Burschenschaftliche Blätter 4/2014 129. Jahrgang ISSN 0341-5352 www.burschenschaftliche-blaetter.de Es lebe der Sport Unter dem Motto „Frisch, fromm, fröhlich, frei“ blicken wir nicht nur auf sportliche Verbandsbrüder, sondern auch auf die Bedeutung der körperlichen Ertüchtigung. Impressum / Inhaltsverzeichnis Burschenschaftliche Blätter Burschenschaftliche Blätter www.burschenschaftliche-blaetter.de Zeitschrift für den deutschen Burschenschafter. Begründet im Januar 1887 von G. H. Schneider (Germania Jena), 129. Jahrgang, Heft 4, 4. Quartal 2014 Impressum Herausgeber: Vorsitzende Burschenschaft der Deutschen Burschenschaft Aachen-Dresdener Burschenschaft Cheruscia Eisenstuckstraße 50 D-01069 Dresden Inhaltsverzeichnis Mitteilungen der Schriftleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Demeter Dick: „Ironman Hawai – Weltmeisterschaft 2014“ . . . . . . . . . 112 Matthias Müller: „Härtetest der besonderen Art“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Gerhard Grassl: „Die DB-Skimeisterschaften“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Jan Ackermann: „Jagd – Naturerlebnis und archaisches Handwerk“ . . 117 Wilhelm E. Nordmeier: „Das Mensurwesen heute“ . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Bruno Burchhart: „Die Burschenturner“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Harald Lönnecker: „Jahn und die Burschenschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Aus dem Burschenschaftlichen Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Raphael Thiermann: „Vom schwierigen Unterfangen, in den Medien Recht zu bekommen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Helma Brunck: „Einheit und Freiheit – Vorgeschichte und Entwicklung der Grundrechte in Deutschland seit Beginn des 19. Jahrhunderts“ 130 Wolfgang Gäbler: „Alle Erinnerung ist Gegenwart (Novalis)“ . . . . . . . . 138 Bezugspreis: Für Bezieher, die der Herausgeberin angehören, ist dieser im Verbandsbeitrag enthalten. Für Bezieher, die nicht der Herausgeberin angehören, jährlich 21 Euro bei Lieferung frei Haus im Inland, 26 Euro ins Ausland. Einzelhefte im Inland 6,50 Euro, zuzüglich MwSt., inkl. Porto und Verpackung, Bestellungen beim Schatzmeister. Auslandsbezug 8,50 Euro zuzüglich MwSt. und Versandkosten. Das Abonnement verlängert sich stillschweigend um ein Jahr, wenn es nicht schriftlich bis zum 30. September des laufenden Jahres gekündigt wird. David Steinmann: „Die Zukunft des deutschen Konservatismus“ . . . . . 140 Geschichte: „Rossinis Musik in revolutionären Geschehnissen des 19. Jahrhunderts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Interview mit Vbr. Maximilian Krauss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Leserbriefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Blattlinie: Mit dem Namen des Verfassers versehene Beiträge stellen nicht immer die Meinung des Herausgebers, des Schriftleiters oder der Burschenschaft des Verfassers dar. Die Verantwortung für die in diesen Artikeln zum Ausdruck gebrachte Meinung trägt ausschließlich der Verfasser. Sie bedeutet in keinem Falle eine amtliche Stellungnahme des Verbandes. Personalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Rezensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Termine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Unsere Toten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Burschenschaftliche Amtsstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Verlag: Im Selbstverlag der Deutschen Burschenschaft. Schriftleiter, Anzeigen: Dirk Taphorn, M.A. (Normannia-Nibelungen Bielefeld) Postanschrift: Dirk Taphorn Postfach 32 02 07, D-01014 Dresden Telefon: +49 (0)351 16063872 [email protected] BBl-Anschriftenverwaltung: C. F. Lindemann (Cruxia Leoben) Postanschrift: BBl-Anschriftenverwaltung Postfach 101232, D-20008 Hamburg [email protected] Gesamtherstellung und Vertrieb: Gieseking Print- und Verlagsservices GmbH Deckertstraße 30, 33617 Bielefeld Telefon +49 / (0)521 / 961496-55 Telefax +49 / (0)521 / 98890439 Erscheinungsweise: Viermal im Jahr Auflage: 7.000 Nachdruck: Nachdruck nur mit genauer Quellenangabe („Burschenschaftliche Blätter“, Jg., Heft, Seite, Verfasser) und mit Genehmigung des Schriftleiters gestattet. Beiträge: Wir erbitten die Zusendung aller Beiträge ausschließlich per E-Post in gängigen Digital-Formaten. Die Manuskriptrichtlinien sind verbindlich und können bei der Schriftleitung angefordert werden. Handschriftliche Texte werden nicht berücksichtigt. Einsender von Beiträgen werden gebeten, sich vorher mit dem Schriftleiter in Verbindung zu setzen. Rezensionen dürfen maximal 3.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) umfassen. Ein Anspruch auf Abdruck von Manuskripten und zu einem bestimmten Termin besteht nicht. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Bilder und Besprechungsexemplare wird keine Haftung übernommen. Bei einer Nichtveröffentlichung handelt es sich nicht um Zensur. Die Verfasser, auch von Leserbriefen, fügen ihrem Namen ihre Burschenschaft und das Jahr des Eintritts hinzu. Die Schriftleitung behält sich ausdrücklich Streichungen und Kürzungen vor. Redaktionsschluß: Siehe unter Mitteilungen der Schriftleitung. 110 Neues aus der BBl-Netzversion unter www.burschenschaftliche-blaetter.de: Armin Allmendinger: „52. Ulrichsberg-Gedenken in Kärnten“ Alexander Czech: „Bericht vom DB-Südtirol-Seminar“ Johann Hagus: „Werner Bräuningers Odeonplatz“ Armin Allmendinger: „Die Deutsche Burschenschaft auf der Messe Zwischentag“ Heft 4 - 2014 Mitteilungen der Schriftleitung Burschenschaftliche Blätter Mitteilungen der Schriftleitung Sehr geehrte Herren Burschenschafter! noch weitere Anträge zur Erneuerung unserer Deutschen Burschenschaft folgen. Hierbei sei besonders der Antrag zur Gründung der „Akademie der deutschen Burschenschaften“ hervorgehoben. Nach unserer, bereits im Geleitwort der BBl. 3+4 2013 visionierten Ansicht, ist der Aufbau einer derartigen Akademie ein guter und richtiger Weg, den wir gehen sollten. Die vom derzeitigen Bildungsbeauftragten mit großem Enthusiasmus und inhaltlichem Anspruch initiierten und organisierten Bildungsseminare sind hierbei nicht mit der burschenschaftlichen Akademie zu verwechseln. Das Konzept geht weit darüber hinaus und will vielmehr auch darauf hinwirken, der burschenschaftlichen Bewegung eine Basis zu liefern, wieder mehr in die deutsche Gesellschaft hineinzuwirken. Die Vorsitzende Burschenschaft der Deutschen Burschenschaft, die Aachen-Dresdner Burschenschaft Cheruscia, blickt auf ein schönes und erfreuliches Geschäftsjahr 2014 zurück. Es war uns eine Ehre, der Deutschen Burschenschaft vorsitzen zu dürfen! Zu Beginn dieses Jahres setzten wir uns das Leitmotiv: „Wir müssen schneller und besser sein als diejenigen, die einen neuen Verband gründen wollen“. Dieses Ziel ist fast erreicht! Und im Jubiläumsjahr 2015 wird dieses Ziel vollendet werden! Unser Verband ist auf einem guten Weg. Wer hätte das Ende 2012 gedacht? Wir, die wir der Deutschen Burschenschaft die Treue gehalten haben, haben daran fest geglaubt! Die Konsolidierungsphase nach der Austrittswelle ist abgeschlossen. Nachdem weltanschauliche oder auch persönliche Lagerkämpfe den Verband zumindest nicht mehr unmittelbar belasteten, konnten durch die freigesetzten Kräfte erste Rahmen gesetzt werden, auf denen sich die Deutsche Burschenschaft künftig bewegen wird. Wir bedanken uns bei unseren Alten Herren, die uns unterstützten, sei es durch aktive Mitarbeit, sei es durch Präsenz bei Veranstaltungen oder auch in deren Wirken, der Vorsitzenden Burschenschaft den Rücken möglichst frei zu halten, was in der ersten Jahreshälfte zur erfolgreichen Bewältigung von Verbandstagung und Burschentag maßgeblich beigetragen hat. Auch viele Verbandsbrüder haben uns geholfen, dieses Geschäftsjahr erfolgreich zu meistern. Ihnen gilt ebenso unser Dank. Werte Verbandsbrüder, ich hoffe, Sie hatten ein angenehmes Weihnachtsfest sowie einen schönen Jahreswechsel. Nach den Feiertagen nehmen sich viele Menschen – und sicher auch genügend Verbandsbrüder – vor, wieder (mehr) Sport zu treiben. Daß körperliche Ertüchtigung ebenso zum burschenschaftlichen Anspruch gehört wie politisches Engagement, wird leider viel zu häufig vergessen. Vielleicht motiviert diese, etwas persönlicher gestaltete Ausgabe Sie zu mehr Bewegung. Denn im aktuellen Heft berichten Verbandsbrüder über ihren sportlichen Ehrgeiz – Sie müssen sich ja nicht gleich den „Ironman“ zum Ziel setzen. Doch körperliche Ertüchtigung und Burschenschaft gehören zusammen, wie der geschichtliche Blick auf Turnvater Jahn zeigt. Jahn, einer der Wegbereiter der burschenschaftlichen Idee, wäre sicher stolz darauf, daß sich auch noch heute junge, deutsche Männer an seinem Wirken orientieren und für die Ideale „Ehre – Freiheit – Vaterland“ begeistern. Das vor uns liegende Jahr 2015 steht im Zeichen des großen Jubiläums „200 Jahre Burschenschaft“. Dazu möchte ich Sie an dieser Stelle noch einmal recht herzlich und zahlreich zum Burschentag nach Eisenach vom 28. bis 31. Mai 2015 einladen. Es war gut und richtig, an den antiquierten und verkrusteten Strukturen anzusetzen. Mit Gedankengängen wie „das war schon immer so“ oder „das haben wir noch nie so gemacht“ wurde unser Verband in den vergangenen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, erfolgreich an die Wand gefahren. Die nächsten wichtigen Schritte zu einer gedeihlichen Zukunft haben Sie in Form zahlreicher Anträge bereits im Nachrichtenblatt 323 nachlesen können. Sie befassen sich im Schwerpunkt mit einer Modernisierung der Finanzpolitik der Deutschen Burschenschaft. Im Nachrichtenblatt 324 werden Gordon Engler (Aachen-Dresdner Burschenschaft Cheruscia) Sprecher der Deutschen Burschenschaft im Geschäftsjahr 2014 Dirk Taphorn (Burschenschaft Normannia-Nibelungen zu Bielefeld 2003/04) Titelbild Nächste Schwerpunkte Redaktionsschluß Stilisiertes Turnerkreuz mit Jahn, Radfahrer, Läufer und Mensurbild Bild: Braga Ausgabe 1/2015 steht unter dem Arbeitstitel „Nonkonformes Europa“ Ausgabe 2/2015 wird sich dem Thema „200 Jahre Burschenschaft“ widmen. Für die Ausgabe 1/2015: 28. Februar 2015 Heft 4 - 2014 Das Zepter als Vorsitzende der Deutschen Burschenschaft geht nun an die Marburger Burschenschaft Germania über. Wir wünschen unserer Nachfolgerin eine glückliche Hand und viel Erfolg! Mit burschenschaftlichen Grüßen Treu auf! 111 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter IRONMAN Hawaii – Weltmeisterschaft 2014 Von Demeter Dick Als US Navy Commander John Collins im Jahr 1977 mit Freunden darüber debattierte, welche der drei Sportarten – Schwimmen, Radfahren oder Laufen – denn nun die Härtere sei, beschloß er kurzerhand inspiriert von den drei bekanntesten Sportveranstaltungen Hawaiis – dem Waikiki Roughwater Swim (3,9 km), dem Around-Oahu Bike Race (180 km) und dem Honolulu-Marathon (42,2 km) – einen kombinierten Wettkampf ins Leben zu rufen. Der IRONMAN Hawaii war geboren. Am 18. Februar 1978 fiel der erste Startschuß mit stolzen 15 Teilnehmern und einer Siegerzeit von 11 Stunden und 46 Minuten. 36 Jahre später zählt Triathlon weltweit zu einer der beliebtesten Ausdauersportarten. Die Weltmeisterschaft der IRONMAN-Serie findet jedoch weiterhin traditionell in Kona, Hawaii statt und lockt jedes Jahr die besten 2000 Athleten aller Altersklassen auf „Big Island“. Als ich mich im Oktober 2011 aus einer Laune heraus zu meinem ersten Triathlon anmelde, besitze ich kein Fahrrad und kann keine 500 Meter weit Schwimmen. Mein einziges Kapital: Zwei schnelle Beine. Sechs Monate später stehe ich zum ersten Mal am Start eines Triathlons. Zwei weitere folgen Mit 3,9 Kilometern Schwimmen beginnt der Wettkampf. 112 im Jahr 2012. Im Jahr 2013 mein erster Sieg bei einer kleineren Veranstaltung in Havelberg, Sachsen-Anhalt. Aber erst im Jahr 2014 wage ich mich erstmals an die IRONMAN-Langdistanz, während die vorangegangenen Wettbewerbe immer „nur“ über die halbe Distanz (1,9/90/21 km) ausgetragen wurden. Mein Debüt begehe ich dabei beim IRONMAN-Lanzarote – und zahle mein Lehrgeld. Zwei Monate später gelingt es mir jedoch beim IRONMAN-Austria mit einer Zeit von 9 Stunden und 9 Minuten unter 3000 Athleten einen der 50 dort zur Verfügung stehenden Qualifikationsplätze für die Weltmeisterschaft zu erkämpfen. Sportlicher Ausnahmezustand Als ich in den 90er Jahren zum ersten Mal einen Bericht über den IRONMAN-Hawaii im Fernsehen verfolgte, stand für mich fest: Die Teilnehmer waren Sonderlinge. Genetische Launen der Natur mit kantigen Gesichtern und Lungen groß wie Ballone. So einen Wettkampf könne man doch unmöglich durchstehen. Aber man kann. Exakt drei Jahre nachdem ich mit dem Training für meinen ersten Triathlon begonnen habe, sitze ich im Flugzeug in Richtung Hawaii. Der Weg dorthin in Zahlen: 1.000 Kilometer Schwimmen, 27.000 Kilometer Rad und 11.000 Laufkilometer. Einmal rund um die Erde. Während sich in Kona das ganze Jahr über nur Fuchs und Hase gute Nacht sagen, ist der Rummel in den beiden Wochen um die Weltmeisterschaft unbeschreiblich. Es herrscht der sportliche Ausnahmezustand. Surrende Fahrräder, Athleten beim Schwimmund Lauftraining wohin man sieht. Darunter 167 deutschsprachige Triathleten, die sich für das Jahr 2014 qualifizieren konnten. Die schillerndsten Namen der deutschen Profis: Andreas Raelert, Jan Frodeno und Sebastian Kienle. Zwei von ihnen werden auf dem Podest landen. Einer sogar als Weltmeister. Überhaupt zählen die deutschen Athleten hier jedes Jahr zu den Besten der Welt. Im Jahr 2013 befanden sich nicht weniger als sechs Deutsche in den Top 10. Eine Sportart, die nicht nur physische, sondern ganz besonders auch mentale Härte erfordert, scheint den Deutschen im Blut zu liegen. Am 11. Oktober ist es soweit. Seit 4 Uhr morgens herrscht im fahlen Licht der Scheinwerfer geschäftiges Treiben in der Wechselzone, die sich direkt auf dem Pier neben dem Schwimmstart befindet. Jeder überprüft das letzte Mal sein Fahrrad. Reifen werden aufgepumpt. Ketten geölt. Trinkflaschen gefüllt. Um 6 Uhr drängt sich das Feld in den Pazifik. 2.000 Athleten warten in vier Startwellen auf den Startschuß. FinisherPix.com Heft 4 - 2014 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter „You are an Ironman!“, empfängt mich der Sprecher mit den traditionellen Worten beim Zieleinlauf. Es ist geschafft. Knapp 10.000 kcal sind verbrannt. Ich denke, da habe ich mir ein Bier verdient. Oder auch zwei. 60 deutschsprachigen Triathleten gelingt eine Zeit von unter 10 Stunden. Sebastian Kienle wird Weltmeister, Jan Frodeno Dritter. Der längste Tag des Jahres geht zu Ende – und schreit nach Wiederholung. Demeter Dick (Gothia Salzburg 1990, Arminia Czernowitz, Linz 1994) Die zweite Disziplin: 180 Kilometer am Rad. FinisherPix.com http://www.triathlondog.com Das Wasser brodelt. Die Luft geschwängert von Adrenalin. Dann, um Punkt 6:30 Uhr, donnert der erste Kanonenschuß über die Bucht. Die Spiele beginnen. Kampf, Qual und Wille Hoher Wellengang und eine starke Strömung machen mir das Leben schwer, während ich durch das warme Salzwasser kraule als gäbe es kein Morgen. Nach über einer Stunde kehre ich zurück zum Pier und stürme in die Wechselzone, in der mein Zeitfahrrad auf mich wartet. Der zweite Teil des Rennens führt uns sodann 180 Kilometer entlang der einsamen Lavaküste über den heißen Asphalt des Queen Ka'ahumanu Highway nach Hawi. Die Sonne brennt vom Himmel, und auch der Gegenwind zeigt sich am Wettkampftag unerbittlich. Dazu die Erzählungen der Veteranen im Hinterkopf: Der Wind wird drehen. Dies bedeutet im schlimmsten Fall, daß man nach der Wende in Hawi am Rückweg erneut mit Gegenwind konfrontiert wird. Mir sind am Weg zurück nach Kona rund 35 Kilometer Rückenwind vergönnt. Höchstgeschwindigkeit auf der Ebene (sic) 70 km/h! Dann dreht der Wind wie befürchtet, und ich kämpfe mich mit aller Kraft zurück, ehe ich nach 5 Stunden erneut Kona erreiche. Der Wechsel vom Rad in die Laufschuhe ist mithin einer der heftigsten Momente dieser Sportart. Nach 180 Kilometern am Rad in der sogenannten Aeroposition vermeint man nach dem Abstieg vom Sattel überhaupt nicht mehr gehen – geschweige denn laufen – zu können. Der erste Kilometer auf der Laufstrecke, bis sich der Körper wieder »öffnet«, eine Katastrophe. Aber ich finde schnell meinen Schritt und kann fast über die ganzen 42 Kilometer ein ordentliches Tempo halten. Die letzten 500 Meter am Ali'i Drive werde ich von der Menge getragen, und erreiche nach einer Marathonzeit von 3:13:12 nach insgesamt 9 Stunden, 43 Minuten und 28 Sekunden das Ziel. Heft 4 - 2014 Zieleinlauf in Kona nach dem abschließenden Marathon. FinisherPix.com 113 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter Härtetest der besonderen Art Der 10. Gore-Tex Transalpin-Run Drei Monate an Vorbereitung lagen hinter mir, als ich Ende August aufbrach, um mich beim 10. Gore-Tex Transalpin Run einem Abenteuer der besonderen Art zu stellen: Einmal von Oberbayern über die Alpen bis runter nach Südtirol lautete die Devise. 293 Kilometer und knapp 13.000 Höhenmeter in acht Tagen. Und dies in möglichst kurzer Zeit! Etliche Male war ich in den Wochen zuvor mit meinem Teampartner die heimatlichen Berge im Odenwald hoch und wieder runter gelaufen, um so viel wie möglich Höhenmeter in unsere Flachlandbeine zu bekommen. An der Ausdauer mangelte es uns als Straßen- und Marathonläufer dabei weniger. Was es zu trainieren galt, war vor allem das zügige und sichere Bergablaufen sowie die große Gesamtbelastung für Knochen, Bändern und Sehnen. Ein verlängertes Wochenende in den Zillertaler Alpen brachte zwei Wochen vor dem Start den letzten Feinschliff. Hier auf dem Berliner Höhenweg war bei Regen, Hagel und Neuschnee alles geboten, was uns in der Vorbereitung nur nützen konnte. Den 80 Kilometer langen Höhenweg in drei Tagen, dies schien uns eine gute Grundlage für den folgenden Härtetest beim Transalpin Run. meinsam zogen wir los, als endlich der Startschuß krachte. Bloß nicht zu schnell loslaufen! Der Wettkampf endet erst in acht Tagen und heute standen gleich 49 km auf dem Programm, sagten wir uns. Von Ruhpolding aus ging es durch das Herz der Chiemgauer Alpen. Ein langer und zäher Tag mit mehreren Anstiegen und rutschigen Bergab-Passagen erwartete uns. Alle 45 Minuten gönnten wir uns ein Energiegel um dem berühmten Hungerast vorzubeugen. Die Strecke war gerade im Gelände nicht einfach und sehr rutschig. Vor allem das letzte Bergabstück, 1.000 Höhenmeter auf 3 Kilometer, hatte es in sich! Jede Wurzel, jeder Stein, jede Abbiegung erforderte höchste Konzentration! Doch am Ende wurde es wieder flacher. Nach 6,5 Stunden erreichten wir am Fuße des Wilden Kaisers erschöpft, aber glücklich das Ziel in St. Johann in Tirol. Gänzlich unerwartet liefen wir sogar als 5. Team ein. Was für ein Auftakt! Vor uns lediglich zwei weitere deutsche Teams sowie ein spanisches und ein schwedisches Duo. Von Matthias Müller Der Gore-Tex Transalpin-Run – ein besonderer Teamwettkampf Nahrungsaufnahme, Regeneration, Streckenbriefing durch den Veranstalter, Abendessen, Studium der folgenden Etappenziele, Schlafen. Nach diesem Muster gestaltete sich in den folgenden Tagen unser festgelegter Ablauf nach den jeweiligen Etappenankünften. Ebenso der Abfolge am nächsten Morgen: 5 Uhr Aufstehen, 6 Uhr Frühstück, 7:30 Uhr Ausrüstungskontrolle, 8 Uhr Start. Unser ganzer Fokus richtete sich auf die kommenden Etappen, das Streckenprofil, die richtige Renneinteilung und unser Zusammenspiel im Team. Denn bei diesem Mehretappenrennen war die wechselseitige Motivation der entscheidende Faktor, da neben der Ausdauerleistung und der körperlichen Gesundheit vor allem mentale Stärke gefordert war. Der Gore-Tex Transalpin-Run ist ein Teamwettkampf und jedes Team muß hier die jeweiligen Kontrollstellen und das Ziel gemeinsam erreichen. Hintergrund für diese In acht Tagen von Oberbayern bis nach Südtirol Am 30. August war es endlich soweit. Die vom Veranstalter vorgegebene Pflichtausrüstung war sauber im Rucksack verpackt. Immer wieder hatten wir auch im Training mit dem Rucksack trainiert. Neben der obligatorischen Wechselwäsche (Funktionshose, -hemd und Jacke), Mütze und Handschuhe, mußten darin neben der Verpflegung (2 Liter Wasser, Riegel und Energiegels) auch eine Rettungsdecke, ein ErsteHilfe-Set, der Streckenplan sowie eine Signalpfeife und das Mobiltelefon (für Notfälle) verstaut werden. Denn auf die Sicherheit wurde seitens des Veranstalters ein besonderes Augenmerk gelegt. Schließlich können die Wetterumschwünge im Hochgebirge sehr plötzlich kommen und Minusgrade sind auf den Gipfeln dann auch im Hochsommer nicht ausgeschlossen. Entsprechend bepackt standen wir schließlich im oberbayerischen Ruhpolding um 8 Uhr morgens an der Startlinie. Der Wettergott meinte es nicht gut mit uns. Es regnete – wie noch so oft in den folgenden Tagen – in Strömen. Doch dies tat unserer Motivation keinen Abbruch, sondern beförderte erst recht unsere steigende Erwartung. Jetzt sollte es endlich losgehen! Rund 300 Zweier-Teams taten es uns gleich und ge- 114 Ausgerüstet für den Transalpin-Run: schlechtes Wetter ist kein Hinderungsgrund. Heft 4 - 2014 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter fen. Ausgerechnet die vorletzte von insgesamt acht Etappen war es, die mich verletzungsbedingt zum Aufgeben zwang. Nach mehr als 230 Kilometern und knapp 10.000 Höhenmetern in sechs Tagen war Schluß. Die Knie streikten, der rechte Oberschenkel war gezerrt. Laufen war nicht mehr möglich, nur noch ein gebrechliches Gehumpel. Mit Sport hatte dies nichts mehr zu tun. Jetzt eine langwierige Verletzung riskieren? Das kann es nicht wert sein, sagte mir die Vernunft. Ich ließ meinen Teampartner ziehen. Das herrliche Panorama der Dolomiten – ich konnte es an diesem Tag nur aus der passiven Zuschauerperspektive genießen. Im sportlichen Wettstreit Alpen vs. Mensch siegte letztlich Mutter Natur. Und dies hatte wohl seine Richtigkeit. Geteiltes Leid gleich halbes Leid – geteilte Freude gleich doppelte Freude Das kraftzerrende Wandern durch die Alpen bereitet dennoch Freude. Regelung ist der gerade im hochalpinen Gelände besonders geforderte Sicherheitsaspekt. Dies bedeutet wiederum, daß das Team bestens aufeinander abgestimmt sein und miteinander harmonieren muß – denn das Team ist nur gemeinsam stark. An Moral und Motivation mangelte es uns nicht und in den folgenden Tagen peitschten wir uns gegenseitig nach vorne. Unsere Ausgangsposition war mehr als verheißungsvoll. Auch bei der 2. und 3. Etappe landeten wir am Ende Vorne und erreichten inmitten der starken internationalen Phalanx jeweils als sechstes Team das Ziel. Ob das wohl gut geht? Die Losung nach der 4. Etappe: Einfach nur ankommen! Bereits der vierte Tag holte uns auf dem Boden der Tatsachen zurück. Die Etappe von Prettau über die 2.600 Meter hohe Bretterscharte bis nach Sand in Taufers mit knapp 2.000 Höhenmetern im Aufstieg und rund 2.400 Höhenmetern im Abstieg läutete den Wendepunkt ein. Nach dem Gipfel streikten meine Knie. Statt zügig bergab zu rennen konnte ich nur noch gehen. Jeder Schritt schmerzte. Wir verloren wertvolle Minuten und erreichten am Ende als 17. Team das Ziel. Die Moral war im Keller. Doch es half nichts, es mußte ja irgendwie weiter gehen! Regeneration, Massage, Behandlung durch den Physio, Knieverband mit rosafarbenem Tape, Kompressions- Heft 4 - 2014 strümpfe. Jetzt wurden alle Register gezogen! Als äußeres Zeichen dessen: bei der nun folgenden 5. Etappe – ein Bergsprint über 1.000 Höhenmeter – gingen wir mit Stöcken an den Start, um uns auch mit den Armen nach oben zu schieben und so die Gelenke zu schonen. Unser Plan schien aufzugehen. Bei der 6. Etappe, wieder knapp 40 Kilometer mit über 2.000 Höhenmetern im Auf-und Abstieg – bissen wir nochmal kräftig auf die Zähne. Immer mehr Teams hatten in der vergangen Tagen aufgeben müssen. Sogar das bis dato in Führung liegende Team aus Schweden schied aufgrund einer Verletzung aus dem Rennen. Doch wir wollten den Transalpin Run auf jedem Fall schaffen und einfach nur noch ankommen! Nach einem heftigen Schlußanstieg über 1.400 Höhenmetern hoch auf den Kronplatz folgte ein langes Bergabstück, das den Knochen wieder sehr zusetzte. Total erschöpft erreichten an diesem Tag das Ziel in St. Vigil. Wieder liefen wir als sechstes Team ein. Das erhoffte Comeback? Jetzt waren es noch zwei Etappen und 74 Kilometer bis zum Ziel. Im Wettstreit Alpen vs. Mensch siegte letztlich Mutter Natur Doch trotz aller Willensstärke und gegenseitiger Motivation war es letztlich die Natur, die mir zeigte, wo die Grenzen verlie- Mit diesem Schicksal war ich nicht alleine. Von 100 Männerteams in der Hauptkategorie erreichten am Ende gerade mal 49 Teams zu zweit das Ziel in Sexten in Südtirol. Mein Teampartner lief auch bei der letzten 8. Etappe außerhalb der offiziellen Wertung weiter, um in Sexten die ersehnte Finisher-Medaille zu bekommen und diese stellvertretend für uns beide entgegenzunehmen. Oben an den berühmten Drei Zinnen der Dolomiten – ich war mit dem Begleitfahrzeugt vorgefahren und hatten die letzten Kilometer bis zum Paß als Wanderer zurückgelegt – feuerte ich meinen Teampartner lautstark an und motivierte auch alle weiteren Läufer, die diesen allerletzten Anstieg zu bezwingen hatten. Die Sonne strahlte. Nach etlichen Tagen im Regen und allen Widrigkeiten auf der Strecke wurden die Läufer heute für Ihre Strapazen entschädigt. Ich freut mich für jeden Einzelnen, der es bis hierhin geschafft und nun nur noch die wenigen Kilometer bergab bis nach Sexten zu laufen hatte. Und ich war nicht alleine. Weitere „Versehrte“ waren extra nach oben gewandert, taten es mir gleich und gemeinsam peitschten wir die gesund gebliebenen Läufer des 10. Gore-Tex Transalpin Run nach vorne. Wir freuten uns gemeinsam mit ihnen über ihr geglücktes Abenteuer, das auch das unsrige war. Hier war geteilte Freude gleich doppelte Freude. Und neben der Erkenntnis, daß der Körper keine Maschine ist und die eigene Gesundheit vor dem sportlichen Erfolg zu stehen hat, war es im Nachhinein vor allem diese emotionale Erfahrung, die den Transalpin Run im Nachhinein für mich zu einem ganz besonderen Erlebnis gemacht hat. Matthias Müller (Dresdensia-Rugia Geißen 2005, Raczeks Breslau zu Bonn 2008) 115 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter Die DB-Skimeisterschaften Bei gemischtem Wetter, jedoch dank Kunstschnee noch guten Schneeverhältnissen, fanden vom 14. bis 16. März 2014 die 56. Skimeisterschaften der DB wie jedes zweite Jahr wieder in Jochberg bei Kitzbühel statt. Über 50 Teilnehmer kämpften in den Klassen „Aktive“ (bis 40 Jahre), „Alte Herren“ (ab 40 Jahre) sowie „Kinder“ und „Damen“ zwischen den Stangen um Sieg und Plätze. Die jeweils ersten Drei in der Klasse „Aktive“ erhielten Teller und Becher aus Zinn; alle anderen wurden weitgehend mit Urkunden beziehungsweise Medaillen ausgezeichnet. Im Einzelnen sind folgende Sieger hervorzuheben: Den Langlauf gewann erneut Andreas Graf (Leder Leoben). Die alpinen Disziplinen dominierte Heiner Kruse (Thuringia Braunschweig), indem er im Riesentorlauf, im Slalom und in der Alpine Kombination DB-Meister wurde. Nur den SuperG-Titel holte sich Horst Pilz (Leder Leoben). In der Alte-Herren-Klasse ließ Thomas Sinnesbichler (Teutonia Wien) keinen Sieg aus und behauptete sich mit den „Aktiven“ auf gleicher Leistungsstufe. 