Mehr Kenntnis, mehr Vertrauen

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Thema
der
Woche
Nr. 45 · 8. November 2015
Mehr Kenntnis, mehr Vertrauen
Christlich-muslimischer Dialog im Bistum Eichstätt / Neue Arbeitsgruppe soll unterstützend wirken
ls der deutsch-iranische
Schriftsteller Navid Kermani
unlängst den Friedenspreis des
Deutschen Buchhandels erhielt,
erzählte er in seiner Dankesrede
von Pater Jacques, einem syrischen
Christen, der in die Gewalt der
IS-Terrormilizen geraten war und
den muslimische Bekannte unter
Einsatz ihres eigenen Lebens
retteten. Dies zeige „dass Liebe über
die Religionen hinaus funktioniert“.
Eine Mut machende Vision für
alle, die den interreligiösen Dialog
suchen und fördern möchten – so
wie eine neu eingerichtete Arbeitsgruppe der Diözese Eichstätt, die
auf Initiative von Bischof Gregor
Maria Hanke entstanden ist (die KiZ
berichtete) und die sich zunächst
auf den christlich-muslimischen
Dialog konzentrieren will.
Dem neuen Arbeitskreis, der Handreichungen und Arbeitshilfen für
Seelsorgeeinheiten und Pfarreien
erarbeiten soll, gehören Pfarrer und
Ordensleute ebenso an wie Vertreter von Schulen oder der
Katholischen Universität EichstättIngolstadt. Bei einigen hat sich
die KiZ nach ihren bisherigen
Erfahrungen vor Ort erkundigt.
„Wir laden uns gegenseitig zu
Veranstaltungen ein“, kann zum
Beispiel der Pfarrer von Treuchtlingen, Matthias Fischer, berichten.
In Ingolstadt
befindet sich
die größte islamische
Gemeinde im Bereich
des Bistums Eichstätt.
Seit Jahren pflegen
Christen und Muslime
dort den Dialog. Unser
Bild entstand bei einem
Gesprächsabend zum
Thema „Ehe, Familie
und Erziehung“.
Das Verhältnis zur örtlichen muslimischen Gemeinde, die eine eigene
Moschee in Treuchtlingen hat, sei
angenehm: „Wir sind draußen,
wenn sie ihre Kermes wie ein kleines
Volksfest feiern“. Umgekehrt freute
sich der Pfarrer über das Interesse
der Muslime am Tag des offenen
Glockenturms in der katholischen
Pfarrkirche. Zum Pastoralbesuch
von Bischof Gregor Maria Hanke
in der Pfarrei Treuchtlingen gehörte 2011 ein Gespräch mit der
Leitung des islamischen Vereins,
„und einen Gegenbesuch beim
Bischof gab‘s auch“, erinnert sich
Fischer.
Anerkennende Worte
Elisabeth Gsänger hat das Verhältnis von Christen und Muslimen
aus unterschiedlichen Blickwin-
Foto: Sirt
A
keln kennengelernt. Mit der Pfarrei
war sie im September in Jordanien
und hatte dort den Eindruck, dass
die beiden Religionen friedlich zusammenleben. Andererseits hat die
Altdorfer Religionslehrerin eine
Kollegin, die mit einem gebürtigen
Syrer verheiratet ist. Immer wieder
berichtet diese über die schlimme
Situation der Christen im Heimatland ihres Mannes. „Im Juli hatten
wir eine Nacht der offenen Kirche,
dabei hat eine syrische Familie
von ihrer Flucht berichtet“, erzählt
Gsänger. Letztes Jahr gab sie
Religionsunterricht in einer Klasse,
deren Schülerzahl durch Zuzug von
Flüchtlingskindern von anfangs
19 auf 29 angestiegen war, „da haben
fast die Stühle nicht mehr gereicht“.
Steht im katholischen Religionsunterricht das Thema Weltreligionen
auf dem Stundenplan, dann lädt
die Lehrerin manchmal muslimische Schüler ein. Wenn die dann
erzählten, wie sie beten, dann
hörten die katholischen Schüler interessiert zu, „auch wenn sie umgekehrt nicht so viel dazu sagen
können“, meint Gsänger nüchtern,
„das ist die Realität“.
Anteilnahme
zeigen
Auch Pfarrer Dr. Clemens Hergenröder aus Ingolstadt/St. Konrad
findet anerkennende Worte darüber, wie selbstverständlich für
Muslime der Glaube zum Leben
gehört und im Alltag bekundet
wird. Im Gesprächsforum Christlich-islamischer Dialog der Stadt
Ingolstadt, das bis in die 1980erJahre zurückgeht, vertritt Hergenröder gemeinsam mit dem Pfarrer
S tichwor t
apst Franziskus sieht im interreligiösen Dialog eine unumgängliche Voraussetzung für Frieden zwischen den Völkern. Er bekräftigt damit das 50 Jahre alte Konzilsdokument „Nostra aetate“
über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen.
