabonner Vertrag nicht verletzt werden.
Die ausschließlichen Zuständigkeiten der EU ergeben sich aus dem Binnenmarkt, der ja auch eine
Zollunion einschließt. Es ist leicht nachvollziehbar, dass in einem einheitlichen Binnenmarkt, in dem
Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit freizügig sind, nicht unterschiedliche Zölle für einzelne
Mitgliedstaaten gelten können. Auch der Außenhandel und die Sicherung des Wettbewerbs im
Binnenmarkt sind zwangsläufig eine Zuständigkeit der Europäischen Union. Dies gilt zudem für die
Währungspolitik, soweit sie sich auf die Gemeinschaftswährung Euro bezieht. Die derzeit 16 Staaten,
die sich zu "Euroland" zusammengeschlossen haben, gaben damit auch ihre währungspolitische
Souveränität auf und haben die Entscheidungsgewalt auf die Europäische Zentralbank übertragen.
Der Verbraucherschutz ist ebenfalls ein Teil des Binnenmarktes. Soweit es sich um
grenzüberschreitende Produkte handelt, kann nur die EU regelnd eingreifen. Generell ist die
Grenzüberschreitung die Voraussetzung für die Begründung einer Kompetenz der EU. Ob in
Gaststätten geraucht werden darf, wird national entschieden, deutsche Raucher würden ja in Österreich
niemanden beeinträchtigen. Ein Tabakwerbeverbot in Print- und elektronischen Medien ist allerdings
europäisch verhängt worden, da die Zeitungen und Sendungen die Binnengrenzen leicht überschreiten
und somit Einfluss im Nachbarland ausüben.
Eine Reihe von Kompetenzen werden zum Teil von der EU, zum anderen Teil vom Mitgliedsstaat
wahrgenommen. Im Allgemeinen werden in diesen Fällen auf europäischer Ebene bestimmte
Mindeststandards beschlossen, die in den Mitgliedstaaten eingehalten werden müssen. Alles Weitere
wird national geregelt.
Bildung und Kultur bleiben eine nationale Domäne, das gilt auch für den Sport. Allerdings hat der
Europäische Gerichtshof 1995 entschieden, dass Fußballprofis nach Vertragsablauf ablöse frei sein
müssen. Die Richter haben damit aber nicht in den Sport eingreifen wollen, sondern die Rechte der
Fußballprofis als Beschäftigte geschützt. Sie sahen deren Freizügigkeit eingeschränkt, wenn ihre
Vereine trotz Vertragsablaufs eine hohe Ablösesumme von anderen Clubs verlangen.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Internet-Links und weiterführende Literatur
Von Eckart D. Stratenschulte
15.5.2009
Hier finden Sie Internet-Links und weiterführende Literatur zum bpb-Dossier: Die Europäische
Union: "Wer tut was in Europa?".
Internet-Links
Offizielle Internetseite der Europäischen Union
http://europa.eu (http://europa.eu)
Europa-Seiten des Auswärtigen Amtes
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Europa/Uebersicht_node.html (http://www.auswaertiges-amt.de/
DE/Europa/Uebersicht_node.html)
euractiv - täglicher kostenloser Informationsdienst rund um die EU
http://www.euractiv.com/de/HomePage (http://www.euractiv.com/de/HomePage)
cafebabel - kostenloses Europamagazin, von jungen Leuten in mehreren europäischen Ländern
geschrieben
http://www.cafebabel.com/ger/ (http://www.cafebabel.com/ger/)
Europaseiten des Bundesfinanzministeriums
http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_54/DE/Wirtschaft
__und__Verwaltung/Europa/node.html?__nnn=true (http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_54/
DE/Wirtschaft__und__Verwaltung/Europa/node.html?__nnn=true)
Internetseite des Europäischen Bürgerbeauftragten
http://www.ombudsman.europa.eu/home/de/default.htm
de/default.htm)
(http://www.ombudsman.europa.eu/home/
Literatur
Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Europäische Union, Informationen zur politischen
Bildung Heft 279, 2006
Marc Fritzler und Günther Unser, Die Europäische Union, Geschichte, Institutionen, Politiken, Bonn:
Bundeszentrale für politische Bildung, Zeitbilder Nr. 7, 2005
Eckart D. Stratenschulte, Europa – Ein Überblick, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung,
Zeitbilder Nr. 6, 2007
Werner Weidenfeld, Europa leicht gemacht, Antworten für junge Europäer, Bonn: Bundeszentrale für
politische Bildung, 2007
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
120
Werner Weidenfeld und Wolfgang Wessels, Europa von A bis Z, Bonn: Bundeszentrale für politische
Bildung, 2007
Bruno Zandonella, Pocket Europa. EU-Begriffe und Länderdaten, Bonn: Bundeszentrale für politische
Bildung, 2007
bpb.de
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
121
Wie fing das an mit der EU?
13.5.2009
Mit dem Plan des französischen Außenministers Robert Schuman für eine Montanunion beginnt im
Jahr 1950 die Geschichte der EU. Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Italien schlossen sich der
Montanunion bereits im Jahr darauf an. Sie vereinbarten die Europäische Gemeinschaft für Kohle und
Stahl (EGKS), die 1952 ihre Arbeit aufnahm. Mit dem Fokus auf eine gesamtwirtschaftliche
Zusammenarbeit gründeten sich einige Jahre später, nämlich 1957, in Rom die Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom). Im Jahr 1987
definierte die Einheitliche Europäische Akte erstmals den Begriff des Binnenmarktes. Mit dem Vertrag
von Maastricht wurde 1993 schließlich die Europäische Union geschaffen. 2009 wurden die
Europäischen Gemeinschaften durch den Vertrag von Lissabon aufgelöst und in die Europäische
Union integriert.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
122
Gründung der Europäischen Gemeinschaften
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs schlug Robert Schuman die Vereinigung
deutscher und französischer Schwerindustrie in der "Montanunion" vor. Für die
Bundesrepublik Deutschland begann damit die Westintegration.
Die Entstehung der Europäischen Union ist nur vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs
verständlich. Als der von Deutschland begonnene und verlorene Krieg zu Ende war, bestand große
Unsicherheit, wie es nun in Europa weitergehen solle. Zum einen zog der Ost-West-Konflikt auf, da
die wichtigsten Siegermächte des Zweiten Weltkriegs - die USA und Großbritannien auf der einen, die
Sowjetunion auf der anderen Seite - sehr unterschiedliche Vorstellungen davon hatten, wie das
Nachkriegseuropa aussehen sollte. Zum anderen befürchtete man insbesondere in Frankreich, das
geschlagene Deutschland könnte in absehbarer Zeit wieder zu Kräften kommen und erneut zur
Bedrohung werden. Der Erste Weltkrieg war in den Nachbarländern noch gut in Erinnerung. Auch
1918 war Deutschland besiegt worden - und nur gut 20 Jahre später wurde Paris von deutschen
Truppen eingenommen.
Es galt also, zwei Fragen gleichzeitig zu lösen: Wie konnte der Westen trotz eines teilweisen Rückzugs
amerikanischer Truppen genügend Stärke aufbringen, um gegen die Sowjetunion und eine mögliche
Bedrohung durch sie bestehen zu können, und wie konnte Deutschland in ein solches Konzept
eingebunden werden, ohne seinerseits zur Gefahr für seine Nachbarn zu werden?
Robert Schuman und die Montanunion
Die Antwort gab der französische Außenminister Robert Schuman am 9. Mai 1950, also genau fünf
Jahre nach Kriegsende. Er schlug eine "Montanunion" vor, eine Vereinigung der deutschen und der
französischen Schwerindustrie, an der teilzunehmen andere Staaten ausdrücklich eingeladen waren.
Das Besondere an Schumans Vorschlag (http://www.europa.clio-online.de/Portals/_Europa/
documents/fska/Q_2005_FS7-06.pdf) war die gemeinsame Verwaltung der Kohle- und Stahlindustrie.
Das ging weiter als die üblichen internationalen Vereinbarungen. Hier musste jeder der beteiligten
Staaten ein Stück nationaler Souveränität aufgeben, die dann gemeinsam ausgeübt wurde.
Bereits ein Jahr zuvor, am 5. Mai 1949, hatten zehn europäische Staaten den Europarat gegründet.
Sein Ziel war und ist es, durch die Zusammenarbeit der Staaten zu Frieden, Demokratie und Wohlstand
beizutragen. Aber auf eine Souveränitätsübertragung von den Nationalstaaten auf den Europarat - die
damals durchaus diskutiert wurde - konnte man sich in Straßburg, wo die Institution seit Gründung
ihren Sitz hat, nicht einigen. Die Supranationalität ist bis heute eine Besonderheit der Europäischen
Union, die diese nicht nur vom Europarat, sondern von vielen anderen internationalen Institutionen
unterscheidet.
Kohle und Stahl waren von Schuman keineswegs willkürlich gewählt. Kohle war der zentrale
Energieträger der Zeit, eine Rolle die heute Erdöl und Erdgas zukommt. Stahl stand für die
Schwerindustrie, die wiederum Voraussetzung nicht nur für den Wiederaufbau der kriegszerstörten
Länder, sondern auch für mögliche Rüstungsvorhaben war. Wenn man also die Schwerindustrie
gemeinsam verwaltete, hatte man die Sicherheit, dass ein Partner nicht unbemerkt gegen den anderen
aufrüsten konnte.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
123
Der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer erkannte die Chancen, die im französischen Angebot
lagen. Es bot für Deutschland die Möglichkeit, sich mit dem Westen auszusöhnen und wieder Aufnahme
in die Völkerfamilie zu finden. Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Italien schlossen sich der
Montanunion an, die 1951 als Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) vereinbart wurde
und 1952 in Kraft trat. Ihr Ziel war die Sicherung des Friedens unter den Mitgliedstaaten. Das Instrument,
dieses Ziel zu erreichen, waren Kohle und Stahl.
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und Atomgemeinschaft
Diese beiden Grundlagen des wirtschaftlichen Aufbaus verloren allerdings im Laufe der 1950er-Jahre
an Bedeutung. Öl und im Weiteren auch Erdgas nahmen die Rolle der Kohle als Energieträger ein.
Damit das europäische Projekt nicht mit der Kohle an Wirkung und Bindekraft verlor, wurde die zuvor
auf diesen Bereich (der Schwerindustrie) beschränkte (monosektorale) Integration auf die gesamte
Wirtschaft ausgeweitet. 1957 wurden in Rom die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und
die Europäische Atomgemeinschaft (EAG oder Euratom) gegründet, die zum 1. Januar 1958 ihre Arbeit
aufnahmen. Der Plan, auch eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) zu gründen,
scheiterte indes 1954 am Widerstand der französischen Nationalversammlung.
Die sechs Gründerstaaten der europäischen Integration sahen ihr Vorhaben nicht als geschlossenen
Klub, sondern boten weiteren Staaten an, sich an den neuen Gemeinschaften zu beteiligen. Tatsächlich
nahmen britische Vertreter auch an vorbereitenden Konferenzen teil. Man konnte sich zu diesem
Zeitpunkt allerdings in London noch nicht dazu entschließen, einem Verbund beizutreten, dem man
Souveränität abgeben musste. So waren die Mitglieder der beiden neuen Gemeinschaften dieselben
wie die der Montanunion: Frankreich und Deutschland, Italien, Belgien, die Niederlande und
Luxemburg. Einfach war die Einigung auch unter ihnen nicht gewesen. Vor allem bei der Frage, wie
viel nationale Protektion für die Wirtschaft weiterhin möglich sein sollte, wurde so heftig gestritten,
dass der Vertrag, als er öffentlich unterzeichnet werden sollte, zwar vereinbart, aber noch nicht
ausgefertigt war. Das geschah damals noch mit der Schreibmaschine und war daher vergleichsweise
zeitaufwändig. Die Regierungschefs unterschrieben vor den laufenden Kameras daher einen Stapel
leeren Papiers.
In den 1960er-Jahren änderte sich die britische Haltung und das Vereinigte Königreich beantragte die
Aufnahme in die EWG. Diese wurde allerdings vom französischen Präsidenten Charles de Gaulle
abgelehnt, so dass der britische Beitritt erst nach dem Ausscheiden de Gaulles aus der aktiven Politik
vollzogen werden konnte.
Politik des leeren Stuhls
Auch in einer anderen Frage zeigte Paris sich sperrig. Im EWG-Vertrag war festgelegt, dass man über
Maßnahmen der Agrarpolitik acht Jahre lang einstimmig und anschließend, also ab 1966, mit
qualifizierter Mehrheit entscheiden würde. Frankreich hätte damit in dem für seine Bedürfnisse
wichtigen Bereich überstimmt werden können. Um das zu verhindern, verließen die französischen
Vertreter am 1. Juli 1965 auf Weisung von Präsident de Gaulle den Ministerrat der EWG und blockierten
dessen Arbeit bis Anfang 1966 durch Abwesenheit. Man sprach von der Politik des leeren Stuhls.
Durch den "Luxemburger Kompromiss" wurde diese Krise schließlich beigelegt. Er besagte, dass ein
Land die Mehrheitsentscheidung blockieren könne, wenn "elementare nationale Interessen" berührt
seien. Wann das der Fall sei, entscheide jeder Mitgliedstaat für sich selbst. Der Luxemburger
Kompromiss wurde in den Folgejahren mehrfach von verschiedenen Mitgliedern in Anspruch
genommen. Seit dem Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte 1987 ist dies jedoch nicht mehr
der Fall gewesen.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
124
Erweiterungen und Vertiefungen der europäischen
Integration
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Noch Mitte der 1990er-Jahre bestand die EU aus 15 Staaten, heute sind es 28. Nach den
Kopenhagener Kriterien sind Rechtsstaatlichkeit, Demokratie sowie eine marktwirtschaftliche
Wirtschaftsordnung Grundvoraussetzungen für Beitrittskandidaten.