116 Die Schau stahlen den „Aktiven“ und „Alte Herren“ jedoch die außer Konkurrenz teilnehmenden Frauen und Junggäste, vor allem Laura Kruse mit Tagesbestzeiten im Riesentorlauf und mit Bestnote in der Alpinen Kombination, gefolgt von Gerfried Schmidt mit unter anderem der zweitbesten Kombinationsnote. staltung mit reicher Beteiligung einzusetzen. Gerhard Grassl (Cimbria München) In den Mannschaftswertungen holten sich die Wanderpokale für Riesentorlauf und Super-G die Burschenschaft Thuringia und für Slalom und Alpine Kombination die Burschenschaft Leder Leoben. Den nächsten vom 13. bis 15. März in Bad Gastein stattfindenden Skimeisterschaften, veranstaltet von der Burschenschaft Leder Leoben, wünschen wir wieder ein gelungenes Fest und fordern alle Verbandsbrüder auf, sich für den Erhalt dieser SportveranAnmeldung und Informationen Burschenschaft Leder, Salzlände 19, A-8700 Leoben Tel.: +43 (0)3842 437640 / [email protected] Skifahrer-Statur – Symbolbild. Katharina Wieland Müller / pixelio.de Heft 4 - 2014 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter Jagd: Naturerlebnis und archaisches Handwerk Gedanken zur Ausübung des Waidwerks Von Jan Ackermeier Der Wienerwald am frühen Morgen. Wer sich heute öffentlich als praktizierender Jäger bekennt, steht unter ständigem Rechtfertigungsdruck gegenüber kritischen Nichtjägern oder selbsternannten Natur- und Tierschützern. Da ergeht es dem Jäger heutzutage oftmals nicht anders, als dem Burschenschafter. Es scheint ein Spezifikum unserer Zeit zu sein, daß gewisse Lebenseinstellungen, sofern sie dem herrschenden Zeitgeist widersprechen, als ewiggestrig und überholt eingestuft werden. Dies zumeist von Zeitgenossen, die sich in der eigentlichen Materie nicht auskennen – oder nur über gefährliches Halbwissen verfügen. Auch hier lassen sich erstaunliche Parallelen zwischen der öffentlichen Wahrnehmung der Waffenstudenten und der Jäger finden. Im Grunde ist es immer dieselbe Reaktion mit einer Mischung aus Verwunderung, Abscheu und Ablehnung, aber auch gleichzeitiger Bewunderung und Interesse an den zahlreichen Facetten dieser ausgefallenen Beschäftigungen und Lebenseinstellungen. Doch soll in diesem Text nicht das Leid, die Passion für die Jagd ständig gegenüber allzu kritischen oder feindseligen Menschen Heft 3 - 2014 Jan Ackermeier verteidigen zu müssen, geklagt werden, sondern vielmehr soll im folgenden ein kurzer Abriß über das Jagdhandwerk und die Beweggründe für die Ausübung der Jagd gegeben werden, der keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und den individuellen Ansatz des Autors zum Waidwerk widerspiegelt. Die Jagd begleitet den Menschen bereits seit früher Urzeit Noch viele Jahrtausende bevor der Mensch seßhaft wurde, war er schon Jäger und Sammler. Die Jagd und das Beutemachen sind also bereits tief im menschlichen Erfahrungsschatz verankert, ähnlich wie die Bindungsfähigkeit des Hundes an den Menschen, der vermutlich als Jagdhelfer dem Menschen bereits seit grauer Urzeit Gesellschaft leistet. Jahrtausende hindurch war also die Jagd lebensnotwendig für unsere Spezies. Sie sicherte als Lieferant für Nahrung, Werkzeug und Kleidung das Überleben der Menschen. Im Wandel der Jahrtausende ist die heutige Jagd eine nachhaltige, sinnvolle Nutzung natürlicher Ressourcen oder Reserven. Zu- sammen mit der Hege sichert sie in der Kulturlandschaft nicht nur die Lebensgrundlagen des Wildes, sondern aller freilebenden Tiere und die heutigen Jäger sind zudem Produzenten eines hochwertigen und ständig nachgefragten Lebensmittels: des Wildbrets in allen seinen Veredelungsvarianten. Die Nachfrage nach diesem überaus wertvollen Fleisch direkt aus der Natur – und damit garantiert biologisch – ist in den letzten Jahren stetig gestiegen und ist – neben allen anderen Argumenten – die positivste Begründung, warum auch heute noch die Jagd zu unserer mitteleuropäischen Kultur gehört. Der Jäger – als Vertreter vieler Natur- und Waldnutzer – nutzt eben, ähnlich wie der Forstwirt das Holz, mit den Wildtieren eine natürliche „Ressource“ und setzt sich auch aus diesem Grund für den Erhalt der heimischen Wildtiere ein. Dieser Einsatz kostet den Jäger oftmals nicht nur viel Geld, sondern auch Freizeit und Arbeitsaufwand. Zur Jagd gehört jedoch nicht nur das Beobachten und Hegen der Wildtiere, sondern auch das Erlegen. Dies bedeutet aber nicht das Ausleben einer „Lust am Töten“, son- 117 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter Schuß gefährdet wird. Nach dem Schuß ist es die moralische Pflicht des Jägers, dem Wildtier unnötiges Leid zu ersparen. Bei einem sauberen Schuß verendet das Wild am Anschuß und die Erleichterung des Jägers ist groß. Sollte das Wild aber verletzt worden sein und flüchten, kommt die Zusammenarbeit mit dem Jagdhund ins Spiel. Ein gut ausgebildeter Hund ist in der Lage, der Wundfährte eines angeschossenen Stück Wildes über weite Entfernungen zu folgen und den Jäger zum Stück zu führen, damit das Leid des Tieres so kurz, wie möglich gehalten werden kann. Die Ausbildung und Führung von Jagdhunden ist daher ebenfalls ein wichtiger Aspekt der Jagd. Pflege von Werten und Traditionen Jäger mit Hund. dern die Freude am jagdlichen Erfolg. Ein waidgerecht denkender und handelnder Jäger erfreut sich heute oftmals nicht mehr an der Stärke einer Trophäe, sondern an dem Erlebnis und an der Erinnerung, die er mit dieser Trophäe verbindet. Wandel und Bedeutung der Jagd Die Jagd wird in unserer modernen und technisierten Gesellschaft natürlich nicht mehr gebraucht, um die Ernährung des Menschen sicherzustellen – wir haben die eigene Agrarindustrie oder kaufen möglichst billig von ausländischen „Tierfabriken“ und Plantagen mit allen preislichen Vorteilen, aber auch Gefahren. Jäger produzieren indes im Gegensatz dazu nicht nur ein hochwertiges Lebensmittel, sondern kümmern sich auch um unsere heimischen Wildarten, damit diese Lebensräume vorfinden, in denen es Junge zur Welt bringen kann und möglichst wenig Schaden in der heutigen Kulturlandschaft und in der Waldwirtschaft anrichtet. Die Tiere, die durch (natürliche) Sterblichkeitsfaktoren wie Krankheiten, Parasiten, Nahrungsmangel oder auch Straßenverkehr verenden würden, werden durch die Jagd oftmals bereits vorher aus dem Bestand entnommen, ebenso wie der „Überschuß“ der Population in dem jeweiligen Lebensraum. Besonders häufig stellt sich dem Jäger aus Kreisen der nicht-jagenden Bevölkerung die Frage nach der Ethik und Moral im Zusammenhang mit der Jagdausübung. Der Jäger bezeichnet diesen Themenkomplex als „Waidgerechtigkeit“. Die Worte Ethik und Moral in Verbindung mit der Jagd werden heutzutage vielfach vor allem in einem negativen Kontext gebraucht. Genährt wird 118 brandlbracke.blogspot.com dieser Umstand wieder durch Unwissenheit. Viele Zeitgenossen denken ernsthaft, daß es bei der Jagd nur um das einfache „Abknallen“ von Wildtieren geht. Ja, selbst das Andichten von Mordlust müssen Jäger sich von Zeit zu Zeit gefallen lassen. Aber das zur Jagdausübung so viel mehr gehört und daß die Art und Weise des Erlegens jeglicher Mordlust entbehrt, ist für viele scheinbar unverständlich. Bevor der Jäger sich zum Schuß entschließt, muß er eine Vielzahl von Faktoren prüfen: Was hat er für ein Tier vor sich? Ist es jung oder alt, weiblich oder männlich? Führt das Stück Jungtiere? Ist es erkennbar krank oder verletzt? Fällt das Wildtier unter eine gesetzliche Schonzeit? Diese umfassende Beurteilung des Wildtieres nennt der Jäger „Ansprechen“. Danach stellt er sich die Frage, ob eine sicherere Schußabgabe möglich ist und ob niemand durch den Jäger im Anschlag. Auch der Respekt gegenüber der Kreatur spielt für den waidgerechten Jäger eine große Rolle. So wird das erlegte Stück mit der „Totenwache“ geehrt und bekommt den „letzten Bissen“ in den Äser (einen Tannenzweig in das Maul). Beides gehört zum jagdlichen Brauchtum, zu dem noch viele andere Brauchhandlungen nicht nur im Zusammenhang mit dem erlegten Wild gehören. So pflegen waidgerechte Jäger eine eigene Fachsprache, die für Nichtjäger oftmals unverständliche Begriffe benutzt. Auch diese Jägersprache wird bereits seit Jahrhunderten innerhalb der grünen Zunft weitergegeben. Somit ist die Waidmannszunft auch eine Gemeinschaft, die sehr viel Wert auf Traditionen und Brauchtum legt. Bei der Jagd geht es aber nicht nur um das Hegen und Erlegen von Wildtieren, sondern auch um das Naturerlebnis, das in der modernen Zeit so selten geworden ist. Der Jäger kann bei der Ausübung der Jagd ganz in die Natur eintauchen. Im Jagdrevier die Verbindung zur Natur zu genießen und den Lebensraum Wald zu erfahren, ist für alle Jäger ein willkommener Gegensatz zur hektischen und modernen Alltagswelt. Und es stehen vielerlei Arbeiten im Jahreskreis eines Jagdrevieres an: Bau und Ausbesserungsarbeiten von neuen Jagdeinrichtun- hunt-austria.at Heft 4 - 2014 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter Schlag zum Hirschjäger. gen, wie Hochsitzen, Fütterungen usw., Ausbesserungsarbeiten an der Jagdhütte, Brennholzverarbeitung, das Anlegen von Wildwiesen, im Winter die Fütterung des Rot- und Rehwildes und vieles mehr. Ein wenig handwerkliches Geschick und Freude daran, in der Natur zu arbeiten, sollte also jeder Jäger mitbringen. Mehr als ein teures Hobby Bleibt die Frage, wie man Jäger wird. Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten: man kann sich zu einem mehrwöchigen Kurs in einer der zahlreichen Jagdschulen anmelden. Der Vorteil ist, daß die zeitliche Inanspruchnahme durch die Ausbildung relativ gering ist, dafür sind die Jagdschulen oftmals recht teuer und es wartet sehr viel Lernstoff in sehr kurzer Zeit auf den Aspiranten. Die zweite Möglichkeit ist die Ausbildung über die Landesjägerschaft des jeweiligen Bundeslandes, die zumeist den Jagdkurs über mehrere Monate als Abendund Wochenendkurs anbieten. Der Vorteil liegt hier an der Verteilung des Stoffes über einen längeren Zeitraum und den geringe- vjagd.at ren Preis. Die Stoffülle sollte man als angehender Jäger keinesfalls unterschätzen! Keines der einzelnen Fachgebiete in der Jagdausbildung stellt für jemanden, der in Besitz der Hochschulreife ist, eine intellektuelle Herausforderung dar, der Umfang des Lernstoffes jedoch sorgt nicht zu Unrecht für den Beinamen „Grünes Abitur“ für die Erlangung der Jagdkarte. Entsprechend vielfältig sind denn auch die Ausbildungsinhalte: Wildkunde mit Verhalten und Eigenschaften des heimischen Wildes, Hundewesen, Waffenkunde und Waffenhandhabung (inklusive Schießausbildung), Jagdrecht, Jagdliches Brauchtum und Jagdbetriebslehre werden während der Ausbildung vermittelt. Die eigentliche Herausforderung für den frischgebackenen Jungjäger beginnt aber erst nach der erfolgreichen Jagdprüfung. Ähnlich wie beim Erwerb des Autoführerscheins, der einen berechtigt, das Autofahren im öffentlichen Straßenverkehr zu erlernen, hat man mit der ersten Jagdkarte Der Autor in Jägerkluft. Jan Ackermeier lediglich die Erlaubnis und die Grundlagen erworben, das Jagen „in der freien Wildbahn“ zu lernen. Glück hat derjenige Jungjäger, der von einem alten und erfahrenen Jäger „abgeführt“ und mit Geduld in die Praxis der Jagdausübung eingelernt wird. Immerhin liegt allen Jägern daran, daß ihr Handwerk, ihre Traditionen und ihr Brauchtum an die nächste Generation weitergegeben werden, damit die mitteleuropäische Eigenart der waidgerechten Wildbewirtschaftung zukunftsfähig bleibt. Jeder, der sich für Wald und Wild interessiert, sich nicht scheut, sich die Hände bisweilen schmutzig zu machen und ein Mindestmaß an handwerklichem Geschick mitbringt und zudem die Weitergabe von waidgerechtem Brauchtum und Traditionen der „grünen Zunft“ vorantreiben will, ist in den Reihen der Waidkameraden willkommen. Jan Ackermeier (Normannia-Nibelungen Bielefeld 2005, Teutonia Wien 2007) Die Schriftleitung informiert: Adreßänderungen für den Bezug der „Burschenschaftlichen Blätter“ richten Sie bitte immer an: [email protected] oder postalisch an: BBl-Anschriftenverwaltung, Postfach 101232, 20008 Hamburg Heft 3 - 2014 119 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter Das Mensurwesen heute Von Wilhelm E. Nordmeier „Die Mensur gehört zur burschenschaftlichen Tradition wie die Blume zu einem frisch gezapften Bier“, so erklärte es mir ein Alter Herr in meiner Fuxenzeit. Diese Metapher ist relativ platt ausgedrückt, jedoch schon von erster Zeit unserer Gründungsväter an, war die Mensur ein immanent wichtiger Teil des burschenschaftlichen Lebens und ist es auch noch heute. Die Mensur hat sich über die Zeit verändert, das ist bekannt und soll hier nicht näher erörtert werden, im Blickpunkt steht das Mensurwesen heute. Ein Mitglied des Verbandes der Fechtmeister (VdF) erzählte mir vor ein paar Jahren, daß heutzutage fast annähernd so viele Mensuren gefochten werden wie in den 1960ern, der einzige Unterschied dazu ist jedoch, daß weniger Paukanten diese Leistung vollbringen. Diese These habe ich über die vergangenen zehn Jahre verfolgt und muß meinem damaligen Gesprächspartner recht geben. Als junger Bursch erlebte ich wenig Verbands- und Waffenbrüder, die über eine zweistellige Partienanzahlen verfügten. Heutzutage ist es keine Seltenheit, mehr solcher Paukanten anzutreffen. Meines Wissens existierte im Jahre 2000 nur ein Verbandsbruder in der DB, der über 20 ziehende Partien nach dem Krieg aufzuweisen hatte – heute sind es meines Kenntnisstandes nach schon fünf und einige aktive Fechter stehen kurz davor. Abzuwarten ist jetzt, ob die Einführung von Bachelor und Master diesem Trend ein Ende setzen kann, da die jungen Studenten in diesem System weniger Zeit haben. Auffallend ist auch, daß immer mehr junge Alte Herren zur Klinge greifen und noch auf Mensur stehen. Persönlich war zu meiner Aktivenzeit ein Mensuren schlagender AH eine echte Seltenheit. Heute gibt es unzählige Beispiele von jungen Philistern, die noch diverse Partien nach der Philistrierung geschlagen haben. Meist sind diese jungen Philister auch hochmensurige Fechter, wie ich es an meinem eigenen Werdegang selbst sehen kann. Woher dieser neue Trend stammt, weiß ich nicht; aber ich vermute, daß der Grund darin zu finden ist, daß viele Altaktive bei den schwindenden Mitgliederzahlen der Bünde auch öfters noch zum Einpauken der jungen Bundesbrüder gebeten werden und so den „normalen“ Absprung nicht geschafft haben. Rückkehr zu alten Comments Ein weiterer Trend ist in den letzten Jahren ebenso zu beobachten, denn neuerdings werden auch wieder Partien auf ausgestorbenen Comments gefochten. So wurden zum Beispiel in den letzten zwei Jahren 120 eine Partie auf dem originalen Königsberger Comment gefochten, eine auf den Vorkriegscomment Marburgs und zwei Partien auf dem Breslauer Schlägerbrauch. Geplant ist ebenso eine Partie auf dem alten Prager Comment von 1875. Die Hauptschwierigkeit stellt sich jedoch meist schon in der Auffindung des Comments selber dar. So war die Suche nach dem Breslauer Comment verbunden mit vielen epostalischen Anfragen bei diversen Archiven deutschlandweit. Die einzig erhaltene Version war nur noch im Bundesarchiv zu finden und wurde von Verbandsbrunder Lönnecker dankens- Vbr. Nordmeier beim Höhenausgleich vor seiner 20. Mensur. werterweise den Paukanten in Kopie zur Verfügung gestellt. alter Comments ist der Fechtbeauftragte Ebenso ist es schwierig einen ausgestorbe- immer dankbar. nen Comment auszulegen, ihn mit Leben zu erfüllen, da meist die Zeitzeugen nicht Nichtsdestotrotz müssen sich in der heutimehr dazu in der Lage sind, so daß auf er- gen Zeit viele schlagende Bünde verstärkt fahrene Fechtmeister zurückgegriffen wer- Kritik gefallen lassen, daß sie mit der Menden muß. Nichtsdestotrotz ist schön zu se- sur archaischen Ritualen nachgehen würhen, daß die jungen Aktiven der alten Ver- den. Gerade auf antifaschistischen Internetgangenheit wieder neuen Lebensodem portalen der linksradikalen Szene wird einhauchen und somit ein wichtiges Stück hierüber in maßloser Art und Weise geburschenschaftlicher Geschichte vor dem hetzt. Sicherlich ist die Mensur ein Relikt einer längst vergangenen Epoche, das ist unVergessen bewahren. bestreitbar. Jedoch ist dieses Relikt, das ich Als Fechtbeauftragter der Deutschen Bur- eher als Artefakt bezeichnen möchte, mehr schenschaft habe ich damit begonnen, ein denn je aktuell. Nicht nur, daß die Mensur offizielles Commentarchiv in Dateiform auf- Entschlußkraft, Schneid und Selbstbeherrzubauen, da immer wieder Fragen und Bit- schung fordert und fördert, sie ist unbeten an mich nach ortsfremden Comments streitbar eines der besten Integrationsinherangetragen wurden. Dank der Mithilfe strumente einer Verbindung. einiger engagierter Verbandsbrüder konnte so eine beachtliche Sammlung er- Die nächsten Jahre und Jahrzehnte werden stellt werden, die auch das Fundament der zeigen, welchen Weg die Mensur und mit zukünftigen dachverbands-übergreifenden ihr die Paukanten einschlagen werden. Aus Commentsammlung der Arbeitsgemein- heutiger Sicht kann ich nur attestieren, daß schaft Andernach der mensurbeflissenen der in den letzten Jahren beschrittene Weg Verbände (AGA) sein wird. Diese Samm- nicht der schlechteste ist. lung enthält neben aktuellen Fechtcomments auch die Vorkriegscomments Bres- Wilhelm E. Nordmeier laus, Königsbergs, Marburgs und Prags. Für (Ghibellinia-Leipzig Hannover, Germania jede weitere Zusendung aktueller und auch Leipzig, Raczeks Breslau zu Bonn) Heft 4 - 2014 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter Die Burschenturner Von Bruno Burchhart Zweifellos beeinflußte Friedrich Ludwig Jahn mit seinen Ideen sowohl die von ihm, am 19. Juni 1811 auf der Berliner Hasenheide, begründete Turnbewegung als auch die etwas später, am 12. Juni 1815 in Jena ins Leben gerufene Burschenschaft. Idee, das allgemeine Turnen auch als Erziehungsmoment zu entwickeln, andererseits entwarf er mit seinem Mitstreiter Friedrich Friesen einen weiteren Plan. Niedergelegt ist dieser in der Denkschrift von 1810: „Ordnung und Einrichtung der deutschen Burschenschaften“. Für Turnwesen und Burschenschaft war eine Erneuerung der patriotischen Gesinnung ein wesentliches Anliegen. Da viele Studenten, damals Burschen genannt, das Turnen für wichtig erachteten, zum Teil sogar aus der Turnbewegung hervorgingen, übten sie dies auch während ihres Studiums aus. So bürgerte sich schon damals die Bezeichnung Burschenturner ein. Diese Verbindung hat sich bis heute in vielfältigster Art bewährt. Mit ungeheurer, heute fast unvorstellbarer Begeisterung wurden von der Studentenschaft die damals wahrhaft revolutionären Ideen aufgenommen und weitergetragen, heutzutage bestenfalls vergleichbar mit den zerstörerischen 1968er Ideen. Jahn und Friesen aber riefen zur Erneuerung auf: Die Burschen-Studenten sollten sich – und das war neu – „frei und mit gleichem Recht zum deutschen Manne bilden, dessen heiligste Pflicht es ist, dereinst im bürgerlichen Leben für Volk und Vaterland kräftig zu wirken“. Dem sogenannten Pennalismus (der Jüngste hatte den Älteren Diener zu sein) und der streng landsmannschaftlichen Einordnung (Umgang ausschließlich mit den nächsten Landsleuten, zum Beispiel Sachsen, Bayern, usw.) wurde entgegengesetzt, daß „auf jedem Hochschulort nur eine einzige Studentenvertretung sein soll, eben die Burschenschaft. Beim Burschenleben in Freiheit und ohne Ständebeschränkung (damals Adel, Klerus, Bürger) müssen das deutsche Volk und das Sittengesetz über allem stehen“. Jahn hatte auf mannigfache Art seine Ideen erarbeitet und verbreitet. Wichtig war ihm in der Zeit der napoleonischen Fremdherrschaft nicht nur die Erringung der Freiheit seines Volkes. Besonderen Wert legte er auf die Heranbildung seiner Mitbürger zu selbstbewußten, geistig und körperlich tüchtigen Angehörigen des deutschen Volkes. In Wort und Tat hat er das dann zur Durchführung gebracht. In den Satzungen des, während der trüben Tage der Besatzung gegründeten Geheimbundes „ Deutscher Bund“ hatte Jahn schon festgehalten: „Zweck ist die Erhaltung des deutschen Volkes, Neubelebung der Deutschheit, Hinwirkung zur Einheit unsres zersplitterten Volkes“. Daraus reifte in ihm einerseits die Das von Georg Friedrich Kersting 1815 in Öl auf Leinwand gemalte Bild „Auf Vorposten“ zeigt Theodor Körner, Karl Friedrich Friesen und Heinrich Hartmann als Lützower Jäger. Heft 4 - 2014 Revolutionäre Geister Alle diese, für die kleinstaatlich zerrissenen deutschen Lande hochpolitischen Inhalte mußten deren Herrschern als Kampfansage erscheinen: Studenten-Einheit, oder gar der Gedanke an ein gemeinsames deutsches Volk würden ja zu einer Schmälerung ihres Einflusses führen. Die Denkschrift fand jedenfalls eine rasend schnelle Verbreitung an den Universitäten, wo sich nationale Freiheitsbewegungen zu entwickeln begannen. Auch Hochschullehrer verbreiteten solch nationale Ideen: Fichte mit den berühmten „Reden an die deutsche Nation“, Arndt mit seinen Vorlesungen, Luden mit seinen Schriften, wo er festhielt, daß es das „erste Streben jeden Volkes sein muß, seine Selbständigkeit zu erhalten, damit ihm nicht fremdes Volkes fremder Sinn aufgezwungen wird“: Moderner könnte man kaum formulieren! Der Durchsetzung dieser Ideen standen aber zunächst die Kriegsverläufe entgegen, war doch Napoleon nach der Rußland-Niederlage wieder zurück. Zur Abwehr wurden nicht nur die Fürsten-Armeen mobilisiert, sondern erstmals auch eine gesamtdeutsche Truppe, das Lützow’sche Freikorps: Burschenturner Hans Ferdinand Maßmann (1797–1874). Turner und Studenten aus allen deutschen Landen strömten herbei, vaterländisches Gedankengut wurde weitergetragen (Jahn war als Stellvertretende Kommandant ebenfalls dabei), das Schwarz-Rot-Gold der Lützower war Symbol dafür. Nach Besiegung des Fremdherrschers in den „Befreiungskriegen“ (hpts. Völkerschlacht bei Leipzig 18. Oktober 1813) wurde in den Hörsälen der Ruf nach vaterländisch-reformatorischen Bewegungen und Einrichtung einer „Burschenschaft“ immer lauter. Und jetzt wurde Jahn’s Idee umgesetzt: Sechs Tage vor Napoleons Waterloo kam es am 12. Juni 1815 in Jena zur Gründung der ersten Burschenschaft! Die Jahn-Jünger und Burschenturner, der Mediziner Wilhelm Kaffenberger und der Theologe Johann Heinrichs, beide alte Lützower, entwarfen eine „Verfassung der Jenaischen Burschenschaft“. Jahn’s Gedankengänge sind in dem 38-Seiten-Werk deutlich erkennbar, vor allem der vaterländische Geist, der auch im Wahlspruch „Freiheit, Ehre, Vaterland“ zum Ausdruck gebracht wurde. In dem Regelwerk werden alle möglichen Studentenbräuche, Wahlen und Studentenziele behandelt und festgehalten: „Zwar hat die Natur uns Deutsche in einzelne Stämme geteilt, aber ein gemeinsamer Geist soll alle Deutschen beleben, auch auf den Universitäten“. Wie der Burschenturner Robert Wesselhoeft berichtet, spielte das Turnen ebenso wie wissenschaftliche Studien und Sittenreinheit zur eigenen Ausbildung eine große Rolle: 121 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter Fechten und Turnen sollen Kraft, Gewandtheit, Gesundheit und Mut fördern. Nach der Gründung der Burschenschaft in der „Grünen Tanne“ in Jena erfolgten zahlreiche weitere. Die Burschenschaft wurde so zur ersten politischen Jugend- und Studentenbewegung in Europa und die Avantgarde einer deutschen Nationalbewegung. Ein erster Höhepunkt der Burschenschaftsgeschichte war sicher das bahnbrechende Wartburgfest vom 18. Oktober 1817. Die Vorbereitung dafür wurde entscheidend mitgeprägt von den Burschenturnern Eduard Dürre und Hans Ferdinand Maßmann. Hier wurden die Forderungen nach Verfassung, Gleichheit und Freiheit der Person, Rede-, Meinungs- und Presse-Freiheit, Versammlungsfreiheit, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Lehr- und Lernfreiheit geboren, die dann in den Burschenschafts-Beschlüssen vom 18. Oktober 1818 endformuliert wurden: Eine geschichtsträchtige, zukunftsträchtige und zukunftsweisende Tat. Wurden diese Forderungen doch erst eine Generation später 1848 durch die Nationalversammlung der Delegierten aus dem gesamten deutschen Sprachraum in eine Verfassung gegossen und beschlossen. Leider scheiterte diese dann an der absolutistischen Fürsten-Restauration. Erst hundert Jahre später – 1918 – wurden die burschenschaftlichen Forderungen fast wortident demokratisch durch die Weimarer Republik und die Republik DeutschÖsterreich beschlossen und befinden sich heute im bundesdeutschen Grundgesetz und der Verfassung von Österreich. Heute – 200 Jahre später – finden sich diese Forderungen ebenfalls in der Charta der Europäischen Union. Im Volk verankert einzurichten ist, der wiederum einen TurnVorsteher zu wählen hat, Eingang in die burschenschaftliche Verfassung. Darin wird die Einrichtung eines Vorstandes festgelegt, der wiederum einen Sprecher zu wählen hat und auch einen „Beisitzer des Turnwartes“. Somit hatte das Körper-Geist und Seele umfassende Turnen im Sinne des Turnerwahlspruches „Frisch, Fromm, Fröhlich, Frei“ weiterhin seine Bedeutung in der Burschenschaft. Auch wenn Metternich’sche Demagogenverfolgung und Turnsperre infolge der Karlsbader Beschlüsse zunächst eine Weiterentwicklung verzögerten, blieben die Ideen im Volk verankert. Burschenturner zogen in das erstmals von allen, im deutschen Sprachraum Wohnenden gewählte Paulskirchen-Parlament 1848, Jahn wurde sogar einer der Vizepräsidenten des „Burschenschafter-Parlamentes“. Trotz kurzfristigen Neoabsolutismus kam es im Zuge der Feiern anläßlich 100. Geburtstag des Freiheitsdichters Friedrich Schiller zu einem Aufleben der Nationalund Freiheitsidee, auch in der Donaumonarchie. Die gewollte Verbundenheit von Turnern und Burschenschaften, wie sie auch in den Turngesetzen und Verfassungen zum Ausdruck kommt, lebte in zahlreichen Neugründungen dieser Zeit, von Wien bis Laibach und Triest, unter anderem Die akademischen Burschenturner waren immer wieder maßgeblich an nationalen Einigkeitsbestrebungen und Durchsetzung Jahn’scher Ideen beteiligt. Burschenturner in Österreich Genannt sei hier zum Beispiel der Burschenschafter Dr. Hans Stingl, Mitglied des Turnvereins Krems und der Burschenschaft Teutonia Wien, der am Weimarer Turnertag 1868 einen gesamtdeutschen Turnverband, die „Deutsche Turnerschaft“ mit ihren 15 Turnkreisen begründete, deren 15. der Turnkreis Deutsch-Österreich war. Burschenturner waren in schweren Weltkriegskämpfen gemeinsam an der Front, hatten zur Förderung des Deutschtums den Deutschen Schulverein gegen Panslawismus-Bestrebungen gegründet und standen im Abwehrkampf gegen slawischen Landraub 1918/19 im Ringen um das Selbstbestimmungsrecht für die Einheit Kärntens zusammen. Auch nach dem „Begräbnis erster Klasse“, der Auflösung der Turnvereine und Burschenschaften im sogenannten Dritten Reich, erfolgte nach schwerer Nachkriegszeit wiederum und weiterhin ein erfolgreicher Einsatz der Burschenturner für die Stärkung und Erhaltung des Bewußtseins einer deutschen Volks- und Kulturnation. So können im Bereich des Österreichischen Turnerbundes (ÖTB) einige Persönlichkeiten beispielhaft genannt werden: Der ehemamlige Bundesobmann Ing. Roland König (Tv Landeck, Burschenschaft Markomannia Wien), Volksvertreter wie zum Beispiel im Wiener Landtag Mag. Helmuth Kowarik (Tv Sechshaus Wien, Burschenschaft Aldania Wien), der ehemalige Landeshauptmann Dr. Jörg Haider (Tv Bad Goisern, Burschenschaft Silvania Wien) oder im Parlament Lutz Weinzinger (Tv Schärding, Burschenschaft Bruna Sudetia Wien). Zahlreiche Turner sind in den Burschenschaften aktiv und geben ihr Bestes für die zeitlosen Ideen der Turnbewegung und der Burschenschaft. Bruno Burchhart (Olympia Wien 1960) Beim Wartburgfest selber spielten die Burschenturner in aller Öffentlichkeit ebenfalls eine Rolle, wie uns ein Zeitzeuge berichtet: „So kamen denn aus allen Gauen des Vaterlandes seine Söhne, des Vaterlandes Wiedergeburt zu feiern. Man wählte einen Burgvogt und vier Burgmänner für die gesamte Ordnung des Festes und Fahnenträger für die schwarz-rot-goldene Fahne. Ein Festzug zog auf die Wartburg bis in den Rittersaal, Festreden hielten Heinrich Arminius Riemann und Univ.-Prof. Jakob Friedrich Fries. Es erklangen Rufe: 'Es lebe die deutsche Freiheit!', 'Der löblichen Turnkunst und ihrem Meister!' und andere. Nach dem Gottesdienst zogen alle zum Marktplatz Eisenachs. Dann trat eine BurschenturnerSchar zusammen und turnte: Laufübungen, Bockspringen, Tauziehen, mehrere Kletterarten“. Auch in den Beschlüssen von 1817/18 ist die Bedeutung des Turnens festgehalten: Fand doch die Forderung von Turnvater Jahn, daß auf der Grundlage der Turnordnung auf demokratische Weise ein Turnrat 122 Burschenturner in Aktion. Heft 4 - 2014 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter Jahn und die Burschenschaft Von Harald Lönnecker Bei der Einweihung der Jahn-Turnhalle 1894 in Freyburg a. d. Unstrut waren zahlreiche studentische Verbindungen vertreten: Turnerschaften und Akademische Turnvereine, Burschenschaften und Landsmannschaften. Auch die 1868 gegründete Turnerschaft und spätere Burschenschaft Normannia zu Leipzig entsandte eine Abordnung und ihr Erstchargierter sprach einige Worte. Sie erregten in hohem Maße den Unwillen der anwesenden Burschenschaften: Die Burschenschaften hätten sich von Jahn abgewandt, seien zu Korporationen alten Stils geworden, erstickten in Farben- und Mensurfragen, die Jahn bekanntlich stets ablehnte. Den von den Burschenschaften niedergelegten Stab hätten die neuen akademischen Turner aufgenommen, sie bewahrten Jahns Erbe, nicht die Burschenschaften. Die Turnerschafter seien es, die Jahns Ideen an Deutschlands hohen Schulen mit den Prinzipien des Waffenstudenten – Farbentragen, unbedingte Satisfaktion, Mensur – verknüpften, nicht die verknöcherten und unzeitgemäßen Burschenschaften und Corps. Über den Ausgang der Sache heißt es: „Akademischerseits endete die Einweihung mit einem Missklang.