Freiheitsrechte im 21. Jahrhundert: Zum Grundrechtsschutz im #digitalen Zeitalter Diskussionspapier des ASJ Bundesvorstandes zum SPD-Programmprozess #Digital LEBEN Beschluss vom 17. Januar 2015 2 I. Einleitung Die SPD führt derzeit den Diskussions- und Programmprozess #Digital LEBEN mit dem Ziel durch, auf einem Parteitag im Dezember 2015 das SPD-Programm für die digitale Gesellschaft zu beschließen. Das Digitale durchdringt alle Lebensbereiche und muss politisch und rechtlich gestaltet werden, damit Chancen ergriffen werden und Risiken im Griff bleiben. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive ist dabei zentral, dass der digitale Fortschritt das Recht der Bürgerinnen und Bürger auf Privatheit berührt. Um die Rolle des Staates in der digitalen Gesellschaft zu verstehen und zu gestalten, stellt sich die SPD daher zu Recht die Frage, wie der Schutz der Grundrechte insbesondere auf informationelle Selbstbestimmung gestärkt werden kann.1 Für die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (AsJ) ist die Rechts- und Netzpolitik Teil einer modernen Gesellschaftspolitik. Wir treten dafür ein, dass die SPD künftig noch stärker als bislang Garantin einer sozialen und liberalen Rechtspolitik ist, welche die Grund- und Bürgerrechte verteidigt und stärkt.2 Deswegen beteiligen wir uns engagiert am Programmprozess #Digital LEBEN. Bereits auf unserer Bundeskonferenz am 15. November 2014 in Berlin haben wir den Grundrechtsschutz im digitalen Zeitalter zum Schwerpunktthema gemacht. Auf der Grundlage eines Vortrages des Richters des Bundesverfassungsgerichts a.D. Prof. Wolfgang Hoffmann-Riem haben wir das Thema eingehend diskutiert. In Auswertung dessen legen wir als Bundesvorstand dieses Diskussionspapier als Beitrag zum SPD Programmprozess vor. II. Aktuelle Freiheitsgefährdungen durch die Digitalisierung Die Digitalisierung prägt unser gesellschaftliches Leben. Beispielsweise können wir mit internetfähigen mobilen Geräten jederzeit weltweit Informationen abrufen und mit anderen Menschen in Kontakt treten. Kommunikation ist eine der wichtigsten Produktivkräfte unserer Zeit. Die Informations- und Dienstleistungsgesellschaft ist ohne funktionsfähige Infrastrukturen der Kommunikation nicht mehr arbeitsfähig. Die Enthüllungen insbesondere Edward Snowdens haben zwischenzeitlich jedoch auch ein Ausmaß an geheimdienstlicher Überwachung offenbart, das viele zuvor nicht für möglich gehalten hatten. Die Vorwürfe wiegen schwer und es spricht vieles dafür, dass auch die Kommunikation deutscher Bürgerinnen 1 SPD, #Digital LEBEN Diskussionspapier zum Programmprozess, S.14. http://digitalleben.spd.de. 2 Vgl. näher: Soziale und liberale Rechtspolitik in und mit der SPD; Frankfurter Erklärung des AsJ Bundesvorstandes vom 6. April 2014; http://www.spd.de/spd. 2 3 und Bürger von den Nachrichtendiensten der Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritanniens, Kanadas, Australiens und Neuseelands (sog. „Five Eyes“) massenhaft überwacht wird.3 Diese tendenziell unbegrenzte und kaum kontrollierte Überwachung der elektronischen Kommunikation aller, die kommunizieren, verletzt das Recht auf Privatheit in einem bisher kaum vorstellbaren Maße und zugleich in täglich wiederkehrender Weise. Damit einher geht die Beeinträchtigung anderer Grundrechte wie der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Dieser Umstand, die ständige Betroffenheit jedes Menschen, ist, wenn er bewusst wird, schwer erträglich, und wird deshalb ständig verdrängt. Gleichzeitig erleben wir das rechtlich kaum beherrschte Bestreben von global agierenden privaten