Als gemeinsamer Nenner wurde damals formuliert: „Die Menschen erwarten von den verschiedenen Religionen Antwort auf die
ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins, die heute wie von je
die Herzen der Menschen im tiefsten bewegen.“ Ein Meilenstein
des interreligiösen Dialogs war auch das Friedensgebet von Papst
Johannes Paul II. in Assisi 1986, dem drei weitere Treffen folgten.
Bereits seit 1978 existiert die Fachstelle CIBEDO der Deutschen
Bischofskonferenz. Ihre Aufgabe ist es, den interreligiösen Dialog zwischen Christentum und Islam, sowie das Zusammenleben
von Christen und Muslimen zu fördern und zu dokumentieren. Die
Bischofskonferenz hat einige Schriften herausgegeben. Grundlegende Aussagen und Stichworte enthält die Arbeitshilfe Nr. 172,
„Christen und Muslime in Deutschland“. 2008 erschien die Handreichung „Leitlinien für multireligiöse Feiern von Christen, Juden
und Muslimen.“
gg
Foto: pde/Hirschbeck
P
Der neue Arbeitskreis (v. l.): Pfarrer Franjo Skok (Kornburg),
Dr. Ludwig Brandl, Pfarrer Matthias Fischer (Treuchtlingen),
Schwester Clarissa Strnisko (Velburg), Pfarrer Dr. Clemens Hergenröder (Ingolstadt), Religionslehrerin Elisabeth Gsänger (Altdorf),
Rupert Murböck (Leiter der Eichstätter Fachakademie für Sozialpädagogik), Ordinariatsrätin Barbara Bagorski, Flüchtlingsseelsorger Dr. Andreas Thiermeyer, Prof. Dr. Heinz-Otto Luthe (früherer
Vizepräsident der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt). Auf
dem Bild fehlt Pater Franziskus Succar vom Collegium Orientale.
für die theologische Fakultät der
Katholischen Universität EichstättIngolstadt, „es wäre ein Zeichen
der Zeit.“
Auch die Katholische Erwachsenenbildung (KEB) könne zum
Dialog beitragen, meint der Direktor des Diözesanbildungswerks
Eichstätt, Dr. Ludwig Brandl, der
auch Leiter der neuen diözesanen
Arbeitsgruppe ist. Die Veranstaltungen der KEB könnten helfen,
„die Kenntnis über den Islam zu
verbessern, gegenseitigen Respekt
zu fördern, Vertrauen mitaufzubauen für ein friedvolles Miteinander in einer lebenswerten
Gesellschaft“. Konkret liefen auf
Diözesanebene Planungen zu einem
Studientag zum Thema Barmherzigkeit im Christentum, im
Islam und im Judentum, kündigt
Brandl an. Darüber hinaus sei eine
Autorenlesung geplant. „Selbstverständlich wird der Arbeitskreis
hier bei den Planungen mit einbezogen. Und auch mit den Kollegen
von den Kreisbildungswerken
werden wir den christlich-muslimischen Dialog intensiviert
thematisieren.“
Ordinariatsrätin Barbara Bagorski regt als langjährige Frauenseelsorge-Referentin der Diözese
auch die Frauenverbände an,
Räume des Dialogs zu eröffnen
– durchaus auch mit Themen aus
dem Alltagsbereich, wie Erziehung
oder Ernährung.
„Was
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Woche
Z um The ma
Umfrage in den Pfarreien
A
ls Arbeitsgrundlage dienen
dem neuen diözesanen
Arbeitskreis für den christlichmuslimischen Dialog die Ergebnisse eines Fragebogens,
der im vergangenen Sommer an
alle Pfarreien im Bistum ging.
Ziel war eine Bestandsaufnahme
darüber, welche Kontakte es
zwischen Katholiken und Mus-
gibt (in knapp einem Fünftel
der Seelsorgebereiche), haben
die Pfarreien auch Kontakt zu
diesen Gemeinden.
In mehr als der Hälfte der
Pfarreien besuchen muslimische Kinder einen Kindergarten
in Trägerschaft des Bistums
Eichstätt. Häufig machen sie bei
christlichen Angeboten mit, wie
Martinszüge finden
in der kommenden
Woche wieder in
den katholischen
Kindergärten statt.
In fast der Hälfte der
Einrichtungen greifen
auch die muslimischen Kinder zur
Laterne, wie eine
Umfrage im Bistum
Eichstätt ergab.
limen bereits gibt. Insgesamt
98 Pfarreien haben sich an der
Umfrage beteiligt. Hier einige
Ergebnisse im Überblick.