“ Ähnliches wie aus dem Munde des Erstchargierten findet sich in der „Cartell-Turnzeitung“ bereits 1886 aus der Feder Hermann Zabels, des Gründers der Leipziger Verbindung. Vom „überwundenen Standpunkt“ der Burschenschaften ist dort die Rede. Blättert man das Verbandsorgan der Turner und die Nachfolgerin, die „Akademische Turnzeitung“, durch, so häufen sich derartige Äußerungen. Aus ihnen spricht der Anspruch der akademischen Turner auf Anerkennung ihrer Gleichwertigkeit in der immer größer werdenden und immer mehr Korporationen hervorbringenden Studentenschaft des Kaiserreichs, eine Anerkennung, die für sie sozialen Aufstieg bedeutete und sich doch nur durch die Nachahmung einer für traditionell gehaltenen Repräsentationsform bewerkstelligen ließ. Krisenbewußtsein, akademische Überfüllung und Statusängste waren charakteristisch für diese Studentengenerationen. Die Korporationen waren keineswegs gleich. Es gab eine „heimliche Hierarchie“ mit den alten Waffenverbindungen an der Spitze und Turner- und Sängervereinen bzw. -verbindungen am unteren Ende. Vielfach erschallte aus ihren Reihen die Forderung, man müsse das Waffenprinzip egalisieren und den alten Verbänden entwinden, wobei mit der Annahme des Prinzips Heft 4 - 2014 der unbedingten Satisfaktion und eigener Waffen gerade die Gegnerschaft der Turner etwa zu den Burschenschaften betont wurde, denen man doch tatsächlich nacheiferte. Man wollte eine „normale“ Korporation sein, nicht zum scheel angesehenen akademischen Proletariat gehören, eigene Waffen führen und „Unabhängigkeit und Achtung“ genießen. Die angegebenen Gründe für diesen Wandel, für Satisfaktion und Waffen „Turnvater“ Jahn: Geistiger Wegbereiter der Burschenschaft. variieren bei allen Turnervereinen nur geringfügig. Zunächst schaft bin ich nie gewesen, ich habe mich steht in der Argumentation fast immer der davon fern gehalten, um jüngere Herren Sport, die „gute körperliche Übung“, im Mit- nicht in ihrem Treiben zu beschränken als telpunkt. Diese jedoch nicht um ihrer selbst ein Leiter, oder um eine Oberleitung über willen, sondern als Ausdruck des wehrhaft- sie zu haben.“ wahrhaften deutschen Mannes, wie ihn schon Jahn im „Deutschen Volksthum“ und Ebenso sahen Jahn die um ihre Souveräin seinen Schriften zur „Turngemeinde“ for- nität fürchtenden Regierungen: E. T. A. derte. Ist die Diskussion erst einmal ent- Hoffmann, bekannter als Dichter und brannt, verschwinden sportlich-turnerische Schriftsteller denn als 1820 die UntersuÜberlegungen sogleich zu Gunsten gesell- chung gegen Jahn führender Berliner Kamschaftlich-sozialer. Deutlich manifestiert sich mergerichtsrat, schrieb in seinem Gutachhier: mittels des Turnens war in akademi- ten, die Burschenschaften auf den deutschen Kreisen um 1900 im Gegensatz zur schen Universitäten seien in ihrer „urZeit um 1810 kein Ansehen zu gewinnen. sprünglichen Tendenz lobenswert und auf die Moralität der Studenten wohltätig einwirkend zu nennen“. Am 8. Februar 1811 Dem Turnen ermangelte die sei im Deutschen Bunde zu Berlin darüber akademische Exklusivität Wie hatte sich das Verständnis so wandeln verhandelt worden. Der Zweck der Burkönnen? Das Turnwesen gehörte zu den schenschaft (der Begriff bedeutete eigentMitinitiatoren der deutschen Nationalbe- lich nicht mehr als die Gemeinschaft aller wegung und ihrer Avantgarde, der Bur- Studenten, erst nach 1815 bezeichnete er schenschaft. Jahn sah sich in seiner Rede einen bestimmten Korporationstypus) sei vor der Nationalversammlung in Frankfurt nach dem zur Beratung vorgelegten Enta. M. am 15. Januar 1849 als ihr geistiger wurf Friedrich Friesens – der sich wiederum Vater: „Ich habe mich auf den Hochschu- auf Gedanken Jahns stützte – dahin geganlen, das werden mir meine alten Kamera- gen, das Studentenleben moralisch zu verden bezeugen, jeder Zeit von den [...] Pau- bessern und den deutschen Sinn zu belekereien fern gehalten. In diesem Geiste ben. Trotz aller Bemühungen sei aber noch habe ich nachher die Turnerei hervorgeru- keine Verbindung mit der Berliner oder fen und die Burschenschaft, wovon ich einer anderen Hochschule zustande 1798 zuerst gesprochen und 1811 die Ord- gekommen. Trotzdem sei der Entwurf nung und Einrichtung einer allgemeinen unter den Studenten verbreitet gewesen Burschenschaft in Deutschland umherge- und sein Einfluß auf die später Wirklichkeit sendet, bis sie 1815 in Jena ins Leben ge- gewordene Burschenschaft sei unverkenntreten ist. Ehrenmitglied von der Burschen- bar. 123 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter Gerichtsnotorisch wurde Jahns Urheberschaft durch das Urteil des Oberlandesgerichts Breslau vom 21. November 1833, durch das er zu einer zweijährigen Festungsstrafe verurteilt wurde. Im April hatten Heidelberger Burschenschafter den Frankfurter Wachensturm inszeniert, um eine deutsche Revolution mit dem Ziel eines einigen und freien Deutschland auszulösen. Nach dem Scheitern des Unternehmens galt es die „Demagogen“ und „Revolutionäre“ dingfest zu machen. Jahn geriet in den Verfolgungsstrudel und zur Last gelegt wurde ihm die „Gründung der Burschenschaften auf den Universitäten Deutschlands“. Weiter hieß es, man habe unter seinen Papieren den Entwurf für eine Heidelberger Burschenschaft mit dem Titel „Über Ordnung und Einrichtungen der deutschen Burschenschaften“ gefunden. Außerdem habe Jahn mit dem Rektor der Berliner Universität, Johann Gottlieb Fichte, bereits 1811 über die Gründung einer Burschenschaft gesprochen und verhandelt. Im gegenwärtigen Falle sei ihm zwar keine Schuld nachzuweisen, aber als geistiger Urheber der Burschenschaften sei Jahn sicherlich anzusprechen: „Wenn also auch aus einzelnen Briefen und Papieren von Mitgliedern der Burschenschaften Data zu entnehmen sind, daß Inkulpat [= Jahn, H. L.] sich für die Einführung und weitere Verbreitung der Burschenschaften auf den Universitäten Deutschlands interessiert und mit mehreren eifrigen Mitgliedern dieser Burschenschaften in Bekanntschaft gestanden, so ist dadurch noch nicht der Tatbestand eines begangenen Verbrechens ge- gen ihn festgestellt“. Dies gelte aber nur für den konkreten Heidelberger Fall, nicht für die vielen anderen Burschenschaften auf den deutschen Hochschulen, als deren geistiger Urheber Jahn gelten müsse. Jahn als geistiger Wegbereiter der Burschenschaft Jahn war einer der geistigen Väter jener Studentenbewegung, die als Burschenschaft im 19. Jahrhundert Geschichte machte. Über den von ihm mitgegründeten Berliner Deutschen Bund wirkten Jahn, Friesen und andere maßgeblich auf die Studenten ein. Besonders in Jena, wo viele Hochschüler im gerade vergangenen Krieg mitgekämpft hatten, war man empfänglich für ihre Ideen. Hier entstand im Winter 1814/15 eine „Wehrschaft“, eine Art akademischer Landsturm, der eifrig körperliche Übungen trieb und auch eine Turnanstalt unterhielt. Als aus ihren Reihen am 12. Juni 1815 die erste Burschenschaft hervorging, stützte sich ihre Konstitution auf eine Ausarbeitung der Studenten Johann Carl Heinrichs und Wilhelm Peter Kaffenberger. Sie hatten Jahns Ratschläge nicht nur beachtet, sondern teilweise sogar wortwörtlich übernommen. Der Anteil und die Anteilnahme Jahns ist auch daran zu ermessen, daß er 1816 seine Lieblingsschüler Eduard Dürre und Hans Ferdinand Massmann nach Jena sandte, um nicht nur als Vorturner den neuen Turnplatz einzurichten und das Turnen zu leiten, sondern auch um in der „noch auf schwachen Füßen stehenden ‚Burschenschaft‘ tätig zu sein“. Das Wartburgfest von 1817, das erste deutsche überregionale Nationalfest überhaupt, richtete die Jenaer Burschenschaft aus. Dürre propagierte es bereits 1816 als ersten Schritt zur Einigung der deutschen Studenten, der Wissen und Leistung kumulierenden künftigen Akademiker. Gedacht war dabei an eine Vorwegnahme der deutschen Einheit in Freiheit, denn wenn die künftige Elite – Rechtsanwälte und Richter, Ärzte, Pfarrer, Lehrer und Professoren – ein einiges und freies Deutschland erstrebte, konnte sich diesem Ansinnen niemand ernsthaft widersetzen. Jahn hatte Dürre bestärkt, auch wenn sich Massmann später die Idee zum Fest zuschrieb. Dürre schrieb dazu: „Gleich viel, wer den Gedanken zuerst gehabt, er ist nur die Folge des Einheitsstrebens, das in Jahn so lebhaft wirkte und von ihm sich auf seine Schüler übertrug.“ Der Burschenschafter Heinrich Leo behauptete sogar, der Gedanke des Festes sei nicht in Jena entstanden, sondern in Jahns Umfeld in Berlin. Auf dem Wartburgfest wurde Jahns gedacht. Beim Festmahl brachte man ein Hoch aus auf die „Lehrer der deutschen Jugend: Arndt, Friesen und Jahn“ und ehrte Jahn besonders durch eines auf „die löbliche Turnkunst und ihren Meister“. Schriften der Jahn-Gegner Franz Daniel Friedrich Wadzeck und Wilhelm Scheerer „und aller anderen schreibenden, schreienden und schweigenden Feinden der löblichen Turnkunst“ wurden auf dem Wartenberg bei Eisenach zusammen mit anderen burschen- In der Aula der Friedrich-Schiller-Universität in Jena hängt das Bild „Aufbruch der Jenenser Studenten in den Freiheitskrieg 1813“, gemalt von Ferdinand Hodler. 124 Heft 4 - 2014 Schwerpunkt schaftsfeindlichen Büchern dem Feuer übergeben. Turnen und Burschenschaft war anfangs identisch Die Burschenschaft hatte in den Freiheitskriegen ihre Wurzeln, in der unter dem Einfluß von Jahns, Fichtes und Ernst Moritz Arndts Volkstumslehre, christlicher Erweckung und patriotischer Freiheitsliebe stehenden antinapoleonischen Kampf deutscher Studenten. Diese Studenten begriffen die Freiheitskriege gegen Napoleon als einen Zusammenhang von innerer Reform, innenpolitischem Freiheitsprogramm und Sieg über die Fremdherrschaft und stellten sich bewußt in die Traditionen der Mannhaftigkeit und Kampfbereitschaft. Zugleich wurden sie dadurch besonders hervorgehobene Bewahrer und Fortsetzer der deutschen Nation. Dieser Beginn der Nationalbewegung, die Burschenschaft, war die erste gesamtnationale Organisation des deutschen Bürgertums überhaupt, deren Breite sich ermessen läßt vor dem Hintergrund, daß ihr mit bis zu 3.000 Mitgliedern 1818/19 etwa ein Drittel der Studentenschaft Deutschlands angehörte. Als die ehemaligen Freikorpskämpfer und nunmehrigen Studenten nach 1815 ihr nationales Engagement in neue soziale Lebensformen umsetzten und die neue, zur nationalen Militanz neigende Burschenschaft gründeten, waren Turnen und Burschenschaft weitgehend identisch: ein turnender Student war Burschenschafter und umgekehrt. Nationale Einheit, Freiheit und sogar soziale Egalisierung waren eins. Der Burschenschafter Robert Wesselhöft schrieb in seiner 1828 erschienenen Schrift „Teutsche Jugend in weiland Burschenschaften und Turngemeinden“: „Turnplätze und Burschenschaften wurden sofort eng miteinander vereint. Die Idee, daß geistige und leibliche Ausbildung der Zweck des Lebens auf der Hochschule sei, hob mehr und mehr jedes steife, träge Vorurteil gegen das Turnen auf. In der Burschenschaft wie auf dem Turnplatze gab es keinen Unterschied der Stände.“ Diese Gleichsetzung wurden Turnwesen wie Burschenschaft 1819 zum Verhängnis, als nach der Ermordung des Lustspieldichters und Spötters über die Burschenschaft Kotzebue durch den Theologiestudenten Carl Ludwig Sand und die nachfolgenden Karlsbader Beschlüsse die Verfolgung der Burschenschaft begann. Jeder Turner stand nun im Ruch des Umsturzes und der Revolution, wer turnte, der war potentiell gefährlich und ein möglicher Staatsfeind. Die insgeheim weiterbestehenden Burschenschaften turnten ob des erhöhten Verfolgungsdrucks immer weniger und schließlich nicht mehr. 1865, bei der 50Jahr-Feier der ersten Burschenschaft in Jena, spielte das Turnen bereits keine Rolle Heft 4 - 2014 Burschenschaftliche Blätter mehr. Und im Kaiserreich sollte das so bleiben – obwohl die meisten Burschenschaften einen Passus über „Leibesübungen“ in ihren Satzungen hatten. Die Körperertüchtigung rückte in den Hintergrund Warum hatte sich die Einstellung der Burschenschafter so gewandelt? Eine Antwort ist vielschichtig. Das Bürgertum, das seit der Mitte des 18. Jahrhunderts im Mittelpunkt der Gesellschaft gestanden hatte und überall der Träger der Modernisierung gewesen war, verlor seine Geschlossenheit und fraktionierte sich. Die handarbeitende Bevölkerung wurde mehr und mehr zu industriellen Lohnarbeitern mit dem eigenen sozialen Bewußt- Bürgerlicher Habitus verdrängte den revolutionären Turner-Gedanken. sein einer „Arbeiterklasse“, die sich selbst zu organisieren dungsmitglied in Breslau – faßte dies als begann. Um so mehr setzten sich die die Herausbildung der „Gesellschaft der Schichten, die nicht zu ihr gehören woll- Satisfaktionsfähigen“ zusammen, deren ten, von dieser ab und „orientierten sich Mitglieder über das Privileg verfügten, im gesellschaftlich nach ‚oben‘“. Das Bürger- Falle einer auch nur angenommenen Beleitum von Besitz und Bildung suchte die digung unter Hintansetzung des staatlichen Nähe des Adels und seiner Sozialvorstel- Gewaltmonopols Genugtuung mit der lungen, grenzte sich nicht mehr von ihm Waffe zu verlangen. In diesem Zusammenab, sondern aristokratisierte sich, adelige hang kam dem Turnen keinerlei Bedeutung Umgangsformen und Ehrbegriffe flossen in den Burschenschaften mehr zu. Vielmehr mit älteren, elitaristischen Vorstellungen bildeten sich seit den späten 1850er Jahren des Studententums vom „civis academi- spezielle akademische Turnvereine, die im cus“ und seinen Sonderrechten zusammen Laufe der Zeit aber gleichfalls mehr und und wurden zum zentralen verhaltenssteu- mehr korporativen Charakter annahmen, ernden Prinzip. Dies war eine mentale äußerlich den Burschenschaften immer Neuorientierung, die von Fortschrittsgläu- ähnlicher wurden und sich in eigenen Verbigkeit begleitet war, vom Glauben an die bänden („Vertreter-Convent der TurnerNotwendigkeit der stetigen Modernisie- schaften auf deutschen Hochschulen“, rung. Nicht mehr philosophische Systeme, „Akademischer Turnbund“) zusammensondern Ökonomie, Naturwissenschaften schlossen. und Technik gaben den Ton an. Eine breite Renaissance Jahns setzte in der Dem entsprach aber andererseits ein mit ei- Studentenschaft und damit auch in den nem Hang zur Historisierung, Romantisie- Burschenschaften erst nach dem verlorerung und Archaisierung verbundener Anti- nen Ersten Weltkrieg ein. Zuvor war das modernismus, der sich ebenso aus sozialen Turnen endgültig vom „Sport“ verdrängt Abstiegsängsten wie ökonomischen und worden. In den Ostseeuniversitäten Kiel, sozialmoralischen Vorbehalten speiste. Der Rostock, Greifswald, Danzig und KönigsSoziologe Norbert Elias – selbst Verbin- berg trieb man Segelsport, der als „weißer 125 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter Sport“ nicht nur „akademisch angemessen“, sondern auch „kaiserlich approbiert“ war, da Wilhelm II. und sein Bruder, Prinz Heinrich von Preußen, begeisterte Segler waren. Der Segelsport an der Küste wurde wie das sonst meist ausgeübte Tennisspiel und das Rudern weniger unter sportlichen als gesellschaftlichen Vorzeichen betrieben. Rückbesinnung auf Jahn's Wehrhaftmachung Das änderte sich nun. In den 1920er Jahren wurde ein Passus aus Jahns Burschenschaftsordnung besonders oft zitiert: „Jeder Bursche muß mit der Einsicht die Kraft paaren: 1. etwas Tüchtiges lernen, 2. sich deutsch ausbilden für Volk und Vaterland leiblich und geistig, 3. sich in den Waffen üben mit Blank- und Schießgewehr.“ Ebenso oft finden sich Jahns Sätze: „Das Turnen darf nicht Selbstzweck, sondern muß das Mittel zum Zweck der Wehrhaftmachung unseres deutschen Volkes sein!“ Keiner sollte „zur Turngemeinschaft kommen, der wissentlich Verkehrer der deutschen Volksthümlichkeit ist, und Ausländerei liebt, lobt, treibt und beschönigt“. Das waren die entscheidenden Stichworte. Man sah das Turnen als – wenn auch mangelhaften – Ersatz für den durch den Versailler Vertrag bedingten „Fortfall der eisernen militärischen Schulung“. Die Burschenschaften erkannten im Turnen die „Erziehung zur Selbstbeherrschung und Selbstüberwindung“, eine militärische Schule, „wie es für die Vorkriegsjugend in unübertrefflicher Form das deutsche Heer war“. Aus dem Turnen wurde das „Wehrturnen“ im Rahmen des „Wehrsports“. Die Ursachen für diese Wandlung „sind letztlich politischer Natur“, wie schon Zeitgenossen bemerkten. Die Wehrhaftigkeit Deutschlands wie des Studenten war bis 1918 eine Selbstverständlichkeit, als erstere in der Revolution zerbrach. Für die Burschenschaften war und blieb der Ehrbegriff die Basis der Wehrhaftigkeit, immer und immer wieder im Schlagwort „Heerlos, wehrlos – ehrlos!“ manifestiert. Zudem forderten die militärischen Beschränkungen Deutschlands durch den Versailler Vertrag bei gleichbleibenden Rüstungsanstrengungen seiner unmittelbaren Nachbarn in den Augen der Burschenschaften dazu heraus, nach einer Entsprechung zu suchen, die vor allem mit der voranschreitenden Zeit immer dringlicher zu werden schien. Diese Entwicklung fand in allen Korporationsverbänden gleichermaßen statt und hatte den Charakter einer Breitenbewegung. Turnen wurde Teil des „Wehrsports“, oft gemeinsam betrieben mit dem „Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten“, der 1925 400.000 Mitglieder zählte. Im großen Rund der „Wehrsportler“ bildeten die Burschenschaften allerdings nur eine kleine, wenn auch sehr einflußreiche Gruppe. Überdurchschnittlich oft finden sie sich in Führungspositionen, auch von Turnvereinen, in der Deutschen Turnerschaft – erinnert sei nur an Ferdinand Goetz und Gustav Oskar Berger, langjährige Vorsitzende – und im Deutschen Turnerbund, dessen Führung fast nur aus Burschenschaftern bestand. Der älteste ununterbrochen bestehende deutsche Turnverein, die Hamburger Turnerschaft von 1816, wurde fast immer von Burschenschaftern geführt. Und auch nach dem Zweiten Weltkrieg sind Burschenschafter überdurchschnittlich oft in den Führungsgremien der deutschen Turner vertreten gewesen. Turnen, Wehrturnen und Wehrsport wurden nach 1933 in eigenen Hochschulämtern organisiert, so daß sich zwar noch Burschenschafter als Teilnehmer finden, es aber kaum mehr von Burschenschaftern selbständig betriebenes Turnen gab. Mit der Auflösung der Deutschen Burschenschaft und der meisten Burschenschaften ab Herbst 1935 stellte sich die Frage des Turnens auch nicht mehr. Das alte Erbe wieder aufgreifen Nach der Wiedergründung 1949/50 wählte der jährlich tagende Burschentag zwar immer einen „Beauftragten für Leibesübungen der Deutschen Burschenschaft“, die letzten Wettkämpfe fanden aber zum Burschentag 1975 statt. Aktivitäten auf diesem Gebiet sind faktisch den einzelnen Burschenschaften überlassen, Militärischer Fünfkampf: Symbolbild für den Militärischen Fünfkampf – hier das Überwinden der „Hühnerleiter“ bei der Hindernisbahn. 126 Simone.Pe/Wikimedia/CC Heft 4 - 2014 Schwerpunkt Burschenschaftliche Blätter die im Zeitalter des Breitensports von der völligen Vernachlässigung bis hin zu beachtlichen Leistungen reichen, etwa im Rahmen der alljährlichen Skimeisterschaften der Deutschen Burschenschaft. Manche Burschenschaft besitzt eine eigene Skihütte. Turnerische Betätigung ist dagegen eher selten geworden. Dafür können sich einige Burschenschaften mit mehrfachen Europa- und Weltmeistern in den verschiedensten Disziplinen bis hin zu vielfachen Olympiasiegern im Dressurreiten schmücken. Trotzdem, im 1998 erschiene- nen „Handbuch der Deutschen Burschenschaft“ heißt es ein wenig resignativ: „Wenn auch den Leibesübungen in der Burschenschaft nicht mehr der Stellenwert zukommen kann, den sie in der Zeit Jahns besaßen, ist es sicherlich erforderlich, [...] wieder an die Tradition der Sportmeisterschaften anläßlich der Burschentage anzuknüpfen und die Leibesübungen in den einzelnen Burschenschaften nachhaltig zu fördern.“ Dies könnte man als Aufforderung begreifen. Unser Autor Verbandsbruder Dr. Dr. Harald Lönnecker, geboren 1963, Alter Herr Normannia-Leipzig zu Marburg, Normannia Leipzig, Germania Kassel, Ghibellinia zu Prag in Saarbrücken (EM) sowie Sängerschaft Normannia-Danzig Braunschweig (EM), studierte Geschichte, Rechtswissenschaft, Evangelische Theologie, Geographie, Volkskunde, Lateinische Philologie und Germanistik in Marburg, Gießen, Heidelberg, Freiburg i. Br. und Frankfurt a. M. Er promovierte 1989 zum Dr. phil. mit einer Arbeit über das spätmittelalterliche Notariat, dann zum Dr. iur. mit einem vereinsrechtlichen Thema. An das Referendariat schlossen sich Tätigkeiten beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr in Freiburg i. Br. und bei der Konrad-Adenauer-Stiftung an. Seit 1995 ist er im Bundesarchiv tätig, erst in Frankfurt a. M., dann in Koblenz, wo er das Archiv und die Bücherei der Deutschen Burschenschaft leitet. Er ist Vorstands- und Beiratsmitglied der Stiftung Dokumentations- und Forschungszentrum des deutschen Chorwesens – Sängermuseum Feuchtwangen und der Gemeinschaft für deutsche Studentengeschichte e. V. (GDS), Mitherausgeber des „GDS-Archivs für Hochschul- und Studentengeschichte“ und der „Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im 19. und 20. Jahrhundert“, Kurator der Stiftung deutsche Studentengeschichte (SDS) sowie des Instituts für deutsche Studentengeschichte (IDS) an der Universität Paderborn. Er trat mit zahlreichen Veröffentlichungen zur Geschichte von Universität und Studenten hervor. Heft 4 - 2014 Quellen und Literatur: Düding, Dieter: Organisierter gesellschaftlicher Nationalismus in Deutschland (1808–1847). Bedeutung und Funktion der Turner- und Sängervereine für die deutsche Nationalbewegung (Studien zur Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts, 13), München 1984. Hagen, Hans Heinrich: Friedrich Ludwig Jahns Anteil bei der Gründung der Deutschen Burschenschaft, in: Einst und Jetzt. Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung 27 (1982), S. 117–126. Jahn, Günther: Friedrich Ludwig Jahn. Volkserzieher und Vorkämpfer für Deutschlands Einigung 1778–1852 (Persönlichkeit und Geschichte, 139), Göttingen/Zürich 1992. Jahn, Günther: Die Stammbuchblätter Friedrich Ludwig Jahns (1778–1852). Eintragungen aus der Studienzeit 1798–1806, in: Einst und Jetzt. Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung 39 (1994), S. 87– 141. Jahn, Günther: Die Studentenzeit des Unitisten F. L. Jahn und ihre Bedeutung für die Vor- und Frühgeschichte der Burschenschaft 1796–1819, in: Hünemörder, Christian (Hrsg.): Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert, Heidelberg 1995, S. 1–129. Kaupp, Peter: Mehr Vermutungen als gesicherte Erkenntnisse. „Turnvater“ Jahn und die deutschen Farben, in: Jahn-Report. Förderverein zur Traditionspflege und Erhaltung der Friedrich-Ludwig-Jahn-Gedenkstätten e. V. Freyburg a. d. Unstrut 28 (2009), S. 14–22. Kaupp, Peter/Ulfkotte, Josef: Die Jahn-Friesensche Burschenordnung von 1811/12, in: Cerwinka, Günter/Kaupp, Peter/Lönnecker, Harald/Oldenhage, Klaus (Hrsg.): 200 Jahre burschenschaftliche Geschichte. Von Friedrich Ludwig Jahn zum Linzer Burschenschafterturm (Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert, 16), Heidelberg 2008, S. 1–81. Kunze, Eberhard: Mecklenburgische Seilschaften des Turnvaters F. L. Jahn. Eine Spurensuche in Stammbuchblättern und Briefen, in: Einst und Jetzt. Jahrbuch des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung 46 (2001), S. 173–184. Lönnecker, Harald: Jahn und die Burschenschaft, in: Jahn-Report. Förderverein zur Traditionspflege und Erhaltung der Friedrich-Ludwig-Jahn-Gedenkstätten e. V. Freyburg a. d. Unstrut 19 (2003), S. 7–14. Lönnecker, Harald: Rudern, Segeln, Fliegen – Aktivitäten akademischer Verbindungen und Vereine zwischen Sport und Politik ca. 1885–1945, in: Alkemeyer, Thomas/Buss, Wolfgang/Peiffer, Lorenz/Rigauer, Bero (Hrsg.): Sport in Nordwestdeutschland (SportZeiten. Sport in Geschichte, Kultur und Gesellschaft, 9/3), Göttingen 2009, S. 7–36. Lönnecker, Harald: „Turner-Führer“ – Akademische Turnvereinigungen in Münster und ihre Vorstellungen von gesellschaftlicher Elite vom 19. Jahrhundert bis zum Ende der Weimarer Republik, in: Westfälische Forschungen 63 (2013), S. 37–56. 127 Aus dem burschenschaftlichen Leben Burschenschaftliche Blätter Vom schwierigen Unterfangen, in den Medien Recht zu bekommen Von Raphael Thiermann Die Deutsche Burschenschaft wird in den etablierten Medien nicht erst seit gestern kritisch betrachtet. Mit Kritik im eigentlichen Sinne könnte der Verband freilich umgehen, aber die Berichterstattung selbst in als bürgerlich geltenden Medien ist zumeist schonungslos und überschreitet in den letzten Jahren nicht selten Grenzen der Hetze, Diffamierung und Stigmatisierung. So gibt es Vorwürfe, wie den des politischen Extremismus, die ständig rezitiert werden, ohne ansatzweise wahr zu sein. Den Verband, die Verbandsspitze und selbst einzelne Bünde erreichen häufig Forderungen, man müsse die Vorwürfe richtigstellen, nötigenfalls juristisch gegen die betreffende Falschbehauptung vorgehen – täte man dies nicht, behielten die Medien recht. Dies ist jedoch einfacher gefordert, als tatsächlich im jeweils konkreten Fall bewerkstelligt werden kann. Die Tücken sind vielfältig. So gibt es in der Bundesrepublik längst kein klar skizziertes Presserecht. Vielmehr handelt es sich in der Regel um sogenanntes „Case-Law“, das sich aus der laufenden Rechtsprechung heraus ständig weiterentwickelt. Zumeist handelt es sich um zivilrechtliche Ansprüche, die durchgesetzt werden müssen. Strafrechtlich relevant wird es, wenn Beleidigungen, Verleumdungen und üble Nachrede erfüllt sein könnten – was zumeist schwer zu beweisen ist. Zudem gibt es graduelle Unterschiede bei Landespressegesetzen, die –abhängig vom jeweiligen Bundesland – ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Nicht selten gibt es außerdem Gerichtsstände, die für presserechtliche Ansprüche geeigneter erscheinen als andere. So gilt Hamburg beispielsweise als geeignet, Berlin als eher ungeeignet. Das Presserecht ist damit quasi juristische „Querschnittsmaterie“ und nichts für ungeübte Juristen oder Rechtsanwälte – und erst recht nicht für Laien, die denken, ein schnell aus dem Internet heruntergeladenes Musterblatt könne eine fundierte Rechtsberatung ersetzen. An die Durchsetzung von Ansprüchen – beispielsweise Richtigstellungen und Gegendarstellungen – wird nämlich eine Reihe von Anforderungen geknüpft. Ein in der Materie unerfahrener Rechtsanwalt kann hier schnell scheitern, aber den Bund dennoch teuer zu stehen kommen. Wer klagt? Zunächst muß man sich darüber klarwerden, ob es überhaupt möglich wäre, einen 128 Anspruch durchzusetzen. Viele Bünde oder Aktivitates können aufgrund ungenügender Satzungen nicht klagen oder möchten ihre Satzungen ungern bei Gericht einreichen. Dabei ist ein Anspruchsberechtigter dringend vonnöten: wo kein Kläger, da bekanntlich auch kein Richter. So gilt es zunächst jemanden zu finden, der bereit ist, unter Umständen trotz medialer Berichterstattung vor Gericht zu treten. Möchte man dies einem jungen Aktiven wirklich zumuten? Dies bedarf einer sorgfältigen Abwägung. Als Beispiel mag die Klage der Münchener Burschenschaft Danubia auf Gegendarstellung gegen die FAZ vor wenigen Jahren dienen: Sie mußte die Satzung der Aktivitas vorlegen, um nachzuweisen, daß der Sprecher überhaupt klagen darf. Erst dann wurde über die Sache selbst entschieden und die Verbandsbrüder konnten erfolgreich eine Gegendarstellung durchsetzen. Gegen wen ist zu klagen? Zahlreiche Internetseiten genügen nicht der hiesigen Impressumspflicht. So ist dann die Frage, wem gegenüber der Anspruch zu artikulieren ist, gelegentlich recht schwierig. Bei Tageszeitungen oder Internetseiten etablierter Medien ist dieses Problem eher selten, der Diffamierung auf linksextremen Internetseiten ist hingegen schwer zu begegnen. Ein bekanntes Beispiel ist die Internetseite linksunten.indymedia.org. Dort werden Bekennerbriefe, Haßartikel, Verleumdungen, Beleidigungen, Stigmatisierungen der übelsten Art und sogar Aufrufe zur Gewalt (beispielsweise vor Großveranstaltungen wie dem Wiener Akademikerball) anonym veröffentlicht. Der Seitenbetreiber sitzt im Ausland, die Seite verfügt über kein den rechtlichen Vorgaben entsprechendes Impressum. Seit langem ist dies auch den Behörden hinlänglich bekannt. In vergleichbaren Fällen auf „rechter“ Seite ist jedoch ein konsequentes rechtsstaatliches Vorgehen nachweisbar, beispielsweise bei den Seiten Alpen-Donau.info oder Altermedia.org. Hingegen scheinen Behörden kein gesteigertes Interesse an der Aufdeckung der Urheberschaft bei