Dossier Die Europäische Union bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 2 Einleitung Nach fast sechs Jahrzehnten blickt die Europäische Union auf eine Erfolgsgeschichte zurück. Doch gerade das Zusammenspiel der mittlerweile 28 Mitgliedstaaten soll weiter verbessert werden. Viele vertragliche Grundlagen werden als nicht mehr zeitgemäß empfunden. Nach der Ablehnung des EUGrundlagenvertrags 2004 soll der Vertrag von Lissabon diese Lücken schließen. Den neuen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts soll noch stärker Rechnung getragen werden. Besonderes Augenmerk liegt auf der Erhaltung des Wohlstands und des sozialen Schutzes innerhalb der EU. Dabei stehen die Chancen für Europa gut – der europäische Binnenmarkt ist der größte der Welt. 2007 wurden hier Waren im Wert von 5225,2 Mrd. Euro gehandelt. Mit rund 500 Millionen Menschen bildet die EU den größten Wirtschaftsraum der Welt. Das Dossier vermittelt einen lexikalischen Überblick, um sich mit der EU auseinanderzusetzen. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 3 Inhaltsverzeichnis 1. Warum Europa? 6 1.1 Warum Europa? 7 1.2 Gesamteuropa politisch 11 1.3 Gesamteuropa nach Bündnissen 13 1.4 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union 15 1.5 Ich und die EU – EU im Alltag 18 1.6 Die Werte der Europäischen Union 20 2. Was geschieht in der EU? 22 2.1 Binnenmarkt 23 2.2 Der Europäische Binnenmarkt 27 2.3 Wirtschaftsdaten 29 2.4 Währungsunion (Euro) 31 2.5 Die europäische Währungspolitik 34 2.6 Umweltpolitik 36 2.7 Umwelt und Klima 38 2.8 Energiepolitik 40 2.9 Energiepolitik: Abhängigkeiten und Pipelines - Öl 42 2.10 Energiepolitik: Abhängigkeiten und Pipelines - Gas 44 2.11 Landwirtschaftspolitik 46 2.12 Agrarpolitik 48 2.13 Regional- und Strukturpolitik 50 2.14 Sozialpolitik 52 2.15 Sozialpolitik der EU 55 2.16 Rechts- und Innenpolitik 57 2.17 Rechts- und Innenpolitik der Europäischen Union 59 2.18 Das Schengener Übereinkommen 61 2.19 Das auswärtige Handeln der EU 63 2.20 Die Außenpolitik der Europäischen Union – Handlungsfelder 66 2.21 Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik - Strukturen 68 bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 4 2.22 Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Die Sicherheitsstrategie 2003/2008 70 2.23 Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Missionen 72 2.24 Internet-Links und weiterführende Literatur 74 3. Wer tut was in Europa? 75 3.1 Prinzipien des EU-Aufbaus 76 3.2 Die Prinzipien der EU 78 3.3 Europäisches Parlament 80 3.4 Das Europaparlament 83 3.5 Fraktionen im EP 85 3.6 Rat der Europäischen Union 88 3.7 Europäischer Rat 90 3.8 Europäische Kommission 92 3.9 Europäischer Gerichtshof 94 3.10 Europäische Zentralbank 95 3.11 Institutionen der Europäischen Union 97 3.12 Europäische Gesetzgebung 99 3.13 Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik 102 3.14 Beratende Ausschüsse 104 3.15 Europäische Bürgerbeauftragte 105 3.16 Partizipationsmöglichkeiten 106 3.17 Europäischer Haushalt 110 3.18 Haushalt der Europäischen Union 115 3.19 Zuständigkeitsbereiche in der Europäischen Union 117 3.20 Internet-Links und weiterführende Literatur 119 4. Wie fing das an mit der EU? 121 4.1 Gründung der Europäischen Gemeinschaften 122 4.2 Erweiterungen und Vertiefungen der europäischen Integration 124 4.3 Entwicklung der Integration 128 4.4 Versuche der institutionellen Reform 130 4.5 Der Lissabonner Vertrag auf einen Blick 132 4.6 Internet-Links und weiterführende Literatur 134 5. Wie geht es weiter mit der EU? 135 5.1 Überblick 136 5.2 Die Akzeptanz der Bevölkerung 138 5.3 Die Sicherung des Wohlstands 141 5.4 Bewältigung der Eurokrise 144 bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 5 5.5 Erhaltung der Umwelt 146 5.6 Künftige Erweiterungen und Verhältnis zu den Nachbarn 149 5.7 Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts 154 5.8 Migration 156 5.9 Die EU als internationaler Akteur 159 5.10 Internet-Links und weiterführende Literatur 161 6. bpb.de Redaktion 163 Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 6 Warum Europa? 24.9.2009 Viele Menschen denken, die Europäische Union ginge sie nichts an. Das stimmt aber nur, wenn sie nicht atmen und kein Wasser trinken, wenn sie nicht arbeiten, nicht einkaufen und kein Geld haben, wenn sie nicht studieren und nicht verreisen. Sollten sie das aber doch tun, wirkt die Europäische Union auf ihr Leben ein. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 7 Warum Europa? Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Europa? Das ist für viele ein fremder Ort, ein abstraktes Gebilde. Dabei regelt die EU jetzt schon vieles, was jeden von uns im täglichen Leben betrifft. Eine Einführung. Europa – was ist das? Oder muss man fragen: Wer ist das? Beide Fragen sind möglich und auf beide gibt es eine Antwort. Europa war – der griechischen Sage zufolge - eine phönizische Königstochter, die dem Gott Zeus so gut gefiel, dass er sich in einen weißen Stier verwandelte und sie nach Kreta entführte, wo sie ihm mehrere Kinder schenkte und dem Kontinent ihren Namen gab. Dieser Kontinent Europa ist unsere Heimat und hat uns geschichtlich, kulturell und mental geprägt. Darüber, wo der Erdteil endet, wird heftig diskutiert, da es klare geographische Grenzen im Osten und Südosten nicht gibt. Europa ist nicht objektiv gegeben, es wird von uns definiert. Das zeigt sich am Beispiel Islands, das durch das europäische Nordmeer vom Festland getrennt ist, aber allgemeiner Auffassung nach selbstverständlich zu Europa gehört – und auch in Erwägung gezogen hat, Mitglied der EU zu werden. Oftmals, wenn von "Europa" gesprochen wird, ist jedoch die Europäische Union (EU) gemeint, also der Zusammenschluss von derzeit 28 europäischen Staaten. Die EU, mit der sich dieses Dossier im Wesentlichen befasst, ist aus dem Bündnis von sechs westeuropäischen Staaten in den 1950er-Jahren entstanden, um den Frieden unter den Mitgliedstaaten zu sichern. Sie ist die Konsequenz der europäischen Staaten aus dem Zweiten Weltkrieg und war auf der Basis gemeinsamer Werte immer auf das ganze Europa angelegt. So ist es kein Zufall, dass sie im Laufe der Jahre und vor allem seit der Zeitenwende in Europa 1989 – 1991 neue Mitglieder gewonnen hat – und auch bereit ist, weitere Länder aufzunehmen. Die EU wirkt auf das Leben ihrer Bürger ein Viele Menschen denken, diese Europäische Union ginge sie nichts an. Das stimmt aber nur, wenn sie nicht atmen und kein Wasser trinken, wenn sie nicht arbeiten, nicht einkaufen und kein Geld haben, wenn sie nicht studieren und nicht verreisen. Sollten sie das aber doch tun, wirkt die Europäische Union auf ihr Leben ein. Umwelt Vieles, was unser Leben bestimmt, wird durch europäische Vorschriften geregelt. Nehmen wir den Bereich unserer natürlichen Umwelt. Hier haben sich die Staaten der Europäischen Union auf wichtige Standards geeinigt und das war auch nötig. Umweltverschmutzung kennt keine Grenzen. So gibt es eine Feinstaubrichtlinie (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31999L0030: DE:HTML), die bestimmt, wie viele (krebserregende) Staubpartikel unsere Atemluft höchstens enthalten darf und es gibt eine Trinkwasserrichtlinie (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ. do?uri=CELEX:31998L0083:DE:HTML), die Höchstwerte für Giftstoffe im Trinkwasser festlegt. Eine Richtlinie gibt dabei lediglich die Ziele vor. Wie die Staaten diese Ziele erreichen, verbleibt in ihrer eigenen Regelungskompetenz. Einkaufen Dass im Supermarkt nicht nur deutsche Produkte angeboten werden, ist für uns völlig selbstverständlich. Spanischer Wein, französischer Käse und polnische Wurstwaren stehen im Regal neben ähnlichen Produkten aus Deutschland. Was besser ist, entscheiden jede Verbraucherin und bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 8 jeder Verbraucher durch ihren Einkauf selbst. Die Kunden haben die Wahl. Dabei können sie sich auf zwei Dinge verlassen: Zum einen gelten die Lebensmittelstandards, die sie in Deutschland gewohnt sind, auch für die Produkte aus dem europäischen Ausland. Zum anderen werden die ausländischen Waren zu den Preisen angeboten, die die Hersteller und Verkäufer vorgeben. Es gibt keinen Zoll, der die Waren künstlich verteuert und der für die Käufer eine Art Strafsteuer darstellt, wenn sie sich für ausländische Produkte entscheiden. Export und Binnenmarkt Nun wird in Deutschland nicht nur vieles eingeführt, sondern auch sehr viel produziert, was in den Export geht. Im Jahr 2012 wurden Waren und Dienstleistungen im Wert von 1.096 Mrd. Euro in Deutschland hergestellt, die ins Ausland verkauft wurden. 2012 gab es einen Exportüberschuss in Höhe von 190 Mrd. Euro, das heißt, wir verkaufen ins Ausland mehr Dinge als wir von dort kaufen. Damit werden bei uns Arbeitsplätze gesichert. Den schnellen Wiederaufschwung aus der großen Finanz- und Wirtschaftskrise verdanken wir ebenfalls dem Export. Knapp zwei Drittel unserer Exporte gehen in die anderen Länder der Europäischen Union. Und genauso, wie die Bundesregierung die Einfuhr italienischer Nudeln nicht verhindern könnte, dürfen uns die anderen EU-Staaten keine Steine in den Weg legen, unsere Produkte im Ausland anzubieten. Wenn die Franzosen deutsche Autos besser finden, kann die französische Regierung sie nicht daran hindern, sie zu kaufen. Die Europäische Union ist ein Binnenmarkt mit mehr als 500 Millionen Menschen. Das bedeutet, dass innerhalb der EU alles so frei und selbstverständlich geht, wie man das aus seinem eigenen Land gewohnt ist. Freizügigkeit in der EU Aber nicht nur die Waren und Dienstleistungen sind frei, auch die Menschen genießen Freizügigkeit. Wer in einem anderen EU-Land leben und arbeiten will, kann das tun. Deutschland profitiert davon zurzeit in besonderem Maße, weil viele Fachkräfte aus anderen EU-Staaten zu uns kommen und hier zur Wertschöpfung beitragen. Gemeinsame Währung Zum Einkaufen benötigt man Geld. Wer in Deutschland sein Portemonnaie öffnet – sieht Europa. Unsere Währung ist seit 1999 der Euro. Dabei handelt es sich um eine Gemeinschaftswährung, die seit 2014 in 18 der 28 EU-Staaten benutzt wird. Bei Geld ist vor allem die Preisstabilität wichtig, über die die Europäische Zentralbank wacht. Im Zentralbankrat sind alle Euro-Staaten gleichberechtigt vertreten, natürlich auch Deutschland – aber eben genauso beispielsweise Frankreich, Belgien, Slowenien oder Malta. Bildung Viele weitere Beispiele lassen sich nennen, die zeigen, dass die Europäische Union stark in unser Leben eingreift. Dazu gehört auch der Bereich der universitären Bildung. Hier werden zum einen die Bildungsabschlüsse angeglichen, um die gegenseitige Akzeptanz zu stärken. Dieser "BolognaProzess" wurde zwar nicht von der EU initiiert, findet aber im Wesentlichen in den EU-Staaten statt. Auch Länder, die die Mitgliedschaft in der EU anstreben, richten ihr Bildungssystem danach aus – z. B. Serbien oder die Türkei. Damit immer mehr Studierende – und auch Auszubildende – Europa selbst erleben können, hat die EU das Erasmus-Programm ins Leben gerufen. Damit wird Studierenden die Möglichkeit geboten, dass sie einen Teil ihres Studiums im Ausland verbringen können und ihnen die dort erbrachten Leistungen an der Heimathochschule angerechnet werden. Im akademischen Jahr 2011/2012 haben über 250.000 Studierende in der EU von diesem Angebot Gebrauch gemacht. Insgesamt waren das seit Beginn des Programms im Jahr 1987 mehr als 3 Millionen. In Europa reisen Aber auch, wer in ein anderes EU-Land reist, um in den Urlaub zu fahren oder um Freunde zu besuchen, bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 9 kommt mit den EU-Regelungen in Berührung. Auffallend ist, dass in den allermeisten EU-Staaten keine Grenzkontrolle mehr stattfindet. Das hat mit dem Schengener Übereinkommen zu tun, mit dem die Kontrollen an den Binnengrenzen der EU aufgehoben worden sind. Man kann heute von Nordfinnland bis nach Sizilien fahren, ohne einmal einen Ausweis oder gar Reisepass zeigen zu müssen. Wer mit dem Flugzeug unterwegs ist, wird durch die EU gleich mehrfach geschützt. Zum einen sind auf EU-Ebene mittlerweile sogenannte Lockvogel-Angebote verboten, auf die in der Vergangenheit viele Menschen hereingefallen sind. Da wurde ein Flug für wenig Geld angeboten, kostete den Kunden jedoch letztendlich ein Vielfaches, weil dem "eigentlichen Flugpreis" Steuer, Kerosinzuschlag, Sicherheitsgebühr und Bearbeitungszuschlag hinzugerechnet wurden. Heute muss eine Fluggesellschaft in ihrer Werbung den Preis angeben, den der Kunde letztendlich zahlt. Durch Billigfluglinien ist das Reisen sehr viel preisgünstiger geworden. Eine intensive Kontrolle innerhalb der EU verhindert jedoch, dass fluguntaugliche Flugzeuge an den Start geschickt werden. Schrottmaschinen aus Drittstaaten bekommen in der gesamten EU keine Landeerlaubnis, für sie gibt es eine schwarze Liste (http://ec.europa.eu/transport/air-ban/pdf/list_de.pdf). Und wer unter Flugverspätungen oder gar -Überbuchungen zu leiden hat, kann eine Reihe von Passagierrechten (http://ec.europa.eu/transport/publications/doc/aff_apr_a4_en.pdf) geltend machen, die EU-weit gelten und auf jedem Flughafen aushängen. Wer nach seiner Reise ins europäische Ausland gut angekommen ist und mit dem Mobiltelefon zu Hause anruft, tut das jetzt kostengünstiger als früher, weil die Europäische Union die sogenannten Roaming-Gebühren der Telefongesellschaften beschränkt hat. Dass die EU mit dem täglichen Leben der Bürgerinnen und Bürger nichts zu tun hat, ist also eindeutig falsch. Wenn man seinen Alltag vom Morgen bis zum Abend rekonstruiert, wird man feststellen, dass man fortlaufend Regelungen und Einflüssen der Europäischen Union begegnet. Das ist uns allerdings im Allgemeinen nicht bewusst. Europa und Bürokratie Viele denken allerdings, wenn sie das Wort "Europäische Union" hören, nicht an Frieden, Freiheit, Stabilität, Wohlstand, Umwelt- und Verbraucherschutz. Im Gegenteil: Ihnen fallen als erstes komplizierte Strukturen und viel Bürokratie ein. Man hat die Vorstellung, in Brüssel würden Unmassen von "Eurokraten" sitzen und unser Geld für sinnlose Dinge ausgeben. Gerne werden auch in der Presse Beispiele zitiert, oftmals ohne eine Angabe der Zusammenhänge. Tatsächlich arbeiten in der Europäischen Kommission rund 25.000 EU-Beamte. Zum Vergleich: Auf dem Frankfurter Flughafen sind etwa 70.000 Personen tätig. Und von ihrem Haushalt von über 134 Mrd. Euro (im Jahr 2014) gibt die Europäische Union lediglich 6 Prozent für die Verwaltung aus. Sicherlich bestehen auch überflüssige bürokratische Regeln in der EU und es gibt Dinge, über die man den Kopf schüttelt. Aber das ist in Deutschland nicht anders. Einfach zu verstehen ist die Europäische Union allerdings tatsächlich nicht. Die Entscheidungsfindung in einer Union mit 28 Staaten, die in 24 Amtssprachen miteinander reden, ist komplizierter als in einem Nationalstaat oder gar auf regionaler oder kommunaler Ebene. Da die Europäische Union kein Staat ist, sondern eine Union der Staaten und der Bürger, kann man auch die Institutionen nicht einfach mit den deutschen Verfassungsorganen gleichsetzen. Zudem ist die Europäische Union ein sogenanntes Mehrebenensystem. Damit ist gemeint, dass verschiedene Ebenen in den politischen Prozessen zusammenwirken. Wenn man sich beispielsweise in der Europäischen Union auf Höchstgrenzen für Lärm einigt, wie es mit der Umgebungslärmrichtlinie (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ. do?uri=OJ:L:2002:189:0012:0025:DE:PDF) geschehen ist, müssen diese Werte auf nationaler Ebene in Gesetze gegossen und mit Maßnahmen versehen werden, die letztlich in den Kommunen umzusetzen sind. Alle drei Ebenen, die europäische, die nationale und die lokale, sind also in den Prozess einbezogen, der dazu führt, dass wir weniger durch Lärm beeinträchtigt werden. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 10 Europa als Sündenbock? Man muss sich also ein wenig Mühe machen, die Europäische Union zu verstehen. Dies ist umso schwieriger, weil sie gerne zum Sündenbock gestempelt wird. Wenn etwas Positives zu vermelden ist, wie die Verlängerung der Garantie auf Gebrauchsgüter von sechs Monaten auf zwei Jahre, nehmen nationale Politiker das gerne für sich in Anspruch, obwohl es auf eine europäische Regelung zurück geht. Wenn aber umgekehrt etwas Unangenehmes zu berichten ist, dann wird es mit Vorliebe auf "Brüssel" geschoben und so getan, als hätte die deutsche Politik damit nichts zu tun. Tatsächlich - das wird sich im Weiteren noch zeigen - wird in den europäischen Institutionen kein einziger Beschluss gefasst, an dem kein deutscher Politiker oder Beamter beteiligt ist. Wenn man einmal damit begonnen hat, sich die EU näher anzuschauen, wird man allerdings feststellen, dass auch sie kein Buch mit sieben Siegeln ist. Dieses Dossier soll dabei helfen, die EU zu verstehen. Dabei geht es nicht darum, jede Einzelheit in den Blick zu nehmen. Ziel ist vielmehr, die großen Linien nachzuzeichnen, durch die die EU charakterisiert wird. Wer dann Lust bekommt, es noch genauer wissen zu wollen, sei auf die in jedem Kapitel angegebenen Internet-Links sowie die dort genannte Literatur verwiesen. Internet-Links europa.eu (Offizielle Internetseite der Europäischen Union) (http://europa.eu) auswaertiges-amt.de (Europa-Seite des Auswärtigen Amtes) (http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/ de/Europa/Uebersicht.html) euractiv.de (unabhängiger kostenloser Informationsdienst über die Entwicklungen in der Europäischen Union) (http://www.euractiv.com/de/HomePage) cafebabel.de (mehrsprachige kostenlose Internetzeitschrift, die sich speziell an ein jüngeres Publikum richtet) (http://www.cafebabel.com/ger/) Weiterführende Literatur Eckart D. Stratenschulte, Europa: Ein (Über)Blick, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, Zeitbilder Nr. 6, 2007 (Neuauflage in Vorbereitung). Werner Weidenfeld, Die Europäische Union, 3. Akt. Aufl., München: Fink Verlag, 2013. Werner Weidenfeld und Wolfgang Wessels: Europa von A bis Z, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2014. Bruno Zandonella: Pocket Europa. EU-Begriffe und Länderdaten, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2007. (http://www.bpb.de/shop/buecher/pocket/34345/europa-eu-begriffe-und-laenderdaten) Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/ de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/) bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 11 Gesamteuropa politisch 23.9.2009 Die Folie zeigt Europa mit seinen politischen Grenzen. Was auf den ersten Blick einleuchtend und "objektiv" erscheint, hat jedoch seine Tücken. Tatsächlich liegen die Grenzen des europäischen Kontinents nicht objektiv fest, sie sind vielmehr eine Setzung. Ein Kontinent ist klassischerweise eine Landmasse (und ihre vorgelagerten Inseln), die durch schwer überwindbare natürliche Grenzen von anderen Landmassen unterschieden ist. Bei Europa gibt es diese Grenzen in Richtung Osten und Südosten nicht. Tatsächlich liegen Europa und Asien auf derselben Landmasse. Oft hört man, der Bosporus sei die Grenze Europas im Südosten. Der stellt allerdings keine schwer überwindbare Grenze dar, da man ihn leicht auf zwei Brücken überqueren und auch durchschwimmen kann. Zypern, weit östlich des Bosporus gelegen, ist seit 2004 Mitglied der Europäischen Union. Europas Grenze im Osten, heißt es gelegentlich, sei der Ural, bei dem es sich allerdings um ein Mittelgebirge handelt. Hinzu kommt, sowohl bei Russland als auch bei der Türkei, die auch über Territorium westlich des Bosporus verfügt, die Frage, ob ein Land teilweise europäisch sein kann. Auch Georgien strebt die Mitgliedschaft in der Europäischen Union an und verweist dabei auf seine Geschichte, Kultur und auch Religion – das Land war bereits im 4. Jahrhundert christlich. Im Westen hingegen gibt es schwer überwindbare Grenzen. Der Ärmelkanal zwischen Frankreich und Großbritannien ist sicherlich schwieriger mit eigener Körperkraft zu durchqueren, obwohl auch das gelegentlich geschieht. Aber dass Großbritannien, seit 1973 EU-Mitglied, zu Europa gehört, wird nicht bestritten. Dies ist auch bei Island nicht der Fall, das weit im europäischen Nordmeer liegt – und neuerdings mit der EU-Mitgliedschaft liebäugelt. Auch über die Grenzen oder sogar die Staatlichkeit einiger Gebiete gibt es unterschiedliche Auffassungen. Kosovo hat sich 2008 für unabhängig erklärt und wird mittlerweile von über 60 Staaten diplomatisch anerkannt - allerdings von ca. 130 Staaten, darunter auch von fünf EU-Ländern, nicht. Über den Status von Berg-Karabach wird heftig gestritten. Während Aserbaidschan das Gebiet als Teil seines Territoriums reklamiert, hat das Gebiet sich 1991 als Republik Nagorny Karabach für unabhängig erklärt und wird darin von Armenien unterstützt. Allerdings ist das Gebiet bislang von niemandem völkerrechtlich anerkannt – auch von Armenien nicht. Ähnlich verhält es sich mit Abchasien und Südossetien, die sich 2008 von Georgien losgesagt haben und darin von Russland militärisch und diplomatisch unterstützt werden. Außer Russland hat jedoch lediglich Nicaragua die völkerrechtliche Anerkennung vollzogen. Ebenfalls international nicht anerkannt ist die Transnistrische Moldauische Republik, die sich 1992 von der Republik Moldau abgespalten hat – mit militärischer Unterstützung Russlands, aber ohne dessen diplomatische Anerkennung. Diese Sezessionsgebiete – Nagorny Karabach, Transnistrien, Südossetien und Abchasien – sind Zerfallsprodukte der 1991 aufgelösten Sowjetunion. Völkerrechtlich spricht man von De-facto-Regimen. Dies gilt auch für die Türkische Republik Nordzypern, die sich 1983 im nördlichen Teil der Insel Zypern gegründet hat, darin allerdings nur von der Türkei unterstützt wird. Zypern stellt für die EU eine besondere Situation dar. 2004 wurde nämlich die gesamte Insel in die Europäische Union aufgenommen, allerdings gelten die EU-Regeln bislang nur im südlichen Teil, der Republik Zypern, die das Land auch in den europäischen Institutionen repräsentiert. Man könnte also die politische Karte Europas auch anders zeichnen. Eine Europakarte, auf die sich bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 12 geografisch und politisch alle einigen können, gibt es nicht. Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/ de/ (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/) bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 13 Gesamteuropa nach Bündnissen 24.9.2009 Die Europäischen Staaten sind Mitglieder in verschiedenen Allianzen, die sich zu einem wesentlichen Teil ergänzen, im Militärbereich jedoch auch ausschließen. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/R9XB7J.pdf) Dem 1949 gegründeten Europarat gehören fast alle Länder Europas an. Ausnahmen sind der Vatikanstaat und Belarus, die nicht den demokratischen Standards des Europarates entsprechen, sowie Kosovo, dessen Staatlichkeit von einigen Europaratsmitgliedern nicht anerkannt ist. Der Europarat ist eine auf Frieden und Demokratie gerichtete Institution, die ihre Ziele allerdings ausschließlich durch freiwillige Zusammenarbeit und Erfahrungsaustausch erreichen will. Eine Institution des Europarats ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dessen Rechtsprechung auf der Basis der Europäischen Menschenrechtskonvention erfolgt. Die Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, die Urteile zu akzeptieren und in der nationalen Rechtsprechung zu berücksichtigen. Der Gerichtshof kann von allen Bürgern der Teilnehmerländer nach Ausschöpfung des nationalen Rechtswegs angerufen werden. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 14 Die NATO (North Atlantic Treaty Organization) ist ein – ebenfalls 1949 entstandenes – Verteidigungsbündnis, dem auch die USA und Kanada angehören. Die NATO, gegründet als westliche Allianz gegen den politischen und militärischen Druck der Sowjetunion und ihrer Bündnispartner, die sich im Warschauer Pakt zusammengeschlossen hatten, hat sich in den letzten Jahren auf insgesamt 28 Mitglieder erweitert. Die Mitgliedschaft Mazedoniens konnte sich bislang wegen eines bilateralen Konflikts mit Griechenland nicht verwirklichen. Georgien strebt die NATO-Mitgliedschaft an. Das in politischer Hinsicht weitestgehende Bündnis ist die Europäische Union, der die derzeit 27 Mitgliedstaaten Souveränitätsrechte übertragen haben, die sie auf europäischer Ebene gemeinsam ausüben. In der Schwarzmeerorganisation BSEC (Black Sea Economic Cooperation Organization) sind neben den sechs Anrainerstaaten auch Griechenland, Armenien, Aserbaidschan, Moldau, Albanien und Serbien vertreten. Ziel der BSEC ist eine engere wirtschaftliche und maritime Kooperation. Ihr Sitz befindet sich in Istanbul. Als 1991 die Sowjetunion aufgelöst wurde, gründeten einige Staaten die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), um die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen der ehemaligen Sowjetrepubliken zueinander zu erhalten. Die baltischen Staaten haben der GUS nie angehört und Georgien ist 2008 ausgetreten. Turkmenistan ist nur beigeordnetes Mitglied. Kompliziert ist die Situation mit der Ukraine: Sie ist zwar Gründungsmitglied der GUS, ihr aber dennoch nicht beigetreten. Damit hat die Ukraine eine Art assoziierten Status. Die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) ist ein Sicherheits- und Militärbündnis, dem neben Russland, Belarus und Armenien die vier zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan angehören. Alle auf der Folie hervorgehobenen Staaten gehören – genauso wie die fünf zentralasiatischen (und ehemals sowjetischen) Staaten Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan Turkmenistan und Usbekistan sowie die USA und Kanada – der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) an. Eine Ausnahme stellt hier lediglich Kosovo dar, dessen völkerrechtliche Anerkennung nicht von allen OSZE-Mitgliedern vollzogen worden ist. Auch die De-facto-Regime (Berg Karabach, Transnistrien, Abchasien, Südossetien) sind in keiner dieser Organisationen vertreten. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 15 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union 27.9.2010 Auf einen Blick: Die EU-Mitgliedstaaten mit Stimmen im Rat der EU, Europaabgeordneten und Einwohnern. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/4RT2SN.pdf) Das einzige Gremium, in dem jedes Mitgliedsland eine Stimme hat, ist der Europäische Rat. Dieser ist die Vertretung der Staats- und Regierungschefs in der Europäischen Union. Aufgabe des Europäischen Rats ist es, die allgemeinen Zielvorstellungen zu formulieren. Häufig müssen die Staatsund Regierungschefs auf ihren Gipfeltreffen Konflikte lösen, die im Rat der EU (also dem sogenannten Ministerrat) aufkommen. In den beiden Organen des Ministerrats und des Europäischen Parlaments hingegen sind durch die verschiedenen Gemeinschaftsverträge Formeln für die Repräsentation der Staaten festgelegt (beim Rat werden diese aber nur in bestimmten Abstimmungsmodi angewandt). Der Grund hierfür liegt in den Größenverhältnissen zwischen den 27 Mitgliedsstaaten in Bezug auf ihre Bevölkerungszahlen. Die Unterschiede in der Europäischen Union sind so groß, dass eine direkt bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 16 proportionale Repräsentation der Staaten im Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl von den kleineren Staaten als ungerecht empfunden werden könnte. Für den umgekehrten Fall wurde in den die EU konstituierenden Verträgen festgelegt, dass eine gewisse Höchstzahl von Abgeordneten nicht überschritten werden sollte, um die Arbeitsfähigkeit nicht zu gefährden. Im Fall einer direkten Vertretung anhand der Bevölkerungszahl aber wären kleine Mitgliedsstaaten benachteiligt. Malta, eines der jüngsten Mitgliedsländer, verfügt nur über ungefähr 400.000 Einwohner, wohingegen das größte Mitgliedsland, die Bundesrepublik, ungefähr 82 Millionen Einwohner hat. Bei einer direkten Vertretung würden allein die Stimmen der deutschen Abgeordneten ausreichen, eine Vielzahl der kleineren Staaten zu überstimmen. Zudem organisieren sich die Mitglieder des Europäischen Parlaments wie die gewählten Abgeordneten nationaler Parlamente in Parteien. Eine größere Anzahl Abgeordneter eines Landes ist daher auch besser in der Lage, das Wahlergebnis und die Parteienpräferenzen im Herkunftsland widerzuspiegeln. Nach dem Vertrag von Lissabon darf die Gesamtzahl von 750 Abgeordneten zuzüglich des Parlamentspräsidenten nicht überschritten werden. Dieses würde auch im Fall einer Erweiterung der Europäischen Union gelten. Diese Regelung soll dazu beitragen, dass die Arbeitsfähigkeit des Europäischen Parlaments auch bei noch folgenden Erweiterungen der Union gewährleistet bleibt. Kein Land soll mehr als 96 und weniger als sechs Abgeordnete in das Europaparlament entsenden. Die Europawahlen im Juni 2009 wurden jedoch noch nach dem Vertrag von Nizza abgehalten, der eine Begrenzung auf 736 Abgeordnete sowie eine andere Mindest- und Höchstzahl für die Mitgliedsstaaten vorsah - die im Vergleich zum Vertrag von Lissabon fehlenden Abgeordneten sollten nachgewählt werden. Im Parlament gibt es daher 99 deutsche Abgeordnete. Das zweite gesetzgebende Gremium ist der Rat der Europäischen Union. Im Allgemeinen ist der Rat bestrebt, möglichst alle Entscheidungen im Konsens zu treffen. In bestimmten Bereichen, wie u. a. der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik oder bei der Festlegung eines langfristigen Finanzrahmens ist nach wie vor eine Einstimmigkeit erforderlich. In den Verträgen ist genau festgelegt, in welchen Fällen der Rat mit einfacher Mehrheit, mit qualifizierter Mehrheit oder einstimmig beschließt. Mit einfacher Mehrheit, also der Mehrheit der Mitglieder (d. h. 14 von 27 Mitgliedern, sofern es keine Enthaltungen gibt) werden zum Beispiel Verfahrensbeschlüsse getroffen. Jedes Mitglied hat in diesem Fall eine Stimme. Für das ordentliche Gesetzgebungsverfahren hat der Vertrag von Lissabon die sogenannte doppelte Mehrheit eingeführt. Diese besteht aus zwei Parametern: Ein Vorschlag gilt dann als angenommen, wenn 55 Prozent aller Mitgliedsstaaten für ihn stimmen. Momentan entspricht das 15 Mitgliedsstaaten. Diese müssen zusätzlich mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU repräsentieren. Mit dem System der doppelten Mehrheit soll auch dem dualen Charakter der Gemeinschaft als einer Union der Völker und gleichzeitig einer Union der Staaten Rechnung getragen werden. Es berücksichtigt die demographischen Größenverhältnisse ebenso wie das Prinzip einer Gleichwertigkeit der Stimmen aller Ratsmitglieder bei der Abstimmung. Für die doppelte Mehrheit, die ab 2014 eingesetzt werden soll, gilt noch eine Übergangsfrist bis 2017. Bis dahin kann jedes Mitgliedsland verlangen, dass nach dem Prinzip der qualifizierten Mehrheit abgestimmt wird. Dieses wurde durch den Vertrag von Nizza eingeführt. Dazu sind jedem Mitgliedsland bestimmte Stimmenanteile zugeordnet. Zum Erreichen der qualifizierten Mehrheit müssen gleich zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Von den insgesamt 345 Stimmen müssen 255 ein positives Votum abgeben. Außerdem muss die Mehrheit der Mitgliedsstaaten zustimmen - in bestimmten Fällen ist sogar eine Zweidrittelmehrheit nötig. Zudem können Mitgliedsstaaten eine Überprüfung verlangen, ob bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 17 die erreichte Mehrheit mindestens 62 Prozent der Gesamtbevölkerung der Europäischen Union vertritt. Andernfalls gilt der Vorschlag als nicht angenommen. Auf diese Weise soll geregelt werden, dass die kleineren Mitgliedsstaaten bei wichtigen Fragen von nationalem Interesse nicht ohne weiteres von den größeren überstimmt werden können. Die Anwendung der qualifizierten Mehrheit war durch Verträge im Lauf der Zeit immer weiter ausgebaut worden. Das im Vertrag von Nizza festgelegte Stimmenverhältnis, bei dem die Staaten der Europäischen Union mit über 50 Millionen Einwohnern (Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien) über je 29 Stimmen und die nächstgrößeren über 27 Stimmen verfügen, wird aber häufig kritisiert, da es die wirklichen Größenverhältnisse nicht spiegele. So besitzen Spanien (45 Mio. Einwohner) und Polen (38 Mio. Einwohner) gleich viele Stimmen, nämlich 27. Weiterführende Links Rat der Europäischen Union: Einführung in den Rat der Europäischen Union (PDF-Version, 6,92 MB) (http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/librairie/ PDF/DE_IntroConseil_INT.pdf) Europäische Union: Das Beschlussverfahren der EU (http://europa.eu/scadplus/constitution/ doublemajority_de.htm) bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 18 Ich und die EU – EU im Alltag 23.9.2009 Die Europäische Union greift in unser tägliches Leben ein und ist von daher für uns von unmittelbarer Bedeutung. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/WBHZYE.pdf) "Die EU ist für mich (zu) weit weg und hat mit meinem Alltag nichts zu tun." Diesen Satz kann man täglich hören. Die Folie "Ich und die EU" sagt nichts darüber aus, ob die EU eine gute oder schlechte Sache ist, sondern zeigt lediglich an einigen Beispielen, dass die Europäische Union in unser tägliches Leben eingreift und von daher auch für uns von unmittelbarer Bedeutung ist. Diese Erkenntnis ist die Voraussetzung für die Bereitschaft, sich überhaupt mit der Europäischen Union zu befassen. Viele der angesprochenen Punkte haben ihre Ursache im gemeinsamen Binnenmarkt, der die 27 EUMitgliedstaaten miteinander verbindet. Er macht den freien Handel von jedem in jedes Land möglich. Die Voraussetzung, dass so etwas zur Zufriedenheit der Menschen funktionieren kann, ist natürlich, dass man sich auf gemeinsame Standards einigt. Niemand kauft ein ausländisches Produkt, wenn er nicht sicher sein kann, dass es dieselben Sicherheitsanforderungen erfüllt wie die einheimischen. Deshalb gibt es im Europäischen Binnenmarkt europaweite Anforderungen an die bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 19 Lebensmittelhygiene, die Kennzeichnungsvorschriften und ebenso für die Gewährleistungsfrist. Aber auch für den Umweltschutz gibt es gemeinsame Standards, von der Feinstaubrichtlinie bis zur Trinkwasserrichtlinie. Diese sichern nicht nur die Gesundheit der EU-Bürgerinnen und –Bürger, sondern auch gleiche und damit faire Ausgangsbedingungen für die Industrie. So kann nicht die Firma eines Landes einen Vorteil daraus ziehen, dass die Umweltstandards und damit auch die Produktionskosten niedriger sind als jenseits der Grenze. Der Binnenmarkt ist zudem ein gemeinsamer Arbeitsraum, in dem jede(r) dort tätig sein kann, wo sie oder er möchte und einen Job findet. 16 Staaten der EU haben eine gemeinsame Währung, den Euro. Weitere Länder werden ihn in den nächsten Jahren übernehmen. Der gemeinsame Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts garantiert uns Rechtsschutz und freies Reisen im europäischen Ausland – und auch einen europaweiten Gesundheitsschutz. "Europa betrifft mich nicht", kann man daher nur sagen, wenn man nicht atmet, kein Wasser trinkt, nicht einkauft, nicht arbeitet oder eine Ausbildung macht und wenn man nicht reist. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 20 Die Werte der Europäischen Union 24.9.2009 Die EU ist lange Zeit als reine Wirtschaftsgemeinschaft missverstanden worden. Obwohl die Wirtschaft in der EU eine wichtige Rolle spielt, darf nicht vergessen werden, dass die EU in erster Linie eine Wertegemeinschaft ist. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/HGE84D.pdf) Die Europäische Union ist lange Zeit als reine Wirtschaftsgemeinschaft missverstanden worden. Wenngleich die Wirtschaft in der EU eine wichtige Rolle spielt und durch den europäischen Binnenmarkt integriert ist, darf nicht vergessen werden, dass die EU in erster Linie eine Wertegemeinschaft ist. Im Vertrag über die Europäische Union (in der Fassung des Lissabonner Vertrags) werden die Werte in Artikel 2 erwähnt: "Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet." bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 21 Und im folgenden Artikel 3 heißt es im ersten Absatz: "Ziel der Union ist es, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern." Damit wird deutlich, dass die europäische Integration kein Selbstzweck ist, sondern grundsätzlichen Zielen dient, die das Leben der EU-Bürgerinnen und Bürger bestimmen. Der Lissabonner Vertrag hat auch die bereits Ende 2000 feierlich unterzeichnete Grundrechtecharta der Europäischen Union zu einem Teil des Primärrechts gemacht. Dort sind die Grundrechte und freiheiten genau beschrieben und definiert. Den vollständigen Text der Grundrechtecharta findet man im Amtsblatt der EU: http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf (http://www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de. pdf) Die Grundrechtecharta bindet zwar nur die europäischen Institutionen, sie zeigt aber gleichzeitig, auf welcher gemeinsamen Wertebasis die EU ruht. In der Präambel der Charta heißt es unter anderem: "In dem Bewusstsein ihres geistig-religiösen und sittlichen Erbes gründet sich die Union auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität. Sie beruht auf den Grundsätzen der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Sie stellt die Person in den Mittelpunkt ihres Handelns, indem sie die Unionsbürgerschaft und einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts begründet." Mit dem Lissabonner Vertrag kann die Europäische Union auch der Europäischen Menschenrechtscharta des Europarates beitreten. Dieser Schritt hat zwar vor allem symbolische Bedeutung, da die Mitgliedstaaten ja bereits als Mitglieder des Europarates auf die Europäische Menschenrechtscharta verpflichtet sind, macht aber noch einmal deutlich, dass der Sinn der EU darin liegt, ihren Bürgern Freiheit und Demokratie zu sichern. Ein wichtiger Wert ist auch die Rechtsstaatlichkeit. Die EU fördert diese nicht nur in den Mitgliedstaaten, sie ist selbst eine Rechtsgemeinschaft. Da es keine "EU-Polizei" gibt, die bei Rechtsverstößen der Mitgliedstaaten eingreifen könnte, ist die Europäische Union darauf angewiesen, dass die Mitgliedstaaten sich an die vereinbarten Regeln bzw. deren letztendliche Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof halten. Wäre das nicht der Fall, hätte die EU keine Zukunft, da sie ihre Gesetze und Verordnungen nicht mehr durchsetzen könnte. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 22 Was geschieht in der EU? 13.5.2009 Ob die Arbeit der EU tatsächlich auch die Bürger des Staatenbundes betrifft, zeigt sich bei einem Blick auf die unterschiedlichen Wirkungsbereiche. Der gemeinsame europäische Binnenmarkt garantiert essentielle Freiheiten für Dienstleitungen und Arbeitskräfte, für Waren und Kapital. In einigen Bereichen wie dem Umweltschutz ist die EU schon heute einflussreich. Andere Politikfelder wie die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik müssen noch weiterentwickelt werden – denn die Bedeutung der EU als außenpolitischer Akteur ist stetig gewachsen. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 23 Binnenmarkt Von Prof. Dr. Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 ist Leiter der Europäischen Akademie Berlin. Freiheit der Waren, Dienstleistungen, Arbeitskräfte und des Kapitals: Der europäische Binnenmarkt ist viel mehr als eine Freihandelszone – und volumenmäßig der größte der Welt. Die Europäische Union umfasst viele Politik- und damit für uns auch viele Lebensbereiche. Am unmittelbarsten kommen wir mit dem Binnenmarkt in Berührung. Binnenmarkt heißt, dass wir kaufen, arbeiten und investieren können, wo wir wollen. Im nationalen Rahmen ist das selbstverständlich. Jeder kann in Leipzig wohnen, aber sein Auto in München erwerben, sein Geld bei der Sparkasse in Rostock anlegen und für seinen Hausumbau einen Architekten aus Dresden verpflichten. Der europäische Binnenmarkt bedeutet, dass dies in gleicher Weise in der gesamten Europäischen Union möglich ist. Wir sprechen von den Vier Freiheiten, nämlich • der Freiheit der Waren • der Freiheit der Dienstleistungen • der Freiheit der Arbeitskräfte und • der Freiheit des Kapitals. Der Binnenmarkt ist damit viel mehr als eine Freihandelszone. Er garantiert nicht nur die Waren-, sondern auch die Dienstleistungsfreiheit. Wer sich als deutscher Arzt in Frankreich oder in Schweden niederlassen will, kann dies tun. Wer als Niederländer in Deutschland ein Reisebüro aufmachen will, kann daran nicht gehindert werden. Jeder hat die Möglichkeit, sich seinen Arbeitsort auszusuchen. Wer lieber in Griechenland arbeitet und dort einen Job findet, dem kann die Arbeitserlaubnis nicht verweigert werden. Der Binnenmarkt bedingt viele weitere Gemeinsamkeiten, die zum Teil schon geschaffen sind, die zum Teil aber auch noch nicht umgesetzt sind. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 24 Die Freiheit der Waren Eine wichtige Grundregel des Binnenmarktes ist, dass eine Ware, die in einem Land legal in den Verkehr gebracht worden ist, auch in allen anderen EU-Ländern verkauft werden darf. Es kann also nicht sein, dass ein Land den Import durch Sondervorschriften behindert - sogenannte nicht-tarifäre Handelshemmnisse. In Deutschland haben in diesem Zusammenhang zwei Fälle der Warenverkehrsfreiheit für Aufmerksamkeit gesorgt, die durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) entschieden wurden. Das "Cassis de Dijon-Urteil" von 1979 bezieht sich auf die Einfuhr eines französischen Likörs, der einen geringeren Alkoholgehalt aufwies als die deutsche Branntweinverordnung ihn für solche Getränke vorsah. Als einer Lebensmittelkette die Einfuhr dieses Likörs verboten wurde, klagte sie vor dem Hessischen Finanzgericht, das den Fall dem EuGH zur Entscheidung vorlegte. Dieser entschied (http://eurlex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:61978J0120:DE:HTML), dass die Einfuhr zu erlauben sei, wenn der Likör "rechtmäßig hergestellt und in Verkehr gebracht worden sei". Das zweite Urteil, das in Deutschland viele beschäftigte, hatte auch mit Alkohol zu tun. Nach dem Reinheitsgebot von 1516 darf in Deutschland Bier nur mit Hopfen, Gerste, Hefe und Wasser hergestellt werden. Nicht nur die Produktion, sondern auch die Einfuhr von Bieren, die andere Zusatzstoffe enthielten, war verboten. Hiergegen klagte die Europäische Kommission, die den freien Handel gefährdet sah. Der Europäische Gerichtshof gab ihr 1987 Recht (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/ LexUriServ.do?uri=CELEX:61984J0178:DE:HTML). Seitdem darf nach Deutschland auch Bier eingeführt werden, das dem Reinheitsgebot nicht entspricht. Für die Brauereien in Deutschland gilt dieses älteste Lebensmittelgesetz allerdings weiter, da sich EU-Regelungen immer nur auf grenzüberschreitenden Verkehr beziehen. Der deutsche Brauer muss also nach dem Reinheitsgebot brauen, aber der deutsche Biertrinker muss nicht danach trinken. Für Unternehmen ist die Warenverkehrsfreiheit sehr wichtig, weil sie so nicht für jedes Land spezielle Anforderungen erfüllen müssen. Dies würde die Produktion sehr verteuern, gerade wenn es um kleine Märkte und damit auch geringe Stückzahlen geht. Das setzt natürlich voraus, dass man sich in vielen Bereichen auf Sicherheits- und Qualitätsstandards einigt. Bei manchem, was der EU als Bürokratisierung und Reglementierung angelastet wird, handelt es sich um die Festlegung gemeinsamer Kriterien. Die Freiheit der Dienstleistungen Ein anderes Beispiel für den Binnenmarkt aus dem Bereich der Dienstleistungsfreiheit ist die Aufhebung des Kabotageverbotes. Das klingt sehr technisch, ist aber für viele Menschen interessant. Vor der Vollendung des Binnenmarktes konnten Transportunternehmer nur Leistungen aus ihrem Land heraus anbieten. Die Lufthansa durfte keinen Flug von Madrid nach Paris durchführen und der Gesangverein in Aachen konnte für seinen Vereinsausflug keinen belgischen Busunternehmer verpflichten. Jetzt ist jedes Unternehmen frei, seine Transportleistungen dort anzubieten, wo sie nachgefragt werden. Stärker in der öffentlichen Wahrnehmung sind allerdings andere Formen der Dienstleistungsfreiheit wie italienische Restaurants in Deutschland oder deutsche Handwerksunternehmen, die ihre Leistungen in Frankreich anbieten. Der Binnenmarkt wurde durch die Einheitliche Europäische Akte (http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/ dat/11986U/tif/JOL_1987_169__1_DE_0002.tif) geschaffen, eine Revision der Römischen Verträge, die 1987 in Kraft trat. Bis Ende 1992 sollte er vollendet sein, aber bestimmte Felder gibt es immer noch, die für den Binnenmarkt nicht völlig geöffnet sind oder in denen der europaweite Wettbewerb nicht funktioniert. So hat die Europäische Kommission beispielsweise Ende 2013 einen Fahrplan zur Vollendung des Binnenmarkts für die Paketzustellung (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/ LexUriServ.do?uri=COM:2013:0886:FIN:DE:PDF) verabschiedet. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 25 Die Europäische Kommission gibt jährlich einen Bericht über die Vollendung des Binnenmarkts (http:// europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/09/297&format=HTML&aged=0&language= DE&guiLanguage=en) heraus, dem zu entnehmen ist, was im abgelaufenen Jahr erreicht wurde und was noch ansteht. Um noch bestehende Einschränkungen zu beseitigen, hat die Europäische Kommission darüber hinaus eine Binnenmarktakte (http://ec.europa.eu/internal_market/smact/ index_de.htm) beschlossen, mit der sie Druck auf die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament ausüben will. Die Freiheit der Arbeitskräfte Ein wichtiges Element des Binnenmarktes ist die Freizügigkeit der Arbeitskräfte, die jedem EU-Bürger überall in der Union den Aufenthalt und die Arbeitsaufnahme gestattet. Eigene Staatsbürger dürfen gegenüber anderen EU-Bürgern nicht bevorzugt werden. Selbst an den deutschen Schulen und bei den Polizeibehörden können Bürger aus anderen EU-Staaten als Beamte gleichberechtigt eingestellt werden. Die Freizügigkeit des Binnenmarktes bezieht sich allerdings nur auf Erwerbstätige. Durch die Schaffung einer Unionsbürgerschaft im EU-Vertrag, der 1992 in Maastricht unterzeichnet wurde und 1993 in Kraft trat, ist diese Freizügigkeit auf alle EU-Bürger ausgeweitet worden, also auch auf diejenigen, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, wobei es für den Zugang zu sozialen Sicherungssystemen Einschränkungen gibt. Hierüber gab es 2013 in Deutschland eine heftige Diskussion, die auch gerichtlich noch nicht abschließend entschieden ist. Grundsätzlich gilt, dass niemand nach Deutschland ziehen kann und dort auf Dauer Hilfe zum Lebensunterhalt, also das Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) beanspruchen kann. Allerdings fordert die Europäische Kommission von Deutschland, jeden Einzelfall zu prüfen. Zwei deutsche Gerichte haben entsprechende Fälle nun an den Europäischen Gerichtshof überwiesen, um überprüfen zu lassen, ob die deutschen Vorschriften europäischem Recht entsprechen. Unbestritten ist, dass EU-Ausländern das Arbeitslosengeld I zusteht, wenn sie – wie alle Arbeitnehmer – mindestens zwölf Monate in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Auch wer länger als ein halbes Jahr sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, dann aber seinen Job verliert, wird unterstützt – in diesem Fall mit dem Arbeitslosengeld II. Gleiches gilt für Selbstständige, die so wenig verdienen, dass sie „aufstocken“ müssen. Auch Kindergeld steht allen EU-Bürgern in Deutschland zu – sogar wenn die Kinder nicht in Deutschland leben. Die europaweite Anerkennung der Ausbildungsabschlüsse ist ebenfalls ein wichtiger Schritt hin zur Vollendung des Binnenmarkts, da die Arbeitnehmer- und die Dienstleistungsfreizügigkeit sonst verpuffen würden, wenn ein deutscher Schreiner beispielsweise in Spanien nicht seinem Beruf nachgehen dürfte. Die meisten Abschlüsse sind schon anerkannt, bei einigen gibt es noch Probleme, die durch Verhandlungen beseitigt werden müssen. Um eine flächendeckende Anerkennung zu ermöglichen, versucht die EU auf zwei Wegen für Akzeptanz zu sorgen. Es werden für einzelne Bereiche Richtlinien erlassen, die festlegen, dass in allen EU-Staaten bestimmte Berufsqualifikationen automatisch und ohne gesonderte Prüfung anerkannt werden. Beispiele hierfür sind Ärzte oder Krankenpfleger. Dies ist aufgrund harmonisierter Ausbildungsanforderungen möglich, das heißt, dass ein Arzt, der in den Niederlanden über eine Zulassung verfügt, auch in Großbritannien praktizieren darf, weil seine niederländische Ausbildung der eines britischen Arztes ähnlich ist und daher als gleichwertig angesehen wird. Jedoch kann dies nicht für alle Berufsfelder angenommen werden. Die Ausbildung zum Altenpfleger unterliegt zum Beispiel nicht einem europaweit einheitlichen System, möglicherweise gibt es den Beruf auch in einzelnen Mitgliedstaaten gar nicht, weil die Aufgabe andernorts von ausgebildeten Krankenpflegern übernommen wird. In diesem Fall führt kein Weg an einer neuen Prüfung vorbei, da die gesetzlichen Befähigungsnachweise zu unterschiedlich sind. Um solche Lücken in der Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen zu schließen, fertigt die EU Richtlinien (http://eur-lex. europa.eu/LexUriServ/site/de/oj/2005/l_255/l_25520050930de00220142.pdf) aus, die möglichst viele bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 26 Berufsfelder erfassen sollen. In Deutschland wurde die Situation 2012 durch ein Anerkennungsgesetz verbessert. Seitdem sind die Verfahren klarer geregelt und die Angehörigen weiterer Berufsgruppen können sich ihre Qualifikation anrechnen lassen. Nicht immer ist die Anerkennung der Gleichwertigkeit aber überhaupt die Voraussetzung dafür, dass man den Beruf in Deutschland ausüben darf. Dann ist es Sache des Arbeitgebers, ob er eine ausländische Arbeitskraft für die Tätigkeit einstellt oder nicht. Das Bundesinstitut für Berufsbildung bietet im Internet einen Anerkennungs-Finder (http://www. anerkennung-in-deutschland.de/html/de/) an, mit dessen Hilfe man sich über jeden einzelnen Beruf informieren kann. Die Freiheit des Kapitals Die Freiheit des Kapitals bedeutet, dass jeder sein Geld dort anlegen oder investieren kann, wo es ihm am lohnendsten erscheint. Wer gerne in eine spanische oder slowakische Firma investieren oder schwedische Staatsanleihen kaufen möchte, kann dies genauso tun wie er einen Kredit bei einer österreichischen oder irischen Bank aufnehmen kann. Um auch den europäischen Zahlungsverkehr zu erleichtern, ist ein einheitlicher europäischer Zahlungsraum (SEPA, Single European Payment Area) geschaffen worden. Die traditionellen Kontonummern wurden durch den IBAN (International Bank Account Number) ersetzt. Der europäische Binnenmarkt ist volumenmäßig der größte der Welt. Er umfasst nicht nur die 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sondern auch die drei Länder, die mit der EU im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verbunden sind, nämlich Island, Norwegen und Liechtenstein. Der genaue Zusammenhang zwischen EWR und EU wird durch das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:21994A0103(01): DE:HTML) geregelt. So ist beispielsweise Landwirtschaft als sensibler Bereich grundsätzlich ausgenommen, auch wenn eine Liberalisierung im Agrarsektor durch die EWR-Staaten angestrebt wird. Für die Schweiz, die dem EWR nicht angehört, sondern durch ein Freihandelsabkommen von 1972 mit der EU verbunden ist, gelten ähnliche Regelungen. Die Schweizer haben in einem Referendum im Februar 2014 mit knapper Mehrheit die Einschränkung der vollständigen Freizügigkeit für EU-Bürger beschlossen. Den Kroaten verweigerten sie die Freizügigkeit im Zusammenhang mit dem Beitritt Kroatiens zur EU sogar schon von Anfang an. Damit steht das gesamte Beziehungsgeflecht der EU mit der Schweiz auf dem Prüfstand, da die EU nicht bereit ist, der Schweiz die Vorteile des Binnenmarktes zu gewähren, aber gleichzeitig Nachteile für EU-Bürger zu akzeptieren. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 27 Der Europäische Binnenmarkt 24.9.2009 Der europäische Binnenmarkt ist – bezogen auf seine Wirtschaftskraft - der größte Binnenmarkt der Welt. Er konstituiert sich aus den Vier Freiheiten. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/5W9UC1.pdf) Der Binnenmarkt der EU überträgt die Prinzipien, die man von einem Nationalstaat kennt, auf die gesamte Europäische Union. Er basiert auf den Vier Freiheiten, also der Freiheit der Waren, der Freiheit der Dienstleistungen, der Freiheit des Kapitals und der Freiheit (im Sinne von Freizügigkeit) der Arbeitskräfte. Einfach gesagt bedeutet das, dass jede EU-Bürgerin und jeder EU-Bürger einkaufen, arbeiten, Dienstleistungen anbieten oder in Anspruch nehmen und investieren kann, wo er will. Französischer Käse im Supermarktregal, ein italienischer Pizzeria-Wirt in Frankfurt, eine Geldanlage in Dänemark und ein Job in Großbritannien – das alles klingt für unsere Ohren nicht ungewöhnlich, es ist die Realität des Binnenmarktes. Zusätzlich zu den 27 EU-Staaten gehören noch Norwegen, Island und Liechtenstein zum EU-Binnenmarkt. Sie sind der Europäischen Union im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verbunden. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 28 So einfach es klingt, die Vier Freiheiten anzuwenden, so kompliziert war und ist der Prozess der Vollendung des Binnenmarktes. In jedem Land gab es unterschiedliche Vorschriften für Waren und Dienstleistungen, die sich beispielsweise auf die Sicherheit des Produkts oder die Ausbildung des Dienstleisters bezogen. All das musste harmonisiert werden, um wirklich freien Handel und Freizügigkeit zu ermöglichen. Ein polnischer Arzt kann sich in Deutschland niederlassen und praktizieren, aber natürlich möchte der deutsche Patient die Sicherheit haben, dass die Ausbildung des Arztes der eines deutschen Arztes nicht nachsteht. Dementsprechend gibt es eine EU-Richtlinie über die Anerkennung ärztlicher Diplome. Wer ein Kinderspielzeug kauft, erwartet, dass es auf Sicherheit geprüft ist, egal ob es in Belgien oder in Deutschland hergestellt wurde. Auch hier wurden gemeinsame Sicherheitsstandards erarbeitet und verabschiedet. Wenn die EU oft mit Bürokratie gleichgesetzt wird, hat das nicht zuletzt mit solchen notwendigen Anpassungsvorschriften zu tun, die erst die Voraussetzung für einen funktionierenden Binnenmarkt schaffen. Die Harmonisierung und Standardanpassung ermöglicht auch eine andere Regelung: Eine Ware, die in einem Mitgliedsland legal auf den Markt gebracht worden ist, darf auch in allen anderen EU-Ländern frei verkauft werden. Kein Land kann also Sonderprüfungen oder abweichende Regelungen verlangen. Zum Binnenmarkt gehört weiterhin die Chancengleichheit für Unternehmen aus dem EU-Ausland mit inländischen Firmen. Öffentliche Aufträge müssen ausgeschrieben werden, um zu verhindern, dass sie unter der Hand verschoben werden. Aber Firmen aus dem EU-Ausland dürfen bei Ausschreibungen und bei der Auswahl des Unternehmens für den Auftrag nicht benachteiligt werden. Wenn die Aufträge eine bestimmte Höhe überschreiten, müssen sie sogar europaweit ausgeschrieben werden. Der Schwellenwert ist unterschiedlich. Bei Bauaufträgen liegt er bei 5 Millionen Euro Auftragswert, bei Dienstleistungen bei 200.000 Euro. Ein weiterer, noch nicht vollendeter Aspekt des Binnenmarkts ist die Abschaffung von Monopolen, wie sie früher im öffentlichen Bereich üblich waren (Post, Bahn, Nahverkehr, Telekommunikation etc.). Auch hier sollen andere inländische und europäische Unternehmen die Möglichkeit haben, ein günstiges Angebot zu unterbreiten und den Auftrag zu erhalten. Für die Bürgerinnen und Bürger bedeutet der Binnenmarkt ein Maximum an Chancengleichheit und Auswahlmöglichkeit, allerdings müssen Unternehmen und Produkte sich auch einer europaweiten Konkurrenz stellen. Die großen wirtschaftlichen und Einkommensunterschiede, die in der Europäischen Union existieren, können auch zu sozialen Spannungen führen, wenn Arbeitskräfte eines Landes ihre Leistung in einem anderen Land gegen eine geringere Entlohnung anbieten. Die meisten Länder der EU schützen sich dagegen mit Mindestlöhnen, die es bezogen auf bestimmte Branchen auch in Deutschland gibt. Aktuelle Informationen über den Binnenmarkt finden sich auf der Internetseite der Europäischen Kommission: ec.europa.eu (http://ec.europa.eu/internal_market/top_layer/ index_3_de.htm) bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 29 Wirtschaftsdaten 24.9.2009 Die Folie zeigt die Bevölkerungsgröße sowie die Wirtschaftskraft der 27 EU-Staaten und macht deutlich, dass die ökonomische Stärke der einzelnen Länder der Europäischen Union sehr unterschiedlich ist. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/IDTZLB.pdf) Wie so oft bei Statistiken ist allerdings nicht alles so eindeutig, wie es auf den ersten Blick aussieht. So gibt es je nach Quelle unterschiedliche Angaben zur der Bevölkerungsgröße in den einzelnen EULändern. Das hat damit zu tun, dass es sich bei den Daten meistens um fortgeschriebene Angaben aus Volkszählungen oder – in weit größerem Maße – um Angaben aus sogenannten Mikrozensen handelt. Der Mikrozensus ist eine Art Meinungsumfrage, die in Deutschland das Statistische Bundesamt auf der Basis einer Zufallsauswahl regelmäßig durchführt. Näheres hierzu findet sich auf der Internetseite des Statistischen Bundesamtes: www.destatis.de (http://www.destatis.de/jetspeed/ portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/abisz/Mikrozensus,templateId=renderPrint.psml). Menschen, die sich – auch dauerhaft - illegal und mithin unangemeldet in einem Land aufhalten, gehören zwar tatsächlich zur Wohnbevölkerung, werden aber auf diese Weise statistisch nicht erfasst. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 30 Auch andere Ungenauigkeiten müssen selbst bei einer Volkszählung in Kauf genommen werden. Zudem stimmen in den EU-Ländern die Stichtage nicht immer überein. Die Wirtschaftskraft wird mit der Größe des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gemessen. Das BIP ist die Summe aller Güter und Dienstleistungen, die im Verlaufe eines Jahres innerhalb des Wirtschaftsgebietes hergestellt werden. Die Nationalität des Produzenten spielt keine Rolle, auch die Wirtschaftsleistung des italienischen Pizzeria-Wirts oder eines afghanischen Zeitungsverkäufer geht in die Rechnung ein. Hingegen bleiben alle Wirtschaftsleistungen, die von Inländern im Ausland erzeugt werden, unberücksichtigt. Das betrifft die Ergebnisse eines Deutschen gehörenden Hotels in Kenia genauso wie die von VW im Ausland produzierten Autos. Zur Definition siehe den Artikel Bruttoinlandsprodukt (http://www.bpb.de/popup/popup_lemmata.html?guid=GVIPA3|) Die Höhe des Bruttoinlandsprodukts ist ein Indikator für die Stärke einer Volkswirtschaft. Oft wird sie auf die Bevölkerung umgerechnet, man hat dann die Angabe "BIP pro Kopf der Bevölkerung". Allerdings erlaubt auch eine solche Größe nur allgemeine Schätzungen über die wirtschaftliche Lage der Menschen in diesem Land. Das BIP pro Kopf darf nicht mit dem Einkommen verwechselt werden, denn es macht keine Angaben darüber, wie viel des errechneten BIP bei dem einzelnen Bürger ankommt, weil ja beispielsweise Steuern und Abgaben für die Sozialversicherung zu berücksichtigen sind. Auch wird dadurch noch nichts über die Kaufkraft ausgedrückt. Für unseren Lebensstandard ist ja nicht eigentlich relevant, wie hoch unser Einkommen ist, sondern wie viel wir uns dafür kaufen können. Ein niedriges Einkommen in einem Land mit niedrigen Preisen kann mehr sein als ein höheres Einkommen in einem Staat mit hohen Preisen. Wenngleich die Folie also keine exakten Angaben über die Lebenswirklichkeit der EU-Bürgerinnen und –Bürger macht, zeigt sie doch deutlich die Unterschiede auf, die innerhalb der EU bestehen. Wenn die 4,5 Mio. Iren fast das Vierfache von dem erwirtschaften, was die gut 5 Millionen Slowaken jährlich erzeugen, ist klar, dass innerhalb der EU erhebliche Disparitäten bestehen. Ziel der Europäischen Union ist es nicht, diese Unterschiede durch EU-Programme auszugleichen. Allerdings gibt es strukturpolitische Hilfen für die Regionen innerhalb der EU, die weniger als 75 Prozent des durchschnittlichen BIP pro Kopf der Bevölkerung aufweisen. Hiervon profitieren auch einige Regionen in Deutschland. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 31 Währungsunion (Euro) Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Der Euro ist die Währung der Europäischen Union. Das legt der EU-Vertrag fest. Tatsächlich wird jedoch nur in 18 der 28 Länder mit der gemeinsamen Währung gezahlt. Einige Länder wollen dem gemeinsamen Währungsraum in den nächsten Jahren beitreten, andere lehnen die Gemeinschaftswährung bislang ab. Zum gemeinsamen Markt gehört seit 1999 eine gemeinsame Währung, der Euro. Er ist gedacht als Währung aller EU-Staaten, aber zehn Länder haben ihn noch nicht übernommen. Dabei handelt es sich zum einen um Großbritannien und Dänemark, die sich derzeit einen so weit gehenden Souveränitätsverzicht noch nicht vorstellen können. Deshalb haben sie sich beim Vertrag von Maastricht, mit dem der Euro 1993 vereinbart wurde, eine Ausnahme (eine sogenannte Opt-outKlausel) vorbehalten. Schweden hat den Euro bislang - nach einer Volksabstimmung im Jahr 2003, die die Euro-Einführung abgelehnt hat - ebenfalls nicht übernommen, ohne über diese Ausnahmeregel zu verfügen. Bei den anderen Ländern, die noch keine Euro-Staaten sind, handelt es sich um solche, die erst seit 2004 beigetreten sind und die Bedingungen noch nicht erfüllen. Dies sind die Tschechische Republik, in der es auch eine breite Ablehnung des Euro gibt, Ungarn, Polen, Litauen, Bulgarien, Rumänien und Kroatien. Stabilitäts- und Wachstumspakt Es gibt strenge Anforderungen für einen Beitritt zur Eurogruppe, die im Stabilitäts- und Wachstumspakt von 1997 festgelegt sind: • Das öffentliche Defizit darf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten, und der öffentliche Schuldenstand darf nicht mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. • Die Preisstabilität muss gewährleistet sein. Die Inflationsrate darf nicht mehr als 1,5 Prozent über der liegen, die die drei Eurostaaten mit der geringsten Inflation zu verzeichnen haben. • Die Zinsen dürfen nicht um mehr als 2 Prozent über denen liegen, die die drei Staaten mit der höchsten Preisstabilität aufweisen. • Der durchschnittliche langfristige Nominalzinssatz darf um nicht mehr als 2 Prozentpunkte über dem entsprechenden Satz in den drei Mitgliedstaaten liegen, die auf dem Gebiet der Preisstabilität das beste Ergebnis erzielt haben. • Außerdem muss das Land mindestens zwei Jahre dem Europäischen Wechselkursmechanismus angehört haben, ohne dass es in dieser Zeit zu großen Kursabweichungen gekommen ist. Die Währung muss also stabil sein. Auch wenn die Staaten einmal Mitglied der Währungsunion geworden sind, gelten klare Regeln bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 32 bezüglich der Verschuldung, die auf Null zurückgeführt werden soll, keineswegs aber mehr als 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr und 60 Prozent insgesamt betragen darf. Allerdings haben die meisten Eurostaaten sich nicht an diese Regeln gehalten, sondern haben die Tatsache, dass die Zinsen für Kredite wegen der Stabilität des Euro niedrig waren, dazu genutzt, sich weiter zu verschulden. Auch Deutschland hat sich Anfang des Jahrtausends zu hoch verschuldet und dann – um eine Mahnung der Europäischen Kommission zu vermeiden – darauf gedrungen, dass die Regeln der Berechnung von Verschuldung geändert werden – was dann auch geschehen ist. "Griechenlandkrise" und Rettungsschirm Im Jahr 2010 wurde dann offenkundig, dass Griechenland so hoch verschuldet war, dass es keine Möglichkeit mehr hatte, seine Kredite zu bedienen. Die anderen Staaten standen nun vor der Wahl, entweder Griechenland Bankrott gehen zu lassen, was aber weitgehende Folgen für das Ansehen der Eurozone insgesamt gehabt hätte, oder dem Land zu helfen. Die Europäischen Verträge sahen letzteres nicht vor, im Gegenteil: Eine "bail-out-Klausel" im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union legt fest, dass ein Staat nicht für die Schulden eines anderen haftet. Dennoch sahen die Eurostaaten sich nun in der Pflicht, Griechenland mit Krediten und Bürgschaften zu unterstützen, was sie im Rahmen des "Ersten Griechenlandpakets" mit 110 Mrd. Euro taten. Die Euroländer gaben davon 80 Mrd. Euro, 30 Mrd. kamen vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Kurze Zeit später gerieten auch andere Eurostaaten in die Krise: Irland, Portugal, Spanien und Zypern. Die Ursachen waren unterschiedlich, aber das Ergebnis dasselbe: Die Staaten hatten keine oder nur noch sehr teure Möglichkeiten, sich am Kapitalmarkt, also über normale Anleihen, zu finanzieren. Die Eurostaaten schufen daraufhin zuerst einen vorübergehenden und schließlich einen dauerhaften Rettungsschirm mit dem Namen ESM (Europäischer Stabilitäts-Mechanismus, European Stability Mechanism). Der ESM ist in der Lage, insgesamt 500 Mrd. Euro an die Mitglieder der Währungsunion auszuleihen. Das Geld erhält er durch Einzahlungen der Mitgliedstaaten von insgesamt 80 Mrd. Euro sowie durch abrufbares Kapital, das die Mitgliedstaaten im gegebenen Fall überweisen müssen. Um die Kreditwürdigkeit auf höchstem Niveau zu halten, ist der ESM übersichert, das heißt, er verfügt über insgesamt 700 Mrd. Euro Stammkapital. Deutschland ist am ESM mit demselben Finanzierungsanteil beteiligt, den es an der Europäischen Zentralbank hält, nämlich mit 27,15 Prozent. Ende 2013 hatte der ESM etwas über 50 Mrd. Euro an Spanien und Zypern ausgeliehen. Hinzu kommen allerdings rund 188 Mrd. Euro aus dem Vorgänger des ESM, dem EFSM, die an Irland, Portugal und vor allem an Griechenland gegangen sind. Gelingt den "Programmstaaten", also den Hilfeempfängern, die Sanierung ihrer Finanzen, fließen diese Mittel wieder an die anderen Eurostaaten zurück. Sie haben in diesem Fall nur durch ihre Kreditwürdigkeit auf dem internationalen Finanzmarkt geholfen, es kostet sie aber nichts. Nur für den Fall, dass ein Programmland seine Schulden nicht bedienen kann, müsste der ESM (bzw. sein Vorgänger EFSM) einstehen. Irland ist es zum Ende des Jahres 2013 gelungen, aus dem Rettungsprogramm auszusteigen und sich wieder normal am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Durch die Verschuldungskrise, die beinahe zum Zusammenbruch Griechenlands geführt hätte, sind alle EU-Länder vor den Folgen zu hoher Kreditaufnahmen gewarnt und unternehmen jetzt Anstrengungen, die Verschuldung zurückzuführen. Der "Fiskalpakt", den alle EU-Staaten außer Großbritannien und Tschechien als völkerrechtlichen Vertrag geschlossen haben, verpflichtet die Staaten zu einem drastischen Schuldenabbau und auch dazu, dieses Ziel in der nationalen Gesetzgebung, möglichst in der Verfassung, zu verankern. In Deutschland ist dies durch die "Schuldenbremse" in den Artikeln 109 und 115 des Grundgesetzes geschehen. Danach darf der Bund ab 2016 nur noch sehr geringe Schulden machen, die Bundesländer dürfen dies ab 2020 überhaupt nicht mehr. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 33 Irland, Spanien und auch Zypern sind durch ihre Banken in die Krise geraten, die sich übernommen und verspekuliert hatten. Damit so etwas nicht noch einmal geschieht, hat die Europäische Union die Bankenaufsicht verstärkt. Bei der Europäischen Zentralbank wurde eine Aufsichtsbehörde geschaffen, die die rund 200 größten Banken innerhalb der Eurozone kontrolliert (Einheitlicher Überwachungsmechanismus, englisch: Single Supervisory Mechanism). So soll die Schieflage von Banken verhindert werden. Außerdem will man sich 2014 auf einen Sicherungsfonds einigen, der von den Banken selbst finanziert wird und aus dem eine eventuelle Bankeninsolvenz abgewickelt werden soll, damit die Steuerzahler nicht, oder zumindest nicht als erste, belastet werden. So sind dann auch die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Europäische Stabilitäts-Mechanismus, der Rettungsschirm, Geld direkt an Banken geben kann. Bislang geht dies nur über den Umweg der Unterstützung des jeweiligen Staates. Die Gesamtheit dieser Maßnahmen wird unter dem Namen "Bankenunion" diskutiert. Gleichzeitig ergreifen die EU-Länder Maßnahmen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, da nur eine produktive Wirtschaft in der Lage ist, die Einnahmen zu erzeugen, die man für das Wohl der Bürgerinnen und Bürger benötigt. Im Euro-Plus-Pakt (http://www.europarl.europa.eu/brussels/website/ media/Basis/InternePolitikfelder/WWU/Pdf/Euro_Plus_pakt.pdf) verpflichten sich die Staats- und Regierungschefs zu konkreten Maßnahmen, um ihr Land und damit die EU insgesamt voranzubringen. Der Pakt heißt so, weil er von den Eurostaaten plus weiteren EU-Ländern geschlossen wurde. An ihm nehmen alle EU-Mitglieder außer Schweden, Großbritannien, Tschechien und Ungarn teil. Kroatien gehörte zum Zeitpunkt des Abkommens (2011) der EU noch nicht an. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 34 Die europäische Währungspolitik 1.1.2011 Die europäische Währungspolitik mit der gemeinsamen Währung "Euro" ist ein Herzstück der europäischen Integration. Die Währungspolitik basiert auf klaren Grundsätzen und wird von der Europäischen Zentralbank ausgeführt. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/4VD1WJ.pdf) Eine gemeinsame Währung ist mehr als eine technische Angelegenheit. Alle Staaten, die sich an einem solchen Vorhaben beteiligen, geben wirtschaftliche Steuerungsmöglichkeiten, die in einer Aufoder Abwertung der eigenen Währung bestehen, aber auch politische Souveränität auf. Pläne für eine gemeinsame Währung gab es schon seit Beginn der europäischen Integration. Bedeutung erlangten diese Überlegungen jedoch erst im Zusammenhang mit der Neuordnung Europas, speziell der deutschen Vereinigung, und der damit einhergehenden Festigung der europäischen Integration. Seit 1999 ist der Euro die gemeinsame Währung von ursprünglich elf und derzeit 17 Staaten der Europäischen Union. Darüber hinaus ist er auch gesetzliches Zahlungsmittel in einigen Staaten, die nicht der Währungsunion angehören, den Euro aber einseitig übernommen haben: Andorra, San bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 35 Marino, Vatikanstaat, Kosovo und Montenegro. In den ersten Jahren war der Euro nur eine Buchwährung, während die Geldscheine und –münzen der Mitgliedstaaten weiter galten, aber über einen festgelegten Wert in Bezug auf den Euro fest miteinander verbunden waren. Seit dem 1. Januar 2002 gibt es die Währung auch "zum Anfassen". Sie ist in den Euro-Staaten ausschließliches Zahlungsmittel. Wer noch Bestände der alten Währung findet, kann die bei der jeweiligen Zentralbank gegen Euro eintauschen. Geld ist gewissermaßen das Blut im Kreislauf der Wirtschaft. Es ist von großer Bedeutung, dass die Währung "gesund" ist, d.h. nicht von Inflation zerfressen wird. Über die Geldwertstabilität wacht die Europäische Zentralbank (EZB), deren Zentralbankrat jeweils ein Vertreter aller Mitgliedstaaten der Währungsunion angehört. An der Spitze der EZB steht ein Präsident, der in seiner Arbeit von einem Vizepräsidenten und vier Beisitzern unterstützt wird. Präsident der EZB ist der Franzose Jean-Claude Trichet, der 2003 auf den Niederländer Wim Duisenberg folgte. Seit 2006 ist auch der Deutsche Jürgen Stark, zuvor Vizepräsident der Deutschen Bundesbank, Mitglied des Direktoriums. Die Amtszeit aller Direktoriumsmitglieder beträgt acht Jahre, eine Wiederwahl ist ausgeschlossen. So soll die Unabhängigkeit der Direktoriumsmitglieder verstärkt werden, die weder mit der Verlockung, noch einmal nominiert zu werden, noch mit der Drohung, nicht wiedergewählt zu werden, beeindruckt werden können. Da die Amtszeiten der Mitglieder des Gründungsdirektoriums gestaffelt waren, sie also zu unterschiedlichen Zeiten ausscheiden, ist sichergestellt, dass das Direktorium nicht auf einmal ausgewechselt wird, sondern dass die Kontinuität gegeben ist. Die wichtigste Aufgabe der EZB ist die Sicherung der Währungsstabilität. Angestrebt wird eine jährliche Inflationsrate von knapp zwei Prozent, die einerseits der Wirtschaft genügend Geld zur Verfügung stellt, aber andererseits verhindert, dass das Geld schnell an Wert verliert. Das wichtigste Steuerungsinstrument der EZB ist die Festlegung der Zinssätze, zu denen die Geschäftsbanken sich refinanzieren können. Der Euro ist die Währung der Europäischen Union. Alle Mitgliedstaaten – mit Ausnahme von Großbritannien und Dänemark – sind verpflichtet, das gemeinsame Geld einzuführen. Allerdings müssen sie vorher Kriterien erfüllen, die im Stabilitätspakt der Währungsunion festgelegt sind, in der Finanzkrise 2008/2009 aber auch von den Mitgliedstaaten verletzt wurden. Von den im Jahre 2004 beigetretenen Mitgliedstaaten haben Malta, Zypern, Slowenien, die Slowakei und Estland die EuroEinführung bereits vollzogen. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 36 Umweltpolitik Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 "3 x 20 bis 2020": Die EU hat im Jahr 2007 Beschlüsse gefasst, um den Ausstoß von Treibhausgasen und den Energieverbrauch um jeweils 20 Prozent zu verringern, den Anteil der erneuerbaren Energie am Gesamtverbrauch hingegen auf 20 Prozent zu erhöhen. Ein Politikbereich, der in der Europäische Union in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen hat, ist ihre gemeinsame Umweltpolitik. Diese Politik zielt sowohl auf die ökologischen Lebensbedingungen in der EU, als auch auf die weltweite Klimaveränderung ab, die nur durch gemeinsame Anstrengungen abzubremsen ist. Es ist klar, dass die Europäische Union alleine keinen entscheidenden Einfluss auf den weltweiten Ausstoß der Treibhausgase nehmen kann. Aber das bedeutet nicht, dass innerhalb der EU, immerhin der größten Wirtschafts- und Handelsmacht der Welt, nichts zu tun wäre. Außerdem wird es nur gelingen, andere Staaten und Staatengruppen "ins Boot zu bekommen", wenn die EU mit gutem Beispiel voran geht. 3 x 20 bis 2020 Unter deutscher Präsidentschaft hat die EU im Jahr 2007 weitreichende Beschlüsse gefasst, die man unter dem Titel "3 x 20 bis 2020" zusammenfassen kann. Das kann man im Ergebnisprotokoll der Frühjahrssitzung 2007 (http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/ec/93139. pdf) des Europäischen Rates nachlesen, das nach EU-Tradition "Schlussfolgerungen des Vorsitzes" heißt. So sollen bis 2020 der Treibhausgasausstoß um 20 Prozent reduziert, der Energieverbrauch um 20 Prozent verringert und der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtverbrauch auf 20 Prozent erhöht werden. Die EU hat darüber hinaus angeboten, dass sie den CO2-Ausstoß bis 2020 sogar um 30 Prozent reduziert, wenn andere Staaten mitmachen, also die USA, Japan, China, Indien, Russland, Brasilien und weitere Länder. In der Zwischenzeit ist einiges geschehen, was auch die Umweltpolitik beeinflusst. Durch die Wirtschafts- und Finanzkrise ist zwischenzeitlich die Industrieproduktion deutlich gesunken – und damit der CO2-Ausstoß. Europa wird sein 20-Prozent-Ziel also wohl erreichen. Das bedeutet: Das Ziel ist nun nicht mehr ehrgeizig und führt nur bedingt zu weiteren Einsparanstrengungen. Dies umso weniger als die Verschmutzungszertifikate, die die Industrie im Rahmen des sogenannten Emissionshandels kaufen müssen, wegen des Überangebots viel billiger sind als von der Europäischen Kommission prognostiziert. Gleichzeitig hat sich auf der internationalen Bühne gezeigt, dass andere Länder außerhalb der EU wenig Interesse daran haben, wirklich etwas für den Klimaschutz zu tun. Hinzu kommt: Aus verschiedenen Gründen wollen einige Mitgliedstaaten auch wieder oder weiter verstärkt auf den Energieträger Kohle zurückgreifen. In Deutschland wird dies mit dem zügigen Ausstieg aus der Kernenergie begründet, in Polen beispielsweise mit der Reduzierung der Abhängigkeit von Russlands Öl- und Gaslieferungen. Zwar hat die Europäische Kommission im Jahr 2009 erstmals die Position einer Klimakommissarin besetzt, aber insgesamt verläuft die Entwicklung in der Klimapolitik der EU in den letzten Jahren weniger dynamisch. In einem Rahmenplan für eine europäische Klima- und Energiepolitik (http://eur- bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 37 lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2014:0015:FIN:DE:PDF) schlug die Europäische Kommission nun im Januar 2014 vor, die Treibhausgase gegenüber 1990 um 40 Prozent zu senken, den Anteil der erneuerbaren Energien auf 27 Prozent zu erhöhen, die Energieeffizienz weiter zu steigern und das Emissionshandelssystem zu reformieren. Entwicklung der europäischen Umweltpolitik Die gemeinsame Umweltpolitik der Europäischen Union wird schon seit 1972 entwickelt und wurde mit der Einheitlichen Europäischen Akte 1987 auch in den EG-Vertrag aufgenommen. Die Umweltpolitik umfasst viele Bereiche: die Reinhaltung der Luft und der Gewässer, die Wiederverwertung von Abfällen, den Lärmschutz und die Erhaltung von Lebensräumen und Artenvielfalt. Diese Umweltschutzmaßnahmen dienen der Erhaltung der Gesundheit der europäischen Bürgerinnen und Bürger. Seit dem Vertrag von Amsterdam (1999) ist die EU auf ein hohes Umweltschutzniveau sowie die Grundsätze der Vorbeugung und Vorsorge verpflichtet (jetzt Art. 191 Vertrag über die Arbeitsweise de Europäischen Union, AEUV). Die Kommission muss, einer Zusatzerklärung zufolge, bei Vorschlägen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt Umweltverträglichkeitsstudien erstellen. Die europäischen Umweltschutzmaßnahmen sollen nicht nur die Lebensbedingungen der in der EU wohnenden Menschen verbessern, sie schaffen zudem gleiche Ausgangsbedingungen für alle Unternehmen und Staaten in der Union. Es kann also nicht sein, dass in einem Land ein Produkt deshalb günstiger hergestellt wird, weil es für das Unternehmen keine oder nur geringe Umweltauflagen gibt, während jenseits der Grenze hohe Standards eingehalten werden müssen, die das Produkt verständlicherweise verteuern. Der gemeinsame Umweltschutz schließt diese Verzerrung des Wettbewerbs und damit einen Wettlauf um die niedrigsten Standards aus. Im Allgemeinen geben dabei die Organe der EU nur Richtwerte vor, die eingehalten werden müssen. Diese Vorschriften nennen sich Richtlinien. Dort wird beispielsweise festgelegt, wie laut es abends in einer Wohnstraße in einer europäischen Stadt höchstens sein darf (in der Umgebungslärmrichtlinie (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2002:189:0012:0025:DE:PDF)). Wie die Stadt diese Maßgabe umsetzt - durch Tempolimit, Straßensperrung, einen lärmdämpfenden Straßenbelag oder eine andere Maßnahme - bleibt ihr selbst überlassen. "Brüssel" beschließt also beispielsweise keine Straßensperrung in Hannover. In vielen Bereichen greifen bereits mittelbar oder unmittelbar europäische Umweltschutzregelungen: im Klimaschutz, bei der Erhaltung der biologischen Vielfalt, bezüglich der Handhabung und Verarbeitung von Abfällen, hinsichtlich der Reinheit von Luft, Gewässern und Böden, im Katastrophenschutz, bei der Kontrolle chemischer Stoffe und beim Lärmschutz. Dabei gibt es zahlreiche Bestimmungen, die sich jeweils speziellen Aspekten des Umweltschutzes widmen: So regelt beispielsweise eine Nitratrichtlinie (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ. do?uri=CELEX:31991L0676:DE:HTML) den Einsatz von Düngemitteln, damit nicht übermäßig viel Nitrat in unser Grundwasser gelangt. REACH (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri= OJ:L:2007:136:0003:0280:DE:PDF) hingegen ist ein mehrere Bestimmungen umfassendes Paket, welches die Kennzeichnung, Registrierung und Zulassung von Chemikalien in der EU einheitlich festlegt. Regelmäßig fasst die Umweltagentur der EU die Entwicklung der Umwelt und die Wirksamkeit der Umweltschutzmaßnahmen im Umweltlagebericht (http://www.eea.europa.eu/www/de/publications/ state_of_environment_report_2007_1) zusammen. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 38 Umwelt und Klima 24.9.2009 Falls andere Staaten mitmachen will die Europäische Union ihre Klimaziele erhöhen: Die Emission von Treibhausgasen sollen dann nicht um 20 Prozent, sondern sogar um 30 Prozent gesenkt werden. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/2Z018G.pdf) Die Veränderung des Weltklimas durch menschlichen Einfluss ist evident und die Folgen sind weltweit spürbar. Das schnelle Abschmelzen von Gletschern und die damit verbundene Erhöhung des Meeresspiegels haben ebenso weit reichende Folgen für unser Leben wie die Zunahme extremer Wetterphänomene, beispielsweise Überflutungen und Stürme. Die Europäische Union steht vor der Aufgabe, den Anstieg der Erderwärmung zu bekämpfen, wohl wissend, dass dieser selbst dann nicht zu verhindern wäre, wenn die EU überhaupt keine Treibhausgase emittieren würde. Es ist daher notwendig, die anderen Verursacher von Treibhausgasen "ins Boot zu holen". Dies geht allerdings wiederum nur, wenn die EU mit gutem Beispiel voran geht. Von daher hat der 3 x 20- Beschluss, den die Staats- und Regierungschefs unter deutscher Ratspräsidentschaft im März 2007 getroffen haben, eine doppelte Bedeutung: Er verbessert die bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 39 Umweltsituation innerhalb der EU und er nimmt andere Staaten in die Pflicht. Zudem enthält er ein zusätzliches Angebot: Die EU ist bereit, die Emission von Treibhausgasen bis 2020 sogar um 30 Prozent zu reduzieren, wenn die anderen mitmachen. Im Juli 2009 ist es erstmals gelungen, die führenden 16 Industrie- und Schwellenländer beim sogenannten G8-Gipfel in Italien zu dem gemeinsamen Beschluss zu bewegen, die Erderwärmung bis zum Jahr 2050 auf 2 Grad Celsius zu begrenzen. Nach wissenschaftlichen Annahmen kann durch eine solche Regelung das Schlimmste verhindert werden. Allerdings ist der Weg von einem allgemeinen Beschluss zur konkreten Umsetzung in den einzelnen Staaten noch weit, da man sich in dem Zielkonflikt zwischen kurzfristigem ökonomischem Vorteil und langfristigem umweltpolitischem Nutzen befindet. Die Umsetzung der Klimabeschlüsse der Europäischen Union vollzieht sich über das Klima- und Energiepaket der EU, das im Juni 2009 in Kraft trat. Das wichtigste Mittel des Maßnahmenbündels ist der EU-weite Handel mit Emissionszertifikaten. Umweltverschmutzung muss von den Unternehmen bezahlt werden, wodurch es zu Reduktionen kommt. Hierdurch sollen die Treibhausgasemissionen der Kraftwerke bis 2020 um über 20 Prozent reduziert werden. Ab dem Jahr 2013 bekommen die Stromerzeuger keine Verschmutzungszertifikate mehr zugewiesen, sie müssen sie vollständig ersteigern. Die Gesamtmenge der Zertifikate wird ab 2013 um jeweils 1,74 Prozent gesenkt, die Verschmutzungsrechte werden also knapper und mithin teurer für die Stromerzeuger. Für die Teile der Wirtschaft, die nicht dem Emissionshandel unterliegen, wie die Landwirtschaft, der Verkehr und die Gebäudewirtschaft, werden nationale Obergrenzen für Treibhausgasemissionen eingeführt, die sich von 2013 bis 2020 ständig verringern. Hierdurch soll ein Rückgang des Treibhausgasausstoßes um 20 Prozent erreicht werden. Im Bereich der erneuerbaren Energien wurde festgelegt, welche Anstrengungen jedes Mitgliedsland unternehmen muss, um das Gesamtziel von 20 Prozent zu erreichen. Von Deutschland wird erwartet, dass es seinen Anteil an erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch auf 18 Prozent anhebt. Der nächste Schritt in der EU-Klimapolitik ist jetzt, dass die EU-Richtlinien in nationales Recht umgesetzt und angewandt werden. Ab 2013 müssen konkrete Zwischenziele erreicht werden. Weitere Informationen finden sich auf der Internetseite des Bundesumweltministeriums: bmu.de (http://www. bmu.de/europa/und/umwelt/aktuell/1238.php|) bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 40 Energiepolitik Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Die Europäer sind abhängig von Energielieferungen aus dem Ausland. 84,3 Prozent des verbrauchten Öls und 62,4 Prozent des verbrauchten Erdgases kamen 2010 von außerhalb. Energiesicherheit ist mittlerweile ein Top-Thema in der Europäischen Union. In den letzten Jahren ist auch die Energiepolitik in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. In Sachen Energie ist Europa kein Selbstversorger, sondern auf Lieferungen aus anderen Ländern angewiesen. 84,3 Prozent des bei uns verbrauchten Öls und 62,4 Prozent des verbrauchten Erdgases kamen 2010 von außerhalb. Die Energieabhängigkeit ist von Land zu Land unterschiedlich. Bei einigen EU-Staaten liegt sie fast bei 100 Prozent. Der Ölbedarf wird zu 34 Prozent von Russland, zu 14 Prozent von Norwegen gedeckt, jeweils 6 Prozent kommen aus Saudi-Arabien, aus Kasachstan und aus dem Iran. Bei Gas ist Russland mit 35 Prozent der wichtigste Lieferant, gefolgt von Norwegen (14 Prozent), Algerien (14 Prozent) und Quatar mit 8 Prozent. Das Auf und Ab im Nahost-Konflikt hat die Energiekosten immer wieder beeinflusst, aber die Zufuhr nur einmal kurz unterbrochen - während der Ölkrise 1973. Seit mehreren Jahren gab und gibt es Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine um Gaslieferungen. Im Zusammenhang mit diesem Konflikt drehte Russlands Konzern "Gazprom" ab 2006 der Ukraine mehrmals das Gas ab. Die Ukraine ist aber nicht nur Bezieherland für russisches Gas, sondern auch Transitgebiet, da wichtige Gasleitungen in den Westen durch die Ukraine führen. Die Ukraine entnahm das ihr fehlende Gas den Transitleitungen, sodass auch im Westen weniger Energie ankam. Zu Beginn des Jahres 2009 stoppte Russland sogar alle Gaslieferungen, auch die in den Westen, um die Ukraine unter Druck zu setzen. Gegenüber den Ländern seiner Nachbarschaft setzt Russland den Gaspreis als politisches Druckmittel ein: Wohlverhalten wird mit einem niedrigen Gaspreis belohnt, eine zu starke Westorientierung mit einem hohen Preis bestraft. Durch diese Auseinandersetzungen, die originär mit der EU nichts zu tun hatten, ist in der Europäischen Union das Thema Energiesicherheit an die Spitze der politischen Tagesordnung gerückt. Russland, so die Annahme, ist nicht in jedem Fall ein zuverlässiger Lieferant und zudem bereit, die Energielieferungen als Druckmittel der Politik zu nutzen. Seitdem gibt es starke Bestrebungen, die gemeinsame Energiepolitik der EU zu intensivieren. Dabei soll ein ganzes Bündel von Maßnahmen angepackt werden. 1. Die billigste Energiequelle ist die Einsparung. Nach Angaben der Europäischen Kommission werden in den Mitgliedstaaten der EU 20 Prozent der Energie vergeudet. Den dadurch entstehenden Verlust beziffert die EU-Kommission auf 100 Mrd. Euro. Schlecht isolierte Fenster und Wände, veraltete Maschinen, spritfressende Autos und ständig auf "stand by" gestellte Elektrogeräte bewirken diese Verschwendung. Die Europäische Kommission hat 2006 einen Aktionsplan für Energieeffizienz vorgelegt, durch den der Energieverbrauch bis zum Jahr 2020 um 20 Prozent reduziert werden soll. So hat sich die Europäische Kommission im Frühjahr 2009 beispielsweise der Stromverschwendung durch Netzteile (für Computer und andere Elektrogeräte) angenommen. In einer Verordnung, die in der gesamten EU unmittelbar gilt, legt sie Anforderungen an die Energieeffizienz dieser Hilfsmittel fest, die nach der vollständigen Umsetzung im Jahr 2020 Strom in der Größenordnung einsparen sollen, die dem bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 41 Jahresverbrauch des EU-Mitglieds Litauen entspricht. Der Ausstoß der klimaschädlichen Treibhausgase soll durch dieses Programm zudem um ca. 3 Mio. Tonnen verringert werden. Große Aufmerksamkeit und heftige Diskussionen hat das in diesem Zusammenhang erlassene "Glühbirnenverbot" ausgelöst, mit dem seit 2009 Schritt für Schritt die herkömmlichen, nicht sehr energieeffizienten Leuchtkörper aus dem Verkehr gezogen werden. Auch dadurch sollen Energie gespart und weniger Treibhausgase ausgestoßen werden. Diese Maßnahmen kann die Europäische Kommission "verordnen", viele andere können nur durch eine gemeinsame Anstrengung auf europäischer, nationaler und lokaler Ebene erreicht werden kann. Ende 2012 haben der Rat und das Europäische Parlament eine Richtlinie (http://eur-lex.europa.eu/ LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2012:315:0001:0056:DE:PDF) zur Energieeffizienz verabschiedet, die zahlreiche Maßnahmen zur besseren Nutzung von Energie vorsieht. Bis Juni 2014 haben die Mitgliedstaaten Zeit, die Maßnahmen in nationales Recht umzusetzen. Der Umstieg auf eine energiesparendere Wirtschaftsweise soll auch die Verbreitung innovativer Technologien beschleunigen und so die Wettbewerbsfähigkeit der EU verbessern. 2. Die EU bemüht sich intensiv darum, die Lieferquellen aufzufächern, sodass der Ausfall einer Quelle leichter kompensiert werden kann. Aus diesem Grund haben die Staats- und Regierungschefs im März 2009 auch beschlossen, den Bau einer Pipeline zu fördern, die Gas aus Zentralasien und Aserbaidschan nach Westeuropa transportieren soll, ohne russisches Gebiet zu durchqueren. Allerdings ist diese Nabucco-Pipeline mittlerweile an Finanzierungsproblemen gescheitert, während Russland sein Leitungssystem mit der neuen Pipeline "South Stream" ausbaut. Die EU setzt daher jetzt auch verstärkt auf Flüssiggas, das ohne Leitungssystem über lange Strecken transportiert werden kann. Allerdings hat dies auf der Lieferseite Anlagen zur Verflüssigung des Erdgases sowie auf der Empfängerseite Möglichkeiten, das Gas wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen, zur Voraussetzung. Die EU hat im Mai 2013 ein Projekt für "blaue Durchgangswege für Flüssiggas" (LNG Blue Corridors) ins Leben gerufen, um diese Entwicklung zu fördern. 