Im Jahr 2007, mit einer großflächigen Erweiterung des Schengen-Raumes, verschwanden vielerorts die Schlagbäume,
so auch an der österreichisch-ungarischen Grenze. (© picture-alliance/dpa)
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
125
Zollunion und Westerweiterung
1973 kam es zur ersten Vergrößerung der Europäischen Gemeinschaft, der Westerweiterung. Neben
Großbritannien traten auch Irland und Dänemark bei. Die norwegische Regierung wollte ihr Land
ebenfalls in die europäische Integration führen. Allerdings wurde der ausgehandelte und
unterschriebene Beitrittsvertrag von der Bevölkerung abgelehnt - 1995 geschah dieses ein weiteres
Mal.
Bis zur ersten Erweiterung hatten die Europäischen Gemeinschaftenschon einige Entwicklungsschritte
hinter sich gebracht. Als erstes hatte sich die EWG Schaffung einer Zollunion vorgenommen, mit deren
Realisierung man 1959 begann. Dieses Ziel, für das man sich zehn Jahre Zeit lassen wollte, wurde
1968, erreicht. Zollunion hieß: Freier Handel im Inneren der Gemeinschaft und gemeinsame
Außenzölle. 1967 wurden die drei bis dahin selbstständigen Gemeinschaften zur Europäischen
Gemeinschaft (EG) zusammengelegt und mit gemeinsamen Institutionen ausgestattet. Seitdem gibt
es die Europäische Kommission, den Rat der Europäischen Union und ein Europäisches Parlament.
Der EGKS-Vertrag ("Montanunion") war übrigens der einzige, der zeitlich befristet war. Er hatte eine
Laufzeit von 50 Jahren und endete 2002. Seine Regelungen wurden in den EG-Vertrag übernommen,
der die Bestimmungen für EWG und EAG zusammenfasste. Seit dem Inkrafttreten des Lissabonner
Vertrags 2009 ist das Vertragswerk neu strukturiert und besteht aus dem EU-Vertrag (EUV) sowie dem
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).
Als erste gemeinschaftliche Politik wurde die Agrarpolitik entwickelt, was mit den Hungererfahrungen
des Krieges und der Nachkriegszeit genauso zu tun hatte wie mit der Bedeutung, die der Landwirtschaft
in den EG-Ländern nach wie vor zukam, vor allem in Frankreich.
Krise und Süderweiterung
Nach der Westerweiterung 1973 kam die EG ein wenig in die Sinnkrise. Man wusste nicht so recht,
wie es mit der europäischen Integration weitergehen sollte. Dies erklärt sich daraus, dass es für die
EG keine Blaupause gab, die die weiteren Entwicklungsschritte vorzeichnete, sondern dass die
Gemeinschaft sich in einer Weise entwickelte und bis heute entwickelt, die "Methode Monnet" genannt
wird. Jean Monnet (1888 - 1979) war einer der Gründer und Vordenker der europäischen Integration
und stand von 1952 bis 1954 in der Montanunion der Hohen Behörde vor, die später zur Europäischen
Kommission wurde. Mit der Monnet-Methode ist gemeint: Die EU entwickelt sich immer dort weiter,
wo es gerade möglich ist und wo man auf Herausforderungen reagieren muss.
Eine neue Aufgabe stellte sich der Gemeinschaft in den 1970er-Jahren durch die Entwicklungen in
Südeuropa. Griechenland, Portugal und Spanien hatten - durch eine Revolution oder schrittweise ihre Diktaturen überwunden, waren aber von politischer und wirtschaftlicher Stabilität weit entfernt.
Die Europäische Gemeinschaft sah eine wichtige Aufgabe darin, sie in das europäische Geflecht
einzubinden, was sie durch die Süderweiterung der Jahre 1981 (Beitritt Griechenlands) bzw. 1986
(Beitritt Spaniens und Portugals) tat.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
126
Binnenmarkt, Ende des Ost-West-Konfliktes und Norderweiterung
Neuen Schwung erhielt die europäische Integration durch die Einheitliche Europäische Akte, eine
Revision der Gründungsverträge, die 1987 in Kraft trat. Mit ihr wurde der Europäische Binnenmarkt
geschaffen, der seit 1993 offiziell besteht und bis heute schrittweise ausgeweitet wurde. Der
Binnenmarkt ist gegenüber einer Zollunion ein wesentlicher Schritt zu mehr Gemeinsamkeit. In ihm
werden die vier Freiheiten verwirklicht. Kurz gesagt: Jeder kann innerhalb der Gemeinschaft einkaufen,
Dienstleistungen beziehen oder anbieten, arbeiten und investieren, wo er will. Durch das
Binnenmarktprojekt, das wesentlich auf den damaligen Präsidenten der Europäischen Kommission,
Jacques Delors, zurückgeht, wurde die Europäische Gemeinschaft enger zusammengeführt.
Noch während die Europäische Gemeinschaft damit beschäftigt war, die Voraussetzungen für die
Schaffung des Binnenmarkts herzustellen, änderten sich die politischen Verhältnisse in Europa
grundlegend. In Polen zwang die Solidarnosc-Bewegung die herrschende kommunistische Partei in
die Knie und setztefür den Juni 1989 Wahlen durch, die zwar noch nicht vollständig demokratischen
Standards entsprachen, aber zum ersten Mal eine Opposition ins Parlament brachten.
Im Mai 1989 zerschnitten österreichische und ungarische Politiker öffentlichkeitswirksam den Eisernen
Vorhang, in diesem Fall den Metallzaun an der Grenze der beiden Länder zueinander. Daraufhin setzte
eine Massenflucht von DDR-Bürgern über Ungarn in den Westen ein. Am 9. November 1989 fiel dann
in Berlin die Mauer, die die Stadt und die beiden deutschen Staaten seit 1961 getrennt hatte. Die
baltischen Staaten, bislang gegen ihren Willen Teil der Sowjetunion, erklärten 1990 ihre Unabhängigkeit
und widerstanden Anfang 1991 einem Versuch der Sowjetunion, das Rad der Geschichte mit Gewalt
zurückzudrehen. Im Dezember 1991 schließlich löste sich die Sowjetunion auf. Die nunmehr
selbstständigen Staaten bildeten die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), die jedoch nicht
mehr war als ein Auffangbecken, um die unmittelbaren Transformationsfolgen abzufedern. Die
baltischen Staaten gehörten der GUS nie an, sie wussten, wohin sie wollten: in die NATO und in die EU.
Mit dem Wegfall des Ost-West-Konflikts war auch der Weg für die bislang neutralen Staaten Österreich, Finnland und Schweden - in die Gemeinschaft frei. Ihr Beitritt 1995 wird als Norderweiterung
bezeichnet.
Währungsunion und Osterweiterung
Bereits 1993 war der Maastrichter Vertrag in Kraft getreten. Er war nach der Einheitlichen Europäischen
Akte die zweite Reform der Gründungsverträge. Das Wichtigste, was dieser Vertrag regelt, ist sicherlich
die Währungsunion, also die Einführung des Euro, die dann 1999 Wirklichkeit wurde. Mit dem Vertrag
von Maastricht wurde auch die Europäische Union geschaffen: als das gemeinsame Dach für die
Europäische Gemeinschaft, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die ebenfalls durch
Maastricht ins Leben gerufen wurde, sowie die Rechts- und Innenpolitik der Union. 2009 sind diese
sogenannten drei Säulen durch den Lissabonner Vertrag genauso wie die Europäischen
Gemeinschaften in der Europäischen Union aufgegangen.
Mitte der 1990er-Jahre bestand die Europäische Union aus 15 Staaten, bildete einen Binnenmarkt,
entwickelte eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und nahm Kurs auf eine
Gemeinschaftswährung. Aber die nächste große Herausforderung stand ihr bereits bevor: Viele
europäische Staaten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, der Vorherrschaft der Sowjetunion entronnen,
strebten die Mitgliedschaft in der EU an.
Die Europäische Union, ursprünglich Europäische Gemeinschaft, war immer auf das gesamte Europa
angelegt. Deshalb war es für die EU auch keine Frage, mit der neuen Situation entsprechend ihren
Grundsätzen umzugehen. Sie signalisierte den mittel- und osteuropäischen Staaten, dass sie
willkommen seien, und legte Bewertungsmaßstäbe fest, an denen die Kandidaten sich messen lassen
mussten. Da der entsprechende Beschluss des Europäischen Rates 1993 in der dänischen Hauptstadt
gefällt wurde, spricht man seitdem von den Kopenhagener Kriterien. Sie legen fest, dass ein Staat nur
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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in die EU aufgenommen werden kann, wenn er rechtsstaatlich und demokratisch verfasst ist, wenn
seine Wirtschaftsordnung marktwirtschaftlich und in der Lage ist, dem Druck der EU-Marktkräfte stand
zu halten, und wenn darüber hinaus die Bereitschaft und Fähigkeit besteht, das Gemeinschaftsrecht
der EU (den sogenannten Acquis Communautaire) zu übernehmen und anzuwenden.
Die Voraussetzung, überhaupt Verhandlungen über den Beitritt aufzunehmen, ist die Erfüllung des
politischen Kriteriums: Mit einem Land, das nicht eindeutig demokratisch ist, redet die EU nicht über
eine eventuelle Mitgliedschaft.In den Verhandlungen geht es ausschließlich um die Frage, wie schnell
die Regelungen akzeptiert und implementiert werden. Es wird lediglich über Übergangszeiten
verhandelt, nicht über die Substanz der Verträge selbst.
1997 nahm die EU mit sechs Staaten (Polen, Tschechien, Estland, Ungarn, Slowenien und Zypern)
Gespräche auf, 1999 mit sechs weiteren Ländern (Slowakei, Lettland, Litauen, Malta, Bulgarien und
Rumänien). Im Jahr 2004 kam es dann zur großen Osterweiterung, alle Kandidaten wurden in die EU
aufgenommen. Lediglich bei Rumänien und Bulgarien verzögerte sich der Beitritt noch bis 2007.
2013 setzte sich der Erweiterungsprozess durch die Aufnahme Kroatiens fort.
Zukünftige Erweiterungen
Begonnen hatten die Verhandlungen mit Kroatien im Jahr 2005, genau wie die Gespräche mit der
Türkei, die sich allerdings schwierig und zäh gestalten. Island, das der Europäischen Union schon
durch den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sowie die Zugehörigkeit zur Schengen-Zone
verbunden ist, führte Gespräche über seine Mitgliedschaft, hat diese jedoch nach einem
Regierungswechsel 2013 ausgesetzt und will sie 2014 vollständig abbrechen.
Die Republik Mazedonien ist offiziell Kandidat auf die Mitgliedschaft, allerdings wird über den Beitritt
noch nicht verhandelt. Griechenland, das einen bilateralen Streit mit Mazedonien über dessen
Staatsnamen führt, hat die Aufnahme der Gespräche bislang blockiert. Mit Montenegro und Serbien
hingegen haben die Verhandlungen begonnen.
Auch Albanien hat seine Mitgliedschaft bereits beantragt. Grundsätzlich hat das Land - genau wie
Bosnien-Herzegowina - eine Beitrittsperspektive, die EU spricht daher von den "potenziellen
Kandidaten". Dies gilt im Prinzip auch für Kosovo, das allerdings bislang von fünf EU-Staaten
völkerrechtlich nicht anerkannt worden ist.
Darüber hinaus haben weitere Staaten, vor allem die Ukraine, die Republik Moldau und Georgien,
Interesse an einer EU-Mitgliedschaft geäußert - allerdings ohne sich auf Beitrittszusagen der EU
berufen zu können.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Entwicklung der Integration
24.9.2009
Nach über 55 Jahren Entwicklung präsentiert die EU sich als eine Institution, die sich sowohl
stark erweitert als auch ihre Integration wesentlich vertieft hat. Ihre Politiken greifen heute in
das alltägliche Leben aller EU-Bürger ein.
Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bu8ndeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc
by-nc-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/LXUEBQ.pdf)
Die erste Europäische Gemeinschaft war die für Kohle und Stahl (EGKS), die 1952 von sechs Staaten
gegründet wurde. Inhalt der Vereinbarungen war die gemeinschaftliche Bewirtschaftung von Energie
und Grundstoffen, das Ziel des EGKS-Vertrags war jedoch die Sicherung des Friedens unter den
Mitgliedstaaten, speziell zwischen Deutschland und Frankreich. Als sich abzeichnete, dass Kohle und
Stahl ihre Bindewirkung wegen neuer Energieträger und neuer Materialien einbüßen, wurde die bis
dahin monosektorale Integration auf die gesamte Wirtschaft ausgeweitet (Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft, EWG) und die neue, noch weitgehend unentwickelte Energiequelle
Atomkraft einbezogen (Europäische Atomgemeinschaft, EAG). Die Verträge für diese beiden
Gemeinschaften wurden 1957 in Rom unterzeichnet ("Römische Verträge") und traten 1958 in Kraft.
Ihr nächstes Ziel, eine Zollunion, erreichte die Europäische Gemeinschaft 1968 sogar ein Jahr früher
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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als geplant, dann trat allerdings eine gewisse Stagnation ein, die nur durch den Beitritt weiterer
Mitglieder (1973: Großbritannien, Irland, Dänemark, 1981: Griechenland, 1986: Spanien,Portugal)
unterbrochen wurde.
Den nächsten Integrationsfortschritt erzielte die Gemeinschaft durch die Einheitliche Europäische Akte
1987, mit der bis 1993 der Binnenmarkt geschaffen wurde, der heute das Herzstück der Europäischen
Union ist. Mit den Staaten Westeuropas, die sich der Europäischen Gemeinschaft nicht anschließen
wollten, vereinbarte die EG ein 1993 in Kraft getretenes Abkommen über den Europäischen
Wirtschaftsraum (EWR), durch den die Binnenmarktregeln auf die Staaten der Europäischen
Freihandelszone EFTA ausgeweitet wurden. In der Schweiz wurde der EWR-Vertrag von der
Bevölkerung abgelehnt, die anderen EFTA-Staaten Liechtenstein, Island und Norwegen, dessen
Bevölkerung 1973 den EG-Beitritt verworfen hatte, sind seitdem de facto wirtschaftlich Mitglieder der
EU. Lediglich Teile des Agrarmarktes sind aus der Vereinbarung ausgenommen, nicht aber
beispielsweise die Freizügigkeit.
Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Berliner Mauer 1989 und der Auflösung der Sowjetunion
1991 bekam die europäische Integration eine neue Dynamik. Um die Bindungen im größer werdenden
Europa zu festigen, wurde mit dem Vertrag von Maastricht die Europäische Union geschaffen, indem
die Europäische Gemeinschaft durch die Politikbereiche Innere und Justizangelegenheiten sowie
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ergänzt wurde. Außerdem wurde die Wirtschafts- und
Währungsunion beschlossen, als deren Folge in der EU 1999 der Euro als gemeinsame Währung
eingeführt wurde. Zudem wurde die EU mit einer großen Zahl von Beitrittsbewerbern konfrontiert. Als
erstes beantragten die bis dahin neutralen Staaten Österreich, Schweden, Finnland und erneut
Norwegen die Mitgliedschaft, die ihnen 1995 gewährt wurde. Nur Norwegen trat der EU nach einem
wiederum negativen Referendum nicht bei. 2004 folgten dann acht mittel- und osteuropäische Staaten
sowie die Mittelmeerinseln Malta und Zypern und seit 2007 gehören auch Rumänien und Bulgarien
der EU an.
Mehrere Versuche einer institutionellen Reform (durch den Amsterdamer Vertrag 1999, den Vertrag
von Nizza 2003 und den gescheiterten Verfassungsentwurf 2005) waren nicht von Erfolg gekrönt. Auch
der Lissabonner Vertrag, der den vierten Versuch der institutionellen Neuorientierung darstellt, wurde
2008 von der irischen Bevölkerung abgelehnt, in einem zweiten Referendum im Oktober 2009 jedoch
gebilligt, so dass er nun Anfang 2010 in Kraft treten kann.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Versuche der institutionellen Reform
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Nach drei gescheiterten Reformversuchen ist am 1. Dezember 2009 der Lissabonner Vertrag
in Kraft getreten ist. Durch die Erweiterungen der letzten Jahre war eine institutionelle Reform
notwendig geworden.
Dass eine vergrößerte Europäische Union auch ihre Strukturen ändern muss, um funktionieren zu
können, war schon vor der Erweiterung des Jahres 1995 klar, als die EU auf 15 Mitglieder anwuchs.
Eine Gemeinschaft mit sechs Mitgliedern, deren Chefs noch um einen Esstisch sitzen konnten, kann
anders geführt werden als eine Union mit 15, 25 oder 28 Mitgliedern. Allerdings gelang es den
Mitgliedstaaten nicht, sich auf neue Verfahrensweisen zu einigen. Der Amsterdamer Vertrag, der 1999
in Kraft trat, brachte zwar Verbesserungen in der Rechts- und Innenpolitik und stärkte die Rechte des
Europäischen Parlaments, die institutionelle Reform bewerkstelligte er jedoch nicht.
Damit war auch der Versuch gescheitert, die durch den Vertrag von Maastricht geschaffene
Währungsunion mit einem politischen Fundament zu versehen. Ursprünglich wurde die Konferenz,
die dann 1997 in Amsterdam stattfand, „Maastricht II“ genannt, um den Zusammenhang zwischen
Wirtschafts- und Währungsunion einerseits und Politischer Union andererseits deutlich zu machen
Versuchte Reform: Vertrag von Nizza
Kurz darauf, Ende 2000, wollten die Staats- und Regierungschefs der EU in Nizza den gordischen
Knoten durchschlagen. Man einigte sich darauf, dass eine Veränderung der Funktionsweise der EU
die Voraussetzung für die anstehende Osterweiterung sei. Aber dennoch gelang es nicht, neue
Strukturen zu schaffen. Zwar erklärten die Staats- und Regierungschefs, mit dem Vertrag von Nizza
seien die Voraussetzung für die Erweiterung erfüllt, es war jedoch auch den Beteiligten klar, dass das
nicht stimmte, weil es zu keiner grundlegenden Reform gekommen war.
Scheitern des Verfassungsvertrags
Schon ein Jahr nach der Konferenz von Nizza und bevor der dort beschlossene Vertrag überhaupt in
Kraft trat, legte der Europäische Rat daher fest, die EU müsse demokratischer, transparenter und
effektiver werden. Diese "Erklärung von Laeken" (http://ue.eu.int/ueDocs/cms_Data/docs/pressdata/
de/ec/68829.pdf) aus dem Jahr 2001 war der Startschuss für die Einberufung eines Konvents. Er
bestand aus nationalen Abgeordneten und Europaparlamentariern, aus Regierungsvertretern und
Repräsentanten der Europäischen Kommission, die sich alle gemeinsam auf einen Entwurf für eine
Europäische Verfassung (http://eur-lex.europa.eu/JOHtml.do?uri=OJ:C:2004:310:SOM:DE:HTML)
einigten, der im Jahr 2004 feierlich unterzeichnet wurde.
Der Verfassungsvertrag war fester Bestandteil der zu dieser Zeit noch laufenden Beitrittsverhandlungen
mit Bulgarien und Rumänien und musste in allen 25 Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Er scheiterte
jedoch 2005 in Frankreich und in den Niederlanden an Volksabstimmungen. In Spanien und Luxemburg
waren die Referenden zuvor positiv ausgegangen. Dennoch war der Verfassungsentwurf - und somit
der dritte Versuch einer institutionellen Reform - mit dem französischen und niederländischen Votum
gescheitert.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
131
Zustimmung im zweiten Anlauf: Vertrag von Lissabon
Nach einer Zeit der Ratlosigkeit, im politischen Jargon "Reflexionsphase" genannt, nahm die deutsche
EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 die Fäden wieder auf. Man einigte sich auf einen
neuen Vertrag, der schließlich in der zweiten Jahreshälfte in Lissabon unterzeichnet wurde.
Mit dem Lissabonner Vertrag (http://eur-lex.europa.eu/JOHtml.do?uri=OJ:C:2008:115:SOM:DE:
HTML) wurden die meisten Reformen des Verfassungsvertrages beibehalten. So hat das Europäische
Parlament mehr Kompetenzen erhalten und ist zum gleichberechtigten Gesetzgeber (neben dem Rat
der Europäischen Union, das Gremium der Fachminister) geworden. Der Einfluss der nationalen
Parlamente auf den europäischen Entscheidungsprozess wurde ebenfalls gestärkt. Der Europäische
Rat, das Gremium der Staats- und Regierungschefs, wird von einem Präsidenten für mindestens 2 ½
Jahre geführt. Die bisherige Rotation im Präsidentenamt, die alle sechs Monate eine andere
Persönlichkeit an die Spitze des Europäischen Rates brachte, ist aufgehoben.
Erster Präsident des Europäischen Rates wurde der Belgier Herman Van Rompuy. Für die Gestaltung
und Vertretung der Außenpolitik der Europäischen Union ist das Amt eines Hohen Vertreters geschaffen
worden, der sowohl Vorsitzender des Außenminister-Rates der EU als auch Vizepräsident der
Europäischen Kommission ist. Er soll die Kompetenzen der EU im auswärtigen Handeln bündeln. Als
erste wurde die Britin Catherine Ashton in das Amt berufen. Ihr wurde ein Europäischer Auswärtiger
Dienst, also gewissermaßen ein Außenministerium, zur Seite gestellt. Mit diesen Reformen soll
gewährleistet werden, dass die EU auch mit 28 Staaten noch funktioniert.
Der Lissabonner Vertrag ist am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten, nachdem er von allen
Mitgliedstaaten ratifiziert worden war. Vor allem in Irland gestaltete sich diese Billigung schwierig. Die
Bevölkerung hatte den Vertrag in einem Referendum im Juni 2008 abgelehnt. Erst eine erneute
Volksabstimmung im Oktober 2009 brachte die irische Zustimmung.
Die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Verfassungsentwurf von 2004 und dem Lissabonner
Vertrag liegen zum einen darin, dass die Verfassung die rechtlichen Regelungen, das sogenannte
Primärrecht, in einem Dokument zusammengefasst hätte, während der Lissabonner Vertrag zwei
Dokumente - den Vertrag über die Europäische Union (EUV) und den Vertrag über die Arbeitsweise
der Europäischen Union (AEUV) - geschaffen hat. Zum anderen sind alle Bestimmungen beseitigt
worden, die den Eindruck erwecken könnten, bei der EU handele es sich um einen Staat. So enthält
der Vertrag keine Bestimmung mehr über die Flagge oder die Hymne der EU (obwohl es beides
weiterhin gibt) und der "Europäische Außenminister" heißt jetzt Hoher Vertreter der Union für Außenund Sicherheitspolitik.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
132
Der Lissabonner Vertrag auf einen Blick
24.9.2009
Durch den Vertrag von Lissabon wurde die Europäische Union institutionell reformiert. Das
Ziel des Vertrages ist es, die EU demokratischer, transparenter und effizienter zu machen. Am
1. Dezember 2009 trat der Lissabonner Vertrag in Kraft.
Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/634ZGY.pdf)
Durch den Vertrag von Lissabon wurde die Europäische Union institutionell reformiert. Das Ziel des
Vertrages ist es, die EU demokratischer, transparenter und effizienter zu machen. Der Vertrag ist seit
dem 1. Dezember 2009 in Kraft.
Schon vor der Erweiterung der Europäischen Union von 12 auf 15 Mitglieder Mitte der 1990er Jahre
war klar, dass die EU sich einer institutionellen Reform unterziehen muss, um auch mit einer größeren
Mitgliederzahl handlungsfähig zu bleiben. Da institutionelle Fragen jedoch Machtfragen sind, ist es
weder durch den Vertrag von Amsterdam (1999 in Kraft getreten), noch durch den Vertrag von Nizza
(seit 2003 gültig) gelungen, das Institutionengefüge der EU zu modernisieren. Ein weiterer Versuch,
der Verfassungsvertrag, scheiterte im Jahr 2005 an negativen Referenden in den Niederlanden und
in Frankreich. Der Lissabonner Vertrag ist nun der vierte Versuch, diese Aufgabe zu bewältigen. Auch
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
133
seine Ratifizierung gestaltete sich nicht einfach, vor allem nachdem die Iren in einem ersten
Referendum 2008 den Vertrag abgelehnt hatten. 2009 stimmten sie in einer zweiten Volksabstimmung
für den Vertrag, sodass der Vertrag in Kraft treten konnte.
In Deutschland war der Lissabonner Vertrag Gegenstand mehrerer Verfassungsklagen, die im Juni
2009 vom Bundesverfassungsgericht entschieden wurden. Das höchste deutsche Gericht hat den
Vertrag für verfassungsgemäß erklärt, gleichzeitig aber die Machtverteilung zwischen Bundestag und
Bundesregierung kritisiert und mehr Mitsprache für das Parlament gefordert. Dem wurde durch eine
Veränderung der Begleitgesetze zur Ratifizierung entsprochen.
Durch den Lissabonner Vertrag vergrößert sich der Einfluss des Europäischen Parlaments, das
(außer auf dem Feld der Außenpolitik) zu einem neben dem Rat der Europäischen Union
gleichberechtigten Gesetzgeber wird (sog. Mitentscheidung). Auch die nationalen Parlamente
erhalten mehr Einfluss. Sie werden früher über Vorschläge der Europäischen Kommission informiert
und können diese schon während des Gesetzgebungsverfahrens zurückweisen, wenn sie den
Grundsatz der Subsidiarität verletzt sehen.
Entscheidungen im Rat der Europäischen Union werden ab 2014 bzw. nach dem Auslaufen von
Übergangsregelungen ab 2017 mit doppelter Mehrheit getroffen. Das bedeutet, dass jede
Entscheidung der Zustimmung einer Mehrheit der Staaten (55 Prozent) bedarf, die gleichzeitig eine
Mehrheit der Bevölkerung von 65 Prozent repräsentieren müssen.
Erstmals wird ein Europäisches Bürgerbegehren eingeführt, mit dem 1 Mio. Menschen aus
verschiedenen Mitgliedstaaten die Europäische Kommission zwingen kann, sich mit einem Thema zu
beschäftigen und einen Rechtsakt vorzuschlagen.
Die Kompetenzen zwischen EU und Mitgliedstaaten werden klarer und nachvollziehbarer geteilt.
Sitzungen des Rates der Europäischen Union werden öffentlich sein, wenn der Rat gesetzliche
Regelungen beschließt.
Die halbjährliche Rotation der Präsidentschaft wird auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs
("Europäischer Rat") sowie der Außenminister abgeschafft. Der Europäische Rat wählt für 2 ½ Jahre
eine Präsidentin oder einen Präsidenten. Den Vorsitz im Außenministerrat führt der Hohe Vertreter
für die Außen- und Sicherheitspolitik, der zugleich Vizepräsident der Europäischen Kommission ist
und über einen eigenen Europäischen Auswärtigen Dienst verfügt.
Die Zahl der Politikbereiche, in denen die Mitglieder des Rates Mehrheitsentscheidungen treffen
und nicht einstimmig entscheiden, wird ausgeweitet.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
134
Internet-Links und weiterführende Literatur
Von Eckart D. Stratenschulte
20.10.2010
Hier finden Sie Internet-Links und weiterführende Literatur zum bpb-Dossier: Die Europäische
Union: "Wie fing das an mit der EU?".
Internet-Links
europa.eu (Geschichtsseite des EU-Servers) (http://europa.eu/abc/history/index_de.htm)
eiz-niedersachsen.de (Informationen des Europäischen Informationszentrums Niedersachsen, EIZ)
(http://www.eiz-niedersachsen.de/799.html)
zukunfteuropa.at (Internetseite des Österreichischen Bundeskanzleramtes) (http://www.zukunfteuropa.
at/site/4664/default.aspx)
Weiterführende Literatur
Gerhard Brunn, Die Europäische Einigung von 1945 bis heute, Schriftenreihe der Bundeszentrale für
politische Bildung, Band 472, Bonn 2006 bzw. in der 3.überarb. u. aktual. Auflage Stuttgart: Reclam
Verlag 2009.
Jürgen Elvert, Die europäische Integration, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006.
Europäische Union, Informationen zur politischen Bildung, Heft 279, Bonn: Bundeszentrale für
politische Bildung 2006.