linksunten.indymedia zu verspüren. Bevor man also überhaupt versuchen kann, Ansprüche durchzusetzen, ist es nötig, einen presserechtlich Verantwortlichen in Erfahrung zu bringen. Das kann selbst bei Institutionen schwierig werden, bei denen man es kaum erwartet: So findet man auf der Internetseite des AStA der Freien Universität Berlin den Anti-BurschiReader mit dem bezeichnenden Titel Gute Nacht, Burschenpracht zum Dateiabruf. In diesem häufen sich zahlreiche Falschbehauptungen, Urheberrechtsverstöße und Verleumdungen über Verbindungen. Allerdings verfügt die Internetseite des AStA der Freien Universität über kein rechtsgültiges Impressum. Wem gegenüber sollte man hier seinen Anspruch also kundtun? Es stellt einen besonders gravierenden Skandal dar, daß eine Vertretung der Hochschülerschaft wie der AStA, dem man als Student durch Zwangsmitgliedschaft angehört und der über die entsprechenden Zwangsgebühren finanziert wird, meint, sich aus der Verantwortung eines ordentlichen Impressums stehlen zu können, ohne Konsequenzen für diesen Rechtsverstoß fürchten zu müssen. Hier bleibt die Möglichkeit, bei der zuständigen Landesmedienanstalt vorstellig zu werden und einen Impressumsverstoß zu melden. Diese muß handeln und dem Betreiber der Internetseite auferlegen, ein ordentliches Impressum zu veröffentlichen. Folgt er der Ermahnung nicht, kann diese Behörde auch Bußgelder verhängen. Es kommt hierbei allerdings auch auf die konkrete Behörde und ihre offensichtlich von Partikularinteressen geprägten Motivation an, man denke an den „Kampf gegen rechts“. So mußte der bekannte antiburschenschaftliche BlogBetreiber Christian Joachim Becker seinen ersten Blog schließen, nachdem die Medienanstalt Hamburg bei ihm vorstellig wurde. Sie reagierte aber aus Sicht der sich dort beschwerenden Verbandsbrüder recht zögerlich. Dies jedoch war zumindest ein kleiner Teilerfolg gegen den Hetzblog, hatte die Staatsanwaltschaft Hamburg eine Strafanzeige wegen Beleidigung damit abgelehnt, daß man Christian Becker nicht eindeutig als den Blog-Urheber identifizieren könne – obwohl er in nahezu sämtlichen Medien Deutschlands öffentlich als Blogmacher auftrat. In derartigen Haarspaltereien offenbart sich exemplarisch das seltsame Rechtsverständnis einiger Staatsanwaltschaften. Widerspruch, Richtigstellung und Gegendarstellung Gibt es also einen presserechtlich Verantwortlichen – dies ist entweder der Redakteur oder der im Impressum Genannte, meist Chefredakteur oder Herausgeber – besteht die Möglichkeit, einen Widerspruch, eine Richtigstellung oder eine Gegendarstellung durchzusetzen. Darüber hinaus besteht auch ein Unterlassungsan- Heft 4 - 2014 Aus dem burschenschaftlichen Leben spruch. Welche der genannten Vorgehensweisen man nun favorisiert, kommt auf den Einzelfall an. Wichtig ist hierbei stets, daß sich gegen eine Falschbehauptung, also eine unwahre Tatsachenbehauptung gewehrt wird. Gegen eine Meinung, beispielsweise eine Wertung, kann nicht vorgegangen werden. Wenn ZEIT Online beispielsweise schreibt: „Die Deutsche Burschenschaft ist auf einen ultrarechten Kern geschrumpft, der extreme Positionen bezieht“, so ist das zwar auf den ersten Blick eine Tatsachenbehauptung, aber der wertende Anteil im Rahmen einer Meinung überwiegt. Denn was ist „ultrarechts“? Aus Sicht der Linken schon die CSU! Wenn die SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi erklärt, in der Deutschen Burschenschaft finde sich eine „zunehmend völkische und großdeutsche Programmatik“, so ist das zwar absurd, aber eine zulässige Wertung im Sinne der Meinungsfreiheit. Selbst die Äußerung ein Burschenschafter „bereite in Prag die Gründung einer rechtsextremen Studentenpartei vor“ wurde vor Gericht als Meinung gewertet, wenngleich auch explizit als substanzlose. Selbst der Laie erkennt an den genannten Beispielen bereits, daß die Abwägung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinung durchaus diffizil ist. Da in der Regel extrinsisch motivierte Richter eine Entscheidung zu treffen haben, dürfen subjektive Beweggründe wie öffentlicher Druck, der „Kampf gegen rechts“ et cetera nicht vergessen werden. Welcher Richter möchte schon von den sich diesem Kampf verschriebenen Medien an den Pranger gestellt und als jener diffamiert werden, der vermeintlichen Rechten auch noch juristisch Recht gibt und damit ihrer „ungehörigen“ Meinung eine Existenzberechtigung – ja, eine Legimitation – verschafft? Welcher Richter möchte dafür seine Karriere und sein soziales Ansehen ruiniert wissen? Dies geschah bereits vielfach: So wurden Richter für „unliebsame“ Urteilssprüche aus dem Staatsdienst entlassen, man erinnere sich an den Fall Ortleb Mitte der 1990er Jahre. So gilt es den Rechtsstaat zwar grundsätzlich nicht in Frage zu stellen, man fragt sich aber bei nicht wenigen Urteilen – insbesondere bei politischen Prozessen – ob die Richter ihren Spielraum nicht überzogen haben und zumindest partiell die sogenannte „Schweinehund“-Theorie greift: Gemäß dieser steht das Urteil bereits vor der Verhandlung fest, denn der zu Verurteilende hat aus gesellschaftlicher Perspektive „schuldig“ zu sein. Im Rahmen des Prozesses ist dies dann lediglich folgend herzuleiten. Möchte man also eine Gegendarstellung veröffentlicht wissen, muß diese durch den Betroffenen schriftlich verlangt und persönlich unterzeichnet werden sowie in engem zeitlichen Zusammenhang mit der beanstandeten Berichterstattung erfolgen. Weiterhin darf sie ausschließlich die kritisierte Heft 4 - 2014 Burschenschaftliche Blätter Tatsachenbehauptung angreifen und nur das richtigstellen, was falsch ist. Es empfiehlt sich hier dringend, einen versierten Rechtsanwalt zu konsultieren. Wie man es nicht macht, zeigte vor einigen Jahren ein ehemaliger Verbandsbruder, der den Burschenschaftlichen Blättern eine Gegendarstellung zukommen ließ, die über drei Seiten lang war, drei Monate nach Erscheinen des vorherigen Heftes zugestellt wurde und noch nicht einmal persönlich unterschrieben war – und das von einem Doktor der Jurisprudenz. Es könnte sich daher empfehlen, die betreffenden Redaktionen bereits vor Übermittlung der Gegendarstellung zu kontaktieren und beispielsweise fernmündlich um eine Korrektur der entsprechenden Behauptungen zu bitten. Dies dürfte bei nicht feindlich gesonnenen Medien in vielen Fällen ausreichen. Aber bei Publikationen, die seit Jahren gegen Burschenschaften hetzen, dürfte dieses Vorgehen nicht erfolgversprechend sein. So machte der Verband eine im Rheinland befindliche Tageszeitung darauf aufmerksam, daß sie mehrere falsche Tatsachenbehauptungen veröffentlicht habe. Sinngemäß antwortete der Justitiar der Zeitung, sollte der Verband eine Gegendarstellung gerichtlich durchsetzen, werde man in Folge noch größer und noch kritischer über den Verband berichten. Die damalige Vorsitzende beschloß, auf ein weiteres Vorgehen zu verzichten. So ist die Durchsetzung der Wahrheit ein schwieriges Unterfangen und wird oftmals Opfer von Prozeßstrategien der Medien. Denn eine Zeitung veröffentlicht grundsätzlich ungern Korrekturen – noch weniger gerne freilich gerichtlich durchgesetzte Gegendarstellungen. Weiters darf nicht vergessen werden, daß auf den gegnerischen Seiten in der Regel erfahrene Medienanwälte sitzen. So ist das Prozeßkostenrisiko nicht unerheblich und kann je nach Streitwert und Instanz selbst bei einzelnen Falschbehauptungen im niedrigen fünfstelligen Bereich enden. Der Fall Weidner Mein Bundesbruder Norbert Weidner (ABB Raczeks Bonn) geht beispielsweise als besonders häufig von Falschbehauptungen Betroffener bereits seit zwei Jahren offensiv gegen verschiedenste Medien vor. Jüngst erzielte er Richtigstellungen und Korrekturen bei ZEIT online, der TAZ, den Nürnberger Nachrichten, der Legal Tribune, dem Netz gegen Nazis und dem WDR. Auch die Burschenschaft der Rheinfranken konnte jüngst die weitere Veröffentlichung von Aktivenfotos in einer hessischen Tageszeitung erfolgreich juristisch untersagen lassen. Es lohnt sich also, den Kampf aufzunehmen. Die obigen Ausführungen stellen indes dar, wie schwer es in einem freien und demo- Richtigstellung in der „taz“. kratischen Land ist, Recht zu bekommen. Das soll allerdings im Umkehrschluß nicht heißen, man solle besser nicht gegen falsch berichtende Medien vorgehen. Im Gegenteil: Jeder Bund – und natürlich auch der Verband selbst – sollten regelmäßig gegen Falschbehauptungen zu Felde ziehen. Allerdings bedarf es dazu – abhängig vom aktuellen Fall – einer jeweils genauen Abwägung, ob ein mitunter kostenintensiver Prozeß Erfolgsaussichten hat. Daneben sollte man sich ohnehin vorab eine Pressestrategie für den eigenen Bund überlegen. So sind Leserbriefe, Pressemeldungen et cetera günstige Möglichkeiten, um sich ins rechte Bild zu rücken – wenngleich freilich medial nicht vergleichbar mit einer Gegendarstellung. Wenn also beispielsweise ein auf der Facebook-Fanseite des Verbandes veröffentlichter Zehnzeiler über die „Wanderung“ auf die Wartburg mit anschließender Intonierung des Liedes „Die Gedanken sind frei“ im Rahmen des vergangenen Burschentages Zugriffsraten von über 20.000 Lesern erreicht, sieht man daran, daß es auch noch andere – günstige und für jedermann erlernbare – Wege gibt, öffentliche Positionierungen abzugeben. Raphael Thiermann (Germania Hamburg 2011, Raczeks Breslau zu Bonn 2013) Hinweis: Hierbei handelt es sich um eine Betrachtung des Presserechts aus bundesrepublikanischer Perspektive. Eine österreichische Sicht wäre bei Gelegenheit zu ergänzen! 129 Aus dem burschenschaftlichen Leben Burschenschaftliche Blätter Einheit und Freiheit – Vorgeschichte und Entwicklung der Grundrechte in Deutschland seit Beginn des 19. Jahrhunderts Von Helma Brunck Ideengeschichtliche Wurzeln der Grundund Freiheitsrechte gehen zurück auf Ansätze dazu bei den Philosophen der griechischen und römischen Antike, so bei der Stoa und bei den Sophisten. Auch Platon (427-347 v. Chr.), Aristoteles (384–322 v. Chr.) und der bedeutende römische Staatsmann, Redner und Publizist Cicero (106–43 v. Chr.) haben sich mit den Grundrechten auseinandergesetzt. Bekanntestes Beispiel aus dem Mittelalter ist die englische „Magna Charta (libertatum)“, die „Große Urkunde der Freiheiten“ vom 15. Juni 1215, eine verfassungsähnliche Urkunde zur Wiederbelebung und Erweiterung älteren Rechts und zur Sicherung des Feudalsystems gegen Übergriffe des Königtums, wobei das Recht auf Leben und Eigentum im Mittelpunkt stand. Sogenannte staatlich verbriefte Rechte für jeden Menschen bzw. für jeden Staatsbürger wurden jedoch erst im Zeitalter der Aufklärung thematisiert und gemeinsam mit dem bürgerlichen Verfassungsstaat der Moderne entwickelt. Seit dem 17. Jahrhundert wurde das neuzeitliche Naturrecht zu einem entscheidenden Kernpunkt innerhalb der Rechtsentwicklung. Im Zeitalter der Aufklärung fanden Gelehrte, schwerpunktmäßig aus West- und Mitteleuropa, ein breites Forum für ihre Interpretation zu den Grundfreiheiten des Menschen sowie zu den Grundrechten. So erhob, nachdem bereits Erasmus von Rotterdam (1466–1536) die Willensfreiheit des Menschen als Urgrund humaner Kultur definiert hatte, der niederländische Jurist, Diplomat und Publizist Hugo Grotius (1583–1645) neben dem Naturrecht das Völkerrecht (ius gentium) zum Hauptprinzip der Menschheit. In seinem Hauptwerk „De jure belli ac pacis“ von 1625 legte er die rechtlichen Grundlagen der internationalen Beziehungen und sogar legitime Kriegsgründe fest, forderte aber auch zur Toleranz aller positiven Religionen auf. Neben dem Niederländer Hugo Grotius waren vor allem zwei Engländer Protagonisten der Freiheitsrechte: Thomas Hobbes (1588–1679), zu dessen bekanntesten Werken der „Leviathan“ (1651) gehört, sowie John Locke (1632–1704) mit seinem staatsphilosophischen Hauptwerk „Two treatises of government“ (1690). In Lockes Lebenszeit fielen die 1689 verkündeten 130 Dinghofer-Symposium 2013 aus der Veranstaltungsreihe „Res Publica“: „Die Verfassung im Wandel der Zeit“ und zur Verleihung der Franz-DinghoferMedaille am 18. Oktober 2013 in Wien. Podium v. links: Professor Dr. Christian Neschwara, Hans Achatz, Dr. Helma Brunck Parlamentsdirektion/Bildagentur Zolles KG/Mike Ranz „Bill of Rights“. Hauptsächliche Punkte waren die Eigentums- und Freiheitsgarantie durch den Staat. Unter den Franzosen zeichneten sich während der Zeit der Aufklärung insbesondere Montesquieu (1689–1755) und Voltaire (1694–1778) in der Diskussion um die Grundrechte aus. Montesquieu sprach vor allem die Grundbedürfnisse des Menschen an, darunter das Bedürfnis nach freier Entfaltung der Persönlichkeit und nach der Freiheit der Person, die auch Voltaire in seinen Werken betonte. Der Schweizer Jean Jaques Rousseau (1712–1778) wurde mit seiner Forderung nach Volkssouveränität zum Protagonisten moderner Demokratien. Berühmtes Zitat aus seinem Werk „Gesellschaftsvertrag“, Buch I, Kap. 1.1: „Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten“. Von deutscher Seite aus wurde besonders durch Immanuel Kant (1724–1804) der moderne Staatsbegriff definiert. In seinen staatstheoretischen Werken gab Kant zu verstehen, daß vor allem die Vernunft die oberste Hüterin der menschlichen Freiheit sei. Gegen Ende des Ancien régime, ausgelöst durch den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, besiegelt durch die Unabhängigkeitserklärung der befreiten nordamerikanischen Staaten vom 4. Juli 1776 und die Virginia Bill of Rights, verabschie- det am 12. Juni 1776 als erste katalogisierte Aufstellung von Menschenrechten in die verbindliche Form des positiven Rechts gegossen, folgte 1787 die Unionsverfassung, hervorgegangen aus freiheitlichen Überlieferungen puritanischer Sekten und aus der Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrhunderts, die durch nachträgliche Zusatzartikel im Jahr 1791 um eine Menschenrechtserklärung erweitert wurde. Durch die Französische Revolution bekamen die Menschenrechte auch in Europa eine größere Bedeutung. Die Diskussion um die Menschenrechte zog sich durch alle gesellschaftlichen Schichten hindurch. In der das egalitäre Prinzip der Demokratie unterstreichenden französischen Verfassung von 1791 wurden in Artikel 1 diese Rechte definiert als „Freiheit“, „Eigentum“, „Sicherheit“ und „Widerstand gegen unterdrückende Maßnahmen“. In Deutschland entwickelten sich während der Phase des Konstitutionalismus‘ der Neuzeit die Grundrechte erst langsam. Verantwortlich dafür war das frühe deutsche Naturrecht der Neuzeit. Samuel von Pufendorf (1632–1694) hatte erstmals die Idee einer natürlichen Freiheit des Menschen im deutschen Naturrecht behandelt. Ausgangspunkt Pufendorfs war der Mensch im Heft 4 - 2014 Aus dem burschenschaftlichen Leben sogenannten Naturzustand, frei von gesellschaftlichen Bindungen, dem Pufendorf eine unveräußerliche Würde zuerkannte, die sich allein aus der Natur des Menschen ergeben sollte, da dieser die Gabe der Vernunft und des freien Willens besaß und sich – anders als die anderen Lebewesen – ein Urteil über „gut“ und „böse“ bilden konnte. Jeder sollte aber den anderen in gleicher Weise ansehen und behandeln. Im sogenannten „status naturalis“ bestand zwar eine natürliche Freiheit, dennoch war der Mensch in diesem Zustand hilflos, daher war der Staat als ordnende Institution erforderlich. Darauf aufbauend entwickelte Christian Thomasius (1655–1728) ein Staatsverständnis zur Stärkung der Souveränität des Landesfürsten. Dieser sollte die Glückseligkeit des einzelnen regeln, die individuellen und die gesellschaftlichen Interessen sollten dabei berücksichtigt, aber ausgeglichen werden. Das Naturrecht wurde bei ihm zur Frage der inneren Vernunft, das positive Recht war bindend und das natürliche Recht galt als Gewissensverpflichtung. Somit schwächte Thomasius auch wieder die Bindungskraft des Naturrechts. Christian Wolff (1679–1754), frühester Verfechter des modernen freiheitlichen Rechtsstaats, dennoch Kritiker einer modernen Demokratie unter Mitwirkung des aus seiner Sicht noch zu unreifen Volkes, ermöglichte dennoch erstmals eine ausführliche und nahtlos ineinandergreifende systematische Darstellung von Freiheitsrechten, wodurch er auch auf die nordamerikanischen Menschenrechtserklärungen einwirkte. Das deutsche Naturrecht war zwar nicht revolutionär, aber staatswandelnd. Anschließend waren Verbindungen zu Kant erklärbar. Nach der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im Jahr 1806, in dem vor allem zwei Großmächte, Die Dinghofer-Medaille. Heft 4 - 2014 Burschenschaftliche Blätter nämlich Habsburg und Preußen, miteinander rivalisiert hatten, kam es zur weit verbreiteten Fürstenwillkür in den einzelnen Kleinstaaten, vergleichbar mit einem Flickenteppich, den seit 1815 bis 1866 in Frankfurt am Main die Bundesversammlung des Deutschen Bundes zusammenhielt. Der Deutsche Bund war kein Parlament im modernen Sinn, sondern ein Gesandtengremium von 39 souveränen Bundesstaaten, zu denen auch die vier Freien Städte gehörten. In einigen dieser Einzelstaaten fanden damals schon die ersten Diskussionen um eine Modernisierung der Verfassung unter besonderer Berücksichtigung von Grund- Der damalige 3. Nationalratspräsident Martin Graf bei seiner Begrüßungsanrechten statt, so im sprache. damaligen HerzogParlamentsdirektion/Bildagentur Zolles KG/ tum Nassau (heute Mike Ranz zum Bundesland Hessen gehörend). Freiherr vom Stein sellschaften“, zum Hoffmann’schen Bund (1757–1831) als einer der ersten Wortführer sowie zu den ersten Burschenschaften bezu den „Gießener hatte damals großen Anteil am Zustande- ziehungsweise kommen dieser Verfassung, und er wurde Schwarzen“ bekannten. Deren Hauptverunterstützt von jungen Leuten, die sich ent- treter, die Brüder August Adolf und Karl weder zu den damaligen „Deutschen Ge- Follen, nahmen weitestgehend Einfluß auf die Verfassungsentwicklung, vor allem in Nassau und in Hessen-Darmstadt. Sie fühlten sich wie die Anhänger der am 12. Juni 1815 in Jena gegründeten Deutschen Burschenschaft ganz dem freiheitlichen Geist verpflichtet. Die Burschenschafter waren beeinflußt durch die Spätfolgen der Französischen Revolution und die daraus resultierende Rechts- und Verfassungsentwicklung, forderten die nationale Einheit Deutschlands, die Beseitigung von Partikularismus und Selbstherrlichkeit der Souveräne, die Partizipation des Volkes und die sogenannte „Preßfreiheit“. Das waren alles Optionen, die später, in den Jahren 1848/49, in den Mittelpunkt rückten. Parlamentsdirektion/Bildagentur Zolles KG/Mike Ranz 1817 jährte sich zum 300. Mal das Reformationsfest, was die Jenaischen Studenten dazu veranlaßte, die Wartburg zum Schauplatz des ersten deutschen Nationalfestes zu wählen. Der eigentliche Grund war jedoch der vierte Jahrestag der Leipziger Völkerschlacht, daher die Festlegung auf 131 Aus dem burschenschaftlichen Leben Burschenschaftliche Blätter den 18./19. Oktober 1817. Das Wartburgfest sollte ursprünglich keine politische Veranstaltung sein, sondern dem gegenseitigen freundschaftlichen Austausch und dem geselligen Beisammensein „vaterländischer“ Hochschulen dienen. Ein Volksfest, vergleichbar mit dem Hambacher Fest mit etwa 20.000-30.000 Besuchern, war es auch nicht, denn es nahmen insgesamt etwa nur 500 Studenten (von damals insgesamt 8.500 an deutschen Hochschulen immatrikulierten) teil, die von allen Hochschulen Deutschlands angereist waren. Das Einladungsschreiben hatte gewisse Einschränkungen verlauten lassen, denn es richtete sich an die protestantischen deutschen Hochschulen. Die katholischen Universitäten sowie Wien und Graz waren nicht eingeladen. Zu den Hauptakteuren und wichtigsten Festrednern gehörten Heinrich Hermann Riemann (1793–1872), vormals Teilnehmer an den Befreiungskriegen und Ritter des Eisernen Kreuzes, der Philosophie- den zum Thema „Vaterland“ zum Ausdruck, mehr aber noch während einer spektakulären Bücherverbrennung von etwa 2530 Werken (Makulaturbänden) mit angeblich „undeutschem“ Inhalt, darunter jener, in denen das Ancien régime sowie der Wiener Kongreß verherrlicht wurden. Den Flammen zum Opfer fiel auch der Code Napoléon als Symbol französischer Vorherrschaft. Der Wunsch nach Einheit und Freiheit Deutschlands stand im Mittelpunkt. Bedeutsam waren aber auch die Resultate dieses Festes: die Gründung der „Allgemeinen Deutschen Burschenschaft“ am 19. Oktober 1818 in Jena sowie die „Grundsätze und Beschlüsse des achtzehnten Octobers, gemeinsam beraten, reiflich erwogen, einmütig bekannt und den studierenden Brüdern auf anderen Hochschulen zur Annahme, dem gesamten Vaterlande aber zur Würdigung vorgelegt von den Studierenden zu Jena“. Als Heinrich Hermann Riemann, einer der Festredner vom Oktober 1817, gemeinsam mit Karl Müller auf Anregung des Jenaer Historikers Luden diese „Grundsätze und Beschlüsse“ 1817 als politische Programmatik dieses Wartburgfestes verfaßte, die sowohl vom Anführer der radikalen „ G i e ß e n e r Schwarzen“, Karl Follen, als auch von Heinrich von Gagern, dem späteren Paulskirchenpräsidenten, mitdiskutiert und weiterentwickelt wurden, begann ein Meilenstein innerhalb der Geschichte der Grundrechte. Die „Grundsätze und Beschlüsse“ von 1817 wurden offiziBurkhard Mötz für den Preisträger ,Deutsche Burschenschaft’ am Rednerpult. Parlamentsdirektion/Bildagentur Zolles KG/ ell nie verabschieMike Ranz det, galten aber damals schon mehr als und Theologiestudent Ludwig Rödiger so- ein bloß studentisches Programm. Es war wie Wilhelm Carové (1789– 1852), der spä- das erste geschlossene Programm des ter auch im Vorparlament von 1848 saß und deutschen Liberalismus und ein wichtiger somit weitreichenden Einfluß hatte, da er Anstoß zum deutschen Verfassungsstaat. seine Erfahrungen vom Wartburgfest in die Wesentliche Bestandteile sind nämlich nePaulskirchenversammlung mitnahm. ben den Forderungen nach deutscher EinWährend des Festes wurde allmählich heit die Thematisierung von Menschendeutlich, daß hier doch politisch etwas be- und Bürgerrechten, von sozialen und gewegt werden sollte. Das kam schon in Re- werblichen Anliegen, wie zum Beispiel die 132 Bauernbefreiung und die Forderungen nach wirtschaftlicher Freizügigkeit und Gewerbefreiheit. „Wir wollen uns der untersten Klassen der Gesellschaft umso lebendiger annehmen, je tiefer sie im Elend sind“. Dieser Aufruf aus den „Grundsätzen und Beschlüssen“ verdeutlicht die soziale Seite des Programms. Es waren Impulse, die auch die Frankfurter Reichsverfassung von 1848/49 später entscheidend prägten, worauf noch einzugehen ist. Schon hier ist ein Votum für bürgerliche Freiheit, Vorurteilslosigkeit und Anerkennung der wahren Menschenwürde erkennbar. Das waren die zentralen Leitgedanken dieses Festes. Deutlich geht aus den „Grundsätzen und Beschlüssen“ aber auch die klare Absage an Wien und Metternichs Politik hervor. Statt dessen wurden Forderungen nach politischer und wirtschaftlicher Einheit Deutschlands laut. So heißt es im „Grundsatz“ Nr. 1 (K. I), der wie eine Präambel zu verstehen ist: „Ein Deutschland ist, und ein Deutschland soll sein und bleiben. Je mehr die Deutschen durch verschiedene Staaten getrennt sind, desto heiliger ist die Pflicht für jeden frommen und edlen deutschen Mann und Jüngling, dahin zu streben, daß die Einheit nicht verloren gehe und das Vaterland nicht verschwinde.“ Die nicht verabschiedeten, aber als Druck überlieferten „Grundsätze und Beschlüsse“ enthielten in ihren Formulierungen bereits Bestandteile, die in weitere deutsche Verfassungen Eingang fanden und dort fortentwickelt wurden. Sie bildeten eine Ausgangsbasis für die Frankfurter Reichsverfassung von 1849, die Weimarer Verfassung von 1919 und das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949. So wird in den „Grundsätzen und Beschlüssen“ schon die Glaubensund Religionsfreiheit angesprochen („Grundsatz“ Nr. 6), die Gleichheit vor dem Gesetz und die Freiheit in den Grundsätzen Nr. 7 und in Nr. 19, die Freizügigkeit in Nr. 11, das Eigentumsrecht in Nr. 20, das Freiheitsrecht im Sinne des heutigen Artikels 2 GG in den „Grundsätzen“ Nr. 28 und 29, die Meinungs- und Pressefreiheit im „Grundsatz“ Nr. 31. Aber auch allgemeine rechtliche und politische Forderungen lagen dem Wartburgprogramm zugrunde. Neben dem bereits zitierten Grundsatz Nr. 1, woraus deutlich die Vorstellung von der Zukunft Deutschlands hervorgeht, werden im „Grundsatz“ 32 (K 14) die Öffentlichkeit der Rechtspflege und der Schwurgerichtsbarkeit sowie die Schaffung eines einheitlichen Gesetzbuchs und die Abschaffung der Patrimonialgerichtsbarkeit gefordert. Weiterhin behandeln diese „Grundsätze und Beschlüsse“ des Wartburgfestes den Ausbau der deutschen Wehrkraft unter Förderung des Landwehrgedankens (Nr. 10), die Absage an die Ableistung des Kriegsdienstes bei einem bewaffneten Konflikt zwischen deutschen Staaten (Nr. 9) sowie die Ablehnung jedes Amtes in der Geheimpolizei, in gesetzeswidrigen, außerordentlichen Heft 4 - 2014 Aus dem burschenschaftlichen Leben Kommissionen oder bei der Bücherzensur (Nr. 34). Als Staatsform wurde eine konstitutionelle Monarchie mit einer landständischen Verfassung und Ministerverantwortlichkeit bei Abschaffung aller Privilegien vorgeschlagen. Die Absage an den damaligen Partikularismus in Deutschland wurde um so deutlicher, als im Grundsatz 5 die Lehre von der Spaltung Deutschlands in Nord- und Süddeutschland als „irrig“, „falsch“ und „verrucht“ bezeichnet wurde. Diese Impulse kamen in gebündelter Form aus der frühen Burschenschaftsbewegung, die durch ihre oppositionelle Haltung gegenüber der napoleonischen Fremdherrschaft und durch die siegreich verlaufenden Befreiungskriege ein Selbstwertgefühl entwickelt hatte, das ihr die Fähigkeit verlieh, allmählich politisches Bewußtsein und das Vaterland als Wertbegriff auch in die bürgerliche Gesellschaft einfließen zu lassen. Dabei wurden die jungen Akademiker unterstützt von namhaften Professoren aus Jena und geistigen Wegbereitern, wie u. a. Ernst Moritz Arndt (1769–1860), Johann Gottlieb Fichte (1762–1814), Friedrich Ludwig Jahn (1778–1852), Heinrich Luden (1778–1847), Lorenz Oken (1779–1851), Jakob Friedrich Fries (1773–1843), Dietrich Georg Kieser (1779–1862) sowie von Karl Follen, dem Dozenten aus Gießen, der auch der Anführer der besonders radikalen Gießener Schwarzen war. Einige der Genannten waren später in der Nationalver- Burschenschaftliche Blätter sammlung in der Frankfurter Paulskirche vertreten, brachten dort ihre Ideen ein und entwickelten sie weiter. Auch wenn das Wartburgfest einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hatte, besaßen die „Grundsätze und Beschlüsse“ trotz überzeugender Formulierung zunächst keine Breitenwirkung und wurden durch die Karlsbader Beschlüsse von 1819 im Keim erstickt. Die große Resonanz beim Hambacher Fest 1832 mit insgesamt zwischen 20.000 und 30.