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POR TR ÄT
Das Verbindende finden
und durch Türen führen
Marlise Leinauer fliegt um die Welt und spielt Alphorn im Quintett.
Führung versteht die Leiterin des Bereichs Didaktik und Bildungsmanagement
an der EB Zürich als eine Art Coaching: Den Gestaltungsfreiraum,
den sie für sich beansprucht, will sie auch für andere auftun.
Text Christian Kaiser Bild Philipp Baer
Sie schnuppert am Dampf, der aus dem Teekännchen
steigt. Einen Paradies-Tee hat sie sich geholt, am
Tresen des Sphères, der Buchbar in Züri-West. Früher,
als das Zürcher Westend noch eine Industrie­brache
war, das ist gar noch nicht so lange her, und das
Sphères als einer der ersten Kulturbetriebe aufmachte, hat sie Flyer für das Sphères verteilt. Um
ihm zu Publikum zu verhelfen; wer als Werbeassistentin und Marketingplanerin in die Berufswelt
eingestiegen ist, legt diese Brille halt nie ganz ab.
Damals wohnte sie im neu hochgezogenen Limmatwest. Parterre, mit Blick aufs Wasser. Sie erzählt von
sintflutartigen Regenfällen, von Enten, die durch
Schrebergärten schwammen, und der Angst, dass
die Limmat hätte durch ihre Wohnung fliessen können im Jahrhundertwasserjahr 1999. Man stellt sich
das Paradies leicht anders vor.
Kommunikation mit Hippos
Paradiesisches findet Marlise Leinauer aber stückchenweise immer wieder: manchmal in ihrer Heimatstadt Zürich, öfters und vor allem aber auch weit
weg. Das Unterwegssein und das Reisen betreibt
sie mit Leidenschaft. Schon früher, als sie bei der
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Swissair arbeitete, 10 Jahre lang in verschiedensten
Positionen, ist sie regelmässig um den Globus gejettet. Heute taucht sie in den Ferien im Golf von Aden
ab, in Taucherausrüstung, kraxelt im Himalaja
herum, in Bergsteigermontur, oder spielt in Botswana vom Dach des Landrovers den Nilpferden auf
dem Alphorn vor. Kein Witz. «Die spitzten die Öhrchen und kamen immer näher», sagt sie. Sie und
ihr Mann wollten einfach mal wissen, «wie die Tiere
auf Naturtöne reagieren.» Mit Neugier also.
Boden und Volumen
Das Alphorn ist für Marlise Leinauer ein Mittel, um
in Beziehung zu treten, um ins Gespräch zu kommen.
Und so geht ihr Alphorn in der zusammenlegbaren
Ausführung oft mit ihr auf Reisen. Bei Menschen
funktioniert die Kontaktaufnahme via Naturton­
musik übrigens auch wunderbar; beispielsweise,
wenn sie in der Kirche in Yorkshire, wo sie eine Art
zweite Heimat gefunden hat, ins Horn bläst. «Das
Alphorn ist ja ein recht simples Instrument, aber
eines, das in der Seele ankommt. Alle wollen es
hören.» Aber wieso ist es ihr Instrument? «Vielleicht
weil ich ja selbst auch laut bin», sagt sie und lacht
schallend. An dem krummen Holzinstrument fasziniert sie vor allem die Kraft der Töne, das Urige, das
Archaische. Dass es Bodenhaftung hat und Volumen
produziert.
Schräge Töne berühren mehr
Und das Disharmonische seiner Naturtöne, die man
rund um den Globus finden kann – gesungen oder
durch Instrumente wie die tibetischen Mönchstrompeten oder das Didgeridoo der Aborigines in Australien hervorgebracht. «Es ist ja nicht der Wohlklang,
der die Menschen am stärksten berührt», sagt
Leinauer und schiebt dann gleich begeistert kleine
Romane nach über die Verbindung zwischen mit
Obertönen jodelnden Muotathalern und singenden
Melanesiern, die irgendwo im Südpazifik in einer
Bretterbuden-Kirche ihre Missionarslieder vortrugen. Ja, das scheint ein bisschen ihre Mission zu sein:
das Verbindende zu finden. Auch wenn die Werte
und Einstellungen der Menschen völlig unterschiedlich sind. Das Andere und das Anderssein interessieren sie, darauf geht sie zu. Und plötzlich tun sich in
einem Alphornkurs mit Menschen, denen sie sonst
nie begegnet wäre, ganz neue Welten auf. «Und man
findet den gemeinsamen Nenner», in einer seltsam
anmutenden Musik.
