Psychotherapie für Ältere - Waldburg

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GESUND LEBEN
5. März 2016 · BZ Nr. 09/16
Psychotherapie für Ältere: Lohnt sich das noch?
Waldburg-Zeil-Klinik Alpenblick Selbsthilfegruppe „55plus“ organisiert regelmäßig interessante, öffentliche Vorträge
„Lange Zeit war man der Meinung, dass Psychotherapie im
Alter nicht sinnvoll und lohnenswert sei. Ein häufig geäußertes
Vorurteil in diesem Zusammenhang lautete: Die Erfolgsaussichten seien einfach zu schlecht“,
sagt Erik Wenglein, Leiter der
Selbsthilfegruppe „55plus“, die
sich einmal im Monat in der Klinik
Alpenblick in Isny-Neutrauchburg
trifft und sich mit Themen des
Älterwerdens beschäftigt. „Auch
heute noch werden Ältere und
alte Menschen bei der Bewilligung von Psychotherapien benachteiligt“, sagt der Psychotherapeut und erläutert im BZGespräch, woran das seiner Meinung nach liegt:
Wenglein: Offenbar hat es sich
noch nicht herumgesprochen,
dass Psychotherapien mit älteren Menschen genauso erfolgreich verlaufen wie bei jüngeren. Man sollte lediglich berücksichtigen, dass Ältere am Anfang unter Umständen etwas
mehr Zeit brauchen, um in die
Therapie hineinzufinden.
jüngerer Personen unterscheiden. Auch die Häufigkeit einzelner Störungsbilder unterscheidet sich nicht grundsätzlich.
Ältere leiden ebenso wie Jüngere
unter Angststörungen, psychosomatischen Erkrankungen oder
Depressionen. Es gibt allerdings
einige Aspekte, die man bei
einer Psychotherapie im Alter
beachten sollte:
Da Ältere sich der Tatsache
bewusst sind, dass die Zeit, die
ihnen bleibt, begrenzt ist, entsteht unter Umständen ein
höherer Leidensdruck, durch den
sich ein Therapeut möglicherweise eingeengt fühlen könnte.
Außerdem verfügt der ältere
Mensch über eine größere
Lebenserfahrung, so dass der
meist jüngere Therapeut dadurch zusätzlich verunsichert
sein könnte. Andererseits kann
man sich in der Therapie diese
Lebenserfahrung zunutze machen, so dass schließlich die
Ergebnisse der Behandlung genau so gut sind wie bei jüngeren
Patienten, die zudem oft mehr
Illusionen haben als ältere.
Allerdings gibt es auch einige
Besonderheiten. So werden
zum Beispiel Depressionen,
die die häufigste psychische
Störung im Alter darstellen, oft
nicht rechtzeitig erkannt. Der
Grund: Ältere Patienten klagen
seltener spontan über psychische Symptome wie Niedergeschlagenheit oder Antriebsarmut, sondern eher über körperliche Störungen wie Schmerzen
oder Schlafstörungen, so dass
der Behandler möglicherweise
auf eine falsche Spur gesetzt
wird. Zudem wird nicht selten
eine lang andauernde Depression
mit einer normalen Trauerreaktion verwechselt.
BZ: Warum ist das so?
Wenglein: Das kann verschiedene Gründe haben. Früher war
es ja auch keinesfalls üblich,
dass man zum Psychotherapeuten ging, da das als Schwäche
galt. Man dachte wohl, dass die
verbleibende Lebenszeit nicht
ausreichen würde, um all die
Konflikte gründlich zu bearbeiten, die im Laufe eines Lebens
entstanden waren. Aber heute
ist die Situation eine grundlegend andere: Die Lebenserwartung der meisten Menschen ist deutlich höher und
ihre Gesundheit im Alter meist
besser, so dass auch die für eine
erfolgreiche Therapie zur Verfügung stehende Zeit entspre- BZ: Welche Probleme sind es,
chend länger ist und besser die vor allem ältere Menschen
bewegen, sich fachliche Hilfe zu
genutzt werden kann.
holen?
BZ: Doch warum suchen heut- Wenglein: Thematisch sind es
zutage zunehmend mehr ältere in den Therapien oft das NachMenschen einen Psychothera- lassen der Leistungsfähigkeit,
der Abschied aus dem aktiven
peuten auf?
Wenglein: Prinzipiell muss Erwerbsleben oder ein Nachman sagen, dass die Gründe für lassen von Merkfähigkeit und
eine Therapie im Alter sich Gedächtnis sowie anhaltende
nicht von den Beweggründen Schlafstörungen, die zur Spra-
Die Behandlung älterer Menschen verlangt vom Psychotherapeuten
oft ein anderes Einfühlungsvermögen als bei jüngeren Patienten,
auch wenn sich die Störungsbilder sehr ähneln.
Die Lebenserwartung der Menschen ist deutlich höher und ihre Gesundheit im Alter meist besser als
früher, so dass auch für Psychotherapien bei älteren Menschen genug Zeit zur Verfügung steht und diese
genau so erfolgreich verlaufen wie bei jüngeren Personen.