Kurt Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung, Schriftenreihe der Bundeszentrale für
politische Bildung, Band 485, überarb. Neuaufl. Bonn 2005.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
135
Wie geht es weiter mit der EU?
20.10.2010
Mit dem Lissabonner Vertrag ist die institutionelle Reform der Europäischen Union auf absehbare Zeit
abgeschlossen. Die größte Herausforderung, vor der die Union steht, ist die Bewältigung der
Finanzkrise durch die Mitgliedstaaten sowie die Abwehr der Gefahren für den Euro. In der Bevölkerung
gibt es hohe Erwartungen an eine koordinierende und korrigierende Rolle der EU, andererseits aber
auch Misstrauen gegen "zu viel Europa". Eine wichtige Aufgabe der EU wird sein, überzogene
Erwartungen und zu großes Misstrauen zu dämpfen und die Zustimmung der Bürger zur europäischen
Integration zu erhalten. Hierzu kann auch ein stärkeres gemeinsames Auftreten der EU und ihrer
Mitgliedstaaten in internationalen Angelegenheiten beitragen.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
136
Überblick
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Um ihre Geschichte erfolgreich fortzusetzen, muss die Europäische Union ganz aktuelle
Herausforderungen meistern. Sie muss unter anderem das funktionierende Zusammenspiel
innerhalb der EU gewährleisten, die Eurokrise politisch und finanziell bewältigen, den
Wohlstand und sozialen Schutz erhalten, aber auch die sogenannten Westbalkan-Länder
integrieren.
Die Europäische Union hat in den gut sechs Jahrzehnten ihrer Existenz viel erreicht. Sie ist zweifellos
die Erfolgsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Im 21. Jahrhundert steht sie allerdings vor neuen
Herausforderungen. Dabei handelt es sich um Aufgaben auf verschiedenen Feldern:
•
Es muss der EU gelingen, mit den neuen Strukturen des Lissabonner Vertrags zu arbeiten und
das Zusammenspiel der derzeit 28 Mitgliedstaaten zu verbessern. Dazu gehört auch, das
Vertrauen zueinander und die Verlässlichkeit untereinander im Hinblick auf gemeinsam getroffene
Regelungen zu stärken. Gerade in der Eurokrise hat sich gezeigt, wie schnell längst überwunden
geglaubte Vorurteile gegeneinander aktiviert werden können und wie sehr die Gemeinschaft
darunter leidet, wenn die Partner sich nicht an die Absprachen halten.
•
Die gemeinsame Währung Euro, deren Währungsraum seit dem 1. Januar 2014 insgesamt 18
Mitgliedstaaten angehören, ist vor allem deshalb in Schwierigkeiten geraten, weil die meisten
Mitglieder sich nicht an die gemeinsam vereinbarten Schuldenregeln gehalten haben. Die
Sicherung des Euro und der Zusammenhalt des Euroraums bleibt daher eine große
Herausforderung.
•
Die veränderte Situation der Weltwirtschaft - z.B. durch das Erstarken der asiatischen und
südamerikanischen Volkswirtschaften - stellt neue Anforderungen an die EU, deren wirtschaftliche
Bedeutung langfristig herausgefordert wird und deren Bevölkerung rasch altert. Es gibt zudem
weltweit eine wesentlich stärkere Konkurrenz um die knapper werdenden Energieressourcen.
Dennoch den Wohlstand und damit auch den sozialen Frieden zu erhalten, ist eine zentrale
Aufgabe der EU. Sie hat sich dafür das Programm "Europa 2020" gegeben, dessen Umsetzung
allerdings große Anstrengungen von allen Mitgliedstaaten verlangt.
•
Die Distanz, die große Teile der Bevölkerung in den Mitgliedsländern zur Europäischen Union
haben und die durch die Turbulenzen um den Euro nicht gerade geringer geworden ist, könnte
dazu führen, dass die EU die Akzeptanz ihrer eigenen Bevölkerung verliert. Zum ersten Mal wird
in einem Mitgliedsland, nämlich in Großbritannien, ernsthaft über den Austritt aus der EU diskutiert.
•
Umweltverschmutzung und -zerstörung sind keine lokal eingrenzbaren Phänomene, sondern
können nur in Kooperation der Weltgemeinschaft bekämpft werden, wie gerade beim Thema
Klimawandel deutlich wird. Die EU muss hier ihre Vorreiterrolle zurückgewinnen, ohne ihre eigene
wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit zu gefährden. Dabei muss sie auch ihre inneren Differenzen
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
137
bewältigen, um in den internationalen Foren mit einer Stimme sprechen zu können.
•
Es gibt eine Reihe von Kandidaten und Interessenten für die Mitgliedschaft in der Europäischen
Union, die die EU auch im eigenen Interesse nicht einfach zurückweisen kann. Mit der Türkei wird
seit 2005 um den Beitritt verhandelt, ohne dass es bislang zu einem Durchbruch gekommen ist.
Es entsteht der Eindruck, dass beide Seiten keine wirkliche Bereitschaft mehr zeigen, aufeinander
zuzugehen. Für die Befriedung des westlichen Balkans ist es wichtig, die Beitrittsperspektive, die
2013 für Kroatien eingelöste wurde, aufrecht zu erhalten. Auch für die Länder der östlichen
Nachbarschaft muss die EU ein glaubwürdiges und attraktives Angebot entwickeln. Wie wichtig
das ist, haben die Ereignisse Ende 2013/Anfang 2014 in der Ukraine gezeigt.
•
Terrorismus und Organisierte Kriminalität machen an Staatsgrenzen nicht halt und können nur
gemeinsam bekämpft werden.
•
Die EU muss, auch vor dem Hintergrund ihrer eigenen demografischen Entwicklung, einen Weg
finden, nicht nur legale Einwanderung zuzulassen, sondern gleichzeitig auch eine
Willkommenskultur zu entwickeln, um für Immigranten attraktiv zu sein. Andererseits muss sie
sich bemühen, die irreguläre Immigration einzuschränken, was nicht nur mit Drahtzäunen und
Patrouillenbooten, sondern nur durch eine weitsichtige Politik gegenüber den Herkunftsländern
möglich sein wird.
•
Die EU ist als eine der größten Handelsmächte der Welt gemeinsam mit den Mitgliedstaaten auch
größter Geber von Entwicklungshilfe in der Welt und muss daher eine stärkere Rolle in der
internationalen Politik spielen. Zu diesem Zweck muss sie ihre eigenen Instrumentarien effektiver
gestalten. Der Lissabonner Vertrag schafft hierfür einige Voraussetzungen, die allerdings auch
realisiert werden müssen. Das bedeutet: Das außenpolitische Auftreten der Europäischen Union
muss verbessert und der Europäische Auswärtige Dienst funktionsfähiger werden. Beides wird
nur gelingen, wenn die Mitgliedstaaten sich bemühen, mit einer Stimme zu sprechen.
•
Während sich die Themen hier einzeln auflisten und darstellen lassen, hängen sie in der
tatsächlichen Politik eng miteinander zusammen. Scheitert die EU daran, Wohlstand und sozialen
Schutz zu erhalten, wirkt sich das auf die Einstellung der Bevölkerung aus. Genau dasselbe kann
passieren, wenn die EU keine politischen Ergebnisse vorlegen kann, weil das interne
Zusammenspiel nicht funktioniert. Die Nachbarländer, um deren Annäherung an die EU gerungen
und gestritten wird, sind gleichzeitig wichtige Energielieferanten oder zumindest
Energietransitländer. Wenn es zudem nicht gelingt, die sogenannten Westbalkan-Länder zu
stabilisieren und zu integrieren, kann das unmittelbare Auswirkungen auf Deutschland und andere
EU-Staaten haben, z.B. im Hinblick auf die Sicherheit oder die Sozialsysteme. Die Europäische
Union kann also keinen der genannten Punkte aus dem Blick verlieren oder "nach hinten schieben
", da damit das gesamte System in Mitleidenschaft gezogen würde.
Um die einzelnen Aspekte besser betrachten zu können, sollen sie nachfolgend dennoch getrennt
dargestellt werden.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
138
Die Akzeptanz der Bevölkerung
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Die größte Gefahr für die Europäische Union besteht darin, dass sie die Akzeptanz ihrer
Bürgerinnen und Bürger verliert – und die Stimmung ist schlecht. Aber anders als
Rechtspopulisten die Öffentlichkeit gerne glauben machen wollen, wünscht die Mehrheit der
Menschen in der EU nicht einen Weg zurück in nationalstaatliche Lösungen.
Vor dem griechischen Parlament protestieren am 12. Februar 2012 Demonstranten. (© picture-alliance, abaca)
Regelmäßig zweimal im Jahr lässt die Europäische Kommission die Meinung der Bürgerinnen und
Bürger in der EU in einer breiten Meinungsumfrage ("Eurobarometer“) erheben. Hier zeigt sich ein
widersprüchliches Bild. Auf der einen Seite war das Vertrauen in die europäischen Institutionen nie so
gering wie zum Zeitpunkt der letzten Umfrage im Dezember 2013 (http://ec.europa.eu/public_opinion/
archives/eb/eb80/eb80_first_de.pdf): Nur 31 Prozent der Befragten erklärten, dass sie den EUInstitutionen noch Vertrauen entgegen bringen. Auf der anderen Seite ist das Vertrauen in die
Institutionen der EU höher als in die nationalen Regierungen und Parlamente. Die Menschen in der
EU stehen also derzeit generell den handelnden Institutionen der Politik skeptisch gegenüber.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
139
Bürger wünschen europäische Lösungen
Generell schauen die Menschen in der EU mit Sorge in die Zukunft. Als Hauptprobleme sehen sie die
wirtschaftliche Lage (45 Prozent geben dies an), die Arbeitslosigkeit (36 Prozent) und die Lage der
öffentlichen Finanzen (26 Prozent), gefolgt von Einwanderung (16 Prozent), steigenden Preisen (12
Prozent) und Kriminalität (8 Prozent). Jeweils fast ein Drittel der Befragten gibt an, dass sich die
wirtschaftliche Lage ihres Landes sowie der EU insgesamt in den nächsten zwölf Monaten
verschlechtern wird (30 bzw. 27 Prozent), auch wenn sie ihre persönlichen Perspektiven positiver
sehen. Änderungen zum Besseren können nach Auffassung der Befragten von der EU (22 Prozent)
oder vom eigenen Staat (ebenfalls 22 Prozent) kommen.
An der EU sehen die Menschen vor allem die Freizügigkeit (57 Prozent) und den Frieden zwischen
den Mitgliedstaaten (53 Prozent) als positive Errungenschaften, gefolgt vom Euro (25 Prozent), dem
Studentenaustauschprogramm "Erasmus“ (23 Prozent) und der Wirtschaftskraft der EU (20 Prozent).
Fragt man nach der Politik der EU im Rahmen des Programms "Europa 2020“, mit dem die europäische
Wettbewerbsfähigkeit erhöht werden soll, sind die Antworten positiv. Alle sieben Initiativen dieses
Programms erhalten die Zustimmung von mindestens 50 Prozent der Befragten. Spitzenreiter mit 81
Prozent Zustimmung ist die Zielsetzung "Unterstützung von Menschen, die von Armut und sozialer
Ausgrenzung betroffen sind, und ihnen die Möglichkeit geben, aktiv an der Gesellschaft teilzuhaben“.
Eine Mehrheit der EU-Bürger (52 Prozent) befürwortet die Wirtschafts- und Währungsunion mit der
gemeinsamen Währung Euro (in Deutschland sind das sogar 71 Prozent), und 43 Prozent sind der
Auffassung, dass die EU sich in die richtige Richtung entwickelt – während 29 Prozent gegenteiliger
Ansicht sind. 59 Prozent der Befragten fühlen sich als EU-Bürger, 40 Prozent tun das eher nicht oder
gar nicht. In Deutschland fühlen sich 73 Prozent der Menschen als EU-Bürger. Insgesamt 51 Prozent
der befragten EU-Bürger (und 60 Prozent der Deutschen) sehen die Zukunft der EU positiv.
Die Zahlen zeigen eine solide Grundlage für die EU und ihre Politik. Dennoch ist das Bild, das die
Bürger von der EU haben, nicht ungetrübt. Der Umfrage zufolge haben derzeit nur 31 Prozent der
Befragten ein positives Bild von der EU, während 28 Prozent sie negativ sehen (und 39 Prozent sagen: "
weder positiv noch negativ“). Die Diskrepanz lässt sich damit erklären, dass viele Menschen mit der
gegenwärtigen Situation hadern. 49 Prozent der Befragten, geben einer einige Monate zuvor
erhobenen Eurobarometer-Umfrage (http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/eb/eb79/eb79_en.
htm) zufolge an, die Dinge in der EU entwickelten sich in die falsche Richtung. Gleichzeitig sagen das
aber für ihr eigenes Land sogar 56 Prozent. Es sind auch 56 Prozent die denken, dass ihr Land die
Zukunft besser innerhalb der EU meistern könne (Deutschland: 62 Prozent), aber nur 41 Prozent
meinen, die EU helfe ihnen, sich gegen die negativen Folgen der Globalisierung zu wappnen.
Die Widersprüche, die sich aus der Vielzahl von Angaben und Zahlen ergeben, lösen sich auf, wenn
man andere Antworten hinzu nimmt. Vielen Menschen geht die Entwicklung hin zu mehr europäischer
Integration zu langsam, sie bleibt deutlich hinter ihren Erwartungen zurück. Die Umfrage hat für
Erwartungen und für die Realität jeweils sieben Stufen angegeben, zwischen denen die Befragten sich
entscheiden konnten, von 1 für Stillstand bis 7 für sehr schnelles Tempo. Die Bürgerinnen und Bürger
bewerteten die tatsächliche Entwicklung mit 3,2, wünschten sich aber 5. Viel Kritik an der EU speist
sich also nicht aus der Angst, dass es zu viel Integration gebe, sondern aus dem Ärger, dass es zu
langsam gehe und damit die EU ihre Aufgaben, gerade in der Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht
erfüllen könne. Hinzu kommt, dass zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger der Auffassung sind, ihre
Stimme zähle nicht in der EU. Auch 54 Prozent der Deutschen empfinden so.
