Die natürliche Seismizität erforschen

Wissenschaftler erfassten über Jahre im nördlichen Oberrheingraben
die natürliche Seizmizität. Die Messungen fanden im Vorfeld der
geplanten Geothermieanlage in Groß-Gerau statt, wo derzeit die
vorbereitenden Arbeiten für die Bohrarbeiten laufen.
© BGR
Geothermie im nördlichen Oberrheingraben
07.12.2015
Die natürliche Seismizität erforschen
Typischer Aufbau einer Messstation im
SiMoN-Netzwerk.
© Hessisches Landesamt für Umwelt und
Geologie (HLUG)
Ein von West nach Ost verlaufender
Vertikalschnitt durch den nördlichen
Oberrheingraben. Innerhalb des Grabens war
natürliche Seismizität nur im kristallinen
Gestein unterhalb von neun Kilometern Tiefe
messbar.
© HLUG
Der Oberrheingraben verfügt in erreichbarer Tiefe über geothermisch
nutzbare Warmwasservorkommen. Diese geologische Besonderheit
beruht darauf, dass das tiefe Gestein bis heute in Bewegung ist.
Natürlicherweise kommt es in der Region immer wieder zu leichten
Erdbeben. In seltenen Fällen können aber auch menschliche Aktivitäten,
wie der Bau und Betrieb von Geothermieanlagen, Erschütterungen
auslösen. Dieser Effekt heißt induzierte Seismizität. Forscher haben daher
vor Baubeginn einer Geothermieanlage in Groß-Gerau die natürliche
Seismizität in der Region mit einem dichten Messnetz erfasst.
Pro Monat treten im nördlichen Oberrheingraben etwa zwei bis drei
natürliche Erdbeben auf. Meistens sind sie so schwach, dass Menschen
sie nicht oder nur in unmittelbarer Nähe zum Epizentrum wahrnehmen
können. Geophysikalischen Messinstrumenten entgehen sie aber nicht.
Im Vorfeld einer geplanten Geothermieanlage im hessischen Groß-Gerau
haben daher Geowissenschaftler der Goethe-Universität Frankfurt in
Zusammenarbeit mit Partnern ein seismisches Messnetz betrieben.
Insgesamt 36 Stationen mit unterschiedlicher Geräteausstattung haben
die natürliche Seismizität vom Nano- bis zum Makrobereich erfasst.
Außerdem wurden die Daten bestehender seismischer Messstationen in
der Region einbezogen. Die Messungen fanden von November 2011 bis
September 2015 statt. Ziel war, auch kleine und kleinste Erdbeben sehr
genau zu lokalisieren. Der überwiegende Teil des Messnetzes soll auch
für ein kontinuierliches Anlagenmonitoring über die Bauphase und den
Anlagenbetrieb der Geothermieanlage fortbestehen und dann natürliche
sowie induzierte Ereignisse messen. Die Öffentlichkeit kann die
Messwerte auf einem Webportal einsehen. Das Projekt mit dem Namen
SiMoN ist Teil der Energieforschung der Bundesregierung. Der Name
steht für Seismisches Monitoring im Zusammenhang mit der
Das Messnetz der Universität Frankfurt und
des Hessischen Landesamtes für Umwelt und
Geologie. Ergänzt wurde dies durch
Messstationen der Universität Stuttgart, die in
der Karte nicht eingezeichnet sind.
© HLUG
einsehen. Das Projekt mit dem Namen
SiMoN ist Teil der Energieforschung der Bundesregierung. Der Name
steht für Seismisches Monitoring im Zusammenhang mit der
geothermischen Nutzung des nördlichen Oberrheingrabens.
Natürliche Seismizität verstehen
Das dichte Messnetz ermöglicht, die geologischen, tektonischen und
hydraulischen Randbedingungen sowie deren Zusammenwirken bei der natürlichen Seismizität in der Region
kleinräumig zu erforschen. Mit den Daten lassen sich aktive Störzonen in der Tiefe identifizieren. Diese
Kenntnisse erlauben Rückschlüsse, wie groß nach Bau und Inbetriebnahme der geothermischen Anlage eine
Gefährdung durch induzierte Seismizität in einzelnen Teilgebieten ist und welche Möglichkeiten bestehen, sie zu
reduzieren.