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern (ein Vielfaches der Wartburgfestbesucher also), begleitet von der Erhebung der Farben Schwarz-Rot-Gold zu den deutschen Nationalfarben, waren jedoch Lichtblicke für die Zukunft. Einige der Wartburgfestteilnehmer waren auch zum Hambacher Schloß gekommen, vor allem aber viele Vertreter der Liberalen der späteren Paulskirchenversammlung, unter ihnen Johann Adam von Itzstein, Karl von Rotteck und Karl Theodor Welcker, die schon Ende 1831 ein neues badisches Pressegesetz konzipiert hatten, das im Widerspruch zu den Karlsbader Beschlüssen stand. Welcker stellte mit einer 150-seitigen Petition an die Bundesversammlung in Frankfurt die Pressefreiheit als Naturrecht dar und meinte dazu: „Das beste Preßgesetz ist gar keines“. Am Frankfurter Wachensturm vom 3. April 1833, einer sogenannten „Revolution vor der Revolution“, waren Burschenschafter aus Frankfurt und Heidelberg sowie der näheren Umgebung beteiligt, aber auch spätere Paulskirchenabgeordnete wie Itzstein und der Marburger Professor und „Vater“ der Kurhessischen Verfassung Sylvester Jordan sowie vom Vorstand des Preß- und Vaterlandsvereins der Frankfurter Rechtsanwalt Gustav Peter Körner. Somit bestehen auch Querverbindungen von der Burschenschaft zur Paulskirchenversammlung. Der Wachensturm war unter anderem – politisch gesehen – ein Plädoyer für freie Presse und freie Rede und letztendlich gegen den in Frankfurt tagenden Bundestag (der Fürsten) gerichtet. In der Frankfurter Nationalversammlung saßen – von ihrem in der Heidelberger und Jenaischen Burschenschaft wurzelnden Präsidenten Heinrich von Gagern abgesehen – immerhin 169 Burschenschafter neben anderen Korporierten, darunter 106–115 Alte Corpsstudenten, die zum Teil auch als Burschenschafter geführt wurden, unter den insgesamt etwa 585 Abgeordneten. Zu den Verdiensten dieser Nationalversammlung gehört die Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849 – nach Lothar Gall „die modernste Verfassung Europas, mit allgemeinem Wahlrecht, Judenemanzipation und Rechtsstaatlichkeit“ unter Betonung der Grundrechte. Sie wurde mit knapper Mehrheit angenommen und bestand aus 197 Paragraphen. Zu den Von links: Preisträger Peter Wrabetz, 3. Nationalratspräsident Martin Graf und Preisträger die „Deutsche Burschenschaft“. Parlamentsdirektion/Bildagentur Zolles KG/Mike Ranz Heft 4 - 2014 133 Aus dem burschenschaftlichen Leben Burschenschaftliche Blätter dort enthaltenen Grundrechten wurde schon 1848 viel Vorarbeit geleistet. Das Vorparlament, dem auch Carové angehörte, hatte vor seinem Auseinandergehen am 4. April 1848 einen Fünfzigerausschuß gebildet, der in Abstimmung mit der Bundesversammlung die nun legalen Wahlen zur „Constituierenden Nationalversammlung“ einleiten sollte. Noch am 4. April wurde ein Programm veröffentlicht, das auch einen Katalog „Grundrechte und Forderungen des deutschen Volkes“ enthielt, wobei sogar erstmals der Arbeitslosenschutz angesprochen wurde. Seit Beginn der Tagung der Nationalversammlung in der Paulskirche am 18.5.1848 lag ein Grundrechtskatalog vor. Dieser Grundrechtsteil wurde nach sechs Monaten, am 20. Dezember 1848, als Teil der künftigen Reichsverfassung verabschiedet. Eine Verkündigung im Reichsgesetzblatt Nr. 8 vom 28. Dezember 1848 sollte dafür eine Verbindlichkeit herstellen, was jedoch nicht in allen deutschen Ländern geschah (nicht in Preußen, Hannover und Bayern) und auch nicht in Österreich. Am 28. März 1849 wurden die Grundrechte von § 130 bis § 183 (dazu sechs weitere Paragraphen) als Abschnitt VI. verbindlicher Bestandteil der Reichsverfassung. Die Grundrechte hatten in Frankfurt vorübergehend Gesetzeskraft und wurden am 23. August 1851 durch Bundesbeschluß aufgehoben. Die Aufbewahrung des Originals der Frankfurter Reichsverfassung ist übrigens dem damaligen Frankfurter Abgeordneten und Rechtsanwalt Dr. Friedrich Jucho, der zu den Führern der liberalen Bewegung in Frankfurt gehörte, zu verdanken. Jucho, seinerzeit auch aktiv in den Burschenschaften in Halle (1823), Jena (1824) und Gießen (1826), war Schriftführer und nahm nach der Auflösung des Paulskirchenparlaments die Urschrift der Reichsverfassung in Verwahrung. 1854 wurde ihre Auslieferung verlangt, die Jucho aber verweigerte, weshalb er sich einem politischen Prozeß unterwerfen mußte. Das Original der Frankfurter Reichsverfassung rettete er nach England und schickte dieses im Jahr 1870 an Eduard von Simson, den Präsidenten des Reichstages des Norddeutschen Bundes, der es später dem Archiv des Deutschen Reichstages übergab. auf dem ordentlichen Rechtsweg geltend gemacht und eingeklagt werden. In der Reichsverfassung von 1871 wurden die Grundrechte, bis auf das allgemeine und freie Wahlrecht, ausgeklammert, wenngleich ansonsten nach der Reichsgründung (mit erbkaiserlicher Spitze) zumindest eine Teilrealisierung der Vorstellungen von 1848/49 erfolgte. Bismarck maß den Grundrechten des Volkes keine Bedeutung bei, was unter anderem auf seine Vorbehalte gegenüber der Revolution von 1848/49 zurückzuführen ist. Eine weitgehend liberale Gesetzgebungspolitik sollte im Kaiserreich den rechtsstaatlichen Schutz der Bürger absichern, Grundrechte konnten nur 1. Zur Freiheit der Person 134 Erst in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 tauchen die Grundrechte im Zweiten Hauptteil wieder auf. Die „Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen“ (Art. 109-181) sollten auch hier zunächst nicht aufgenommen werden, doch der Rat der Volksbeauftragten setzte diese durch. Die Weimarer Reichsverfassung stand auf unsicherem Boden. Grund dafür ist, daß der im späteren GG von 1949 eingeführte Passus des Artikel 79 „Änderungen des Grundgesetzes“, wo in Abs. II die Änderung der Zustimmung 2/3 der Mitglieder des Bundestages und 2/3 der Stimmen des Bundesrates bedarf und wo nach Abs. III keine föderativen Interessen verletzt werden dürfen, damals fehlte. Somit war es während der NS-Zeit möglich geworden, die Weimarer Verfassung 1933 in sämtlichen verfassungsmäßigen Bestimmungen für ungültig zu erklären und die rechtsstaatlichen Grundlagen außer Kraft zu setzen. Die Grundrechte wichen somit der Hitler-Diktatur und der Menschenverachtung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Grundrechte zum wichtigsten Bestandteil unseres Grundgesetzes und daher ganz an den Anfang gestellt. In der Präambel des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 wird auf die Verantwortung vor Gott und den Menschen verwiesen sowie auf die Wahrung der nationalen und staatlichen Einheit. Erstmals wurde die Würde des Menschen zum wichtigen Bestandteil der Verfassung erklärt. So lautet der Artikel 1 Abs. I des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Das Bekenntnis des deutschen Volkes zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt geht aus Abs. II hervor und trägt den grausamen Erfahrungen mit der NS-Diktatur Rechnung. An folgenden Beispielen wird die Kontinuität seit 1848, teilweise aber auch seit den „Grundsätzen und Beschlüssen“ von 1817 deutlich: fung auf frischer That, nur geschehen in Kraft eines richterlichen, mit Gründen versehenen Befehls. Dieser Befehl muß im Augenblicke der Verhaftung oder innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden dem Verhafteten zugestellt werden…“ In der Weimarer Reichsverfassung (WRV) von 1919 steht dazu im Art. 114: „Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Eine Beeinträchtigung oder Entziehung der persönlichen Freiheit durch die öffentliche Gewalt ist nur auf Grund von Gesetzen zulässig. Personen, denen die Freiheit entzogen wird, sind spätestens am darauffolgenden Tage in Kenntnis zu setzen, von welcher Behörde und aus welchen Gründen die Entziehung der Freiheit angeordnet worden ist; unverzüglich soll ihnen Gelegenheit gegeben werden, Einwendungen gegen ihre Freiheitsentziehung vorzubringen.“ Im Grundgesetz (GG) der BRD heißt es in Art. 2 II: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.“ 2. Zum Gleichheitssatz In den „Grundsätzen“ von 1817 lautet Nr. 7: „Alle Deutschen sind Brüder und sollen Freunde sein.“ Und im Grundsatz Nr. 19 (K. 10) steht: „Freiheit und Gleichheit ist das Höchste, wonach wir zu streben haben, und wonach zu streben kein frommer und ehrlicher deutscher Mann jemals aufhören kann. Aber es gibt keine Freiheit als in dem Gesetz und durch das Gesetz, und keine Gleichheit als mit dem Gesetz und vor dem Gesetz.“ FRV, § 137 III lautet: „Die Deutschen sind vor dem Gesetz gleich.“ WRV, Art. 109 I: „Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich.“ GG, Art. 3: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ 3. Zur Glaubens- und Gewissensfreiheit In den „Grundsätzen und Beschlüssen des achtzehnten Octobers“ heißt es im Grundsatz Nr. 28 (K 13): „Das erste und heiligste Menschenrecht, unverlierbar und unveräußerlich, ist die persönliche Freiheit. Die Leibeigenschaft ist das Ungerechteste und Verabscheuungswürdigste, ein Greuel vor Gott und jedem guten Menschen…“ „Grundsätze“ Nr. 6: „Die Lehre von der Spaltung Deutschlands in das katholische und das protestantische Deutschland ist irrig, falsch und unglückselig… Wir Deutsche haben alle einen Gott, an den wir glauben, einen Erlöser, den wir verehren, ein Vaterland, dem wir angehören. – Wenn wir im Sinne dieser Einheit fromm leben und ehrlich handeln, so hat keiner von uns den anderen zur Rechenschaft zu ziehen, und alle können alles dem Allerbarmer vertrauensvoll anheimgeben.“ In der Frankfurter Reichsverfassung von 1849 heißt es in § 138 I/II: „Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Die Verhaftung einer Person soll, außer im Falle der Ergrei- FRV, § 144: „Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren.“ Heft 4 - 2014 Aus dem burschenschaftlichen Leben WRV, Art. 135: „Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsausübung wird durch die Verfassung gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz.“ In Art. 136, Abs. III heißt es dann weiter: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren.“ GG, Art. 4: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. 4. Zur Meinungs- und Pressefreiheit In den „Grundsätzen“ Nr. 31 sieht man gerade am Anfang eine starke Ähnlichkeit zu späteren Formulierungen, wenn da steht: „Das Recht, in freier Rede und Schrift seine Meinung über öffentliche Angelegenheiten zu äußern, ist ein unveräußerliches Recht jedes Staatsbürgers, das ihm unter allen Umständen zustehen muß. Wo Rede und Schrift nicht frei sind, da ist überhaupt keine Freiheit, da herrscht nicht das Gesetz, sondern die Willkür. Wer das Recht des freien Gedankenverkehrs durch Rede und Schrift den Bürgern zu entziehen, zu verkümmern und wegzukünsteln sucht, der begeht Frevel an seinem Volk.“ FRV, § 143: „Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern. Die Pressefreiheit darf unter keinen Umständen und in keiner Weise durch vorbeugende Maßregeln, namentlich Zensur, Konzessionen, Sicherheitsbestellungen, Staatsauflagen, Beschränkungen der Druckereien oder des Buchhandels, Postverbote oder andere Hemmungen des freien Verkehrs beschränkt, suspendiert oder aufgehoben werden.“ WRV, Art. 118: „Jeder Deutsche hat das Recht, innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise frei zu äußern. An diesem Rechte darf ihn kein Arbeits- oder Anstellungsverhältnis hindern, und niemand darf ihn benachteiligen, wenn er von diesem Rechte Gebrauch macht. Eine Zensur findet nicht statt.“ Interessant ist hierbei, daß – im Gegensatz zur FRV – hier in Abs. II ein einschränkender Passus eingefügt ist: „Auch sind zur Bekämpfung der Schund- und Schmutzliteratur sowie zum Schutz der Jugend bei öffentlichen Schaustellungen und Darbietungen gesetzliche Maßnahmen zulässig.“ Diese einschränkenden Bestimmungen sind auch wieder im GG der Bundesrepublik zu finden: GG, Art. 5: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus Heft 4 - 2014 Burschenschaftliche Blätter allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. 5. Zum Eigentum „Grundsätze“ Nr. 20: „Alle Gesetze haben die Freiheit der Person und die Sicherheit des Eigentums zum Gegenstande…“ FRV, § 164: „Das Eigenthum ist unverletzlich…“ WRV, Art. 153: „Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet.“ GG, Art. 14: „Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet.“ Dieser Vergleich macht deutlich, daß unser seit 64 Jahren bewährtes Grundgesetz in wesentlichen Bestandteilen, vor allem wie hier in den Grundrechten, auf Elemente – fast wortgetreu – sowohl der Paulskirchenals auch der Weimarer Reichsverfassung, in einer Reihe von Ansätzen aber auch auf die „Grundsätze und Beschlüsse“ des burschenschaftlichen Wartburgfestes von 1817 zurückzuführen ist. Gerade hieran ist bei aller Verschiedenheit der Verfassungsentwicklung in- und außerhalb Europas eine direkte Kontinuität zu erkennen. Die Grundrechte spielten in der ehemaligen „DDR“ eine besondere Rolle. In der „DDR“-Verfassung von 1949 war unter dem Kapitel „Bürgerrechte“ eine Vielzahl von Rechten genannt, die in ihren Formulierungen teilweise sehr große Ähnlichkeit mit den Grundrechten des Grundgesetzes der Bundesrepublik hatten, jedoch besaßen die Grundrechte dort bei weitem nicht dieselbe Bedeutung wie in Westdeutschland. „Die DDR“-Verfassung gab keine Mechanismen vor, die eine Durchsetzung der Bürgerrechte als Freiheitsrechte gegenüber dem Staat garantierten. Der Grund dafür war, daß der Ausgangspunkt der „DDR“Verfassung das sogenannte Prinzip der Gewalteneinheit war, eine Gewaltenteilung wurde damals als „bürgerlich“ abgelehnt. Eine von der Regierung unabhängige „dritte“ Gewalt war nicht vorgesehen, vielmehr diente die Rechtspflege durch die Gerichte der Lösung der Aufgaben der „sozialistischen Staatsmacht“ bei der Gestaltung der vom Sozialismus geprägten Gesellschaft. (Zum Vergleich: In der Verfassung von 1871 war zur Durchsetzung der bürgerlichen Rechte auch nur der Rechtsweg vorgesehen). Somit waren eine unabhängige Verfassungsgerichtsbarkeit sowie eine Verwaltungsgerichtsbarkeit von der DDR-Verfassung bewußt nicht vorgesehen, und bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit von Rechtsvorschriften entschied die Volkskammer. Es herrschten im Gegensatz zur Bundesrepublik ganz andere Vorstellungen zum Verhältnis von Mensch und Staat in der ehemaligen „DDR“, was sich auch in der dortigen Verfassung niederschlug. Den Grundrechten kam zwar darin auch ein Vorrang zu, wobei jedoch mit den Grundrechten immer auch zugleich die Grundpflichten der Bürgerinnen und Bürger genannt wurden, was im GG der Bundesrepublik (mit Ausnahme der elterlichen Pflichten und dem Eigentum) so nicht vorgegeben ist. Im GG steht die Würde des Menschen am Anfang, der Staat ist demnach um des Menschen willen da, nicht umgekehrt. Demgegenüber wurde in der „DDR“ die Bedeutung der Grundrechte und –pflichten immer in Verbindung mit der Aufgabe der Bürger(-innen), i.e.S. mit dem Aufbau der sozialistischen und kommunistischen Gesellschaft gebracht. Nicht die Verwirklichung des Individuums war das große Ziel, sondern die Verwirklichung des Kommunismus. Somit kann man auch hier von einer Instrumentalisierung der Grundrechte ausgehen. Unsere Autorin Dr. Helma Brunck ist freiberufliche Historikerin. Im Jahr 1996 promovierte sie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz mit dem Thema „Die Entwicklung der Deutschen Burschenschaft in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. – Eine Analyse – “. In erweiterter Form erschien ihre Dissertation 1999 mit dem Titel „Die Deutsche Burschenschaft in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus“. In Zusammenarbeit mit der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung in Wiesbaden liegen zahlreiche Veröffentlichungen vor. Der vorliegende Aufsatz ist die Wiedergabe ihres Vortrags auf einem Symposium des Dinghofer-Instituts am 18. Oktober 2013 in Wien zum Thema „Die Verfassung im Wandel der Zeit“. Bereits im Jahr 1999 erschien zum Thema in den BBl ihr Aufsatz „Von der Wartburgfeier über die Paulskirche zum Grundgesetz – Ein Rechtsvergleich mit Beispielen“. Ein darauf basierendes Faltblatt wurde am 17. Mai 2014 in einer Presseveröffentlichung der DB herausgegeben (Vergleiche: Deutsche Burschenschaft – Presse – Aktuelles). 135 Aus dem burschenschaftlichen Leben Burschenschaftliche Blätter Berliner Burschenschafter gedachten Mauerfall-Jubiläum Rund 150 Burschenschafter und befreundete Korporierte trafen sich am 1. November 2014, um dem 25jährigen Jubiläum des Mauerfalls im Rahmen eines Kommerses zu gedenken. Die Veranstaltung fand im Logenhaus in der Petervon-Lenné-Straße in Berlin-Dahlem statt. Eingeladen hatte die Vereinigung Alter Burschenschafter Berlin. Es chargierten die Berliner Burschenschaften Gothia, Thuringia, Germania und der Märker sowie die Katholische Studentenverbindung Askania-Burgundia. Durch den Kommers führte Torsten Lüdtke (Märker Berlin, Germania Berlin), der auch an die Geschichte der Berliner Mauer erinnerte. mit?“ Damit warf er eine Frage auf, die der bedeutende katholische Theologe Eugen Biser (1918–1924) schon vor 25 Jahren glaubte beantworten zu können. „Ja“, so Biser; der 9. November 1989 sei ein „Werk Gottes“ und ein „Zeichen göttlichen Wirkens“. Für den Protestanten Gleißner ist, so wurde bei seinem Vortrag deutlich – die Sache nicht so eindeutig. Dass Gott direkt in die Geschichte eingreife, verneinte er. „Gott wirkt durch die Menschen“, sagte er. Dann erinnerte er, wie Christen den Freiraum der evangelischen Kirche für ihre Opposition gegen das „DDR“-Regime nutzten. Aus den Kirchen sei der Protest auf die Straße hinausgetragen worden und habe die Mauer zu Fall gebracht. Die erste Ansprache hielt Siegfried Gleißner (Arminia Marburg), ehemals Oberpfarrer beim Bundesgrenzschutz. Er erinnerte in seinem geistlichen Wort an das Spruchband, das einst bei den Feiern zum Sedantag das damals offene Brandenburger Tor zierte: „Welch eine Wendung durch Gottes Fügung!“ Gleißner wollte nun wissen: „Wirkte Gott auch bei der Wende Anschließend sprach Eberhard Diepgen (Saravia Berlin) in seiner Festrede über „1989 – Die Deutschen und ihren Umgang mit der Geschichte“. Der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin wies darauf hin, dass es zwei Feiertage gebe, an denen der Ereignisse rund um die Wiedervereinigung gedacht werde: Der 3. Oktober und der 9. November. Diepgen zi- 136 tierte Helmut Kohl, der ihm auf seine Frage: „Warum der 3. Oktober?“ die Antwort gegeben habe, daß da „das Wetter schöner“ sei. Diepgen überzeugte das nicht und so war seine Festrede ein flammendes Plädoyer für den 9. November als wahren Gedenktag. Er lobte die „Lichtgrenze“, eine Installation aus leuchtenden Luftballons entlang des Verlaufs der Mauer als „würdevolle“ und „gute Idee“ des Berliner Senats zur Erinnerung an die Ereignisse vor einem Vierteljahrhundert. Die Feiern am 3. Oktober seien hingegen ein föderalistischer Wanderzirkus, der an bürokratischen Akt zum Anlaß habe. Er forderte die Deutschen und die Berliner dazu auf, sich nicht die Erinnerungen an den glücklichsten Tag der jüngsten deutschen Geschichte nehmen zu lassen. Grußworte sprachen je ein Vertreter der Aachen-Dresdner Burschenschaft Cheruscia und der Burschenschaft Teutonia zu Jena. VAB zu Berlin e.V. Heft 4 - 2014 Aus dem burschenschaftlichen Leben Burschenschaftliche Blätter Gedenkveranstaltung zum Tag der Deutschen Einheit 2014 Seit 1991 veranstaltete die Vereinigung alter Burschenschafter (VaB) Salzgitter ihre traditionelle Feierstunde mit festlicher Kneipe zum Tages der Deutschen Einheit. Der Kommers stieg im Großen Saal des Hotels „Burgberg“, welcher mit regionalen Flaggen und selbstredend dem schwarz-rot-goldenem Banner der Deutschen Burschenschaft mit dem Zirkel und dem Wahlspruch „Ehre – Freiheit – Vaterland“ geschmückt war. Mehr als 70 Korporierte, meist Burschenschafter aus der Welfenregion, folgten der Einladung der VaB Salzgitter, die 1948 gegründet wurde und derzeit 30 Mitglieder hat. Wichtig ist, daß diese Veranstaltung immer wieder das gute Verhältnis zu Rat und Verwaltung der Stadt widerspiegelt. So waren auch der ehemalige Oberbürgermeister Rudolf Rückert (CDU) und der Kulturausschußvorsitzende Klaus Poetsch (CDU) anwesend; letzterer betonte in seinem Grußwort die bedeutende Rolle, die die Burschenschaft in der politischen Gesellschaft der Stadt Salzgitter spielt. Hermann Struck, ehemaliger SPD-Bürgermeister, ließ in einem schriftlichen Grußwort zum Thema „Tag der Deutschen Einheit“ Erstaunliches verlauten: „Für mich als Pommer ist die Deutsche Einheit erst dann vollbracht, wenn die Millionen Deutschen, die aus dem Osten unseres Vaterlandes gewaltsam vertrieben worden sind, in völkerrechtlich verbriefter freien Selbstbestimmung über ihr zukünftiges Schicksal und das ihrer Heimat entscheiden können.“ Der diesjährige Festredner, Rechtsanwalt Gernot Preuß, seit 1956 beim Corps Teutonia Marburg aktiv, berichtet über seine Konflikte mit der „DDR“-Gerichtsbarkeit und der Stasi in den Jahren nach dem Mauerbau 1962 bis 1964. Unter dem Titel „800 Seiten meines Lebens“ – so umfangreich waren seine Stasiakten – dokumentiere Preuß Verfolgung und Verurteilung. In seinem packendem Zeitzeugenvortrag legte er seine Motivation zur Fluchthilfeaktion dar und berichtete über den anschließenden Prozeß gegen ihn und seine Haftzeit. Lange zögerte Preuß, nach der Wende Einsicht in seine Stasi-Akte zu nehmen. Das Ergebnis ist eine lupenreine Dokumentation des Lebensabschnittes eines Menschen, der indirekt ein „Opfer von Mauer und Stacheldraht“ ist: Den Mauer-Bau empfand der damalige Gerichtsreferendar aus Niedersachsen als großes Unrecht. In Berlin wollte er daher anderen bei der Flucht in den Westen helfen. Der für den 8. April 1962 geplante „Grenzdurchbruch“, so das Stasi-Vokabular, wurde jedoch verraten. Er als Bürger der Bundesrepublik wurde in der „DDR“ verhaftet. Es folgte Vernehmung, Anklage und Prozeß, wie es die „DDR“ damals für rechtens hielt: Vernehmung von 20 Uhr bis 6 Uhr – Schlafentzug – Schauprozeß über drei Tage, obwohl alle fünf Angeklagte geständig waren. Das Urteil: 2 Jahre und 3 Monate Haft. Die 1994 eingeweihte Gedenkstätte „Kanzel von Salzgitter“ erinnert mit Tafeln und Findlingen an die kommunistische Verfolgung von 1945 bis 1989 in der SBZ/DDR. Sie ist die einzige Gedenkstätte dieser Art im Westen Deutschlands und wurde bereits mehrfach geschändet. Die folgende Haft in verschiedenen Vollzugsanstalten brachte für Preuß Tätigkeiten im Gleisbau und in der Waschküche sowie teilweise auch die Gesellschaft von „Schwerverbrechern“ mit sich. Die Taktik der Stasi war zwiespältig, aber gleichermaßen teuflisch: Zuerst wurde versucht, die Gefangenen „umzudrehen“ und als Spion für das MfS zu gewinnen. Da der Kandidat Preuß gegen solche Angebote gefeit war, versuchte man ihm eine Agententätigkeit für westdeutsche Geheimdienste anzuhängen. Da auch dies scheiterte, so daß versucht wurde, ihn zu kompromittieren und diskriminieren. Sein Zuchthaus-Martyrium endete Herbst 1964. Doch Preuß engagierte sich anschließend, zurück in der Bundesrepublik, weiter für die Menschen in der „DDR“: er organisierte Freikäufe, Familienzusammenführungen, Beratungen und Strafverteidigungen. So fiel das Urteil über sein Wirken bei den Gästen überwältigend aus: „Noch nie haben wir einen so ergreifenden Bericht eines Zeitzeugen über eine dunkle Zeit unserer Geschichte gehört. Und das aus dem Mund eines Korporationsstudenten!“ Ein donnernder Salamander und der kräftige Kommersgesang des Liedes der Deutschen mit unserer Nationalhymne dankten dem sichtlich gerührten Redner. Die Festcorona vom 2. Oktober 2014 Heft 4 - 2014 Klaus Gossow (Ghibellinia-Leipzig Hannover 1956, Plessavia Leipzig 1990) 137 Aus dem burschenschaftlichen Leben Burschenschaftliche Blätter „Alle Erinnerung ist Gegenwart“ (Novalis) Von Wolfgang Gäbler mäßigen Abstand zwölf Steinstehlen von gut zwei Meter Höhe als eigentliche Erinnerungsmale vorgesehen. Der Bau erfolgte schrittweise, je nach Eingang der Gelder. Bei den doch recht beachtlichen Ausmaßen waren natürlich entsprechende Baugenehmigungen einzuholen. Das wurde genau befolgt, es gab auch keine Probleme mit der Erteilung. Der Bürgermeister, als Eigner einer Stahlbaufirma, bekam den Auftrag zur Anfertigung des Mittelkreuzes und machte sich sogleich ans Werk. Ein Denkmal allein für die deutschen zivilen Opfer des Zweiten Weltkrieges wurde am 3. August 2014 in Thüringen eingeweiht. Der Besuch vor Ort lohnt sehr. Zudem besteht dort eine gute Möglichkeit für Veranstaltungen, auch für Burschenschaften. Die Entstehungsgeschichte des Denkmals ist zugleich ein Lehrstück über den Zustand unserer Demokratie. Die Erinnerung in Form von Denkmälern hat in Deutschland auch heute noch Konjunktur. Vor allem in unserer Hauptstadt war dazu in den letzten Jahren, trotz leerer Kassen, eine rege Bautätigkeit zu verzeichnen. Doch fällt auf, daß die Erinnerungskultur von einer ausgeprägten Einseitigkeit bestimmt ist. Handelt es sich nämlich um Erinnerungen die deutsche Inhalte betreffen, wird daraus schnell ein „Erinnerungskampf“ (Norbert Frei). Schon Denkmäler zu so erfreulichen Anlässen wie für die friedliche Revolution verursachen manchen Bauchschmerzen und werden förmlich zerredet. Nahezu unerträglich wird es, wenn an Eigenes im Zusammenhang mit den Kriegen erinnert werden soll. Die „Erkenntnis“ der Antifa – „Deutsche Täter sind keine Opfer“ – hat sich offensichtlich schon tief in die Köpfe eingegraben. Dieser Situation zum Trotz hat es eine kleine Gruppe von mutigen Bürgern unseres Landes geschafft, ein Denkmal für die Millionen zivilen deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges zu errichten. Es steht im thüringischen Guthmannshausen, einem Dorf nahe Weimar, auf einem privaten Gelände. Der Verein, der dies bewerkstelligt hat, nennt sich „Gedächtnisstätte e.V.“ und wurde im Jahre 1992 in Vlotho für diesen Zweck gegründet. Die Initiatoren empfanden es als unzumutbar, daß es noch keine würdige zentrale Gedenkstätte für unsere deutschen Opfer gab. Dieses sollte an die Landsleute und deren grausame Schicksale erinnern, die während und in den unmittelbar nach dem Kriege folgenden Jahren schweres Leid ertragen mußten und zu Tote kamen: durch den Bombenterror, durch Verschleppung, Vertreibung, in Gefangenenlagern oder auf andere Art und Weise. Erster Anlauf in Borna Bald nach der Gründung machte man sich ans Werk. Zunächst wurden Gelder von den Vereinsmitgliedern und von Spendern gesammelt. Staatliche Unterstützung mußten trotz intensiver anfänglicher Bemühungen 138 Im Jahre 2008 war der Autor bei einer der Vortragsveranstaltungen in Borna. Abends wurde auch schon eine Ehrung am im Bau befindlichen Denkmal durchgeführt. Da die Stehlen noch nicht geliefert waren, hatte man zwölf Fackelträger auf den Fundamentplatten positioniert, die die für die Inschriften vorgesehenen Texte reihum sprachen – ein sehr beeindruckender Moment. Anfeindungen gegen das Gedenk-Projekt Auf zwölf solchen Stehle wird an die verschiedenen Opfergruppen erinnert. Gäbler für dieses Projekt ausgeschlossen werden. Durch die großzügige Zuwendung eines Architektenehepaares war es damals möglich, ein geeignetes Objekt in der Stadt Borna südlich von Leipzig zu erwerben, das ehemalige Gebäude der Bergbauverwaltungsgesellschaft, welches auf einem etwa ein Hektar großen Areal ungenutzt stand. Der Verein begann alsbald das Gebäude für seinen Zweck herzurichten. Aus den vormaligen Büros wurden Erinnerungsräume mit Exponaten für die einzelnen ostdeutschen Provinzen. Es wurden Tagungssäle und Räume für Übernachtungen und Versorgung eingerichtet. Die Stadt unterstütze das Unterfangen und freute sich, daß dort nun wieder Leben einzog. Bald wurden nach Fertigstellung des Gebäudes im monatlichen Abstand Seminare zu verschiedenen, meist politischen Themen abgehalten. So kamen Besucher in die Stadt, wo jede Mark von Auswärtigen sehr willkommen war. Seinerzeit hatte das wohl noch kein politisch Korrekter mitbekommen. Die Ideen für das Denkmal nahmen ebenfalls bald Gestalt an. Es sollte eine im Durchmesser gut 15 Meter große Kreisanlage im Garten neben dem winkelförmigen Hauptgebäude errichtet werden, in deren Mitte ein zwölf Meter hohes Stahlkreuz geplant war. Im äußeren Ring waren im regel- Kurz vorher hatte es jedoch die ersten Anfeindungen gegeben. Die ahnungslose Stadtverwaltung Bornas wurde plötzlich mit der veröffentlichten Meinung über solche Vorhaben konfrontiert. Die Presse, allen voran die Leipziger Volkszeitung, stürzte sich förmlich auf das Thema. Nun traten auch die politisch Korrekten mit ihrem „verklemmten deutschen Selbsthaß“ (Botho Strauß) in der Umgebung und am Ort gegen das Vorhaben auf. Überregional hielt man das Geschehen jedoch unter der Decke. Bald zogen sich auch die Stadt Borna und die Behörden zurück, Baugenehmigungen waren plötzlich nicht mehr in Ordnung und wurden storniert. So durften die ersten Stehlen plötzlich nicht aufgestellt werden. Hart traf es den Bürgermeister, der das Zwölf-Meter-Kreuz mittlerweile fertiggestellt hatte. Politisch korrekt ausgerichtet, verweigerte er nun dessen Auslieferung. Die Leipziger Volkszeitung hatte sich vorgenommen, die Ausführung des Denkmals zu unterbinden und die angeblich rechte Vereinigung aus der „bunten und weltoffenen“ Gegend zu vertreiben. Nach zahlreichen politischen Hetzartikeln kam augenblicklich das eingespielte antifaschistische Ritual auf allen Ebenen in Gang. Damals verstarb leider der Käufer des Areals. Das war zwischenzeitlich an Wert deutlich gestiegen und weckte nun die Begehrlichkeit der Erben. Schließlich gab die Ehefrau, die nun alleinige Eigentümerin war, nach und veräußerte die Liegenschaft ohne Heft 4 - 2014 Aus dem burschenschaftlichen Leben Burschenschaftliche Blätter beschriftete, anthrazitfarbene Granitsteine für die einzelnen deutschen Opfergruppen aufgestellt. Die Einweihung erfolgte am 3. August 2014 in einem würdigen Festakt mit großer Beteiligung. Gäste sind willkommen Das großzügige Wohnhaus des Ritterguts in Gutmannshausen dient als Kultur- und Tagungsstätte. Absprache mit dem Verein an einen Investor, der darauf mittlerweile ein Pflegeheim erstellt hat. Das im Bau befindliche Denkmal fiel dem Bagger zum Opfer. In zähen Verhandlungen konnte der Verein Gedächtnisstätte e.V. seine bereits eingebrachten Spenden aus dem Kaufbetrag zurückerhalten. Auf