Energiewendetaugliches Marktdesign Stärkung der Position der Energieverbraucher Der „New Deal“ der Kommission für den europäischen Energiemarkt Das Sommerpaket der Europäischen Kommission Bereits Anfang dieses Jahres hat sich die Europäische Kommission auf ein Paket zur Energieunion – Rahmenstrategie für eine zukunftsorientierte europäische Energiepolitik – geeinigt. Ziele sind die Gewährleistung einer sicheren und preisgünstigen Energieversorgung, die umfassende Nutzung von Energieeffizienzpotentialen und die Entwicklung Europas zum Weltmarktführer für erneuerbare Energien. Die Verwirklichung dieser Ziele setzt eine grundlegende Neugestaltung des europäischen Elektrizitätsmarktes voraus. Es geht um nicht weniger als um die Transformation des bisherigen zentralisierten und auf dem Einsatz fossiler Energieträger beruhenden Versorgungssystems in ein energiewendetaugliches Gefüge. Dementsprechend bestehen die Herausforderungen nicht nur darin, dem aus der fluktuierenden Stromerzeugung resultierenden Flexibilitäts- und Innovationsbedarf, sondern auch den veränderten Marktrollen der auf dem Elektrizitätsmarkt tätigen Akteure Rechnung zu tragen. Diesen Aufgaben stellt sich die Kommission in ihrem am 15. Juli 2015 veröffentlichten Sommerpaket. Es enthält Vorschläge zur Umgestaltung des europäischen Strommarktes, zur Stärkung der Position der Energieverbraucher und zur Änderung des Emissionshandels. Umgestaltung des europäischen Strommarktes Das Kommissionspapier zur Umgestaltung des Strommarktes setzt drei Schwerpunkte: die Änderung des Marktdesigns, die Stärkung der Zusammenarbeit im Rahmen eines integrierten europäischen Elektrizitätsmarktes und die Vereinheitlichung von Rechts- und Systemstandards zwecks Gewährleistung von Versorgungssicherheit. Mehr Markt, weniger Regulierung Marktbezogenes Design des Elektrizitätsbinnenmarkts Die Kommission sieht einen wettbewerblich organisierten und integrierten europäischen Elektrizitätsmarkt als beste Gewähr, um alle Kunden jederzeit so sicher und preisgünstig wie möglich zu versorgen. Nicht staatliche Eingriffe, sondern die von Marktpreisen ausgehenden Signale sollen das Verhalten der auf den Energiemärkten tätigen Akteure steuern. Damit diese möglichst unverfälscht wirken, sind über die Liberalisierungsprozesse der vergangenen Jahre hinaus folgende Maßnahmen notwendig: die Einführung eines grenzüberschreitenden Intraday-Handels, die Vermeidung staatlicher Eingriffe in die Preisgestaltung, etwa durch marktverzerrende Besteuerung oder durch Preisregulierung, die Erhöhung der Flexibilität der Stromversorgung durch Markteinbindung von Speichertechnologien und geografische Vergrößerung der Märkte für Freshfields Bruckhaus Deringer LLP Das Sommerpaket der EU-Kommission Juli 2015 1 Ausgleichsenergie, die Überarbeitung des Emissionshandelssystems. U.a. soll die Zahl der Verschmutzungsrechte ab 2021 stärker als bisher sinken. Zudem will die EU-Kommission weniger Ausnahmen für energieintensive Industrien zulassen, die stärkere Verantwortung der Marktteilnehmer für eine Absicherung von Preis- und Mengenrisiken, insbesondere vermittels langfristiger Lieferverträge, die Vereinheitlichung der nationalen Systeme zur Förderung der Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien mit dem Ziel des Abbaus marktfremder Fördermechanismen und die engere Verbindung von Groß- und Einzelhandelsmärkten. Damit auch Einzelhandelskunden von den Vorteilen des Elektrizitätsbinnenmarktes profitieren, sollen die Transparenz erhöht und die wettbewerblichen Rahmenbedingungen verbessert werden. Engere Zusammenarbeit im Rahmen eines integrierten europäischen Elektrizitätsmarktes Förderung grenzüberschreitender Zusammenarbeit Eine sichere und preisgünstige Energieversorgung fordert eine intensivere, insbesondere grenzüberschreitende Kooperation. Angesprochen sind zunächst die Mitgliedsstaaten, die ihre Energiepolitiken stärker aufeinander abstimmen müssen. Der stärkere grenzüberschreitende Fokus betrifft allerdings auch die Netzbetreiber, denn ein integrierter Elektrizitätsmarkt setzt ein vollständig vernetztes Energieversorgungssystem voraus. Auf der Ebene der Übertragungsnetzbetreiber soll zum einen das Entgeltsystem auf den Prüfstand gestellt werden. Es geht um die Frage, ob das derzeitige System, einschließlich des Engpassmanagements, die richtigen (Investitions-)Anreize setzt. Zum anderen sollen künftig regionale