BZ-Fotos: WZK
che kommen. Es gibt kaum einen anderen Lebensabschnitt,
in dem mehr Verluste bewältigt werden müssen. Das
macht es notwendig, dass der
Therapeut in der Lage ist, mit
seinem älteren Patienten
adäquat zu trauern, wovor sich
allerdings auch Therapeuten
bisweilen fürchten.
BZ: Gibt es denn eine Form der
Psychotherapie, die besonders
für ältere Patienten geeignet ist?
Wenglein: Bei der Beantwortung dieser Frage sind meist
sowohl ältere Patienten als
auch deren Hausärzte überfordert. In der Regel wird man die
Entscheidung, ob zum Beispiel
eine Einzel- oder Gruppentherapie zu empfehlen ist, erst
nach einigen Vorgesprächen
treffen können.
Für eine Einzeltherapie
spricht oft, dass ältere Menschen
zunächst die geschützte Atmosphäre eines Zweiergesprächs
bevorzugen. Allerdings stellt
sich nicht selten heraus, dass die
Konflikte des Patienten auch im
zwischenmenschlichen Bereich
in der Auseinandersetzung mit
anderen Menschen, z.B. Familienmitgliedern oder Partnern liegen, so dass gemeinsame Gespräche mit allen Beteiligten oder
eine Gruppentherapie sinnvoll
sein können, zumal es darum
gehen wird, die sozialen Fähigkeiten des Alterspatienten zu
unterstützen.
BZ: Welches Ziel verfolgt eine
Therapie bei älteren Personen
vorrangig?
Wenglein: Viele von ihnen
haben Angst, jetzt im Alter zu
vereinsamen. Deshalb geht es in
jeder Therapie vor allem darum,
die Bindungs- und Beziehungsfähigkeit des alten Menschen zu
prüfen und gegebenenfalls seine
soziale Kompetenz zu stärken.
Das ist schon deshalb wichtig,
weil das höhere Alter in unserer
einseitig auf Jugendlichkeit und
Leistung ausgerichteten Gesellschaft als Risikofaktor für einen
Suizid gilt. Nicht selten wird
angenommen, dass es für ältere
Menschen genügend Gründe
gibt, depressiv zu reagieren. Deshalb beurteilt man schließlich
auch den Selbsttötungsversuch
des alten Menschen als verständlichen Ausdruck eines allgemeinen Lebensüberdrusses.
Dabei wird allerdings übersehen, dass es in der Regel eher die
Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit sind, die den alten
Menschen in den vorzeitigen,
selbst gewählten Tod treiben.
Ob nun eine Verhaltenstherapie, eine große psychoanalytische Behandlung oder
eine zeitlich begrenzte tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie sinnvoll ist, ist nicht
so sehr eine Frage des Alters,
sondern eher abhängig von
der für eine Psychotherapie
gewählten Zielsetzung.
Wünscht der ältere Patient
in erster Linie eine bewusste Auseinandersetzung und Problemlösung oder eine möglichst
schnelle Symptombesserung,
so kann eine Verhaltenstherapie die günstigere Lösung sein.
Geht es dagegen in erster
Linie um unbewusste Konflikte,
die geklärt werden müssen,
um eine stabile Entscheidungsgrundlage zu ermöglichen, so
kann eine aufdeckende Behandlung im Sinne einer tiefenpsychologisch orientierten oder
gar eine psychoanalytische Therapie das Mittel der Wahl sein.
Die Entscheidung über die
Wahl der Behandlungsmethode
wird im gemeinsamen Gespräch mit dem Patienten
getroffen. Für beide Parteien
gibt es eine Probezeit in der
Therapie, nach deren Ablauf
entschieden wird, ob die
Behandlung in der gewählten
Form sinnvoll und erfolgversprechend ist.
BZ: Wie hoch ist die Chance auf
eine erfolgreiche Therapie?
Wenglein: Wie in jeder anderen
Beziehung kann es auch bei
einer Psychotherapie zu Situationen kommen, die sie scheitern lassen. Das kommt allerdings nicht häufiger vor als bei
anderen medizinischen Behandlungen auch. In der Therapie mit älteren Menschen gibt
es bisweilen verborgene Fallstricke, die es gilt, in der Therapie zu erkennen und damit konstruktiv, behutsam aber auch
bestimmt umzugehen. So kann
eine Psychotherapie im Alter
eine bereichernde Erfahrung
sein und sollte in jedem Fall
versucht werden.
BZ
TERMIN
Die Selbsthilfegruppe „55plus“
lädt im Rahmen ihrer Treffen zu
öffentlichen Vorträgen in die
Klinik Alpenblick
in Isny-Neutrauchburg ein:
3. Mai 2016
Trauma im Alter: Wie verarbeiten
wir das? 5. Juli 2016
Suizid im Alter: Was tun? 2. August 2016
Weisheit des Alters: Gibt es sie
wirklich? 4. Oktober 2016
Haben Rentner gar keine Zeit? 6. Dezember 2016
Sterben und Tod: Die letzten
Rätsel des Lebens
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