ein Neues nahe Weimar Dieser herbe Rückschlag entmutigte die Betreiber des Vorhabens jedoch nicht. Man begab sich erneut auf die Suche nach einem geeigneten Objekt und wurde im Jahre 2011 in Thüringen im Herzen Deutschlands fündig. Der Freistaat veräußerte nach zwei Jahren Leerstand das Herrenhaus eines früheren Rittergutes in Guthmannshausen, circa 20 Kilometer nördlich von Weimar gelegen, in dem zur „DDR“-Zeit, wie auch danach, ein Schulungszentrum für die Land- und Forstwirtschaft untergebracht war. Hier gab es bereits Übernachtungszimmer, Küche, Kantine sowie größere und kleinere Unterrichtsräume. Das Gebäude steht auf einem zugehörigen Parkgrundstück, alles in recht gutem Zustand, jedoch gegenüber Borna deutlich kleiner. Das neue Kultur- und Tagungszentrum stand so bald dem Verein Gedächtnisstätte für seine wiederaufgenommene Vortragsund Bildungstätigkeit zur Verfügung. Als diese Aktivitäten bekannt wurden, traten nun jedoch die Fraktionen der Grünen und Linken auf und verlangten vom Freistaat die Rückabwicklung des Kaufvertrages. Erstmals wurde dieses Ansinnen im März 2013 beim Landgericht Erfurt verhandelt. In der ersten Instanz lief das Land voll gegen die juristische Wand. Die daraufhin anberaumte Revisionsverhandlung im Dezember Heft 4 - 2014 Gäbler 2013 beim Oberlandesgericht in Jena verlor der Freistaat Thüringen ebenfalls, zusätzlich schloß das Gericht auch eine weitere Revision aus. Damit ist diese altehrwürdige und schöne Immobilie juristisch gesichert in der Hand des neuen Eigentümers, und der Verein kann unbehindert seiner ehrenwerten Aufgabe nachgehen. Die Planung für das Denkmal wurde komplett überarbeitet und dem neuen Grundstück angepaßt. Entstanden ist eine Rotunde mit etwa zehn Metern Durchmesser. Mittig steht nun ein fast vier Meter hoher Granitobelisk, einen steingewordenen Lichtstrahl symbolisierend. Kreisförmig sind zwölf, auf der Vorder- und Rückseite Der Verein Gedächtnisstätte e.V. führt weiterhin acht bis zehn Seminarwochenenden im Jahr mit Vorträgen über politische, historische und kulturelle Themen durch. Auch über gesunde Lebensführung wird referiert. Als Kultur- und Tagungszentrum steht das Haus aber auch gerne Gruppen gleichen Geistes für deren Veranstaltungen zur Verfügung. Achtzehn Gästezimmer – alle mit Bad – zu einem erschwinglichen Preis bietet das Gebäude. Weiter sind ausreichende Räumlichkeiten im Erdgeschoß für die Versorgung und die Veranstaltungen vorhanden. Ein Hausmeisterehepaar versorgt die Anlage. Auch Gäste, die nur das Denkmal besichtigen wollen, sind willkommen. Hierzu ist jedoch eine Voranmeldung erforderlich. Burschenschafter sollten dieser mutigen Tat Anerkennung zollen und einen Besuch vor Ort bei Gelegenheit einplanen. Für eine Fuxenreise eine ideale Station. Wolfgang Gäbler (Cheruscia Dresden, Vandalia Hamburg, Salamandria Dresden) www.verein-gedaechtnisstaette.de Anmeldung für Besichtigungen beim Hausmeister unter 036373-998783, für die Vermietung beim Vereinsvorsitzenden unter 04185-2784. Am 3. August 2014 wurde endlich ein Ehrenmal für unsere deutschen zivilen Opfer des Zweiten Weltkrieges eingeweiht. Gäbler 139 Aus dem burschenschaftlichen Leben Burschenschaftliche Blätter Die Zukunft des deutschen Konservatismus Anläßlich des Gedenkwochenendes „100 Jahre Langemarck“ hielt Farbenbruder David Steinmann (Erfurter Wingolf Georgia), Student der katholischen Theologie und Philosophie, auf der abendlichen Festkneipe folgende Rede: Lange habe ich überlegt, welchen Einstieg ich für die heutige Festrede wählen soll. Das Thema „Zukunft des deutschen Konservatismus“ ist so mannigfaltig und könnte so ausladend sein, es ist so umfangreich wie es letztlich unklar ist. Scheinbar sind die Begriffe alle klar. Links – Rechts. Konservativ – Progressiv. Scheinbar, da man leicht ins Straucheln gerät, wenn man denn Begriffen klare Inhalte zuweisen möchte, die so und nur so diesen politischen Unterscheidungstermini inhärent sind. Lange also habe ich nach einen passenden Einstieg für die heutige Festrede gesucht. Vor einigen Wochen sah ich in der Reihe „37 Grad“ einen Beitrag zur deutschen Massentierhaltung. Einige Großbetriebe – um es gleich vorweg zu nehmen: nicht die schlechtesten –, die sich auf Hähnchen-, Puten-, und Schweinemast, auf Tierverarbeitung im Allgemeinen spezialisiert haben, wurden so gut es im Rahmen einer solchen Sendung möglich ist, vorgestellt. Angefangen von der Produktion der Tiere – abertausende von Küken allein in einem Betrieb pro Tag –, über deren Aufzucht bis schließlich zur Schlachtung. Die gezeigten Großbetriebe waren sauber, die medizinische Versorgung der Tiere streng nach Vorschrift. Alles eben funktional. Und dennoch intendierte der Beitrag Unbehagen: eine absolute Effizienz bei der Verwertung tierischen Lebens, die selbst blaues Licht und Panflötenmusik bei Transport und Schlachtung einschließt, um die Tiere vor ihrem letzten Gang zu beruhigen. Für mich war es beklemmend zu sehen, wie die Schlachttiere auf Förderbändern in eine Vergasungsetage gefahren und betäubt, anschließen aufgehängt und an einem Schlachtermesser, das ihren Hals aufschlitzte, vorbei gefahren wurden, damit die Tiere schlußendlich verbluteten. Eine industrielle Vernichtung von Leben. Dieser ebenso umfangreiche Themenkreis soll aber nicht Gegenstand des heutigen Abends sein. Schlachthof gen Mekka Was ebenso beklemmend für mich gewesen war, ist die Tatsache, daß die gezeigten Schlachtanlagen – so der Kommentator – nach Mekka ausgerichtet seien. Neben dem Schlachtermesser prangte eine von einem Imam zertifizierte Tafel mit der Aufschrift „Allahu Akbar“ – „Gott ist groß“ oder „Gott ist am größten“ – jene oft ver- 140 Bei strömendem Regen erwiesen die Verbandsbrüder den Gefallenen und Verstorbenen die letzte Ehre. wendete Glaubensformel moslemischer Gebete, besonders bekannt durch den vom Muezzin ausgerufenen „Adhan“. Der lakonische Kommentar des 37-Grad Beitrages: um auch den muslimischen Konsumenten den Verzehr des Fleisches zu ermöglichen. Ob auch bei der Schweineschlachterei im Geiste deutschen, vorauseilenden Gehorsams ein solches Schild angebracht worden war, ist mir nicht mehr erinnerlich. Für möglich halte ich es im heutigen Deutschland allemal. Vor einigen Jahren schwappte eine Welle der Entrüstung über dieses unser Land, weil in öffentlichen Gebäuden, in Schulen und Gerichten immer noch zahlreiche Kruzifixe zu sehen waren und in einer aufgeklärten, Religion zur Privatsache erklärenden Gesellschaft, in einem Religionsfreiheit garantierenden Staat, der zur Einhaltung strikter Neutralität in Glaubensdingen aufgerufen sei, dies nicht hingenommen werden könne. Selbst mehrere Gerichte haben sich mit dieser Angelegenheit zu befassen gehabt. Ich habe nach dem 37-Grad-Beitrag aufmerksam verfolgt, ob es zu einem medialen Sturm der Entrüstung gekommen ist. Die Vermutung liegt nahe, daß ein neben der Schlachtanlage hängendes christliches Glaubenssymbol für Aufregung gesorgt hätte. So aber: Fehlanzeige. Sicherlich liegt der Fall ein wenig anders: jene Schlachtereien sind keine öffentliche Gebäude, sondern private Betriebe. Daß aber die deutsche Fleischindustrie des Absatzes wegen sich religiösen Speisevorschriften unterwirft, halte ich für beachtenswert. Beachtenswert und bedenklich finde ich nicht den religiösen Kontext. Mir persönlich als gläubigen Katholiken ist es egal, ob mein Hähnchen auf seiner letzten Fahrt in Sichtweite arabischen Schrift zu Tode gekommen ist oder nicht. Das hat für mich keine Bedeutung. Beachtenswert und persönlich bedenklich finde ich, daß sich dieses Land, in dem ich groß geworden bin, spürbar gewandelt hat. Es hat sich so sehr geändert, daß es bei mir nur mehr Beklemmung auslöst – letztlich nur ein Achselzucken – daß Schlachtanlagen nach Mekka ausgerichtet sind, daß in einigen Kantinen in diesem Land der Rücksichtnahme wegen auf Schweinefleischgerichte verzichtet wird. Ein Achselzucken nur, weil all dies vorherzusehen war. Wer aufmerksam die Entwicklung der letzten Jahre verfolgt hat, den kann dergleichen nicht mehr überraschen. Die Zukunft des Konservatismus Es soll in dieser Festrede nicht um den Islam und seine Auswirkungen auf unser Land gehen. Das Schlachtanlagenbeispiel eignet sich nur hervorragend zum Einstieg in unser Thema. Es soll am heutigen Abend um den Konservatismus und seine Zukunft gehen. Um die Zukunft des Konservatismus in Deutschland. Dazu ist es nötig, sich zu vergegenwärtigen, was mit dem Begriff des Konservatismus überhaupt gemeint sein soll. Die Begriffe „links“ und „rechts“, die heute immer noch gerne bemüht werden und die auf die Sitzungsordnung im parlamentarischen System zurückzuführen sind, bieten Heft 4 - 2014 Aus dem burschenschaftlichen Leben sich für eine politische Standortbestimmung nicht an. Sie waren in ihrer starren und strengen Fixierung dazu eigentlich nie geeignet, heute sind sie es in Zeiten überbordender Meinungsdiversität schon gar nicht. Zurückgehend auf die Französische Revolution, drückte die Sitzordnung – man kann es vielleicht vereinfachend so sagen – die Intensität der Revolutionsbereitschaft der einzelnen Abgeordneten aus. Die Geschichte der Französischen Revolution und ihre teils horrenden Auswüchse sind bekannt. Später, durch das revolutionäre Vorbild aus Frankreich inspiriert, wurde auch in Deutschland eine solche Links-Rechts-Sitzordnung, sowie eine solche politische Verortung in deutschen Parlamenten übernommen. Über klare politische Standpunkte hingegen vermag dieses politische Richtungsschema nichts auszusagen, gerade weil sich politische Standpunkte mit der Zeit gewandelt haben, wandeln mußten. Auch die Studentische Bewegung des 19. Jahrhunderts, besonders die dezidiert politische Burschenschaftliche Bewegung ist bestes Beispiel für die Unmöglichkeit eines solchen Links-Rechts-Schemas. Gestartet mit der Forderung nach Nationalstaat sowie demokratischer Partizipation und Mitbestimmung stand die Burschenschaft nach diesem Verständnis weit links im damaligen politischen Spektrum, eine Verortung, die in heutiger Zeit – wenn überhaupt noch bekannt – gerne geleugnet wird. Burschenschaftliche Blätter Perzeption ist, das Wahrnehmungen, das die Sicht auf die Welt trügen kann. Lese ich nur Marx und Lenin nehme ich die Welt anders wahr, als wenn ich nur Carl Schmitt, Armin Mohler oder Moeller van den Bruck lese. „Konservativ“ meint in diesem Zusammenhang ein Maß an Skepsis, das den einzelnen Menschen veranlaßt, sich selbst, seine Erfahrungen, seine Sicht auf die Welt zu hinterfragen. Um einen philosophischen Begriff zu bemühen: Trotz begrenzter Wahrnehmungs- und Zugangswege gibt es für den Konservativen neben der eigenen Perzeption auch die Wahrheit, der es sich durch Skepsis anzunähern gilt. Der „Progressivität“ muß diese Skepsis nicht zu eigen sein; vielmehr gewinnt politisches progressives Handeln gerade durch den star- Derzeit einen Burschenschafter als politisch Links zu bezeichnen, dürfte in studentischen Korporationen allenfalls zu einem Stirnrunzeln führen. Im gesellschaftlichen Rahmen würde man für eine solche politische Verortung der Burschenschaft bestenfalls ausgelacht. Die Ineinssetzung von rechts und konservativ, die ich gerade stillschweigend vorgenommen habe, halte ich ebenfalls für problematisch. Rechts und Links reduzieren – wie gerade angeführt – eine politische Standortbestimmung auf öffentlichkeitswirksame Schlagworte ohne inneren definitorischen Kern. Der Terminus „konservativ“ beschreibt hingegen eine Geisteshaltung. Ich glaube, daß eigentliche Gegensatzpaar, das eine politische Verortung zutreffend beschreiben kann, ist konservativ und progressiv. „Konservativ“ verstanden als klares, nüchternes und rationales Betrachten der Wirklichkeit und „progressiv“ als Handeln, um ein ideologisches Wunsch- und Utopiegebilde zum Durchbruch zu verhelfen. Oder um es politikwissenschaftlicher auszudrücken: Jedem Menschen ist ein Perzeptionshorizont zu eigen, der seinen Zugang zur Welt beschreibt; der ausdrückt, wie die Welt wahrgenommen, subjektiv von jedem Einzelnen erfahren wird. Das Problem der Heft 4 - 2014 Im Gedenken an die in den Kriegen gefallenen Burschenschafter wurde der Kranz niedergelegt. ken Fokus auf Mißstände, die subjektiv in der Welt erlebt werden, seine starke, innere Triebkraft. Mißstände zu beseitigen ist kein Fehler; das mangelnde, nicht am gesunden Menschenverstand orientierte Hinterfragen seiner eigenen Position hingegen kann gefährlich sein. Einordnung der Geisteshaltung Daher die vorgenommene Einordnung von „konservativ“ und „progressiv“ als Geisteshaltungen. In der Theologie wird – wie sicherlich bekannt – zwischen Gläubigen und Nichtglaubenden unterschieden, zwischen Atheisten und Theisten, wobei dieser Begriff nicht besonders kohärent zu der Summe möglicher Glaubensvorstellungen ist. Deistische, polytheistische oder animi- stische Glaubende sind in ihm nicht involviert. Zwischen den Glaubenden auf der einen und den Nichtglaubenden auf der anderen Seite gibt es jene Gruppe von Menschen, die man unter dem Begriff des Agnostikers zusammenfaßt. Also Menschen, die sich wegen der letztlich nicht zu beantwortenden Frage nach Gott weder für noch gegen den Glauben an eine höhere, nichtirdische Macht entscheiden wollten. Vereinfachend ausgedrückt: der Gläubige beantwortet die Frage nach Gott mit ja, der Atheist mit nein und der Agnostiker weiß sich nicht zu entscheiden. Im Zuge der weitgehenden Entchristlichung in Deutschland – besonders hier in Mitteldeutschland, aber keineswegs darauf beschränkt, gibt es eine neue Beobachtung: Viele Menschen stellen sich die Frage nach Gott überhaupt nicht mehr. Sinnfragen werden relativ konsequent aus dem eigenen Leben ausgeklammert oder mit Konsumismus übertüncht. Allenfalls werden Sinnfragen für diese Menschen im fortschreitenden Alter ersichtlich beim Kauf eines Motorrads und der einsamen Fahrt zum Nordkap oder dem Erwerb neuer Kleidung im gepunkteten Leoparden-Stil und der Hinwendung zu jüngeren Männern. Diese Gruppe wird in der Theologie als religiös indifferent bezeichnet. Warum dieser kurze theologische Einschub? Ich glaube, es gibt in unserem politischen System nicht nur konservativ und progressiv und in der Mitte eine ominöse schweigende Mehrheit – in Analogie also die politischen Agnostiker – es gibt auch die politisch Indifferenten, die sich von politischen Fragen nicht mehr angesprochen fühlen, die ein Leben ohne politische Einstellung ganz gut bestreiten können. Und ich wage die These, daß diese Gruppe nicht allzu klein ist. Sie dürfte sogar die größte sein. Seinen politischen Erfolg auf diese Gruppe zu setzen, wird für eine neue politische Kraft gefährlich sein. Derzeit ist in Deutschland eine gewisse politische Unruhe zu spüren, die selbst in der Werbung ihren Niederschlag findet. Dort wurde der Spießbürger als positive Gestalt gerade wieder in Szene gesetzt. Das Idyll einer Familie, vom Haus im Grünen, von Rasenmähen und dergleichen scheint wieder modern zu werden. Es wird eine Normalität angesprochen und in den Fokus genommen, die eigentlich Mut machen könnte. So wie wir und unsere Eltern groß geworden sind, wie sie und wir dieses Land geprägt haben und von ihm geprägt wurden, so wird es auch in Zukunft sein. Das ist die positive Deutung. Als zutreffender empfinde ich aber folgende: Diese Normalität, diese vielleicht auch verklärende heile Welt wird als nicht mehr gegeben erahnt. Intuitiv empfindet der Bür- 141 Aus dem burschenschaftlichen Leben Burschenschaftliche Blätter ger einen Zwiespalt zwischen dem im Alltag erlebten und seiner Wunschvorstellung von diesem Land, seinem Wunsch, wie dieses Land eigentlich aussehen sollte. Die Menschen sind verunsichert. Demographie, Rente, Verschuldung, fehlschlagende oder schon fehlgeschlagene Integration. All dies sind Unsicherheitsfaktoren, die sich in das Bild der Normalität eingeschoben haben. Langsam aber stetig – und wie es scheint auch unaufhaltsam. Psychologisiert drückt sich dieser Zwiespalt zwischen erhoffter Normalität und entnormalisierter Realität im Hervorkehren des neuen Spießers aus. Auch der Versicherer Ergo wirbt neuerdings mit flexiblen Versicherungsleistungen für das Alter und benennt als Kundenkreis all jene, die noch nicht wissen, wo sie in dreißig Jahren stehen. Dies dürften meiner Meinung nach ziemlich viele Menschen in Deutschland sein. Tradition und Werte sind nicht mehr Normalität Sehr geehrte Farbenbrüder, die Normalität, die sie und ich am heutigen Abend leben – die Eingebundenheit in eine Werte- und Überzeugungsordnung, die auf eine nunmehr zweihundertjährige Tradition zurückblicken kann – diese Normalität ist nicht die Normalität der Mehrheit dieser unseren Gesellschaft. Ich gehe noch weiter und behaupte: Diese Normalität existiert bereits nicht mehr – höchstens noch in unseren Köpfen. Sie ist nurmehr eine Scheinnormalität. Sie ist Trugbild und Wunschvorstellung einer marginalen Gruppe von Menschen – uns. Wer diese Worte zu drastisch und hart empfindet, sie vielleicht auch einfach als falsch verstanden wissen möchte, der schaue sich doch einmal genau in unserem Deutschland um. Sowohl der Heilige Vater Benedikt XVI. als auch der derzeitige Bischof von Dresden-Meißen sind Mitglied einer CV-Verbindung. Unlängst wollte ein junger Dresdner CVer zur katholischen Studentengemeinde in Dresden und wurde vom dortigen Studentenpfarrer mit den Worten barsch abgewiesen, solche Leute wie Sie brauche man hier nicht. Ich weiß, daß dies eine ausgesprochene Lappalie ist und in letzter Zeit viel gravierendere Ereignisse die korporative Welt erschüttert haben. Aber es ist nicht mehr nur der politische Gegner der uns militant ans Leder will, es grassiert eine weitgehende Antipathie, zumindest ein großer Rechtfertigungs- und Distanzierungszwang. Dies stimmt mich nicht gerade optimistisch, was die zaghafte Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse in diesem Land betrifft. Der derzeitige Erfolg der Alternative für Deutschland mag in diesem Zusammen- 142 hang aus der Analyse fallen. Ich glaube dies aber nicht. In Deutschland habe – wie schon häufig gesagt wurde – eine Verschiebung des politischen Spektrums stattgefunden: von rechts nach links. Mit der Sozialdemokratisierung der Unionsparteien sei am rechten Rand eine Leerstelle entstanden, diese aufzufüllen neuen politischen Fraktionen große Möglichen biete. Ist dem aber wirklich so? Was eindeutig stattgefunden hat, ist der Verlust von Konservativität. Der gesunde Menschenverstand, das Hinterfragen von politischen Vorstellungen ist unmodern geworden. Hier ist die wahre Leerstelle entstanden. Aktionismus und Reformismus sind wesentlicher Bestandteil unseres politischen Lebens geworden. Ob Bildungsreformen, Euro-Rettung oder Rentenreform, politische Entscheidungsträger haben die Konsequenzen ihres Handelns längst aus dem Blick verloren. Unser repräsentatives Parlamentssystem fokussiert den Blick allzu sehr auf die kommende Wahl und weniger auf langfristiges politisches Engagement. Jene, die sich früher von einem realitätsbezogenen Gegengewicht zu allzu „visionären“, veränderungslastigen politischen Handeln vertreten fühlten, sind heute politisch heimatlos geworden. Die Union, seit dem Agieren Merkels spätestens offensichtlich, hat ihre konservative Wurzeln gekappt und ist einzig am Machterhalt interessiert: um jeden Preis – die Konzessionen, die die Union bereit ist einzugehen, sind unübersehbar. Verwalten und Aussitzen – zwei Schlagworte, die die derzeitige Politik der Kanzlerin gut beschreiben. Diese Leerstelle setzt die Alternative für Deutschland an zu erobern. Dabei spricht sie jene Konservative an, die sich nicht mehr vertreten fühlen. Ja vielleicht fängt auch die Gruppe derer – um zu den adaptierten theologischen Begriffen zurückzukehren – , die sich bisher keiner bestimmten politischen Richtung anzuschließen bereit gewesen sind, vielleicht stellen sich die politischen Agnostiker langsam die Frage, wohin es mit diesem Land gekommen ist. Vielleicht erwächst daraus eine große Chance. Aber um die politisch Indifferenten aufzurütteln, sie mithin zur schweigenden und dann auch rufenden Mehrheit zu machen, dafür ist der Lebensstandard zu groß, sind die auf uns hereinbrechenden Probleme noch nicht zu sehr ins Bewußtsein dieser Menschen gerückt. Und mit Verweis auf die friedliche Revolution vor 25 Jahren: Die Menschen gingen auf die Straße, als die Probleme manifest waren, für jeden ersichtlich. Als die Verschuldung der „DDR“ ein unerträgliches Maß angenommen, die Sowjetunion ein Eingreifen ausgeschlossen hatte. Die Fried- liche Revolution kam letztlich erst dann, als der Musterstaat des real-existierenden Sozialismus bereits im Sterben begriffen war. Dieser Hinweis soll die damaligen Massendemonstrationen und den Mut der auf die Straße gehenden nicht schmälern. Probleme werden verschoben Aber so lange zu warten, bis die Probleme omnipräsent sind und erst dann zu handeln ist höchst gefährlich. Ich habe eingangs die Unterscheidung zwischen progressiv und an der Ratio orientiertem Konservatismus vorgenommen. Ich komme darauf noch einmal zurück. Die Zeiten eines grassierenden Positivismus, der eine klare und vollständige Erkennbarkeit der Welt postulierte, sind Gott sei dank vorüber. Ob in Physik, Mathematik oder Philosophie, überall stoßen die Wissenschaften an Grenzen der Erkennbarkeit, die zumindest eine gewisse Demut erheischt und den grenzenlosen Zukunftsoptimismus des 19., aber auch noch des 20. Jahrhunderts Lügen straft. Gleichwohl hat sich viel von diesen utopischen Vorstellungen auch in heutiger Zeit erhalten. Wenn ich hier zwischen konservativen und progressiven Denken unterscheide, dann sollen einige Beispiele zur Verdeutlichung dienen. Die kürzlich im Bundestag beschlossene Rentenreform bediente sich in ihrer Begründung der Formel: Die Reform sei nötig, eine bestehende Gerechtigkeitslücke zu schließen. Dies mag vielleicht sogar zutreffend sein. Der nüchterne Blick auf die Finanzierbarkeit des Umlagefinanzierten Rentensystems, auf seine jetzt schon bedenkliche Finanzielle Ausstattung, auf die jetzt schon Absehbaren aber gerne Verdrängten Probleme durch die zunehmende Überalterung durch den mit dem schamlosen Euphemismus benannten demographischen Wandel, dieser nüchterne Blick wurde einfach übergangen. Ralf Stegner, Sprachrohr des linken SPD-Flügels, log sogar gänzlich unbelastet – und wohl selbst noch von seinem zum Besten gegebenen Unsinn überzeugt – als er darauf hinwies, daß das beste Mittel gegen Altersarmut jetzt gute Lohnabschlüsse seien. Zum Verständnis des Umlagesystems: wenn jetzt viel in die Rentenversicherung durch verbesserte Lohnabschlüsse eingezahlt wird, vergrößert sich der Kuchen zu verteilender Mittel an Rentner jetzt. Daß dieser Kuchen durch die vermehrt spürbar werdende demographische Krise zukünftig zunehmend kleiner wird und immer weniger immer mehr einzuzahlen haben um ein gleichbleibendes Rentenniveau zu erhalten, daran ändern bessere Tarifabschlüsse nicht das Geringste. Höchstens ließe sich dergleichen auffangen, würden vermehrt Rücklagen in der Rentenversicherung geschaffen. Rücklagen, die gerade zur Finanzierung besagter Rentenversicherung für die nächsten zwei Jahre herangezogen werden. Heft 4 - 2014 Aus dem burschenschaftlichen Leben Nehmen wir das Beispiel Mindestlohn. Das Versprechen ist denkbar einfach: jeder, der Arbeit hat, soll einen Lohn bekommen, von dem ihm ein Leben ohne Aufstockung durch Hartz IV – um das sozioökonomische Existenzminimum zu erreichen – möglich ist. In einer Marktwirtschaft ist die Preisbildung von Angebot und Nachfrage abhängig. Dieser Preisbildungsmechanismus wird hier durchbrochen. Der höhere Lohn, auf das Produkt, in den meisten Fällen wohl auf die Dienstleistung darauf geschlagen, muß bezahlt werden. Und dies zahlt der Kunde, letztlich wir. Daß der Mindestlohn von der Mehrheit für gut befunden, daß jetzt aber Preissteigerungen von den Konsumenten bezahlt werden müssen, das ist eine so große Überraschung, die nur unwissende Menschen überraschen konnte. Und es sind unglaublich viele überrascht. Über den Euro ist schon so viel gesprochen worden, das es weh tut, daß die Probleme mit ihm immer noch nicht ausgestanden sind. Es hat die mahnenden Stimmung gegeben, die darauf hinwiesen, daß eine funktionierende Währungsunion Grundlagen braucht, die mit der Einführung des Euros nicht gegeben waren und die zwangsläufig zu den gravierenden Umverteilungslasten führen mußten, wie sie heute bestehen. Wunsch und Realität trafen sich, der Wunsch, die Utopie hat gewonnen und wurde schließlich doch von der Realität eingeholt. Seit vier Wochen in Folge finden sich in Dresden zunehmend mehr Menschen bereit, um auf die Konsequenzen der nicht vorhandenen deutschen Einwanderungspolitik aufmerksam zu machen. Die Mechanismen, wie mit dieser politischen Artikulation öffentlich umgegangen werden wird, sind bereits jetzt zu antizipieren: Die Menschen werden in ihren Sorgen nicht ernst genommen werden, unter dem Hinweis auf den Kampf gegen Rechts wird die berechtigte Forderung desavouiert, die politische Auseinandersetzung wird sich darauf einigen, daß es eigentlich kein Problem gäbe, die Demonstrationen nur unbegründete Ängste artikuliere, die es aufzuklären gelte. Und in Konsequenz wird es kein Einwanderungsgesetz geben, keinen Diskurs über die deutsche Einwanderungspolitik. Die Realität wird die deutsche Gesellschaft erst in Jahren einholen, wenn die Probleme für jeden offensichtlich geworden sind. Nehmen wir den Umgang mit der Türkei: Die Wunschvorstellung, daß sich dieses Burschenschaftliche Blätter Land demokratisiert und an Europa annähert, bis hin zu einer Aufnahme in die Europäische Union. Mit großen Beifall wurde das Handeln Erdogans in Deutschland begrüßt, gegen Militär und Justiz vorzugehen. Hierin wurde fälschlicherweise ein positives politisches Handeln gegen einen schlechten, autoritativen Auswuchs der Türkei gesehen, der dieses Land noch von Europa trennte. Daß Erdogan die Axt an die Wurzeln der kemalistischen Ordnung anlegte und sein politisches Handeln die Türkei von Europa wegführen würde, haben nur wenige gesehen und diese sind unter fadenscheinigen Gründen nicht in der medialen Öffentlichkeit beachtet wurden. Heute wiederum sind viele überrascht. Nehmen wir noch einmal das Schlachtanlagenbeispiel. Vegetarisch und vegan waren gestern. Pleistozän ist heute Mode. Die Intension des 37-Grad-Beitrages: selbst bei genauer Befolgung der Tierschutzvorschriften ist eine artgerechte Haltung nicht gegeben, die Massenproduktion bleibt ein Ärgernis, eine Zumutung, die eigentlich nicht hingenommen werden darf. Schöner wäre es, wenige Tiere lebten auf einem Hof, könnten über grüne Wiesen gackern, die Sauen könnten sich im Schlamm suhlen, ihr Leben leben, bevor sie vom Menschen verspeist würden. Über viele Jahrhunderte war dies wohl die Regel. Das müssen herrliche Zeiten gewesen sein! Es gab in der Bauernfamilie vielleicht zwei Mal im Jahr einen Braten, zu Weihnachten und Ostern. Und ansonsten höchstens am Sonntag eine Fleischeinlage im Eintopf. Ich komme aus Mitteldeutschland und kenne die Erzählungen meiner Mutter. Wie es bei ihr gewesen ist, sich ein Nutellaglas mit ihren Schwestern über ein Jahr lang zu teilen, bis das nächste von der Verwandtschaft aus dem Westen geschickt wurde. Fleischkonsum auf heutigem Niveau mit einer idyllischen Tierhaltung gleicht der Quadratur des Kreises. Sie ist nicht möglich. Diese Beispiele ließen sich durch ungeheuer viele weitere ergänzen, ich glaube aber, es wird deutlich, worum es mir geht. Das konservative Problem Politisches Handeln hat Konsequenzen und diese Konsequenzen zu benennen ist Aufgabe eines rationalen Bewertens der Wirklichkeit. Dies wäre die Aufgabe der Konservativen in diesem Land, damit ein Gegenpol zu all den Weltverbesserern und Gutmenschen entsteht. Einen Gegenpol, den dieses Land in den letzten Jahrzehnten so nötig gehabt hätte. Beschauen wir uns die Wirklichkeit einmal genau, kommen wir zu dem Schluß, daß viele der Probleme in unserem Land jenen Kulminationspunkt überschritten haben, der ein Zurück noch ermöglichen würde. Daher ist der Konservatismus auch so unattraktiv. Er entwickelt keine Visionen einer besseren Welt. Er bewertet höchstens, was sich bewährt, was erfolgreich ist und was Wert ist überwunden zu werden. Doch einen Konservatismus mit Visionen zu finden wäre Aufgabe unserer Generation. Es wäre eigentlich die Aufgabe der Generation vor uns gewesen, aber darüber brauche und möchte ich mich nicht hier näher auslassen. Daß sich der klare, nüchterne Geist, der gesunde Menschenverstand, der auf die Konsequenzen politischer Handlungen hinweist, so sehr ins Abseits hat stellen lassen, daß er sich dem herrschaftsfreien Diskurs, der letztlich ein autoritärer, gegen den Konservatismus gerichteter geworden ist, unterworfen hat, ist schade. Oder um eine deterministische Sichtweise ins Spiel zu bringen. Vielleicht war es auch unumgänglich. Vielleicht wurde er einfach nur geschichtlich überholt, überflüssig gemacht. Begünstigt hat diese Entwicklung zweifelsohne die innere Zerrissenheit unseres Lagers. Man kämpft lieber Gegeneinander, glaubt sich nach innen zu konsolidieren, und marginalisiert sich damit noch weiter. Ich finde es sehr schade, daß die ursprüngliche Planung zum Langemarck-Gedenken, einen breiten interkorporativen Dialog um die Frage der Zukunft des Konservatismus, nicht in die Tat umgesetzt wurde. Ich bin sozusagen das übriggebliebene Relikt dieser Planung. Und doch mahne ich für die Zukunft eine solche Veranstaltung an. Ohne sie, ohne unser Handeln, wird der Riß zwischen Realität und erhoffter Normalität immer größer, ohne daß er noch überbrückt werden kann. In diesem Zusammenhang wird gerne die Metapher benutzt: Es ist fünf vor zwölf. Dieses Bild hat sich erschöpft. Außerdem bin ich der Überzeugung, daß es bereits um eins ist. Eine andere Metapher halte ich für aussagekräftiger. Der Ertrinkende greift nach dem letzten Strohhalm. Wir sind die Ertrinkenden. Dies muß nicht heißen, daß keine rettende Planke uns doch noch zur Hilfe schwimmt. Nur ist die Hoffnung darauf meines Erachtens nicht mehr sehr groß. Farbenbruder David Steinmann (Georgia Erfurt 2011) war von 2007 bis 2010 Mitglied der Aachen-Dresdner Burschenschaft Cheruscia. Heft 4 - 2014 143 Aus dem burschenschaftlichen Leben Burschenschaftliche Blätter Viva Chile! Auf Anraten eines befreundeten Verbandsbruders der Burschenschaft Araucania Santiago de Chile und der Burschenschaft Cheruscia Dresden entschloß ich mich, im vergangenen Jahr meine Bewerbung für das Chile-Stipendium des BCB einzusenden, die auch prompt positiv beantwortet wurde. Als Gastburschenschaft war natürlich die Araucania als größte und älteste der Chilenischen Burschenschaften vorne mit im Rennen und die persönliche Bekanntschaft mit dem Araucano Francisco Bahamonde Birke („Ghollum“) tat ihr übriges. Gesagt, getan – mit großem Gepäck (unter anderem Skiausrüstung und Wanderstiefel) und einem Spanisch-Schnellkurs entstieg ich im März der Copa-Airlines Maschine und betrat das erste Mal in meinem Leben chilenischen Boden. Da sich mein Kurs-Spanisch direkt nach der Ankunft als völlig wirkungs- und nutzlos entpuppte, war ich sehr erleichtert, daß die Araucania zu meiner Ankunft ein kleines Vorauskommando zum Flughafen gesandt hatte. Die beiden Verbandsbrüder sprachen Deutsch als Muttersprache und so war ich zu Beginn positiv vom Deutschniveau „der Chilenen“ überrascht. Wie sich später herausstellte, sind nicht alle Verbandsbrüder so firm in der deutschen Sprache wie die beiden besagten Araucanen. Nach etwas unterkühlter Ankunft im Araucanenhaus und der ersten Nacht in einem ordentlichen Bett nach längerem Flug wurde ich freundlich aber reserviert den Verbandsbrüdern vorgestellt. Schnell wurde mir klar, daß die Sprachbarriere weniger ein reell vorhandenes (alle Aktiven der Araucanen sprechen ein gut verständliches Deutsch) als soziales Phänomen ist. Wenn eben abends im Kabuff „Chucha la wea!