Dr. Benjamin Homuth, Projektkoordinator für SiMoN erklärt: „Unsere Ergebnisse sind für weitere geothermische
Projekte im nördlichen Oberrheingraben von großer Bedeutung. Im Projekt SiMoN haben wir unsere inhaltlichen
Ziele größtenteils erreicht. Bei der natürlichen Seismizität wurden unsere anfänglichen Erwartungen sogar
übertroffen. Wir wollen das Projekt unter der Bezeichnung SiMoN+ fortsetzen. Damit wäre eine unabhängige
Überwachung der natürlichen und seismischen Aktivitäten im nördlichen Oberrheingraben gewährleistet.“
Die Messgeräte erfassten alle seismischen Ereignisse ab einer lokalen Magnitude von 0,5. Im
Untersuchungszeitraum konnten die Geräte in der Nähe der Messstationen 495 natürliche Erdbeben mit Werten
zwischen 0,5 und 4,2 lokalisieren (rechte Spalte). Herausragend war 2014 eine Erdbebenserie südöstlich von
Darmstadt, deren stärkstes Ereignis einen Wert von 4,2 aufwies. Seit mehr als 20 Jahren war dies das stärkste
Erdbeben in der Region. Die räumliche Verteilung aller Beben ergab, dass die östliche Grabenschulter häufiger
von seismischen Ereignissen betroffen war als die westliche. Im Graben selbst konzentrierten sich die
seismischen Aktivitäten auf das tiefe kristalline Gestein im Bereich zwischen neun und 24 Kilometern Tiefe. Für
58 Erdbebenereignisse wurden detaillierte Herdflächenanalysen erstellt, um die Bruchmechanismen im Detail zu
verstehen.
Das ursprüngliche Konzept des Forschungsprojekts sah vor, neben der natürlichen Seismizität auch etwaige
Ereignisse induzierter Seismizität durch Bau und Inbetriebnahme der Geothermieanlage in Groß-Gerau zu
erfassen. Dieser zweite Teil entfiel allerdings bisher, weil dort bis zum Projektende die Bauarbeiten noch nicht
begonnen hatten. Die Universität Frankfurt und das Hessische Landesamt für Umwelt und Geologie planen, die
Messstationen für ein kontinuierliches Monitoring der Bauphase und des Betriebs der Geothermieanlage weiter
zu betreiben.
Geothermieanlage Groß-Gerau
Die Planer der Geothermieanlage Groß-Gerau haben aufgrund der Ergebnisse aus SiMoN das ursprüngliche
Anlagenkonzept angepasst. Da die Bohrungen im Graben stattfinden, sollen sie nur in den Sedimentschichten
erfolgen und zum kristallinen Grundgebirge einen großen Abstand einhalten. Damit lägen die Bohrungen in einer
geologischen Formation, in der im Messzeitraum keine seismischen Aktivitäten festgestellt werden konnten. Die
Anlage nutzt nur die natürlichen Thermalwasservorkommen. Maßnahmen zur hydraulischen Stimulierung des
Untergrunds sind nicht vorgesehen.
Bei der Anlage in Groß-Gerau haben im September die vorbereitenden Arbeiten für die Bohrung begonnen. In
einer Tiefe von 3.000 bis 4.000 Metern hoffen die Betreiber, auf ein natürliches Warmwasserreservoir von 150
Grad Celsius zu treffen. Dieses würde für ein geothermisches Kraftwerk mit drei Megawatt elektrischer und sechs
Megawatt Wärmeleistung ausreichen. Die mögliche Strommenge reicht für den jährlichen Bedarf von 7.000
durchschnittlichen Haushalten aus. Die Wärmemenge entspricht etwa 750.000 Liter Heizöl. Die Anlage soll 2017
in Betrieb gehen.
(mi)