FÜHRUNG UND LEADERSHIP 33
Sich mit dem Fremden vertraut machen
Auch als Berufsfrau hat sie sich immer wieder auf
Neues eingelassen. 20 Jahre lang war sie für verschiedene Fluggesellschaften tätig. Als Kundenberaterin
für Marketingkampagnen, im Swissair-Care-Team
für das Flugpersonal, als Ausbildungsverantwortliche
und Personalentwicklerin bei Swissport. Nach dem
Grounding der Swissair übernahm sie 2002 die
Stelle als Bereichsleiterin «Didaktik und Bildungsmanagement» an der EB Zürich. Den Drang, beruflich das Heft in die Hand zu nehmen und auch Führungsrollen auszufüllen, hatte sie schon früh gespürt:
«Mich reizte immer die Freiheit, die Gestaltungsfreiheit, die man in Führungspositionen hat.» Den
Freiraum zu haben, einen Bereich und eine Kultur
zu formen, wie sie ihn heute besitzt, hält sie für ein
grosses Privileg.
Freiräume nutzen und abgeben
Führen heisst Türen öffnen
Vielleicht hat sie so einige der wesentlichen Geheimnisse guter Führung für sich entdeckt: «Es gilt, seine
Leute gut zu kennen und ihnen dann den Freiraum
zu geben, in dem sie sich entfalten können.» Führen
heisst für Marlise Leinauer: Stärken erkennen, Rahmen geben und Türen öffnen. Dazu gehört für sie
auch, dass man sich eingestehen kann, dass die Mitarbeitenden manches besser können als man selbst:
«Ich muss es nicht selbst am besten können – und
wenn mir etwas nicht gelingt, fällt mir auch kein
Zacken aus der Krone, dies einzugestehen und mit
den Mitarbeitenden zu diskutieren, wie es nächstes
Mal besser laufen könnte.» Und wenn man sie so
reden hört, jetzt ganz ernsthaft und überzeugt,
wünscht man sich, dass sich alle Kaderleute, die das
noch nicht begriffen haben, sich ihr «Leitbild» auf
einen Zettel schreiben und übers Pult hängen: «Sich
selbst nicht allzu ernst nehmen, auch mal Emotionen zeigen können und zu den eigenen Unzulänglichkeiten stehen.» n
Am Anfang war der Wechsel aus der Privatwirtschaft an eine öffentliche Bildungsinstitution aber
ein Kulturschock. «Die Führungserwartungen
sind grundsätzlich anders.» Erst einmal musste
sie begreifen, dass sie hier Menschen zu führen
hat, die selber führen und selber führen wollen.
Denn andere zu bilden, ist ja auch eine
Führungsaufgabe. Lehrpersonen sind
AUF KURS BLEIBEN
Einzelkämpfer, sie sind gewohnt, sich
Interkulturelle Kommunikation
selbst zu organisieren und selbst andere
Interkulturelle Unterschiede wahrnehmen und damit umgehen können.
zu steuern. «Führen und Lehren sind beides Vermittlungsjobs, wie sehr sie sich
Gespräche moderieren
gleichen, habe ich erst mit der Zeit verZwischen verschiedenen Standpunkten vermitteln.
standen.» Entsprechend beanspruchten
Modul-Bildungsgang «Eidg. Fachausweis Ausbilder/in»
Mit viel Fachwissen für gute Ausbildungen sorgen.
Bildungsleute viel Gestaltungsfreiraum
Coaching für Bildungsfachleute
für sich. Marlise Leinauer ist drum zum
Schluss gekommen: «Wer sie führen will,
Der Blick von aussen hilft weiter.
muss ihnen denselben Gestaltungsraum
zugestehen, den man als FührungsperAnmelden: eb-zuerich.ch/fuehrung
son für sich selbst in Anspruch nimmt.»
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