Betriebszentren für grenzüberschreitende Stromflüsse eingerichtet und das European Network of Transmission System Operators for Electricity (ENTSO-E) aufgewertet werden. In Abhängigkeit von der konkreten Ausgestaltung können damit weitreichende Aufgabenübertragungen an die regionalen Betriebszentren oder das ENTSO-E verbunden sein. Grundlegend neu bewertet werden müssen nach Ansicht der Kommission die Aufgaben der Verteilnetzbetreiber. Ihnen komme zunehmend die Rolle eines neutralen Marktvermittlers zu, der nicht nur die Entwicklung neuer Technologien und Angebote für alle Energieverbraucher ermöglichen, sondern auch stärker als bislang in die europäischen Regulierungsgremien eingebunden sein müsse. Neben der engeren Kooperation der Netzbetreiber betont die Kommission die Beseitigung noch fehlender Infrastrukturverbindungen. Sie verweist auf die Projekte von gemeinsamem Interesse und das vom Europäischen Rat verabschiedete Ziel der Erhöhung des Verbundgrades auf 15 Prozent bis 2030. Eine finanzielle Förderung soll künftig nicht mehr nur über die Fazilität „Connecting Europe“ in Betracht kommen, sondern auch über den Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI). Schließlich erfasst die verstärkte grenzüberschreitende Zusammenarbeit die Regulierungsbehörden. Ein vollständig integrierter Elektrizitätsbinnenmarkt erfordert eine abgestimmte regulatorische Aufsicht. Hierfür bedarf es nach Ansicht der Kommission einer Ausweitung der Befugnisse der Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER). Statt bloßer Empfehlungen und Meinungsäußerungen soll ACER künftig im Hinblick auf gemeinschaftsweite und grenzüberschreitende Themen verbindliche Entscheidungen treffen und auch solche Marktteilnehmer in die Regulierung einbeziehen können, die bislang nicht Adressaten der Energieregulierung waren, beispielsweise Strombörsen. Diese Aufwertung von ACER wird zwangsläufig zu einer Schwächung der nationalen Regulierungsbehörden führen. Gewährleistung der Versorgungsicherheit Versorgungssicherheit europäisch denken 2 Die Kommission betrachtet die Gewährleistung der Versorgungssicherheit als eine europäische Aufgabe. Nationale Schutzinstrumente, allen voran Kapazitätsmärkte, werden wegen hoher Kosten und des Risikos von Marktverfälschungen skeptisch beurteilt. Kapazitätsmärkte sollen allenfalls dann zugelassen werden können, wenn zuvor eine detaillierte Analyse der Erzeugungs- und der Versorgungssituation erfolgt ist. Ein europaweit einheitliches Monitoring der Stromerzeugung und einheitliche Versorgungssicherheitsstandards sind nach Ansicht der Kommission unumgängliche Voraussetzung für die Beurteilung, ob ein Kapazitätsmechanismus notwendig ist. Selbst wenn eine Notwendigkeit nicht verneint werden kann, sollten Kapazitätsmechanismen Freshfields Bruckhaus Deringer LLP Das Sommerpaket der EU-Kommission Juli 2015 grenzüberschreitend ausgestaltet sein. Wegen der Einzelheiten verweist die Kommission auf die Sektoruntersuchung Kapazitätsmärkte. Den Entwurf eines hierauf bezogenen Abschlussreports hat sie für Ende dieses Jahres angekündigt. Außerdem will die Kommission unionsweite Netzsicherheitsstandards etablieren. Sie können, je nach Ausgestaltung, auch laufende Planungen betreffen und etwa Anpassungen des Netzentwicklungsplans erforderlich machen. Stärkung der Position der Energieverbraucher Haushalte und Unternehmen als Energieverbraucher werden in den Mittelpunkt des europäischen Elektrizitätsmarkts gestellt. Grundlage ist eine Drei-Säulen-Strategie, die auf den Modulen Stärkung der Eigenverantwortung der Kunden, Einsatz intelligenter Messsysteme sowie Gewährleistung umfassenden Datenschutzes basiert. Vom passiven Verbraucher zum aktiven Kunden Energieeffizienz an erster Stelle Erhöhte Transparenz ist für die Kommission der Schlüssel zur Senkung der Energiekosten. Sie bezieht sich zunächst auf die Energieeffizienz. Über die Novellierung des Rechtsrahmens für die Energieverbrauchskennzeichnung soll ein sparsamerer Umgang mit Elektrizität erreicht werden. Außerdem setzt die Kommission auf intelligente Messsysteme. Letztere sollen es allen (direkten und indirekten) Kunden sowie ihren Dienstleistern ermöglichen, den Energieverbrauch in Echtzeit abzulesen und den Energiebedarf entsprechend zu steuern. Das gelingt, wenn die Kunden, z.B. über Tarife, die eine flexible Verbrauchssteuerung belohnen, oder durch den Einsatz dezentraler (Eigen-)Erzeugungsanlagen, in die Lage versetzt werden, auf Marktveränderungen flexibel zu reagieren. Begrenzen will die Kommission vor diesem Hintergrund auch den Fixkostenanteil der Strompreise. Inwieweit die Kommission auf diese Preisbestandteile jedoch konkret Einfluss nehmen wird, oder aus kompetenzrechtlichen Gründen nehmen kann, bleibt abzuwarten. Ein weiteres Instrument zur Senkung der Energiekosten sieht die Kommission in der Nutzung wettbewerblicher Potentiale. So soll für jeden Energieverbraucher sichergestellt sein, dass er Zugang zu mindestens einem unabhängigen und zertifizierten Vergleichsportal hat, das ihm einen Vergleich seines aktuellen Vertrages mit anderen Angeboten ermöglicht. Außerdem beabsichtigt die Kommission, Mindeststandards für Werbematerial und Rechnungen zu entwickeln, die einen transparenteren Nachvollzug von Rechnungen erlauben und Preisvergleiche erleichtern. Wettbewerb statt Preisregulierung Preisregulierung, selbst auf den Einzelhandelsmärkten, ist der Kommission wegen der wettbewerbsverzerrenden Wirkungen ein Dorn im Auge. Kundenschutz kann und muss auf andere Weise, etwa durch erhöhte Transparenz und verbesserte Rechtsschutzmöglichkeiten, sichergestellt werden. Einsatz intelligenter Messsysteme Smart Meter Intelligente Mess- und Steuerungstechnik fördert die bessere Markteinbindung der Kunden. Voraussetzung ist indes, dass Funktionalität und Interoperabilität uneingeschränkt gewährleistet sind. Wegen der insofern notwendigen einheitlichen Standards verweist die Kommission auf Vorarbeiten verschiedener europäischer Institutionen. Eine für alle Energieverbraucher verpflichtende Einführung intelligenter Messtechnik ist nicht vorgesehen. Die mit dem Rollout intelligenter Mess- und Steuerungstechnik verbundenen Kosten sollen zwischen Energiekunden und Industrie angemessen verteilt werden. Betont wird aber, dass zugunsten der Verteilnetzbetreiber Investitionsanreize gesetzt werden müssten, um den Einsatz intelligenter Steuerungstechnik zu fördern und ihre künftige Rolle als unabhängiger Datendienstleister zu unterstützen. Umfassende Gewährleistung von Datenschutz Energiewirtschaft als Vorreiter für den Datenschutz Angesichts der mit dem Umbau der Energiewirtschaft verbundenen Herausforderungen stehen datenschutzrechtliche Fragen auf der Agenda der Kommission ganz oben. Unter Bezugnahme auf die allgemeinen datenschutzrechtlichen Gesetzesvorhaben, die Richtlinie zur Netzwerk- und Informationssicherheit und die Datenschutz-Grundverordnung, verweist die Kommission auf die Erarbeitung sektorspezifischer Datenschutzstandards. Freshfields Bruckhaus Deringer LLP Das Sommerpaket der EU-Kommission Juli 2015 3 Schritte zur Realisierung Viertes Binnenmarktpaket ante portas? Mit den vorstehend beschriebenen Vorschlägen hat die Kommission einen Konsultationsprozess eingeleitet, in dessen Rahmen sich alle Marktteilnehmer bis zum 8. Oktober 2015 äußern können. Im Anschluss und nach Auswertung aller Stellungnahmen beginnt der Umsetzungsprozess, der in konkrete Gesetzesvorhaben münden soll. Sie können nahezu alle Maßgaben des europäischen Energiewirtschaftsrechts betreffen, namentlich die Strombinnenmarktrichtlinie, die Verordnung für Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel, die Richtlinie über Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Elektrizitätsversorgung und von Infrastrukturinvestitionen, die Erneuerbare-Energien-Richtlinie und die Verordnung über die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden. Ansprechpartner Für weitere Informationen und vertiefende Rückfragen wenden Sie sich bitte an Dr. Ulrich Scholz T +49 221 20 50 72 28 E [email protected] Dr. Stefan Tüngler T +49 211 49 79 248 E [email protected] Dr. Christoph Sieberg T +49 221 20 50 72 78 E [email protected] Dr. Thilo Richter T +49 221 20 50 72 40 E [email protected] freshfields.com This material is provided by the international law firm Freshfields Bruckhaus Deringer LLP (a limited liability partnership organised under the law of England and Wales) (the UK LLP) and the offices and associated entities of the UK LLP practising under the Freshfields Bruckhaus Deringer name in a number of jurisdictions, and Freshfields Bruckhaus Deringer US LLP, together referred to in the material as 'Freshfields'. For regulatory information please refer to www.freshfields.com/support/legalnotice. 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