Gut ein Viertel der Pfarreien
gibt an, die politische Lage habe
das Bewusstsein vor Ort verstärkt, dass eine Begegnung mit
Muslimen notwendig sei. Dort
wo es muslimische Gemeinden
etwa dem Martinsritt oder der
Adventsfeier.
Alle Ergebnisse der Umfrage
stehen im Internet unter „www.
bi s t u m - e ich s t a e t t .d e /i nt e r
religioeser-dialog“. Dort sind
Kontaktdaten sowie weitere Informationen zum interreligiösen
Dialog im Bistum und zum
Arbeitskreis abrufbar. pde/gg
tut ihr dagegen ?“
Sehr begrüßenswert findet
Dekan Monsignore Richard Distler
die Gründung des neuen diözesanen Arbeitskreises. Der Seelsorger
der Neumarkter Hofpfarrei gehört
der Runde zwar nicht selbst an, ist
aber seit Jahren in einem Dialogforum aktiv, bei dem abwechselnd
der türkisch-islamische Vereins
Eine
Gebetskette
bekam
Bischof Hanke
beim Besuch
der Treuchtlinger Moschee
überreicht. Mit
im Bild der
katholische
Pfarrer
Matthias
Fischer.
sowie der katholische und der
evangelische Dekan Gastgeber
sind. Wie es ins Rollen kam, kann
Distler an einem ganz konkreten
Ereignis festmachen: Als Papst
Johannes Paul II. 2005 starb,
„da sind Muslime von sich aus
zum Requiem gekommen und
haben mir als Dekan persönlich
Foto: Eckel
der Ingolstädter Pfarrei St. Pius,
Martin Geistbeck, die katholische
Kirche. Jüngste gemeinsame Veranstaltung war ein interreligiöses
Friedensgebet auf dem Ingolstädter
Paradeplatz. „Mehr übereinander
erfahren“ lautete die Devise zum
Beispiel bei Gesprächsabenden
über den Umgang mit Tod und
Sterben, über Eheschließungen
zwischen Angehörigen verschiedener Religionen oder auch über
die Frage, warum sich zwei Hauptgruppen des Islams, Schiiten und
Sunniten, gegenseitig bekämpfen.
Unter dem Eindruck des Anschlags
auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ ging es auch um die
Themen „Terror und Religion“ und
„Religion und Satire“.
Zum Fastenbrechen sind die
Christen regelmäßig eingeladen,
nicht nur die Mitglieder des Dialogforums. „Wir versuchen das auch
in den Stadtteilen zu praktizieren“,
berichtet Hergenröder und nennt
ein weiteres Beispiel für Begegnung: An der Grundschule sind
die muslimischen Kinder dabei,
wenn der Pfarrer den Adventskranz
segnet. Umgekehrt gratulieren
die katholischen Schüler zum
muslimischen Opferfest.
Bei allen Aktivitäten ist Hergenröder eines wichtig: „Wir suchen
nicht den kleinsten gemeinsamen
Nenner, sondern wir achten uns
und nehmen Anteil an der Feier
des anderen.“ Der Glaube an die
Kraft des Gebets vereine die Religionen, etwa in der Verantwortung
für Frieden und Gerechtigkeit,
aber es sei „kein gemeinsames
Beten, sondern Beten in Gegenwart des anderen“.
Hergenröder erzählt noch ein
anderes Beispiel, mit traurigem
Hintergrund: Von den Erzieherinnen eines Kindergartens wurde
er um Beistand gebeten, als ein
muslimisches Kind tödlich verunglückte. Nachdem er im Kreis der
Kinder eine Kerze entzündet und
ein Gebet gesprochen hatte, machte
der katholische Pfarrer auch einen
Besuch bei der trauernden Familie
und sprach seine Anteilnahme aus.
Später fand noch eine Gedenkfeier
im Kindergarten statt, bei der auch
der Imam dabei war.
Das Thema christlich-muslimischer Dialog „müsste man stärker in
der Ausbildung berücksichtigen“,
sieht Hergenröder hier eine Chance
der
kondoliert“. Der Draht ist bis heute
gut, die Worte durchaus deutlich:
„Was tut ihr gegen radikale Hassprediger?“ erinnert Distler die
muslimischen Gesprächspartner
an ihre Verantwortung.
Dass Religionen radikal werden
können und Machtgelüste an
erster Stelle stehen, hat Schwester
Clarissa Strnisko am Beispiel der
Terrormiliz Boko Haram selbst
mitbekommen. Die Ordensfrau
der Apostolischen Schwestern
vom heiligen Johannes, die in Velburg das Haus Betanien führen,
hat neun Jahre in Kamerum gelebt
und dort ein Kloster aufgebaut.
Für die studierte Theologin gibt
es nur eine Grundregel für den
Dialog der Religionen: „Wir müssen
immer zu deren Ursprung gehen.
Wenn ich zum Ursprung gehe,
ist da Friede.“ Gabi Gess
Foto: Gess
Thema
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