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kultuRradio rbb 31.5.2015
Gottesdienstübertragung aus der Dorfkirche Alt-Lübars in Berlin
Predigt: Pfarrerin Ute Sauerbrey
Gnade sie mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. AMEN
Liebe Gemeinde,
„Es war einmal ein armes, frommes Mädchen, das lebte mit seiner Mutter allein, und sie hatten
nichts mehr zu essen. Da ging das Kind hinaus in den Wald, und begegnete ihm da eine alte Frau,
die wusste seinen Jammer schon und schenkte ihm ein Töpfchen, zu dem sollt es sagen: "Töpfchen,
koche," so kochte es guten, süßen Hirsebrei, und wenn es sagte: "Töpfchen, steh," so hörte es
wieder auf zu kochen.“
Das ist der Anfang des kurzen Märchens vom Süßen Brei, das die Gebrüder Grimm aufgeschrieben
haben. Ein Märchen, wie es sich Menschen erzählen, die Hunger haben. Ein Märchen vom
märchenhaften Ende des Hungers – denn wenn man dem Töpfchen nicht das Zauberwort zum
Aufhören sagt, dann „kocht es fort, und der Brei steigt über den Rand hinaus und kocht immerzu,
die Küche und das ganze Haus voll und das zweite Haus und dann die Straße, als wollt's die ganze
Welt satt machen“. Und dann kommt – leider, sonst wäre diese großartige Vision von einer Welt
ohne Hunger vielleicht nicht zu ertragen gewesen für die hungrigen Hörer – noch der moralische
Zeigefinger nach: So ergeht es denen, die zu gierig sind, die werden am guten süßen Brei noch
ersticken!
Was hat dieses rührende Märchen zu tun mit dem Trinitatisfest? Was hat es zu tun mit der Vision
des Jesaja, die wir vorhin gehört haben in Wort und Musik, von Gott im Tempel, von
sechsflügeligen Engelwesen und himmlischen Chören?
Es ist das Überquellende, Überfließende, Überschießende, Unerschöpfliche. Der süße Brei drückt
die herzzerreißende Sehnsucht der Hungrigen nach Fülle und Sattwerden aus.
Genau solche Fülle erlebt Jesaja in seiner großen Vision von Gottes Thronsaal. Er schaut Gott in
dieser Vision als ein überfließendes, überschießendes, unerschöpfliches Wesen. „In dem Jahr, als
der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron und sein
Saum füllte den Tempel.“ Quillt und füllt den ganzen Tempel aus – und hier geht es nur um den
Saum seines Gewandes. Um wieviel mehr Gott selbst! Seine Fülle, sein überquellendes, alles
überströmendes Wesen besingen die Engelwesen, die rund um seinen Thron stehen: „Heilig, heilig
heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind voll seiner Herrlichkeit“ - die ganze Welt ist erfüllt von
seinem Glanz, die ganze Erde wird ausgefüllt von Gottes Herrlichkeit.
Die einzig denkbare Antwort auf diese Fülle Gottes ist der Gesang, der Klang, die Musik. Nichts
kann einen Raum so füllen wir ein Ton, ohne ihn dicht zu machen, ohne jemanden oder etwas
daraus zu verdrängen. Nichts kann so komplex, so vielschichtig sein wie ein Klang – viele Töne,
viele Farben, und doch ein Klang. Nichts kann so einladend sein wie eine Melodie – ich kann
einstimmen, kann Teil des Klangs werden, summend, singend, brummend. Oder auch die Augen
schließen und hören und bin auch so ein Teil der Musik: als Hörende, als Resonanzraum auch,
körperlich spürbar in den tiefen Frequenzen. Gottes Fülle füllt die Welt aus – wie ein großer Klang,
auf den wir klingend Antwort geben.