“ ertönt, nützt es einem wenig um eine kurze Übersetzung zu bitten. Glücklicherweise brauchten wir uns nur ein wenig zu beschnuppern und nach wenigen Wochen fühlte ich mich bereits pudelwohl bei „meinen“ Chilenen. Auch die Sprachbarriere sollte nicht von Dauer sein, eine weibliche chilenische Bekanntschaft, die glücklicherweise kein Deutsch und wenig Englisch sprach, lehrte mich mehr Spanisch (Si po!), als es drei Wochen Spanischkurs wohl je vermocht hätten. ner“ zu sein, wird hier wirklich mit Inhalt gefüllt und bleibt keine Phrase. Davon überzeugt, als Stipendiat auch etwas für mein Stipendium tun zu müssen, begann ich bald mit der Vorbereitung und Durchführung mehrere Deutschkurse bei den verschiedenen Burschen- und Mädchenschaften hier in Chile. Die Lernbereitschaft und Wißbegierigkeit der Teilnehmer überraschte mich und ich hoffe, andere Stipendiaten nach mir werden diese fruchtbare Arbeit fortsetzen. Auch die Reiselust wurde gestillt, abseits ausgetretener „Gringo“-Pfade erkundete ich Argentinien, Paraguay und Bolivien. Besonders dankbar bin ich aber über drei großartig verbrachte Wochen im Süden auf dem Hof der Familie Marchant. Dort habe ich vielleicht mehr über Chile, seine Geschichte und seine Menschen gelernt, als es mir sonst möglich gewesen wäre. Ich scheide mit mehr als einem weinenden Auge und vielen guten Freunden im Gepäck. Schnell wurde mir klar, daß hier in Chile das freie Wort wirklich noch gilt. Die Bandbreite vertretener politischer Meinungen in der Araucania war für mich faszinierend. Vom überzeugten Kommunisten bis zum beinharten Nationalisten waren alle Spektren politischer Meinungsbildung vertreten. Der Grundsatz, ein „Bund frei denkender Män- Viva Chile! Heil BCB! Jörg Sobolewski (Gothia Berlin 2010) X. Bielefelder Ideenwerkstatt zum Thema Energiewende „Die Energiewende – Jahrhundertprojekt zwischen Notwendigkeit, Hysterie und Machbarkeit“ lautet der Arbeitstitel der X. Bielefelder Ideenwerkstatt. Am Samstag, 25. Oktober beleuchtete der ehemalige „ZDF-Wetterfrosch“ Dr. Wolfgang Thüne, der emeritierte Bielefelder Universitätsprofessor Dr. Joachim Radkau, Professor Dr. Lutz Hofmann von der Universität Hannover sowie Markus Brall das Themenfeld aus verschiedenen Blickwinkeln. Nach einer kurzen Einführung durch den Aktivensprecher, der vor allem auf (umwelt)rechtliche Probleme einging, startete Verbandsbruder Brall, Mitglied der Burschenschaft Normannia-Nibelungen zu Bielefeld, mit seinem Vortrag. Als Projektentwickler bei der EFI Wind GmbH begleitet er den Prozeß von der Planung bis zur Realisierung einer Windkraftanlage. Wie komplex die Errichtung einer Windkraftanlage in der Praxis ist, dürfte viele Zuhörer überrascht 144 haben: Von den ersten Planungsschritten bis zur Fertigstellung dauert es mindestens vier Jahre. Doch nicht nur die Standortsuche, die baurechtlichen Vorgaben und die technische Umsetzung stellen große Herausforderungen dar – um die produzierte Energie auch dem Endkunden effektiv zur Verfügung stellen zu können, fehlen in Deutschland Stromtrassen. Zudem stammen viele Überlandleitungen zumeist noch aus den 1950er und 1960er Jahren. Zwar gibt es für die Windkraftanlagenbetreiber einen gesetzlichen Anspruch an den Anschluß an das Stromnetz – der kann jedoch auch mehrere Kilometer weit von der Anlage weg sein. Brall weist darauf hin, daß die politisch gewollte Energiewende ein Schnellschuß der Regierung war. Im Bereich der Energieversorgung habe die Politik 20 Jahre Entwicklung verschlafen. Die Mehrkosten haben nun die Verbraucher zu tragen. Der Historiker Prof. Dr. Joachim Radkau referierte über die Kernenergie-Kontroverse und was man daraus beim Umgang mit der Energiewende lernen könne. Radkau, einst selbst Anhänger der Kernenergie, vermittelte einen geschichtlichen Blick auf die Bewertung der Kernenergie. So gab es in den 50er und 60er Jahren ein durchaus positives Bild in der Gesellschaft zur Kernkraft. Kritik daran kam komischerweise vor allem aus der RWE-Konzernspitze. Der emeritierte Professor der Universität Bielefeld beschrieb im folgenden, wie sich die gesellschaftlichen Positionen zur Atomkraft wandelten. Dabei gab Radkau den Teilnehmern auch einige amüsante Anekdoten zum besten. Er verwies aber darauf, daß bei der Energiepolitik – wie in jedem politischen Bereich – die jeweiligen Experten auch meist Lobbyisten für eine Sache sind. Dieses Problem gelte es zu beachten, früher wie heute. Denn auch die anscheinend objektive Wahrheit sei häufig Interessen-gebunden, des weiteren können sich auch „Wahrheiten“ als vergänglich erweisen. Anschließend folgte noch eine Heft 4 - 2014 Aus dem burschenschaftlichen Leben Burschenschaftliche Blätter kleine Diskussionsrunde, da Professor Dr. Radkau am Nachmittag bereits wieder abreisen mußte, bevor es in die Mittagspause ging. Der Meteorologe und ehemalige „ZDFWetterfrosch“ Dr. Wolfgang Thüne prangerte im dritten Vortrag des Tages die „Propheten im Kampf um den Klimathron“ – so auch der Titel seines aktuellen Buches – an, die mit Ängsten um Geld und Macht kämpften. Aber: „Einen Meteorologen nach dem Klima zu fragen“, so Thüne, „ist wie einem Mediziner nach Gespenstern.“ Dennoch gehe ein Geist um in Europa, der Geist des „Klimawandels“. Diese, an Marx angelehnte Zitat, verdeutliche jedoch den politischen Irrglaube, denn: „Das Klima gibt es nicht!“, so Thüne, der Mitglied in drei katholischen Studentenverbindungen ist. Und der Mensch könne es auch nicht (ver)ändern. Stattdessen würden Wetterdaten aus verschiedenen Epochen von selbsternannten Klimaexperten verglichen und daraus eine moralisierende Handlungsempfehlung für die Gegenwart abgeleitet. „Eine CO²-freie Welt wäre eine tote Welt!“, mahnt der Wissenschaftler Thüne. Ohne das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid gäbe es – wie ohne Licht und Wasser – kein Wachstum auf diesem Planeten. Professor Dr. Lutz Hofmann, Mitglied der Hannoverschen Burschenschaft Alt-Germania (NDB), referierte über die Herausforderungen und Lösungsansätze beim für die Energiewende notwendigen Netzausbau. In seinem technisch versierten Vortrag erläuterte er die Funktionsweise der Stromnetze sowie die technischen Anforderungen und Probleme beim Transport von Strom. So habe sich dessen Verteilungsstruktur geändert – nicht mehr nur von Der emeritierte Professor Dr. Joachim Radkau – einst Anhänger der Kernenergie – sprach über die Geschichte der Kernenergie-Kontroverse. oben nach unten, sondern durch die Energiewende auch von unten nach oben, bei viel Wind und Sonne. Die neuen Energiequellen führten zu wachsenden Unsicherheiten im Stromnetz. So muß die Netzspannung stabil sein, bei einem großem Ausschlag nach oben oder unten drohe ein vollständiger Stromausfall (Blackout). Um dem entgegenzuwirken ist ein Netzausbau dringend notwendig. Dazu bedürfe es mehrerer zehntausend Kilometer neuer Stromtrassen. Dies ließe sich jedoch nicht von heute auf morgen ändern. Und so werde der Import und Export von Strom in Europa, auch auf Grund der Liberalisierung des Strommarktes, weiter zunehmen, um eine sichere Energieversorgung zu garantieren. Zum Abschluß folgte noch eine Podiumsdiskussion. Dr. Thüne, Prof. Dr. Hofmann und Brall stellten sich den Fragen der rund 50 Teilnehmer. Unter ihnen waren nicht nur eine Vielzahl Korporierter aus verschiedensten Verbindungen und Verbänden, die zum Teil aus ganz Norddeutschland anreisten, sondern mit dem Pressesprecher des Kernkraftwerkes Emsland auch ein externer Fachmann. Die X. Bielefelder Ideenwerkstatt konnte somit zu ihrem kleinen Jubiläum wieder alte und neue Gesichter auf das Haus in die Schloßhofstraße locken und mit fachkompetenten und sympathischen Referenten den politischen Anspruch der Burschenschaft verdeutlichen. Dirk Taphorn (Normannia-Nibelungen Bielefeld 2003/ 2004) Die korporierten Referenten Dr. Wolfgang Thüne, Marcus Brall und Professor Dr. Lutz Hofmann. Heft 4 - 2014 145 Geschichte Burschenschaftliche Blätter Rossinis Musik in revolutionären Geschehnissen des 19. Jahrhunderts Aber Politik und Theater sollten sich auch nahe berühren. Von Bernd-Rüdiger Kern I. Einleitung Der Beitrag soll nicht Rossinis Verhältnis zu den zahlreichen Revolutionen oder revolutionären Ereignissen, die er erlebte, beleuchten. Vielmehr soll gezeigt werden, wie Rossinis Musik von Revolutionären eingesetzt wurde oder auch in Umbruchzeiten wirkte. Das bekannteste Beispiel dürfte die Umarbeitung der szenischen Kantate Il viaggio a Reims zur Oper Andremo a Parigi? sein, die 1848 am Théâtre Italien in Paris gespielt wurde. Die Reisegesellschaft will nicht zur Krönung nach Reims fahren, sondern selbstverständlich nach Paris auf die Barrikaden. Die im Folgenden mitgeteilten Funde sind sicherlich bei weitem nicht erschöpfend, sondern Früchte, die bei sonstigen Arbeiten zufällig abfielen. Dass alle drei Beispiele aus dem damaligen Deutschland stammen, ist gewiss auch nicht symptomatisch, sondern gleichfalls zufällig, wie schon im einleitenden Absatz aufgezeigt. II. Das Hambacher Fest Die ersten größeren politischen Unruhen im Deutschland des Vormärz gipfelten 1832 im Hambacher Fest, das als verspäteter Nachfolger der französischen Julirevolution von 1830 angesehen werden kann und das dreißigtausend Teilnehmer auf dem Hambacher Schloß bei Neustadt in der Pfalz zusammenführte. Politische Reden wurden gehalten und immer wieder „die eigens zum Fest gedichteten Lieder gesungen“. Zu diesen Liedern gehörte Das deutsche Treibjagen („Fürsten, zum Land hinaus!“), das kurz vor dem Hambacher Fest entstanden war und dort jedenfalls gesungen wurde. Den Text mit seinen 23 Strophen verfaßte Hartwig Hundt-Radowsky nach Jakobinerart – „Ça ira, ça ira, les aristocrats à la lanterne“ – und veröffentlichte ihn 1832 in Straßburg. Auch nach dem Hambacher Fest blieb es in der Pfalz sehr populär, wurde aber auch von der im Untergrund wirkenden Burschenschaft gesungen, obgleich es von Anfang an unterdrückt wurde und das Absingen verboten war. Der Burschenschafter und Dichter Fritz Reuter sang in der Zeit die folgende Textvariante (2. Strophe): „Erst hängt den Kaiser Franz, | dann den im Siegerkranz | auf, auf, auf!“. Das führte zu einer Anklage wegen Majestätsbeleidigung. Da sich 1833 beim Verhör eine „Erinnerungslücke“ einstellte, wurde die bereits verhängte Todesstrafe in eine 30-jährige Festungshaft um- 146 gewandelt. In Deutschland konnte das Lied daher legal nicht gedruckt werden, so daß sich nur wenige Flugblätter erhalten haben. Im Exil kam es allerdings zu einigen Veröffentlichungen. Heinrich Albert Oppermann veröffentlichte unter dem Pseudonym Hermann Forsch 1835 drei harmlose, unpolitische Strophen: „Das erste Lied, was man sang, war das bekannte Hambacher [..] Die ersten 37 Strophen müssen wir aus bekannten Gründen hier weglassen, dagegen wollen wir einige unschuldigere und nicht so derbe Verse hier hersetzen.“ Zu weiteren politischen Ereignissen wurden neue Strophen hinzugedichtet, so etwa in der Revolution von 1848. In den Gesangsbüchern der studentischen Verbindungen tauchte das Lied ab 1858 nicht mehr auf, auch nicht in der „DDR“. Lange Zeit unklar war die Herkunft der Komposition, wobei die Lage noch dadurch zusätzlich erschwert wurde, daß es mehrere Gesangsfassungen gibt. 1998 jedenfalls wurde zur CD-Einspielung des Deutschen Volksliedarchivs noch vermerkt: „Mel.: Walzer unbek. Herkunft“. Dabei gab es bereits in der von Forsch zitierten Schrift eine vage Andeutung, hieß es doch an der mit Auslassungszeichen gekennzeichneten Stelle: „Davon wurde der erste Vers nach der feierlichen Melodie „god save the king“, der zweite aber nach der schnellfüßigen Hambacher, aus dem Figaro genommenen Weise gesungen.“ Um welchen Figaro es sich handelte, läßt sich schon aus einem durchaus nützlichen Hinweis im Straßburger Druck von 1832 erschließen: „Tonangabe: «Ha, bravo, Figaro!»“ Die Veröffentlichung von 1841 enthält für dieses Lied – anders als bei anderen dort aufgeführten Liedern – keine Angabe zur Melodie. Aufschluß gibt erst die Publikation derselben durch die Gebrüder Kröher, auch wenn der Vermerk dazu in die Irre führend und falsch ist: „Melodie: Volksweise“. stimmen in der Stretta des Ensembles vorkommt. Mit diesem Ausschnitt erklärt sich auch die Verwendung dieser fröhlichen Buffa-Melodie für ein ernstes Lied. Zunächst könnte man an freiheitsnähere Rossinimelodien etwa aus Guillaume Tell oder Le Siège de Corinthe denken. Aber es wurde ein Walzer verwendet: „Kraftvoll und spöttisch“. Deutlich wird der Sinn bei der Lektüre der deutschen Übersetzung des Librettotextes: „Der Narr ist von Sinnen, der Narr ist von Sinnen, wir sind nun verstanden.“ Die Übernahme dieser Textstelle verschärft also die Majestätsbeleidigung des Textes noch einmal deutlich. Die ungeheure Popularität dieses Liedes in der Pfalz unterstreicht noch eine weitere Tatsache. 1832 erschien im Musikverlag Schott in Mainz ein „2ter Hambacher Favoritwalzer für das Piano Forte über ein Thema von G. Rossini“. Das verwendete Thema im „Trio“ ist das des Liedes. Über den Arrangeur des Liedes und den Komponisten des Walzers ist nichts zu ermitteln. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus dem Quintett von Rossinis Il barbiere di Siviglia, was freilich nicht so leicht zu erkennen ist, da die Melodie nur in den Ober- Heft 4 - 2014 Geschichte III. Die Revolution von 1848/49 In Breslau wurde im März 1848, in den ersten Tagen der Revolution, eine angekündigte Aufführung des Rossinischen Tell durch Verfügung des schlesischen Oberpräsidenten Wilhelm Felix Heinrich Magnus v. Wedell verboten. Grund dafür war, daß es im Vorfeld öffentliche Auseinandersetzungen während einer Versammlung gegeben hatte. Darüber hinaus traute die Regierung der ungewöhnlichen Ruhe am Faschingsdienstag nicht. Die lapidare Meldung der «Frankfurter Oberpostamts-Zeitung» lautete: „Durch eine Verfügung vom hiesigen königl. Polizei-Präsidium ist die für heute angekündigte Aufführung der Oper ‚Wilhelm Tell’ untersagt worden.“ An diesem Tag verbreitete sich in Breslau „das Gerücht, der bekannte Volksmann Graf Reichenbach würde im Theater erscheinen und eine Demonstrationsrede an das Publikum halten. Die ‚gefährliche‘ Oper mußte auf Befehl der Polizei in letzter Stunde abgesetzt werden und da eine andere Vorstellung in der Eile nicht möglich war, so fiel sie ganz aus.“ Am 24. März 1848 wurde die Oper dann aber doch aufgeführt: „An dem Abend dieses Tages war das Breslauer Theater der Schauplatz einer seltenen Feier und eines Volks-Enthusiasmus, wie wir ihn seit 1813 in Breslau nicht gesehen haben.“ Mit diesen Worten beginnt der Bericht des Breslauer Kaufmanns Karl Friedrich Hempel (1789–1851) über die Geschehnisse. Im Folgenden beruft er sich auf eine nicht näher definierte Schilderung: „Es schien“, sagt ein Berichterstatter, „nicht ein Theater-Publikum sich versammelt zu haben, nicht Menschen, die gleichgültig und zufällig nebeneinander sitzen und da gekommen sind, um einige Stunden durch Heft 4 - 2014 Burschenschaftliche Blätter Sinnenreiz zu tödten. Nein! eine einzige große Familie war es, die sich versammelt hatte, um ein heiliges, für alle Glieder gleichen Antheil bietendes Fest zu feiern; die morschen Schranken der verschiedenen Stände schienen gefallen und alle wollten nur für einen Zweck für ein edles Gefühl sich einen. Ein Volksfest war es, dessen Sinn man nicht allein in der freudigen Stimmung erkannte, sondern auch in allen Äußerlichkeiten, wie die glänzenden Toiletten der Damen, geschmückt mit Bändern deutscher und des Landes Farben, das schönste Zeugniß gaben.“ Das Theater selbst war festlich decorirt und erleuchtet; in der Mitte, der Bühne gegenüber, entfaltete sich mächtig das Banner Deutschland in seiner dreifarbigen Pracht. Als der Vorhang sich erhob, war auf der Bühne das sämtliche Opern-Personal im altdeutschen Costum und welches Fahnen deutscher Farben trug, in einem Halbkreis aufgestellt. (sic!) Herr Heese, ein junger talentvoller Schauspieler, als Genius der jungen deutschen Freiheit, trat vor und sprach, eine dreifarbige Fahne in der Hand, schön und erhebend den hierauf sich beziehenden Prolog von Lasker. Nachdem dieser mit dem allgemeinsten Beifall aufgenommen worden, sang Herr Rieger den Festgesang „Ich bin ein Deutscher, kennt ihr meine Farben“, ebenfalls von unserem Landsmann Lasker gedichtet. Das Publikum, förmlich electrisirt, sang im vollen Chor den Refrain mit und verlangte stürmisch die Wiederholung, die dann auch, gleichen Enthusiasmus erzeugend, erfolgte. Hierauf begann die Oper „Wilhelm Tell“, die von unserem peinlichen, engherzigen Ober-Präsidenten noch vor wenigen Tagen aufs strengste verboten worden und deren flammensprühende Musik ganz für die heutige Stimmung geeignet war. Nach dem ersten Akt stimmte die Versammlung zum dritten Mal den Laskerschen Festgesang an und nach dem zweiten Akt verlangte es die Marseillaise und beruhigte sich nicht eher, bis das Orchester nachgab und das französische Volkslied spielte. Letzteres wurde später von der gesamten Presse scharf getadelt. Aus anderen deutschen Städten sind keine derartigen Zwischenfälle überliefert. Das liegt nicht etwa daran, daß die Oper nicht gespielt wurde. Vielmehr gab es 1848 zahlreiche Aufführungen. In Frankfurt am Main etwa wurde die Oper am 30. März 1848 am Vorabend der Versammlungseröffnung in der Frankfurter Paulskirche im Stadttheater aufgeführt. Erst 1849 ging die Zahl der Aufführungen etwas zurück. Die Oper wurde aber zumindest an vier Hofopern gespielt. Aber auch außerhalb der Theater wurde Rossinis Musik 1848 für politische Zwecke eingesetzt, vermutlich weil seine Musik immer noch sehr populär war. Am 7. August 1848 kam es im Orangeriehaus zu Bessungen bei Darmstadt zu einer „Großen musikalischen Aufführung zum Besten der deutschen Kriegsflotte“, zu dem der Melomanen-Verein einen Trinkchor – vermutlich aus Le Comte Ory – von Rossini beisteuerte. Damit wurde Rossinis beliebter, aber gänzlich unpolitischer Chor für eine eminent politische Sache vereinnahmt, handelte es sich doch um ein Benefizkonzert zugunsten der von der Frankfurter Nationalversammlung gewollten deutschen Kriegsmarine im Zusammenhang mit dem Schleswig-Holsteinischen Krieg (1848–1851). IV. Schluß Die wenigen, aber markanten Beispiele haben gezeigt, daß die Musik Rossinis und die Aufführungen seiner Opern durchaus geeignet waren, in revolutionären Zeiten als Brandbeschleuniger zu dienen. Das ist für die „gefährliche“ Oper „Wilhelm Tell“ leicht verständlich, „weil die Bezüge zur aktuellen politischen Situation so einfach hergestellt werden konnten“. Daß dazu aber nicht nur geeignete Stoffe und martialische Musikstücke dienten, verblüfft auf den ersten Blick, läßt sich aber aus dem spöttischen, ironischen Charakter leicht erklären. Auch wenn die Unruhen in Breslau nicht die Auswirkungen von Aubers La Muette de Portici hatten, die es immerhin zum Auslöser der belgischen Revolution brachte, so zeigt sich doch auch hier eindrücklich die gesellschaftliche und politische Bedeutung von Musik im 19. Jahrhundert. Unser Autor Professor Dr. Bernd-Rüdiger Kern studierte Rechtswissenschaft an der Universität Heidelberg und war nach dem ersten juristischen Staatsexamen 1974 Assistent am Institut für Rechtsgeschichte an der Universität Berlin. Anschließende Tätigkeit als Referendar am Kammergericht Berlin und zweites Staatsexamen im Februar 1978. Danach Assistent bei Prof. Laufs in Heidelberg und Promotion im Jahre 1980 sowie Habilitation 1988 in Tübingen. Von 1993 an Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Rechtsgeschichte und Arztrecht der Universität Leipzig. Seit Oktober 2014 ist Professor Dr. Bernd-Rüdiger Kern emeritiert. 147 Geschichte Burschenschaftliche Blätter Interview mit Vbr. Maximilian Krauss können, aufgehalten zu werden. Ich glaube, das wäre ein System, das für beide Gruppen am besten wäre und an dem ist nichts rassistisch. Das ist einfach ein Gebot der Stunde. BBl: Die SPÖ möchte Sie ja, entgegen der gesetzlichen Regelungen, einfach nicht zulassen zu dem Amt, für welches sie vorgeschlagen wurden. Was meinen Sie, ist das Taktik oder Realitätsverweigerung? Krauss: Naja, wir haben im Wiener Schulsystem die Situation, daß alle Zahlen, die wir haben katastrophal sind. Wir sehen, daß ein Drittel aller 14- bis 15-Jährigen nach neun Jahren Schulbildung immer noch nicht sinnerfassend lesen und schreiben kann. Wir erleben, daß wir eine extrem hohe Rate an Schulabbrechern haben und daß auch von Denjenigen die in Wien eine Schule abschließen überdurchschnittlich viele in der Folge arbeitslos werden. Mehr als 10 Prozent aller Jugendlichen in Wien sind arbeitslos, was weit über dem Bundesschnitt in Österreich liegt. All das sind Dinge wofür die SPÖ mit ihrer Stadtschulratspräsidentin Brandsteidl Verantwortung trägt. Und hier wollen sie natürlich nicht, daß die FPÖ im Stadtschulrat Kontrolle ausüben kann. Denn sie könnte ja auf Schüler zugehen und weitere Missstände aufdecken und in der Folge auch die richtigen Problemlösungen durch direkte Gespräche mit den Schülern finden. Das Einzige was eigentlich gegen Sie vorgebracht wird, ist die Nazi-Keule und die beruht in ihrem Fall lediglich darauf, daß sie Burschenschafter sind. Jetzt wird die FPÖ deshalb natürlich nicht einknicken und einen anderen nominieren. In der BRD läuft so etwas jedoch anders. Dort hat zum Beispiel die CDU den Berliner Staatssekretär Michael Büge, nach einer linken Hetzkampagne gegen ihn, hinausgeworfen weil er Burschenschafter ist. Wo sehen sie da die Unterschiede zwischen der Bundesrepublik und Österreich? Ich muß ganz ehrlich sagen, daß ich den konkreten Fall in der CDU jetzt nicht genau kenne. Ich weiß allerdings, daß es in der Bundesrepublik einen noch viel größeren Gegenwind gibt, wenn man in einer Studentenverbindung ist und daß es einem dort seitens der Medien und der linken Gesellschaft noch schwieriger gemacht werden soll. Ich bin allerdings froh, daß wir in Österreich die FPÖ haben, die es fördert, daß auch Farbenstudenten bei uns in Ämter kommen können und die hier nicht in die Knie geht, sondern die dafür steht, daß Burschenschafter und andere Couleurstudenten, so wie alle anderen Personen auch, öffentliche Ämter bekleiden und sie repräsentieren können. Ich sage ganz klar: Wir leben in einer Demokratie und da muß es möglich sein, auch als Burschenschafter ein Amt zum Beispiel im Stadtschulrat bekleiden zu können. 