Das Fazit, das man für die EU aus diesen Umfragen ziehen kann, lautet: Die EU muss effektiver und
schneller handeln und dabei die Bürgerinnen und Bürger stärker einbeziehen. Das hatte sie schon
2001 ins Auge gefasst, als die Staats- und Regierungschefs der EU in Laeken (Belgien) beschlossen,
die EU müsse demokratischer, transparenter und effizienter werden. 46 Prozent der Europäer und
übrigens auch 46 Prozent der Deutschen waren auch 2013 mit dem Funktionieren der Demokratie in
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
140
der EU nicht zufrieden. Das geringe Vertrauen, das die Menschen derzeit zur Europäischen Union
haben, ist wohl eher enttäuschte Liebe als Abneigung.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
141
Die Sicherung des Wohlstands
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Immer mehr Europäer fürchten um ihre soziale Existenz. Zwar sind die Kompetenzen der EU
eingeschränkt, aber sie kann dennoch einen Beitrag gegen die Armut leisten. Denn gerade im
Bereich des Arbeitsrechts hat sie eine Reihe verbindlicher Standards gesetzt.
Die Eurokrise gefährdet den Wohlstand in der EU, beispielsweise in Griechenland. (© picture-alliance/dpa)
Nicht zuletzt wird die EU daran gemessen, inwieweit es möglich ist, die sozialen Standards in Europa
zu erhalten und auszubauen. Nach einer langen Phase des Wohlstands fürchten immer mehr
Menschen in Europa um ihre Existenzgrundlage. Die Globalisierung erleichtert es uns, Güter,
Dienstleistungen und Kapital mit anderen Ländern zu handeln. Aber sie setzt uns auch der weltweiten
Konkurrenz aus.
Die Zeiten beispielsweise, in denen man nur in den USA und in Europa gute Autos bauen konnte, sind
lange vorbei. Die Konkurrenz kommt heute auch aus Japan und Korea, morgen aus Indien und aus
China - genau wie bei Unterhaltungselektronik oder Textilien. So schön das für Konsumenten ist, die
eine größere Auswahl zu niedrigeren Preisen bekommen, so schwierig ist es für die Produzenten, die
unter einem bislang ungekannten Kostendruck stehen.
Die Europäische Union kann weder den Unternehmen noch den einzelnen Beschäftigten die Sorgen
nehmen. Sie kann allerdings dafür sorgen, dass es innerhalb der Europäischen Union keinen unfairen
Unterbietungswettbewerb gibt und sie kann im internationalen Kontext eine Stimme erheben, die
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
142
wesentlich lauter ist als die eines einzelnen Nationalstaats.
Der Binnenmarkt der Europäischen Union mit seinen über 500 Millionen Konsumenten ist nach wie
vor der kaufkräftigste und damit der größte der Welt. Während Standorte innerhalb der Europäischen
Union miteinander konkurrieren, findet der tatsächliche Wettbewerb zwischen Europa und anderen
Teilen der Welt statt. Dadurch wird wirtschaftliche Fairness innerhalb der EU nicht überflüssig. Mit ihrer
Politik des freien Wettbewerbs hält die EU europäische Unternehmen auch im Weltmaßstab fit, da
diese sich nicht mehr auf den Wettbewerb verzerrende staatliche Subventionen verlassen können.
Die Europäische Union hat im Bereich des Arbeitsrechts eine Reihe von Standards gesetzt, die in der
EU nicht unterschritten werden dürfen. Damit leistet sie einen Beitrag gegen die Armut, in die immer
mehr Menschen in Europa abrutschen. Dass diese Entwicklung sich dennoch vollzieht, spricht nicht
gegen die Mindeststandards der EU, sondern dafür, diese auszuweiten und weiterzuentwickeln.
Allerdings ist diese Meinung nicht unumstritten. Gerade aus Großbritannien kommen Forderungen,
die EU solle sich nicht in Arbeitsrecht und Sozialstandards einmischen, sondern jedem Land selbst
überlassen, wie es auf wirtschaftliche Herausforderungen reagiert.
"Europa 2020"
Ein wichtiger Beitrag zur Zukunftssicherung der EU ist die Strategie "Europa 2020". Sie ist die
Nachfolgerin der sogenannten Lissabon-Strategie, mit der die EU bis 2010 zum weltweit dynamischsten
wissensbasierten Wirtschaftsraum gemacht werden sollte. Dieses Ziel hat die Union nicht erreicht.
"Europa 2020" ist nun der Versuch, diesem Ziel im zweiten Anlauf bis 2020 näher zu kommen. Allerdings
sind die Ansprüche deutlich bescheidener geworden: Die EU möchte - laut einem Beschluss des
Europäischen Rats vom Juni 2010 auf der Basis des von der Europäischen Kommission entworfenen
Strategiepapiers - fünf Kernziele erreichen.
Die Beschäftigungsquote der 20- bis 64-Jährigen soll auf 74 Prozent steigen, drei Prozent des
Bruttoinlandsprodukts sollen für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden, die Treibhausgase
sollen (gegenüber 1990) um 20 Prozent gesenkt und der Anteil der erneuerbaren Energie soll auf 20
Prozent gesteigert werden, bei gleichzeitiger Energieeinsparung von 20 Prozent (diese Ziele sind
allerdings 2007 schon einmal beschlossen worden). Zudem soll das Bildungsniveau gesteigert werden,
nicht zuletzt dadurch, dass die Quote der Schulabbrecher auf unter zehn Prozent gesenkt und die der
Hochschulabsolventen auf 40 Prozent erhöht wird. Und die Armut innerhalb der Union soll durch soziale
Eingliederung so bekämpft werden, dass 20 Millionen Menschen vor der Ausgrenzung durch Armut
bewahrt werden.
Die Schwierigkeit bei der Umsetzung dieser Vorgaben liegt darin, dass ein Großteil der vorgesehenen
Maßnahmen von den Mitgliedstaaten verwirklicht werden muss, da die EU selbst dazu weder die
Kompetenzen noch die Mittel hat. Nur wenn jedes einzelne EU-Land seine Hausaufgaben erledigt,
kann die EU ihre Ziele erreichen.
Zusätzlicher Druck auf die Mitgliedstaaten entsteht durch die Situation im Euroraum. Die Verschuldung
einiger Eurostaaten ist ja nur ein Teil des Problems, dessen andere Seite die ungleiche
Wettbewerbsfähigkeit der Euroländer ist. Allerdings ist ein wirtschaftlicher Umbau besonders schwer,
wenn gleichzeitig Schulden reduziert werden müssen, das heißt, der öffentlichen Hand weniger Geld
zur Verfügung steht. Die Europäische Union hat daher in der neuen Finanzperiode 2014 bis 2020 die
wirtschaftliche Strukturpolitik, für die in diesem Zeitraum immerhin 450 Milliarden Euro bereitgestellt
werden, konsequent unter die Schwerpunkte der Strategie "Europa 2020" gestellt.
Die wichtigste Aufgabe der EU im 20. Jahrhunderts war die Sicherung des Friedens, die größte
Herausforderung des 21. Jahrhunderts dürfte die Erhaltung des sozialen Friedens sein. Daran wird
die EU von ihren Bürgerinnen und Bürgern gemessen werden.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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143
Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
144
Bewältigung der Eurokrise
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Die Krise im Euroraum fordert die Europäische Union insgesamt und die Eurostaaten in
besonderem Maße heraus. Es geht darum, Verschuldung abzubauen, Wettbewerbsfähigkeit zu
verbessern und vor allem Vertrauen wieder herzustellen.
Eigentlich ist die Krise im Euroraum keine "Eurokrise". Der Euro, die gemeinsame Währung, ist nach
innen und außen stabil, das heißt, die Inflationsrate ist niedrig und der Wechselkurs zu anderen
Währungen wie dem US-Dollar schwankt wenig. Die Krise ist die der Eurostaaten, die sich zum Teil
zu sehr hoch verschuldet haben und nicht hinreichend auf ihre Wettbewerbsfähigkeit geachtet haben.
Dadurch haben sie auf den internationalen Finanzmärkten Vertrauen verspielt. Da alle Eurostaaten
verschuldet sind und viele dieser Schulden für kurze Zeiträume aufgenommen wurden und werden,
wirkt sich ein sinkendes Vertrauen sofort auf die Zinsen aus, die als Risikozuschlag erhöht werden.
Damit verschlechtert sich aber die Lage des Schuldners weiter.
Das Wichtigste für die Eurozone und auch für die EU ist daher, das Vertrauen wieder herzustellen.
Allerdings ist das auch bei den EU-Partnern untereinander sehr eingeschränkt. Schließlich haben fast
alle Staaten schon einmal gegen die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts verstoßen, den
sie 1997 selbst geschlossen hatten. Hätten sich alle an diese Vereinbarung gehalten, hätte es eine
Krise dieser Art wohl nie gegeben.
Das Vertrauen wird allerdings nur zurückgewonnen werden können, wenn klar erkennbar ist, dass die
Länder der Europäischen Union umsteuern.
Neue Kontrollmechanismen in der EU
25 EU-Länder haben daher mit dem Fiskalpakt verbindlich vereinbart, ab dem Jahr 2013 ihre Schulden
spürbar zu reduzieren und eine entsprechende Vorschrift auch in die nationale Verfassung oder ein
anderes Gesetz aufzunehmen. In Deutschland gibt es mittlerweile die "Schuldenbremse" im
Grundgesetz (Art. 109 Abs. 3 GG). Großbritannien und Tschechien wollten bei dieser Regelung jedoch
nicht mitmachen, weswegen sie als völkerrechtlicher Vertrag der teilnehmenden Staaten außerhalb
des Rechtsrahmens der EU geschlossen werden musste.
Um Gefährdungen für die wirtschaftliche Entwicklung oder für den nationalen Haushalt frühzeitig zu
erkennen, wurde ein sogenanntes Europäisches Semester beschlossen. Das ist eine Kontrollphase
für die nationalen Haushaltsentwürfe, die jetzt vor der Beschlussfassung durch das Parlament des
Mitgliedstaats von der Europäischen Kommission überprüft und kommentiert werden.
Zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit wurde der Euro-Plus-Pakt geschlossen, in dem die Staatsund Regierungschefs (wiederum ohne Großbritannien und Tschechien, aber auch ohne Ungarn und
Schweden) sich zu konkreten Reformen in ihren Staaten verpflichten. Dem Programm "Europa 2020"
wird im Zusammenhang mit der Eurokrise ebenfalls Bedeutung zugemessen.
Für die Banken will man das Risiko bei Spekulationen erhöhen, indem man die 200 wichtigsten Banken
einer europäischen Kontrolle unterwirft und sie zwingt, die Eigenkapitalquote zu erhöhen. Außerdem
sollen in Zukunft bei dem Zusammenbruch einer Bank zuerst deren Eigner und Anleger haften und
nur zum Schluss die europäischen Steuerzahler. Zudem sollen die Banken einen eigenen
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
145
Sicherungsfonds aufbauen, durch den Pleiten abgefedert werden können. Das Ganze nennt sich
"Bankenunion" und befindet sich derzeit noch im Entscheidungsprozess.
Es geschieht also einiges auf europäischer Ebene, um der Krise zu begegnen. Funktionieren wird dies
jedoch nur, wenn der Wille da ist, die Regeln wirklich einzuhalten und entsprechende Maßnahmen
umzusetzen. In der Vergangenheit hatte die EU kein Defizit an Vorgaben, sondern eines an
Vertragstreue. Es ist in der EU wie in jeder Gemeinschaft: Gesetze oder Statuten regeln das
Zusammenleben, aber der Wille, überhaupt zusammen leben zu wollen, ist die Basis und kann durch
konkrete Vorgaben nicht ersetzt werden.
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Erhaltung der Umwelt
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Durch EU-Regelungen im Bereich des Umweltschutzes hat sich in den vergangenen Jahren
viel getan. Der Ausstoß von CO2 bedroht das Weltklima aber noch immer erheblich. Bis 2020
will die EU ihren CO2-Ausstoß sogar um 30 Prozent reduzieren – wenn die anderen mitmachen.
Energielabel - eine Maßnahme zur Verringerung des Energieverbrauchs. (© picture-alliance/dpa)
Umweltschutz ist ein der Europäischen Union von großer Bedeutung. In den letzten Jahren hat sich
durch Regelungen der EU bei Luft- und der Gewässerreinhaltung, beim Lärmschutz und der
Müllentsorgung viel getan. Dennoch ist die Umwelt stark gefährdet, und zwar in einer Weise, die selbst
durch einen Staatenverbund wie die EU alleine nicht bewältigt werden kann.
Am deutlichsten wird dies bei der Gefährdung des Weltklimas durch den Ausstoß von sogenannten
Treibhausgasen (vor allem Kohlenstoffdioxid, CO2). Dass das Klima sich über die natürliche
Entwicklung hinaus verändert, ist nicht mehr zu verhindern. Jetzt geht es darum, den weltweiten
Temperaturanstieg zu begrenzen, um die Auswirkungen möglichst gering zu halten, wie etwa noch
größere Zerstörungen durch Dürren, Stürme oder Sturmfluten.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
147
Die EU als Vorreiter: 3 x 20
Die EU sieht ihre Aufgabe darin, beim Klimaschutz voranzugehen, muss jedoch gleichzeitig dafür
Sorge tragen, dass andere Länder mit einem großen Kohlendioxid-Ausstoß wie die USA, China, Indien
oder Russland mitziehen. Das gilt auch für Brasilien, dessen CO2-Ausstoß zu einem erheblichen Teil
auf Brandrodungen zurückzuführen ist, die gleichzeitig für das Klima wertvollen Regenwald vernichten.
Im Jahr 2007 hat die EU unter deutscher Präsidentschaft einen »weitreichenden Beschluss« gefasst,
den man mit "3 x 20" zusammenfassen kann: Bis zum Jahr 2020 soll der CO2-Ausstoß um 20 Prozent
verringert, der Energieverbrauch um 20 Prozent gesenkt und der Anteil der erneuerbaren Energien
am EU-Energiemix auf 20 Prozent erhöht werden. Wenn andere große Staaten mitmachen, will die
EU ihren CO2-Ausstoß bis 2020 sogar um 30 Prozent reduzieren. Die EU ist auf guten Wege, das 20Prozent-Ziel zu erreichen. Dies wird allerdings von Kritikern als nicht ambitioniert genug angesehen.