3. Die Solidarität unter den EU-Staaten soll verstärkt werden. Sobald ein Land beispielsweise aus politischen Gründen wesentlich weniger Energie erhält, soll es Hilfe von anderen EU-Staaten bekommen. Hierfür ist allerdings nicht nur der politische Wille nötig, sondern auch die technische Infrastruktur. Wenn es keine Leitungen und technische Verbindungen gibt (sog. Interkonnektoren), kann es auch nicht zu wechselseitigen Energielieferungen kommen. EUEnergiekommissar Oettinger, der vor seiner Berufung nach Brüssel Ministerpräsident von BadenWürttemberg war, will jetzt den Ausbau der Netze beschleunigen, und zwar auch durch die Verkürzung der Genehmigungsverfahren. Mitte 2013 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU darauf, innerhalb von zehn Jahren eine Verbindung von mehr als zehn Prozent der erzeugten Energiemenge herzustellen. Anfang 2014 wurde ein Pilotprojekt ins Leben gerufen, mit dem Strom eines OffshoreWindparks in der Ostsee nach Skandinavien und nach Zentraleuropa fließen soll. Durch solche Energieverbindungen sollen Energieinseln oder zu starke Abhängigkeiten von einem einzelnen Energielieferanten vermieden werden. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 42 Energiepolitik: Abhängigkeiten und Pipelines - Öl 24.9.2009 Kein Thema hat die Gemüter im Bereich der internationalen Politik in den letzten Jahren so erhitzt wie die Frage der Energieabhängigkeit der Europäischen Union. Tatsächlich kann die EU einen Großteil ihres Energiebedarfs nicht aus eigenen Quellen decken. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/MC8WRU.pdf) Eine wichtige Rolle bei der Energieversorgung Europas spielt Russland, das der größte Gas- und Öllieferant für die europäischen Volkswirtschaften ist. Während die EU den überwiegenden Teil ihrer Erdgasimporte aus Russland bezieht, macht der Importanteil des russischen Öls ungefähr ein Drittel aus. Darin liegt die Bedeutung der Ölpipelines von Russland in die EU. Die längste Leitung, die DruschbaPipeline, die über 5.300 km von Tatarstan nach Schwedt in Brandenburg verläuft, transportiert immerhin 11 Mio. Tonnen Öl pro Jahr. Natürlich haben die Russen damit die Möglichkeit, die Europäer unter Druck zu setzen, indem sie ihnen das Öl abdrehen, aber es ist äußerst fraglich, ob sie damit einen politischen oder ökonomischen Erfolg erzielen könnten. Während Gas nämlich in erster Linie und am günstigsten leitungsgebunden transportiert wird, ist das bei Öl anders. Es kann leicht (und billiger) mit bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 43 Tankern von den Lieferanten zu den Konsumenten gelangen. Dadurch gibt es beim Rohöl einen richtigen Markt, auf dem Angebot und Nachfrage den Preis bestimmen – und der auch vor Spekulationen nicht gefeit ist. So ist es jedoch leicht möglich, ausfallende Lieferungen aus einer Quelle durch den Bezug von woanders zu ersetzen. Als es im Januar 2007 Streit zwischen Russland und Belarus gab und die Russen daraufhin für drei Tage die Druschba-Pipeline trocken legten, so dass in Schwedt kein Öl mehr ankam, hatte das auf Deutschland keine gravierenden Auswirkungen. Ein Sprecher der Raffinerie in Schwedt wurde von Spiegel Online mit dem Satz zitiert: "Wir haben noch eine Pipeline nach Rostock, dort chartern wir dann einen Tanker." Wie bei allen Beziehungen zwischen Lieferanten und Konsumenten ist die Abhängigkeit gegenseitig. Während der Kunde die Ware oder den Rohstoff, in diesem Fall Öl, benötigt, braucht der Lieferant das Geld. Russland, das seine Einnahmen zu 71 Prozent, also zu einem erheblichen Teil, aus dem Verkauf von Energieträgern erzielt (und damit die Exportstruktur eines Entwicklungslandes aufweist), ist sogar sehr stark auf die Verkaufserlöse aus dem Westen angewiesen, wenn es seine erheblichen sozialen und wirtschaftlichen Probleme in den Griff bekommen möchte. Dies betrifft auch die Modernisierung der Energieinfrastruktur (von der Erneuerung der Pipelines bis zur Wärmedämmung der Gebäude), die Voraussetzung dafür ist, dass Russland weiterhin ausreichend lieferfähig ist. Durch Energieverschwendung im eigenen Land sowie durch marode Netze gehen der russischen Volkswirtschaft so viele Energieträger verloren, dass fraglich ist, ob das Land seine Lieferverpflichtungen – völlig unabhängig vom politischen Willen – in den nächsten Jahren wird erfüllen können. Zudem werden bei anhaltender Förderung die Ölvorräte nach Einschätzung von Fachleuten in ca. 20 Jahren verbraucht sein. Der Zweifel, ob Russland also überhaupt liefern kann, was es liefern will, beschäftigt die Experten im Energiebereich im Augenblick wesentlich stärker als die Angst, Russland könnte aus politischen Gründen den Ölhahn zudrehen. Russlands Wohlergehen ist zudem stark an den Ölpreis (dem der Gaspreis mit einer Verzögerung von sechs Monaten folgt) gebunden. Fällt der Preis dauerhaft, wie es im Zuge der Weltfinanzkrise 2008/2009 schon zu beobachten war, gerät Russland in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten. Damit stünde das gesamte "System Putin" auf der Kippe, das den Bürgerinnen und Bürgern die Akzeptanz des autoritären Staates durch eine jährliche Vergrößerung des Wohlstands vergilt. Russland und die Europäische Union sind in Energiefragen eng miteinander verbunden, aber sie sind auch wechselseitig abhängig voneinander. Angst vor dem russischen Boykott muss man in der Europäischen Union nicht haben. Dies umso weniger, wenn es gelingt, die anspruchsvollen Klimaund Energieziele der Europäischen Union von 2007 zu realisieren, die bis 2020 auch eine Reduktion des Energieverbrauchs um 20 Prozent sowie einen Anteil erneuerbarer Energien von ebenfalls 20 Prozent vorsehen. Energieeinsparung ist eine wichtige "Energiequelle" und reduziert Europas Abhängigkeiten. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 44 Energiepolitik: Abhängigkeiten und Pipelines - Gas 24.9.2009 Russland ist der wichtigste Energielieferant für die Europäer. Diskutiert wird vor allem das Thema Gas: Insgesamt erhält die Europäische Union rund ein Viertel ihrer Erdgaslieferungen aus Russland. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/8VT2LD.pdf) Gas ist ein wichtiger und begehrter Energieträger. Anders als Öl ist seine Lieferung allerdings leitungsgebunden. Zwar gibt es auch die Möglichkeit, Gas zu verflüssigen und dann beispielsweise per Schiff zu transportieren. Diese Lösung ist jedoch wesentlich teurer als der Transport durch Pipelines, außerdem setzt er voraus, dass es beim Absender und beim Empfänger entsprechende Anlagen gibt, um das Gas in einen flüssigen bzw. wiederum gasförmigen Zustand zu versetzen. Insofern unterscheidet sich die Situation bei Gas und Öl, das überwiegend und billiger mit Tankern transportiert wird, grundsätzlich. Durch die Leitungsbindung des Gastransports sind auch die Lieferbeziehungen zwischen den Produzenten von Erdgas und den Konsumenten wesentlich stabiler. Weder kann ein Land seine Lieferungen kurzfristig woanders hin schicken, noch kann ein Abnehmer den Lieferanten wechseln. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 45 Das Gas folgt den Pipelines, die daher von großer wirtschaftlicher und politischer Bedeutung sind. Die Abhängigkeit von Lieferant und Abnehmer ist wechselseitig. Seit den 1970er Jahren bezieht der Westen Erdgas aus dem Osten, vor allem aus der damaligen Sowjetunion. Seit deren Zerfall 1991 ist Russland der größte Gaslieferant der EU-Länder. Macht sein Lieferanteil derzeit insgesamt ca. 25 Prozent aus, stellt sich die Situation für die einzelnen Abnehmerländer sehr unterschiedlich dar. Zum Teil sind sie – wie beispielsweise Finnland – vollständig oder annähernd vollständig auf russisches Gas angewiesen. Für die sichere Gasversorgung sind allerdings nicht nur stabile Beziehungen zwischen Lieferanten und Abnehmern von Bedeutung, sondern auch ein zuverlässiger Transit durch die Länder, die zwischen Liefer- und Abnehmerstaat liegen. In den letzten Jahren ist es mehrfach zu Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine gekommen, in denen es vordergründig um den Gaspreis ging, den die Ukraine entrichten sollte, im Hintergrund allerdings auch und vor allem darum, dass der russische Gaslieferant Gazprom die Kontrolle über das ukrainische Leitungsnetz übernehmen wollte. Um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, hat Russland mehrfach die Gaslieferungen an die Ukraine reduziert bzw. ganz eingestellt. Die Ukraine hat daraufhin den Leitungen Gas entnommen, das eigentlich für die Weiterleitung nach Westen vorgesehen war. Als Russland den Konflikt Anfang 2009 dadurch verschärfte, dass es seine gesamten Lieferungen in Richtung Westen einstellte, wurden auch EU-Länder wie Tschechien, Ungarn, oder Bulgarien stark betroffen. Um Transitländer auszuschalten ist die direkte "Nord Stream"-Pipeline von Russland durch die Ostsee nach Deutschland geplant. Der frühere deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder ist Aufsichtsratsvorsitzender der Gesellschaft, die die "Ostseepipeline" bauen möchte. Die umgangenen Transitländer, also die baltischen Staaten und Polen, haben sich deutlich gegen diese Leitung ausgesprochen, weil sie fürchten, russischem Druck stärker ausgeliefert zu sein, wenn sie nicht das Faustpfand des Energietransits in der Hand haben. Die Europäische Union bemüht sich seit einiger Zeit, ihre Lieferbeziehungen zu diversifizieren. Wichtigstes Vorhaben ist die Nabucco-Pipeline, die vom Kaspischen Meer unter Umgehung Russlands nach Mitteleuropa führen soll. Neben Finanzierungsfragen ist allerdings derzeit noch offen, ob es genug Gas aus Zentralasien geben wird, um die Leitung zu füllen. Die Lage würde sich ändern, wenn der Iran als Lieferant zur Verfügung stünde, was aus politischen Gründen derzeit nicht der Fall ist. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 46 Landwirtschaftspolitik Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Die Landwirtschaft ist eines der wichtigsten Politikfelder und Dauerstreitpunkt zwischen den Mitgliedstaaten. Noch immer gibt die EU über 40 Prozent ihrer Mittel für die Landwirtschaft und die Entwicklung des ländlichen Raums aus. Ein Hausrind liegt auf einer Almwiese in den Sextener Dolomiten (Italien). Knapp 42 Prozent ihrer Mittel gibt die EU für die Landwirtschaft und die Entwicklung des ländlichen Raums aus. (© picture-alliance) Der erste Politikbereich, der in Europa vergemeinschaftet wurde, war die Landwirtschaftspolitik. Sie ist bis heute immer wieder ein Streitpunkt zwischen den Mitgliedstaaten der EU und führt zu viel Kritik bei den Bürgern. Als die gemeinsame Landwirtschaftspolitik in den 1950er-Jahren konzipiert wurde, ging es darum, genügend Lebensmittel zu produzieren, um nach Jahren des Hungers und knapp gefüllter Teller die Menschen ausreichend zu versorgen. Zur Erhöhung der Produktion befreite man die Bauern vom Marktrisiko. Konnte ein Landwirt seine Produkte nicht regulär verkaufen, wurden sie ihm von der Europäischen Gemeinschaft zu einem Garantiepreis abgenommen. Der gewünschte Effekt trat bald ein, die Versorgung der Bevölkerung war gesichert. Aber damit nicht genug: Da die Landwirte ihr Einkommen durch Mehrproduktion steigern konnten, ohne auf den Markt Rücksicht nehmen zu müssen, kam es zu Überproduktionen. In den Lagerhäusern der Europäischen Gemeinschaften stapelten sich die Lebensmittel, vom "Butterberg" war die Rede und auch vom "Weinsee". Seitdem ist die Agrarpolitik mehrfach reformiert worden. Die Abnahmegarantien sind erloschen, aber bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 47 immer noch gibt die EU knapp 42 Prozent ihrer Mittel für die Landwirtschaft und die Entwicklung des ländlichen Raums aus. Damit werden im Wesentlichen landwirtschaftliche Betriebe durch Direktzahlungen unmittelbar unterstützt, die aber zu einem Drittel nur dann vergeben werden, wenn die Bauern bestimmte ökologische Leistungen erbringen. Auch die Existenzgründung junger Landwirte soll gefördert werden. Die Förderung der europäischen Landwirtschaft wird auch damit begründet, dass man keine Monokulturen entstehen lassen will. Sie würden zwar kostengünstiger produzieren können, die Landschaft jedoch monotonisieren und wären auch wegen mangelnder Pflanzen- und Tiervielfalt ökologisch bedenklich. Bei aller Kritik an der Landwirtschaftsförderung darf nicht vergessen werden, dass diese auch ein Stück Sozialpolitik ist. Ohne die Unterstützung der Europäischen Union könnten viele Bauern ihren Betrieb nicht aufrechterhalten und würden arbeitslos. Abgesehen vom persönlichen Schicksal ist dies auch für die Gesellschaft mit Kosten verbunden, zumal gerade im ländlichen Raum wenig alternative Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 48 Agrarpolitik 24.9.2009 Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ist die älteste Gemeinschaftspolitik – und auch die umstrittenste. Die EU gibt hierfür über 40 Prozent ihres Budgets aus. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/903BLE.pdf) Die ersten Marktordnungen im Bereich der Landwirtschaft traten bereits 1962 in Kraft. Ihr Ziel war es, einerseits eine ausreichende Lebensmittelversorgung zu garantieren und andererseits den Landwirten das Auskommen zu sichern. Die GAP hat aus diesem Grund den EG-/EU-Markt vor landwirtschaftlichen Gütern aus Drittstaaten abgeschottet und den Landwirten eine Abnahmegarantie zu einem festgesetzten Preis gegeben. Konnten die Bauern ihre Produkte nicht auf dem freien Markt verkaufen, wurde diese von der EG aufgekauft und "aus dem Markt genommen", das heißt, entweder aufwändig gelagert oder vernichtet. Durch diese Abnahmesicherheit einerseits und den Fortgang der agrotechnischen Entwicklung andererseits entstanden bald große Mengen landwirtschaftlicher Güter, für die es keine Interessenten gab. Man sprach vom "Butterberg" und vom "Weinsee". Da die EG-Preise deutlich über denen des bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 49 Weltmarkts lagen, waren die EG-Agrarprodukte außerhalb der Grenzen der Gemeinschaft weitgehend unverkäuflich. Durch Ausfuhrsubventionen wurde es den Landwirten möglich gemacht, ihre Güter in Drittstaaten an den Mann zu bringen: Sie verkauften zu einem niedrigen Preis und erhielten die Differenz zum Binnenpreis von der EG erstattet. Diese Ausfuhrsubventionen, die es bis heute gibt, sind auch entwicklungspolitisch höchst umstritten, weil sie in Entwicklungsländern dazu führen, dass EUProdukte billiger sind als die Erzeugnisse der heimischen Landwirtschaft, die dadurch massiv geschädigt wird. Die GAP ist seit ihrer Einführung mehrmals grundlegend reformiert worden. So wurden die Preisgarantien weitgehend abgeschafft. Die Landwirte müssen in diesen Fällen ihre Erzeugnisse auf eigenes Risiko verkaufen. Allerdings erhalten sie von der EU zum Ausgleich eine direkte Beihilfe. Gleichzeitig sind die landwirtschaftlichen Betriebe ab einer bestimmten Größe verpflichtet, einen Teil ihrer Fläche stillzulegen, wofür ihnen eine "Stilllegungsprämie" gezahlt wird. Für Milch gibt es bis 2015 eine Quotenregelung. So wird die Höchstmenge festlegt, die von den EU-Staaten und in diesen von den einzelnen Landwirten geliefert werden darf. Wer in der EU Milch produzieren und verkaufen will, benötigt daher nicht nur eine Kuh, sondern auch eine Quote. So gibt es Landwirte, die ihren Betrieb aufgegeben haben, aber weiterhin über eine Milchquote verfügen, die sie gegen Entgelt weitergeben (sog. Sofamelker). In den letzten Jahren hat die EU den Anteil der Ausgaben für die Landwirtschaft an den Gesamtausgaben kontinuierlich abgesenkt, er liegt jetzt unter 50 Prozent. Außerdem werden die Mittel zunehmend für die Entwicklung des landwirtschaftlichen Raums, für die Landschaftspflege und für eine ökologisch hochwertige Agrarproduktion eingesetzt. Seit 2009 werden die Nutznießer von Agrarsubventionen im Internet veröffentlicht (www.agrar-fischerei-zahlungen.de (http://www.agrarfischerei-zahlungen.de/)). Dabei wird deutlich, dass die großen Betriebe auch die relevanten Beträge erhalten, die Agrarförderung also keine spezielle Unterstützung kleinerer und mittlerer Betriebe darstellt. Die Kritiker der GAP bemängeln, dass diese Politik sich nicht mit den Grundsätzen der Marktwirtschaft verträgt, sondern ein unüberschaubares Geflecht staatlicher Eingriffe darstellt. Die Befürworter verweisen darauf, dass mit der GAP eine Reihe wichtiger Ziele erreicht werden, die auch auf der Folie dargestellt sind. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 50 Regional- und Strukturpolitik Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Mit der Regional- und Strukturpolitik unterstützt die EU ärmere oder besonders vom Strukturwandel betroffene Regionen in der EU - mit rund einem Drittel ihres gesamten Haushalts. Die Regional- und Strukturpolitik der Europäischen Union ist der Bereich, für den die EU das meiste Geld ausgibt. Sie folgt dem Gedanken der Solidarität und war von Anfang an Teil des europäischen Politikansatzes. 1987 fand sie in der Einheitlichen Europäischen Akte als Kohäsionspolitik ihren Niederschlag: Durch sie werden ärmere oder besonders vom Strukturwandel betroffene Regionen in der EU unterstützt, um ihnen dabei zu helfen, den Rückstand aufzuholen. In der neuen Förderperiode, die sich von 2014 bis 2020 erstreckt, wird die Regionalpolitik auf die Ziele der Entwicklungsstrategie "Europa 2020" ausgerichtet und zielt vor allem auf die Schaffung von Arbeitsplätzen, Wirtschaftswachstum sowie die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Auch die nachhaltige Entwicklung und damit einhergehend die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen sind Ziele der Regionalpolitik. Insgesamt sollen bis 2020 351 Mrd. Euro für die Regional- und Kohäsionspolitik ausgegeben werden. Dabei soll das Geld auf die Bereiche und Sektoren konzentriert werden, in denen die größten Fortschritte zu erwarten sind. Es sollen Projekte gefördert werden, die kleine und mittlere Unternehmen stärken, Innovationen realisieren, Verkehrsverbindungen schaffen und die Qualifizierung der Arbeitskräfte unterstützen. Ein wichtiger Fördergesichtspunkt ist auch die digitale Agenda der Europäischen Union, mit der digitale Techniken einschließlich des Internets verstärkt zur Schaffung von Wachstum und Wohlstand genutzt werden sollen. Die EU-Regionalpolitik wird über fünf verschiedene Fonds gesteuert: den Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE), den Europäischen Sozialfonds (ESF), den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds (EMFF). Die Regionalförderung steht allen Regionen in der EU zu. Allerdings werden diese in drei Kategorien eingeteilt: 1. weniger entwickelte Regionen (deren Bruttoinlandprodukt - BIP - pro Kopf weniger als 75 Prozent des EU-Durchschnitts beträgt) 2. Übergangsregionen, in denen das BIP pro Kopf zwischen 75 und 90 Prozent liegt, und 3. stärker entwickelte Regionen, die mehr als 90 Prozent des BIP pro Kopf der gesamten EU aufweisen Das meiste Geld fließt in die erste Gruppe. Deutschland erhält bis 2020 19,2 Mrd. Euro. Das ist deutlich weniger als Polen bekommen wird, für das 77,6 Mrd. Euro vorgesehen sind, aber mehr als nach Frankreich überwiesen wird (15,9 Mrd. Euro). Einen Überblick über alle Länder der EU erhält man hier (http://ec.europa.eu/regional_policy/thefunds/funding/index_de.cfm). bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 51 Voraussetzung für den Erhalt europäischer Mittel ist ein Programm, das mit der Europäischen Kommission vereinbart werden muss. Von den Regionen wird grundsätzlich, aber in unterschiedlicher Höhe, eine Kofinanzierung verlangt, um sicherzustellen, dass die Gebiete tatsächlich Interesse an den Maßnahmen haben. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 52 Sozialpolitik Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Über sozialpolitische Fragen entscheiden nach wie vor die nationalen Gremien der einzelnen Mitgliedstaaten. Allerdings hat die Europäische Union die Richtlinienkompetenz - unter anderem in den Bereichen Gesundheit und Sicherheit. Menschen stehen vor einem Arbeitsamt in Madrid Schlange . (© picture-alliance/AP) Die Sozialpolitik gehört nicht zu den Kompetenzen der Europäischen Union. Ihre Aufgabe ist es lediglich, die Mitgliedstaaten auf einigen Feldern der Beschäftigungs- und Sozialpolitik zu unterstützen. Die meisten Maßnahmen der europäischen Sozialpolitik werden nach der offenen Methode der Koordinierung, die im Jahr 2000 eingeführt wurde, unterstützt. Nach diesem Verfahren vergleichen die Mitgliedstaaten die Ergebnisse ihrer Politik in einem Bereich und tauschen ihre Erfahrungen aus. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 53 Entwicklung der Sozialpolitik Dennoch ist die EU auch auf diesem Feld nicht völlig unbedeutend. In den Verträgen verpflichten sich die Mitgliedsstaaten, die in der Sozialcharta des Europarates (http://conventions.coe.int/Treaty/GER/ Treaties/Html/035.htm) seit 1961 verankerten Standards und Rechte einzuhalten. Hierbei handelt es sich unter anderem um das Recht auf gerechte Arbeitsbedingungen und Entlohnung, um das Recht, sich in Gewerkschaften zusammenzuschließen, sowie den Jugend- und Mutterschutz. Mit dem Vertrag von Maastricht (1993) wurde zudem in der EU ein Sozialprotokoll unterzeichnet, das die Unterstützung sozialer Maßnahmen in den Mitgliedstaaten zum Inhalt hatte. Großbritannien wurde in diesem Protokoll auf ausdrücklichen Wunsch ausgenommen. Nachdem das Land als Folge eines Regierungswechsels seinen Widerstand aufgegeben hatte, konnte das Protokoll in den Amsterdamer Vertrag (1999) eingefügt werden. Im durch den Lissabonner Vertrag geschaffenen Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV, vor Lissabon EG-Vertrag) findet sich das Sozialkapitel in den Artikeln 151 bis 161. Die Sozialpolitik ist mittlerweile eine gemeinsame Zuständigkeit von Union und Mitgliedstaaten. Der Rat kann durch Richtlinien, die im Mitentscheidungsverfahren mit dem Europäischen Parlament und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses sowie des Ausschusses der Regionen mit qualifizierter Mehrheit angenommen werden, Maßnahmen unter anderem in den Bereichen Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer erlassen. Einstimmig kann der Rat, ebenfalls im Mitentscheidungsverfahren, auch Maßnahmen zum sozialen Schutz der Arbeitnehmer, zum Kündigungsschutz und weiteren Fragen beschließen. Die Festlegung der Sozialpolitik als "gemeinsame Zuständigkeit" ermöglicht der EU also regelnd einzugreifen, allerdings muss sie dabei die Kompetenzen der Mitgliedstaaten achten. Tatsächlich sind die Mitgliedstaaten sehr daran interessiert, auf diesem Feld die Gestaltungsmacht zu behalten, so dass der EU im Wesentlichen die Fixierung von Mindeststandards bleibt. Sozialpolitische Regelungen So hat die Europäische Union beispielsweise eine Richtlinie zur Arbeitszeitgestaltung (http://europa. eu/legislation_summaries/other/c10405_de.htm) erlassen, die solche Mindeststandards bei der Festlegung der Arbeitszeiten vorschreibt. Die Mitgliedstaaten sind der Richtlinie zufolge dazu verpflichtet zu regeln, dass die Höchstarbeitszeit nicht mehr als 48 Stunden pro Woche beträgt und dass zwischen Arbeitsende und erneuter Arbeitsaufnahme eine angemessene Ruhezeit eingehalten wird. Auch das Verbot, Menschen wegen ihres Geschlechts oder anderer persönlicher Merkmale zu benachteiligen, gilt europaweit. Die Europäische Union hat hierzu mehrere Richtlinien erlassen, die bei uns durch das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/ agg/gesamt.pdf) umgesetzt wurden. Dabei ist Deutschland über die Vorgaben der EU hinausgegangen. Dies zeigt das bei Richtlinien übliche Verfahren: Es werden Werte vorgegeben, die einzuhalten sind. Wenn ein Staat mehr tun will, kann er dies machen. Zur Freizügigkeit innerhalb Europas gehört auch, dass die Menschen ihre sozialen Ansprüche mit über die Grenze nehmen können. Jemand, der beispielsweise zwanzig Jahre in Frankreich, zehn Jahre in den Niederlanden und zehn Jahre in Deutschland gearbeitet hat, wo er sich dann im Ruhestand niederlässt, muss auch für vierzig Jahre Rente erhalten. Dies ist auf europäischer Ebene garantiert. Heftig diskutiert wurde in der Europäischen Union allgemein und in Großbritannien und in Deutschland im Besonderen, ob Bürger anderer EU-Staaten Sozialleistungen beanspruchen können. Ein EUBürger, der in Deutschland mindestens sechs Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, hat Anspruch auf Arbeitslosengeld II ("Hartz IV"), wird er nach mehr als einem Jahr Berufstätigkeit arbeitslos, tritt fürs Erste die Arbeitslosenversicherung für ihn ein. Andererseits gilt grundsätzlich, dass ein Zuzug nach Deutschland mit dem Ziel, dort von Sozialhilfe zu leben, nicht rechtens ist. Strittig ist jedoch, inwieweit EU-Bürger Anspruch auf Sozialleistungen haben, die ihnen den Zugang zum bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 54 Arbeitsmarkt erleichtern, wenn sie also nicht arbeiten, aber eine Arbeit suchen oder sich für eine solche qualifizieren könnten. Gemäß einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2009 dürfen EU-Bürger nicht von beitragsunabhängigen Leistungen ausgeschlossen werden, die ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern. Mehrere deutsche Gerichte haben daher in den letzten Jahren EUAusländern Sozialleistungen zugesprochen, auch wenn sie nicht berufstätig waren. Das Bundessozialgericht hat mittlerweile den Europäischen Gerichtshof um eine grundsätzliche Entscheidung gebeten. Auch der Gesundheitsschutz ist sichergestellt, wenn sich ein EU-Bürger in einem anderen Land der Gemeinschaft vorübergehend aufhält und dort krank wird. Es gibt mittlerweile eine europäische Versicherungskarte, die gewährleistet, dass man ärztliche Betreuung erhält, ohne dafür in Vorkasse zu treten und das dann hinterher mit seiner Krankenkasse abrechnen zu müssen. Zum Binnenmarkt gehört weiterhin, dass man auch außerhalb von Notfällen Gesundheitsleistungen im Ausland in Anspruch nehmen darf und die eigene Krankenkasse dies bis zu der Höhe tragen muss, die auch im eigenen Land angefallen wäre. Das ist für viele bei Leistungen interessant, die nach unserem System Zuzahlungen erfordern wie beispielsweise Zahnersatz. Wer will, kann sich seine Zähne in Polen oder Ungarn richten oder ersetzen lassen und so seinen Eigenbeitrag minimieren oder ganz einsparen. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 55 Sozialpolitik der EU 24.9.2009 Die Sozialpolitik ist Aufgabe der Mitgliedstaaten und nicht der EU. Allerdings setzt die Europäische Union soziale Mindeststandards und greift auch über den Europäischen Sozialfonds in die soziale Lage in den EU-Ländern ein. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/0AGLSP.pdf) Anders als beispielsweise die Agrarpolitik ist die Sozialpolitik keine originäre Zuständigkeit der Europäischen Union. Ein gemeinsamer Binnenmarkt mit der Freizügigkeit von Arbeitnehmern und Dienstleistern macht jedoch auch gemeinsame Standards und Regelungen im sozialen Bereich nötig. Von Beginn an hat sich die europäische Integration auch mit sozialen Fragen beschäftigt, wenngleich mit phasenweise sehr unterschiedlicher Intensität. Als der Europäische Rat im Jahr 2000 die LissabonStrategie beschloss, deren Ziel es war und ist, die Europäische Union zum dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, wurde im selben Jahr mit der "Europäischen Sozialagenda" auch eine soziale Flankierung dieses Vorhabens beschlossen. Im Internet findet sich die Sozialagenda unter consilium.europa.eu (http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/ librairie/PDF/SocialAgenda_DE.pdf). bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 56 Die Europäische Union hat mittlerweile eine Reihe von Standards vereinbart, die in den Mitgliedstaaten nicht unterschritten werden dürfen, um so zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts in der EU beizutragen. Besondere Bedeutung kommt der Gleichstellung von Mann und Frau zu, die sowohl den gleichen Zugang zu allen Berufen, identische Arbeitsbedingungen und auch die gleiche Entlohnung für die gleiche Tätigkeit zum Inhalt hat. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) achtet in seiner Rechtsprechung auf die Durchsetzung dieses Prinzips. Ein Ergebnis der EuGH-Rechtsprechung ist es, dass Frauen seit 2001 bei der Bundeswehr dienen dürfen. Eine junge Frau hatte erfolgreich geklagt, da ihre Bewerbung wegen ihres Geschlechts keine Berücksichtigung fand. Nicht diskriminiert werden dürfen auch die Erwerbstätigen anderer EU-Mitgliedstaaten, denen dieselben sozialen Rechte zustehen wie den Bürgern des jeweiligen Landes. Auch der Arbeitsschutz ist auf europäischer Ebene vereinbart. Da es innerhalb der EU erhebliche Lohngefälle gibt, besteht bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten die Gefahr des Lohndumpings, indem beispielsweise ein Unternehmen aus Rumänien in Deutschland arbeitet, seinen Arbeitnehmern aber nur die wesentlich niedrigern Löhne des rumänischem Niveaus zahlt. Diese Wettbewerbsverzerrung, die für die einheimischen Arbeitskräfte negative Folgen hätte, wird durch die Entsenderichtlinie verhindert oder doch zumindest eingeschränkt. Der Richtlinie zufolge müssen allen Arbeitnehmern an ihrem Arbeitsort die gültigen Mindestlöhne oder soweit es solche – wie in Deutschland - nicht gibt die tariflich vereinbarten Entgelte gezahlt werden. Auch die weiteren Arbeitsbedingungen wie Höchstarbeitszeit, Mindestruhezeit, bezahlter Mindestjahresurlaub und Arbeits- und Hygieneschutz müssen für Inländer und EU-Ausländer gleich sein. Sozialpolitisch aktiv wird die Europäische Union auch durch den Europäischen Sozialfonds (ESF), mit dem Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit und für die berufliche Qualifzierung, gegen soziale Ausgrenzung und für die Gleichstellung von Männern und Frauen finanziert werden. Für den Zeitraum 2007 – 2013 stellt die EU im Rahmen des ESF 75 Mrd. Euro zur Verfügung. In Deutschland werden in dieser Förderperiode tausende von Menschen in unterschiedlichen Projekten mit rund 9 Mrd. Euro unterstützt. Näheres findet man auf der Internetseite der Bundesregierung für den ESF in Deutschland: esf.de (http://www.esf.de/portal/generator/944/esf__grundlagen.html) bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 57 Rechts- und Innenpolitik Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Das Schengener Übereinkommen hat die meisten Grenzkontrollen in der EU abgeschafft. Länderübergreifende Polizeiarbeit und gegenseitige Anerkennung von Gerichtsurteilen machen die EU immer mehr zu einem gemeinsamen Rechtsraum. Das Schengen-Abkommens macht Grenzkontrollen, wie hier an der ungarisch-slowenischen Grenze, obsolet. (© picture-alliance/dpa) Zunehmend organisieren die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Teile ihrer Rechts- und Innenpolitik gemeinschaftlich. Ein ins Auge fallendes Beispiel ist die Verwirklichung des Schengener Übereinkommens. Mit diesem Vertrag sind nicht nur die meisten Grenzkontrollen innerhalb der EU bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 58 weggefallen, sondern es findet auch ein gemeinsamer Schutz der Außengrenzen statt. Alle Schengen-Staaten - das sind die EU-Staaten außer Großbritannien und Irland, die nicht mitmachen wollen, und Bulgarien, Rumänien und Zypern, die aus unterschiedlichen Gründen noch nicht dabei sind, außerdem Norwegen, Island, die Schweiz und Liechtenstein - verfügen über ein gemeinsames Fahndungssystem. Darüber hinaus geben sie Visa für das gesamte Schengengebiet aus. Wenn der deutsche Generalkonsul in St. Petersburg einem Russen ein Visum erteilt, erlaubt er ihm damit auch den Besuch von beispielsweise Madrid, Paris oder Warschau. Umgekehrt gilt das Visum, das die französische Botschaft in Marokko ausstellt, auch für Deutschland. In den Jahren 2012 und 2013 gab es eine Diskussion innerhalb der EU, die Freizügigkeit vorübergehend einzuschränken, wenn die Gefahr besteht, dass sie missbraucht wird. Hintergrund war die Ausgabe von Aufenthaltserlaubnissen durch Italien an Flüchtlinge, die daraufhin vor Prüfung ihres Asyl-Antrags das Land in Richtung Frankreich und Deutschland verließen. Mittlerweile gibt es einen Beschluss von Rat und Europäischem Parlament, demzufolge ein Land vorübergehend (das heißt für maximal zwei Jahre) Grenzkontrollen wieder einführen kann. Damit könnten dann auch Flüchtlinge am Wechsel in ein anderes EU-Land gehindert werden - sollten sie den Wechsel anstreben bevor ihr Aufnahmeverfahren abgeschlossen oder wenn es negativ beschieden worden ist. Die gilt natürlich nur, wenn sie sich an einem Grenzübergang präsentieren und nicht den Weg über die langen und unbewachten "grünen Grenzen" zwischen den Mitgliedstaaten wählen würden. Damit offene Grenzen nicht zu mehr Kriminalität führen, gibt es eine enge polizeiliche Zusammenarbeit zwischen den Polizeibehörden vor Ort sowie eine gegenseitige Information über EUROPOL (LINK: http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/176960/europol). Wer in Deutschland ein Verbrechen begeht, kann nicht darauf hoffen, in den Niederlanden "seine Ruhe" zu haben. Für eine Reihe von Delikten besteht die Möglichkeit, einen europäischen Haftbefehl zu erlassen. Alle Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, auf der Basis eines solchen Haftbefehls auch eigene Staatsbürger zu überstellen. Ein Deutscher, der in Spanien eine Bombe gelegt hat, kann nach Spanien ausgeliefert und dort vor Gericht gestellt werden. Ein anderes Thema sind grenzüberschreitende Eheschließungen: Je mehr Menschen in Europa reisen und in anderen Ländern arbeiten, desto mehr gemischt-nationale Ehen entstehen auch. Leider endet manche Ehe jedoch mit der Scheidung. Nach welchem Recht werden beispielsweise eine italienische Frau und ein polnischer Mann, die in Großbritannien leben, geschieden? Hier waren die Regelungen von Land zu Land unterschiedlich, was für die Paare vor allem im Bereich des Sorgerechts eine zusätzliche Belastung mit sich gebracht hat. Bestrebungen, die Zuständigkeiten in der gesamten EU zu regeln, sind jedoch daran gescheitert, dass nicht alle EU-Staaten die neuen Regelungen mittragen wollten. Daher kam es zum ersten Mal zu einem Fall der verstärkten Zusammenarbeit (http://www. bpb.de/nachschlagen/lexika/177341/verstaerkte-zusammenarbeit): 14 Staaten, darunter auch Deutschland, beschlossen eine gemeinsame Regelung, der sich mittlerweile auch Litauen angeschlossen hat. Ehepaare, bei denen die Partner verschiedenen Staaten angehören, können jetzt schon bei der Hochzeit festlegen, welches nationale Scheidungsrecht im Falle des Scheiterns der Ehe gelten soll. Sollte es darüber keine Einigkeit geben, entscheiden die Gerichte nach einem einheitlichen Verfahren. Die Regelung stellt keinen Eingriff in das nationale Scheidungsrecht dar, das sich weiterhin von Staat zu Staat unterscheidet, aber mit der Regelung ist geklärt, welches Recht zur Anwendung kommt. Ein wichtiger Schritt zu einem gemeinsamen Europa ist für die Bürgerinnen und Bürger darüber hinaus die gegenseitige Anerkennung von Gerichtsurteilen, auch in Zivilgerichtsverfahren. Damit entwickelt sich Europa zu einem gemeinsamen Rechtsraum, was beispielsweise von Bedeutung ist, wenn man in einem anderen EU-Land etwas kauft und aus diesem Kauf Rechtsstreitigkeiten entstehen. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 59 Rechts- und Innenpolitik der Europäischen Union 24.9.2009 Die Leitvorstellung der Europäischen Union ist der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, der es den Bürgern der EU ermöglichen soll, in der gesamten Union so frei zu leben, wie man das traditionell aus dem Nationalstaat kennt. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/VZEXXQ.pdf) Die Leitvorstellung der Europäischen Union ist der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, der es den Bürgern der EU ermöglichen soll, in der gesamten Union so frei zu leben, wie man das traditionell aus dem Nationalstaat kennt. Die Europäische Union verankert die Ziele Freiheit, Sicherheit und Recht in einem Konzept, das mit dem Vertrag von Amsterdam 1999 in Kraft getreten ist. Freiheit bedeutet in erster Linie die Verwirklichung der sog. vier Grundfreiheiten des Europäischen Binnenmarkts, den freien Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital. Während die drei letzen Grundfreiheiten in die Wirtschaftspolitik fallen, gehört die Personenfreizügigkeit zur Rechtsund Innenpolitik. Jeder Unionsbürger darf sich in jedem EU-Land niederlassen, um dort zu arbeiten bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 60 oder zu leben. Nur wenn er dauerhaft die sozialen Sicherungsnetze des Gastlandes in Anspruch nimmt, kann sein Aufenthalt beschränkt werden. Zudem werden Reisende in 22 der derzeit 27 Mitgliedsländern an den Staatsgrenzen nicht kontrolliert. Diese Aufhebung der Grenzkontrollen ist im Schengener Abkommen geregelt. Während Großbritannien, Irland, Zypern, Bulgarien und Rumänien dieser Übereinkunft nicht oder noch nicht angehören, nehmen andererseits Nicht-EU-Staaten wie Norwegen, Island, die Schweiz und Liechtenstein daran teil. Alle EU-Bürger besitzen neben ihrer nationalen Staatsangehörigkeit die Unionsbürgerschaft, die ihnen in anderen Mitgliedsländern das kommunale und europäische Wahlrecht sichert. Wer in einem Drittland Hilfe benötigt, aber nicht auf eine Botschaft seines Landes zurückgreifen kann, erhält als Unionsbürger von einer anderen EUMission Unterstützung. Die Grundrechte aller Personen, die sich in der EU aufhalten, gleich ob Unionsbürger oder nicht, werden von der Grundrechtecharta der EU abgedeckt. Sie wurde bereits im Jahr 2000 unterzeichnet und ist mit dem Lissabonner Vertrag ein Teil des EU-Rechts geworden. Ebenfalls im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts geregelt ist der Umgang der EU-Staaten mit Drittstaatsangehörigen. Die EU unterscheidet hier zwischen drei Personengruppen: Erstens, Personen mit dem von der EU definierten Anspruch auf Asyl. Zweitens, Personen, die für die Arbeitsmärkte der EU benötigt werden oder die ein Recht auf Familienzusammenführung haben. Für diese Personen will die EU in den nächsten Jahren eine Einwanderungspolitik entwickeln. Drittens, Personen, die kein Anrecht auf eine Einreise in die EU haben und die als sog. illegale Migranten an der Einreise gehindert werden sollen. Um ihre Zahl zu reduzieren, hat die EU ihre Außengrenzsicherung verstärkt und eine eigene Grenzschutzagentur, FRONTEX, ins Leben gerufen. An den Außengrenzen sollen auch Straftäter gefasst werden. Darüber hinaus koordiniert die gemeinsame Polizeidienststelle EUROPOL Daten und Ermittlungen über Grenzen hinweg. Bei schweren Straftaten kann ein Haftbefehl grenzüberschreitend ausgeführt werden – und zwar auch gegen die Bürger des Heimatstaates. Zusätzlich wird die Terrorismusbekämpfung zwischen den Mitgliedstaaten von der EU koordiniert. In Brüssel gibt es dafür einen Anti-Terrorbeauftragten der EU, der im Auftrag des Rates der Europäischen Union handelt. Für die Zusammenarbeit in der gerichtlichen Strafverfolgung haben die EU-Staaten die Institution EUROJUST gegründet. Je mehr EUBürger sich über die Binnengrenzen der EU bewegen, dort leben, heiraten, sich scheiden lassen, sterben und erben, desto wichtiger ist eine EU-weite Zusammenarbeit auch im Zivilrecht, die mittlerweile entsteht. Hierzu gehört auch eine gegenseitige Anerkennung von Gerichtsurteilen. Gleichzeitig findet eine Standardanpassung des Internationalen Privatrechts innerhalb der EU statt um zu verhindern, dass man bei grenzüberschreitenden Vereinbarungen – zum Beispiel Versicherungen – zwischen die Mühlsteine unterschiedlicher rechtlicher Normen in verschiedenen EU-Staaten gerät. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 61 Das Schengener Übereinkommen 24.9.2009 Die meisten EU-Staaten sowie einige weitere Länder haben sich dem Schengener Übereinkommen angeschlossen. Zwischen ihnen gibt es keine Grenzkontrollen mehr - aber eine gemeinsame Visapolitik und Standards bei der Sicherung der Außengrenzen. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/MOPJ4Z.pdf) Schengen ist ein kleiner Ort in Luxemburg. Dort unterzeichneten 1985 die Vertreter Frankreichs, Deutschlands, Belgiens, der Niederlande und Luxemburgs ein Abkommen, mit dem die Grenzkontrollen zwischen ihren Ländern aufgehoben werden sollten. Tatsächlich geschah dies erst 1995, nachdem 1990 ein Durchführungsabkommen geschlossen worden war und die technischen Voraussetzungen geschaffen worden waren. Seit dem Wegfall der Kontrollen an den Binnengrenzen werden die Außengrenzen nach gemeinsamen Standards kontrolliert (an Grenzübergangsstellen) und überwacht (an den Land- und Seegrenzen); dies erfordert auch eine gemeinsame Datenbank. Im SchengenDurchführungsabkommen ist die Vereinheitlichung von Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen geregelt, außerdem die Ausstellung von Visa für den gesamten "Schengen-Raum". Auch auf Maßnahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit, der gemeinsamen Drogenfahndung sowie auf Bestimmungen bezüglich der Gewährung von Asyl einigte man sich. Zum Zeitpunkt des bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 62 Inkrafttretens des Schengener Durchführungsabkommens waren auch Griechenland, Portugal und Italien zu den Teilnehmerstaaten hinzu gestoßen, 1997 folgte Österreich. Das Schengener Überkommen wurde außerhalb der damaligen Europäischen Gemeinschaften als völkerrechtlicher Vertrag geschlossen. Erst 1999 mit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages wurde "Schengen" eine gemeinsame EU-Politik. Mittlerweile gehören dem Schengen-Verbund die meisten EU-Staaten an. Für Großbritannien und in seiner Folge auch Irland gilt das Schengener Übereinkommen nicht, da Großbritannien aufgrund seiner besonderen Einwanderungskontrollpolitik den Souveränitätsverzicht nicht hinnehmen und die Republik Irland zwischen ihrem Territorium und Nordirland keine Schengen-Grenze etablieren wollte. Bulgarien und Rumänien haben die Standards für die Kontrolle und Überwachung der Außengrenzen, den sogenannten Schengen-Acquis, noch nicht erfüllt und Zypern ist wegen der Teilung der Insel in einer besonderen Situation. Während einerseits also nicht alle EU-Staaten bei Schengen mitmachen, gehören dem SchengenVerbund andererseits auch Länder an, die nicht zur EU gehören. Dies sind einerseits Island und Norwegen, andererseits die Schweiz und Liechtenstein. Die Mikrostaaten Andorra, San Marino, Monaco oder der Vatikanstaat sind rechtlich nicht Teil des Schengener Übereinkommens, was praktisch allerdings bedeutungslos ist, da es an ihren Grenzen sowieso keine Kontrollen gibt (wie das auch bei Liechtenstein der Fall war). Wer aus einem visumpflichtigen Drittstaat in einen Vertragsstaat des Schengener Übereinkommens einreist, erhält in aller Regel ein "Schengen-Visum", das ihm den legalen Aufenthalt auch in den anderen Schengen-Staaten ermöglicht. Dadurch wird die Reisefreiheit von Besuchern aus Drittstaaten wesentlich vergrößert. Allerdings erlaubt "Schengen" keine abweichenden Regelungen mehr, wie es sie früher beispielsweise für den visumfreien Reiseverkehr zwischen Polen und der Ukraine gab. Deshalb wird das Schengen-Regime aus Drittstaaten heraus oftmals als "Festung Europa" bezeichnet. Im Einzelfall ist es tatsächlich schwerer geworden, ein Visum zu erhalten, das allerdings eine größere Reichweite hat. Die Entscheidung, von welchen Staatsangehörigen ein Visum verlangt wird, treffen die Schengen-Staaten gemeinsam. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 63 Das auswärtige Handeln der EU Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Im Vertrag von Lissabon hat die EU sich weitreichende Ziele für ihre Außen- sowie eine Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik gesetzt und neue Instrumente zu deren Umsetzung geschaffen. Eine gemeinsame Außenpolitik war bei Gründung der Europäischen Gemeinschaften nicht vorgesehen. Die Außenpolitik blieb eine Domäne der Mitgliedstaaten. Allerdings wurde im Laufe der Jahre deutlich, dass man wenig erreicht, wenn jedes Land für sich alleine handelt. Aus ersten Formen der Koordination, der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ), entstand mit dem Vertrag von Maastricht, der 1993 in Kraft trat, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Europäischen Union. Durch den Vertrag von Lissabon wurde das auswärtige Handeln der Union deutlich gestärkt. Die Europäische Union will mit ihrer Außenpolitik nicht nur "ihre grundlegenden Interessen, ihre Sicherheit, ihre Unabhängigkeit und ihre Unversehrtheit wahren" (Art. 21 Abs. 2 Punkt a des EUVertrags in der Fassung von Lissabon), sondern auch weltweit Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit fördern, zur Beseitigung der Armut in der Welt beitragen und eine "verantwortungsvolle Weltordnungspolitik" fördern (Art. 21 Abs. 2 Punkt h, EU-Vertrag). Stärkung durch den Lissabonner Vertrag Um ihre Außenpolitik zu verwirklichen, hat die EU einige Instrumente entwickelt. Durch den Lissabonner Vertrag wurde das Amt des Hohen Vertreters für die Außen- und Sicherheitspolitik geschaffen, das bis 2014 von der Britin Catherine Ashton bekleidet wird. Zwar gab es schon vor dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags einen Hohen Vertreter, nämlich den Spanier Javier Solana. Allerdings war der "alte" Hohe Vertreter nur der Repräsentant des Rates der Europäischen Union, während der "neue" zugleich Vizepräsident der Europäischen Kommission ist. So wird das außenpolitische Handeln dieser beiden Institutionen eng miteinander verflochten. Der Hohen Vertreterin steht ein Europäischer Auswärtiger Dienst zur Seite, den man sich wie ein EU-Außenministerium mit einer Zentrale in Brüssel und Botschaften ("Delegationen") in aller Welt vorstellen kann. Die Hohe Vertreterin verfügt also über einen Apparat, mit dem sie die Außenpolitik der EU auch umsetzen kann. Im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) gibt es verschiedene Instrumente, die in Art. 25 des EU-Vertrages (EUV) festgelegt sind. So erlässt die Union allgemeine Leitlinien zur GASP und fasst Beschlüsse zu ihrer Umsetzung. Dabei kann es sich um gemeinsame Standpunkte oder auch gemeinsame Aktionen handeln. Die GASP ist nicht vergemeinschaftet, sondern intergouvernemental. Das bedeutet, dass sie zwischen den Regierungen, also im Rat, verabredet und das Europäische Parlament lediglich angehört wird. Die Europäische Kommission ist über die Hohe Vertreterin eingebunden, außerdem ist die Kommission für Teile des auswärtigen Handelns außerhalb der GASP (also Entwicklungshilfe, humanitäre Hilfe, Nachbarschaftspolitik) zuständig. Da sich diese Politikfelder von der GASP nicht ganz klar trennen lassen, ist eine enge Zusammenarbeit nötig. Die GASP ist auf Einstimmigkeit angelegt, sieht allerdings eine konstruktive Enthaltung vor. Ein Staat kann sich der Stimme enthalten und erklären, sich an der Durchführung des Beschlusses nicht zu beteiligen. Allerdings darf er nichts unternehmen, was dem Beschluss zuwider laufen würde. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 64 Die Außenbeziehungen der EU In den letzten Jahren hat die Bedeutung der Europäischen Union als außenpolitischer Akteur stark zugenommen. Nach wie vor ein wichtiges Instrument ist die Beitrittspolitik. Die EU bietet anderen Ländern die Mitgliedschaft an, wenn diese bestimmte Bedingungen erfüllen, die in den "Kopenhagener Kriterien" von 1993 festgelegt sind. Kurz gesagt verlangt die EU eine demokratische Ordnung, eine funktionierende Marktwirtschaft sowie die Übernahme des Regelwerks der EU. 2013 ist Kroatien als vorläufig letztes Mitglied beigetreten. Eine Beitrittsperspektive gibt es auch für die anderen Staaten des westlichen Balkans, mit denen schon verhandelt wird (Montenegro, Serbien) oder die als Kandidaten (Mazedonien) beziehungsweise als potenzielle Kandidaten (Albanien, BosnienHerzegowina, im Prinzip auch Kosovo) anerkannt sind. Bereits seit 2005 laufen die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, die jedoch geringe Fortschritte machen. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, dass es innerhalb der EU Uneinigkeit darüber gibt, ob man die Türkei überhaupt als Mitglied haben will. Die Beitrittsverhandlungen mit Island sind auf Wunsch der isländischen Regierung ausgesetzt und werden wohl von isländischer Seite ganz abgebrochen. In Richtung Osten und Süden hat die Union die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) entwickelt, die sich im Osten an die Ukraine, die Republik Moldau, Belarus sowie an die drei südkaukasischen Staaten Armenien, Aserbaidschan und Georgien richtet, und im südlichen Mittelmeerraum zehn Staaten von Marokko bis Syrien adressiert. Zur Verstärkung der regionalen Ansätze hat sie 2008 die "Union für das Mittelmeer" als Verbund mit den Mittelmeeranrainern und 2009 die "Östliche Partnerschaft" als engere Anbindung der osteuropäischen Staaten geschaffen. Dennoch wurde die Europäische Union vom Arabischen Frühling überrascht, der sich in Nordafrika Bahn brach, nachdem die Tunesier Diktator Ben Ali gestürzt hatten. Die EU bemüht sich nun, die demokratische Transformation im arabischen Raum zu fördern. Im Zusammenhang mit der Östlichen Partnerschaft hat die EU es mit Russland als Gegenspieler zu tun, das den östlichen Nachbarn der EU immer wieder wirtschaftliche Angebote macht oder droht. So haben vor dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs aus der EU und den sechs Partnerländern Ukraine, Moldau, Belarus, Armenien, Aserbaidschan und Georgien im November 2013 sowohl Armenien als auch die Ukraine erklärt, das ausgehandelte Assoziierungsabkommen nicht zu unterschreiben beziehungsweise zu paraphieren. Armenien möchte stattdessen der in Gründung befindlichen und von Russland dominierten Eurasischen Union beitreten. In der Ukraine hat die Weigerung des Präsidenten, das Abkommen mit der EU zu schließen, zu monatelangen Protesten und schließlich zu dessen Absetzung geführt. Wie das Verhältnis der Ukraine zur EU sich weiterentwickelt, ist zurzeit (April 2014) nicht abzusehen. Es ist allerdings anzunehmen, dass es zu einer vertieften Zusammenarbeit kommen wird. Mit Russland besteht eine "strategische Partnerschaft", die durch vier Gemeinsame Räume (Wirtschaft; Äußere Sicherheit; Innere Sicherheit; Forschung, Bildung, Kultur) realisiert werden soll. Tatsächlich stagniert das europäisch-russische Verhältnis jedoch seit einigen Jahren, vor allem seit dem russischgeorgischen Krieg im Jahr 2008. Im Frühsommer 2010 haben daher beide Seiten einen neuen Anlauf unternommen und eine "Modernisierungspartnerschaft" begründet. Nennenswerte Ergebnisse hat diese allerdings bislang nicht erzielt. Aufgrund der Meinungsunterschiede und Spannungen, die sich zwischen der EU und Russland im Konflikt um die Ukraine und die Krim im Frühjahr 2014 verstärkt haben, sind solche Resultate in absehbarer Zeit auch nicht erwartbar. Gegenüber Afrika hat die EU 2007 eine Strategie verabschiedet, die dem Kontinent helfen soll, Armut und Unterentwicklung zu überwinden. Dem dient auch das Abkommen von Cotonou, das 2000 in der Hauptstadt von Benin geschlossen wurde, und das durch direkte Unterstützung sowie eine Wirtschaftspartnerschaft 79 Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (einschließlich Kuba und Südafrika) helfen soll, sich politisch und ökonomisch zu entwickeln. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 65 Die EU und die USA sehen sich wechselseitig als die engsten Partner auf der weltpolitischen Bühne. Allerdings hat sich das Verhältnis dadurch eingetrübt, dass die USA generell weniger Interesse an Europa aufbringen und dass durch umfangreiche Abhöraktionen durch die Amerikaner, von denen auch das Mobiltelefon der deutschen Bundeskanzlerin sowie die EU-Büros in Washington, New York und Brüssel betroffen waren bzw. sind, das Vertrauen der Europäer zu den Amerikanern stark eingeschränkt ist. Dennoch verhandeln die EU und die USA seit Mitte 2013 über ein Transatlantisches Freihandelsabkommen, von dem beide Seiten sich wirtschaftliche Vorteile versprechen, das aber auch diesseits und jenseits des Atlantiks auf Widerstand stößt. Mit den Staaten Mittel- und Lateinamerikas finden regelmäßige EU-Lateinamerika-Gipfel statt. Der tatsächlichen Intensivierung der Kooperation stehen allerdings innere Spannungen in Lateinamerika im Wege. Entwicklung der gemeinsamen europäischen Außenpolitik Dass es den EU-Staaten in den 1990er-Jahren nicht möglich war, die Kriege in Jugoslawien zu verhindern oder ohne amerikanische Hilfe einzudämmen, hat genauso wie die europäische Unfähigkeit, sich im Jahr 2003 auf eine gemeinsame Einstellung zum Irak-Krieg der USA zu einigen, in der Öffentlichkeit zu heftiger Kritik geführt. Beide Ereignisse machen deutlich, dass die GASP noch ein relativ neues Politikfeld ist, das der Weiterentwicklung bedarf. Auf dem Feld der Außenpolitik wünscht sich eine klare Mehrheit der EU-Bürger eindeutig "mehr Europa", wie die regelmäßigen Umfragen von "Eurobarometer" zeigen. Durch den Vertrag von Nizza (2003) ist auch eine Sicherheitspolitik geschaffen worden, die im Lissabonner Vertrag "Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik" (GSVP, bis zum Vertrag von Lissabon noch ESVP) heißt. Die GSVP soll die NATO nicht ersetzen und ihre Aufgabe besteht nicht in der Landesverteidigung. Sie soll vielmehr ermöglichen, außerhalb der EU militärisch eingreifen zu können, wenn dies zur Friedenssicherung oder -erhaltung notwendig ist. Nach einer Vereinbarung mit der NATO kann die EU dabei auf Kapazitäten des Nordatlantikpakts zurückgreifen. Das ursprüngliche, 1999 beschlossene Ziel der EU, 60.000 Soldaten innerhalb von zwei Monaten einsetzbar zu haben, konnte nicht erreicht werden und wurde 2004 durch das Konzept der Battle Groups ersetzt. Zwei dieser Gefechtsverbände stehen jeweils zur Verfügung und können binnen 14 Tagen in einem Radius von 6.000 km um Brüssel aktiv werden. Allerdings sind die Battle Groups noch nie zum Einsatz gekommen, weswegen Kritiker sagen, dieses Konzept funktioniere nur auf dem Papier. Die Europäische Union hat in den letzten Jahren zahlreiche Militärmissionen und zivil-militärische Missionen durchgeführt, so zum Beispiel seit 2004 die Polizeimission in Bosnien-Herzegowina, seit 2008 die Mission zur Abwehr von Piratenüberfällen im Golf von Aden oder seit 2013 zur Stabilisierung von Mali. Die Truppen mussten jeweils in mühsamen Verhandlungen auf EU-Ebene zusammengestellt werden. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 66 Die Außenpolitik der Europäischen Union – Handlungsfelder 24.9.2009 Die Europäischen Union hat eine Bevölkerung von knapp 500 Mio. Menschen, das sind gerade einmal 7,3 Prozent der Weltbevölkerung. Dennoch ist die EU aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stärke ein wichtiger internationaler Akteur. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/SSP6O6.pdf) In den vergangenen 20 Jahren hat die EU ihre internationalen Kontakte sehr stark ausgebaut. Ziel der EU-Aktivitäten sind die Schaffung und die Sicherung des Friedens, die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung der Länder der sog. Dritten Welt, der Schutz der Umwelt und des Klimas, die Sicherung des eigenen Energiebedarfs sowie die Intensivierung des wirtschaftlichen Austausches mit anderen Ländern. Besonderes Augenmerk legt die Union auf ihre unmittelbare Nachbarschaft. Durch die Osterweiterung der Jahre 2004 und 2007 ist es der EU gelungen, die Demokratisierungs- und Transformationsprozesse in den damaligen Partner- und heutigen Mitgliedstaaten wirkungsvoll zu unterstützen. Eine ähnliche Politik verfolgt die EU auch gegenüber den Balkan-Staaten, denen ein Beitritt zugesagt wurde, sofern sie die Beitrittsbedingungen erfüllen. Die gleiche Zusage gibt es auch bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 67 an die Türkei, mit der (wie mit Kroatien) seit 2005 über die Mitgliedschaft verhandelt wird. Allerdings wird der Beitrittswunsch der Türkei in der EU nicht einmütig unterstützt. In Ergänzung der Erweiterungsstrategie hat die Europäische Union seit 2003 die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) entwickelt, die sich an insgesamt 16 Nachbarstaaten im Osten und Süden richtet. Mittlerweile haben sich die Ansätze in Richtung Süden (Union für das Mittelmeer) und nach Osten (Östliche Partnerschaft) differenziert. Ziel der Nachbarschaftspolitik ist es, die Partnerstaaten so eng wie möglich an die EU zu binden, allerdings unterhalb der Schwelle der Mitgliedschaft. Russland ist in die Nachbarschaftspolitik nicht einbezogen, sondern unterhält mit der EU eine sog. strategische Partnerschaft, die in vier Gemeinsamen Räumen (Wirtschaft, Innere Sicherheit, Äußere Sicherheit, Bildung/Wissenschaft/Kultur) münden soll. Im Jahr 2007 hat die EU unter deutscher Präsidentschaft auch einen Politikansatz für das Schwarze Meer beschlossen. Die Schwarzmeersynergie soll die drei Strategien (ENP, strategische Partnerschaft mit Russland, Beitrittsstrategie mit der Türkei) zusammenfassen und richtet sich an die Staaten der Schwarzmeerregion. Das sind neben den sechs Anrainern (darunter die EU-Mitglieder Rumänien und Bulgarien) auch die Republik Moldau, Armenien, Aserbaidschan und das EU-Mitglied Griechenland. Ebenfalls 2007 hat die EU eine Zentralasienstrategie verabschiedet, die dazu dienen soll, die Beziehungen mit Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikistan und Kirgisistan zu verbessern. Mit den ostasiatischen Staaten ist die EU in der ASEM verbunden, einem europäisch-asiatischen Gesprächsforum, dem einerseits die EU-Länder, andererseits 16 asiatische Staaten, darunter auch China, Japan und Indonesien, angehören. Ähnliche Beziehungen unterhält die EU auch mit den Staaten Mittel- und Südamerikas, deren Staatsund Regierungschefs sich regelmäßig mit den führenden Politikern der EU bei EU-LateinamerikaGipfeln treffen. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten sind weltweit der größte Geber von Entwicklungshilfe. Die EU fühlt sich den Milleniums-Zielen der Vereinten Nationen, die der Reduktion von Armut und Krankheit in der Dritten Welt dienen, verpflichtet und betreibt auf der Basis des Abkommens von Cotonou eine aktive Entwicklungspolitik, die neben dem wirtschaftlichen Aufbau der Partnerländer auch deren demokratische Struktur fördern will. Zusätzlich unterhält die EU mit den meisten Staaten dieser Welt bilaterale Beziehungen. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 68 Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Strukturen 1.12.2010 Als die Europäischen Gemeinschaften gegründet wurden, war eine gemeinsame Außenpolitik nicht vorgesehen. Dies blieb vielmehr eine nationale Angelegenheit. Mittlerweile hat die EU eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik entwickelt. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/MUG5WS.pdf) Das auswärtige Handeln der Europäischen Union ist durch den Vertrag von Lissabon neu strukturiert worden. Das bezieht sich vor allem auf die Außenpolitik im engeren Sinne, die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik (GASP) der EU. Diese wird von der Hohen Vertreterin für die Außen- und Sicherheitspolitik geleitet. Bei dieser europäischen Außenministerin, Catherin Ashton aus Großbritannien, laufen verschiedene Funktionen zusammen. Sie ist zum einen die Vertreterin des Rates der Europäischen Union für die Außenpolitik, also die Repräsentantin der Mitgliedstaaten. Deshalb führt sie auch den Vorsitz im Rat der bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 69 Außenminister, in dem – anders als in den anderen Fachministerräten – der Vorsitz nicht alle sechs Monate wechselt. Zum anderen ist die Hohe Vertreterin auch Mitglied und sogar Vizepräsidentin der Europäischen Kommission. Durch diese Dreifach-Hut-Lösung möchte man erreichen, dass die verschiedenen Institutionen, die sich mit Außenpolitik beschäftigen, enger verzahnt werden und die EU so einheitlicher auftreten kann. Die grundlegende Ausrichtung der EU-Außenpolitik wird vom Europäischen Rat beschlossen, das sind die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union. Die Umsetzung der Vorgaben in Beschlüsse erfolgt durch den Rat der Europäischen Union, also in der Regel durch die Außenminister (unter Vorsitz des Hohen Vertreters) oder durch die Verteidigungsminister. Der Rat wird vom Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK), dem die Direktoren der Außenministerien der EU angehören, unterstützt. Dem PSK obliegt bislang auch die Kontrolle über die militärischen und zivil-militärischen Missionen der EU. Hierfür steht ihm der Militärausschuss der Europäischen Union zu Seite. Inwieweit die Kontrolle über die Missionen in Zukunft auch auf die Hohe Vertreterin übergehen wird, ist noch nicht klar. Der Rat beauftragt die Hohe Vertreterin, die Beschlüsse umzusetzen. Hierfür steht ihr ein Europäischer Auswärtiger Dienst (EAD) zur Verfügung, der zurzeit aufgebaut wird und aus Mitarbeitern der Europäischen Kommission, des Generalsekretariats des Rates sowie aus Diplomaten aus den Mitgliedstaaten bestehen soll. Zum EAD sollen auch die Vertretungen der Europäischen Kommission in aller Welt gehören und so zu EU-Botschaften werden. Die Europäische Kommission, der die Hohe Vertreterin angehört, unterbreitet ebenfalls Vorschläge zur Außenpolitik und führt im Übrigen das auswärtige Handeln in anderen Bereichen (Entwicklungspolitik, Humanitäre Hilfe und Nachbarschaftspolitik) durch. Die Hohe Vertreterin koordiniert das Auftreten der Europäischen Kommission durch regelmäßige Absprachen mit ihren Kollegen, die für die anderen genannten Bereiche zuständig sind. Das Europäische Parlament hat in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik kein Mitentscheidungsrecht, es muss jedoch angehört werden. Die Hohe Vertreterin ist verpflichtet, die Auffassung des Parlaments gebührend zu berücksichtigen. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 70 Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Die Sicherheitsstrategie 2003/2008 24.9.2009 Ende 2003 verabschiedete der Europäische Rat eine Sicherheitsstrategie, die 2008 fortgeschrieben wurde. Sie definiert die wichtigsten Bedrohungen der EU sowie die globalen Herausforderungen und zeigt die Konsequenzen der Weiterentwicklung Europas. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/JSXUOH.pdf) Die Europäische Union, heißt es in der Strategie von 2003, sei "zwangsläufig ein globaler Akteur" und müsse daher bereit sein, "Verantwortung für die globale Sicherheit und für eine bessere Welt mit zu tragen" (Strategie 2003, S. 1). Allerdings müsse sie "noch aktiver, kohärenter und handlungsfähiger" (S. 11) werden, wenn sie ihr Potenzial ausschöpfen wolle. Als Hauptbedrohungen für Europas Sicherheit definiert die Strategie von 2003 den Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, regionale Konflikte, das Scheitern von Staaten sowie die Organisierte Kriminalität. Bei einer Überarbeitung der Strategie im Jahr 2008 ("Bericht über die Umsetzung der Europäischen Sicherheitsstrategie") kamen noch die Sicherheit im Internet, die Sicherheit der Energieversorgung sowie der Klimawandel hinzu. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 71 Diese Ergänzungen reflektieren die politische Entwicklung der letzten Jahre. Ein russischer Internetangriff auf Estland im Jahr 2007 (als "Vergeltung" dafür, dass die estnischen Behörden ein Soldatenstandbild aus der Stadtmitte Tallinns an den Stadtrand umgesetzt hatten) zeigte, wie abhängig Wirtschaft und Verwaltung mittlerweile vom Internet sind. Seit es im Zusammenhang mit in den letzten Jahren aufgetretenen Differenzen zwischen Russland und der Ukraine über Gaspreise und Liefernetze auch in Westeuropa zu Lieferengpässen gekommen ist, hat man die – schon 2003 in der Strategie angesprochene – Energieabhängigkeit der EU als Problem erkannt. Dies betrifft auch den Klimawandel, der sich schneller vollzieht, als dies noch vor Kurzem prognostiziert worden war, und bei dem es jetzt nur noch darum gehen kann, ihn einzudämmen und mit seinen Folgen wie Naturkatastrophen und Zerstörungen umzugehen: "Der Klimawandel kann auch Streitigkeiten über Handelsrouten, Meeresgebiete und vormals unerreichbare Ressourcen auslösen." (Bericht 2008, S. 5) Ziel der Sicherheitsstrategie ist es, die erkannten Bedrohungen abzuwehren, die eng mit den ebenfalls definierten globalen Herausforderungen zusammenhängen. Hierzu fordert die Strategie, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten sich stärker engagieren und handlungsfähiger werden. Auch eine Vergrößerung der Kohärenz ist ein bedeutender Ansatz, der sowohl die Übereinstimmung zwischen dem Handeln der EU und dem ihrer Mitgliedstaaten meint als auch die zwischen verschiedenen Politiken der EU. Was beispielsweise für die Landwirtschaft gut ist (Abschottung des Marktes gegenüber Drittländern), ist für die Entwicklungspolitik und die Armutsbekämpfung in der Dritten Welt schlecht, deren wichtigste Exportgüter landwirtschaftliche Erzeugnisse sind. Die Europäische Union sieht klar, dass sie ihre Ziele nicht alleine erreichen kann und spricht sich daher für eine enge Zusammenarbeit mit anderen aus. Die transatlantische Partnerschaft bleibt dabei ein "unersetzliches Fundament" (Bericht 2008, S. 2) Sie unterstützt das Konzept eines wirksamen Multilateralismus und setzt sich in diesem Zusammenhang für eine Stärkung der Vereinten Nationen ein. Besondere Aufmerksamkeit fordert die Sicherheitsstrategie für die Nachbarregionen der EU, also Osteuropa, den Südkaukasus, Zentralasien und das südliche Mittelmeer. Auch der Bericht von 2008 sagt klar, dass die EU noch lange nicht am Ziel ist, was ihre Außen- und Sicherheitspolitik betrifft: "Wir müssen unseren eigenen Zusammenhalt durch eine bessere institutionelle Koordinierung und eine strategischere Beschlussfassung stärken. Die Bestimmungen des Vertrags von Lissabon bieten den Rahmen dafür." (Bericht 2008, S. 9) Die Strategie und ihre Überarbeitung finden sich im Internet unter: www.consilium.europa.eu (http:// www.consilium.europa.eu/showPage.aspx?id=266&lang=de) bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 72 Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Missionen 24.9.2009 Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik blickt innerhalb der EU auf eine lange Entwicklungsgeschichte zurück. Sie dient dazu, Interessen der EU durch militärische und zivile Missionen durchzusetzen. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/KQZX3R.pdf) Ursprünglich waren militärische Fragen kein Teil der europäischen Integration, nachdem der frühe Versuch der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) 1954 gescheitert war. Erst unter dem Eindruck der Veränderungen in Europa und besonders im Zusammenhang mit den Krisen und Kriegen beim Zerfall Jugoslawiens waren die EU-Staaten bereit, sich auf eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu einigen. Die Landesverteidigung bleibt allerdings weiterhin Aufgabe der NATO, sie ist kein Bestandteil der ESVP. Diese richtet sich vielmehr darauf, die Interessen der EU außerhalb des EU-Territoriums durch zivile und militärische Missionen herzustellen. Dabei soll durch einen Einsatz von zivilen Beratern, Richtern, Polizisten oder eben auch Soldaten auf einen Krisenherd eingewirkt werden, um die bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 73 sogenannten Petersberg- Aufgaben zu erfüllen. Bei diesen - auf dem Petersberg bei Bonn 1992 definierten - Zielen handelt es sich um "humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung, einschließlich friedensschaffender Maßnahmen" (Art. 28 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV). Seit Beginn der ESVP hat die EU über 20 solcher Missionen ins Leben gerufen. Diese sind mittlerweile zum Teil abgeschlossen - wie beispielsweise die Sicherung der Wahlen im Kongo im Jahr 2006 - oder werden noch durchgeführt wie die größte EU-Mission EULEX, die den Aufbau des Kosovo als demokratischen und stabilen Staat begleiten soll. Ende 1999 hatten die Mitgliedstaaten sich ein Planziel gesetzt (ein sog. Headline Goal), demzufolge bis zum Jahr 2003 60.000 Soldaten und 5.000 Polizisten für die EU-Missionen zur Verfügung stehen sollten. Dieses Ziel, das bisher verfehlt wurde, soll nun bis 2010 erreicht werden. Dabei handelt es sich nicht um eine stehende Formation, sondern um die Assignierung von Truppenteilen und Polizeikräften, die im Bedarfsfall aus den Mitgliedstaaten aktiviert werden können. Die Soldaten sollen in zwei sog. Battle Groups à 1.500 Personen für schnelle Einsätze zur Verfügung stehen. Die Zusammenarbeit mit der NATO gestaltete sich lange Zeit schwierig, da die Mitgliedschaften in beiden Bündnissen nicht identisch sind. Vor allem die Türkei verband die Bereitschaft, den EUMissionen Zugriff auf NATO-Einrichtungen (wie Führung, Aufklärung, Transport) zu gewähren, mit der Forderung, auch über EU-Missionen mitbestimmen zu dürfen, was von der EU abgelehnt wurde. Hintergrund sind die Differenzen zwischen der Türkei und Griechenland. Die Europäische Union arbeitet an der Verbesserung ihrer militärischen Fähigkeiten und hat sich hierfür einen "European Capability Action Plan" (ECAP) gegeben. Die verschiedenen ECAP-Arbeitsgruppen sind mittlerweile in die 2004 ins Leben gerufene Europäische Verteidigungsagentur integriert. Bei der Mehrzahl der EU-Missionen handelt es sich um zivile Einsätze, die dazu dienen sollen, den Partnerstaaten durch Rat, Beobachtung und Ausbildung(-sunterstützung) beim Aufbau fester Strukturen zu helfen. Dänemark nimmt an der militärischen Kooperation im Rahmen der EU nicht teil, obwohl es nicht nur EU-, sondern auch NATO-Mitglied ist. Es hat aber erklärt, dass es die Zusammenarbeit der anderen EU-Partner nicht behindern wird. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 74 Internet-Links und weiterführende Literatur Von Eckart D. Stratenschulte 15.5.2009 Hier finden Sie Internet-Links und weiterführende Literatur zum bpb-Dossier: Die Europäische Union: "Was geschieht in der Union?". Internet-Links Offizielle Internetseite der Europäischen Union http://europa.eu (http://europa.eu) Europa-Seiten des Auswärtigen Amtes http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Europa/Uebersicht_node.html (http://www.auswaertiges-amt.de/ DE/Europa/Uebersicht_node.html) euractiv - täglicher kostenloser Informationsdienst rund um die EU http://www.euractiv.com/de/HomePage (http://www.euractiv.com/de/HomePage) cafebabel - kostenloses Europamagazin, von jungen Leuten in mehreren europäischen Ländern geschrieben http://www.cafebabel.com/ger/ (http://www.cafebabel.com/ger/) Internetseite der tschechischen Ratspräsidentschaft – vom Januar bis Juni 2009 http://www.eu2009.cz (http://www.eu2009.cz) Internetseite der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft – von Juli bis Dezember 2009 http://www.eu2009.se (http://www.eu2009.se) Weiterführende Literatur Dietmar Herz/Christian Jetzlsperger, Die Europäische Union, München: C.H. Beck Verlag 2008 Eckart D. Stratenschulte, Europa – Ein Überblick, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, Zeitbilder Nr. 6, 2007 Werner Weidenfeld, Die Staatenwelt Europas, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2009 Werner Weidenfeld und Wolfgang Wessels, Europa von A bis Z, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2007 Bruno Zandonella, Pocket Europa. EU-Begriffe und Länderdaten, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2007 bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 75 Wer tut was in Europa? 13.5.2009 Die EU besteht aus verschiedenen Institutionen und Organen. Bei ihrer Arbeit müssen sie genaue Regeln einhalten und sind an bestimmte Verfahren gebunden. Ein Blick auf die wichtigsten Einrichtungen soll verdeutlichen, wer in der EU für was zuständig ist. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 76 Prinzipien des EU-Aufbaus Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Die Europäische Union ist kein Nationalstaat. Mit altbekannten Maßstäben kann man ihre Struktur nicht verstehen. Prinzipien wie die Rechtsgemeinschaft zeichnen sie als Union der Staaten und Bürger aus. Ältere Menschen kennen das: Sie können etwas nicht richtig erkennen, und stellen dann fest, dass sie die falsche Brille auf haben. So geht es uns auch oft mit der Europäischen Union. Man findet ihre Struktur und ihre Institutionen kompliziert und verwirrend, weil man nicht das richtige Analyseraster verwendet. Die Europäische Union ist kein Staat. Deshalb greift jeder Vergleich mit den Strukturen des Nationalstaats zu kurz. Wenn man trotzdem die Maßstäbe anlegt, die man von zu Hause kennt, wird die ganze Sache schwer durchschaubar. Die Europäische Union ist eine Union der Staaten und der Bürger. Sie hat also eine doppelte Legitimitätsgrundlage, durch die Mitgliedstaaten (diese vertreten durch die Regierungen) und durch die Bevölkerung (diese vertreten durch das Europäische Parlament). Bevor man sich die Strukturen im Einzelnen anschaut, sollte man sich allerdings mit den Prinzipien vertraut machen, auf denen die Europäische Union beruht. Die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft. Das ist nicht nur so dahin gesagt, sondern elementar für die EU. Sie ist nicht nur ein Zusammenschluss von Staaten, die gemeinsam ihre Interessen besser vertreten können als isoliert, sondern sie basiert auf gemeinsamen demokratischen Grundwerten, die in Artikel 2 des EU-Vertrages in der Fassung des Vertrags von Lissabon und ausführlicher in der Grundrechtecharta der Europäischen Union (http:// www.europarl.europa.eu/charter/pdf/text_de.pdf) dargestellt sind. Die Achtung der Menschenwürde, die Freiheit, die pluralistische Demokratie, die Toleranz, die Gleichheit und Nichtdiskriminierung, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit sowie die Wahrung der Menschenrechte einschließlich des Minderheitenschutzes bilden das Fundament der Europäischen Union. Die Europäische Union basiert auf dem Prinzip der Supranationalität. Dieses Grundprinzip unterscheidet die EU von anderen Zusammenschlüssen. Supranationalität bedeutet, dass die Staaten nationale Souveränität abgeben und auf europäischer Ebene gemeinsam ausüben. Damit limitiert sich für jeden Mitgliedstaat die Möglichkeit, Angelegenheiten alleine zu entscheiden. Aber es erhöht sich die Möglichkeit, auf andere Einfluss zu nehmen und zu gemeinsamen Entscheidungen zu kommen, die dann auch für alle verbindlich sind. Die Europäische Union kann unmittelbar Gesetze (sogenannte Verordnungen) erlassen oder Vorgaben ("Richtlinien") machen, die die Staaten dann in nationales Recht umsetzen müssen. Nur so ist es möglich, Europa zu einem gemeinsamen Lebens- und Handlungsraum zu entwickeln. Beispiele für die Supranationalität sind der Binnenmarkt einschließlich Verbraucherschutz, die Währungspolitik (Euro), der Umweltschutz oder auch die Regelungen des Schengener Übereinkommens. Die Europäische Union ist eine Rechtsgemeinschaft. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 77 Die EU funktioniert nur, weil alle sich an die gemeinsam beschlossenen Regeln halten. Verständlicherweise gibt es über die Auslegung einer Richtlinie oder Verordnung auch Streit, den dann, falls man sich anders nicht einigen kann, der Europäische Gerichtshof (EuGH) schlichten muss. Aber schlussendlich akzeptieren alle dessen Urteil. Das ist deshalb besonders wichtig, weil es in der EU, anders als in den Nationalstaaten, keine "vollziehende Gewalt" gibt, die eingreifen könnte. Es gibt keine "Europolizei", die einen Regierungschef verhaften könnte, weil er gegen europäisches Recht verstößt. In der Rechtsgemeinschaft EU ist dies glücklicherweise auch nicht erforderlich. Von der Bereitschaft, geltendes Recht anzuwenden, ist das Verhalten zu unterscheiden, das beim Fassen neuer Beschlüsse an den Tag gelegt wird. Da kommt es immer wieder zu Verweigerungen und Blockaden von einzelnen Staaten. Das kann im konkreten Fall sehr ärgerlich sein, aber es handelt sich nicht um einen Rechtsverstoß, denn dabei geht es ja nicht darum, was Recht und Gesetz ist, sondern darum, was solches werden soll. Die Europäische Union folgt dem Grundsatz der Subsidiarität. Die EU hat echte Regelungskompetenzen. Es besteht aber Konsens in den Mitgliedsländern, dass man die EU nicht zu einem Superstaat entwickeln möchte, der alles und jedes festlegt. Deshalb gilt die Subsidiarität. Das bedeutet: Eine Entscheidung soll so weit unten wie möglich getroffen werden. Auf europäischer Ebene soll nur entschieden werden, wenn deutlich ist, dass die EU den Sachverhalt besser regeln kann als die Nationalstaaten oder darunter liegende regionale Ebenen. Diese Grundsätze sind in einem eigenen Protokoll (http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/dat/12004V/htm/C2004310DE.01020701. htm) festgehalten. Zur Subsidiarität gehört auch die Kompetenz-Kompetenz. Dieses Wort klingt beim ersten Hören ungewöhnlich, beschreibt aber eine wichtige Sache. Die Kompetenz-Kompetenz regelt nämlich, wer die Vollmacht hat, darüber zu entscheiden, welche Ebene sich eines Problems annimmt. Die Kompetenz-Kompetenz liegt bei den Mitgliedstaaten. Das bedeutet, dass die EU nicht einfach Kompetenzen an sich ziehen kann, sondern dass sie nur die Dinge erledigen darf, die die Mitgliedstaaten ihr ausdrücklich zuweisen. Die Union baut auf dem Grundsatz der degressiven Proportionalität auf. Die EU ist ein Zusammenschluss von Staaten mit sehr unterschiedlicher Größe. Malta hat nicht mehr Einwohner als ein Stadtbezirk der deutschen Hauptstadt Berlin. Malta, Luxemburg, Zypern und Estland, also immerhin vier Staaten der EU, sind an ihren Einwohnern gemessen zusammen kleiner als die Stadt Berlin. Da muss man einen Maßstab finden, der es einerseits ermöglicht, die Bevölkerung der größeren Staaten angemessen zu repräsentieren, aber andererseits sicherstellt, dass die kleinen Staaten auch ausreichend vertreten sind. Das ist der Sinn der degressiven Proportionalität, die dem Grundsatz folgt, dass die großen Staaten ein größeres Stimmgewicht als die kleinen haben, dass sie aber relativ gesehen (also auf die Bevölkerung bezogen) weniger Einfluss nehmen können als ihnen zahlenmäßig zustünde. So steht ein Europaparlamentarier aus Malta für ca. 80.000 Menschen, ein Europaabgeordneter aus Deutschland für 800.000. Das Bundesverfassungsgericht sieht dies insofern kritisch, als es der Ansicht ist, dass dadurch das Europaparlament keine vollwertige Vertretung der EU-Bürger sei, da bei seiner Wahl gegen den Grundsatz der Gleichgewichtigkeit der Wählerstimmen verstoßen werde. Allerdings ist eine Europäische Union ohne diesen Grundsatz der degressiven Proportionalität wohl kaum überlebensfähig, da den kleinen Staaten sonst der Anreiz zur Teilnahme fehlen würde. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 78 Die Prinzipien der EU 24.9.2009 Eine Gemeinschaft aus 28 Staaten, von denen der kleinste so groß ist wie ein Stadtbezirk der Hauptstadt des größten und die sich in Geschichte, Kultur Mentalität und wirtschaftlicher Stärke sehr unterscheiden, muss auf klaren Prinzipien basieren. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/OEUJ6C.pdf) Die EU-Bürger sowie ihre Regierungen sind sich darin einig, dass sie zwar eine handlungsfähige Europäische Union haben wollen, aber keinen zentralistischen Superstaat, der alle Befugnisse an sich zieht. Daher ist ein wichtiges Prinzip die Subsidiarität, d.h. die Regelung, dass auf europäischer Ebene nur das geregelt wird, was dort besser zu bewirken ist. Dieser Grundsatz ist vertraglich festgehalten. Er geht einher mit der Kompetenz-Kompetenz der Mitgliedstaaten. Dieser auf den ersten Blick erstaunliche Begriff meint, dass die Kompetenz festzulegen, welche Ebene die Kompetenzen zur Regelung eines Politikfelds wahrnimmt, bei den Mitgliedstaaten liegt. Die EU kann also nur die Zuständigkeiten übernehmen, die die Mitgliedstaaten ihr zuweisen. Ein wichtiger Grundsatz der EU und der Punkt, in dem sie sich von anderen internationalen Bündnissen unterscheidet, ist die Supranationalität. Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten nationale Souveränität bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 79 abtreten und diese auf der europäischen Ebene gemeinsam ausüben. Die Regelungen, die dort verabschiedet werden (sog. Richtlinien oder Verordnungen), sind dann für alle Mitgliedstaaten verbindlich. Das zeigt, wie bedeutsam ein anderer Grundsatz ist, nämlich die Rechtstreue. Das gesamte System der EU kann nur funktionieren, wenn sich alle Mitgliedstaaten an die vereinbarten Regeln halten. Das schließt Streit über die Auslegung der Beschlüsse nicht aus. Wenn keine Einigung erzielt werden kann, entscheidet der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, dessen Urteil dann aber respektiert werden muss. Die Unterschiedlichkeit der Mitgliedstaaten in Größe, Tradition, Wirtschaftsstruktur, politischer Ausrichtung und Kultur macht es nicht immer einfach, überhaupt zu einem Beschluss zu kommen. Umso wichtiger ist es, dass alle Beteiligten die Bereitschaft zum Kompromiss mitbringen, da kein Land davon ausgehen kann, seine eigene Position vollständig durchzusetzen. Die Einstellung, dass die Kompromissbildung eine europäische Tugend darstellt und nicht etwa ein Zeichen von Schwäche, ist eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren der EU. Die wirtschaftliche Stärke der Mitgliedstaaten ist sehr unterschiedlich. Der Anspruch der EU ist es nicht, alle Staaten auf dasselbe ökonomische Niveau zu bringen. Allerdings ist die Union dem Grundsatz der Solidarität verpflichtet, die dem Schwächeren hilft, seine Probleme anzupacken und so stärker zu werden. Materiell drückt diese Solidarität sich vor allem in der Strukturpolitik aus, die wirtschaftliche Problemregionen zielgerichtet fördert. Aber die Solidarität ist auch politisch, bei Sicherheitsbedrohungen oder in Katastrophenfällen die Basis der Zusammenarbeit der EU-Staaten. Wenn große Staaten wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien sich mit kleinen Staaten wie Malta, Zypern oder Estland verbinden, muss man Rücksicht darauf nehmen, dass die kleineren Länder angemessen vertreten sind. Dies ist das Ziel der degressiven Proportionalität. Damit ist gemeint, dass die Kleinen relativ gesehen mehr Gewicht erhalten. Malta stellt mit 400.000 Einwohnern fünf Europaabgeordnete, Deutschland mit ca. 80 Millionen 99 Parlamentarier. Das bedeutet: Während in Malta ein Europaabgeordneter auf 80.000 Bürger kommt, repräsentiert ein deutscher Parlamentarier 800.000 Menschen. Ohne diese degressive Proportionalität wären die kleineren Länder in den politischen Gremien nicht oder kaum vertreten. Das könnte allerdings keine Basis für eine supranationale Union der Staaten und der Völker sein. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 80 Europäisches Parlament Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Gemeinsam mit dem Rat der Europäischen Union ist das Europäische Parlament für die Gesetzgebung verantwortlich. Es kann daher zwar keine Regelungen alleine erlassen, aber ohne das Parlament kann fast nichts beschlossen werden. Dem Rat, also der Vertretung der Regierungen der Mitgliedstaaten, steht das Europäische Parlament als weitestgehend gleichberechtigter Gesetzgeber und Vertreter der "Union der Bürger" gegenüber. Das Parlament wird in allen Mitgliedstaaten alle fünf Jahre direkt gewählt, die nächste Wahl nach 2014 ist dann also 2019. Die Abgeordneten werden auf nationalen Parteilisten gewählt. In Deutschland hat man beispielsweise die Wahl zwischen der Liste der CDU, der SPD, von Bündnis 90/Die Grünen, der Partei DIE LINKE oder der CSU (nur in Bayern). Auch kleinere Parteien, die im Deutschen Bundestag nicht vertreten sind, nehmen an den Europawahlen teil. Ihre Chancen sind dabei größer als bei den Bundestagswahlen, da das Bundesverfassungsgericht im Februar 2014 die bis dahin im Wahlgesetz verankerte Drei-Prozent-Sperrklausel aufgehoben hat (http://www.bpb.de/politik/hintergrundaktuell/179547/urteil-zur-drei-prozent-sperrklausel). Da Deutschland 96 Abgeordnete stellt, benötigt eine Partei nun für einen Sitz im Parlament etwa ein Prozent der Wählerstimmen. Verschiedene Wahlsysteme Das Wahlsystem ist in den EU-Staaten nicht einheitlich. Zwar wählen alle Staaten nach dem Verhältniswahlrecht, auch diejenigen, die wie Großbritannien ihr nationales Parlament durch die Mehrheitswahl bestimmen. Auch ist einheitlich geregelt, dass alle Bürgerinnen und Bürger spätestens ab dem 18. Lebensjahr wählen dürfen. In Österreich kann man allerdings schon mit 16 Jahren an der Europawahl teilnehmen. Größere Unterschiede gibt es beim passiven Wahlrecht. Während man in Deutschland (und auch in Österreich) mit 18 Jahren Europaparlamentarier werden kann, muss man in einigen anderen Ländern schon 21 oder 23 Jahre alt sein. In Italien, Griechenland und Zypern kann man erst mit 25 Jahren fürs Europaparlament kandidieren. Und es gibt noch weitere Unterschiede: In einigen Ländern gibt es Sperrklauseln, die bei drei, vier oder fünf Prozent liegen. In manchen Staaten können die Wähler darüber hinaus die Reihenfolge der Kandidaten auf den Parteilisten beeinflussen (http://www.bpb.de/ politik/wahlen/europawahl/71360/wie-waehlt-europa-2009). In Luxemburg, Griechenland und Belgien gibt es zudem eine Wahlpflicht. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 81 Fraktionen und Vorsitz im Parlament Im Europäischen Parlament schließen sich die Abgeordneten zu politischen Fraktionen zusammen. Im bisherigen Parlament vor der Wahl im Mai 2014 gab es die "Fraktion der Europäischen Volkspartei" als Bündnis der Konservativen (mit CDU und CSU), die Fraktion der "Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten im Europäischen Parlament" (mit der SPD), die "Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa" (mit der FDP), die "Fraktion der Grünen /Freie Europäische Allianz" (mit Bündnis 90/Die Grünen) und die "Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke" mit der Partei Die Linke. Den anderen Fraktionen gehörte bislang kein deutscher Abgeordneter an. Im neugewählten Parlament werden sich Fraktionen bilden, die nicht unbedingt mit den bisherigen identisch sein müssen. So gehörten beispielsweise die britischen Konservativen früher der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) an, spalteten sich jedoch davon ab und gründeten mit der tschechischen ODS und der polnischen PiS die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten. Das Parlament wird von einem Präsidenten geleitet, der für zweieinhalb Jahre gewählt wird. Von Januar 2012 bis zum Ende der Legislaturperiode am 30. Juni 2014 hat der deutsche SPD-Politiker Martin Schulz das Amt inne. Bei der Wahl des Parlamentspräsidenten wird darauf geachtet, dass sich sowohl die verschiedenen "politischen Familien" als auch die Herkunftsländer abwechseln. Es ist also nicht üblich, dass die jeweilige Parlamentsmehrheit diese Position auf Dauer mit ein und demselben Vertreter besetzt, wie wir das in nationalen Parlamenten vorfinden. Kompetenzen des Parlaments Das Europäische Parlament beschließt gemeinsam mit dem Rat der Europäischen Union die Gesetze. Die Entscheidungen werden in Ausschüssen vorbereitet, denen Vertreter aller Fraktionen angehören. Bei Abstimmungen im Plenum entscheidet die Mehrheit der Abgeordneten. Allerdings kann das Parlament - genauso wie der Rat der Europäischen Union - nicht von sich aus eine Gesetzesinitiative ergreifen. Dieses Initiativrecht steht lediglich der Europäischen Kommission zu. Will das Parlament also einen Sachverhalt regeln, muss es die Kommission auffordern, dazu einen Vorschlag auszuarbeiten. Für den Rat gilt dies gleichermaßen. Es gibt zudem Themenfelder, bei denen das Parlament lediglich angehört werden muss. Hierbei handelt es sich vor allem um die Außenpolitik, in der die EU jedoch generell keine Gesetze beschließt, und die Steuerpolitik. Bei allen anderen Themen muss das Parlament Gesetzen zustimmen. Man spricht hier von der "Mitentscheidung" oder dem "ordentlichen Gesetzgebungsverfahren". Das Parlament kann also Regelungen nicht alleine erlassen, aber ohne das Parlament können sie auch nicht Gesetz werden. Das Film zum Europäischen Parlament Parlament wählt darüber hinaus den Präsidenten der Europäischen (http://www.bpb.de/mediathek/176485/ Kommission – allerdings auf Vorschlag des Europäischen Rats, europaeisches-parlament) also der Staats- und Regierungschefs der EU. Bei der Nominierung des Präsidenten soll nach der Wahl zum Europäischen Parlament 2014 erstmals das Ergebnis der Wahlen berücksichtigt werden. Je nachdem, welche Gruppe die Mehrheit im Europäischen Parlament erringt, ist eine Kandidatin oder ein Kandidat aus diesem politischen Spektrum auszuwählen. Diese Vorschrift ist durch den Lissabonner Vertrag Teil des EU-Rechts geworden. Das Europäische Parlament muss auch der Europäischen Kommission als Ganzes zustimmen. Vorher befragen die entsprechenden Parlamentsausschüsse die Kommissaranwärter. Das Parlament genehmigt zudem den Haushalt der EU, genauer gesagt die Ausgaben. Über die Einnahmen entscheiden die Mitgliedstaaten im Rat. Eine weitere wichtige Aufgabe des Europäischen Parlaments ist die Kontrolle der Europäischen Kommission. Die Mitglieder der Europäischen Kommission erstatten dem Parlament und seinen Ausschüssen regelmäßig Bericht über ihre Arbeit und ihre Vorhaben. Das Parlament hat die bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 82 Möglichkeit, der Kommission das Misstrauen auszusprechen und sie damit zum Rücktritt zu zwingen. Als Ende der 1990er-Jahre einzelne Kommissionsmitglieder mit Begünstigungsvorwürfen konfrontiert wurden, sich aber weigerten, von sich aus zurückzutreten, drohte das Parlament der Kommission unter dem Luxemburger Jacques Santer die Abwahl an. Die Kommission trat daraufhin im März 1999 von sich aus zurück. Das Parlament als "Wanderzirkus" Das Europäische Parlament hält seine Plenarsitzungen in Straßburg ab, kurze Sitzungen sowie die Ausschussarbeit finden in Brüssel statt. Dieser "Wanderzirkus" wird oft als teuer und ineffektiv kritisiert, die Verantwortung dafür ist allerdings nicht dem Parlament anzurechnen. Über den Sitzungsort entscheiden nämlich die Mitgliedstaaten im Rat, und zwar einstimmig. Da Frankreich nicht bereit ist, die Sitzungen in Straßburg zur Disposition zu stellen, wird es wohl auf absehbare Zeit bei der Dualität der Tagungs- und Arbeitsorte bleiben, auch wenn eine Mehrheit der Europa-Abgeordneten darauf pocht, die Entscheidung über den Sitz des Parlaments selbst treffen zu können. Die Verwaltung des Europäischen Parlaments ist in Luxemburg angesiedelt. Die Europa-Abgeordneten Das Parlament, genauer gesagt seine einzelnen Abgeordneten, sind oftmals die ersten Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger, wenn es um europäische Fragen geht. Gelegentlich wird bemängelt, die Europaabgeordneten seien in der jeweiligen nationalen Öffentlichkeit nicht präsent genug. Dabei muss man berücksichtigen, dass das Europäische Parlament 40 Plenar-, Ausschusssitzungs- und Fraktionssitzungswochen im Jahr hat (2013). Zum Vergleich: Der Deutsche Bundestag hatte 2012 im letzten kompletten Jahr vor der Wahl lediglich 20 Sitzungswochen. In den Sitzungswochen können die Europaparlamentarier die ganze Woche über nicht in ihren Heimatregionen sein. Für Wahlkreisarbeit (und ihre Familie) bleibt ihnen daher nur das Wochenende. Hinzu kommt, dass der Einzugsbereich eines Europaabgeordneten viel größer ist als der eines Bundestagsmitglieds. Auf Deutschland entfallen im neuen 2014 gewählten Parlament 96 Abgeordnete. Der 2013 gewählte Deutsche Bundestag zählt 631 Mitglieder. Es gibt also über sechs Mal mehr Bundestagsabgeordnete als deutsche Europaparlamentarier. Daher haben die Mitglieder des Bundestages auch mehr Möglichkeiten, in den Wahlkreisen und bei den Veranstaltungen der Parteigliederungen anwesend zu sein. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 83 Das Europaparlament 27.9.2010 Das Europäische Parlament ist die Vertretung der EU-Bürger. Seine Kompetenzen und Befugnisse gliedern sich in die drei traditionellen Kompetenzbereiche eines nationalen Parlaments: Gesetzgebung, Haushalt und Kontrollbefugnisse. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/HEUNL2.pdf) Das Europäische Parlament ist an allen Prozessen der Gesetzgebung innerhalb der Union beteiligt. Zwar kann es selbst keine Gesetze initiieren - dieses Recht hat allein die Kommission - es kann aber die Kommission auffordern, Vorschläge zu erarbeiten. Bürger der Europäischen Union haben die Möglichkeit, mittels Petitionen an das Parlament die Kommission auf einen Gesetzgebungsbedarf hinzuweisen. Das Europäische Parlament kann das Arbeitsprogramm der Kommission bezüglich der geplanten Gesetze prüfen und Ergänzungen oder Änderungen fordern. Das Europaparlament wird ferner bei jedem Rechtsetzungsakt konsultiert. In der überwiegenden Anzahl der Rechtssetzungsakte der Europäischen Union kommt das sogenannte ordentliche bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 84 Gesetzgebungsverfahren zur Anwendung, in dem das EP eine wesentliche Rolle spielt. Sollte es im Verlauf des Verfahrens zu Konflikten zwischen dem Rat der Europäischen Union und dem EP kommen und auch der Vermittlungsausschuss kein Einvernehmen herstellen können, so kann das EP jede Gesetzesinitiative, die durch dieses Verfahren eingebracht wurde, scheitern lassen. Auch bei den anderen üblichen Verfahren zur Gestaltung von Vorschriften und Gesetzen ist das Europäische Parlament in unterschiedlichem Umfang mit beteiligt. Kein Gesetz kann innerhalb der Union ohne eine Stellungnahme der gewählten Abgeordneten verabschiedet werden. Ihre Kompetenzen sind aber insbesondere in Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik oder der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit eingeschränkt. Zusammen mit dem Rat teilt sich das Europäische Parlament die Entscheidungsbefugnis über den Haushalt der Europäischen Union und bildet zusammen mit dem Rat die beiden Arme der Haushaltsbehörde. Das Europaparlament entscheidet gemeinsam mit dem Rat über die Ausgaben der Europäischen Union. Der Haushaltsvorentwurf der Kommission wird nach der ersten Lesung im Europäischen Rat und ggf. mit Änderungsvorschlägen dem Parlament vorgelegt. Nach dessen Zustimmung oder Änderung geht der Entwurf erneut in den Rat und wird dort akzeptiert oder abgelehnt. Akzeptiert der Rat mögliche Änderungswünsche des Europaparlaments nicht, wird der Vermittlungsausschuss eingeschaltet. Scheitert das Vermittlungsverfahren, muss die Kommission einen neuen Haushalt entwerfen. Legt der Vermittlungsausschuss einen Vorschlag vor, kann das Parlament diesen annehmen, auch wenn der Rat ihn ablehnt. Eng mit seiner Rolle im Zustandekommen des Haushalts ist auch die dritte Funktion des Parlaments verknüpft: die Kontrolle. Das Europäische Parlament ist allein für die Entlastung der Kommission zuständig. Es kann der Kommission eine Annahme des Haushalts verweigern oder ihr die Entlastung versagen. Bei groben Verstößen kann das EP auch ein Misstrauensvotum gegen die Kommission aussprechen. Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wählt das Europaparlament auch den Präsidenten der Europäischen Kommission auf Vorschlag der Staats- und Regierungschefs. Diese müssen bei ihrem Vorschlag auch das Ergebnis der Europawahl berücksichtigen. Mit dem Vertrag von Lissabon wurden auch die Kompetenzen des Hohen Vertreters für die Außen- und Sicherheitspolitik erweitert, der als Mitglied und Vizepräsident der Kommission ebenfalls die Zustimmung der Europaabgeordneten benötigt. Das gleiche gilt für internationale Abkommen der EU, die mit dem Vertrag von Lissabon ebenfalls vom Parlament gebilligt werden müssen. Aus seiner Mitte können jederzeit Fragen an alle EU-Organe formuliert werden. Hier haben der Rat, die Kommission und auch die Mitgliedsländer eine Informationspflicht, d. h. sie müssen Auskunft geben. Diese Berichte werden dann offiziell vom Parlament geprüft. Diese Kontrollmöglichkeit können auch die Bürger der EU nutzen, wenn sie sich mit Petitionen an das Parlament wenden. Stellt der Petitionsausschuss einen Verstoß fest, kann das Europäische Parlament Klage gegen Organe oder Mitgliedstaaten der EU vor dem Europäischen Gerichtshof erheben. Dabei agiert das Parlament selbst nicht als gerichtliche Instanz. Es ist also nicht in der Lage, Urteile auszusprechen oder auch Gerichtsbeschlüsse durch Gerichte der Mitgliedsstaaten aufheben. Die Petitionen bieten aber eine Möglichkeit der Bürger, auf Missstände aufmerksam zu machen. Die meisten eingehenden Petitionen betreffen Themen des Umweltschutzes, der sozialen Sicherheit, die Freizügigkeit innerhalb der EU oder Bereiche der Steuerharmonisierung. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 85 Fraktionen im EP 24.9.2009 Die Europaabgeordneten werden auf der Grundlage nationaler Parteilisten für fünf Jahre gewählt und spiegeln im Idealfall das Parteiensystem des Heimatlands wider. Im Europäischen Parlament (EP) arbeiten sie gemäß ihrer politischen Orientierung zusammen. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/UGNWV0.pdf) Dass Parteien über die Grenzen ihrer Länder zusammenarbeiten, ist kein neues Phänomen. Insbesondere Parteien der linken Seite des Parteienspektrums schlossen sich schon Ende des 19. Jahrhunderts zu der so genannten Internationalen zusammen. Auch die Parteien der EUMitgliedsstaaten arbeiten bereits seit längerer Zeit zusammen. Durch den starken Ausbau der Europäischen Union und das zunehmende Gewicht des Europäischen Parlaments wurden auch stärkere organisatorische Strukturen entwickelt. Die erste europaweite Partei war die Europäische Volkspartei (EVP), die sich 1976 als Zusammenschluss christdemokratisch-konservativer Parteien gründete. Mit der fortschreitenden europäischen Integration verstärkten die in der EVP zusammengeschlossenen Parteien und die anderen im EP vertretenen nationalen Parteien noch einmal ihre Zusammenarbeit. So schlossen sich 1992 mehrere zuvor kooperierende europäische Parteien mit sozialdemokratischer Orientierung zur Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 86 zusammen. Der Vertrag von Maastricht hat die Funktion und Stellung der Parteien auf Ebene des EP weiter gestärkt und auch vertraglich festgelegt. Laut Artikel 191 EGV (ehemals 138a) erfüllen sie eine wichtige Aufgabe bei der Herausbildung eines europäischen Bewusstseins und bei der Vertretung des politischen Willens der Bürger. Sie erhalten damit im Institutionengefüge der EU eine besondere Rolle. Allerdings sind nicht alle im Europäischen Parlament vertretenen Parteien auch in einer größeren europaweiten Partei vereint. Die große Mehrzahl der Parteien aber hat sich in Fraktionen zusammengeschlossen. Diese verfügen über einen Vorsitzenden, einen Vorstand und ein eigenes Sekretariat, welches die Abgeordneten bei Ihrer Arbeit unterstützt. Für diese Arbeit erhalten die Fraktionen zusätzliche Finanzmittel. Die Fraktionen genießen gewisse Vorrechte: So können nur sie oder aber die Gesamtzahl von 40 Mitgliedern des Parlaments Kandidaten für das Präsidium des EP vorschlagen. Und nur sie sind stimmberechtigt in der Konferenz der Präsidenten vertreten. Ferner stehen den Fraktionen erweiterte Antragsrechte in bestimmten Verfahren des EP zu. Eine Fraktion muss aus Abgeordneten aus mehreren Staaten bestehen. Notwendig sind hierfür seit der Europawahl 2004 mindestens 20 Abgeordnete aus mindestens einem Fünftel der Mitgliedsländer. Diese Anforderung wurde vom Europäischen Parlament 2008 für die Wahlperiode 2009 noch einmal angehoben. Nach der Wahl müssen sich mindestens 25 Abgeordnete aus einem Viertel der Mitgliedsländer zusammenfinden, um eine Fraktion im EP zu bilden. Zur Zeit gibt es im Europäischen Parlament sieben Fraktionen (Stand August 2009). Diese sind: Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) (EVP); Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten im Europäischen Parlament (S&D); Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE); Europäische Konservative und Reformisten (ECR); Fraktion der Grünen/Europäische Freie Allianz (GRÜNE/EFA); Konföderale Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (KVEL/NGL); Fraktion "Europa der Freiheit und der Demokratie" (EFD). Ferner gibt es eine kleine Anzahl fraktionsloser Mitglieder des Europäischen Parlaments. Deutsche Mitglieder des EP sind zur Zeit in fünf verschiedenen Fraktionen vertreten, der EVP, der S&D, der ALDE, der GRÜNE/EFA, und der KVEL/NGL. Die Mitgliedsparteien einiger dieser Fraktionen ändern sich über die Zeit, manche Parteien treten aus oder es werden neue Fraktionen gebildet. Auch sind die einzelnen Fraktionen oft sehr heterogen, da sie keinen einheitlich organisierten Parteien entsprechen. So ist in vielen Fraktionen mehr als eine Partei aus einem Land vertreten. In der größten Fraktion des EP, der EVP, arbeiten aus der Bundesrepublik sowohl die CDU als auch die CSU zusammen. Es finden sich in ihr aber auch zum Beispiel drei slowakische und zwei bulgarische konservative Parteien. Das Spektrum der in ihr zusammengeschlossenen Parteien umfasst die gesamte Bandbreite christdemokratischer und konservativer Parteien – von der schwedischen konservativen Partei Moderata Samlingspartiet bis zur spanischen Partido Popular. Auch bei der zweitgrößten Fraktion im EP, der S&D, sind aus einzelnen Ländern mehrere Parteien zusammengeschlossen. Aus der Bundesrepublik ist hier die SPD vertreten, aus Großbritannien die Labour Party, aus Frankreich die Parti Socialiste und aus Italien die Partito Democratico. Die bpb.de deutsche FDP ist zusammen mit 27 anderen liberalen Parteien in der ALDE Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 87 zusammengeschlossen. Die deutschen Grünen arbeiten in der viertstärksten Fraktion mit 19 europäischen Parteien und einem unabhängigen Kandidaten an einer gemeinsamen politischen Linie. Die Partei "Die Linke." hat sich mit 12 weiteren linken, kommunistischen und sozialistischen Parteien in der Fraktion der KVEL/NGL zusammengetan. In den beiden Fraktionen, die nach eigener Darstellung EU-kritische oder EU-skeptische Politik verfolgen, sind keine deutschen Parteien vertreten. In der EFD sind zu einem Großteil Mitglieder der UK Independence Party vertreten, während in der ECR nationalkonservative Parteien wie die polnische Prawo i Sprawiedliwość (PiS) oder die britische Conservative Party zusammengeschlossen sind. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 88 Rat der Europäischen Union Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Im Rat der Europäischen Union kommen die unterschiedlichen Fachminister aus den 28 Mitgliedstaaten zusammen. Das Gremium ist einer der beiden Gesetzgeber der EU. Das Gebäude des EU-Rates in Brüssel. (© picture-alliance/dpa) Der Rat der Europäischen Union ist auch im buchstäblichen Sinne eines der entscheidenden Organe der Europäischen Union. Er ist auch gemeint, wenn nur von dem "Rat" die Rede ist. Der Rat der EU besteht aus je einem Minister der derzeit 28 Mitgliedstaaten. Je nach Fachgebiet kommen die zuständigen Minister, also beispielsweise die Außenminister oder die Agrarminister, zusammen. Insgesamt gibt es zehn verschiedene Ratsformationen. Wenn also dreimal in einer Woche der Rat der Europäischen Union tagt, kann es durchaus sein, dass sich verschiedene Personen treffen. Der Rat lenkt die Arbeit der Europäischen Union und ist - bis auf wenige Ausnahmen gemeinsam mit dem Europäischen Parlament - der Gesetzgeber der EU. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 89 Entscheidungsmechanismen im Rat Wie der Rat Entscheidungen trifft, ist von Fall zu Fall unterschiedlich und in den Verträgen genau festgelegt. Manche Dinge müssen einstimmig beschlossen werden, andere werden mit Mehrheit geregelt. Durch den am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Lissabonner Vertrag wird das System zum 1. November 2014 zugunsten einer doppelten Mehrheit verändert, wobei es selbst dann noch für drei Jahre Übergangsregelungen gibt. Eine Mehrheitsentscheidung muss der neuen Regelung zufolge die Mehrheit der Mitglieder des Rats (mindestens 55 Prozent), die gleichzeitig die Mehrheit der Bevölkerung der EU (mindestens 65 Prozent) repräsentiert, auf sich vereinigen. Bis zum Inkrafttreten der neuen Regelung wird bei Mehrheitsentscheidungen im Allgemeinen die "qualifizierte Mehrheit" angewandt, das sind ca. 70 Prozent der Stimmen des Rats. Bei Mehrheitsentscheidungen verfügt jeder Staat über ein bestimmtes Stimmengewicht. Die großen Staaten Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien haben beispielsweise je 29 Stimmen, Estland und Luxemburg haben je 4 und Malta verfügt über 3 Stimmen. Grundsätzlich folgt die Stimmenverteilung dem Prinzip der degressiven Proportionalität. Im Einzelnen ist die Stimmenzuteilung jedoch nicht anhand eines klaren Schemas nachvollziehbar, sondern das Ergebnis politischer Aushandlungsprozesse. Ratspräsidentschaft Der Vorsitz im Rat der Europäischen Union wechselt halbjährlich. 2014 haben Griechenland (erste Jahreshälfte) und Italien (zweite Jahreshälfte) die Ratspräsidentschaft inne, 2015 folgen Lettland und Luxemburg und 2016 die Niederlande und die Slowakei. Die jeweilige Präsidentschaft koordiniert die Arbeit des Rates und führt den Vorsitz bei den Ratssitzungen - allerdings nicht bei den Außenministern, dort hat die Hohe Vertreterin für die Außenund Sicherheitspolitik der Union diese Position inne. Zudem erarbeitet jede Präsidentschaft eigene Schwerpunkte und setzt sie auf die Tagesordnung. Dies führt zu einer nicht zu übersehenden Diskontinuität in der Arbeit des Rates, auch wenn dort vieles auf Arbeitsebene beständig weitergetrieben wird. Seit 2007 versucht man diesem Mangel durch eine sogenannte Trio-Präsidentschaft abzuhelfen. Das bedeutet, dass jeweils drei Staaten, die die Präsidentschaft hintereinander ausüben, sich zusammentun und gemeinsame Leitlinien für ihre Arbeit entwickeln. Das nächste Trio ab der zweiten Jahreshälfte 2014 besteht aus Italien, Lettland und Luxemburg. Große Wirkung hat diese Methode der Trio-Präsidentschaft allerdings bislang nicht entfaltet. Die Möglichkeit, sich selbst als Präsident (schaft) Europas zu präsentieren, ist offensichtlich verlockender als diesen Ruhm zu teilen. Die Präsidentschaft spielt nach wie vor eine wichtige Rolle, um die Abläufe in der EU zu gewährleisten, hat jedoch durch die Neuregelungen des Lissabonner Vertrages an Bedeutung verloren, da der Europäische Rat mit seinem ständigen Präsidenten sowie die Hohe Vertreterin stärker Einfluss nehmen. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 90 Europäischer Rat Von Eckart D. Stratenschulte 1.12.2014 Seit 2009 ist die Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs ein Organ der EU. Die Bedeutung des Gremiums war auch zuvor schon groß: Seine Mitglieder bestimmen die Politik in den Mitgliedstaaten und geben auch in Europa die Richtung vor. Der Europäische Rat ist die Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs. Ihm gehört auch der Präsident der Europäischen Kommission an. Der Europäische Rat gibt der Union "die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritäten hierfür fest", wie es in Art. 15 des EU-Vertrags in der Lissabonner Fassung heißt. Erst durch diesen Vertrag wurde der Europäische Rat ein Organ der EU. Zwar hat er auch vor Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags eine bedeutende Rolle für die Entwicklung der EU gespielt, das geschah aber aufgrund der Tatsache, dass die Staats- und Regierungschefs in den Mitgliedstaaten die Zügel in der Hand haben und ihre Minister in den Räten anweisen können. Auch jetzt hat der Europäische Rat keine gesetzgeberische Kompetenz. Diese liegt vielmehr beim Rat der Europäischen Union (also bei dem Rat der Minister) und beim Europäischen Parlament. Der Präsident des Europäischen Rates Im Dezember 2014 übernahm Donald Tusk (links) das Amt des Präsidenten des Europäischen Rates von Herman Van Rompuy (rechts). (© picture-alliance) bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 91 Bis zum Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags wechselte der Vorsitz im Rat halbjährlich, wie das bei den Ministerräten (mit Ausnahme der Außenminister) noch heute der Fall ist. Seit Ende 2009 hat der Europäische Rat einen ständigen Präsidenten, der kein nationales Amt ausüben darf und sich ganz auf diese Aufgabe konzentrieren kann. Der Präsident kann allerdings keine Entscheidungen treffen, er ist im Europäischen Rat nicht einmal stimmberechtigt. Seine Funktion ist vielmehr die eines Moderators und Koordinators. Er beruft den Europäischen Rat ein und bereitet die Sitzungen vor. Durch die Gestaltung der Tagesordnung kann er Einfluss auf die Entscheidungsfindung nehmen und - wie es der EU-Vertrag auch vorsieht - Impulse für die Arbeit des Gremiums geben. Der Präsident leitet die Gespräche der Staats- und Regierungschefs, zudem koordiniert er die Tätigkeit des Europäischen Rates mit den Ministerräten, der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament. Außerdem vertritt er die Europäische Union "auf seiner Ebene", also gegenüber Staats- und Regierungschefs, nach außen. Der Präsident des Europäischen Rates wird vom Europäischen Rat für zweieinhalb Jahre gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Der frühere belgische Ministerpräsident Herman Van Rompuy wurde als erste Persönlichkeit von den Staats- und Regierungschefs 2009 in dieses Amt berufen und hatte es durch eine Wiederwahl bis zum 30. November 2014 inne. Sein Nachfolger wurde im Dezember 2014 der ehemalige polnische Ministerpräsident Donald Tusk. Laut Vertrag tagt der Europäische Rat zweimal im Halbjahr. Allerdings hat sich die Sitzungshäufigkeit seit der Führung von Herman Van Rompuy durch weitere informelle und Sondergipfel erhöht. Dies zeigt, dass der Europäische Rat stärker in das Geschehen in der EU eingreifen möchte und es auch tut. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 92 Europäische Kommission Von Eckart D. Stratenschulte 4.12.2014 Die Europäische Kommission ist die Kontrollinstanz der Europäischen Union: Sie kann Mahnungen aussprechen, Bußgelder gegen Unternehmen verhängen und Klage vor dem Europäischen Gerichtshof einreichen, falls EU-Staaten gegen getroffene Regelungen verstoßen. Sie wird auch als "Hüterin der Verträge" bezeichnet. Die dritte wichtige Kraft in der Europäischen Union neben dem Rat und dem Parlament ist die Europäische Kommission. Wenn wir von der Kommission sprechen, meinen wir sowohl die Verwaltung als auch das Kollegium der Kommissare. Letzteres besteht aus je einer Person pro Mitgliedsland. Die Kommissarinnen und Kommissare sind allerdings keine Vertreter ihres Heimatstaates und nicht an dessen Weisungen gebunden. Sie sollen die europäische Sache vertreten. Deshalb nennt man die Europäische Kommission auch die "Hüterin der Verträge". Günther Oettinger (links) im Gespräch mit Jean-Claude Juncker (rechts). (© picture-alliance/dpa) bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 93 Kommissare und Verwaltung Die einzelnen Kommissionsmitglieder haben bestimmte Aufgabengebiete. Allerdings trifft die Kommission Entscheidungen als Ganzes, und zwar mit Mehrheit. Der Deutsche im Kollegium ist seit 2009 der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger, der bis 2014 für Energiefragen zuständig war und nun den Bereich Digitale Wirtschaft und Gesellschaft verantwortet. Die Kommission wird von einem Präsidenten geleitet, der für fünf Jahre von den Staats- und Regierungschefs bestimmt und vom Europäischen Parlament gewählt wird. Seit 2014 ist dies der frühere luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker. Die Europäische Kommission ist darüber hinaus die Verwaltung der Europäischen Union. Hier laufen die administrativen Fäden zusammen. Zu diesem Zweck ist der Kommissionsapparat in über 40 Generaldirektionen (GD) und Dienste aufgeteilt. An der Spitze jeder GD steht ein Generaldirektor. Dem Apparat der Europäischen Kommission gehören ca. 25.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen 28 Mitgliedstaaten an, die sich meist auf Englisch oder Französisch verständigen. Offiziell ist auch Deutsch Arbeitssprache in der Kommission, es wird aber weniger benutzt. Hüterin der Verträge Die Europäische Kommission ergreift Initiativen zur Weiterentwicklung der Europäischen Union und legt dem Rat und dem Parlament entsprechende Vorschläge vor. Dieses Initiativrecht hat die Kommission exklusiv als einziges Organ der EU. Die Kommission übt zudem die Kontrolle darüber aus, dass sich alle in der EU, also sowohl die Mitgliedstaaten als auch Unternehmen, an die getroffenen Regeln halten. Wenn das nicht der Fall ist, kann sie Bußgelder gegen Unternehmen verhängen, wenn diese beispielsweise gegen Binnenmarktregeln verstoßen oder Kartelle für Preisabsprachen treffen. So hat die Kommission im Dezember 2013 gegen europäische Banken eine Geldbuße von 1,7 Mrd. Euro verhängt, weil sie jahrelang Zinssätze zu Lasten der Verbraucher manipuliert hatten. Alleine die Deutsche Bank musste eine Strafe von 725 Mio. Euro zahlen. 2011 wurde eine Buße von 315 Mio. Euro gegen drei Waschmittelhersteller verfügt, weil diese ein Kartell gebildet hatten. Die deutsche Firma Henkel ging damals straffrei aus, weil sie als Kronzeuge die illegalen Absprachen angezeigt hatte. Film zur Europäischen Kommission (http://www.bpb.de/mediathek/176484/ europaeische-kommission) Falls ein Mitgliedstaat gegen europäisches Recht verstößt und auf eine Mahnung durch die Europäische Kommission nicht reagiert, kann die Europäische Union ein Vertragsverletzungsverfahren gegen ein Land einleiten, das letztendlich, wenn man sich nicht vorher einigt, vor dem Europäischen Gerichtshof landet. Die Themen sind nicht immer spektakulär, aber für den einheitlichen Rechtsbestand wichtig. Da geht es um die Diskriminierung von ausländischen Kreditinstituten in Belgien, um die Mehrwertsteuer für Leistungen staatlicher Gerichtsvollzieher in Bulgarien, um die Besteuerung neuer Autos in Irland oder um Mehrwertsteuerleistungen von Reisebüros in Tschechien. Dass die Europäische Kommission Ende 2013 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eröffnet hat, das sich auf die Rabatte auf die Öko-Umlage für Großverbraucher beim ErneuerbareEnergien-Gesetz bezieht, hat viel Aufmerksamkeit erregt. Auch wegen der Flugrouten des neuen, aber nicht fertiggestellten Berliner Flughafens BER hat die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, weil sie einen Verstoß gegen Umweltrichtlinien vermutet. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 94 Europäischer Gerichtshof Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Der Europäische Gerichtshof ist das Gericht der Europäischen Union. Es entscheidet letztinstanzlich über die Auslegung des EU-Rechts. 2012 fällte er 527 Urteile und Entscheidungen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheidet über die Auslegung des EU-Rechts. Der EuGH besteht aus je einem Richter pro Mitgliedsland, der von seinem Heimatland im gegenseitigen Einvernehmen mit den anderen Mitgliedstaaten für sechs Jahre ernannt wird und danach auch erneut berufen werden kann. Das Gericht hat seinen Sitz in Luxemburg und sollte nicht mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verwechselt werden, der ein Organ des Europarates ist und institutionell nichts mit der Europäischen Union zu tun hat. Der EuGH hingegen ist das Gericht der Europäischen Union, das letztinstanzlich über die Auslegung des EU-Rechts entscheidet. Wenn ein Mitgliedsland, das Europäische Parlament oder die Europäische Kommission der Ansicht ist, ein Partnerland oder eine der anderen Institutionen verstießen gegen das Recht der Europäischen Union, können sie in Luxemburg Klage einreichen. Das ist auch allen möglich, die von europäischen Entscheidungen betroffen sind, z. B. von einem Bußgeldbescheid der Europäischen Kommission. Wenn ein nationales Gericht unsicher ist, ob eine Regelung mit europäischem Recht vereinbar ist, holt es eine Stellungnahme des EuGH ein, bevor es unter deren Berücksichtigung entscheidet. So wird die Einheitlichkeit der Auslegung europäischen Rechts gewahrt. 2012 fällte der EuGH, der bei seiner Arbeit von neun Generalanwälten unterstützt wird, knapp 527 Entscheidungen. Hierbei handelt es sich zum einen um Vorabentscheidungsersuchen, bei denen nationale Gerichte einen Fall zur Beurteilung dem EuGH vorlegen. Zum anderen fällt der Gerichtshof Urteile in Vertragsverletzungsverfahren, die sich gegen einen Mitgliedstaat richten, der gegen das europäische Vertragsrecht verstößt, oder bei Nichtigkeitsklagen, die sich gegen EU-Rechtsvorschriften richten. Darüber hinaus befasst das Gericht sich mit Untätigkeitsklagen, falls die EU-Organe nicht tun, was sie sollen, und steht Privatpersonen oder Unternehmen und Organisationen als Gericht zur Verfügung, wenn diese sich von Maßnahmen der EU ungerecht behandelt fühlen. In der politischen Diskussion wird gelegentlich kritisiert, der EuGH lege dabei europäisches Recht zu weit aus. Diese Ansicht hat sich auch der frühere Bundespräsident Roman Herzog zu eigen gemacht und 2008 in einem Artikel (http://www.cep.eu/fileadmin/user_upload/Pressemappe/CEP_in_den_Medien/ Herzog-EuGH-Webseite.pdf) kritisiert. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 95 Europäische Zentralbank Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Die Währungspolitik in den Euro-Ländern wird von der Europäischen Zentralbank bestimmt. Sie ist unabhängig und an keinerlei Weisungen gebunden. In ihrer Funktion ist sie der Deutschen Bundesbank nachempfunden. Die Europäische Zentralbank (EZB) bestimmt die Währungspolitik der Staaten, in denen der Euro Zahlungsmittel ist. Die EZB hat ihren Sitz in Frankfurt am Main. Ihr oberstes Organ ist der Zentralbankrat, dem das Direktorium sowie die Präsidenten der Zentralbanken der Euroländer angehören. Ohne Stimmrecht nehmen auch je ein Vertreter des Rates sowie der Europäischen Kommission teil. Der Europäische Zentralbankrat trifft die wichtigsten Entscheidungen, die die Geldpolitik des Euroraums betreffen. Diese setzt dann das Direktorium um, das die laufenden Geschäfte führt. EZB-Präsident Mario Draghi (© picture-alliance/dpa) Dem Direktorium gehören neben dem EZB-Präsidenten und einem Vizepräsidenten vier weitere Mitglieder an. Der Präsident der Europäischen Zentralbank leitet sowohl das Direktorium als auch den Zentralbankrat. Das Amt hat der Italiener Mario Draghi inne. Er führt die EZB seit 2011. Mitglied des Direktoriums der EZB ist auch die frühere Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank Sabine Lautenschläger. Im Zentralbankrat ist Deutschland durch den Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, vertreten. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 96 Die EZB ist die entscheidende Institution innerhalb des Europäischen System der Zentralbanken (ESZB), dem auch die EU-Staaten angehören, die den Euro nicht eingeführt haben. So soll sichergestellt werden, dass die Geldpolitik der EU insgesamt einheitlichen Grundsätzen folgt und dass die europäischen Zahlungssysteme reibungslos funktionieren. Die EZB ist - nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank - unabhängig und keinerlei Weisungen unterworfen. Um das auch personell sicherzustellen, werden die Mitglieder des Direktoriums von den Staats- und Regierungschefs des Euroraums nach Anhörung des Europäischen Zentralbankrats und des Europäischen Parlaments für acht Jahre ernannt. Sie können nur einmal berufen werden. Ihre Hauptaufgabe ist die Sicherung der Preisstabilität. Danach hat die EZB ihre Entscheidungen über Geldumlauf und Zinssätze auszurichten. Auseinandersetzungen um die EZB Einige Mitgliedstaaten wie zum Beispiel Frankreich würden die EZB gerne stärker in die Pflicht nehmen und sie veranlassen, bei ihren Entscheidungen auch andere Faktoren wie Arbeitslosigkeit und Konjunkturverlauf zu berücksichtigen. Die Bank und eine Mehrheit der Euro-Länder, darunter auch Deutschland, lehnen das jedoch ab und argumentieren, dass eine stabile Währung ein wichtiger Beitrag für wirtschaftliche Prosperität sei. Allerdings hat die EZB im Jahr 2010 in die Bewältigung der durch den drohenden griechischen Staatsbankrott ausgebrochenen Euro-Krise dadurch eingegriffen, dass sie griechische Staatsanleihen gekauft und dadurch Griechenland quasi einen Kredit gewährt hat. Diese vorübergehende Maßnahme ist in der Öffentlichkeit heftig als Verletzung der Grundsätze der EZB kritisiert worden. Kritiker sehen die Unabhängigkeit der Zentralbank durch diesen politischen Schritt in Frage gestellt, zumal die EZB ein solches Verfahren auch im Hinblick auf die Staatsanleihen anderer Mitgliedsländer nicht ausgeschlossen hat. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 97 Institutionen der Europäischen Union 27.9.2010 Europäische Politik spielt sich auf drei Ebenen ab, die funktional komplex miteinander verflochten sind: Auf Ebene der Bürger der Mitgliedstaaten, der von ihnen gewählten Parlamente und Regierungen sowie auf der Ebene der Europäischen Institutionen. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/F5732Z.pdf) Die Bürger der Mitgliedsstaaten wählen seit 1979 alle fünf Jahre die Mitglieder des Europäischen Parlaments. Zudem bestimmen sie in demokratischen Wahlen ihre Volksvertreter in den nationalen Parlamenten. Diese wiederum bestimmen demokratisch legitimierte Regierungen, welche im Rat der Europäischen Union und im Europäischen Rat die Mitgliedsländer vertreten. So sind die Bürger der Europäischen Union zweimal demokratisch vertreten, einmal unmittelbar und einmal mittelbar. Die zentralen Organe der Europäischen Union sind der Rat der Europäischen Union, die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und - seit dem Vertrag von Lissabon - auch der Europäische Rat. In diesem Geflecht werden die Rechtssetzungsakte der Gemeinschaft vollzogen. Die Institutionen vertreten jeweils eine der Ebenen der europäischen Politik. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 98 Das Parlament vertritt die Bürger der Union, der Rat der Europäischen Union und der Europäische Rat die Staatschefs- und Regierungen der Mitgliedsländer und die Kommission die Ebene der europäischen Institutionen. Mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wählt das Europäische Parlament auf Vorschlag der Staats- und Regierungschefs den Präsidenten der Europäischen Kommission. Der Europäische Rat muss bei seinem Vorschlag auch das Ergebnis der Europawahlen berücksichtigen. Der Rat der Europäischen Union (auch Ministerrat) wird häufig mit dem Europäischen Rat, dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten, verwechselt. Bei letzterem handelt es sich um Gipfelkonferenzen, auf denen die Vertreter der Mitgliedsstaaten die Leitlinien der europäischen Politik festlegen und die grundlegenden Verträge der Gemeinschaft verhandeln und beschließen. Weitere zentrale Institutionen der EU sind der Europäische Gerichtshof, die Europäische Zentralbank, der Europäische Rechnungshof, die Europäische Investitionsbank, der Ausschuss der Regionen und der Wirtschafts- und Sozialausschuss. Der Rechnungshof und der Gerichtshof sollen ein einheitliches europäisches Recht garantieren, die Rechte der Bürger und der Organe schützen und für die sachgerechte Verwendung der Gemeinschaftsmittel sorgen. Im Ausschuss der Regionen sind seit 1994 die regionalen und kommunalen Gebietskörperschaften vereinigt und werden bei Maßnahmen, die deren Verwaltungsaufgaben betreffen, angehört. Im Wirtschafts- und Sozialausschuss hingegen ist die organisierte Bürgergesellschaft vertreten. Gewerkschaften, Arbeitgeber- und Verbraucherverbände und die Verbände der Agrarwirtschaft geben hier Stellungnahmen zu Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik ab. Die Europäische Zentralbank zeichnet für die europäische Währungspolitik verantwortlich. Mit dem Vertrag von Lissabon wurden auch die Rechte der nationalen Parlamente in der EU gestärkt. Diese können durch die Subsidiaritätsrüge und die Subsidiaritätsklage am Gesetzgebungsprozess der EU mitwirken, wenn sie ihre Kompetenzen durch die Union verletzt sehen. Durch die Subsidiaritätsrüge kann ein Drittel der nationalen Parlamente die Kommission zwingen, einen Gesetzentwurf zu überprüfen. Eine Subsidiaritätsklage kann ein nationales Parlament beim Europäischen Gerichtshof einreichen, wenn die EU Rechtsakte erlässt, die nach Ansicht der Kläger auch auf nationaler oder regionaler Ebene umgesetzt werden können. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 99 Europäische Gesetzgebung 27.9.2010 Die EU ist eine Gemeinschaft, in der die Einzelinteressen ihrer Mitgliedsstaaten miteinander vereint werden müssen. Da alle Mitgliedsstaaten Souveränitätsrechte an die Gemeinschaft abtreten, entscheiden ihre gewählten Regierungsvertreter mit. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/ANR6Y2.pdf) Aus diesem Grund ist das Europäische Parlament (EP) im Gegensatz zu nationalen Parlamenten nicht der alleinige Rechtssetzer und Souverän im Institutionengefüge der Europäischen Union. Bei allen Rechtsetzungsakten des so genannten sekundären Gemeinschaftsrechts sind sowohl die Kommission als auch der Rat der Europäischen Union als Vertretung der nationalen Regierungen beteiligt. Als sekundäres Gemeinschaftsrecht bezeichnet man - um es vom primären Gemeinschaftsrecht, den Gründungsverträgen der Gemeinschaften, zu unterscheiden - das von den Gemeinschaftsorganen geschaffene Recht. Hier wird zwischen einer großen Zahl von Regelarten unterschieden. Die wichtigsten sind zum einen Verordnungen, also Rechtsetzungsakte, die unmittelbar in allen Mitgliedsstaaten Geltung erlangen. Zum anderen gibt es Richtlinien, die vom Mitgliedsstaat, an den bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 100 sie gerichtet sind, nur hinsichtlich des von ihnen formulierten Ziels umgesetzt werden müssen. Bei Letzteren ist es dem Nationalstaat überlassen, wie er sie umsetzt. In diesem Prozess verfügt allein die Europäische Kommission über das Vorschlagsrecht bei Rechtsetzungsakten. Unter bestimmten Voraussetzungen kann das EP allerdings die Kommission auffordern, Vorschläge zu wichtigen Themen zu erarbeiten. Wegen des mitunter schwierigen Einigungsprozesses unter allen Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union kommt der Kommission eine große Bedeutung zu. Ihre Mitglieder und Mitarbeiter müssen im Vorfeld eines geplanten Gesetzgebungsverfahrens einen Vorschlag erarbeiten, der sowohl im Europäischen Parlament als auch im Rat konsensfähig sein sollte. Je nach Rechtsgegenstand und Thema Entscheidungsfindung zum Einsatz kommen. können die unterschiedlichsten Verfahren der Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren (vor dem Reformvertrag von Lissabon und seit seiner Einführung durch den Vertrag von Maastricht im Jahr 1992 auch Mitentscheidungs- oder Kodezisionsverfahren genannt) ist das wichtigste Gesetzgebungsverfahren in der Europäischen Union. Das Parlament ist durch dieses Verfahren an der Mehrheit der Rechtssetzungsakte direkt beteiligt und kann diese geplanten Verordnungen, Richtlinien oder Beschlüsse per Mehrheitsbeschluss verhindern oder abändern. Der Kommissionsvorschlag zu einem Rechtsakt wird beim ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zunächst im Europäischen Parlament beraten. Nach einer Stellungnahme des EP, das den Vorschlag billigen oder Änderungsvorschläge äußern kann, ist nun anschließend die Zustimmung des Rats der Europäischen Union (des sogenannten Ministerrats) zum Vorschlag in der vorliegenden Form notwendig. Erfolgt diese, ist der Rechtsakt angenommen und neues sekundäres Gemeinschaftsrecht entstanden. Ist der Rat mit den Änderungsvorschlägen nicht einverstanden, muss er seinen abweichenden Standpunkt begründen und der Vorschlag wird erneut vom EP beraten. Dieses kann nun seinerseits den Änderungsvorschlägen des Rats folgen und den Rechtsakt durch Abstimmung des neuen Vorschlags abschließen oder aber das Verfahren durch Ablehnung beenden. Auch kann es mit einer absoluten Mehrheit erneute Änderungen des Ratsvorschlags fordern. In diesem Fall gibt die Kommission ihre Stellungnahme zu den Änderungsvorschlägen des EP ab. Billigen die Minister mit qualifizierter Mehrheit den Gesetzentwurf in der Fassung des Parlaments, ist das Gesetz erlassen. Wenn die Kommission die Abänderungen des Parlaments abgelehnt hat, muss der Rat einstimmig entscheiden, um das Gesetz in Kraft zu setzen. Lehnt der Rat die Änderungen des Parlaments ab, muss ein Vermittlungsausschuss einberufen werden. Ist auch in diesem keine Einigung der beiden Organe herbeizuführen, scheitert der Rechtsakt endgültig. Kommt es dort aber zu einer Einigung, wird der Rechtsakt in Dritter Lesung von Parlament und Rat verabschiedet. Im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren sind also weder der Rat noch das EP in der Lage, eigene Vorschläge oder Änderungen des ursprünglichen Kommissionsvorschlags alleine durchzusetzen. Entscheidend ist, dass keine Rechtsetzung in der Europäischen Union ohne Konsultation des EP möglich ist und ein Großteil der Rechtsetzungsakte nicht ohne seine Zustimmung erfolgen kann. Weitere Beispiele für Gesetzgebungsverfahren in der Europäischen Union sind das Zustimmungsverfahren und das Konsultationsverfahren. Im Zustimmungsverfahren ist die Zustimmung des EP beim Abschluss von Assoziierungsabkommen der EU oder Verträgen mit Drittstaaten und Beitritten gefragt. Zwar hat das Parlament hier keine gestalterische Rolle, durch das bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 101 Verfahren wird ihm aber eine Art Vetorecht in entscheidenden Fragen eingeräumt. Im Konsultationsverfahren hingegen hat das EP nur eine beratende Funktion. Der Rat ist hier das entscheidende Gremium, das EP gibt allerdings eine Stellungnahme vor dessen Entscheidung ab. Die beschriebenen Verfahren machen deutlich, welche unterschiedlichen Funktionen das Europäische Parlament im Vergleich zu den nationalen Parlamenten hat. Weder kommen aus seiner Mitte die Vorschläge zu europäischen Rechtsakten, noch kann es allein ein Gesetz beschließen. Es ist stets auf Kompromisse mit den anderen Organen der Union angewiesen. Nur unter bestimmten Bedingungen kann es die Kommission auffordern, einen Vorschlag zu erarbeiten. Diese besondere Stellung des EP spiegelt sich auch in der parlamentarischen Arbeit wider. Da es keine Regierungsmehrheit oder Opposition im nationalstaatlichen Sinn benötigt, beruhen viele Entscheidungen auch hier auf einer überparteilichen Zusammenarbeit. Mit den nationalen Parlamenten teilt sich das EP eine wesentliche Gemeinsamkeit, nämlich die Befugnis zur Kontrolle der Exekutive. Das beginnt beim Recht des EP, den Kommissionspräsidenten zu wählen (allerdings nur auf Vorschlag des Europäischen Rates) und die Kommission in ihrer Gesamtheit zu bestätigen. Zudem sind die Kommission, der Rat der Europäischen Union und der Hohe Vertreter der Union für die Außen- und Sicherheitspolitik dem EP gegenüber berichtspflichtig. Die Kommission präsentiert ihr Jahresprogramm im Parlament und legt über dessen Ausführung Rechenschaft ab. Dieses kann gegebenenfalls der Kommission das Misstrauen aussprechen. Auch die halbjährlich zwischen den Mitgliedsstaaten wechselnde Ratspräsidentschaft berichtet im EP über die Gipfeltreffen. Das EP ist berechtigt, beiden Organen Fragen zu stellen und Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Dem Europäischen Parlament fallen auch gemeinsam mit dem Rat die Haushaltsbefugnisse zu. Es beschließt zusammen mit dem Rat den von der Kommission vorgelegten Haushaltsplan, kontrolliert dessen Ausführung und erteilt hierzu am Ende des Haushaltsjahres eine Entlastung. Mit diesen Aufgaben hängt unmittelbar auch die Informationsfunktion des Europäischen Parlaments zusammen. Die meisten Ausschusssitzungen und alle Plenarsitzungen sind öffentlich. Dadurch und durch seine zahlreichen Veröffentlichungen können sich die Bürger der Europäischen Union über die Arbeit aller Organe informieren. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 102 Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik Von Eckart D. Stratenschulte 1.11.2014 Die "Außenministerin" der EU vereint mehrere Positionen in einer Person: Sie ist Vizepräsidentin der Kommission, Vorsitzende im Rat der Außenminister und Leiterin des "Europäischen Auswärtigen Dienstes". Ihre tatsächliche Macht ist aber unklar. Federica Mogherini ist seit dem 1. November die Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik. Zuvor war sie seit Februar 2014 italienische Außenministerin. (© picture-alliance/dpa) Durch den Lissabonner Vertrag ist auch das Amt des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik neu gestaltet worden. Zwar gab es diese Position, die von 1999 bis 2009 der Spanier Javier Solana ausfüllte, bereits, aber sie war auf den Rat der Europäischen Union beschränkt, dessen Generalsekretär Solana zugleich war. In der Europäischen Kommission gab es ein eigenes Mitglied für Außenpolitik, bis 2009 war das die Österreicherin Benita Ferrero-Waldner. Dieser Dualismus führte oft zu Reibungen und Effizienzverlusten. Die "neue" Hohe Vertreterin ist die Vertreterin des Rates (also das, was bisher Solana war) und gleichzeitig Mitglied und sogar Vizepräsidentin der Europäischen Kommission (in der Nachfolge von Ferrero-Waldner). Zudem leitet sie den Rat der Außenminister, für den die halbjährliche Rotation aufgehoben worden ist. Aufgabe der Hohen Vertreterin ist es, zur Festlegung der Gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik der EU beizutragen und diese international zu vertreten. Sie ist also die Außenministerin der Europäischen Union. Allerdings kann die Hohe Vertreterin keine einsamen Entscheidungen treffen, sie ist an das Mandat bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 103 der Mitgliedstaaten, deren Domäne die Außenpolitik weiterhin ist, gebunden. Wenn diese sich in einer wichtigen Frage nicht einig sind (wie zum Beispiel bei der Anerkennung des Kosovo oder einer Intervention in Libyen), kann die Hohe Vertreterin nur versuchen, eine gemeinsame Position herbeizuführen, sie kann nicht bestimmen, wie verfahren werden soll. Europäischer Auswärtiger Dienst Zur Unterstützung verfügt die Hohe Vertreterin über ein "Außenministerium", das den Namen "Europäischer Auswärtiger Dienst" (EAD) trägt. Dieser Dienst hat ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages, durch den er geschaffen wurde, seine Arbeit aufgenommen. Er hat eine Zentrale in Brüssel sowie Botschaften in aller Welt. Allerdings wurden diese nicht neu geschaffen. Schon bisher hatte die Europäische Kommission in den meisten Staaten der Erde eine "Delegation", die jetzt zur Delegation der EU umgeformt wird. Auch die Beamten des EAD, ungefähr 3.700 Personen, wurden nicht neu eingestellt, sondern aus der Europäischen Kommission, dem Generalsekretariat des Rates und zu einem Drittel aus den Mitgliedstaaten übernommen. Der EAD ist eine eigenständige Organisation und gehört weder zum Rat noch zur Kommission. Sein Haushalt unterliegt allerdings der Genehmigung und Kontrolle durch das Europäische Parlament. Erste Amtsinhaberin: Catherine Ashton Die Britin Catherine Ashton übernahm das neue gestaltete Amt der Hohen Vertreterin Ende 2009 übernommen und war für fünf Jahre, also bis 2014, berufen. Bevor sie diese Position übernahm, gehörte sie der Europäischen Kommission an und war dort für Handelsfragen zuständig. Die Amtsführung von Catherine Ashton wurde oft als zögerlich und ideenarm kritisiert worden. Allerdings müssen bei einer Kritik die Rahmenbedingungen europäischer Außenpolitik, die komplizierter sind als in einem Nationalstaat, berücksichtigt werden. Zweite Amtsinhaberin: Federica Mogherini Am 1. November 2014 trat Federica Mogherini die Nachfolge als Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik an. Mogherini war zuvor seit Februar 2014 italienische Außenministerin. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 104 Beratende Ausschüsse Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Um die EU-Institutionen fachlich zu unterstützen, sind ihnen beratende Ausschüsse zur Seite gestellt. In Entscheidungsprozesse werden hier aus regionaler, wirtschaftlicher und sozialer Sicht Erfahrungen und Kompetenzen bürgernah eingebracht. Keinen direkten Einfluss auf Entscheidungsprozesse haben der Ausschuss der Regionen sowie der Wirtschafts- und Sozialausschuss der Europäischen Union. Im Ausschuss der Regionen sind Bundesländer und vergleichbare regionale Untergliederungen vertreten, im Wirtschafts- und Sozialausschuss die Sozialpartner Gewerkschaften und Arbeitgeber. Beide Ausschüsse beraten die EU-Institutionen bei ihrer Arbeit und bringen ihre Erfahrungen und Expertise ein, um die Arbeit der EU bürgernäher zu machen. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 105 Europäische Bürgerbeauftragte Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Seit 2013 ist die frühere irische Ombudsfrau Emily O’Reilly Europäische Bürgerbeauftragte. Ihre Aufgabe: Beschwerden von Bürgern nachgehen und Missstände in den Organen und Einrichtungen der EU aufdecken. Die Europäische Bürgerbeauftragte nimmt Beschwerden von allen Bürgerinnen und Bürgern entgegen, die sich von den europäischen Institutionen ungerecht behandelt fühlen. Diese Europäische Ombudsfrau hat ihren Sitz in Brüssel und geht Hinweisen über Fehlverhalten europäischer Institutionen gegenüber Bürgern nach. Zwar hat die Bürgerbeauftragte juristisch keine Macht, dennoch gelingt es ihr, vielen Beschwerden abzuhelfen. Oftmals reicht es schon, dass die Bürgerbeauftragte in einer Abteilung der Europäischen Kommission nachfragt, um zur Revision einer bürokratischen Entscheidung zu kommen. So beschwerte sich beispielsweise ein Bewerber für einen Job bei der Europäischen Kommission, der auf der Reserveliste stand und sich Hoffnungen machte, in absehbarer Zeit für die Kommission arbeiten zu können, dass die Kommission eines Tages die Liste schloss und nicht mehr weiter berücksichtigte, ohne den Bewerber zu informieren. Auf Vorschlag der Europäischen Bürgerbeauftragten wurde der Beschwerde stattgegeben und der Bewerber erneut auf der Reserveliste berücksichtigt. In einem anderen Fall beschwerte sich ein deutscher Journalist, dass die Kommission von ihm angefragte Dokumente, die Griechenlands Beitritt zur Eurozone betrafen, nicht zur Verfügung gestellt hat, weil die Recherche von Unterlagen aus einer Zeit, in der diese noch nicht elektronisch erfasst wurden, der Kommission zu zeitaufwändig erschien. Nach der Beschwerde bei der Ombudsfrau suchte die Kommission die Dokumente zusammen und gab sie heraus. Seit 2013 hat die frühere Journalistin Emily O-Reilly das Amt inne, die zuvor Bürgerbeauftragte ihres Heimatlandes Irland war. Sie informiert auf einer eigenen Internetseite (http://www.ombudsman. europa.eu/home.faces) über ihre laufende Arbeit. Beschweren kann sich bei ihr jede natürliche oder juristische Person, die ihren (Wohn-) Sitz in der Europäischen Union hat. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 106 Partizipationsmöglichkeiten 27.9.2010 Die Bürger der EU-Mitgliedsstaaten empfinden die Organe der Union häufig als sehr weit entfernt. Die EU ist eben auch eine Staatengemeinschaft, in der die Regierungsvertreter eine wichtige Rolle spielen. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/SGW5EP.pdf) Ein erklärtes Ziel des Vertrags von Lissabon ist darum auch die Stärkung des Europäischen Parlaments als Vertreter aller Bürger. Außerdem sollen die nationalen Parlamente stärker einbezogen werden. Durch eine eindeutige Festlegung der Zuständigkeiten soll die europäische Bürokratie zudem transparenter werden. Die Bürger der EU-Staaten können durch die Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments direkt Einfluss nehmen. Seit 1979 wird es für fünf Jahre direkt gewählt. Die Wahlen erfolgen in den Mitgliedsstaaten auf Grundlage der dort gültigen Wahlverfahren. Der Rat der Europäischen Union legt eine Zeitspanne fest, in der die Wahlen in den jeweiligen Mitgliedsländern abgehalten werden müssen. Da in Großbritannien zum Beispiel die Wahllokale bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 107 traditionell an einem Donnerstag, in der Bundesrepublik hingegen an einem Sonntag geöffnet werden, erstreckt sich die Zeitspanne auf die Tage Donnerstag bis Sonntag. In allen Mitgliedsländern wird in diesem Zeitraum nach dem Verhältniswahlrecht gewählt, auch wenn bei den Wahlen zum jeweiligen nationalen Parlament, wie in Großbritannien, eigentlich das Mehrheitswahlrecht gilt. Eine Mindestschwellenklausel ist gestattet, sie darf aber nicht höher als fünf Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen sein. Die 99 deutschen Abgeordneten werden von ihren Parteien in geschlossenen Landes- oder Bundeslisten aufgestellt. Die Wähler geben eine Stimme für eine gesamte Liste ab, können die Reihenfolge der Kandidaten aber nicht verändern. Aktiv wahlberechtigt sind alle deutschen Staatsbürger, die am Wahltag das Wahlrecht zum deutschen Bundestag besitzen. Anders als bei den Bundestagswahlen sind auch Staatsangehörige eines anderen EU-Mitgliedsstaats wahlberechtigt, wenn sie älter als 18 Jahre sind und bereits seit mehr als drei Monaten in Deutschland einen festen Wohnsitz haben. Dieses gilt umgekehrt auch für Deutsche, die in anderen Mitgliedsländern wohnen. Allerdings müssen sich diese Wähler entscheiden, ob sie dieses Wahlrecht in ihrem Herkunftsland oder dem Land ihres Wohnsitzes ausüben wollen. In der Bundesrepublik lebende Staatsangehörige anderer Mitgliedsländer sind anders als bei Wahlen auf nationalstaatlicher Ebene auch wählbar. Der Vertrag von Lissabon hat die europäische Bürgerinitiative eingeführt. Finden sich eine Million Bürger aus "einer erheblichen Anzahl" von Mitgliedsstaaten zur Unterstützung einer Initiative zusammen, können sie die Kommission auffordern, neue politische Vorschläge zu einem bestimmten Thema zu unterbreiten. Diese müssen dann im Rat der Europäischen Union und im Europäischen Parlament behandelt werden. Auch Direktkontakt zu Europaabgeordneten ist möglich: Diese haben in ihren Wahlkreisen Büros und bieten beispielsweise häufig Bürgersprechstunden an. Alle Bürger der Europäischen Union können darüber hinaus einen direkten Kontakt mit dem Europäischen Parlament aufnehmen. Sie können Bürgeranfragen stellen, Informationen abfragen oder Vorschläge unterbreiten. Zu diesem Zweck gibt es unter anderem einen elektronischen Briefkasten. Alle Bürger haben das Recht, in ihrer Muttersprache eine Antwort zu erhalten, also in einer der 23 offiziellen Amtssprachen der Union (EG-Vertrag § 290). Fühlen sich Bürger, Vereine oder Unternehmen durch die Verwaltungspraxis der Gemeinschaftsorgane benachteiligt, können sie bereits heute Beschwerden zu Missständen in den Organen der Union beim Bürgerbeauftragten einreichen. Der oder die Bürgerbeauftragte (auch Ombudsmann) suchen dann in aller Regel einen für die Konfliktparteien annehmbaren Kompromiss. Neben dem Bürgerbeauftragten können Bürger sich auch mittels Petitionen direkt an das Europäische Parlament wenden. Dieses gilt für die Fälle, in denen sich Bürger nicht durch Gemeinschaftsorgane diskriminiert fühlen, sondern eine mögliche Verletzungen der Rechte durch einen Mitgliedsstaat oder lokale Gebietskörperschaften erfolgt ist. Bürger können das EP per Petition auffordern, zu einer bestimmten Angelegenheit Stellung zu nehmen. Manche Petition fordert das EP auch auf, einen Gegenstand zu behandeln, der dann später mittels eines Rechtsetzungsakts in sekundäres Gemeinschaftsrecht umgewandelt wird. Bei einem festgestellten Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht kann das Europäische Parlament eine Klage gegen Organe oder Mitgliedsstaaten der EU vor dem Europäischen Gerichtshof erheben. Das EP handelt hier nicht selbst als gerichtliche Instanz, eine von ihm angestrebte Klage hat aber eine erhebliche öffentliche Wirksamkeit. Die Petitionen bieten so eine Möglichkeit für die Bürger, auf bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 108 Missstände aufmerksam zu machen. Die meisten eingehenden Petitionen betreffen Themen des Umweltschutzes, der sozialen Sicherheit, die Freizügigkeit innerhalb der EU oder Bereiche der Steuerharmonisierung. Unter bestimmten Voraussetzungen können Bürger darüber hinaus Individualklagen beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg einreichen. Eine weitere Möglichkeit, sich in Entscheidungsprozesse der EU einzubringen, ist organisierte Lobbyarbeit. Die Initiative Lobby Control schätzt, dass in Brüssel ca. 15.000 hauptberufliche Lobbyisten tätig sind. Etwa 1.200 (Stand März 2009) haben sich offiziell auch im Register der Interessenvertreter registriert. In diesem Verzeichnis können Politiker, Bürger und andere Interessierte auch online die registrierten Interessenvertreter suchen. Lobbyismus ist nicht auf Versuche von Einflussnahme beschränkt, eine wichtige Aufgabe ist auch das so genannte Monitoring. Eine weitere Aufgabe der Interessenvertreter ist demnach, ihre Verbände oder Unternehmen über die Prozesse der europäischen Politik zu informieren. Neben Interessenvertretern aus Wirtschaft und Unternehmen arbeitet eine große Anzahl der in Brüssel tätigen Interessenvertreter auch für Gewerkschaften, Umweltorganisationen, Verbraucherschutzorganisationen und gemeinnützige Einrichtungen. Der überwiegende Teil der Lobbyisten vertritt jedoch wirtschaftliche Interessen. Kritiker des organisierten Lobbyismus bemerken, dass eben dieses für ein Ungleichgewicht in der Vertretung verantwortlich sei. Wirtschaftsunternehmen und Wirtschaftsverbände könnten die Kosten für eine Vertretung in Brüssel eher tragen als Nichtregierungsorganisationen oder Sozialverbände (Woll 2006). Um dieses auszugleichen, unterstützen sowohl die Kommission als auch das Europäische Parlament die Bildung von Netzwerken oder Verbänden, die sich mit entwicklungspolitischen oder humanitären Aufgaben befassen, sowie Umwelt- und Konsumentengruppen. Insgesamt kann Lobbyismus zum Funktionieren der EU-Politik beitragen. Der im Mai 2008 im Europäischen Parlament vorgestellte Bericht zum Lobbyismus in der EU betont, dass Interessenvertreter durchaus eine wichtige Rolle im pluralistischen Dialog spielen. Für die Abgeordneten stellen ihre Kompetenz und ihr Sachverstand eine Informationsquelle dar. Deshalb sei ihr Zugang zu den Organen der EU von prinzipieller Wichtigkeit. Er müsse allerdings für die Abgeordneten, Mitarbeiter und die Bürger der EU nachvollziehbar sein. Auch über die gewählten Volksvertreter im Deutschen Bundestag können Bundesbürger mittelbar an europäischer Politik partizipieren. Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (Europaausschuss) des Bundestags unterscheidet sich in mehreren Gesichtspunkten von anderen Ausschüssen des deutschen Parlaments. Zum einen ist er einer der wenigen Ausschüsse ohne "Spiegelbild" in einem Regierungsressort, zum anderen wirken in ihm neben den 33 ordentlichen Mitgliedern auch 16 mitwirkungsberechtigte deutsche Mitglieder des Europäischen Parlaments mit. Zwar werden europapolitische Fragestellungen aufgrund der gewachsenen Bedeutung der Gemeinschaft für die deutsche Politik auch in anderen Ausschüssen behandelt, aber insbesondere dient der Europaausschuss der Erarbeitung der wichtigen Entscheidungsvorlagen zu europapolitischen Fragen im Parlament. Durch die oft öffentlichen Sitzungen trägt der Ausschuss auch zur Vergrößerung der Transparenz europapolitischer Themen bei. Das Europäische Parlament bietet selbst auch die Möglichkeit, an den Plenarsitzungen teilzunehmen. An allen drei Arbeitsorten in Brüssel, Straßburg und Luxemburg können Besuche, Besichtigungen und die Teilnahme an wichtigen Veranstaltungen organisiert werden. Auch die Mitglieder des Europäischen Parlaments laden regelmäßig interessierte Gruppen ein, ihre Arbeit und die des Parlaments kennen zu lernen. Sie stehen für ihre Wähler nach Terminabsprache auch für persönliche Gespräche bereit. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 109 Diese Besuchsprogramme des EP und seiner Mitglieder können dabei helfen, mehr Aufmerksamkeit auf das Europäische Parlament zu ziehen und für ein stärkeres Engagement der Bürger zu europapolitischen Themen zu werben. Weiterführende Links und Literatur Der Europäische Bürgerbeauftragte: Studie des Europäischen Parlaments "EU-Lobbyismus im Blickpunkt" (http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?language=DE&type =IMPRESS&reference=20080414FCS26495&secondRef=0) Europäisches Parlament, Informationsbüro für Deutschland: Besuch im Parlament (http://www. europarl.europa.eu/parliament/public/staticDisplay.do?language=DE&id=50) Europäisches Parlament, Informationsbüro für Deutschland: Datenbanken der Europäischen Union (http://www.europarl.de/view/de/Service/Zugang_zu_Dokumenten/EU_Datenbank.html) Woll, Cornelia, Herrschaft der Lobbyisten in der Europäischen Union?, in Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 15 - 16, 2006 (http://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/29791/verbaende-und-lobbyismus), S. 33 - 38. Platzer, Hans-Wolfgang, Interessenverbände und europäischer Lobbyismus, in Weidenfeld, Werner (Hg.), Die Europäische Union. Politisches System und Politikbereiche, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2008, S. 187 - 205. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 110 Europäischer Haushalt Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Der Europäische Haushalt ist die Quelle, aus der die Arbeit der Europäischen Union finanziert wird. Die Mitgliedstaaten legen die Einnahmen fest. Die EU erzielt sie aus verschiedenen Quellen. Der Haushalt beläuft sich für das Jahr 2014 auf 135,5 Milliarden Euro. Dabei handelt es sich um die Ausgaben, die tatsächlich im Laufe des Haushaltsjahres getätigt werden. Darüber hinaus ist die EUKommission ermächtigt, weitere finanzielle Zusagen (zum Beispiel für mehrjährige Programme) zu machen. Deshalb ist die Zahlenangabe für die Verpflichtungsermächtigungen des EU-Haushalts immer höher als die der Zahlungen. Die Verpflichtungsermächtigungen belaufen sich 2014 auf 142,6 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt 2014 umfasst circa 295 Milliarden Euro. Einnahmen Die Einnahmen der Europäischen Union legt der Rat der Europäischen Union, also die Mitgliedstaaten, fest. Dies geschieht in dem jeweils auf sieben Jahre zielenden Mehrjährigen Finanzrahmen, der im Europäischen Rat ausgehandelt wird. Dieser ersetzt nicht die jährlichen Haushaltsplanungen, sondern ist vielmehr eine perspektivische Festlegung, wie viel Geld die EU für welche Bereiche ausgeben will. Die derzeitige Finanzplanung läuft von 2014 bis 2020. Die Einnahmen erzielt die EU aus verschiedenen Quellen, nämlich aus: • Zöllen und Abschöpfungen, die Drittstaaten beim Import ihrer Waren in das Wirtschaftsgebiet der EU entrichten, • einem festgelegten Anteil an der Mehrwertsteuer der Mitgliedstaaten und • einem prozentualen Anteil am Bruttonationaleinkommen (BNE) (http://www.bpb.de/nachschlagen/ lexika/pocket-europa/16649/bruttonationaleinkommen-bne) der Mitgliedsländer. Zölle und Abschöpfungen, das sind gewissermaßen Zölle auf landwirtschaftliche Produkte, fließen der EU direkt zu. Diese „traditionellen Eigenmittel" erheben die nationalen Zollbehörden, beispielsweise beim Import einer Ware aus China im Hamburger Hafen, und leiten sie nach Abzug einer Bearbeitungspauschale von 20 Prozent direkt nach Brüssel weiter. Diese Einnahmen tragen wegen der Verringerung der Zölle im Rahmen des Welthandels nur noch zu elf Prozent zur Finanzierung der EU bei. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 111 EU Haushaltseinnahmen, 2000 - 2010 Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (bpb) Der EU-Anteil an der Mehrwertsteuer liegt bei 0,3 Prozent auf der Basis einer einheitlich berechneten und festgelegten Mehrwertsteuergrundlage, die nötig ist, da die Mehrwertsteuer in den EU-Ländern unterschiedlich hoch ist. Für Deutschland wurde wegen seiner starken finanziellen Belastung der Betrag auf 0,15 Prozent reduziert. Auch Österreich, Schweden und die Niederlande haben einen verringerten Mehrwertsteueranteil zu zahlen. Der Mehrwertsteueranteil bringt rund 14 Prozent der Einnahmen in die EU-Kasse. Ein weiteres Prozent kommt aus sonstigen Einnahmen, z. B. den Steuern der EU-Beschäftigten. Der Betrag, der dann zur Zielmarke des Haushaltes noch fehlt, immerhin gut 73 Prozent, wird als Anteil am Bruttonationaleinkommen (BNE) erhoben. Nach den geltenden Regelungen darf der BNE-Anteil 1,23 Prozent vom gesamten BNE nicht übersteigen. Tatsächlich liegt er jedoch darunter, nämlich bei ca. 1,06 Prozent bei den Verpflichtungs- und bei 1,01 Prozent bei den Zahlungsermächtigungen. Der Unterschied zwischen diesen beiden Größen ist wichtig. Die Zahlungsermächtigungen bezeichnen die Summe, die in einem Jahr tatsächlich ausgegeben wird. Die Verpflichtungsermächtigungen binden darüber hinaus Mittel für längerfristige Projekte, die nicht innerhalb eines Jahres abgeschlossen werden, für die das Geld aber eingeplant werden muss. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 112 Ausgaben Die Ausgaben werden in einem jährlichen Haushalt zur Verfügung gestellt, den die Europäische Kommission gemeinsam mit Rat und Parlament, dem sogenannten Trilog, erarbeitet und der in Kraft tritt, wenn der Rat und das Europäische Parlament ihm zugestimmt haben. Normalerweise ist diese Zustimmung das Ergebnis eines Vermittlungsprozesses, an dessen Anfang unterschiedliche Positionen stehen. Generell möchte der Rat weniger Mittel für die EU bereitstellen, während das Parlament an verschiedenen Stellen höhere Ausgaben fordert. Die Ausgaben der EU gliedern sich in einige große Blöcke. Für 2014 ergibt sich bei den Verpflichtungsermächtigungen folgendes Bild: • Knapp 64 Milliarden Euro fließen in den Titel „Intelligentes und integratives Wachstum“, aus dem die Wettbewerbsfähigkeit gefördert, Wachstum und Beschäftigung geschaffen sowie der wirtschaftliche, soziale und territoriale Zusammenhalt gestärkt werden sollen (44,85 Prozent des Gesamthaushalts). • 59,3 Milliarden Euro fließen in die Agrarpolitik und die Förderung des ländlichen Raums (unter dem Titel „Nachhaltiges Wachstum: natürliche Ressourcen“)); damit ist die Landwirtschaftspolitik, wie schon seit einigen Jahren, zwar noch ein sehr großer, aber nicht mehr der größte Ausgabenposten (41,5 Prozent des Gesamthaushalts). • 2,2 Milliarden werden für Justiz- und Innenpolitik eingesetzt (1,5 Prozent des Gesamthaushalts). • 8,3 Milliarden wendet die EU für ihre Außenpolitik einschließlich humanitärer Hilfe auf (5,8 Prozent des Gesamthaushalts). • 8,4 Milliarden dienen der Deckung der Kosten der Verwaltung (5,9 Prozent des Gesamthaushalts). Wenn am Ende des Haushaltsjahres Geld in der Brüsseler Kasse übrig bleibt, fließt es an die Mitgliedstaaten zurück. Nettozahler und -empfänger Es gibt Staaten, die mehr aus der EU-Schatulle bekommen, als sie einzahlen (Nettoempfänger), und andere, bei denen es umgekehrt ist (Nettozahler). Das Ungleichgewicht ergibt sich nicht bei den Einzahlungen, sondern beim Rückfluss der Mittel in die Mitgliedstaaten. Die Einzahlungen in den EU-Haushalt erfolgen im Grundsatz für alle Mitgliedstaaten nach den gleichen Kriterien. Dass die stärkeren Staaten, die über ein hohes Bruttonationaleinkommen verfügen, in absoluten Zahlen höhere Beträge zahlen, ändert nichts daran, dass prozentual auf alle Mitgliedstaaten der gleiche Anteil entfällt. Bei den Ausgaben ist das anders. Die beiden größten Ausgabepositionen sind jene für die Landwirtschaftspolitik und für die Regionalpolitik. Hiervon profitieren die Mitgliedsländer in unterschiedlichem Maße. Ein Land, das über eine große Landwirtschaft verfügt und gleichzeitig strukturschwach ist, erhält viel Geld aus Brüssel, ein Land, in dem diese Bedingungen nicht gegeben sind, entsprechend weniger. Aus dieser Differenz zwischen Einzahlungen und Rückflüssen speist sich die Debatte um die Nettozahler-Position. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 113 Top 5 Nettozahler und Nettoempfänger der EU Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (bpb) Allerdings sind die entsprechenden Zahlen mit Vorsicht zu genießen, da sie lediglich dokumentieren, in welches Land das Geld fließt, und nicht, wer davon in welchem Maße profitiert. Wenn ein Land Geld aus Brüssel erhält, um damit beispielsweise seinen Flughafen auszubauen, die großen Aufträge dafür aber an Firmen aus dem Nachbarland gehen, ist das Nachbarland ein erheblicher Nutznießer dieser Mittel, taucht allerdings in der Statistik nicht auf. Außerdem wird in die Zahlen oft die Summe hineingerechnet, die ein Land an seinen Außengrenzen als Zoll einnimmt und an die EU abführt. Das sind aber keine nationalen Mittel, sondern sogenannte traditionelle Eigenmittel der EU. Ein japanisches Motorrad, das im Hamburger Hafen auf EU-Territorium kommt, bleibt möglicherweise gar nicht in Deutschland, sondern wird beispielsweise nach Österreich geliefert. Die deutschen Behörden erheben zwar den Zoll, leiten ihn aber weiter nach Brüssel. Das Geld stünde Deutschland aber ohnehin gar nicht zu, sondern in unserem Beispiel Österreich. Umsonst machen die nationalen Zollverwaltungen das übrigens nicht: Ein Fünftel der Einnahmen dürfen sie als Verwaltungsgebühr behalten. Deutschland ist der größte Nettozahler, allerdings nur in absoluten Zahlen, weil es das größte Land ist. 2012 zahlte die Bundesregierung rund 11,9 Milliarden Euro mehr in die EU-Kasse ein, als von dort zurückkam. Pro Kopf betrug die Nettoleistung 2012 rund 146,10 Euro, für die Schweden lag sie jedoch bei 203 Euro und für die Dänen bei 201,80 Euro. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 114 Britenrabatt Für Großbritannien gibt es eine viel diskutierte und kritisierte Sonderregelung, den sogenannten Britenrabatt. Den hatte die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher 1984 ihren Kollegen abgetrotzt. Ihr Satz „I want my money back!“ („Ich will mein Geld zurück!“) ist zu einem geflügelten Wort geworden. Großbritannien gehörte damals zu den schwächeren Mitgliedern und profitierte kaum von der Landwirtschaftspolitik, für die zu dieser Zeit deutlich mehr als die Hälfte der Haushaltsmittel ausgegeben wurde. Man vereinbarte, dass Großbritannien zwei Drittel seiner Nettozahlungen, also der Differenz zwischen Einzahlungen und Rückflüssen, zurückerhält. Dieser Britenrabatt ist seitdem mehrfach modifiziert worden, ihn abzuschaffen ist allerdings noch nicht gelungen, da Großbritannien sich dagegen sehr stark wehrt. Im Gegenteil: Im Zusammenhang mit den Verhandlungen über den Mehrjährigen Finanzrahmen 2014 bis 2020 gelang es dem britischen Premierminister David Cameron mit der Drohung, den Haushalt sonst scheitern zu lassen, zu den bisherigen 3,6 Mrd. Euro Rabatt zusätzliche 200 Mio. zu erhalten. In kleinerem Maße gibt es auch für andere Staaten solche Sonderregelungen, mit denen Ausgaben „gedeckelt“ werden. Hiervon profitiert auch Deutschland, das lediglich einen Mehrwertsteueranteil von 0,15 Prozent (statt 0,3 Prozent) entrichten muss. Solche Ausnahmen erleichtern die Kompromissbildung im Einzelfall, machen das System insgesamt jedoch intransparenter und schwieriger zu steuern. Immer wieder wird daher diskutiert, die EU über eine eigene Steuer zu finanzieren. Der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, hatte dieses Thema in seiner „Rede zur Lage der Union“ im September 2010 vor dem Europäischen Parlament wieder aufgegriffen, wenn auch indirekt, indem er sagte, die EU solle sich in Zukunft aus „Eigenmitteln“ finanzieren. Dass ein solcher Vorschlag die einstimmige Unterstützung der Mitgliedstaaten findet, ist jedoch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Die deutsche Bundesregierung lehnte ihn sofort ab. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 115 Haushalt der Europäischen Union 24.9.2009 Der Haushaltsplan der Europäischen Union beläuft sich im Jahr 2009 auf 133,8 Mrd. Euro – wenn man die Verpflichtungsermächtigungen zugrunde legt. Tatsächlich werden in diesem Haushaltsjahr wohl ca. 17 Mrd. Euro weniger ausgegeben werden. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/G98XQW.pdf) Im EU-Haushaltsrecht wird zwischen Verpflichtungsermächtigungen und Zahlungen oder Zahlungsermächtigungen unterschieden. Die Verpflichtungsermächtigungen bezeichnen die Summe, über die Zusagen gegeben werden dürfen. Aber nicht alle Verpflichtungsermächtigungen werden " kassenwirksam", weil beispielsweise Projekte sich über einen längeren Zeitraum hinziehen oder gar nicht zustande kommen. Tatsächlich gibt die EU also weniger aus. Im Jahr 2009 standen Verpflichtungsermächtigungen von 133,8 Mrd. Euro tatsächliche Zahlungen von etwas über 116 Mrd. Euro gegenüber. 45 Prozent der Ausgaben werden für die Kohäsionspolitik aufgewendet, durch die die Wettbewerbsfähigkeit, das Wachstum und die Beschäftigung in benachteiligten Regionen unterstützt wird. Vor allem Regionen, deren Wirtschaftskraft unter 75 Prozent des EU-Durchschnitts liegt, bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 116 profitieren davon, aber auch Wirtschaftsräume mit besonderen Strukturproblemen wie hoher Arbeitslosigkeit. 41,9 Prozent sind für die Bewahrung und Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen der Union eingeplant. Darunter fallen die Ausgaben für den Umweltschutz, den Löwenanteil machen jedoch die Agrarausgaben aus. Alleine für Landwirtschafts-Subventionen (Preisstützungen und Direktzahlungen) werden über 30 Prozent des Gesamthaushalts aufgewendet. 2009 sind das über 41 Mrd. Euro. Dennoch wird heute für die Agrarpolitik prozentual deutlich weniger Geld aufgewendet als in früheren Jahren, in denen der Anteil deutlich über 50 Prozent der Gesamtausgaben lag. 6,1 Prozent des Haushalts fließen in die EU-Außen- und Entwicklungspolitik und weitere 5,7 Prozent werden für die Verwaltung der Europäischen Union ausgegeben. Dieser recht niedrige Prozentsatz erstaunt viele, da in der Öffentlichkeit der Eindruck vorherrscht, die EU sei ein bürokratisches Monster, das die meisten Mittel für sich selbst verbrauche. Tatsächlich fließen, wie die Folie zeigt, über 87 Prozent der Mittel im Rahmen der EU-Politiken an die Mitgliedstaaten zurück. Die Ausgleichszahlungen für Bulgarien und Rumänien sind vorübergehend, um zu verhindern, dass die beiden – relativ armen - Länder zu Nettozahlern werden, da sie schon Beiträge zahlen, aber die Zahlungen aus den verschiedenen Programmen zum Teil noch nicht erhalten. Der Haushaltsplan wird im Rahmen einer siebenjährigen Vorschau ("Finanzielle Vorausschau") von der Europäischen Kommission erstellt. Die gegenwärtige Finanzperiode umfasst die Jahre 2007 bis 2013. Nach oftmals zähen Verhandlungen zwischen den verschiedenen Institutionen wird der Haushalt dann vom Rat der Europäischen Union sowie dem Europäischen Parlament gemeinsam beschlossen. Die Einnahmen werden allerdings im Rahmen der Finanziellen Vorausschau von den Mitgliedstaaten alleine bestimmt. Dabei gibt es eine Obergrenze von 1,24 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE), die allerdings zurzeit bei weitem nicht erreicht wird. Die Zahlungen an die EU belaufen sich vielmehr auf ca. 1 Prozent des BNE. Die Einnahmen der EU setzen sich einerseits aus Zöllen und Abschöpfungen zusammen, die an den EU-Außengrenzen für den Import von Waren und Agrargütern aus Drittländern erhoben werden. Andererseits wird von den Mitgliedstaaten ein – nach einem einheitlichen Schlüssel berechneter – Mehrwertsteueranteil erhoben. Der mit über zwei Dritteln mit Abstand größte Teil des Haushalts wird durch einen Anteil am Bruttonationaleinkommen der Mitgliedstaaten generiert. Soweit Mittel im Laufe des Haushaltsjahres nicht ausgegeben werden, fließen sie im Folgejahr an die Mitgliedstaaten zurück. Die Europäische Union darf keine Kredite aufnehmen und ist von daher völlig schuldenfrei. Über die ordnungsgemäße Verwendung des Geldes wacht der Europäische Rechnungshof. Außerdem unterhält die Europäische Kommission eine eigene Kontrollbehörde (OLAF), die Betrug mit den EU-Mitteln verhindern soll bzw. verfolgt. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 117 Zuständigkeitsbereiche in der Europäischen Union 24.9.2009 In der Europäischen Union und bei den Mitgliedstaaten unterscheidet man drei Arten von Zuständigkeiten: Solche, die völlig in der Kompetenz der EU liegen, solche, die den Mitgliedstaaten vorbehalten ist, und jene, die EU und Mitgliedstaaten sich teilen. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/LF1XME.pdf) Grundsätzlich gilt in der Europäischen Union, dass die Institutionen der EU, also die Europäische Kommission, der Rat oder auch das Europäische Parlament, sich nicht selbst Zuständigkeiten zuschreiben können. Die EU kann nur die Aufgaben übernehmen, die ihr von den Mitgliedstaaten zugeteilt werden. Man spricht hier von Kompetenz-Kompetenz, also der Kompetenz zu entscheiden, bei wem die Kompetenz liegt. Zudem gilt in der Europäischen Union der Grundsatz der Subsidiarität. Das bedeutet, dass der EU eine Kompetenz nur übertragen werden kann, wenn ersichtlich ist, dass das Problem auf europäischer Ebene besser zu lösen ist als auf nationaler (oder regionaler). Der Lissabonner Vertrag verstärkt den Subsidiaritätsgedanken noch und gibt den nationalen Parlamenten ein vorfristiges Einspruchsrecht, falls sie die Kompetenzordnung zu ihren Lasten verletzt sehen. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 118 In seinem Urteil zum Lissabonner Vertrag hat das Bundesverfassungsgericht im Juni 2009 einige Kompetenzen definiert, die in nationaler Obhut bleiben müssen - gleichzeitig und vor allem allerdings festgestellt, dass die von ihm gezogenen Grenzen durch den Lissabonner Vertrag nicht verletzt werden. Die ausschließlichen Zuständigkeiten der EU ergeben sich aus dem Binnenmarkt, der ja auch eine Zollunion einschließt. Es ist leicht nachvollziehbar, dass in einem einheitlichen Binnenmarkt, in dem Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit freizügig sind, nicht unterschiedliche Zölle für einzelne Mitgliedstaaten gelten können. Auch der Außenhandel und die Sicherung des Wettbewerbs im Binnenmarkt sind zwangsläufig eine Zuständigkeit der Europäischen Union. Dies gilt zudem für die Währungspolitik, soweit sie sich auf die Gemeinschaftswährung Euro bezieht. Die derzeit 16 Staaten, die sich zu "Euroland" zusammengeschlossen haben, gaben damit auch ihre währungspolitische Souveränität auf und haben die Entscheidungsgewalt auf die Europäische Zentralbank übertragen. Der Verbraucherschutz ist ebenfalls ein Teil des Binnenmarktes. Soweit es sich um grenzüberschreitende Produkte handelt, kann nur die EU regelnd eingreifen. Generell ist die Grenzüberschreitung die Voraussetzung für die Begründung einer Kompetenz der EU. Ob in Gaststätten geraucht werden darf, wird national entschieden, deutsche Raucher würden ja in Österreich niemanden beeinträchtigen. Ein Tabakwerbeverbot in Print- und elektronischen Medien ist allerdings europäisch verhängt worden, da die Zeitungen und Sendungen die Binnengrenzen leicht überschreiten und somit Einfluss im Nachbarland ausüben. Eine Reihe von Kompetenzen werden zum Teil von der EU, zum anderen Teil vom Mitgliedsstaat wahrgenommen. Im Allgemeinen werden in diesen Fällen auf europäischer Ebene bestimmte Mindeststandards beschlossen, die in den Mitgliedstaaten eingehalten werden müssen. Alles Weitere wird national geregelt. Bildung und Kultur bleiben eine nationale Domäne, das gilt auch für den Sport. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof 1995 entschieden, dass Fußballprofis nach Vertragsablauf ablöse frei sein müssen. Die Richter haben damit aber nicht in den Sport eingreifen wollen, sondern die Rechte der Fußballprofis als Beschäftigte geschützt. Sie sahen deren Freizügigkeit eingeschränkt, wenn ihre Vereine trotz Vertragsablaufs eine hohe Ablösesumme von anderen Clubs verlangen. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 119 Internet-Links und weiterführende Literatur Von Eckart D. Stratenschulte 15.5.2009 Hier finden Sie Internet-Links und weiterführende Literatur zum bpb-Dossier: Die Europäische Union: "Wer tut was in Europa?". Internet-Links Offizielle Internetseite der Europäischen Union http://europa.eu (http://europa.eu) Europa-Seiten des Auswärtigen Amtes http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Europa/Uebersicht_node.html (http://www.auswaertiges-amt.de/ DE/Europa/Uebersicht_node.html) euractiv - täglicher kostenloser Informationsdienst rund um die EU http://www.euractiv.com/de/HomePage (http://www.euractiv.com/de/HomePage) cafebabel - kostenloses Europamagazin, von jungen Leuten in mehreren europäischen Ländern geschrieben http://www.cafebabel.com/ger/ (http://www.cafebabel.com/ger/) Europaseiten des Bundesfinanzministeriums http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_54/DE/Wirtschaft __und__Verwaltung/Europa/node.html?__nnn=true (http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_54/ DE/Wirtschaft__und__Verwaltung/Europa/node.html?__nnn=true) Internetseite des Europäischen Bürgerbeauftragten http://www.ombudsman.europa.eu/home/de/default.htm de/default.htm) (http://www.ombudsman.europa.eu/home/ Literatur Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Europäische Union, Informationen zur politischen Bildung Heft 279, 2006 Marc Fritzler und Günther Unser, Die Europäische Union, Geschichte, Institutionen, Politiken, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, Zeitbilder Nr. 7, 2005 Eckart D. Stratenschulte, Europa – Ein Überblick, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, Zeitbilder Nr. 6, 2007 Werner Weidenfeld, Europa leicht gemacht, Antworten für junge Europäer, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2007 bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 120 Werner Weidenfeld und Wolfgang Wessels, Europa von A bis Z, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2007 Bruno Zandonella, Pocket Europa. EU-Begriffe und Länderdaten, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2007 bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 121 Wie fing das an mit der EU? 13.5.2009 Mit dem Plan des französischen Außenministers Robert Schuman für eine Montanunion beginnt im Jahr 1950 die Geschichte der EU. Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Italien schlossen sich der Montanunion bereits im Jahr darauf an. Sie vereinbarten die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), die 1952 ihre Arbeit aufnahm. Mit dem Fokus auf eine gesamtwirtschaftliche Zusammenarbeit gründeten sich einige Jahre später, nämlich 1957, in Rom die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom). Im Jahr 1987 definierte die Einheitliche Europäische Akte erstmals den Begriff des Binnenmarktes. Mit dem Vertrag von Maastricht wurde 1993 schließlich die Europäische Union geschaffen. 2009 wurden die Europäischen Gemeinschaften durch den Vertrag von Lissabon aufgelöst und in die Europäische Union integriert. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 122 Gründung der Europäischen Gemeinschaften Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs schlug Robert Schuman die Vereinigung deutscher und französischer Schwerindustrie in der "Montanunion" vor. Für die Bundesrepublik Deutschland begann damit die Westintegration. Die Entstehung der Europäischen Union ist nur vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs verständlich. Als der von Deutschland begonnene und verlorene Krieg zu Ende war, bestand große Unsicherheit, wie es nun in Europa weitergehen solle. Zum einen zog der Ost-West-Konflikt auf, da die wichtigsten Siegermächte des Zweiten Weltkriegs - die USA und Großbritannien auf der einen, die Sowjetunion auf der anderen Seite - sehr unterschiedliche Vorstellungen davon hatten, wie das Nachkriegseuropa aussehen sollte. Zum anderen befürchtete man insbesondere in Frankreich, das geschlagene Deutschland könnte in absehbarer Zeit wieder zu Kräften kommen und erneut zur Bedrohung werden. Der Erste Weltkrieg war in den Nachbarländern noch gut in Erinnerung. Auch 1918 war Deutschland besiegt worden - und nur gut 20 Jahre später wurde Paris von deutschen Truppen eingenommen. Es galt also, zwei Fragen gleichzeitig zu lösen: Wie konnte der Westen trotz eines teilweisen Rückzugs amerikanischer Truppen genügend Stärke aufbringen, um gegen die Sowjetunion und eine mögliche Bedrohung durch sie bestehen zu können, und wie konnte Deutschland in ein solches Konzept eingebunden werden, ohne seinerseits zur Gefahr für seine Nachbarn zu werden? Robert Schuman und die Montanunion Die Antwort gab der französische Außenminister Robert Schuman am 9. Mai 1950, also genau fünf Jahre nach Kriegsende. Er schlug eine "Montanunion" vor, eine Vereinigung der deutschen und der französischen Schwerindustrie, an der teilzunehmen andere Staaten ausdrücklich eingeladen waren. Das Besondere an Schumans Vorschlag (http://www.europa.clio-online.de/Portals/_Europa/ documents/fska/Q_2005_FS7-06.pdf) war die gemeinsame Verwaltung der Kohle- und Stahlindustrie. Das ging weiter als die üblichen internationalen Vereinbarungen. Hier musste jeder der beteiligten Staaten ein Stück nationaler Souveränität aufgeben, die dann gemeinsam ausgeübt wurde. Bereits ein Jahr zuvor, am 5. Mai 1949, hatten zehn europäische Staaten den Europarat gegründet. Sein Ziel war und ist es, durch die Zusammenarbeit der Staaten zu Frieden, Demokratie und Wohlstand beizutragen. Aber auf eine Souveränitätsübertragung von den Nationalstaaten auf den Europarat - die damals durchaus diskutiert wurde - konnte man sich in Straßburg, wo die Institution seit Gründung ihren Sitz hat, nicht einigen. Die Supranationalität ist bis heute eine Besonderheit der Europäischen Union, die diese nicht nur vom Europarat, sondern von vielen anderen internationalen Institutionen unterscheidet. Kohle und Stahl waren von Schuman keineswegs willkürlich gewählt. Kohle war der zentrale Energieträger der Zeit, eine Rolle die heute Erdöl und Erdgas zukommt. Stahl stand für die Schwerindustrie, die wiederum Voraussetzung nicht nur für den Wiederaufbau der kriegszerstörten Länder, sondern auch für mögliche Rüstungsvorhaben war. Wenn man also die Schwerindustrie gemeinsam verwaltete, hatte man die Sicherheit, dass ein Partner nicht unbemerkt gegen den anderen aufrüsten konnte. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 123 Der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer erkannte die Chancen, die im französischen Angebot lagen. Es bot für Deutschland die Möglichkeit, sich mit dem Westen auszusöhnen und wieder Aufnahme in die Völkerfamilie zu finden. Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Italien schlossen sich der Montanunion an, die 1951 als Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) vereinbart wurde und 1952 in Kraft trat. Ihr Ziel war die Sicherung des Friedens unter den Mitgliedstaaten. Das Instrument, dieses Ziel zu erreichen, waren Kohle und Stahl. Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und Atomgemeinschaft Diese beiden Grundlagen des wirtschaftlichen Aufbaus verloren allerdings im Laufe der 1950er-Jahre an Bedeutung. Öl und im Weiteren auch Erdgas nahmen die Rolle der Kohle als Energieträger ein. Damit das europäische Projekt nicht mit der Kohle an Wirkung und Bindekraft verlor, wurde die zuvor auf diesen Bereich (der Schwerindustrie) beschränkte (monosektorale) Integration auf die gesamte Wirtschaft ausgeweitet. 1957 wurden in Rom die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (EAG oder Euratom) gegründet, die zum 1. Januar 1958 ihre Arbeit aufnahmen. Der Plan, auch eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) zu gründen, scheiterte indes 1954 am Widerstand der französischen Nationalversammlung. Die sechs Gründerstaaten der europäischen Integration sahen ihr Vorhaben nicht als geschlossenen Klub, sondern boten weiteren Staaten an, sich an den neuen Gemeinschaften zu beteiligen. Tatsächlich nahmen britische Vertreter auch an vorbereitenden Konferenzen teil. Man konnte sich zu diesem Zeitpunkt allerdings in London noch nicht dazu entschließen, einem Verbund beizutreten, dem man Souveränität abgeben musste. So waren die Mitglieder der beiden neuen Gemeinschaften dieselben wie die der Montanunion: Frankreich und Deutschland, Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg. Einfach war die Einigung auch unter ihnen nicht gewesen. Vor allem bei der Frage, wie viel nationale Protektion für die Wirtschaft weiterhin möglich sein sollte, wurde so heftig gestritten, dass der Vertrag, als er öffentlich unterzeichnet werden sollte, zwar vereinbart, aber noch nicht ausgefertigt war. Das geschah damals noch mit der Schreibmaschine und war daher vergleichsweise zeitaufwändig. Die Regierungschefs unterschrieben vor den laufenden Kameras daher einen Stapel leeren Papiers. In den 1960er-Jahren änderte sich die britische Haltung und das Vereinigte Königreich beantragte die Aufnahme in die EWG. Diese wurde allerdings vom französischen Präsidenten Charles de Gaulle abgelehnt, so dass der britische Beitritt erst nach dem Ausscheiden de Gaulles aus der aktiven Politik vollzogen werden konnte. Politik des leeren Stuhls Auch in einer anderen Frage zeigte Paris sich sperrig. Im EWG-Vertrag war festgelegt, dass man über Maßnahmen der Agrarpolitik acht Jahre lang einstimmig und anschließend, also ab 1966, mit qualifizierter Mehrheit entscheiden würde. Frankreich hätte damit in dem für seine Bedürfnisse wichtigen Bereich überstimmt werden können. Um das zu verhindern, verließen die französischen Vertreter am 1. Juli 1965 auf Weisung von Präsident de Gaulle den Ministerrat der EWG und blockierten dessen Arbeit bis Anfang 1966 durch Abwesenheit. Man sprach von der Politik des leeren Stuhls. Durch den "Luxemburger Kompromiss" wurde diese Krise schließlich beigelegt. Er besagte, dass ein Land die Mehrheitsentscheidung blockieren könne, wenn "elementare nationale Interessen" berührt seien. Wann das der Fall sei, entscheide jeder Mitgliedstaat für sich selbst. Der Luxemburger Kompromiss wurde in den Folgejahren mehrfach von verschiedenen Mitgliedern in Anspruch genommen. Seit dem Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte 1987 ist dies jedoch nicht mehr der Fall gewesen. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 124 Erweiterungen und Vertiefungen der europäischen Integration Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Noch Mitte der 1990er-Jahre bestand die EU aus 15 Staaten, heute sind es 28. Nach den Kopenhagener Kriterien sind Rechtsstaatlichkeit, Demokratie sowie eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung Grundvoraussetzungen für Beitrittskandidaten. Im Jahr 2007, mit einer großflächigen Erweiterung des Schengen-Raumes, verschwanden vielerorts die Schlagbäume, so auch an der österreichisch-ungarischen Grenze. (© picture-alliance/dpa) bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 125 Zollunion und Westerweiterung 1973 kam es zur ersten Vergrößerung der Europäischen Gemeinschaft, der Westerweiterung. Neben Großbritannien traten auch Irland und Dänemark bei. Die norwegische Regierung wollte ihr Land ebenfalls in die europäische Integration führen. Allerdings wurde der ausgehandelte und unterschriebene Beitrittsvertrag von der Bevölkerung abgelehnt - 1995 geschah dieses ein weiteres Mal. Bis zur ersten Erweiterung hatten die Europäischen Gemeinschaftenschon einige Entwicklungsschritte hinter sich gebracht. Als erstes hatte sich die EWG Schaffung einer Zollunion vorgenommen, mit deren Realisierung man 1959 begann. Dieses Ziel, für das man sich zehn Jahre Zeit lassen wollte, wurde 1968, erreicht. Zollunion hieß: Freier Handel im Inneren der Gemeinschaft und gemeinsame Außenzölle. 