Internetunternehmen und Datenhändlern, aus kommerziellen Gründen alle verfügbaren Daten zu sammeln, um daraus Persönlichkeits- und Konsumentenprofile zu erstellen. „Datenkonzerne“ häufen gigantische Informationsmengen über uns an, deren Verwendung für uns im Dunkeln bleibt. Sie machen sich das menschliche Streben nach Konsum, Unterhaltung, Spiel, Information und Kommunikation zunutze, indem sie ihre Dienste nur dem anbieten, der seine Daten preisgibt. Rechtliche Regeln dazu sind im globalen Rechtsverkehr schwer durchzusetzen; wo es Vorschriften zum Schutz von Verbrauchern, Minderjährigen und anderen besonders Schutzbedürftigen gibt, greifen sie im elektronischen Rechtsverkehr nicht wesentlich besser als dort, wo es die Schutzvorschriften nicht gibt. Denn die Privatheit wird vermeintlich freiwillig preisgegeben. Wer seine Bedürfnisse nach Interaktion befriedigen, in seiner Gruppe dazugehören und die Entwicklung der anderen in der Gruppe nachvollziehen will, hat nicht tatsächlich die Wahl, ob er seine Daten preisgeben will. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die ernsthafte Möglichkeit einer prinzipiellen Unverletzlichkeit der Kommunikation wieder hergestellt wird. Einem dafür notwendigen Regelungsrahmen müssen Möglichkeiten seiner tatsächlichen Durchsetzung und der Sanktionierung von Verstößen folgen. Die Staaten und damit auch die Politik müssen für rechtlich verbindliche Regelungen sorgen, um auch in der digitalen Welt eine offene, freie und demokratische Gesellschaft zu sichern, in der das Recht auf Privatheit grundsätzlich gewährleistet ist. III. Grundrechte im digitalen Zeitalter 1. Abwehrfunktion Der staatliche Zugriff auf digitale Daten und Informationen fordert die Grundrechte in ihrer klassischen Abwehrfunktion heraus. Unermessliche Datenmengen und Informationsströme können mit technischen 3 Vgl. u.a. Christian Flisek, NSA-Untersuchungsausschuss - eine erste Bilanz, Schreiben an die Mitglieder der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag vom 15. Juli 2014. 3 4 Mitteln gerastert, verknüpft und ausgewertet werden. Die Abwehr des Terrorismus, wie der Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie in Paris, und das Streben nach Sicherheit führen zu dem staatlichen Interesse, vorhandene Daten mit weiteren zu speichernden Informationen über das Telekommunikations- und Nutzungsverhalten im Internet zu verknüpfen, diese Daten zu verbinden und systematisch auszuwerten. Staatliche Überwachung kann so bei den Bürgerinnen und Bürgern zu einem diffusen Gefühl des „Beobachtet Werdens“ führen und Menschen davon abhalten, ihre Freiheitsrechte unbefangen wahrzunehmen. Vor Eingriffen deutscher öffentlicher Gewalt im digitalen Bereich schützen die Grundrechte des Grundgesetzes in ihrer klassischen Funktion als Abwehrrechte. Zentral ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dessen Grundlage wurde im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Volkszählung im Jahr 1983 formuliert: „Individuelle Selbstbestimmung setzt aber - auch unter den Bedingungen moderner Informationsverarbeitungstechnologien - voraus, dass dem Einzelnen Entscheidungsfreiheit über vorzunehmende oder zu unterlassende Handlungen einschließlich der Möglichkeit gegeben ist, sich auch entsprechend dieser Entscheidung tatsächlich zu verhalten. Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden. Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist.“4 Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) schützt das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat daraus im Zusammenspiel mit der Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) einen ausdifferenzierten Schutz der Persönlichkeit und der Privatsphäre entwickelt. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt gerade auch unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Das Grundrecht gewährleistet die Befugnis des Einzelnen, 4 BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983, BVerfGE 65, 1, juris Rn. 148. 4 5 grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.5 Geschützt sind insbesondere auch das Recht am eigenen Bild sowie das Recht am eigenen Wort. Jeder darf grundsätzlich selbst entscheiden, ob er fotografiert werden darf oder ob sein gesprochenes Wort aufgezeichnet wird. Das neu entwickelte sog. Computergrundrecht schützt daneben die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, also etwa PC, Notebook, Tablet oder Smartphone. Geschützt ist zunächst und zuvörderst das Interesse des Nutzers, dass die Daten auf den verwendeten Geräten vertraulich bleiben. Ein Eingriff ist beispielsweise dann anzunehmen, wenn die Integrität dieser Geräte angetastet wird, indem auf das System so zugegriffen wird, dass dessen Leistungen, Funktionen und Speicherinhalte durch Dritte genutzt werden können. Dann nämlich ist die entscheidende technische Hürde für eine Ausspähung, Überwachung oder Manipulation des Systems genommen.6 Besonders weit reicht der Schutz im Kernbereich privater Lebensgestaltung. Während die übrigen von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Grundrechtspositionen aus überwiegenden Allgemeininteressen unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt werden können, ist ein letzter unantastbarer und damit abwägungsfester Bereich privater Lebensgestaltung der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen. Selbst schwerwiegende Interessen der Allgemeinheit können Eingriffe in diesen Bereich nicht rechtfertigen. 2. Objektiv-rechtliche Schutz- und Gewährleistungsaufträge Über die Abwehrfunktion hinaus enthalten die Grundrechte eine objektive Wertordnung, die auf die gesamte Rechtsordnung ausstrahlt und objektiv-rechtliche Schutz- und Gewährleistungsaufträge enthalten. Die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte ist z.B. bei der Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Vorschriften und der Generalklauseln zu beachten. Die Grundrechte durchdringen so die gesamte Rechtsordnung und entfalten insbesondere auch zwischen Privatpersonen eine mittelbare Drittwirkung. Die objektiv-rechtlichen Schutz- und Gewährleistungsaufträge haben vor allem Bedeutung beim Handeln privater Dritter und ausländischer Hoheitsträger. Da die Grundrechte der Verfassung allein die durch das Grundgesetz konstituierte inländische öffentliche Gewalt binden (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG), scheidet privaten Dritten und ausländischen Stellen gegenüber eine Direktwirkung der Grundrechte aus. 5 BVerfGE 113, 29 (46). 6 Vgl. BVerfGE 120, 274 (314). 5 6 Unter Umständen kann der Schutzauftrag der Grundrechte deutsche Stellen zum Schutz gegenüber unmittelbar wirkenden Beeinträchtigungen der Grundrechte durch ausländische Stellen, jedenfalls in Deutschland, verpflichten.7 Im digitalen Zeitalter treten daher bei Gefährdungen durch private Dritte8 und ausländische Stellen die subjektiv-rechtlichen Abwehransprüche in ihrer praktischen Bedeutung hinter objektiv-rechtliche Schutzaufträge zurück. Aus den Grundrechtsnormen können Schutzaufträge und Schutzpflichten deutscher Stellen abgeleitet werden, die auf den Erlass von Schutznormen oder anderen geeigneten Schutzvorkehrungen zur Gewährleistung des Freiheitsschutzes der Bürgerinnen