Ein Versuch, weitergehende Ziele zu beschließen, ist 2012 am Widerstand Polens gescheitert, das
auf seine Kohleressourcen zurückgreifen will.
Bei schärferen Vorgaben für den CO2-Ausstoß von Kraftfahrzeugen war es hingegen die deutsche
Bundesregierung, die auf die Bremse trat, um die heimische Kfz-Industrie, die vor allem große Pkw
herstellt, nicht einzuschränken. So wurde ein Beschluss über schärfere Grenzwerte durch Deutschland
blockiert und konnte nicht in Kraft treten.
Weltweit hat die Finanz- und Wirtschaftskrise die Bestrebungen der CO2-Reduktionen beeinflusst.
Zum einen sind die Emissionen wegen der geringeren Produktion zumindest vorübergehend zurück
gegangen, zum anderen lassen die Bestrebungen nach, den Klimaschutz als Priorität anzusehen, die
man lieber einer verstärkten Produktion und der Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen zuweisen
möchte. Entsprechend gering waren die Ergebnisse einer UN-Klimakonferenz, die Ende 2013 in
Warschau stattfand und einen Weltklimavertrag in der Nachfolge der Kyoto-Vereinbarung vorbereiten
sollte.
Anfang 2014 wurden Pläne der EU-Kommission bekannt, die eigenen Klimaziele bis 2030
zurückzustellen. Die Vorgaben der Kommission wurden daraufhin als „zu schwach“ kritisiert unter
anderem auch von EU-Mitgliedstaaten wie Deutschland und Frankreich. Bislang hat sich die EU nicht
auf eine neuen Fahrplan beim Klimaschutz geeinigt.
Emissionshandel
Das wichtigste Instrument der EU im Kampf gegen den Klimawandel ist der Emissionshandel. Dieses
Instrument wurde 2005 beschlossen und regelt, dass es nur ein bestimmtes Maß an Luftverschmutzung
geben darf und die Länder dafür Rechte an Unternehmen vergeben können. Die Länder können mit
ihren Emissionsberechtigungen bis zu einer festgelegten Höchstmenge handeln. Das bedeutet: Wer
weniger Schmutz macht und weniger CO2 ausstößt, kann daran etwas verdienen. Wer mehr CO2
ausstoßen will, muss dieses Recht zusätzlich erwerben. Über 10.000 Anlagen aus Industrie und
Energieerzeugung sind in diesem System erfasst, dem auch Norwegen, Island und Liechtenstein
angehören.
Kritiker bemängeln, dass nur Teile der Wirtschaft in den Emissionshandel einbezogen sind und dass
Firmen sich, statt zu Hause Maßnahmen zum Klimaschutz durchzuführen, im Ausland das Recht auf
weitere Verschmutzung erwerben können. Die Befürworter weisen darauf hin, dass die EU das System
auf weitere Treibhausgase wie Stickoxide (Düngemittel) und perfluorierte Kohlenwasserstoffe
(Aluminiumherstellung) sowie auf alle industriellen Großemittenten wie Kraftwerke ausgedehnt hat
und dass es das wirkungsvollste Mittel zum Klimaschutz sei. Das System soll in den nächsten Jahren
weiter ausgebaut werden. Allerdings werden die Emissionszertifikate derzeit so niedrig gehandelt,
dass davon kein hinreichender Ansporn ausgeht, Energie einzusparen.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
148
Verbot von "Energiefressern"
Eine Maßnahme zur Verringerung des Energieverbrauchs ist auch das Verbot von Produkten, deren
Umgang mit Energie wenig effizient ist. Bekanntestes Beispiel ist das schrittweise Verbot von
herkömmlichen Glühbirnen, das die Europäische Kommission 2009 erlassen hat. In der Öffentlichkeit
hat dies breite Diskussionen ausgelöst, allerdings weniger über den Klimaschutz, sondern darüber,
ob "Brüssel" zu viel Macht über die Bürger habe. Viele Bürger haben Glühbirnen regelrecht gehortet,
um sie nach dem Verkaufsstopp weiterhin verwenden zu können. Die Europäische Kommission
verspricht sich von der Umstellung auf energieeffizientere Leuchtkörper bis 2020 eine
Energieeinsparung in der Größenordnung von knapp 80 TWh (Terawattstunden, das sind 80 Mrd.
Kilowattstunden), was der jährlichen Leistung von 20 500-Megawatt-Kraftwerken oder dem jährlichen
Stromverbrauch von Belgien entspricht. Darüber, wie umweltfreundlich die Energiesparbirnen sind,
die jetzt zum Einsatz kommen, wird heftig gestritten. Das Glühbirnenverbot gilt Kritikern als
abschreckendes Beispiel für die fehlende Einbeziehung der Öffentlichkeit in die Umweltpolitik der EU.
Dennoch beschreitet die EU-Kommission mit dem Verbot von Staubsaugern mit hohem
Stromverbrauch einen ähnlichen Weg: Im Juli 2013 legte sie eine Verordnung vor, die neben einem
Energielabel für Staubsauger auch Regelungen für deren maximalen Stromverbrauch einführt. Ab
September 2014 dürfen sie nur noch eine maximale Nennleistungsaufnahme von 1.600 Watt haben,
ab September 2017 sinkt dieser Wert sogar auf 900 Watt.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
149
Künftige Erweiterungen und Verhältnis zu den
Nachbarn
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Der Erweiterungsprozess der Europäischen Union ist noch nicht abgeschlossen. In den
vergangenen 20 Jahren wuchs sie von 12 auf 28 Mitgliedstaaten. Die politischen
Herausforderungen liegen vor allem im Verhältnis zu den östlichen Nachbarn der Union.
2005 wurde Mazedonien der Status des Beitrittskandidaten verliehen. (© picture-alliance/AP)
Seit 1. Juli 2013 gehört Kroatien zur Europäischen Union. Das Land ist damit der 28. Mitgliedstaat der
EU. In Zukunft könnte sie noch weiter wachsen: Es gibt weitere Interessenten für die EU-Mitgliedschaft,
die man wie folgt unterscheiden kann:
•
Kandidaten, mit denen über die Mitgliedschaft verhandelt wird
•
Kandidaten, mit denen noch nicht über die Mitgliedschaft verhandelt wird
•
potenzielle Kandidaten
•
Länder mit europäischer Perspektive
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
150
Island und Türkei
Seit dem Jahr 2005 finden Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei statt. Zwar hat man
dem Land am Bosporus die Mitgliedschaft in Aussicht gestellt, aber diese Festlegung ist in der EU
nicht unumstritten. Auch die deutsche Bundeskanzlerin machte bei einem Treffen mit dem türkischen
Ministerpräsidenten im Februar 2014 keinen Hehl daraus, dass sie einer türkischen EU-Mitgliedschaft
derzeit skeptisch gegenüber steht.
Mit der Türkei wird also nicht verhandelt, wie und wann sie Mitglied wird, sondern ob das überhaupt
geschehen soll. Für beide Positionen gibt es eine große Zahl von Argumenten, die in den letzten Jahren
intensiv ausgetauscht worden sind. Während die einen sagen, die Türkei sei zu groß, zu arm und zu
"anders" oder kulturell zu verschieden, verweisen die anderen auf die positiven Aspekte einer türkischen
Mitgliedschaft, die sie in einer jungen Bevölkerung, einer dynamischen Wirtschaft und einer
Stabilisierungsfunktion im Mittleren Osten sehen.
Die Gespräche werden auch dadurch erschwert, dass die Türkei sich weigert, das EU-Mitglied Zypern
anzuerkennen und ihm dieselben Rechte wie den anderen EU-Staaten (beispielsweise beim Zugang
zu ihren Häfen) zu gewähren - der Nordteil der Mittelmeerinsel wird noch immer von der Türkei
kontrolliert. Die EU hat daraufhin beschlossen, die Verhandlungen mit der Türkei über eine Reihe von
Kapiteln des Gemeinschaftsrechts zu stoppen oder gar nicht zu beginnen.
Vom Süden in den Norden: Island, ein Staat im europäischen Nordmeer, hatte 2009 seine Aufnahme
in die EU beantragt, nachdem er knapp an einem Bankrott vorbeigeschrammt war. Da Island bereits
Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums und damit im Wesentlichen Teil des EU-Binnenmarktes
ist und auch die Schengen-Regelungen bereits übernommen hat, galt es als gut vorbereitet, gerade
bei Themen, die bei anderen Kandidaten schwierig sind wie Rechtsstaatlichkeit,
Korruptionsbekämpfung und gute Regierungsführung. Allerdings hat die 2013 neu gewählte
isländische Regierung die Verhandlungen mit der EU auf Eis gelegt. Im Februar 2014 brachte die
Regierung einen Gesetzesentwurf im isländischen Parlament ein, demzufolge die Verhandlungen
endgültig abgebrochen werden sollen. Ob sie dann vielleicht nach einem erneuten Regierungswechsel
noch einmal aufgenommen werden, wie das mit Malta der Fall war, oder ob diese Entscheidung
endgültig ist, ist nicht abzusehen.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
151
Der serbische Ministerpräsident Ivica Dacic und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Seit Januar 2014
verhandelt Serbien mit der EU über die Mitgliedschaft. (© picture-alliance/dpa)
Mazedonien, Montenegro und Serbien
Ein weiterer Kandidat für die EU-Mitgliedschaft ist die Republik Mazedonien. 2005 wurde dem Land
der Status des Kandidaten verliehen, allerdings ist es bislang nicht zu Beitrittsgesprächen eingeladen
worden. Ein bilateraler Streit mit Griechenland lähmt den Fortgang der Ereignisse. Griechenland
bestreitet dem Nachbarn im Norden das Recht, den gewählten und in der Verfassung festgelegten
Staatsnamen zu führen, weil Mazedonien eine größere Region sei, die auch griechische und
bulgarische Teile umfasse. Der Namensstreit hat auch dazu geführt, dass Mazedonien anders als
Kroatien und Albanien 2009 nicht in die NATO aufgenommen werden konnte.
Montenegro, ebenfalls ein Teil des früheren Jugoslawien, erhielt 2010 den Status eines Kandidaten
für die EU-Mitgliedschaft und steht seit 2012 in Verhandlungen. Ebenfalls im Jahr 2012 hat Serbien
den Kandidatenstatus erhalten. Die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen hatte die EU an die
Bedingung geknüpft, das Verhältnis zu Kosovo zu normalisieren. Das sah die Union nach einem
serbisch-kosovarischen Abkommen 2013 als gegeben an. Seit Januar 2014 verhandelt Serbien nun
mit der EU über seine Mitgliedschaft.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
152
Albanien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo
Als potenzielle Kandidaten bezeichnet die EU die Länder des westlichen Balkans, die noch keinen
Kandidatenstatus haben, also Albanien und Bosnien-Herzegowina. In dieselbe Logik gehört auch
Kosovo, das allerdings von fünf EU-Staaten bislang nicht völkerrechtlich als souveräner Staat
anerkannt worden ist.
Den Ländern des westlichen Balkans wurde 2003 der Status als "potenzielle Beitrittskandidaten"
bestätigt, was allerdings an einen langwierigen Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess gekoppelt
ist. Erst wenn die Länder hier Erfolge vorweisen können, ist es möglich, sie zu Kandidaten zu ernennen
und bei weiteren Fortschritten auch die Verhandlungen zu beginnen. Albanien wurde der
Kandidatenstatus für Juni 2014 in Aussicht gestellt, für Bosnien-Herzegowina steht noch kein Termin
fest. Mit Kosovo ist die Vereinbarung eines Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens in
Vorbereitung.
Die Länder der "Östlichen Partnerschaft": Ukraine, Republik Moldau,
Georgien, Belarus, Armenien und Aserbaidschan
Neben den Kandidaten und potenziellen Kandidaten gibt es weitere Länder, die die Mitgliedschaft in
der EU anstreben. Hierbei handelt es sich gegenwärtig um die Ukraine, die Republik Moldau und
Georgien.
Mit der Ukraine, dem größten Land der sogenannten Östlichen Partnerschaft der EU, war ein
Assoziierungsabkommen, das auch ein weitreichendes Freihandelsabkommen beinhaltet, bereits
ausgehandelt. Kurz vor einer möglichen Unterzeichnung auf dem Gipfeltreffen in Vilnius Ende
November 2013 zog der ukrainische Präsident jedoch seine Bereitschaft zur Unterschrift zurück. In
Folge dieser Entscheidung hat sich in der Ukraine eine breite Protestbewegung formiert, die nach
einer gewaltsamen Eskalation den Rücktritt des Präsidenten und einen Regierungswechsel sowie
Neuwahlen für das Parlament und das Präsidentenamt bewirkt hat. Das Land ist tief gespalten und
auf massive wirtschaftliche Unterstützung angewiesen. Während die Übergangsregierung und ihre
Unterstützer jetzt wieder verstärkt in Richtung EU schauen, hoffen andere auf eine stärkere Anbindung
an Russland. Die ukrainische Übergangsregierung unterzeichnete mit der EU im März 2014 den
politischen Teil des Assoziierungsabkommens.
Auch Georgien und die Republik Moldau befinden sich in einer schwierigen und instabilen politischen
und wirtschaftlichen Situation. Gerade das macht es aber der EU unmöglich, sie und ihre Wünsche
einfach zu ignorieren. Georgien ist wie die Ukraine zudem ein wichtiges Transitländer für Öl und Gas.
Schon aus diesem Grund hat die EU ein starkes Interesse daran, dass diese Staaten stabil und dem
Westen zugewandt bleiben.
Auch Armenien hat das ebenfalls fertig ausgehandelte Assoziierungsabkommen in letzter Minute
zurückgewiesen. Der armenische Präsident erklärte im September 2013, man werde sich stattdessen
Russland zuwenden, Mitglied der russisch dominierten Zollunion (mit Belarus und Kasachstan,
perspektivisch auch mit Kirgisistan und Tadschikistan) werden und wolle Teil der Eurasischen Union
sein, die Russland 2015 gründen will.