1967 wurden die drei bis dahin selbstständigen Gemeinschaften zur Europäischen Gemeinschaft (EG) zusammengelegt und mit gemeinsamen Institutionen ausgestattet. Seitdem gibt es die Europäische Kommission, den Rat der Europäischen Union und ein Europäisches Parlament. Der EGKS-Vertrag ("Montanunion") war übrigens der einzige, der zeitlich befristet war. Er hatte eine Laufzeit von 50 Jahren und endete 2002. Seine Regelungen wurden in den EG-Vertrag übernommen, der die Bestimmungen für EWG und EAG zusammenfasste. Seit dem Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags 2009 ist das Vertragswerk neu strukturiert und besteht aus dem EU-Vertrag (EUV) sowie dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Als erste gemeinschaftliche Politik wurde die Agrarpolitik entwickelt, was mit den Hungererfahrungen des Krieges und der Nachkriegszeit genauso zu tun hatte wie mit der Bedeutung, die der Landwirtschaft in den EG-Ländern nach wie vor zukam, vor allem in Frankreich. Krise und Süderweiterung Nach der Westerweiterung 1973 kam die EG ein wenig in die Sinnkrise. Man wusste nicht so recht, wie es mit der europäischen Integration weitergehen sollte. Dies erklärt sich daraus, dass es für die EG keine Blaupause gab, die die weiteren Entwicklungsschritte vorzeichnete, sondern dass die Gemeinschaft sich in einer Weise entwickelte und bis heute entwickelt, die "Methode Monnet" genannt wird. Jean Monnet (1888 - 1979) war einer der Gründer und Vordenker der europäischen Integration und stand von 1952 bis 1954 in der Montanunion der Hohen Behörde vor, die später zur Europäischen Kommission wurde. Mit der Monnet-Methode ist gemeint: Die EU entwickelt sich immer dort weiter, wo es gerade möglich ist und wo man auf Herausforderungen reagieren muss. Eine neue Aufgabe stellte sich der Gemeinschaft in den 1970er-Jahren durch die Entwicklungen in Südeuropa. Griechenland, Portugal und Spanien hatten - durch eine Revolution oder schrittweise ihre Diktaturen überwunden, waren aber von politischer und wirtschaftlicher Stabilität weit entfernt. Die Europäische Gemeinschaft sah eine wichtige Aufgabe darin, sie in das europäische Geflecht einzubinden, was sie durch die Süderweiterung der Jahre 1981 (Beitritt Griechenlands) bzw. 1986 (Beitritt Spaniens und Portugals) tat. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 126 Binnenmarkt, Ende des Ost-West-Konfliktes und Norderweiterung Neuen Schwung erhielt die europäische Integration durch die Einheitliche Europäische Akte, eine Revision der Gründungsverträge, die 1987 in Kraft trat. Mit ihr wurde der Europäische Binnenmarkt geschaffen, der seit 1993 offiziell besteht und bis heute schrittweise ausgeweitet wurde. Der Binnenmarkt ist gegenüber einer Zollunion ein wesentlicher Schritt zu mehr Gemeinsamkeit. In ihm werden die vier Freiheiten verwirklicht. Kurz gesagt: Jeder kann innerhalb der Gemeinschaft einkaufen, Dienstleistungen beziehen oder anbieten, arbeiten und investieren, wo er will. Durch das Binnenmarktprojekt, das wesentlich auf den damaligen Präsidenten der Europäischen Kommission, Jacques Delors, zurückgeht, wurde die Europäische Gemeinschaft enger zusammengeführt. Noch während die Europäische Gemeinschaft damit beschäftigt war, die Voraussetzungen für die Schaffung des Binnenmarkts herzustellen, änderten sich die politischen Verhältnisse in Europa grundlegend. In Polen zwang die Solidarnosc-Bewegung die herrschende kommunistische Partei in die Knie und setztefür den Juni 1989 Wahlen durch, die zwar noch nicht vollständig demokratischen Standards entsprachen, aber zum ersten Mal eine Opposition ins Parlament brachten. Im Mai 1989 zerschnitten österreichische und ungarische Politiker öffentlichkeitswirksam den Eisernen Vorhang, in diesem Fall den Metallzaun an der Grenze der beiden Länder zueinander. Daraufhin setzte eine Massenflucht von DDR-Bürgern über Ungarn in den Westen ein. Am 9. November 1989 fiel dann in Berlin die Mauer, die die Stadt und die beiden deutschen Staaten seit 1961 getrennt hatte. Die baltischen Staaten, bislang gegen ihren Willen Teil der Sowjetunion, erklärten 1990 ihre Unabhängigkeit und widerstanden Anfang 1991 einem Versuch der Sowjetunion, das Rad der Geschichte mit Gewalt zurückzudrehen. Im Dezember 1991 schließlich löste sich die Sowjetunion auf. Die nunmehr selbstständigen Staaten bildeten die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), die jedoch nicht mehr war als ein Auffangbecken, um die unmittelbaren Transformationsfolgen abzufedern. Die baltischen Staaten gehörten der GUS nie an, sie wussten, wohin sie wollten: in die NATO und in die EU. Mit dem Wegfall des Ost-West-Konflikts war auch der Weg für die bislang neutralen Staaten Österreich, Finnland und Schweden - in die Gemeinschaft frei. Ihr Beitritt 1995 wird als Norderweiterung bezeichnet. Währungsunion und Osterweiterung Bereits 1993 war der Maastrichter Vertrag in Kraft getreten. Er war nach der Einheitlichen Europäischen Akte die zweite Reform der Gründungsverträge. Das Wichtigste, was dieser Vertrag regelt, ist sicherlich die Währungsunion, also die Einführung des Euro, die dann 1999 Wirklichkeit wurde. Mit dem Vertrag von Maastricht wurde auch die Europäische Union geschaffen: als das gemeinsame Dach für die Europäische Gemeinschaft, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die ebenfalls durch Maastricht ins Leben gerufen wurde, sowie die Rechts- und Innenpolitik der Union. 2009 sind diese sogenannten drei Säulen durch den Lissabonner Vertrag genauso wie die Europäischen Gemeinschaften in der Europäischen Union aufgegangen. Mitte der 1990er-Jahre bestand die Europäische Union aus 15 Staaten, bildete einen Binnenmarkt, entwickelte eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und nahm Kurs auf eine Gemeinschaftswährung. Aber die nächste große Herausforderung stand ihr bereits bevor: Viele europäische Staaten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, der Vorherrschaft der Sowjetunion entronnen, strebten die Mitgliedschaft in der EU an. Die Europäische Union, ursprünglich Europäische Gemeinschaft, war immer auf das gesamte Europa angelegt. Deshalb war es für die EU auch keine Frage, mit der neuen Situation entsprechend ihren Grundsätzen umzugehen. Sie signalisierte den mittel- und osteuropäischen Staaten, dass sie willkommen seien, und legte Bewertungsmaßstäbe fest, an denen die Kandidaten sich messen lassen mussten. Da der entsprechende Beschluss des Europäischen Rates 1993 in der dänischen Hauptstadt gefällt wurde, spricht man seitdem von den Kopenhagener Kriterien. Sie legen fest, dass ein Staat nur bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 127 in die EU aufgenommen werden kann, wenn er rechtsstaatlich und demokratisch verfasst ist, wenn seine Wirtschaftsordnung marktwirtschaftlich und in der Lage ist, dem Druck der EU-Marktkräfte stand zu halten, und wenn darüber hinaus die Bereitschaft und Fähigkeit besteht, das Gemeinschaftsrecht der EU (den sogenannten Acquis Communautaire) zu übernehmen und anzuwenden. Die Voraussetzung, überhaupt Verhandlungen über den Beitritt aufzunehmen, ist die Erfüllung des politischen Kriteriums: Mit einem Land, das nicht eindeutig demokratisch ist, redet die EU nicht über eine eventuelle Mitgliedschaft.In den Verhandlungen geht es ausschließlich um die Frage, wie schnell die Regelungen akzeptiert und implementiert werden. Es wird lediglich über Übergangszeiten verhandelt, nicht über die Substanz der Verträge selbst. 1997 nahm die EU mit sechs Staaten (Polen, Tschechien, Estland, Ungarn, Slowenien und Zypern) Gespräche auf, 1999 mit sechs weiteren Ländern (Slowakei, Lettland, Litauen, Malta, Bulgarien und Rumänien). Im Jahr 2004 kam es dann zur großen Osterweiterung, alle Kandidaten wurden in die EU aufgenommen. Lediglich bei Rumänien und Bulgarien verzögerte sich der Beitritt noch bis 2007. 2013 setzte sich der Erweiterungsprozess durch die Aufnahme Kroatiens fort. Zukünftige Erweiterungen Begonnen hatten die Verhandlungen mit Kroatien im Jahr 2005, genau wie die Gespräche mit der Türkei, die sich allerdings schwierig und zäh gestalten. Island, das der Europäischen Union schon durch den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sowie die Zugehörigkeit zur Schengen-Zone verbunden ist, führte Gespräche über seine Mitgliedschaft, hat diese jedoch nach einem Regierungswechsel 2013 ausgesetzt und will sie 2014 vollständig abbrechen. Die Republik Mazedonien ist offiziell Kandidat auf die Mitgliedschaft, allerdings wird über den Beitritt noch nicht verhandelt. Griechenland, das einen bilateralen Streit mit Mazedonien über dessen Staatsnamen führt, hat die Aufnahme der Gespräche bislang blockiert. Mit Montenegro und Serbien hingegen haben die Verhandlungen begonnen. Auch Albanien hat seine Mitgliedschaft bereits beantragt. Grundsätzlich hat das Land - genau wie Bosnien-Herzegowina - eine Beitrittsperspektive, die EU spricht daher von den "potenziellen Kandidaten". Dies gilt im Prinzip auch für Kosovo, das allerdings bislang von fünf EU-Staaten völkerrechtlich nicht anerkannt worden ist. Darüber hinaus haben weitere Staaten, vor allem die Ukraine, die Republik Moldau und Georgien, Interesse an einer EU-Mitgliedschaft geäußert - allerdings ohne sich auf Beitrittszusagen der EU berufen zu können. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 128 Entwicklung der Integration 24.9.2009 Nach über 55 Jahren Entwicklung präsentiert die EU sich als eine Institution, die sich sowohl stark erweitert als auch ihre Integration wesentlich vertieft hat. Ihre Politiken greifen heute in das alltägliche Leben aller EU-Bürger ein. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bu8ndeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/LXUEBQ.pdf) Die erste Europäische Gemeinschaft war die für Kohle und Stahl (EGKS), die 1952 von sechs Staaten gegründet wurde. Inhalt der Vereinbarungen war die gemeinschaftliche Bewirtschaftung von Energie und Grundstoffen, das Ziel des EGKS-Vertrags war jedoch die Sicherung des Friedens unter den Mitgliedstaaten, speziell zwischen Deutschland und Frankreich. Als sich abzeichnete, dass Kohle und Stahl ihre Bindewirkung wegen neuer Energieträger und neuer Materialien einbüßen, wurde die bis dahin monosektorale Integration auf die gesamte Wirtschaft ausgeweitet (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, EWG) und die neue, noch weitgehend unentwickelte Energiequelle Atomkraft einbezogen (Europäische Atomgemeinschaft, EAG). Die Verträge für diese beiden Gemeinschaften wurden 1957 in Rom unterzeichnet ("Römische Verträge") und traten 1958 in Kraft. Ihr nächstes Ziel, eine Zollunion, erreichte die Europäische Gemeinschaft 1968 sogar ein Jahr früher bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 129 als geplant, dann trat allerdings eine gewisse Stagnation ein, die nur durch den Beitritt weiterer Mitglieder (1973: Großbritannien, Irland, Dänemark, 1981: Griechenland, 1986: Spanien,Portugal) unterbrochen wurde. Den nächsten Integrationsfortschritt erzielte die Gemeinschaft durch die Einheitliche Europäische Akte 1987, mit der bis 1993 der Binnenmarkt geschaffen wurde, der heute das Herzstück der Europäischen Union ist. Mit den Staaten Westeuropas, die sich der Europäischen Gemeinschaft nicht anschließen wollten, vereinbarte die EG ein 1993 in Kraft getretenes Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), durch den die Binnenmarktregeln auf die Staaten der Europäischen Freihandelszone EFTA ausgeweitet wurden. In der Schweiz wurde der EWR-Vertrag von der Bevölkerung abgelehnt, die anderen EFTA-Staaten Liechtenstein, Island und Norwegen, dessen Bevölkerung 1973 den EG-Beitritt verworfen hatte, sind seitdem de facto wirtschaftlich Mitglieder der EU. Lediglich Teile des Agrarmarktes sind aus der Vereinbarung ausgenommen, nicht aber beispielsweise die Freizügigkeit. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Berliner Mauer 1989 und der Auflösung der Sowjetunion 1991 bekam die europäische Integration eine neue Dynamik. Um die Bindungen im größer werdenden Europa zu festigen, wurde mit dem Vertrag von Maastricht die Europäische Union geschaffen, indem die Europäische Gemeinschaft durch die Politikbereiche Innere und Justizangelegenheiten sowie Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ergänzt wurde. Außerdem wurde die Wirtschafts- und Währungsunion beschlossen, als deren Folge in der EU 1999 der Euro als gemeinsame Währung eingeführt wurde. Zudem wurde die EU mit einer großen Zahl von Beitrittsbewerbern konfrontiert. Als erstes beantragten die bis dahin neutralen Staaten Österreich, Schweden, Finnland und erneut Norwegen die Mitgliedschaft, die ihnen 1995 gewährt wurde. Nur Norwegen trat der EU nach einem wiederum negativen Referendum nicht bei. 2004 folgten dann acht mittel- und osteuropäische Staaten sowie die Mittelmeerinseln Malta und Zypern und seit 2007 gehören auch Rumänien und Bulgarien der EU an. Mehrere Versuche einer institutionellen Reform (durch den Amsterdamer Vertrag 1999, den Vertrag von Nizza 2003 und den gescheiterten Verfassungsentwurf 2005) waren nicht von Erfolg gekrönt. Auch der Lissabonner Vertrag, der den vierten Versuch der institutionellen Neuorientierung darstellt, wurde 2008 von der irischen Bevölkerung abgelehnt, in einem zweiten Referendum im Oktober 2009 jedoch gebilligt, so dass er nun Anfang 2010 in Kraft treten kann. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 130 Versuche der institutionellen Reform Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Nach drei gescheiterten Reformversuchen ist am 1. Dezember 2009 der Lissabonner Vertrag in Kraft getreten ist. Durch die Erweiterungen der letzten Jahre war eine institutionelle Reform notwendig geworden. Dass eine vergrößerte Europäische Union auch ihre Strukturen ändern muss, um funktionieren zu können, war schon vor der Erweiterung des Jahres 1995 klar, als die EU auf 15 Mitglieder anwuchs. Eine Gemeinschaft mit sechs Mitgliedern, deren Chefs noch um einen Esstisch sitzen konnten, kann anders geführt werden als eine Union mit 15, 25 oder 28 Mitgliedern. Allerdings gelang es den Mitgliedstaaten nicht, sich auf neue Verfahrensweisen zu einigen. Der Amsterdamer Vertrag, der 1999 in Kraft trat, brachte zwar Verbesserungen in der Rechts- und Innenpolitik und stärkte die Rechte des Europäischen Parlaments, die institutionelle Reform bewerkstelligte er jedoch nicht. Damit war auch der Versuch gescheitert, die durch den Vertrag von Maastricht geschaffene Währungsunion mit einem politischen Fundament zu versehen. Ursprünglich wurde die Konferenz, die dann 1997 in Amsterdam stattfand, „Maastricht II“ genannt, um den Zusammenhang zwischen Wirtschafts- und Währungsunion einerseits und Politischer Union andererseits deutlich zu machen Versuchte Reform: Vertrag von Nizza Kurz darauf, Ende 2000, wollten die Staats- und Regierungschefs der EU in Nizza den gordischen Knoten durchschlagen. Man einigte sich darauf, dass eine Veränderung der Funktionsweise der EU die Voraussetzung für die anstehende Osterweiterung sei. Aber dennoch gelang es nicht, neue Strukturen zu schaffen. Zwar erklärten die Staats- und Regierungschefs, mit dem Vertrag von Nizza seien die Voraussetzung für die Erweiterung erfüllt, es war jedoch auch den Beteiligten klar, dass das nicht stimmte, weil es zu keiner grundlegenden Reform gekommen war. Scheitern des Verfassungsvertrags Schon ein Jahr nach der Konferenz von Nizza und bevor der dort beschlossene Vertrag überhaupt in Kraft trat, legte der Europäische Rat daher fest, die EU müsse demokratischer, transparenter und effektiver werden. Diese "Erklärung von Laeken" (http://ue.eu.int/ueDocs/cms_Data/docs/pressdata/ de/ec/68829.pdf) aus dem Jahr 2001 war der Startschuss für die Einberufung eines Konvents. Er bestand aus nationalen Abgeordneten und Europaparlamentariern, aus Regierungsvertretern und Repräsentanten der Europäischen Kommission, die sich alle gemeinsam auf einen Entwurf für eine Europäische Verfassung (http://eur-lex.europa.eu/JOHtml.do?uri=OJ:C:2004:310:SOM:DE:HTML) einigten, der im Jahr 2004 feierlich unterzeichnet wurde. Der Verfassungsvertrag war fester Bestandteil der zu dieser Zeit noch laufenden Beitrittsverhandlungen mit Bulgarien und Rumänien und musste in allen 25 Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Er scheiterte jedoch 2005 in Frankreich und in den Niederlanden an Volksabstimmungen. In Spanien und Luxemburg waren die Referenden zuvor positiv ausgegangen. Dennoch war der Verfassungsentwurf - und somit der dritte Versuch einer institutionellen Reform - mit dem französischen und niederländischen Votum gescheitert. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 131 Zustimmung im zweiten Anlauf: Vertrag von Lissabon Nach einer Zeit der Ratlosigkeit, im politischen Jargon "Reflexionsphase" genannt, nahm die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 die Fäden wieder auf. Man einigte sich auf einen neuen Vertrag, der schließlich in der zweiten Jahreshälfte in Lissabon unterzeichnet wurde. Mit dem Lissabonner Vertrag (http://eur-lex.europa.eu/JOHtml.do?uri=OJ:C:2008:115:SOM:DE: HTML) wurden die meisten Reformen des Verfassungsvertrages beibehalten. So hat das Europäische Parlament mehr Kompetenzen erhalten und ist zum gleichberechtigten Gesetzgeber (neben dem Rat der Europäischen Union, das Gremium der Fachminister) geworden. Der Einfluss der nationalen Parlamente auf den europäischen Entscheidungsprozess wurde ebenfalls gestärkt. Der Europäische Rat, das Gremium der Staats- und Regierungschefs, wird von einem Präsidenten für mindestens 2 ½ Jahre geführt. Die bisherige Rotation im Präsidentenamt, die alle sechs Monate eine andere Persönlichkeit an die Spitze des Europäischen Rates brachte, ist aufgehoben. Erster Präsident des Europäischen Rates wurde der Belgier Herman Van Rompuy. Für die Gestaltung und Vertretung der Außenpolitik der Europäischen Union ist das Amt eines Hohen Vertreters geschaffen worden, der sowohl Vorsitzender des Außenminister-Rates der EU als auch Vizepräsident der Europäischen Kommission ist. Er soll die Kompetenzen der EU im auswärtigen Handeln bündeln. Als erste wurde die Britin Catherine Ashton in das Amt berufen. Ihr wurde ein Europäischer Auswärtiger Dienst, also gewissermaßen ein Außenministerium, zur Seite gestellt. Mit diesen Reformen soll gewährleistet werden, dass die EU auch mit 28 Staaten noch funktioniert. Der Lissabonner Vertrag ist am 1. Dezember 2009 in Kraft getreten, nachdem er von allen Mitgliedstaaten ratifiziert worden war. Vor allem in Irland gestaltete sich diese Billigung schwierig. Die Bevölkerung hatte den Vertrag in einem Referendum im Juni 2008 abgelehnt. Erst eine erneute Volksabstimmung im Oktober 2009 brachte die irische Zustimmung. Die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Verfassungsentwurf von 2004 und dem Lissabonner Vertrag liegen zum einen darin, dass die Verfassung die rechtlichen Regelungen, das sogenannte Primärrecht, in einem Dokument zusammengefasst hätte, während der Lissabonner Vertrag zwei Dokumente - den Vertrag über die Europäische Union (EUV) und den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) - geschaffen hat. Zum anderen sind alle Bestimmungen beseitigt worden, die den Eindruck erwecken könnten, bei der EU handele es sich um einen Staat. So enthält der Vertrag keine Bestimmung mehr über die Flagge oder die Hymne der EU (obwohl es beides weiterhin gibt) und der "Europäische Außenminister" heißt jetzt Hoher Vertreter der Union für Außenund Sicherheitspolitik. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 132 Der Lissabonner Vertrag auf einen Blick 24.9.2009 Durch den Vertrag von Lissabon wurde die Europäische Union institutionell reformiert. Das Ziel des Vertrages ist es, die EU demokratischer, transparenter und effizienter zu machen. Am 1. Dezember 2009 trat der Lissabonner Vertrag in Kraft. Klicken Sie auf die Grafik, um die PDF zu öffnen. (Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de) Lizenz: cc bync-nd/3.0/de/ (http://www.bpb.de/system/files/pdf/634ZGY.pdf) Durch den Vertrag von Lissabon wurde die Europäische Union institutionell reformiert. Das Ziel des Vertrages ist es, die EU demokratischer, transparenter und effizienter zu machen. Der Vertrag ist seit dem 1. Dezember 2009 in Kraft. Schon vor der Erweiterung der Europäischen Union von 12 auf 15 Mitglieder Mitte der 1990er Jahre war klar, dass die EU sich einer institutionellen Reform unterziehen muss, um auch mit einer größeren Mitgliederzahl handlungsfähig zu bleiben. Da institutionelle Fragen jedoch Machtfragen sind, ist es weder durch den Vertrag von Amsterdam (1999 in Kraft getreten), noch durch den Vertrag von Nizza (seit 2003 gültig) gelungen, das Institutionengefüge der EU zu modernisieren. Ein weiterer Versuch, der Verfassungsvertrag, scheiterte im Jahr 2005 an negativen Referenden in den Niederlanden und in Frankreich. Der Lissabonner Vertrag ist nun der vierte Versuch, diese Aufgabe zu bewältigen. Auch bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 133 seine Ratifizierung gestaltete sich nicht einfach, vor allem nachdem die Iren in einem ersten Referendum 2008 den Vertrag abgelehnt hatten. 2009 stimmten sie in einer zweiten Volksabstimmung für den Vertrag, sodass der Vertrag in Kraft treten konnte. In Deutschland war der Lissabonner Vertrag Gegenstand mehrerer Verfassungsklagen, die im Juni 2009 vom Bundesverfassungsgericht entschieden wurden. Das höchste deutsche Gericht hat den Vertrag für verfassungsgemäß erklärt, gleichzeitig aber die Machtverteilung zwischen Bundestag und Bundesregierung kritisiert und mehr Mitsprache für das Parlament gefordert. Dem wurde durch eine Veränderung der Begleitgesetze zur Ratifizierung entsprochen. Durch den Lissabonner Vertrag vergrößert sich der Einfluss des Europäischen Parlaments, das (außer auf dem Feld der Außenpolitik) zu einem neben dem Rat der Europäischen Union gleichberechtigten Gesetzgeber wird (sog. Mitentscheidung). Auch die nationalen Parlamente erhalten mehr Einfluss. Sie werden früher über Vorschläge der Europäischen Kommission informiert und können diese schon während des Gesetzgebungsverfahrens zurückweisen, wenn sie den Grundsatz der Subsidiarität verletzt sehen. Entscheidungen im Rat der Europäischen Union werden ab 2014 bzw. nach dem Auslaufen von Übergangsregelungen ab 2017 mit doppelter Mehrheit getroffen. Das bedeutet, dass jede Entscheidung der Zustimmung einer Mehrheit der Staaten (55 Prozent) bedarf, die gleichzeitig eine Mehrheit der Bevölkerung von 65 Prozent repräsentieren müssen. Erstmals wird ein Europäisches Bürgerbegehren eingeführt, mit dem 1 Mio. Menschen aus verschiedenen Mitgliedstaaten die Europäische Kommission zwingen kann, sich mit einem Thema zu beschäftigen und einen Rechtsakt vorzuschlagen. Die Kompetenzen zwischen EU und Mitgliedstaaten werden klarer und nachvollziehbarer geteilt. Sitzungen des Rates der Europäischen Union werden öffentlich sein, wenn der Rat gesetzliche Regelungen beschließt. Die halbjährliche Rotation der Präsidentschaft wird auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs ("Europäischer Rat") sowie der Außenminister abgeschafft. Der Europäische Rat wählt für 2 ½ Jahre eine Präsidentin oder einen Präsidenten. Den Vorsitz im Außenministerrat führt der Hohe Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik, der zugleich Vizepräsident der Europäischen Kommission ist und über einen eigenen Europäischen Auswärtigen Dienst verfügt. Die Zahl der Politikbereiche, in denen die Mitglieder des Rates Mehrheitsentscheidungen treffen und nicht einstimmig entscheiden, wird ausgeweitet. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 134 Internet-Links und weiterführende Literatur Von Eckart D. Stratenschulte 20.10.2010 Hier finden Sie Internet-Links und weiterführende Literatur zum bpb-Dossier: Die Europäische Union: "Wie fing das an mit der EU?". Internet-Links europa.eu (Geschichtsseite des EU-Servers) (http://europa.eu/abc/history/index_de.htm) eiz-niedersachsen.de (Informationen des Europäischen Informationszentrums Niedersachsen, EIZ) (http://www.eiz-niedersachsen.de/799.html) zukunfteuropa.at (Internetseite des Österreichischen Bundeskanzleramtes) (http://www.zukunfteuropa. at/site/4664/default.aspx) Weiterführende Literatur Gerhard Brunn, Die Europäische Einigung von 1945 bis heute, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Band 472, Bonn 2006 bzw. in der 3.überarb. u. aktual. Auflage Stuttgart: Reclam Verlag 2009. Jürgen Elvert, Die europäische Integration, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006. Europäische Union, Informationen zur politischen Bildung, Heft 279, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2006. Kurt Gasteyger, Europa zwischen Spaltung und Einigung, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Band 485, überarb. Neuaufl. Bonn 2005. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 135 Wie geht es weiter mit der EU? 20.10.2010 Mit dem Lissabonner Vertrag ist die institutionelle Reform der Europäischen Union auf absehbare Zeit abgeschlossen. Die größte Herausforderung, vor der die Union steht, ist die Bewältigung der Finanzkrise durch die Mitgliedstaaten sowie die Abwehr der Gefahren für den Euro. In der Bevölkerung gibt es hohe Erwartungen an eine koordinierende und korrigierende Rolle der EU, andererseits aber auch Misstrauen gegen "zu viel Europa". Eine wichtige Aufgabe der EU wird sein, überzogene Erwartungen und zu großes Misstrauen zu dämpfen und die Zustimmung der Bürger zur europäischen Integration zu erhalten. Hierzu kann auch ein stärkeres gemeinsames Auftreten der EU und ihrer Mitgliedstaaten in internationalen Angelegenheiten beitragen. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 136 Überblick Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Um ihre Geschichte erfolgreich fortzusetzen, muss die Europäische Union ganz aktuelle Herausforderungen meistern. Sie muss unter anderem das funktionierende Zusammenspiel innerhalb der EU gewährleisten, die Eurokrise politisch und finanziell bewältigen, den Wohlstand und sozialen Schutz erhalten, aber auch die sogenannten Westbalkan-Länder integrieren. Die Europäische Union hat in den gut sechs Jahrzehnten ihrer Existenz viel erreicht. Sie ist zweifellos die Erfolgsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Im 21. Jahrhundert steht sie allerdings vor neuen Herausforderungen. Dabei handelt es sich um Aufgaben auf verschiedenen Feldern: • Es muss der EU gelingen, mit den neuen Strukturen des Lissabonner Vertrags zu arbeiten und das Zusammenspiel der derzeit 28 Mitgliedstaaten zu verbessern. Dazu gehört auch, das Vertrauen zueinander und die Verlässlichkeit untereinander im Hinblick auf gemeinsam getroffene Regelungen zu stärken. Gerade in der Eurokrise hat sich gezeigt, wie schnell längst überwunden geglaubte Vorurteile gegeneinander aktiviert werden können und wie sehr die Gemeinschaft darunter leidet, wenn die Partner sich nicht an die Absprachen halten. • Die gemeinsame Währung Euro, deren Währungsraum seit dem 1. Januar 2014 insgesamt 18 Mitgliedstaaten angehören, ist vor allem deshalb in Schwierigkeiten geraten, weil die meisten Mitglieder sich nicht an die gemeinsam vereinbarten Schuldenregeln gehalten haben. Die Sicherung des Euro und der Zusammenhalt des Euroraums bleibt daher eine große Herausforderung. • Die veränderte Situation der Weltwirtschaft - z.B. durch das Erstarken der asiatischen und südamerikanischen Volkswirtschaften - stellt neue Anforderungen an die EU, deren wirtschaftliche Bedeutung langfristig herausgefordert wird und deren Bevölkerung rasch altert. Es gibt zudem weltweit eine wesentlich stärkere Konkurrenz um die knapper werdenden Energieressourcen. Dennoch den Wohlstand und damit auch den sozialen Frieden zu erhalten, ist eine zentrale Aufgabe der EU. Sie hat sich dafür das Programm "Europa 2020" gegeben, dessen Umsetzung allerdings große Anstrengungen von allen Mitgliedstaaten verlangt. • Die Distanz, die große Teile der Bevölkerung in den Mitgliedsländern zur Europäischen Union haben und die durch die Turbulenzen um den Euro nicht gerade geringer geworden ist, könnte dazu führen, dass die EU die Akzeptanz ihrer eigenen Bevölkerung verliert. Zum ersten Mal wird in einem Mitgliedsland, nämlich in Großbritannien, ernsthaft über den Austritt aus der EU diskutiert. • Umweltverschmutzung und -zerstörung sind keine lokal eingrenzbaren Phänomene, sondern können nur in Kooperation der Weltgemeinschaft bekämpft werden, wie gerade beim Thema Klimawandel deutlich wird. Die EU muss hier ihre Vorreiterrolle zurückgewinnen, ohne ihre eigene wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit zu gefährden. Dabei muss sie auch ihre inneren Differenzen bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 137 bewältigen, um in den internationalen Foren mit einer Stimme sprechen zu können. • Es gibt eine Reihe von Kandidaten und Interessenten für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, die die EU auch im eigenen Interesse nicht einfach zurückweisen kann. Mit der Türkei wird seit 2005 um den Beitritt verhandelt, ohne dass es bislang zu einem Durchbruch gekommen ist. Es entsteht der Eindruck, dass beide Seiten keine wirkliche Bereitschaft mehr zeigen, aufeinander zuzugehen. Für die Befriedung des westlichen Balkans ist es wichtig, die Beitrittsperspektive, die 2013 für Kroatien eingelöste wurde, aufrecht zu erhalten. Auch für die Länder der östlichen Nachbarschaft muss die EU ein glaubwürdiges und attraktives Angebot entwickeln. Wie wichtig das ist, haben die Ereignisse Ende 2013/Anfang 2014 in der Ukraine gezeigt. • Terrorismus und Organisierte Kriminalität machen an Staatsgrenzen nicht halt und können nur gemeinsam bekämpft werden. • Die EU muss, auch vor dem Hintergrund ihrer eigenen demografischen Entwicklung, einen Weg finden, nicht nur legale Einwanderung zuzulassen, sondern gleichzeitig auch eine Willkommenskultur zu entwickeln, um für Immigranten attraktiv zu sein. Andererseits muss sie sich bemühen, die irreguläre Immigration einzuschränken, was nicht nur mit Drahtzäunen und Patrouillenbooten, sondern nur durch eine weitsichtige Politik gegenüber den Herkunftsländern möglich sein wird. • Die EU ist als eine der größten Handelsmächte der Welt gemeinsam mit den Mitgliedstaaten auch größter Geber von Entwicklungshilfe in der Welt und muss daher eine stärkere Rolle in der internationalen Politik spielen. Zu diesem Zweck muss sie ihre eigenen Instrumentarien effektiver gestalten. Der Lissabonner Vertrag schafft hierfür einige Voraussetzungen, die allerdings auch realisiert werden müssen. Das bedeutet: Das außenpolitische Auftreten der Europäischen Union muss verbessert und der Europäische Auswärtige Dienst funktionsfähiger werden. Beides wird nur gelingen, wenn die Mitgliedstaaten sich bemühen, mit einer Stimme zu sprechen. • Während sich die Themen hier einzeln auflisten und darstellen lassen, hängen sie in der tatsächlichen Politik eng miteinander zusammen. Scheitert die EU daran, Wohlstand und sozialen Schutz zu erhalten, wirkt sich das auf die Einstellung der Bevölkerung aus. Genau dasselbe kann passieren, wenn die EU keine politischen Ergebnisse vorlegen kann, weil das interne Zusammenspiel nicht funktioniert. Die Nachbarländer, um deren Annäherung an die EU gerungen und gestritten wird, sind gleichzeitig wichtige Energielieferanten oder zumindest Energietransitländer. Wenn es zudem nicht gelingt, die sogenannten Westbalkan-Länder zu stabilisieren und zu integrieren, kann das unmittelbare Auswirkungen auf Deutschland und andere EU-Staaten haben, z.B. im Hinblick auf die Sicherheit oder die Sozialsysteme. Die Europäische Union kann also keinen der genannten Punkte aus dem Blick verlieren oder "nach hinten schieben ", da damit das gesamte System in Mitleidenschaft gezogen würde. Um die einzelnen Aspekte besser betrachten zu können, sollen sie nachfolgend dennoch getrennt dargestellt werden. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 138 Die Akzeptanz der Bevölkerung Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Die größte Gefahr für die Europäische Union besteht darin, dass sie die Akzeptanz ihrer Bürgerinnen und Bürger verliert – und die Stimmung ist schlecht. Aber anders als Rechtspopulisten die Öffentlichkeit gerne glauben machen wollen, wünscht die Mehrheit der Menschen in der EU nicht einen Weg zurück in nationalstaatliche Lösungen. Vor dem griechischen Parlament protestieren am 12. Februar 2012 Demonstranten. (© picture-alliance, abaca) Regelmäßig zweimal im Jahr lässt die Europäische Kommission die Meinung der Bürgerinnen und Bürger in der EU in einer breiten Meinungsumfrage ("Eurobarometer“) erheben. Hier zeigt sich ein widersprüchliches Bild. Auf der einen Seite war das Vertrauen in die europäischen Institutionen nie so gering wie zum Zeitpunkt der letzten Umfrage im Dezember 2013 (http://ec.europa.eu/public_opinion/ archives/eb/eb80/eb80_first_de.pdf): Nur 31 Prozent der Befragten erklärten, dass sie den EUInstitutionen noch Vertrauen entgegen bringen. Auf der anderen Seite ist das Vertrauen in die Institutionen der EU höher als in die nationalen Regierungen und Parlamente. Die Menschen in der EU stehen also derzeit generell den handelnden Institutionen der Politik skeptisch gegenüber. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 139 Bürger wünschen europäische Lösungen Generell schauen die Menschen in der EU mit Sorge in die Zukunft. Als Hauptprobleme sehen sie die wirtschaftliche Lage (45 Prozent geben dies an), die Arbeitslosigkeit (36 Prozent) und die Lage der öffentlichen Finanzen (26 Prozent), gefolgt von Einwanderung (16 Prozent), steigenden Preisen (12 Prozent) und Kriminalität (8 Prozent). Jeweils fast ein Drittel der Befragten gibt an, dass sich die wirtschaftliche Lage ihres Landes sowie der EU insgesamt in den nächsten zwölf Monaten verschlechtern wird (30 bzw. 27 Prozent), auch wenn sie ihre persönlichen Perspektiven positiver sehen. Änderungen zum Besseren können nach Auffassung der Befragten von der EU (22 Prozent) oder vom eigenen Staat (ebenfalls 22 Prozent) kommen. An der EU sehen die Menschen vor allem die Freizügigkeit (57 Prozent) und den Frieden zwischen den Mitgliedstaaten (53 Prozent) als positive Errungenschaften, gefolgt vom Euro (25 Prozent), dem Studentenaustauschprogramm "Erasmus“ (23 Prozent) und der Wirtschaftskraft der EU (20 Prozent). Fragt man nach der Politik der EU im Rahmen des Programms "Europa 2020“, mit dem die europäische Wettbewerbsfähigkeit erhöht werden soll, sind die Antworten positiv. Alle sieben Initiativen dieses Programms erhalten die Zustimmung von mindestens 50 Prozent der Befragten. Spitzenreiter mit 81 Prozent Zustimmung ist die Zielsetzung "Unterstützung von Menschen, die von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen sind, und ihnen die Möglichkeit geben, aktiv an der Gesellschaft teilzuhaben“. Eine Mehrheit der EU-Bürger (52 Prozent) befürwortet die Wirtschafts- und Währungsunion mit der gemeinsamen Währung Euro (in Deutschland sind das sogar 71 Prozent), und 43 Prozent sind der Auffassung, dass die EU sich in die richtige Richtung entwickelt – während 29 Prozent gegenteiliger Ansicht sind. 59 Prozent der Befragten fühlen sich als EU-Bürger, 40 Prozent tun das eher nicht oder gar nicht. In Deutschland fühlen sich 73 Prozent der Menschen als EU-Bürger. Insgesamt 51 Prozent der befragten EU-Bürger (und 60 Prozent der Deutschen) sehen die Zukunft der EU positiv. Die Zahlen zeigen eine solide Grundlage für die EU und ihre Politik. Dennoch ist das Bild, das die Bürger von der EU haben, nicht ungetrübt. Der Umfrage zufolge haben derzeit nur 31 Prozent der Befragten ein positives Bild von der EU, während 28 Prozent sie negativ sehen (und 39 Prozent sagen: " weder positiv noch negativ“). Die Diskrepanz lässt sich damit erklären, dass viele Menschen mit der gegenwärtigen Situation hadern. 49 Prozent der Befragten, geben einer einige Monate zuvor erhobenen Eurobarometer-Umfrage (http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/eb/eb79/eb79_en. htm) zufolge an, die Dinge in der EU entwickelten sich in die falsche Richtung. Gleichzeitig sagen das aber für ihr eigenes Land sogar 56 Prozent. Es sind auch 56 Prozent die denken, dass ihr Land die Zukunft besser innerhalb der EU meistern könne (Deutschland: 62 Prozent), aber nur 41 Prozent meinen, die EU helfe ihnen, sich gegen die negativen Folgen der Globalisierung zu wappnen. Die Widersprüche, die sich aus der Vielzahl von Angaben und Zahlen ergeben, lösen sich auf, wenn man andere Antworten hinzu nimmt. Vielen Menschen geht die Entwicklung hin zu mehr europäischer Integration zu langsam, sie bleibt deutlich hinter ihren Erwartungen zurück. Die Umfrage hat für Erwartungen und für die Realität jeweils sieben Stufen angegeben, zwischen denen die Befragten sich entscheiden konnten, von 1 für Stillstand bis 7 für sehr schnelles Tempo. Die Bürgerinnen und Bürger bewerteten die tatsächliche Entwicklung mit 3,2, wünschten sich aber 5. Viel Kritik an der EU speist sich also nicht aus der Angst, dass es zu viel Integration gebe, sondern aus dem Ärger, dass es zu langsam gehe und damit die EU ihre Aufgaben, gerade in der Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht erfüllen könne. Hinzu kommt, dass zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger der Auffassung sind, ihre Stimme zähle nicht in der EU. Auch 54 Prozent der Deutschen empfinden so. Das Fazit, das man für die EU aus diesen Umfragen ziehen kann, lautet: Die EU muss effektiver und schneller handeln und dabei die Bürgerinnen und Bürger stärker einbeziehen. Das hatte sie schon 2001 ins Auge gefasst, als die Staats- und Regierungschefs der EU in Laeken (Belgien) beschlossen, die EU müsse demokratischer, transparenter und effizienter werden. 46 Prozent der Europäer und übrigens auch 46 Prozent der Deutschen waren auch 2013 mit dem Funktionieren der Demokratie in bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 140 der EU nicht zufrieden. Das geringe Vertrauen, das die Menschen derzeit zur Europäischen Union haben, ist wohl eher enttäuschte Liebe als Abneigung. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 141 Die Sicherung des Wohlstands Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Immer mehr Europäer fürchten um ihre soziale Existenz. Zwar sind die Kompetenzen der EU eingeschränkt, aber sie kann dennoch einen Beitrag gegen die Armut leisten. Denn gerade im Bereich des Arbeitsrechts hat sie eine Reihe verbindlicher Standards gesetzt. Die Eurokrise gefährdet den Wohlstand in der EU, beispielsweise in Griechenland. (© picture-alliance/dpa) Nicht zuletzt wird die EU daran gemessen, inwieweit es möglich ist, die sozialen Standards in Europa zu erhalten und auszubauen. Nach einer langen Phase des Wohlstands fürchten immer mehr Menschen in Europa um ihre Existenzgrundlage. Die Globalisierung erleichtert es uns, Güter, Dienstleistungen und Kapital mit anderen Ländern zu handeln. Aber sie setzt uns auch der weltweiten Konkurrenz aus. Die Zeiten beispielsweise, in denen man nur in den USA und in Europa gute Autos bauen konnte, sind lange vorbei. Die Konkurrenz kommt heute auch aus Japan und Korea, morgen aus Indien und aus China - genau wie bei Unterhaltungselektronik oder Textilien. So schön das für Konsumenten ist, die eine größere Auswahl zu niedrigeren Preisen bekommen, so schwierig ist es für die Produzenten, die unter einem bislang ungekannten Kostendruck stehen. Die Europäische Union kann weder den Unternehmen noch den einzelnen Beschäftigten die Sorgen nehmen. Sie kann allerdings dafür sorgen, dass es innerhalb der Europäischen Union keinen unfairen Unterbietungswettbewerb gibt und sie kann im internationalen Kontext eine Stimme erheben, die bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 142 wesentlich lauter ist als die eines einzelnen Nationalstaats. Der Binnenmarkt der Europäischen Union mit seinen über 500 Millionen Konsumenten ist nach wie vor der kaufkräftigste und damit der größte der Welt. Während Standorte innerhalb der Europäischen Union miteinander konkurrieren, findet der tatsächliche Wettbewerb zwischen Europa und anderen Teilen der Welt statt. Dadurch wird wirtschaftliche Fairness innerhalb der EU nicht überflüssig. Mit ihrer Politik des freien Wettbewerbs hält die EU europäische Unternehmen auch im Weltmaßstab fit, da diese sich nicht mehr auf den Wettbewerb verzerrende staatliche Subventionen verlassen können. Die Europäische Union hat im Bereich des Arbeitsrechts eine Reihe von Standards gesetzt, die in der EU nicht unterschritten werden dürfen. Damit leistet sie einen Beitrag gegen die Armut, in die immer mehr Menschen in Europa abrutschen. Dass diese Entwicklung sich dennoch vollzieht, spricht nicht gegen die Mindeststandards der EU, sondern dafür, diese auszuweiten und weiterzuentwickeln. Allerdings ist diese Meinung nicht unumstritten. Gerade aus Großbritannien kommen Forderungen, die EU solle sich nicht in Arbeitsrecht und Sozialstandards einmischen, sondern jedem Land selbst überlassen, wie es auf wirtschaftliche Herausforderungen reagiert. "Europa 2020" Ein wichtiger Beitrag zur Zukunftssicherung der EU ist die Strategie "Europa 2020". Sie ist die Nachfolgerin der sogenannten Lissabon-Strategie, mit der die EU bis 2010 zum weltweit dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum gemacht werden sollte. Dieses Ziel hat die Union nicht erreicht. "Europa 2020" ist nun der Versuch, diesem Ziel im zweiten Anlauf bis 2020 näher zu kommen. Allerdings sind die Ansprüche deutlich bescheidener geworden: Die EU möchte - laut einem Beschluss des Europäischen Rats vom Juni 2010 auf der Basis des von der Europäischen Kommission entworfenen Strategiepapiers - fünf Kernziele erreichen. Die Beschäftigungsquote der 20- bis 64-Jährigen soll auf 74 Prozent steigen, drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden, die Treibhausgase sollen (gegenüber 1990) um 20 Prozent gesenkt und der Anteil der erneuerbaren Energie soll auf 20 Prozent gesteigert werden, bei gleichzeitiger Energieeinsparung von 20 Prozent (diese Ziele sind allerdings 2007 schon einmal beschlossen worden). Zudem soll das Bildungsniveau gesteigert werden, nicht zuletzt dadurch, dass die Quote der Schulabbrecher auf unter zehn Prozent gesenkt und die der Hochschulabsolventen auf 40 Prozent erhöht wird. Und die Armut innerhalb der Union soll durch soziale Eingliederung so bekämpft werden, dass 20 Millionen Menschen vor der Ausgrenzung durch Armut bewahrt werden. Die Schwierigkeit bei der Umsetzung dieser Vorgaben liegt darin, dass ein Großteil der vorgesehenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten verwirklicht werden muss, da die EU selbst dazu weder die Kompetenzen noch die Mittel hat. Nur wenn jedes einzelne EU-Land seine Hausaufgaben erledigt, kann die EU ihre Ziele erreichen. Zusätzlicher Druck auf die Mitgliedstaaten entsteht durch die Situation im Euroraum. Die Verschuldung einiger Eurostaaten ist ja nur ein Teil des Problems, dessen andere Seite die ungleiche Wettbewerbsfähigkeit der Euroländer ist. Allerdings ist ein wirtschaftlicher Umbau besonders schwer, wenn gleichzeitig Schulden reduziert werden müssen, das heißt, der öffentlichen Hand weniger Geld zur Verfügung steht. Die Europäische Union hat daher in der neuen Finanzperiode 2014 bis 2020 die wirtschaftliche Strukturpolitik, für die in diesem Zeitraum immerhin 450 Milliarden Euro bereitgestellt werden, konsequent unter die Schwerpunkte der Strategie "Europa 2020" gestellt. Die wichtigste Aufgabe der EU im 20. Jahrhunderts war die Sicherung des Friedens, die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts dürfte die Erhaltung des sozialen Friedens sein. Daran wird die EU von ihren Bürgerinnen und Bürgern gemessen werden. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) bpb.de 143 Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 144 Bewältigung der Eurokrise Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Die Krise im Euroraum fordert die Europäische Union insgesamt und die Eurostaaten in besonderem Maße heraus. Es geht darum, Verschuldung abzubauen, Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und vor allem Vertrauen wieder herzustellen. Eigentlich ist die Krise im Euroraum keine "Eurokrise". Der Euro, die gemeinsame Währung, ist nach innen und außen stabil, das heißt, die Inflationsrate ist niedrig und der Wechselkurs zu anderen Währungen wie dem US-Dollar schwankt wenig. Die Krise ist die der Eurostaaten, die sich zum Teil zu sehr hoch verschuldet haben und nicht hinreichend auf ihre Wettbewerbsfähigkeit geachtet haben. Dadurch haben sie auf den internationalen Finanzmärkten Vertrauen verspielt. Da alle Eurostaaten verschuldet sind und viele dieser Schulden für kurze Zeiträume aufgenommen wurden und werden, wirkt sich ein sinkendes Vertrauen sofort auf die Zinsen aus, die als Risikozuschlag erhöht werden. Damit verschlechtert sich aber die Lage des Schuldners weiter. Das Wichtigste für die Eurozone und auch für die EU ist daher, das Vertrauen wieder herzustellen. Allerdings ist das auch bei den EU-Partnern untereinander sehr eingeschränkt. Schließlich haben fast alle Staaten schon einmal gegen die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts verstoßen, den sie 1997 selbst geschlossen hatten. Hätten sich alle an diese Vereinbarung gehalten, hätte es eine Krise dieser Art wohl nie gegeben. Das Vertrauen wird allerdings nur zurückgewonnen werden können, wenn klar erkennbar ist, dass die Länder der Europäischen Union umsteuern. Neue Kontrollmechanismen in der EU 25 EU-Länder haben daher mit dem Fiskalpakt verbindlich vereinbart, ab dem Jahr 2013 ihre Schulden spürbar zu reduzieren und eine entsprechende Vorschrift auch in die nationale Verfassung oder ein anderes Gesetz aufzunehmen. In Deutschland gibt es mittlerweile die "Schuldenbremse" im Grundgesetz (Art. 109 Abs. 3 GG). Großbritannien und Tschechien wollten bei dieser Regelung jedoch nicht mitmachen, weswegen sie als völkerrechtlicher Vertrag der teilnehmenden Staaten außerhalb des Rechtsrahmens der EU geschlossen werden musste. Um Gefährdungen für die wirtschaftliche Entwicklung oder für den nationalen Haushalt frühzeitig zu erkennen, wurde ein sogenanntes Europäisches Semester beschlossen. Das ist eine Kontrollphase für die nationalen Haushaltsentwürfe, die jetzt vor der Beschlussfassung durch das Parlament des Mitgliedstaats von der Europäischen Kommission überprüft und kommentiert werden. Zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit wurde der Euro-Plus-Pakt geschlossen, in dem die Staatsund Regierungschefs (wiederum ohne Großbritannien und Tschechien, aber auch ohne Ungarn und Schweden) sich zu konkreten Reformen in ihren Staaten verpflichten. Dem Programm "Europa 2020" wird im Zusammenhang mit der Eurokrise ebenfalls Bedeutung zugemessen. Für die Banken will man das Risiko bei Spekulationen erhöhen, indem man die 200 wichtigsten Banken einer europäischen Kontrolle unterwirft und sie zwingt, die Eigenkapitalquote zu erhöhen. Außerdem sollen in Zukunft bei dem Zusammenbruch einer Bank zuerst deren Eigner und Anleger haften und nur zum Schluss die europäischen Steuerzahler. Zudem sollen die Banken einen eigenen bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 145 Sicherungsfonds aufbauen, durch den Pleiten abgefedert werden können. Das Ganze nennt sich "Bankenunion" und befindet sich derzeit noch im Entscheidungsprozess. Es geschieht also einiges auf europäischer Ebene, um der Krise zu begegnen. Funktionieren wird dies jedoch nur, wenn der Wille da ist, die Regeln wirklich einzuhalten und entsprechende Maßnahmen umzusetzen. In der Vergangenheit hatte die EU kein Defizit an Vorgaben, sondern eines an Vertragstreue. Es ist in der EU wie in jeder Gemeinschaft: Gesetze oder Statuten regeln das Zusammenleben, aber der Wille, überhaupt zusammen leben zu wollen, ist die Basis und kann durch konkrete Vorgaben nicht ersetzt werden. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 146 Erhaltung der Umwelt Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Durch EU-Regelungen im Bereich des Umweltschutzes hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Der Ausstoß von CO2 bedroht das Weltklima aber noch immer erheblich. Bis 2020 will die EU ihren CO2-Ausstoß sogar um 30 Prozent reduzieren – wenn die anderen mitmachen. Energielabel - eine Maßnahme zur Verringerung des Energieverbrauchs. (© picture-alliance/dpa) Umweltschutz ist ein der Europäischen Union von großer Bedeutung. In den letzten Jahren hat sich durch Regelungen der EU bei Luft- und der Gewässerreinhaltung, beim Lärmschutz und der Müllentsorgung viel getan. Dennoch ist die Umwelt stark gefährdet, und zwar in einer Weise, die selbst durch einen Staatenverbund wie die EU alleine nicht bewältigt werden kann. Am deutlichsten wird dies bei der Gefährdung des Weltklimas durch den Ausstoß von sogenannten Treibhausgasen (vor allem Kohlenstoffdioxid, CO2). Dass das Klima sich über die natürliche Entwicklung hinaus verändert, ist nicht mehr zu verhindern. Jetzt geht es darum, den weltweiten Temperaturanstieg zu begrenzen, um die Auswirkungen möglichst gering zu halten, wie etwa noch größere Zerstörungen durch Dürren, Stürme oder Sturmfluten. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 147 Die EU als Vorreiter: 3 x 20 Die EU sieht ihre Aufgabe darin, beim Klimaschutz voranzugehen, muss jedoch gleichzeitig dafür Sorge tragen, dass andere Länder mit einem großen Kohlendioxid-Ausstoß wie die USA, China, Indien oder Russland mitziehen. Das gilt auch für Brasilien, dessen CO2-Ausstoß zu einem erheblichen Teil auf Brandrodungen zurückzuführen ist, die gleichzeitig für das Klima wertvollen Regenwald vernichten. Im Jahr 2007 hat die EU unter deutscher Präsidentschaft einen »weitreichenden Beschluss« gefasst, den man mit "3 x 20" zusammenfassen kann: Bis zum Jahr 2020 soll der CO2-Ausstoß um 20 Prozent verringert, der Energieverbrauch um 20 Prozent gesenkt und der Anteil der erneuerbaren Energien am EU-Energiemix auf 20 Prozent erhöht werden. Wenn andere große Staaten mitmachen, will die EU ihren CO2-Ausstoß bis 2020 sogar um 30 Prozent reduzieren. Die EU ist auf guten Wege, das 20Prozent-Ziel zu erreichen. Dies wird allerdings von Kritikern als nicht ambitioniert genug angesehen. Ein Versuch, weitergehende Ziele zu beschließen, ist 2012 am Widerstand Polens gescheitert, das auf seine Kohleressourcen zurückgreifen will. Bei schärferen Vorgaben für den CO2-Ausstoß von Kraftfahrzeugen war es hingegen die deutsche Bundesregierung, die auf die Bremse trat, um die heimische Kfz-Industrie, die vor allem große Pkw herstellt, nicht einzuschränken. So wurde ein Beschluss über schärfere Grenzwerte durch Deutschland blockiert und konnte nicht in Kraft treten. Weltweit hat die Finanz- und Wirtschaftskrise die Bestrebungen der CO2-Reduktionen beeinflusst. Zum einen sind die Emissionen wegen der geringeren Produktion zumindest vorübergehend zurück gegangen, zum anderen lassen die Bestrebungen nach, den Klimaschutz als Priorität anzusehen, die man lieber einer verstärkten Produktion und der Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen zuweisen möchte. Entsprechend gering waren die Ergebnisse einer UN-Klimakonferenz, die Ende 2013 in Warschau stattfand und einen Weltklimavertrag in der Nachfolge der Kyoto-Vereinbarung vorbereiten sollte. Anfang 2014 wurden Pläne der EU-Kommission bekannt, die eigenen Klimaziele bis 2030 zurückzustellen. Die Vorgaben der Kommission wurden daraufhin als „zu schwach“ kritisiert unter anderem auch von EU-Mitgliedstaaten wie Deutschland und Frankreich. Bislang hat sich die EU nicht auf eine neuen Fahrplan beim Klimaschutz geeinigt. Emissionshandel Das wichtigste Instrument der EU im Kampf gegen den Klimawandel ist der Emissionshandel. Dieses Instrument wurde 2005 beschlossen und regelt, dass es nur ein bestimmtes Maß an Luftverschmutzung geben darf und die Länder dafür Rechte an Unternehmen vergeben können. Die Länder können mit ihren Emissionsberechtigungen bis zu einer festgelegten Höchstmenge handeln. Das bedeutet: Wer weniger Schmutz macht und weniger CO2 ausstößt, kann daran etwas verdienen. Wer mehr CO2 ausstoßen will, muss dieses Recht zusätzlich erwerben. Über 10.000 Anlagen aus Industrie und Energieerzeugung sind in diesem System erfasst, dem auch Norwegen, Island und Liechtenstein angehören. Kritiker bemängeln, dass nur Teile der Wirtschaft in den Emissionshandel einbezogen sind und dass Firmen sich, statt zu Hause Maßnahmen zum Klimaschutz durchzuführen, im Ausland das Recht auf weitere Verschmutzung erwerben können. Die Befürworter weisen darauf hin, dass die EU das System auf weitere Treibhausgase wie Stickoxide (Düngemittel) und perfluorierte Kohlenwasserstoffe (Aluminiumherstellung) sowie auf alle industriellen Großemittenten wie Kraftwerke ausgedehnt hat und dass es das wirkungsvollste Mittel zum Klimaschutz sei. Das System soll in den nächsten Jahren weiter ausgebaut werden. Allerdings werden die Emissionszertifikate derzeit so niedrig gehandelt, dass davon kein hinreichender Ansporn ausgeht, Energie einzusparen. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 148 Verbot von "Energiefressern" Eine Maßnahme zur Verringerung des Energieverbrauchs ist auch das Verbot von Produkten, deren Umgang mit Energie wenig effizient ist. Bekanntestes Beispiel ist das schrittweise Verbot von herkömmlichen Glühbirnen, das die Europäische Kommission 2009 erlassen hat. In der Öffentlichkeit hat dies breite Diskussionen ausgelöst, allerdings weniger über den Klimaschutz, sondern darüber, ob "Brüssel" zu viel Macht über die Bürger habe. Viele Bürger haben Glühbirnen regelrecht gehortet, um sie nach dem Verkaufsstopp weiterhin verwenden zu können. Die Europäische Kommission verspricht sich von der Umstellung auf energieeffizientere Leuchtkörper bis 2020 eine Energieeinsparung in der Größenordnung von knapp 80 TWh (Terawattstunden, das sind 80 Mrd. Kilowattstunden), was der jährlichen Leistung von 20 500-Megawatt-Kraftwerken oder dem jährlichen Stromverbrauch von Belgien entspricht. Darüber, wie umweltfreundlich die Energiesparbirnen sind, die jetzt zum Einsatz kommen, wird heftig gestritten. Das Glühbirnenverbot gilt Kritikern als abschreckendes Beispiel für die fehlende Einbeziehung der Öffentlichkeit in die Umweltpolitik der EU. Dennoch beschreitet die EU-Kommission mit dem Verbot von Staubsaugern mit hohem Stromverbrauch einen ähnlichen Weg: Im Juli 2013 legte sie eine Verordnung vor, die neben einem Energielabel für Staubsauger auch Regelungen für deren maximalen Stromverbrauch einführt. Ab September 2014 dürfen sie nur noch eine maximale Nennleistungsaufnahme von 1.600 Watt haben, ab September 2017 sinkt dieser Wert sogar auf 900 Watt. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 149 Künftige Erweiterungen und Verhältnis zu den Nachbarn Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Der Erweiterungsprozess der Europäischen Union ist noch nicht abgeschlossen. In den vergangenen 20 Jahren wuchs sie von 12 auf 28 Mitgliedstaaten. Die politischen Herausforderungen liegen vor allem im Verhältnis zu den östlichen Nachbarn der Union. 2005 wurde Mazedonien der Status des Beitrittskandidaten verliehen. (© picture-alliance/AP) Seit 1. Juli 2013 gehört Kroatien zur Europäischen Union. Das Land ist damit der 28. Mitgliedstaat der EU. In Zukunft könnte sie noch weiter wachsen: Es gibt weitere Interessenten für die EU-Mitgliedschaft, die man wie folgt unterscheiden kann: • Kandidaten, mit denen über die Mitgliedschaft verhandelt wird • Kandidaten, mit denen noch nicht über die Mitgliedschaft verhandelt wird • potenzielle Kandidaten • Länder mit europäischer Perspektive bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 150 Island und Türkei Seit dem Jahr 2005 finden Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei statt. Zwar hat man dem Land am Bosporus die Mitgliedschaft in Aussicht gestellt, aber diese Festlegung ist in der EU nicht unumstritten. Auch die deutsche Bundeskanzlerin machte bei einem Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten im Februar 2014 keinen Hehl daraus, dass sie einer türkischen EU-Mitgliedschaft derzeit skeptisch gegenüber steht. Mit der Türkei wird also nicht verhandelt, wie und wann sie Mitglied wird, sondern ob das überhaupt geschehen soll. Für beide Positionen gibt es eine große Zahl von Argumenten, die in den letzten Jahren intensiv ausgetauscht worden sind. Während die einen sagen, die Türkei sei zu groß, zu arm und zu "anders" oder kulturell zu verschieden, verweisen die anderen auf die positiven Aspekte einer türkischen Mitgliedschaft, die sie in einer jungen Bevölkerung, einer dynamischen Wirtschaft und einer Stabilisierungsfunktion im Mittleren Osten sehen. Die Gespräche werden auch dadurch erschwert, dass die Türkei sich weigert, das EU-Mitglied Zypern anzuerkennen und ihm dieselben Rechte wie den anderen EU-Staaten (beispielsweise beim Zugang zu ihren Häfen) zu gewähren - der Nordteil der Mittelmeerinsel wird noch immer von der Türkei kontrolliert. Die EU hat daraufhin beschlossen, die Verhandlungen mit der Türkei über eine Reihe von Kapiteln des Gemeinschaftsrechts zu stoppen oder gar nicht zu beginnen. Vom Süden in den Norden: Island, ein Staat im europäischen Nordmeer, hatte 2009 seine Aufnahme in die EU beantragt, nachdem er knapp an einem Bankrott vorbeigeschrammt war. Da Island bereits Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums und damit im Wesentlichen Teil des EU-Binnenmarktes ist und auch die Schengen-Regelungen bereits übernommen hat, galt es als gut vorbereitet, gerade bei Themen, die bei anderen Kandidaten schwierig sind wie Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung und gute Regierungsführung. Allerdings hat die 2013 neu gewählte isländische Regierung die Verhandlungen mit der EU auf Eis gelegt. Im Februar 2014 brachte die Regierung einen Gesetzesentwurf im isländischen Parlament ein, demzufolge die Verhandlungen endgültig abgebrochen werden sollen. Ob sie dann vielleicht nach einem erneuten Regierungswechsel noch einmal aufgenommen werden, wie das mit Malta der Fall war, oder ob diese Entscheidung endgültig ist, ist nicht abzusehen. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 151 Der serbische Ministerpräsident Ivica Dacic und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Seit Januar 2014 verhandelt Serbien mit der EU über die Mitgliedschaft. (© picture-alliance/dpa) Mazedonien, Montenegro und Serbien Ein weiterer Kandidat für die EU-Mitgliedschaft ist die Republik Mazedonien. 2005 wurde dem Land der Status des Kandidaten verliehen, allerdings ist es bislang nicht zu Beitrittsgesprächen eingeladen worden. Ein bilateraler Streit mit Griechenland lähmt den Fortgang der Ereignisse. Griechenland bestreitet dem Nachbarn im Norden das Recht, den gewählten und in der Verfassung festgelegten Staatsnamen zu führen, weil Mazedonien eine größere Region sei, die auch griechische und bulgarische Teile umfasse. Der Namensstreit hat auch dazu geführt, dass Mazedonien anders als Kroatien und Albanien 2009 nicht in die NATO aufgenommen werden konnte. Montenegro, ebenfalls ein Teil des früheren Jugoslawien, erhielt 2010 den Status eines Kandidaten für die EU-Mitgliedschaft und steht seit 2012 in Verhandlungen. Ebenfalls im Jahr 2012 hat Serbien den Kandidatenstatus erhalten. Die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen hatte die EU an die Bedingung geknüpft, das Verhältnis zu Kosovo zu normalisieren. Das sah die Union nach einem serbisch-kosovarischen Abkommen 2013 als gegeben an. Seit Januar 2014 verhandelt Serbien nun mit der EU über seine Mitgliedschaft. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 152 Albanien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo Als potenzielle Kandidaten bezeichnet die EU die Länder des westlichen Balkans, die noch keinen Kandidatenstatus haben, also Albanien und Bosnien-Herzegowina. In dieselbe Logik gehört auch Kosovo, das allerdings von fünf EU-Staaten bislang nicht völkerrechtlich als souveräner Staat anerkannt worden ist. Den Ländern des westlichen Balkans wurde 2003 der Status als "potenzielle Beitrittskandidaten" bestätigt, was allerdings an einen langwierigen Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess gekoppelt ist. Erst wenn die Länder hier Erfolge vorweisen können, ist es möglich, sie zu Kandidaten zu ernennen und bei weiteren Fortschritten auch die Verhandlungen zu beginnen. Albanien wurde der Kandidatenstatus für Juni 2014 in Aussicht gestellt, für Bosnien-Herzegowina steht noch kein Termin fest. Mit Kosovo ist die Vereinbarung eines Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens in Vorbereitung. Die Länder der "Östlichen Partnerschaft": Ukraine, Republik Moldau, Georgien, Belarus, Armenien und Aserbaidschan Neben den Kandidaten und potenziellen Kandidaten gibt es weitere Länder, die die Mitgliedschaft in der EU anstreben. Hierbei handelt es sich gegenwärtig um die Ukraine, die Republik Moldau und Georgien. Mit der Ukraine, dem größten Land der sogenannten Östlichen Partnerschaft der EU, war ein Assoziierungsabkommen, das auch ein weitreichendes Freihandelsabkommen beinhaltet, bereits ausgehandelt. Kurz vor einer möglichen Unterzeichnung auf dem Gipfeltreffen in Vilnius Ende November 2013 zog der ukrainische Präsident jedoch seine Bereitschaft zur Unterschrift zurück. In Folge dieser Entscheidung hat sich in der Ukraine eine breite Protestbewegung formiert, die nach einer gewaltsamen Eskalation den Rücktritt des Präsidenten und einen Regierungswechsel sowie Neuwahlen für das Parlament und das Präsidentenamt bewirkt hat. Das Land ist tief gespalten und auf massive wirtschaftliche Unterstützung angewiesen. Während die Übergangsregierung und ihre Unterstützer jetzt wieder verstärkt in Richtung EU schauen, hoffen andere auf eine stärkere Anbindung an Russland. Die ukrainische Übergangsregierung unterzeichnete mit der EU im März 2014 den politischen Teil des Assoziierungsabkommens. Auch Georgien und die Republik Moldau befinden sich in einer schwierigen und instabilen politischen und wirtschaftlichen Situation. Gerade das macht es aber der EU unmöglich, sie und ihre Wünsche einfach zu ignorieren. Georgien ist wie die Ukraine zudem ein wichtiges Transitländer für Öl und Gas. Schon aus diesem Grund hat die EU ein starkes Interesse daran, dass diese Staaten stabil und dem Westen zugewandt bleiben. Auch Armenien hat das ebenfalls fertig ausgehandelte Assoziierungsabkommen in letzter Minute zurückgewiesen. Der armenische Präsident erklärte im September 2013, man werde sich stattdessen Russland zuwenden, Mitglied der russisch dominierten Zollunion (mit Belarus und Kasachstan, perspektivisch auch mit Kirgisistan und Tadschikistan) werden und wolle Teil der Eurasischen Union sein, die Russland 2015 gründen will. Die Europäische Nachbarschaftspolitik, die die EU für die sechs genannten Länder seit 2004 entwickelt und durchgeführt hat und die sie seit 2009 als Östliche Partnerschaft verstärken will, steht also vor neuen Herausforderungen, zumal es nicht gelungen ist, Aserbaidschan und Belarus in den Prozess einzubeziehen. Der EU wird es nur gelingen, ihren Einfluss zu erhalten und zu verstärken, wenn sie sich mit mehr Engagement als bisher diesen Partnerländern zuwendet. Die Europäische Nachbarschaftspolitik richtet sich neben den östlichen Partnerländern gleichermaßen an zehn Staaten im südlichen Mittelmeerraum. Auch hier sind die Ergebnisse überschaubar. Eine auf bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 153 französische Initiative hin 2008 ins Leben gerufene Union für die Mittelmeerstaaten hat es bislang nicht vermocht, Gemeinsamkeiten zu entwickeln und Akzente für die Region zu setzen. Zwar gab es mit dem "Arabischen Frühling", der 2011 von Tunesien ausging, einen Aufbruch in Nordafrika, der allerdings nicht die Folge einer zielgerichteten EU-Politik war, sondern vielmehr die Akteure der Europäischen Union, die beste Beziehungen zu den Diktatoren und Machthabern der Region pflegten, überrascht hat. Schwarzmeersynergie und Zentralasienstrategie Auch über die Europäische Nachbarschaftspolitik und die Östliche Partnerschaft hinaus bemüht sich die EU, die Region im Osten und Südosten Europas zu stabilisieren. Seit 2007 verfolgt sie eine "Schwarzmeersynergie (http://ec.europa.eu/world/enp/pdf/com07_160_de.pdf)" genannte Politik, die auf eine Intensivierung der Kooperation im Schwarzmeerraum zielt. Aus demselben Jahr stammt die Zentralasienstrategie (http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Europa/Aussenpolitik/Regionalabkommen/ Zentralasien_node.html), deren Ziel es ist, die fünf zentralasiatischen Staaten Kasachstan (http://www. auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Kasachstan_node. html), Kirgisistan (http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01Nodes_Uebersichtsseiten/Kirgisistan_node.html), Tadschikistan (http://www.auswaertiges-amt.de/ DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Tadschikistan_node.html), Turkmenistan (http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/ Turkmenistan_node.html) und Usbekistan (http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/ Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Usbekistan_node.html) in ein Netzwerk der Zusammenarbeit einzubinden, von dem die EU sich neben der Demokratisierung der Region die Sicherung von Energiequellen sowie die gemeinsame Eindämmung irregulärer Migration und organisierter Kriminalität erhofft. Allerdings hat der Enthusiasmus der EU im Hinblick auf beide Strategien deutlich nachgelassen - vor allem im Hinblick auf die Beziehungen zu Russland. Strategische Partnerschaft mit Russland Die Verhältnisse im Osten Europas und in Zentralasien können nicht ohne Berücksichtigung Russlands gestaltet werden. Mit Russland pflegt die EU offiziell eine "strategische Partnerschaft", tatsächlich sind die Verhältnisse seit einiger Zeit distanziert. Das Vorhaben, mit Russland vier gemeinsame Räume (der äußeren Sicherheit, der inneren Sicherheit, der Wirtschaft sowie der Forschung, Bildung und Kultur) zu etablieren, tritt seit 2003 auf der Stelle. Die mehrmalige Unterbrechung der Gaslieferungen an die Ukraine und auch an den Westen, der russisch-georgische Krieg im Sommer 2008 sowie das Verhalten Russlands vor und nach dem Umsturz in der Ukraine 2014 haben das Verhältnis weiter beschädigt. Bis heute ist es nicht gelungen, für das 2007 ausgelaufene Partnerschafts- und Kooperationsabkommen eine Nachfolgeregelung zu vereinbaren. Auch die 2010 ins Leben gerufene "Modernisierungspartnerschaft" zwischen der EU und Russland tritt auf der Stelle, was nicht zuletzt mit unterschiedlichen Erwartungen zu tun hat. Die EU erhofft sich von dieser Partnerschaft eine weitergehende Transformation Russlands, die neben der Wirtschaft auch andere Bereiche der Gesellschaft umfasst, einschließlich der politischen und menschenrechtlichen Verhältnisse. Die russische Führung sieht die Modernisierungspartnerschaft dagegen als eine auf die Wirtschaft beschränkte Kooperation. Es gibt also in der unmittelbaren europäischen Nachbarschaft für die EU viel zu tun. Die Lösung der dort zutage tretenden Probleme muss die Europäische Union angehen, auch wenn sie ihre eigenen internen Schwierigkeiten noch nicht gelöst hat. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 154 Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Alle Umfragen zeigen, dass den Bürgerinnen und Bürgern in der EU die Freizügigkeit innerhalb Europas die wichtigste Errungenschaft der europäischen Integration ist. Frei reisen zu können, sich niederlassen zu können, wo man möchte, arbeiten, wo es den besten Job gibt – das verbinden die Menschen positiv mit Europa. Der Europol-Hauptsitz in Den Haag. (© picture-alliance/dpa) Umso wichtiger ist es, diese Errungenschaft zu erhalten, die in letzter Zeit von einigen Kommentatoren und sogar Politikern in den EU-Mitgliedstaaten in Frage gestellt worden ist. Das hat damit zu tun, dass nicht nur Menschen die Freizügigkeit genutzt haben, die am Ankunftsort einen Arbeitsplatz hatten, sondern auch solche, die einen Job suchen und die unter bestimmten Bedingungen auch Sozialleistungen der Zielländer in Anspruch nehmen können. Im Zusammenhang mit der Ankunft zahlreicher Flüchtlinge in Italien haben die dortigen Behörden den Menschen einen befristeten Aufenthalt gegeben und sie direkt oder indirekt zur Weiterreise in andere EU-Staaten ermuntert – was gerade in Frankreich und in Deutschland kritische Reaktionen ausgelöst hat. 2013 hat der Rat der Europäischen Union beschlossen, dass die Schengen-Regeln, die die Freizügigkeit garantieren, bis zu zwei Jahre lang von einem Mitgliedstaat außer Kraft gesetzt werden können. Dieser muss dafür besondere Umstände geltend machen, die im Wesentlichen darin bestehen, dass ein anderes Schengen-Mitglied als nicht in der Lage erachtet wird, seine Verpflichtungen zum bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 155 Schutz der Außengrenze zu erfüllen. In einem solchen Fall kann ein Mitgliedstaat, auf der Basis einer Empfehlung des Rates, für längstens zwei Jahre wieder Kontrollen an den Binnengrenzen durchführen. Das Recht auf Freizügigkeit wird von solchen Entwicklungen Stück für Stück in Mitleidenschaft gezogen. Es wird in der nächsten Zeit darauf ankommen, dass dieses Kernrecht aller EU-Bürgerinnen und -Bürger nicht ausgehöhlt wird, da sonst die öffentliche Akzeptanz für die Europäische Union darunter leiden könnte. Angefacht wurde die Debatte um die Freizügigkeit im Februar 2014 auch durch eine Entscheidung jenseits der Grenzen. In der Schweiz hatten die Bürger in einem Referendum, wenn auch mit knapper Mehrheit, beschlossen, die bislang mit der EU vereinbarte bedingungslose Freizügigkeit für EU-Bürger einzuschränken, indem Kontingente für Zuwanderung festgelegt werden sollen. Diese Maßnahme richtet sich auch gegen Deutsche, die in der Schweiz berufstätig sind. Die Ausweitung der bisherigen Freizügigkeitsregelungen auf das neue EU-Mitglied Kroatien wurde von der Schweiz abgelehnt. Allerdings ist die Freizügigkeit gemeinsam mit anderen Regeln, die der Schweiz auch den Zugang zum EU-Binnenmarkt garantieren, vereinbart worden. Eine „Guillotine-Klausel“ legt fest, dass sobald eines der Abkommens außer Kraft gesetzt wird, auch die anderen ungültig sind. Wie dieses Problem gelöst wird, lässt sich derzeit (Februar 2014) nicht absehen. Zusammenarbeit bei Justiz, Innenpolitik und Zivilrecht Das Recht auf Freizügigkeit ist ein Teil des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (RFSR). Ziel des RFSR ist es nicht nur, dass die Bürgerinnen und Bürger sich in der gesamten EU frei bewegen und dort leben können, wo sie möchten, sondern auch, dass sie gleichzeitig ein hohes Maß an Schutz genießen. Deshalb haben die EU-Staaten eine engere Zusammenarbeit in rechts- und innenpolitischen Fragen beschlossen. Doch nicht alle Staaten beteiligen sich in gleicher Weise an dieser Kooperation: Das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark haben Sonderregelungen vereinbart, die ihnen unter anderem in den Bereichen Justiz und Innenpolitik weiterhin nationale Freiheiten garantieren. Zum weiteren Ausbau des RFSR hat der Europäische Rat Ende 2009 das Stockholmer Programm vereinbart, das Nachfolgedokument des 2004 verabschiedeten Haager Programms. Ziel des Stockholmer Programms ist die volle Gewährleistung der Unionsbürgerschaft für alle EU-Bürger, also der Grundrechtschutz und die Wahrung der persönlichen Freiheit über Grenzen hinweg, auch im Bereich des Datenschutzes. Der europäische Rechtsraum soll ausgebaut werden, so dass Menschen überall in der Union ihre Rechte geltend machen können. Hindernisse der grenzüberschreitenden Anerkennung von Gerichtsentscheidungen sollen abgebaut werden. Um die Sicherheit der Bürger vor Terrorismus und organisierter Kriminalität zu erhöhen, soll die Zusammenarbeit in den Bereichen Strafverfolgung, Grenzmanagement, Katastrophenschutz und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen gestärkt werden. Das Stockholmer Programm läuft 2014 aus, ein fortführendes Programm wird aber erwartet. Parallel dazu gibt es eine engere bilaterale Polizeikooperation entlang der Binnengrenzen beispielsweise zwischen Deutschland und Polen. Nachdem im deutsch-polnischen Grenzbereich die Zahl der Einbrüche und Kraftfahrzeugdiebstähle stark gestiegen ist, haben sich die Polizeibehörden beider Länder stärker vernetzt und führen unter anderem gemeinsame Streifen durch. Auch im zivilrechtlichen Bereich wird die Zusammenarbeit weiter forciert. Dabei geht es um die gegenseitige Anerkennung von Gerichtsurteilen zum Beispiel in Erb- oder Sorgerechtsangelegenheiten oder um eine Festlegung, welches Scheidungsrecht bei binationalen Ehen von EU-Bürgern anzuwenden ist. Auch im Kaufrecht soll es weitere Vereinheitlichungen geben, um so das grenzüberschreitende Alltagsleben (und sei es, dass die Grenzüberschreitung via Internet stattfindet) für die Menschen in der EU zu erleichtern. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 156 Migration Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Die Migration ist ein wichtiges Thema in der Europäischen Union, das unter ganz verschiedenen Gesichtspunkten diskutiert wird. Auf der einen Seite werben die EU-Staaten um Einwanderer, weil qualifizierte Berufstätige dringend benötigt werden. Auf der anderen Seite versucht die EU, die Einreise von sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen zu verhindern oder zumindest zu beschränken. Junge Vietnamesen während ihrer Ausbildung in der Metallwerkstatt des Bildungswerks der Sächsischen Wirtschaft. (© picture-alliance/dpa) Immer wieder erschüttern Bilder von zusammengepferchten Flüchtlingen auf kaum seetüchtigen Booten die europäische Öffentlichkeit. Die meisten Flüchtlinge erreichen mit letzter Not das Gebiet der EU - viele überleben die Flucht nicht. Unter dem Stichwort "Innere Sicherheit" werden oftmals die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität und die Steuerung der Migrationsbewegungen in einen Topf geworfen. Hierbei handelt es sich allerdings um verschiedene Politikbereiche. Auch die irregulären Einwanderer kommen in der Regel nicht in die EU, um dort kriminellen Aktivitäten nachzugehen, sondern um sich und ihren Familien durch Arbeit ein besseres Leben zu ermöglichen. Allerdings verstoßen sie schon durch die Einreise gegen geltende Gesetze und werden in den Zielländern wegen des fehlenden Aufenthaltsstatus in die Illegalität gedrängt. Die Steuerung der Migration wird für die EU in den nächsten Jahren eine wichtige Aufgabe bleiben, zumal die irreguläre Einwanderung sich nur wirksam vermeiden lassen wird, wenn man den Menschen in den Herkunftsländern auch - zumindest beschränkte - Möglichkeiten der legalen Einwanderung bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 157 anbietet. Wirtschaftsmigration Die große Mehrheit dieser Menschen kommt in die Länder der EU, weil sie zu Hause keinerlei oder sehr schlechte Lebensperspektiven haben. Die Eindämmung dieser Art von Immigration wird nicht nur durch polizeiliche Maßnahmen und intensiven Grenzschutz gelingen, sondern nur, wenn es der EU gelingt, durch entwicklungspolitische Maßnahmen dazu beizutragen, die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern zu verbessern und diesen Ländern Märkte in der Europäischen Union zu öffnen. Die Europäische Union ist auf diesem Gebiet nicht untätig. Kein Staat oder Bündnis leistet finanziell einen größeren Beitrag zur weltweiten Entwicklungshilfe als die EU und ihre Mitgliedstaaten. Durch das Abkommen von Cotonou unterstützt die EU die (nach dem Beitritt des Südsudan) 80 sogenannten AKP-Staaten sowie Südafrika in ihrer wirtschaftlichen und politischen Entwicklung. Allerdings nimmt Kuba an der Cotonou-Zusammenarbeit nicht teil. Die EU bemüht sich jedoch auch mit diesem Land um eine Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Lage und bereitet dazu ein Abkommen vor. Nicht nur in Kuba stoßen Unterstützungsmaßnahmen oftmals an Grenzen, die in den Staaten selbst liegen und mit autoritärer Herrschaft, Korruption und schlechter Regierungsführung zu tun haben. Wie es gelingen kann, einen Weg zu finden, um diesen Staaten zu helfen, ohne lediglich ihre politische Elite zu bereichern, ist eine der Fragen, mit denen die EU sich weiterhin wird befassen müssen. Asyl Ein weiterer Aspekt des Themas Immigration ist die Aufnahme von Asylsuchenden. Hierbei handelt es sich um Menschen, die um Schutz vor Verfolgung bitten, die ihnen aus politischen, religiösen oder ethnischen Gründen in ihrem Heimatland droht. Seit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags 1999 ist die Asylpolitik eine Zuständigkeit der EU. Die Union hat sich mittlerweile auf gemeinsame Kriterien der Anerkennung von Asylsuchenden und ihrer Unterbringung und Betreuung geeinigt. Jeder Flüchtling muss mittlerweile in dem Land Asyl beantragen, das er zuerst betritt. Dort wird sein Verfahren abgewickelt. Das regelt ein Übereinkommen, das 1990 in Dublin geschlossen wurde und 1997 in Kraft trat („Dublin I“). Mittlerweile ist die Vereinbarung durch neue Verordnungen („Dublin II“ und „Dublin III “) ergänzt und verändert worden. Teil der Regelungen ist jetzt auch deren Anwendung auf Menschen, die nicht individuell politisch verfolgt sind, aber wegen der Umstände in ihrem Heimatland internationalen Schutz oder die Anerkennung als Flüchtling erbitten. So ist durch den Bürgerkrieg in Syrien, der das Land seit 2011 heimsucht, die Zahl der Schutzsuchenden stark angewachsen. Die EU-Verträge sehen zwar vor, dass die Lasten, die durch die Aufnahme von Flüchtlingen entstehen, gemeinsam getragen werden. Die Hauptzielländer der Flüchtlinge aus dem Süden - das sind vor allem Griechenland, Malta, Italien und Spanien - beklagen allerdings, dass die Union sie nicht ausreichend unterstütze. Die Europäische Union versucht nun, diese Länder bei der Verstärkung der Grenzkontrollen zu unterstützen und so die Einreise von Flüchtlingen zu verhindern. Von Menschenrechtsgruppen wird dieses Vorgehen heftig kritisiert, weil damit den Menschen faktisch die Möglichkeit genommen wird, Asyl zu beantragen - denn wer gar nicht auf EU-Territorium ankommt, kann dort auch nicht um Asyl bitten stellen. Zur Intensivierung der Zusammenarbeit im Grenzschutzbereich hat die EU bereits 2004 die Agentur Frontex gegründet. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 158 Blue Card Die dritte Gruppe, von der im Zusammenhang mit der Immigration die Rede ist, sind Menschen, die legal in das Gebiet der EU einreisen, weil es für sie persönliche Gründe wie Eheschließung gibt oder weil sie eine Berufstätigkeit aufnehmen wollen. Letztgenannte werden insbesondere dann von den EU-Staaten angeworben, wenn sie über Fachwissen oder berufliche Qualifikationen verfügen, die in der EU nicht hinreichend vorhanden sind. Die Europäische Union hat dafür eine "Blue Card" geschaffen - in Anlehnung an die "Green Card" in den USA, die dort ausländischen Arbeitskräften den Aufenthalt ermöglicht. Eine Blue Card, also eine Aufenthaltserlaubnis, kann erhalten, wer aus einem Drittland stammt, einen entsprechenden Hochschulabschluss oder eine spezifische Berufsausbildung vorweisen kann und außerdem ein Arbeitsangebot hat, mit dem er ein relativ hohes Gehalt bezieht. In Deutschland wird ein Gehalt von mindestens zwei Drittel der Beitragsbemessungsgrenze der Sozialversicherung vorausgesetzt, das sind ca. 47. 600Euro pro Jahr, in Mangelberufen mindestens ca. 37.100 Euro. Die Aufenthaltserlaubnis gilt bis zu vier Jahren, kann aber verlängert werden und in einen festen Aufenthaltsstatus münden. Familienangehörige von Blue-Card-Inhabern dürfen sofort arbeiten. Eine „Weiterwanderung“ innerhalb der EU ist nach 18 Monaten möglich. Der Inhaber einer Blue Card genießt dieselben wirtschaftlichen und sozialen Rechte wie die EU-Bürger und darf auch seine Familie nachholen. Die Entscheidung, ob ein Bewerber tatsächlich eine Blue Card erhält, bleibt bei dem jeweiligen Mitgliedstaat. Bisher war die Blue Card zumindest in Deutschland nicht sehr erfolgreich. Zwischen ihrer Einführung in Deutschland im Juli 2012 und dem Ende des Jahres 2013 waren es gerade einmal etwa 7.000 Zuwanderer, die die Blue Card beantragt haben. Deutschland und die EU insgesamt sind für qualifizierte Einwanderer also nicht so attraktiv, wie sie es sein müssten, um die besten Köpfe anzuziehen. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 159 Die EU als internationaler Akteur Von Eckart D. Stratenschulte 1.4.2014 Die USA sind weiterhin die bedeutendste Macht der Welt. Es hat sich jedoch gezeigt, dass sie alleine nicht in der Lage sind, die Weltpolitik zu gestalten. Die Europäische Union muss daher auch im eigenen Interesse ihr Gewicht international gezielt einbringen. Barack Obama, Herman van Rompuy und Jose Manuel Barroso auf dem EU-USA-Gipfel im März 2014 (© picturealliance, AA) Eine gemeinsame Außenpolitik der Europäischen Gemeinschaft war lange Zeit nicht vorgesehen. Erst mit dem Vertrag von Maastricht (Inkrafttreten 1993) wurde sie als Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ins Leben gerufen und seit 1999 durch eine Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) ergänzt. Mit dem Lissabonner Vertrag legte die Europäische Union größeren Wert auf das auswärtige Handeln und hat durch die Position des Hohen Vertreters für die Außen- und Sicherheitspolitik sowie mit der Schaffung eines Europäischen Auswärtigen Dienstes neue Strukturen geschaffen. Mittlerweile hat sich gezeigt, dass die Ansprüche der internationalen Gemeinschaft an die Europäische Union gestiegen sind. Die EU ist zu groß und zu bedeutsam, um sich aus der internationalen Politik herauszuhalten. Diese Situation wird noch dadurch verstärkt, dass die Vereinigten Staaten von Amerika in den letzten Jahren sehr viel ihrer militärischen, wirtschaftlichen und moralischen Stärke eingebüßt haben. Zwar sind die USA weiterhin die bedeutendste Macht der Welt und auch der engste Partner der EU, aber es hat sich gezeigt, dass sie alleine nicht in der Lage sind, die Weltpolitik zu gestalten. Wenngleich die Landesverteidigung die Aufgabe der NATO bleibt, hat die Europäische Union bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 160 mittlerweile zahlreiche militärische oder zivil-militärische Missionen auf sich genommen. So stabilisiert sie mit militärischen Mitteln die Lage in Bosnien-Herzegowina, in Zentralafrika, in Mali und in Zentralafrika. Vor dem Horn von Afrika beteiligt sich die EU an der Abwehr von Piraten, die die Seefahrt bedrohen. Mit zivilen Missionen unterstützt sie unter anderem die Entwicklung im Kosovo, in den Palästinensischen Gebieten, in Georgien und in Afghanistan. Die Einsatzkräfte für jede dieser Missionen müssen jeweils durch Vereinbarungen der EU-Staaten zusammengestellt werden, was nicht immer einfach ist. Das Verhältnis zwischen der EU und den USA ist durch die sogenannte NSA-Affäre in Mitleidenschaft gezogen worden. Im Jahr 2013 stellte sich heraus, dass die USA die elektronische Kommunikation in Europa abhören und speichern – bis hin zum Mobiltelefon der deutschen Bundeskanzlerin. Wenngleich dieses Vorgehen von den USA mit dem Kampf gegen den Terrorismus begründet wurde, richteten sich die Maßnahmen – wie zum Beispiel das Verwanzen von EU-Repräsentationen in den USA und sogar von EU-Amtsgebäuden in Brüssel – eindeutig gegen die Bündnispartner. Auch das neue große Vorhaben von EU und USA, ein Transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen zu schließen, mit dem eine transatlantische Freihandelszone entstehen soll, leidet unter dem Vertrauensverlust. Die Europäische Union muss im eigenen Interesse ihr Gewicht für die Weiterentwicklung des Weltwirtschaftssystems, für die Erhaltung bzw. Schaffung des Friedens und für den Schutz der Umwelt vor globaler Zerstörung einbringen. Hierzu wird sie ihre innere Abstimmung und ihre außenpolitischen und militärpolitischen Instrumente wesentlich verfeinern müssen. Oftmals scheitert eine europäische Außenpolitik daran, dass die EU-Partner sich nicht einigen können oder eine solche Vereinbarung zu viel Zeit kostet. Dies war beispielsweise beim Vorgehen gegen den libyschen Diktator Gaddafi im Jahr 2011 der Fall. Auch zum Irakkrieg ab 2003 gelang es den EU-Staaten nicht, eine gemeinsame Position zu entwickeln. Im Zusammenhang mit der russischen Annexion der Krim 2014 bemüht sich die EU um ein einheitliches Auftreten gegenüber Moskau, obwohl auch hier die Interessen und Abhängigkeiten sehr unterschiedlich sind. Es zeigt sich, dass die Europäische Union vor einer großen Zahl von Herausforderungen steht, von denen offensichtlich ist, dass kein Mitgliedstaat allein sie bewältigen kann. Ob es der Europäischen Union als Ganzer gelingt, die vor ihr stehenden Aufgaben zu lösen, wird stark darüber entscheiden, wie gut wir und unsere Kinder in den nächsten Jahren und Jahrzehnten leben. Der Erfolg wird allerdings nicht zuletzt davon abhängen, ob die Bürgerinnen und Bürger der EU-Länder die europäische Integration zu ihrer gemeinsamen Sache machen, dem Projekt ihre Unterstützung gewähren und sich an den europäischen Entscheidungsprozessen beteiligen. Unabhängig von Wirtschaftsgröße und Bevölkerungszahl wird die EU ihr Gewicht nämlich nur in die Waagschale werfen können, wenn bei den Partnern (oder auch Gegnern) der glaubhafte Eindruck entsteht, dass die Bürger und die Mitgliedstaaten hinter der gemeinsamen EU-Politik stehen. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 161 Internet-Links und weiterführende Literatur Von Eckart D. Stratenschulte 15.5.2009 Hier finden Sie Internet-Links und weiterführende Literatur zum bpb-Dossier: Die Europäische Union: "Wie geht es weiter mit der EU?". Internet-Links Umsetzungsbericht der Europäischen Kommission für das Lissabon-Programm http://ec.europa.eu/growthandjobs/pdf/european-dimension-200812-annual-progress-report/COM2008881DE. pdf (http://ec.europa.eu/growthandjobs/pdf/european-dimension-200812-annual-progress-report/COM2008881DE. pdf) Bericht der Europäischen Kommission über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Erreichung der fünf Ziele des Lissabonprozesses – auf Englisch http://ec.europa.eu/enterprise/enterprise_policy/ competitiveness/doc/industrial_policy_and_economic_reforms _papers_1.pdf (http://ec.europa.eu/enterprise/enterprise_policy/competitiveness/doc/ industrial_policy_and_economic_reforms_papers_1.pdf) Internetseite der Europäischen Kommission über die EU-Erweiterung http://ec.europa.eu/enlargement/index_de.htm (http://ec.europa.eu/enlargement/index_de.htm) Internetseite der Europäischen Kommission über Außenpolitik http://ec.europa.eu/external_relations/cfsp/index_en.htm (http://ec.europa.eu/external_relations/cfsp/ index_en.htm) Internetseite der Europäischen Kommission über die Europäische Nachbarschaftspolitik http://ec.europa.eu/world/enp/index_de.htm (http://ec.europa.eu/world/enp/index_de.htm) Internetseite von Pro Asyl e.V. http://www.proasyl.de/ (http://www.proasyl.de/) bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 162 Literatur Jürgen Habermas, Ach, Europa, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2008 Thilo Harth/Wichard Woyke, Die Europäische Union konkret: Nachgefragt in 12 Kapiteln, Opladen: Verlag Barbara Budrich 2008 Dietmar Herz/Christian Jetzlsperger, Die Europäische Union, München: C.H. Beck Verlag 2008 bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) 163 Redaktion 1.12.2014 Hier finden Sie die Redaktion des bpb-Dossiers zur Europäischen Union. Herausgeber Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, Bonn, 2009-2014 Verantwortlich gemäß § 55 RStV: Thorsten Schilling Autor Eckart D. Stratenschulte Redaktion bpb Martin Hetterich Thomas Fettien Matthias Klein Matthias Jung Ruben Frangenberg Anny Boc (studentische Mitarbeiterin) Grafiken Eckart D. Stratenschulte Daniel Bergs (Gestaltung) Die Grafiken (Institutionen, Mitgliedstaaten, Europa-Parlament, Fraktionen im EP, Gesetzgebung und Partizipationsmöglichkeiten) entstammen dem Dossier "Europawahlen (http://www.bpb.de/politik/ wahlen/europawahl/)" Titelbild Foto: AP Redaktion und Bildredaktion 3-point concepts GmbH www.3-point.de (http://www.3-point.de) Umsetzung 3-point concepts GmbH www.3-point.de (http://www.3-point.de) Urheberrecht Alle Beiträge dieses Dossiers sind, soweit nicht anders angegeben, unter der Creative CommonsLizenz by-nc-nd/3.0/de (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/) lizenziert. bpb.de Dossier: Die Europäische Union (Erstellt am 05.04.2016) Online-Dossier http://www.bpb.de/internationales/europa/europaeische-union/ Impressum Diensteanbieter gemäß § 5 Telemediengesetz (TMG) Bundeszentrale für politische Bildung Adenauerallee 86 53113 Bonn [email protected] bpb.de 164
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