und Bürger gegen Eingriffe privater Dritter oder Träger ausländischer Gewalt gerichtet sind.9 Daneben gibt es aber auch noch andere Bestimmungen im Grundgesetz wie beispielsweise Kompetenzregelungen, denen ein solcher Schutzauftrag unter Umständen immanent sein kann. Vieles spricht dafür, dass verschiedene Grundrechtsnormen (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1, Art. 10 GG) und infrastrukturelle Gewährleistungsaufträge wie Art. 87 f GG sowie die allgemeinen Staatszielbestimmungen (Demokratie, Sozial- und Rechtsstaatlichkeit, Art. 20 GG) zu einer normenübergreifenden Gewährleistungsaufgabe des Staates im Hinblick auf den Schutz der Funktionsfähigkeit und der Integrität informationstechnischer Systeme führen. So verpflichtet Art. 87 f GG den Bund, die flächendeckend angemessene und ausreichende Versorgung mit Dienstleistungen der Telekommunikation zu gewährleisten. Diese Norm ist ursprünglich aus Sorge vor dem Risiko einer nach erfolgter Liberalisierung nicht mehr flächendeckend gesicherten oder unangemessen teuren Versorgung mit in das Grundgesetz aufgenommen worden. Zu einer angemessenen Qualität aber gehört auch ein Schutz vor Ausspähung, Manipulation oder sonstigen durch die Telekommunikation ermöglichten Beeinträchtigungen.10 Der Staat verfügt bei der Umsetzung von Schutz- und Gewährleistungsaufträgen allerdings über einen weiten Gestaltungsspielraum, der nur bedingt der verfassungsgerichtlichen Kontrolle zugänglich ist. Bei außenpolitischem Handeln kommt noch ein weiterer speziell auf die Besonderheiten dieses Handlungsfelds abgestimmter Gestaltungsspielraum hinzu. Solche Gestaltungsspielräume beseitigen aber nicht die rechtliche Qualität der Schutzaufgabe und sind deshalb kein Freibrief für Nichtstun oder Beliebigkeit. 7 Vgl. Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl. Art. 1 Rn. 43. 8 Siehe dazu näher z.B. Beschluss des Bundesausschusses der ASJ vom 6. April 2014, „GOOGLE-GLASS VON BEGINN AN EINSCHRÄNKEN - KEINE VIDEOÜBERWACHUNG DURCH PRIVATE IM ÖFFENTLICHEN RAUM“, http://www.spd.de. 9 Vgl. näher Hoffmann-Riem, Stellungnahmen zur Anhörung des NSA Untersuchungsausschusses am 20. Mai 2014, S. 17, http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse18/ua/1untersuchungsausschuss/-/280848. 10 Vgl. Hoffmann-Riem, Hamburg, Freiheitsschutz in den globalen Kommunikationsinfrastrukturen, JZ 2014, 54 (58 f.). 6 7 Das „Wie“ der Erfüllung des Gewährleistungsauftrags ist allerdings aufgrund des weiten Gestaltungsspielraums grundsätzlich dem Staat überlassen, ohne dass dies ihn von der Pflicht zu zielführenden Maßnahmen entbindet. Die Maßnahmen müssen effektiv zur Erfüllung des Gewährleistungsauftrags beitragen.11 IV. Handlungsansätze zum Grundrechtsschutz im digitalen Zeitalter In Hinblick auf die vorgenannten Erwägungen ist es wichtig, dass der Schutz der Grund- und Bürgerrechte in der digitalen Gesellschaft ein Schlüsselthema sozialdemokratischer Rechts- und Innenpolitik ist und bleibt. Der Schutz der informationellen Selbstbestimmung sowie der Vertraulichkeit und Integrität der informationstechnischen Systeme muss wiederhergestellt und dauerhaft gesichert werden. Dazu ist es erforderlich, Freiheits- und Grundrechtsschutz im digitalen Zeitalter nicht nur auf nationaler, sondern auch auf europäischer und internationaler Ebene zu denken und zu praktizieren. Um den effektiven Schutz der Grundrechte in der Informationsgesellschaft Rechnung zu tragen, ist das Datenschutzrecht vor allem auf europäischer und internationaler Ebene weiter zu entwickeln. Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen empfiehlt daher den Steuerungskreis und den SPD Parteivorstand im Rahmen des Programmprozesses #Digital LEBEN folgende Handlungsansätze zu prüfen und näher auszugestalten. 1. Technische und organisatorische Schutzmaßnahmen Zur Gewährleistung der informationellen Selbstbestimmung sowie der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme sind neben rechtlichen auch technische und organisatorische Schutzmaßnahmen erforderlich. Um die informationstechnische Abhängigkeit von den USA abzubauen, müssen und können in Europa eigenständige technische Strukturen aufgebaut werden, um die territoriale Integrität des Internetverkehrs künftig besser zu gewährleisten. Weitere technische Maßnahmen wie insbesondere die sichere Verschlüsselung beim Transport und bei der Speicherung von Daten, die Bereitstellung einer einfach bedienbaren Verschlüsselungs-Infrastruktur, sichere Verschlüsselung der Mobilkommunikation und Einschränkung der Möglichkeiten der Geolokalisierung sowie die Beschränkung des Cloud Computing mit personenbezogenen Daten auf vertrauenswürdige Anbieter mit zertifizierter Informationssicherheit sind zu prüfen.12 Techniken, die Schutz vor Ausspähungen bieten (z.B. Anonymisierungsdienste, E-Mail Verschlüsselung) sind zu fördern. 11 Vgl. Hoffmann-Riem, Hamburg, Freiheitsschutz in den globalen Kommunikationsinfrastrukturen, JZ 2014, 54 (62f.). 12 Vgl. dazu näher Entschließung der 87. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder 7 8 2. Rechtsgrundlagen der Auslands-Kommunikationsüberwachung durch den BND Der Untersuchungsausschuss zur NSA-Affäre machte deutlich, dass auch die Auslands-Kommunikationsüberwachung durch den BND teilweise in rechtlichen Grauzonen erfolgt. Unter anderem haben zwei ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichts eindringlich darauf hingewiesen, dass der BND auch beim Handeln im Ausland an die Grundrechte gebunden ist und dass das Post- und Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 Abs. 1 GG für deutsche Behörden auch im Ausland Wirkungen entfaltet. Die Ermächtigungsgrundlage für die Auslands-Kommunikationsüberwachung durch den BND muss daher dringend überarbeitet werden.13 3. Freiheitsschutz ist auch ein Gewährleistungsauftrag des Staates Freiheitsschutz im digitalen Zeitalter ist für die SPD auch ein Gewährleistungsauftrag des Staates, insbesondere weil ein erheblicher Teil der Gefahren für die Sicherheit der Daten der Bürgerinnen und Bürger von privaten Dritten oder ausländischen Hoheitsträgern ausgeht. Daher sind verstärkt zielführende Maßnahmen zu prüfen und umzusetzen, um dem staatlichen Schutz- und Gewährleistungsauftrag nachzukommen, die Bürgerinnen und Bürger vor nicht gerechtfertigten Beeinträchtigungen ihrer Rechte auf informationelle Selbstbestimmung und angemessene Funktionsfähigkeit, Vertraulichkeit und Integrität ihrer informationstechnischer Systeme durch private Dritte oder ausländische geheimdienstliche Stellen zu schützen. Elemente des objektiv-rechtlichen Grundrechtsschutzes sollen die subjektiv-rechtlichen Abwehrrechte der Bürger nicht ersetzen. Auch ein paternalistischer, bevormundender Staat ist dabei nicht gewollt, sondern der Grundrechtsschutz wird dort ausgeweitet, wo keine klassische Staat-BürgerGefährdungslage besteht. 4. Vertragsrecht Auch Regelungen zum Schutze der Parteien zivilrechtlicher Verträge können aufgrund der objektivrechtlichen Schutzwirkung der Freiheits- und Grundrechte geboten sein. Insbesondere ist bei Verträgen mit Verbrauchern zu prüfen, dass Daten nicht aufgrund von allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) oder anderen vertraglichen Nebenbestimmungen an bzw.