28 GESUND LEBEN 5. März 2016 · BZ Nr. 09/16 Psychotherapie für Ältere: Lohnt sich das noch? Waldburg-Zeil-Klinik Alpenblick Selbsthilfegruppe „55plus“ organisiert regelmäßig interessante, öffentliche Vorträge „Lange Zeit war man der Meinung, dass Psychotherapie im Alter nicht sinnvoll und lohnenswert sei. Ein häufig geäußertes Vorurteil in diesem Zusammenhang lautete: Die Erfolgsaussichten seien einfach zu schlecht“, sagt Erik Wenglein, Leiter der Selbsthilfegruppe „55plus“, die sich einmal im Monat in der Klinik Alpenblick in Isny-Neutrauchburg trifft und sich mit Themen des Älterwerdens beschäftigt. „Auch heute noch werden Ältere und alte Menschen bei der Bewilligung von Psychotherapien benachteiligt“, sagt der Psychotherapeut und erläutert im BZGespräch, woran das seiner Meinung nach liegt: Wenglein: Offenbar hat es sich noch nicht herumgesprochen, dass Psychotherapien mit älteren Menschen genauso erfolgreich verlaufen wie bei jüngeren. Man sollte lediglich berücksichtigen, dass Ältere am Anfang unter Umständen etwas mehr Zeit brauchen, um in die Therapie hineinzufinden. jüngerer Personen unterscheiden. Auch die Häufigkeit einzelner Störungsbilder unterscheidet sich nicht grundsätzlich. Ältere leiden ebenso wie Jüngere unter Angststörungen, psychosomatischen Erkrankungen oder Depressionen. Es gibt allerdings einige Aspekte, die man bei einer Psychotherapie im Alter beachten sollte: Da Ältere sich der Tatsache bewusst sind, dass die Zeit, die ihnen bleibt, begrenzt ist, entsteht unter Umständen ein höherer Leidensdruck, durch den sich ein Therapeut möglicherweise eingeengt fühlen könnte. Außerdem verfügt der ältere Mensch über eine größere Lebenserfahrung, so dass der meist jüngere Therapeut dadurch zusätzlich verunsichert sein könnte. Andererseits kann man sich in der Therapie diese Lebenserfahrung zunutze machen, so dass schließlich die Ergebnisse der Behandlung genau so gut sind wie bei jüngeren Patienten, die zudem oft mehr Illusionen haben als ältere. Allerdings gibt es auch einige Besonderheiten. So werden zum Beispiel Depressionen, die die häufigste psychische Störung im Alter darstellen, oft nicht rechtzeitig erkannt. Der Grund: Ältere Patienten klagen seltener spontan über psychische Symptome wie Niedergeschlagenheit oder Antriebsarmut, sondern eher über körperliche Störungen wie Schmerzen oder Schlafstörungen, so dass der Behandler möglicherweise auf eine falsche Spur gesetzt wird. Zudem wird nicht selten eine lang andauernde Depression mit einer normalen Trauerreaktion verwechselt. BZ: Warum ist das so? Wenglein: Das kann verschiedene Gründe haben. Früher war es ja auch keinesfalls üblich, dass man zum Psychotherapeuten ging, da das als Schwäche galt. Man dachte wohl, dass die verbleibende Lebenszeit nicht ausreichen würde, um all die Konflikte gründlich zu bearbeiten, die im Laufe eines Lebens entstanden waren. Aber heute ist die Situation eine grundlegend andere: Die Lebenserwartung der meisten Menschen ist deutlich höher und ihre Gesundheit im Alter meist besser, so dass auch die für eine erfolgreiche Therapie zur Verfügung stehende Zeit entspre- BZ: Welche Probleme sind es, chend länger ist und besser die vor allem ältere Menschen bewegen, sich fachliche Hilfe zu genutzt werden kann. holen? BZ: Doch warum suchen heut- Wenglein: Thematisch sind es zutage zunehmend mehr ältere in den Therapien oft das NachMenschen einen Psychothera- lassen der Leistungsfähigkeit, der Abschied aus dem aktiven peuten auf? Wenglein: Prinzipiell muss Erwerbsleben oder ein Nachman sagen, dass die Gründe für lassen von Merkfähigkeit und eine Therapie im Alter sich Gedächtnis sowie anhaltende nicht von den Beweggründen Schlafstörungen, die zur Spra- Die Behandlung älterer Menschen verlangt vom Psychotherapeuten oft ein anderes Einfühlungsvermögen als bei jüngeren Patienten, auch wenn sich die Störungsbilder sehr ähneln. Die Lebenserwartung der Menschen ist deutlich höher und ihre Gesundheit im Alter meist besser als früher, so dass auch für Psychotherapien bei älteren Menschen genug Zeit zur Verfügung steht und diese genau so erfolgreich verlaufen wie bei jüngeren Personen. BZ-Fotos: WZK che kommen. Es gibt kaum einen anderen Lebensabschnitt, in dem mehr