Die Europäische Nachbarschaftspolitik, die die EU für die sechs genannten Länder seit 2004 entwickelt
und durchgeführt hat und die sie seit 2009 als Östliche Partnerschaft verstärken will, steht also vor
neuen Herausforderungen, zumal es nicht gelungen ist, Aserbaidschan und Belarus in den Prozess
einzubeziehen. Der EU wird es nur gelingen, ihren Einfluss zu erhalten und zu verstärken, wenn sie
sich mit mehr Engagement als bisher diesen Partnerländern zuwendet.
Die Europäische Nachbarschaftspolitik richtet sich neben den östlichen Partnerländern gleichermaßen
an zehn Staaten im südlichen Mittelmeerraum. Auch hier sind die Ergebnisse überschaubar. Eine auf
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
153
französische Initiative hin 2008 ins Leben gerufene Union für die Mittelmeerstaaten hat es bislang
nicht vermocht, Gemeinsamkeiten zu entwickeln und Akzente für die Region zu setzen. Zwar gab es
mit dem "Arabischen Frühling", der 2011 von Tunesien ausging, einen Aufbruch in Nordafrika, der
allerdings nicht die Folge einer zielgerichteten EU-Politik war, sondern vielmehr die Akteure der
Europäischen Union, die beste Beziehungen zu den Diktatoren und Machthabern der Region pflegten,
überrascht hat.
Schwarzmeersynergie und Zentralasienstrategie
Auch über die Europäische Nachbarschaftspolitik und die Östliche Partnerschaft hinaus bemüht sich
die EU, die Region im Osten und Südosten Europas zu stabilisieren. Seit 2007 verfolgt sie eine
"Schwarzmeersynergie (http://ec.europa.eu/world/enp/pdf/com07_160_de.pdf)" genannte Politik, die
auf eine Intensivierung der Kooperation im Schwarzmeerraum zielt. Aus demselben Jahr stammt die
Zentralasienstrategie (http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Europa/Aussenpolitik/Regionalabkommen/
Zentralasien_node.html), deren Ziel es ist, die fünf zentralasiatischen Staaten Kasachstan (http://www.
auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Kasachstan_node.
html), Kirgisistan (http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01Nodes_Uebersichtsseiten/Kirgisistan_node.html), Tadschikistan (http://www.auswaertiges-amt.de/
DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Tadschikistan_node.html), Turkmenistan
(http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/
Turkmenistan_node.html) und Usbekistan (http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/
Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Usbekistan_node.html) in ein Netzwerk der
Zusammenarbeit einzubinden, von dem die EU sich neben der Demokratisierung der Region die
Sicherung von Energiequellen sowie die gemeinsame Eindämmung irregulärer Migration und
organisierter Kriminalität erhofft. Allerdings hat der Enthusiasmus der EU im Hinblick auf beide
Strategien deutlich nachgelassen - vor allem im Hinblick auf die Beziehungen zu Russland.
Strategische Partnerschaft mit Russland
Die Verhältnisse im Osten Europas und in Zentralasien können nicht ohne Berücksichtigung Russlands
gestaltet werden. Mit Russland pflegt die EU offiziell eine "strategische Partnerschaft", tatsächlich sind
die Verhältnisse seit einiger Zeit distanziert. Das Vorhaben, mit Russland vier gemeinsame Räume
(der äußeren Sicherheit, der inneren Sicherheit, der Wirtschaft sowie der Forschung, Bildung und
Kultur) zu etablieren, tritt seit 2003 auf der Stelle. Die mehrmalige Unterbrechung der Gaslieferungen
an die Ukraine und auch an den Westen, der russisch-georgische Krieg im Sommer 2008 sowie das
Verhalten Russlands vor und nach dem Umsturz in der Ukraine 2014 haben das Verhältnis weiter
beschädigt. Bis heute ist es nicht gelungen, für das 2007 ausgelaufene Partnerschafts- und
Kooperationsabkommen eine Nachfolgeregelung zu vereinbaren.
Auch die 2010 ins Leben gerufene "Modernisierungspartnerschaft" zwischen der EU und Russland
tritt auf der Stelle, was nicht zuletzt mit unterschiedlichen Erwartungen zu tun hat. Die EU erhofft sich
von dieser Partnerschaft eine weitergehende Transformation Russlands, die neben der Wirtschaft
auch andere Bereiche der Gesellschaft umfasst, einschließlich der politischen und
menschenrechtlichen Verhältnisse. Die russische Führung sieht die Modernisierungspartnerschaft
dagegen als eine auf die Wirtschaft beschränkte Kooperation.
Es gibt also in der unmittelbaren europäischen Nachbarschaft für die EU viel zu tun. Die Lösung der
dort zutage tretenden Probleme muss die Europäische Union angehen, auch wenn sie ihre eigenen
internen Schwierigkeiten noch nicht gelöst hat.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
154
Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Alle Umfragen zeigen, dass den Bürgerinnen und Bürgern in der EU die Freizügigkeit innerhalb
Europas die wichtigste Errungenschaft der europäischen Integration ist. Frei reisen zu können,
sich niederlassen zu können, wo man möchte, arbeiten, wo es den besten Job gibt – das
verbinden die Menschen positiv mit Europa.
Der Europol-Hauptsitz in Den Haag. (© picture-alliance/dpa)
Umso wichtiger ist es, diese Errungenschaft zu erhalten, die in letzter Zeit von einigen Kommentatoren
und sogar Politikern in den EU-Mitgliedstaaten in Frage gestellt worden ist. Das hat damit zu tun, dass
nicht nur Menschen die Freizügigkeit genutzt haben, die am Ankunftsort einen Arbeitsplatz hatten,
sondern auch solche, die einen Job suchen und die unter bestimmten Bedingungen auch
Sozialleistungen der Zielländer in Anspruch nehmen können.
Im Zusammenhang mit der Ankunft zahlreicher Flüchtlinge in Italien haben die dortigen Behörden den
Menschen einen befristeten Aufenthalt gegeben und sie direkt oder indirekt zur Weiterreise in andere
EU-Staaten ermuntert – was gerade in Frankreich und in Deutschland kritische Reaktionen ausgelöst
hat.
2013 hat der Rat der Europäischen Union beschlossen, dass die Schengen-Regeln, die die
Freizügigkeit garantieren, bis zu zwei Jahre lang von einem Mitgliedstaat außer Kraft gesetzt werden
können. Dieser muss dafür besondere Umstände geltend machen, die im Wesentlichen darin bestehen,
dass ein anderes Schengen-Mitglied als nicht in der Lage erachtet wird, seine Verpflichtungen zum
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
155
Schutz der Außengrenze zu erfüllen. In einem solchen Fall kann ein Mitgliedstaat, auf der Basis einer
Empfehlung des Rates, für längstens zwei Jahre wieder Kontrollen an den Binnengrenzen durchführen.
Das Recht auf Freizügigkeit wird von solchen Entwicklungen Stück für Stück in Mitleidenschaft
gezogen. Es wird in der nächsten Zeit darauf ankommen, dass dieses Kernrecht aller EU-Bürgerinnen
und -Bürger nicht ausgehöhlt wird, da sonst die öffentliche Akzeptanz für die Europäische Union
darunter leiden könnte.
Angefacht wurde die Debatte um die Freizügigkeit im Februar 2014 auch durch eine Entscheidung
jenseits der Grenzen. In der Schweiz hatten die Bürger in einem Referendum, wenn auch mit knapper
Mehrheit, beschlossen, die bislang mit der EU vereinbarte bedingungslose Freizügigkeit für EU-Bürger
einzuschränken, indem Kontingente für Zuwanderung festgelegt werden sollen. Diese Maßnahme
richtet sich auch gegen Deutsche, die in der Schweiz berufstätig sind. Die Ausweitung der bisherigen
Freizügigkeitsregelungen auf das neue EU-Mitglied Kroatien wurde von der Schweiz abgelehnt.
Allerdings ist die Freizügigkeit gemeinsam mit anderen Regeln, die der Schweiz auch den Zugang
zum EU-Binnenmarkt garantieren, vereinbart worden. Eine „Guillotine-Klausel“ legt fest, dass sobald
eines der Abkommens außer Kraft gesetzt wird, auch die anderen ungültig sind. Wie dieses Problem
gelöst wird, lässt sich derzeit (Februar 2014) nicht absehen.
Zusammenarbeit bei Justiz, Innenpolitik und Zivilrecht
Das Recht auf Freizügigkeit ist ein Teil des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (RFSR).
Ziel des RFSR ist es nicht nur, dass die Bürgerinnen und Bürger sich in der gesamten EU frei bewegen
und dort leben können, wo sie möchten, sondern auch, dass sie gleichzeitig ein hohes Maß an Schutz
genießen. Deshalb haben die EU-Staaten eine engere Zusammenarbeit in rechts- und innenpolitischen
Fragen beschlossen. Doch nicht alle Staaten beteiligen sich in gleicher Weise an dieser Kooperation:
Das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark haben Sonderregelungen vereinbart, die ihnen unter
anderem in den Bereichen Justiz und Innenpolitik weiterhin nationale Freiheiten garantieren.
Zum weiteren Ausbau des RFSR hat der Europäische Rat Ende 2009 das Stockholmer Programm
vereinbart, das Nachfolgedokument des 2004 verabschiedeten Haager Programms. Ziel des
Stockholmer Programms ist die volle Gewährleistung der Unionsbürgerschaft für alle EU-Bürger, also
der Grundrechtschutz und die Wahrung der persönlichen Freiheit über Grenzen hinweg, auch im
Bereich des Datenschutzes.
Der europäische Rechtsraum soll ausgebaut werden, so dass Menschen überall in der Union ihre
Rechte geltend machen können. Hindernisse der grenzüberschreitenden Anerkennung von
Gerichtsentscheidungen sollen abgebaut werden. Um die Sicherheit der Bürger vor Terrorismus und
organisierter Kriminalität zu erhöhen, soll die Zusammenarbeit in den Bereichen Strafverfolgung,
Grenzmanagement, Katastrophenschutz und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen gestärkt
werden. Das Stockholmer Programm läuft 2014 aus, ein fortführendes Programm wird aber erwartet.
Parallel dazu gibt es eine engere bilaterale Polizeikooperation entlang der Binnengrenzen
beispielsweise zwischen Deutschland und Polen. Nachdem im deutsch-polnischen Grenzbereich die
Zahl der Einbrüche und Kraftfahrzeugdiebstähle stark gestiegen ist, haben sich die Polizeibehörden
beider Länder stärker vernetzt und führen unter anderem gemeinsame Streifen durch.
Auch im zivilrechtlichen Bereich wird die Zusammenarbeit weiter forciert. Dabei geht es um die
gegenseitige Anerkennung von Gerichtsurteilen zum Beispiel in Erb- oder Sorgerechtsangelegenheiten
oder um eine Festlegung, welches Scheidungsrecht bei binationalen Ehen von EU-Bürgern
anzuwenden ist. Auch im Kaufrecht soll es weitere Vereinheitlichungen geben, um so das
grenzüberschreitende Alltagsleben (und sei es, dass die Grenzüberschreitung via Internet stattfindet)
für die Menschen in der EU zu erleichtern.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
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Migration
Von Eckart D. Stratenschulte
1.4.2014
Die Migration ist ein wichtiges Thema in der Europäischen Union, das unter ganz verschiedenen
Gesichtspunkten diskutiert wird. Auf der einen Seite werben die EU-Staaten um Einwanderer,
weil qualifizierte Berufstätige dringend benötigt werden. Auf der anderen Seite versucht die
EU, die Einreise von sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen zu verhindern oder zumindest zu
beschränken.
Junge Vietnamesen während ihrer Ausbildung in der Metallwerkstatt des Bildungswerks der Sächsischen Wirtschaft.
(© picture-alliance/dpa)
Immer wieder erschüttern Bilder von zusammengepferchten Flüchtlingen auf kaum seetüchtigen
Booten die europäische Öffentlichkeit. Die meisten Flüchtlinge erreichen mit letzter Not das Gebiet
der EU - viele überleben die Flucht nicht. Unter dem Stichwort "Innere Sicherheit" werden oftmals die
Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität und die Steuerung der Migrationsbewegungen
in einen Topf geworfen. Hierbei handelt es sich allerdings um verschiedene Politikbereiche. Auch die
irregulären Einwanderer kommen in der Regel nicht in die EU, um dort kriminellen Aktivitäten
nachzugehen, sondern um sich und ihren Familien durch Arbeit ein besseres Leben zu ermöglichen.
Allerdings verstoßen sie schon durch die Einreise gegen geltende Gesetze und werden in den
Zielländern wegen des fehlenden Aufenthaltsstatus in die Illegalität gedrängt.
Die Steuerung der Migration wird für die EU in den nächsten Jahren eine wichtige Aufgabe bleiben,
zumal die irreguläre Einwanderung sich nur wirksam vermeiden lassen wird, wenn man den Menschen
in den Herkunftsländern auch - zumindest beschränkte - Möglichkeiten der legalen Einwanderung
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
157
anbietet.
Wirtschaftsmigration
Die große Mehrheit dieser Menschen kommt in die Länder der EU, weil sie zu Hause keinerlei oder
sehr schlechte Lebensperspektiven haben. Die Eindämmung dieser Art von Immigration wird nicht nur
durch polizeiliche Maßnahmen und intensiven Grenzschutz gelingen, sondern nur, wenn es der EU
gelingt, durch entwicklungspolitische Maßnahmen dazu beizutragen, die Lebensbedingungen in den
Herkunftsländern zu verbessern und diesen Ländern Märkte in der Europäischen Union zu öffnen.