3'30''
ORGEL-IMPROVISATION
2'15
„Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth – alle Lande sind voll seiner Herrlichkeit.“
Dreimal heilig singen die Engel rund um Gottes Thron. Lange haben christliche Prediger an dieser
Stelle gesagt: das ist ein Verweis auf die Trinität, die Drei-Einheit Gottes als Gott der Vater, Gott der
Sohn, Gott der Heilige Geist. Ich bin sicher: Davon wusste Jesaja, der diese Vision geschaut und
aufgeschrieben hat viele hundert Jahre vor der Geburt des Jesus von Nazareth, davon wusste er
nichts. Unser Lobpreis Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist war ihm fremd. Aber was er
geschaut hat war Gottes Fülle und Vielfältigkeit. Und gleichzeitig: seine Nähe. Gott scheut die
Berührung nicht. Er ist einer, auch in der Vision des Jesaja, der uns anrührt. Manchmal schmerzhaft,
brennend. So erfährt es Jesaja, als der Engel seine Lippen mit einer glühenden Kohle berührt. Aber
er streckt sich zu uns hin aus. Er kann uns auf so vielfältige Weise begegnen – und bleibt doch einer,
bleibt derselbe. In seiner Heiligkeit, in seiner Fülle und in seiner Nähe. Um das auszudrücken, diese
wunderbare Erfahrung, die eigentlich besungen werden will von Engeln und Menschen und nicht in
Lehrsätzen ausgedrückt, haben unsere Väter und Mütter im Glauben angefangen vom drei-einigen
Gott zu reden. Davon, dass 1+1+1 doch wieder 1 ergibt. Von Gott, der sich treu bleibt und der uns
treu bleibt, auch wenn er uns auf vielfältige Weise begegnet: Als der Schöpfer und Vater und Gott
Israels. Als Gott in der Person des Jesus von Nazareth. Als Gott der Geist, der uns anrührt und
bewegt, der Gott für uns überhaupt erfahrbar macht, wenn wir ihn doch nicht schauen können und
nicht mit ihm im galiläischen Bergland unterwegs sein können wie damals die Jüngerinnen und
Jünger. Wie sollen wir dann Gott überhaupt erfahren? Eben als Gott, der Geist, der uns erst das Herz
öffnet fürs Gebet und den Mund zum Lied und Lobgesang. Das alles zusammen – Gottes Heiligkeit,
seine Fülle, seine Nähe – ergeben den vielschichtigen Klang Gottes.
2'15''
ORGEL-IMPROVISATION
1'30''
Der Prophet Jesaja schaut Gottes Heiligkeit und Fülle in der Vision von Gott im Tempel. Er spürt
seine Nähe, seine Berührung – hautnah, brennend. Er tritt selbst in eine Beziehung ein mit Gott,
indem er sich von ihm schicken lässt, senden lässt.
Und wir? Leben wir aus der Gottes Fülle – oder eher im Mangel? Sehen wir die Schönheit und
Erhabenheit Gottes – oder eher die hässliche Fratze der Wirklichkeit? Spüren wir Gottes Nähe –
oder eher seine Abwesenheit, sein Fernsein?
Können wir denn wirklich einstimmen in den Lobgesang von Gottes Heiligkeit, Fülle und Nähe,
aus voller Kehle und ganzem Herzen?
Das Gotteslob der Menschen war zu allen Zeiten auch Ausdruck des Verlangens, dass Gott sich
endlich als der erweisen möge, der er ist. Wenn wir Gottes Fülle preisen, dann ist darin enthalten
das Entsetzen darüber, dass so viel Mangel herrscht auf dieser Welt – Mangel an Gütern, Mangel an
Zuwendung und Liebe. Wenn wir Gottes Fülle preisen dann ist darin enthalten der Protest dagegen,
dass wenige Menschen im Überfluss leben und viele in Not. Wenn wir Gottes Fülle preisen, dann ist
darin enthalten auch die Bitte: Gott, mach uns deiner würdig. Als Menschen, die nicht eifersüchtig
über das wachen, was ihnen zusteht – sondern die selbst freigebig sind, gastfreundlich. Wenn wir
Gottes Nähe preisen, dann ist darin enthalten auch die Bitte: Gott, mach uns deiner würdig – als
Menschen, die Nähe zulassen. Die die Fremden bei sich aufnehmen – nicht aus Pflicht oder Kalkül,
sondern weil wir selbst aus der Fülle leben dürfen. Weil es möglich ist, dass die ganze Welt satt
wird von dieser Fülle. Wie im Märchen vom süßen Brei – aber ohne den moralischen Zeigefinger.
Denn Gottes Fülle ist nicht erstickend, bedrängend. Sie macht nur alle reich, die von ihr nehmen
und weitergeben. Die in Beziehungen leben so wie Gott in seiner Vielfältigkeit mit sich selbst und
seiner Schöpfung – und seinen Menschen – in Beziehung steht. Und die Nähe zulassen und Grenzen
überwinden, weil Gott selbst grenzenlos und nah ist.
So lasst uns Gott singen und ihn loben – als Menschen, die aus der Fülle leben und den Mangel
beklagen und die Not dieser Welt nah an sich herankommen lassen. AMEN, das heißt: Es werde
wahr.
2‘31“
ORGEL-IMPROVISATION
1'30''