- zugunsten Dritter verwendet, verwertet oder vom 28. März 2014, https://www.datenschutz.rlp.de/de/ds.php?submenu=grem&typ=dsb&ber=087_elkomm. 13 Vgl. u.a. Christian Flisek, NSA-Untersuchungsausschuss - eine erste Bilanz, Schreiben an die Mitglieder der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag vom 15. Juli 2014. 8 9 weitergeleitet werden können. Ebenso sollten Vertragsdaten vom Vertragspartner nicht aufgrund solcher Vertragsbestimmungen zu anderen Zwecken als dem Hauptzweck des Vertrages verwendet werden können. Für den Erwerb und die Nutzung personenbezogener Daten bedarf es dann eines gesonderten Vertrages mit dem Grundrechtsträger, der diesen Datenerwerb als Hauptleistung herausstellt und die Gegenleistung dafür konkret benennt. 5. Schaffung eines einheitlichen, hohen digitalen Schutzstandards in Europa Freiheitsschutz zur Gewährleistung der informationellen Selbstbestimmung der Menschen und der Vertraulichkeit der Integrität der informationstechnischen Systeme ist auch ein Schutz- und Gewährleistungsaufgabe der EU. Erforderlich ist die Schaffung eines einheitlichen, hohen digitalen Schutzstandards in Europa. Dieser muss aus einer Vielzahl von Bausteinen bestehen. Unabdingbar und zentral ist hierbei die geplante Europäische Datenschutz-Grundverordnung als Grundgerüst für weitere Regelwerke zur Verbesserung des digitalen Grundrechtsschutzes. Die Rechte der Bürgerinnen und Bürger in der vernetzten Welt müssen mit dieser Verordnung gestärkt werden. Wichtigster Schritt auf diesem Weg ist die Verabschiedung der Datenschutz-Grundverordnung möglichst im Jahr 2015. 6. International eine Erhöhung des Datenschutzniveaus bewirken Als Antwort auf die globalen Vernetzungen und die Enthüllungen über geheimdienstliche Überwachungen und den Missbrauch personenbezogener Daten ist der internationale Datenschutz zu stärken. Zu begrüßen ist daher die deutsch-brasilianische Initiative zum „Recht auf Privatheit im digitalen Zeitalter“, die den digitalen Charakter der Gewährleistung der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte herausstreicht. Wir weisen zudem auf die Notwendigkeit hin, bei den Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und der Regierung der Vereinigten Staaten über eine transatlantische Freihandelszone auch die unterschiedlichen datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen zu thematisieren. Wir erinnern daran, dass nach den Vorgaben der Welthandelsorganisation der Datenschutz kein Handelshindernis darstellt. Die vorgeschlagene Freihandelszone sollte auch international eine Erhöhung des Datenschutzniveaus bewirken. Dabei muss sichergestellt werden, dass das durch die Europäische Grundrechtecharta verbriefte Grundrecht auf Datenschutz und die daraus abgeleiteten Standards gewahrt bleiben. Von der Kommission erwarten wir, sofern sie auf Grundlage des jetzigen Mandats weiter handelt14, dass sie zumindest bei den Verhandlungen das Ziel einer grundrechtsorientierten Wertegemeinschaft nicht aus 14 Auf der Bundeskonferenz am 16. November 2014 hat die AsJ mehrheitlich den Abbruch der Verhandlungen über TTIP gefordert. Gefordert wird ein neues Mandat für die Europäische Kommission, das in einem transparenten Verfahren erarbeitet sowie durch das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente bestätigt werden muss; vgl. näher http://www.spd.de. 9 10 dem Auge verliert. Keineswegs dürfen durch die angestrebte transatlantische Wirtschaftsunion europäische Grundrechtsgewährleistungen abgeschwächt werden. 10
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