Die Europäische Union ist auf diesem Gebiet nicht untätig. Kein Staat oder Bündnis leistet finanziell
einen größeren Beitrag zur weltweiten Entwicklungshilfe als die EU und ihre Mitgliedstaaten. Durch
das Abkommen von Cotonou unterstützt die EU die (nach dem Beitritt des Südsudan) 80 sogenannten
AKP-Staaten sowie Südafrika in ihrer wirtschaftlichen und politischen Entwicklung. Allerdings nimmt
Kuba an der Cotonou-Zusammenarbeit nicht teil. Die EU bemüht sich jedoch auch mit diesem Land
um eine Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Lage und bereitet dazu ein Abkommen vor.
Nicht nur in Kuba stoßen Unterstützungsmaßnahmen oftmals an Grenzen, die in den Staaten selbst
liegen und mit autoritärer Herrschaft, Korruption und schlechter Regierungsführung zu tun haben. Wie
es gelingen kann, einen Weg zu finden, um diesen Staaten zu helfen, ohne lediglich ihre politische
Elite zu bereichern, ist eine der Fragen, mit denen die EU sich weiterhin wird befassen müssen.
Asyl
Ein weiterer Aspekt des Themas Immigration ist die Aufnahme von Asylsuchenden. Hierbei handelt
es sich um Menschen, die um Schutz vor Verfolgung bitten, die ihnen aus politischen, religiösen oder
ethnischen Gründen in ihrem Heimatland droht. Seit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags 1999
ist die Asylpolitik eine Zuständigkeit der EU. Die Union hat sich mittlerweile auf gemeinsame Kriterien
der Anerkennung von Asylsuchenden und ihrer Unterbringung und Betreuung geeinigt. Jeder Flüchtling
muss mittlerweile in dem Land Asyl beantragen, das er zuerst betritt. Dort wird sein Verfahren
abgewickelt. Das regelt ein Übereinkommen, das 1990 in Dublin geschlossen wurde und 1997 in Kraft
trat („Dublin I“). Mittlerweile ist die Vereinbarung durch neue Verordnungen („Dublin II“ und „Dublin III
“) ergänzt und verändert worden. Teil der Regelungen ist jetzt auch deren Anwendung auf Menschen,
die nicht individuell politisch verfolgt sind, aber wegen der Umstände in ihrem Heimatland
internationalen Schutz oder die Anerkennung als Flüchtling erbitten. So ist durch den Bürgerkrieg in
Syrien, der das Land seit 2011 heimsucht, die Zahl der Schutzsuchenden stark angewachsen.
Die EU-Verträge sehen zwar vor, dass die Lasten, die durch die Aufnahme von Flüchtlingen entstehen,
gemeinsam getragen werden. Die Hauptzielländer der Flüchtlinge aus dem Süden - das sind vor allem
Griechenland, Malta, Italien und Spanien - beklagen allerdings, dass die Union sie nicht ausreichend
unterstütze. Die Europäische Union versucht nun, diese Länder bei der Verstärkung der
Grenzkontrollen zu unterstützen und so die Einreise von Flüchtlingen zu verhindern. Von
Menschenrechtsgruppen wird dieses Vorgehen heftig kritisiert, weil damit den Menschen faktisch die
Möglichkeit genommen wird, Asyl zu beantragen - denn wer gar nicht auf EU-Territorium ankommt,
kann dort auch nicht um Asyl bitten stellen. Zur Intensivierung der Zusammenarbeit im
Grenzschutzbereich hat die EU bereits 2004 die Agentur Frontex gegründet.
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Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016)
158
Blue Card
Die dritte Gruppe, von der im Zusammenhang mit der Immigration die Rede ist, sind Menschen, die
legal in das Gebiet der EU einreisen, weil es für sie persönliche Gründe wie Eheschließung gibt oder
weil sie eine Berufstätigkeit aufnehmen wollen. Letztgenannte werden insbesondere dann von den
EU-Staaten angeworben, wenn sie über Fachwissen oder berufliche Qualifikationen verfügen, die in
der EU nicht hinreichend vorhanden sind.
Die Europäische Union hat dafür eine "Blue Card" geschaffen - in Anlehnung an die "Green Card" in
den USA, die dort ausländischen Arbeitskräften den Aufenthalt ermöglicht. Eine Blue Card, also eine
Aufenthaltserlaubnis, kann erhalten, wer aus einem Drittland stammt, einen entsprechenden
Hochschulabschluss oder eine spezifische Berufsausbildung vorweisen kann und außerdem ein
Arbeitsangebot hat, mit dem er ein relativ hohes Gehalt bezieht. In Deutschland wird ein Gehalt von
mindestens zwei Drittel der Beitragsbemessungsgrenze der Sozialversicherung vorausgesetzt, das
sind ca. 47. 600Euro pro Jahr, in Mangelberufen mindestens ca. 37.100 Euro. Die Aufenthaltserlaubnis
gilt bis zu vier Jahren, kann aber verlängert werden und in einen festen Aufenthaltsstatus münden.
Familienangehörige von Blue-Card-Inhabern dürfen sofort arbeiten. Eine „Weiterwanderung“ innerhalb
der EU ist nach 18 Monaten möglich.
Der Inhaber einer Blue Card genießt dieselben wirtschaftlichen und sozialen Rechte wie die EU-Bürger
und darf auch seine Familie nachholen. Die Entscheidung, ob ein Bewerber tatsächlich eine Blue Card
erhält, bleibt bei dem jeweiligen Mitgliedstaat. Bisher war die Blue Card zumindest in Deutschland
nicht sehr erfolgreich. Zwischen ihrer Einführung in Deutschland im Juli 2012 und dem Ende des Jahres
2013 waren es gerade einmal etwa 7.000 Zuwanderer, die die Blue Card beantragt haben. Deutschland
und die EU insgesamt sind für qualifizierte Einwanderer also nicht so attraktiv, wie sie es sein müssten,
um die besten Köpfe anzuziehen.
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Die EU als internationaler Akteur
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Die USA sind weiterhin die bedeutendste Macht der Welt. Es hat sich jedoch gezeigt, dass sie
alleine nicht in der Lage sind, die Weltpolitik zu gestalten. Die Europäische Union muss daher
auch im eigenen Interesse ihr Gewicht international gezielt einbringen.
Barack Obama, Herman van Rompuy und Jose Manuel Barroso auf dem EU-USA-Gipfel im März 2014 (© picturealliance, AA)
Eine gemeinsame Außenpolitik der Europäischen Gemeinschaft war lange Zeit nicht vorgesehen. Erst
mit dem Vertrag von Maastricht (Inkrafttreten 1993) wurde sie als Gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik (GASP) ins Leben gerufen und seit 1999 durch eine Gemeinsame Sicherheits- und
Verteidigungspolitik (GSVP) ergänzt. Mit dem Lissabonner Vertrag legte die Europäische Union
größeren Wert auf das auswärtige Handeln und hat durch die Position des Hohen Vertreters für die
Außen- und Sicherheitspolitik sowie mit der Schaffung eines Europäischen Auswärtigen Dienstes neue
Strukturen geschaffen.
Mittlerweile hat sich gezeigt, dass die Ansprüche der internationalen Gemeinschaft an die Europäische
Union gestiegen sind. Die EU ist zu groß und zu bedeutsam, um sich aus der internationalen Politik
herauszuhalten. Diese Situation wird noch dadurch verstärkt, dass die Vereinigten Staaten von Amerika
in den letzten Jahren sehr viel ihrer militärischen, wirtschaftlichen und moralischen Stärke eingebüßt
haben. Zwar sind die USA weiterhin die bedeutendste Macht der Welt und auch der engste Partner
der EU, aber es hat sich gezeigt, dass sie alleine nicht in der Lage sind, die Weltpolitik zu gestalten.
Wenngleich die Landesverteidigung die Aufgabe der NATO bleibt, hat die Europäische Union
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mittlerweile zahlreiche militärische oder zivil-militärische Missionen auf sich genommen. So stabilisiert
sie mit militärischen Mitteln die Lage in Bosnien-Herzegowina, in Zentralafrika, in Mali und in
Zentralafrika. Vor dem Horn von Afrika beteiligt sich die EU an der Abwehr von Piraten, die die Seefahrt
bedrohen. Mit zivilen Missionen unterstützt sie unter anderem die Entwicklung im Kosovo, in den
Palästinensischen Gebieten, in Georgien und in Afghanistan. Die Einsatzkräfte für jede dieser
Missionen müssen jeweils durch Vereinbarungen der EU-Staaten zusammengestellt werden, was nicht
immer einfach ist.
Das Verhältnis zwischen der EU und den USA ist durch die sogenannte NSA-Affäre in Mitleidenschaft
gezogen worden. Im Jahr 2013 stellte sich heraus, dass die USA die elektronische Kommunikation in
Europa abhören und speichern – bis hin zum Mobiltelefon der deutschen Bundeskanzlerin. Wenngleich
dieses Vorgehen von den USA mit dem Kampf gegen den Terrorismus begründet wurde, richteten sich
die Maßnahmen – wie zum Beispiel das Verwanzen von EU-Repräsentationen in den USA und sogar
von EU-Amtsgebäuden in Brüssel – eindeutig gegen die Bündnispartner. Auch das neue große
Vorhaben von EU und USA, ein Transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen zu schließen,
mit dem eine transatlantische Freihandelszone entstehen soll, leidet unter dem Vertrauensverlust.
Die Europäische Union muss im eigenen Interesse ihr Gewicht für die Weiterentwicklung des
Weltwirtschaftssystems, für die Erhaltung bzw. Schaffung des Friedens und für den Schutz der Umwelt
vor globaler Zerstörung einbringen. Hierzu wird sie ihre innere Abstimmung und ihre außenpolitischen
und militärpolitischen Instrumente wesentlich verfeinern müssen. Oftmals scheitert eine europäische
Außenpolitik daran, dass die EU-Partner sich nicht einigen können oder eine solche Vereinbarung zu
viel Zeit kostet. Dies war beispielsweise beim Vorgehen gegen den libyschen Diktator Gaddafi im Jahr
2011 der Fall. Auch zum Irakkrieg ab 2003 gelang es den EU-Staaten nicht, eine gemeinsame Position
zu entwickeln. Im Zusammenhang mit der russischen Annexion der Krim 2014 bemüht sich die EU
um ein einheitliches Auftreten gegenüber Moskau, obwohl auch hier die Interessen und Abhängigkeiten
sehr unterschiedlich sind.
Es zeigt sich, dass die Europäische Union vor einer großen Zahl von Herausforderungen steht, von
denen offensichtlich ist, dass kein Mitgliedstaat allein sie bewältigen kann. Ob es der Europäischen
Union als Ganzer gelingt, die vor ihr stehenden Aufgaben zu lösen, wird stark darüber entscheiden,
wie gut wir und unsere Kinder in den nächsten Jahren und Jahrzehnten leben. Der Erfolg wird allerdings
nicht zuletzt davon abhängen, ob die Bürgerinnen und Bürger der EU-Länder die europäische
Integration zu ihrer gemeinsamen Sache machen, dem Projekt ihre Unterstützung gewähren und sich
an den europäischen Entscheidungsprozessen beteiligen. Unabhängig von Wirtschaftsgröße und
Bevölkerungszahl wird die EU ihr Gewicht nämlich nur in die Waagschale werfen können, wenn bei
den Partnern (oder auch Gegnern) der glaubhafte Eindruck entsteht, dass die Bürger und die
Mitgliedstaaten hinter der gemeinsamen EU-Politik stehen.
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Internet-Links und weiterführende Literatur
Von Eckart D. Stratenschulte
15.5.2009
Hier finden Sie Internet-Links und weiterführende Literatur zum bpb-Dossier: Die Europäische
Union: "Wie geht es weiter mit der EU?".
Internet-Links
Umsetzungsbericht der Europäischen Kommission für das Lissabon-Programm
http://ec.europa.eu/growthandjobs/pdf/european-dimension-200812-annual-progress-report/COM2008881DE.
pdf (http://ec.europa.eu/growthandjobs/pdf/european-dimension-200812-annual-progress-report/COM2008881DE.
pdf)
Bericht der Europäischen Kommission über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Erreichung der fünf
Ziele des Lissabonprozesses – auf Englisch
http://ec.europa.eu/enterprise/enterprise_policy/
competitiveness/doc/industrial_policy_and_economic_reforms
_papers_1.pdf (http://ec.europa.eu/enterprise/enterprise_policy/competitiveness/doc/
industrial_policy_and_economic_reforms_papers_1.pdf)
Internetseite der Europäischen Kommission über die EU-Erweiterung
http://ec.europa.eu/enlargement/index_de.htm (http://ec.europa.eu/enlargement/index_de.htm)
Internetseite der Europäischen Kommission über Außenpolitik
http://ec.europa.eu/external_relations/cfsp/index_en.htm (http://ec.europa.eu/external_relations/cfsp/
index_en.htm)
Internetseite der Europäischen Kommission über die Europäische Nachbarschaftspolitik
http://ec.europa.eu/world/enp/index_de.htm (http://ec.europa.eu/world/enp/index_de.htm)
Internetseite von Pro Asyl e.V.
http://www.proasyl.de/ (http://www.proasyl.de/)
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Literatur
Jürgen Habermas, Ach, Europa, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2008
Thilo Harth/Wichard Woyke, Die Europäische Union konkret: Nachgefragt in 12 Kapiteln, Opladen:
Verlag Barbara Budrich 2008
Dietmar Herz/Christian Jetzlsperger, Die Europäische Union, München: C.H. Beck Verlag 2008
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Redaktion
1.12.2014
Hier finden Sie die Redaktion des bpb-Dossiers zur Europäischen Union.
Herausgeber
Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, Bonn, 2009-2014
Verantwortlich gemäß § 55 RStV: Thorsten Schilling
Autor
Eckart D. Stratenschulte
Redaktion bpb
Martin Hetterich
Thomas Fettien
Matthias Klein
Matthias Jung
Ruben Frangenberg
Anny Boc (studentische Mitarbeiterin)
Grafiken
Eckart D. Stratenschulte
Daniel Bergs (Gestaltung)
Die Grafiken (Institutionen, Mitgliedstaaten, Europa-Parlament, Fraktionen im EP, Gesetzgebung und
Partizipationsmöglichkeiten) entstammen dem Dossier "Europawahlen (http://www.bpb.de/politik/
wahlen/europawahl/)"
Titelbild
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