Verluste bewältigt werden müssen. Das macht es notwendig, dass der Therapeut in der Lage ist, mit seinem älteren Patienten adäquat zu trauern, wovor sich allerdings auch Therapeuten bisweilen fürchten. BZ: Gibt es denn eine Form der Psychotherapie, die besonders für ältere Patienten geeignet ist? Wenglein: Bei der Beantwortung dieser Frage sind meist sowohl ältere Patienten als auch deren Hausärzte überfordert. In der Regel wird man die Entscheidung, ob zum Beispiel eine Einzel- oder Gruppentherapie zu empfehlen ist, erst nach einigen Vorgesprächen treffen können. Für eine Einzeltherapie spricht oft, dass ältere Menschen zunächst die geschützte Atmosphäre eines Zweiergesprächs bevorzugen. Allerdings stellt sich nicht selten heraus, dass die Konflikte des Patienten auch im zwischenmenschlichen Bereich in der Auseinandersetzung mit anderen Menschen, z.B. Familienmitgliedern oder Partnern liegen, so dass gemeinsame Gespräche mit allen Beteiligten oder eine Gruppentherapie sinnvoll sein können, zumal es darum gehen wird, die sozialen Fähigkeiten des Alterspatienten zu unterstützen. BZ: Welches Ziel verfolgt eine Therapie bei älteren Personen vorrangig? Wenglein: Viele von ihnen haben Angst, jetzt im Alter zu vereinsamen. Deshalb geht es in jeder Therapie vor allem darum, die Bindungs- und Beziehungsfähigkeit des alten Menschen zu prüfen und gegebenenfalls seine soziale Kompetenz zu stärken. Das ist schon deshalb wichtig, weil das höhere Alter in unserer einseitig auf Jugendlichkeit und Leistung ausgerichteten Gesellschaft als Risikofaktor für einen Suizid gilt. Nicht selten wird angenommen, dass es für ältere Menschen genügend Gründe gibt, depressiv zu reagieren. Deshalb beurteilt man schließlich auch den Selbsttötungsversuch des alten Menschen als verständlichen Ausdruck eines allgemeinen Lebensüberdrusses. Dabei wird allerdings übersehen, dass es in der Regel eher die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit sind, die den alten Menschen in den vorzeitigen, selbst gewählten Tod treiben. Ob nun eine Verhaltenstherapie, eine große psychoanalytische Behandlung oder eine zeitlich begrenzte tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie sinnvoll ist, ist nicht so sehr eine Frage des Alters, sondern eher abhängig von der für eine Psychotherapie gewählten Zielsetzung. Wünscht der ältere Patient in erster Linie eine bewusste Auseinandersetzung und Problemlösung oder eine möglichst schnelle Symptombesserung, so kann eine Verhaltenstherapie die günstigere Lösung sein. Geht es dagegen in erster Linie um unbewusste Konflikte, die geklärt werden müssen, um eine stabile Entscheidungsgrundlage zu ermöglichen, so kann eine aufdeckende Behandlung im Sinne einer tiefenpsychologisch orientierten oder gar eine psychoanalytische Therapie das Mittel der Wahl sein. Die Entscheidung über die Wahl der Behandlungsmethode wird im gemeinsamen Gespräch mit dem Patienten getroffen. Für beide Parteien gibt es eine Probezeit in der Therapie, nach deren Ablauf entschieden wird, ob die Behandlung in der gewählten Form sinnvoll und erfolgversprechend ist. BZ: Wie hoch ist die Chance auf eine erfolgreiche Therapie? Wenglein: Wie in jeder anderen Beziehung kann es auch bei einer Psychotherapie zu Situationen kommen, die sie scheitern lassen. Das kommt allerdings nicht häufiger vor als bei anderen medizinischen Behandlungen auch. In der Therapie mit älteren Menschen gibt es bisweilen verborgene Fallstricke, die es gilt, in der Therapie zu erkennen und damit konstruktiv, behutsam aber auch bestimmt umzugehen. So kann eine Psychotherapie im Alter eine bereichernde Erfahrung sein und sollte in jedem Fall versucht werden. BZ TERMIN Die Selbsthilfegruppe „55plus“ lädt im Rahmen ihrer Treffen zu öffentlichen Vorträgen in die Klinik Alpenblick in Isny-Neutrauchburg ein: 3. Mai 2016 Trauma im Alter: Wie verarbeiten wir das? 5. Juli 2016 Suizid im Alter: Was tun? 2. August 2016 Weisheit des Alters: Gibt es sie wirklich? 4. Oktober 2016 Haben Rentner gar keine Zeit? 6. Dezember 2016 Sterben und Tod: Die letzten Rätsel des Lebens Waldburg-Zeil Kliniken Klinik Alpenblick Kurweg 9 88316 Isny-Neutrauchburg @ www.klinik-alpenblick.de
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