148 Maximilian Krauss (21) ist Bezirksvorsitzender der FPÖ Wien-Josefstadt, Stellvertretender Bundesvorsitzender des Rings Freiheitlicher Jugend, sowie Aktivensprecher der Wiener akademischen Burschenschaft Aldania. Die FPÖ ist zweitstärkste Fraktion im Wiener Landtag und Gemeinderat. Als solche hat sie laut Landesverfassung das Vorschlagsrecht für das Amt des Stadtschulrats-Vizepräsidenten. Die SPÖ weigert sich jedoch Krauss anzugeloben und hat eine mediale Hetzkampagne gegen ihn angezettelt. Einen solchen Fall gab es bisher noch nicht. Die Freiheitlichen stehen zu Krauss und haben deshalb eine Verfassungsklage eingereicht. Sie sprechen ja diverse Probleme im Schulsystem, auch die heißen Eisen, ganz klar an. So möchten sie zum Beispiel die Anzahl an Schülern ohne ausreichende Deutschkenntnisse pro Klasse begrenzen. Da meinen jetzt viele das sei rassistisch. Was sagen sie dazu? Die Rassismus-Keule ist natürlich bei Linken beliebt wenn man als Patriot oder als konservativer, rechter Politiker Fehler aufzeigt, die die Linken verursacht haben. Wenn wir uns einmal das konkrete Problem ansehen, haben wir wie gesagt in Wien ein Bildungssystem, das überhaupt nicht funktioniert. Hier müßte man einmal anfangen, indem man sagt: Zuerst Deutsch, dann Schule! In den Schulunterricht sollte nur einsteigen dürfen, wer bereits Deutsch kann. Und das ist auch nicht rassistisch, denn so ein System wäre für alle von Vorteil. Sowohl für die Schüler die bereits Deutsch können, die autochthonen und die gut integrierten, als auch für die Schüler, die noch nicht Deutsch können und dann in einer verpflichtenden Deutsch-Lernklasse die Möglichkeit haben, das nachzuholen. Denn was passiert denn heute? Derzeit haben wir in sehr vielen Klassen die Situation, daß 50 bis 70 Prozent der Schüler dem Unterricht nicht folgen können, weil sie die Unterrichtssprache nicht verstehen. Die werden eine Weile lang mitgeschliffen, haben dann aber keinen Schulabschluß und werden arbeitslos. Das ist auch nicht zum Vorteil dieser Schülerinnen und Schüler. Außerdem sage ich, daß auch die autochthonen Schüler ein Recht darauf haben, ab der ersten Klasse gute Bildung zu genießen und nicht von denen, die dem Unterricht nicht folgen Es gab vor kurzem einen Fall in einer islamischen Schule, bei dem ein Lehrer hinausgeworfen wurde, weil er Musik unterrichten wollte, was im Islam verboten ist. Es entstehen immer mehr islamische Privatschulen, aber auch der Islamunterricht an öffentlichen Lehranstalten wird immer mehr kritisch betrachtet, weil hier vermehrt fragwürdige Lehrinhalte auftauchen. Wie stehen sie dazu, ist es sinnvoll so etwas weiter zu fördern? Man muß einerseits zuerst einmal sagen, daß es im Islam auch gemäßigte Formen gibt und viele Muslime, die mit diesen radikalen Auswüchsen nichts zu tun haben. Andererseits erleben wir allerdings, daß es in Wien bereits 21 Kindergärten gibt, die unter salafistischem Einfluß stehen sollen. Wir erleben, daß in einer islamischen Schule ein Lehrer gefeuert wird, weil er den Musikunterricht durchführen will. Also das sind unfaßbare Zustände, die ich weder in Österreich, noch in der Bundesrepublik, noch sonst irgendwo in Europa dulden möchte. Hier sind alle Freiheitsparteien europaweit gefragt, um derartige Entwicklungen aufzuzeigen und ihnen massiv entgegenzutreten. Wir in Wien haben beispielsweise letzte Woche eine Kundgebung durchgeführt, bei der wir gegen eine radikale Imamschule demonstriert haben, die demnächst eröffnet werden soll. Durch unseren Druck, den wir auch auf die Straße gebracht haben, haben wir bereits erreicht, daß auch der Stadtschulrat sowie die SPÖ und die ÖVP bereits zu dieser Imamschule Nein sagen. Das ist ein Verdienst, den wir Freiheitlichen uns auf die Fahne heften können, denn ohne uns hätte diese Mißstände und dieses konkrete Problem sicherlich niemand aufgedeckt. Sie haben erwähnt, daß die Linken die Probleme, die sie selber geschaffen haben, im Schulsystem und generell in der Gesellschaft, totschweigen wollen. Auch die Lehrinhalte sind dahingehend oft ideologisch gefärbt. Es wird sogenannte Geschichtspolitik betrieben, generell wird im Deutschunterricht und in allen geisteswissenschaftlichen Fächern ein gewisses linkes Weltbild vermittelt. Ja, generell vertrete ich die Ansicht, daß politische Bildung, wenn sie in der Schule stattfindet, unparteiisch sein muß. Was wir allerdings erleben ist, daß sehr viele Lehrer auf Schüler direkten Einfluß nehmen. Ich Heft 4 - 2014 Geschichte / Leserbriefe / Personalien Burschenschaftliche Blätter habe sehr viele Fälle wo sich junge Menschen an uns Freiheitliche wenden oder auch an mich als Schüler-Ansprechpartner und erzählen, daß von ihren Lehrern Druck ausgeübt wird. Weil man sich in Diskussionen zur FPÖ bekennt, weil man sagt, daß es Mißstände gibt oder weil man eben einfach kein Linker ist. Das hier seitens der Lehrerschaft in vielen Fällen keine Unparteilichkeit gegeben ist, ist schon einmal die erste Un- glaublichkeit. Der zweite Skandal, den ich hier sehe, ist, daß beispielsweise im Geschichtsunterricht in Österreich überlegt, und teilweise auch bereits praktiziert wird, nicht mehr über die Türkenkriege zu berichten, die es ja historisch gegeben hat 1529 und 1683. Schon damals standen der radikale Islam und die Türken vor Wien und heute soll man nicht mehr davon sprechen dürfen, weil sich manche neue Mitbürger Leserbriefe auch wenn die Gefahr besteht, daß die Deutsche Burschenschaft und der Einzelbund dabei geschädigt werden. Genau diese Opferbereitschaft ist doch grundlegend für uns Burschenschafter. Gerade auch vor 1848, wo heftigste Repressionen zwar die Bünde zerstören konnte, nicht aber den Geist dahinter. Das ist unsere heroische Zeit, von deren Geist allein wir zehren müssen. Genauso die Burschenschafter, die 1921 in Oberschlesien kämpften, ohne gerufen worden zu sein. Nur die innere Pflicht fühlend, die ihnen das Vaterland nicht abverlangte, welches im Gegenteil sogar versuchte sie an der Ausführung derselben zu hindern. Das sind die Mythen, die mich dazu bewegten Burschenschafter zu werden. Ein Hauptproblem bei der Durchführung, der im Artikel beschriebenen Aktionen, ist sicherlich die fehlende Struktur. Man müßte dazu einen Kreis innerhalb der Deutsche Burschenschaft bilden. Eventuell sollten auch Bünde die nicht in der Deutsche Burschenschaft sind beziehungsweise nicht in diesem Kreis mitarbeiten, einen Ansprechpartner haben, um zu melden, daß an ihrer Hochschule Aktionen gegen Burschenschaften geplant sind. Gerade darin sehe ich auch eine Perspektive, daß man, durch Aktionen an Hochschulorten mit ausgetretenen Bünden, diese eventuell wieder in Richtung Deutsche Burschenschaft bewegen könnte. Als Beispiel: Ich bin just nach Rostock gewechselt, dort gab es bei der feierlichen Immatrikulation in der Marienkirche ein AStA/Fachschafts/StuRa/Antifa-Aufgebot vorm Eingang der Kirche, welche mit Ban- Zu: Plädoyer für eine offensive Burschenschaft, Bbl 1+2/2014 Vorweg muß ich sagen, daß ich den Artikel mit außerordentlicher Begeisterung gelesen habe – er sprach mir aus dem Herzen. Bei bundesinterner Diskussion sind, wie Verbandsbruder Hoewer vorausgesehen hat, die Reaktionen durchaus sehr geteilt. Die einen stimmen der Idee, einer offensiveren Burschenschaft, voll und ganz zu, die anderen halten das für blinden Aktionismus. Der Hauptunterschied zwischen diesen beiden Ansichten, deren Vertreter sich quer auf Altherrenschaft und Aktivitas verteilen, liegt meinem Empfinden nach darin, daß die einen ihr Augenmerk vor allem auf die Zukunft des Einzelbundes richten, die anderen, zu denen ich gehöre, zusätzlich auf die Zukunft der burschenschaftlichen Bewegung, als ernstzunehmenden politischen Faktor. Man will den Bund und die Deutsche Burschenschaft nicht in die Schußlinie der veröffentlichten Meinung bringen. Ich hingegen meine erkannt zu haben, daß die burschenschaftliche Bewegung, ihrem Wesen nach, genau in dieser Schußlinie stehen muß. Weiter bin ich durchaus der Überzeugung, daß es der burschenschaftlichen Tradition entspricht, für die Dinge, die man als richtig erkannt hat, mit Leib und Seele einzustehen. Daß man für diese Dinge streiten muß, Personalien Erich Stadler zum 75.Geburtstag Am 14. April 2014 vollendete Dipl.-Ing. Erich Stadler sein 75.Lebensjahr. Aktiv war er ab 1958 bei der Prager Burschenschaft Arminia, damals in München. Aktiv ist Erich Stadler inzwischen im sechsten Jahrzehnt. Regelmäßig nimmt er an den Veranstaltungen seiner Burschenschaften teil, kommt nach Bochum, nach Dresden zur Burschenschaft Cheruscia, deren Band er seit 1993 Heft 4 - 2014 davon beleidigt fühlen könnten. Ich sage das ist auch unglaublich und das darf nicht sein, denn Geschichte hat so unterrichtet zu werden wie sie war und nicht beschönigt zu werden, nur weil es manchen nicht paßt. Das Gespräch führte der Journalist Waffenbruder Georg Immanuel Nagel (Akad. Corps Posonia Wien) neraufschriften wie „Gegen Burschis“ und „Für Vielfalt“ gegen „anti-emanzipatorisches Gedankengut“ protestierten. Vor dem Eingang der Marienkirche, chargieren zu diesem Anlaß traditionellerweise einige Rostocker Verbindungen. Dieses Jahr war wohl nur noch die Burschenschaft Obotritia vor Ort. Würde man nun die örtlichen Bünde durch Anwesenheit und Gegenaktionen unterstützten, würde das vielleicht positiv von diesen Bünden aufgenommen. Ob dem so wäre, müßte man natürlich vorher klären. Dabei würden, denke ich, zwei Dinge offenkundig: 1. Kommt man durch DB-Austritt nicht aus der Schußlinie egalitärer Kräfte. 2. Steht man mit der Deutsche Burschenschaft nicht alleine da. Der zweite Punkt ist eventuell auch interessant in Bezug auf das Argument einiger Verbandsbrüder, daß der Verband dem Bund zu wenig einbringe. Das bezieht sich häufig eher auf Angebote der Deutsche Burschenschaft. Wenn aber egalitäre Aktionen vor Ort anstehen und der Verband steht hinter den örtlichen Bünden, könnte das durchaus zur Entkräftung solcher Argumente führen. Kurzum: Ich und der ein oder andere Bundesbruder, wären sicher bereit, bei solchen Aktionen mitzutun. Und ich hoffe, daß es zu einer Bildung eines solchen Kreises kommen wird und wünsche darüber unterrichtet zu werden. Hannes Krünägel (Arkadia Mittweida zu Osnabrück 2013/ 2014) trägt, und nach Graz zur Burschenschaft Allemannia, die ihm 2007 ihr Band verlieh. Auch beim Burschentag ist Erich Stadler jedes Jahr als Sitzungsvertreter anzutreffen. Eine Auflistung der Ämter, die Erich Stadler innehatte, wäre lang. Der Austausch mit den jüngeren Generationen scheint Erich Stadler jung zu halten. Die zwei Wünsche des Menschen gehen bei Erich Stadler in Erfüllung: alt zu werden und dabei jung zu bleiben. Wir wünschen zahlreiche weitere „Aktivensemester“. Christian Oppermann (Arminia Bochum 1976, Libertas Aachen 1987, ) 149 Rezensionen Burschenschaftliche Blätter Rezensionen Von Jena nach Brittnau Ein hervorragendes Zeitgemälde erbringt der Historiker Max Baumann mit seiner Biographie über Johann Jakob Baumann. Dieser wurde am 21. Oktober 1824 in Stilli geboren, besuchte die Kantonsschule in Aarau (offenbar ohne im KTV mitzumachen, dem damals einzigen Verein), um sich dann von dort an der berühmten Universität Jena am 12. Mai 1846 zu immatrikulieren. Selbstverständlich interessiert den Studentenhistoriker besonders diese Zeit. nicht zuletzt, weil er dort aktiv bei der berühmten Burschenschaft Arminia auf dem Burgkeller wurde. Aktiv bei der Burschenschaft Arminia auf dem Burgkeller Doch ausgerechnet darüber erfahren wir in der ansonsten hervorragenden Biographie so gut wie nichts. Wie stand es damals um diese Verbindung? Wie war das Verhältnis der Schweizer zu ihren deutschen Bundesbrüdern? Hat er gefochten? Wo sonst Max Baumann eine perfekte Quellenarbeit leistet – in corporationsspezifischer Hinsicht stützt er sich auf einen Internetbeitrag, auf Günter Steigers Jena-Buch (Weimar 1989), sowie auf eine Magisterarbeit. Hat denn die Arminia kein Archiv? Wir erhalten keine Antwort. Drei Mal stützt sich der Autor auf Vermutungen: Vermutlich war Baumann mit Emil Welti aktiv. Vermutlich nahm er nicht am Marsch nach Weimar am 11. März 1848 teil. Und vermutlich hat er das Burschenleben so genossen, daß sein Studium darunter litt. Auf Seite 53 zitiert der Biograph die Beiträge von Alfred Thullen im Lexikon der Deutsche Burschenschaft sowie in der SH 1993/Heft 17, Seiten 15 f. Gemäß Fußnote 35 auf Seite 53 hatte er auch mit dem bekannten Studentenhistoriker Peter Kaupp, selber AH der Arminia, Kontakt. Warum fragte er ihn nicht wegen archivarischer Quellen? Davon daß der Student aus Stilli die Burschenzeit auskostete, zeugt die folgende, köstliche Episode: Baumann war seit 1849 Vikar in Brittnau, einem Dorf vier Kilometer südwestlich von Zofingen. Im September 1854 besuchte ihn der legendäre Burgkeller-Wirt Gottlieb Dietsch. Was wollte denn der in jenem Kaff? Dieser wollte das Geld für das in Jena konsumierte Bier eintreiben, Die Fuxenstunde Dr. Bernhard Grün und Christoph Vogel, beide katholisch korporiert, haben unter dem Titel „Die Fuxenstunde“ ein Handbuch des Korporationsstudententums herausgegeben. Wie der Name andeutet, handelt es sich um ein pädagogisches Hilfsmit- 150 Max Baumann: Kirche, Schule, Fürsorge. Das Leben und Wirken des Aargauer Pfarrers Johann Jakob Baumann (1824-1889), Verlag hier+jetzt Baden 2013, 183 S., ill.; ISBN 978-3-03919-268-7 starb aber ausgerechnet an einer Cholera fern der Heimat: „Vikar Baumann mußte also seinem Wirt aus frohen Burschenschaftsjahren auf dem Friedhof in Brittnau begraben.“ Er soll dann auf seinem Grabstein die Inschrift erhalten haben: „Hier ruht Gottlieb Dietsch, Gastwirt aus Jena. Er war ein Gläubiger.“ Diese Geschichte werde heute noch bei jeder Stadtführung in Jena den Touristen erzählt. Die wahre Inschrift lautete freilich anders. Eine engagierte Persönlichkeit Nach vier Semestern kehrte Baumann in die Schweiz zurück und studierte im SS 1848 in Zürich und im WS 1848/49 in Tübingen. Einen universitären Abschluß machte er nicht, nur mit Ach und Krach ein theologisches Diplom vor dem Aargauer Kirchenrat. 1850 begann er sein Erwerbsleben in Brittnau, einem Dorf fünf Kilometer südwestlich von Zofingen, ab 1855 bis zu seinem Tod 1889 als Pfarrer. Als solcher engagierte er sich rastlos auf der Grundlage einer liberalaufgeklärten Theologie, was immer wieder zu Konflikten mit den Orthodoxen führte, vor allem in den Bereichen Sozial- und Bildungspolitik. Oft stand er den politischen Instanzen und Vereinen als Präsident vor. Politisch wandte er sich früh der demokrati- tel für die Ausbildung und Bildung der jüngeren Bundesbrüder. Es eignet sich für jeden Bund und fügt sich in jeden Verband. Die Aufbereitung des „Lehrstoffs“ geschieht in kurzweiliger Form, ohne daß die Beteiligten Angst haben müßten, nochmals die harte Schulbank zu drücken. Selbst ein sattelfester Fuxmajor findet noch Anregun- schen Bewegung zu, stand somit auf linksliberaler Seite. Maßgebend wirkte er als Verfassungsrat bei der Schaffung der neuen Kantonsverfassung von 1885 mit und war dann noch eine Legislaturperiode Großrat. Max Baumann zeichnet das Leben einer überragenden Persönlichkeit nach. Man ist fast geneigt die Behauptung aufzustellen, daß – hätte Baumann in Zürich gewirkt – seine Laufbahn noch spektakulärer verlaufen wäre. Aber er lebte eben in der Provinz. Es handelt nicht nur um eine schöne und fließend verfaßte, sondern geradezu spannende Biographie, welche die besten Noten verdient. Das Bestreben des Autors war es nicht, eine studentenhistorische Arbeit zu schreiben, aber herausgekommen ist, zumindest im ersten Drittel eine solche. Zu ergänzen sind hier die Schilderungen der damaligen akademischen Welt, welche der junge Aargauer erfuhr. Kleinere Mängel Fünf Mängel möchten wir nicht unerwähnt lassen. Erstens fehlen, wie oben festgestellt, präzisere Schilderungen des couleurstudentischen Lebens in Jena, auch in Zürich oder in Tübingen. Zweitens wäre eine Zeittafel kein Luxus gewesen, Drittens wäre ein Register, vor allem bei so vielen Baumanns, durchaus nützlich gewesen. Viertens muß das Fehlen eines Quellenund Literaturverzeichnis bekrittelt werden. Schließlich wäre ein Stammbaum nützlich gewesen. Dies vor allem im Hinblick auf die Auftraggeber der Biographie, nämlich die Geschwister Jagmetti. Ihre Großmutter war Helen, die zweitälteste Tochter von Baumann, die einen umfangreichen Rückblick auf ihren verehrten Vater verfaßte. Sie heiratete den Seidenfabrikanten Louis Jagmetti in Lyon und gebar zwei Kinder. Eines davon muß ein Sohn gewesen sein. Dieser zeugte Antoinette (verh. Habich), Riccardo, Carlo und Marco. Sie alle brachten es weit in ihrem Leben. Riccardo war Rechtsprofessor und Ständerat, Carlo einer der profiliertesten Diplomaten der Schweiz in der Gegenwart, und Marco Zürcher Oberrichter. Verbunden sind sie alle – und hier schließt sich der corporationsspezifische Kreis – durch ihre Mitgliedschaft in der Zofingia Zürich. Dennoch: Eine Biographie erster Klasse! Dr. Paul Ehinger (Zofingia Zürich) gen; das Buch ist aber auch ein Nachschlagewerk für Inaktive und Alte Herren, die sich einen aktuellen Überblick über andere Verbände und hochschulpolitische Organisationen verschaffen wollen. Die Gliederung zerfällt in neun Kapitel – Organisatorisches, Fuxenstunden, Prinzipien, Hochschule, Studententum, Brauchtum, Heft 4 - 2014 Rezensionen Verbindung/Verband, Allgemeinbildung und Fuxenveranstaltungen. Zu jedem Thema gibt es Anregungen, Winke und Netzverweise. Das unterstützt die Gestaltung von Fuxenstunden, es hilft bei der die Einholung von Informationen über das korporative und politische Hochschulwesen, es erleichtert das Auffinden weiterführender Literatur sowie die Kontaktaufnahme zu anderen Organisationen. Fragenkataloge und Diskussionsvorschläge fördern die Beschäftigung mit den Themen. Zu bemängeln wäre, daß die Studientexte, die sich mit den „Prinzipien“ (d. h. Werten und Betätigungsfelder der Korporierten) beschäftigen, nicht für die „Fuxenstunde“ bearbeitet, sondern im Originalton verschiedenen Verbandszeitschriften entnommen wurden. So bleiben dem Leser Sätze wie dieser nicht erspart: „Wir müssen den vielfarbigen Fächer der Ehre entfalten… Dann werden wir Corpsstudenten Wegbereiter eines neuen, ehrenhaften Studententums.“ (S. 96). Dann fällt die dezidiert christliche Sichtweise einzelner Autoren auf, was wahrscheinlich der korporativen Burschenschaftliche Blätter Herkunft der Herausgeber geschuldet ist. Angesichts der allgemeinen Retirade des Christentums schadet das aber nicht. Die Auflistung der Verbände und Organisationen nach dem Konfessionsprinzip erscheint dagegen überholt; unpraktikabel ist, daß die erloschenen Gruppierungen untergemischt statt in gesonderter Rubrik behandelt sind. Ansonsten ist die „Fuxenstunde“ von Thematik und Vollständigkeit her nicht zu beanstanden. Soweit ein Stichwortverzeichnis fehlt, wäre das durch ein ausführlicheres Inhaltsverzeichnis leicht auszugleichen. Dann würde das Buch noch öfter zur Hand genommen als dies ohnehin der Fall sein wird. Vivant sequentes! Hans-Georg Balder (Frankonia Bonn) Bernhard Grün & Christoph Vogel Die Fuxenstunde – Handbuch des Korporationsstudententums. Federsee Verlag, Bad Buchau. 1. Auflage 2014, ISBN-Nr. 978-3-925171-92-5 „Für eine neue Nation“ – ungare Gedanken eines Chefredakteurs Gerade einmal 20 Jahre ist es her, als die Junge Freiheit (JF), damals noch ein relativ unbedeutendes Monatsblatt, das auf vielen Korporationshäusern bei Erscheinen regelrecht verschlungen wurde, dankenswerterweise die Strömungen der Konservativen Revolution in die heutige Zeit transponierte. Eine „moralischen Wende“, natürlich wertkonservativ verpackt, sollte sich endlich im politischen Diskurs der Bundesrepublik niederschlagen, so die damalige Blattlinie. Damit ging sie, inhaltlich maßgeblich durch ihren Chefredakteur Dieter Stein geprägt, konform mit dem politisch an den herrschenden Zuständen in der Bundesrepublik Deutschland und auch der Republik Österreich unzufriedenen Teil der burschenschaftlichen Bewegung. Kein Wunder also, daß damals auch prominente Burschenschafter Teil der Redaktion waren, sich JF-Leserkreise auf unseren Häusern trafen etc. Daß es nach dem inhaltlichen Niedergang der ehemals dezidiert konservativen WELT überhaupt noch etwas gibt, das aus dem Einheitsbrei der am Kiosk erhältlichen Zeitungen herausragt, verdankt man in der Tat Dieter Stein. Trotz aller Widrigkeiten, darunter Brandanschläge auf die Hausdruckerei, verantwortete er den bisherigen Erfolg der Jungen Freiheit, die heute wöchentlich rund 20.000 Leser mit Nachrichten versorgt. Unternehmerisch ist Stein, der passionierte Phaeton-Fahrer, unterstützt durch zahlreiche jahrelange Klein- Heft 4 - 2014 Dieter Stein: Für eine neue Nation. Junge Freiheit Verlag Berlin 2014, gebunden, 272 Seiten, ISBN-13: 9783929886436, 19,90 Euro. und Kleinstspenden, stets auf der sicheren Seite gewesen: Sein Projekt „Junge Freiheit“ hat er in den vergangenen Jahren durch eine stark frequentierte Internetseite, eine knappe Personalkostenkalkulation und einen Buchdienst geschickt im stark umkämpften Zeitungsmarkt positioniert. Nun scheint es Dieter Stein seit Jahren in die politische Mitte zu ziehen. Sein angeblicher Wunsch, einmal im ARD-Presseclub mitdiskutieren zu dürfen, ist in der konservativen Verlagsbranche vielzitiert. Damit dies einmal Realität wird, müssen verständlicherweise breitere Leserschaften gefun- Hinweis: Das Buch „Die Fuxenstunde“ kann über den DB-Materialverstand (Verlag Thomas Mayer-Steudte) bestellt werden. den – und gegebenenfalls alte konservative Leserschichten geopfert werden. Der Kreis der nationalkonservativen Leserschaft dürfte ohnehin überschaubar sein, so nimmt man im Gegensatz zu früheren Zeiten und nach dem Wegfall des Rheinischen Merkurs deutlich wahr, daß häufiger christliche Themen Eingang in die JF-Berichterstattung finden. Dagegen ist von der Konservativen Revolution nahezu nichts mehr zu lesen. Man mag es Dieter Stein nicht verübeln, setzt er doch gerne auf das stärkste Pferd: Anfang der 1990er Jahre traf er sich zum Zwecke des Ausbaus seiner Zeitung noch mit hochrangigen NPD-Vertretern, nach dem Erfolg der Republikaner berichtete seine ehemalige Schülerzeitung hauptsächlich über die Schönhuber-Partei, schwenkte ein wenig später um auf den Bund Freier Bürger. Und heute – durchaus verständlich – sekundiert die JF die AfD. Zugegebenermaßen überaus intensiv, so daß politische Beobachter unken, die JF sei das inoffizielle Lucke- und Henkel-Sprachrohr. Es ist seit jeher Tradition, daß Chefredakteure namhafter Leitmedien, die sich einen politischen Auftrag attestieren, von Zeit zu Zeit auch Bücher verfassen, um ihre Standpunkte zu definieren. Man erinnere sich beispielsweise an den kürzlich verstorbenen Frank Schirrmacher von der FAZ, der mit „Das Methusalem-Komplott“ oder „Minimum“ das politische Establishment im Bereich der Feuilletons zumindest temporär aufwirbelte. Oder an Heribert Prantl von der SÜDDEUTSCHEN, der zu allerlei Themen fundierte Streitschriften publiziert – natürlich mit linksliberaler Färbung. Viel- 151 Rezensionen Burschenschaftliche Blätter leicht war es Wunsch von Dieter Stein, sich auf dem Weg zum Presseclub auch einmal mit einem eigenen Buch zu Wort zu melden. In Ermangelung einer grundsätzlichen Positionierung durch Beschäftigung mit einem einzelnen Thema ist sein Elaborat „Für eine Neue Nation“ lediglich eine Aneinanderreihung von Kurzartikeln, gelegentlich Aufmachern, aus seiner Jungen Freiheit. Wissenschaftliches Arbeiten scheint ihm, dem Studienabbrecher, aber unbekannt zu sein, Quellenhinweise sind eher dürftig gesät. Dagegen regiert der Konjunktiv. Und Stein verrät sich mehr oder weniger als prinzipienlos – oder wohlwollend unterstellt: Er ist zumindest nicht in der Lage ein kohärentes Gedankengebäude zu errichten, wirkt stark von Tagespolitik und Subjektivität beeinflußt. Er argumentiert aus dem Bauch heraus, nicht tiefsinnig und stringent. Ein Beispiel ist der titelgebende Aufsatz „Für eine Neue Nation“. In diesem kritisiert er die Deutsche Burschenschaft für ihre Definition des Volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriffs. Versteht ihn offenbar aber nicht ansatzweise, meint, die Deutsche Burschenschaft könne „die Avantgarde für einen erneuerten Volkstumsbegriff sein, der eine neue deutsche Identität vorlebt und definiert, wie eine nationale Integration in Sprache, Kultur und Volk auch mit Einwanderern wirklich gelingen kann.“ So spricht er beispielsweise von „DeutschAsiaten“, dokumentiert damit, daß noch nicht einmal politische Grundbegriffe nationalkonservativer Weltanschauung sitzen. Den Aufsatz nutzt er zudem auch für einen Rundumschlag gegen rechts im allgemeinen und gegen die Deutsche Burschenschaft im besonderen. So sähe er wohl gerne den Begriff des Liberalismus aus konservativer Sicht einer Neubewertung unterzogen, wirft wirklichen Denkern der Rechten wie Armin Mohler vor, zu hart gegen den Liberalismus polemisiert zu haben. Und bei der Kritik an unserem Verband läßt er die Katze aus dem Sack: Die DB habe keine klare Haltung zum NS-Widerstand, kritisiert er. Und da ist Stein unerbittlich, wie selbst Redakteure seines Blatts unverblümt zugeben und gerne versuchen, es als persönliche Marotte ihres Chefs abzutun. Die JF hat sich ja seit jeher der Glorifizierung des 20. Juli 1944 verschrieben. Der Verband dagegen hat sich im Jahr 2006, nach fast zweijähriger Auseinandersetzung mit dem Thema, eindeutig mehrdeutig zum NS-Widerstand geäußert, legte sich klugerweise auf keine Bewertung fest und gab jedem Burschenschafter die Möglichkeit, den Widerstand aus persönlicher Sicht zu bewerten. Ein Beispiel für gelungene Meinungsfreiheit! So schrieb damals (2006) Henning Roeder (Alemannia Stuttgart) in den Burschenschaftlichen Blättern: „Als Vorsitzende Burschenschaft wünschen wir uns, daß die von unseren Urvätern immer geforderte Meinungsfreiheit auch bei einem solch kontroversen Thema in gegenseitigem Respekt anerkannt bleibt.“ Frei ist der Bursch ... Genau seit diesem DB-Beschluß ist die Junge Freiheit der Deutschen Burschenschaft äußerst kritisch eingestellt, das läßt sich akribisch nachweisen. Ein Zufall? Wer erklärtermaßen kein Stauffenberg-Freund ist, ist auch kein Stein-Freund, so einfach scheint die stein sche Logik zu funktionieren. Die DB-Kritik seitens der JF, wir erinnern uns, gipfelte im „Rossi-Skandal“: Ein Burschenschafter aus Saarbrücken verfaßte in der Jungen Freiheit unter Pseudonym Angriffe gegen die Burschenschaftliche Gemeinschaft. Als der wirkliche Verfasser bekannt wurde, gab der Burschenschafter aus Saarbrücken indes das burschenschaftliche Ehrenwort, nicht der anonyme Autor zu sein. Auf Veranlassung Steins – immerhin Gildenschafter, dem die korporierte Definition von Ehre nicht ungeläufig sein sollte – wurde dem Saarbrücker in einem Schreiben offiziell bescheinigt, daß dieser nicht hinter dem Pseudonym stecke. Pech für beide und einen ebenso involvierten Hamburger Waffenbruder war allerdings, daß die diesbezügliche Korrespondenz an den Tag kam und den Schwindel der drei offenlegte. Stein hatte zugelassen, daß sich ein aktiver Proponent der innerverbandlichen Scharmützel der Jungen Freiheit als Druckmittel bedienen konnte. Daß Freiheit bei Stein, immerhin ein zentraler Begriff des eigenen Zeitungstitels, heute nicht mehr allzu freiheitlich ausgelegt wird, haben auch zahlreiche frühere Wegbegleiter erfahren müssen: Das konservative Institut für Staatspolitik, der Verlag Antaios, so mancher langjährige JF-Autor, der es gewagt hat, bei unliebsamen anderen Zeitschriften zu publizieren, und auch so mancher Bund, dessen Burschenschaftliche Abende im Terminkalender der JF heute einfach nicht mehr berücksichtigt werden, können ein Lied davon singen. Die weithin anerkannte „ZurZeit“, das österreichische Pendant zur Jungen Freiheit, wurde mit Hilfe dieser aus der Taufe gehoben. Das stark waffenstudentisch geprägte Blatt – mit einer ähnlich hohen Auflage wie der JF im zehnmal kleineren Österreich – vertritt eine dezidiert konservative Blattlinie. Die Gründungshilfe erachtet Stein heute als „peinlich“. Wer im konservativen Bereich nicht der stein schen JF-Linie folgt, einen anderen wertkonservativen Standpunkt einnimmt, wird als „peinlich“ oder sonstwie unwürdig abqualifiziert. Eine Sicht nicht unähnlich der eines Sektenführers, der nur seine Meinung für die einzig statthafte hält ... Und gerade im Hinblick auf seine Thesen scheint Stein Kritiker nicht gerne zu sehen. So löscht er gnadenlos Facebook„Freunde“, selbst wenn diese verhaltene sachliche Kritik äußern und lediglich diskutieren möchten. Dies korrespondiert mit seiner Tätigkeit als Chefredakteur. Zu seinem Beitrag „Für eine Neue Nation“ auf sachliche Fehler hingewiesen, korrigiert er diese nicht nachträglich. Eine anfangs mit ihm abgesprochene Replik auf den Artikel, die ebenfalls in der JF erscheinen sollte, verhindert er sogar strikt. Der Autor Dr. Claus Wolfschlag stellte die lesenswerte Replik dann einfach ins Netz (http://clauswolfschlag.blog.com/2013/11/24/neueburschenschaft). Darin kommt Wolfschlag unter anderem zum Schluß: „Ein weiterer Problempunkt ist die Inkonsequenz der Argumentation. Häufig liest man in der “Jungen Freiheit”, daß sich die Kirchen nicht dem Zeitgeist anpassen dürften. Die Wahrung der Grundsätze hinsichtlich HomoEhe, Familie, Abtreibung oder Zölibat sei hier gefragt. Somit ist es aber widersprüchlich, von den nationalen Milieus, hier besonders den Burschenschaften, eine Aufweichung ihrer Grundsätze und eine Liberalisierung zu verlangen, gleichzeitig diese Liberalisierung für das christliche Spektrum abzulehnen.“ Ein Widerspruch von vielen, der das Buch nicht wirklich lesenswert macht. Neue Impulse gibt es nicht, es sei denn, man möchte die Abkehr von bislang gepflegten nationalkonservativen Standpunkten als revolutionär bezeichnen. Oder einfach konstatiert: Die Revolution frißt ihre Kinder – auch im Zeitungsgewerbe. Dabei soll dies nicht als grundlegende JF-Kritik mißverstanden werden. Andere ihrer Autoren wie Verbandsbruder Michael Paulwitz (Normannia Heidelberg) oder Doris Neujahr sind wertkonservative Edelfedern, deren Beiträge eine in anderen Publikationen kaum erreichte Qualität aufweisen. Johann Hagus (Raczeks Breslau 2003) Die aktuelle Preisliste für eine Werbeanzeige in den Burschenschaftlichen Blättern erhalten Sie bei der Schriftleitung oder dem Schatzmeister. 152 Heft 4 - 2014 Rezensionen Burschenschaftliche Blätter Sieben Reiter nen, es mit eiserner Faust unterwerfen, nach dem Recht des Eroberers, ohne Gnade für die Feinde, zuallererst um der eigenen Leute willen, dann aus Treue zum Herrscher, aus freier Entscheidung, weil die Pflicht es verlangt – und für die Beute.“ Zurück zur Stärke, zum Mut des Zuversichtlichen, zur Kühnheit des Freien. Das ist der Weg. Der Verlag Antaios erweitert sein Programm vom Kulturabbildenden zum Kulturschaffenden. Die „Edition Nordost“ besticht mit einer Reihe wichtiger belletristischer Schriften. Jean Raspails Werk Sept cavaliers quittèrent la ville au crépuscule par la porte de l’Ouest qui n’était plus gardée erscheint nun erstmals in deutscher Übersetzung: „Er erkennt, daß er nichts mehr ist und daß das, was er gewesen war, und das, dem er gedient hatte, von nun an nicht mehr existiert.“ Wie eine nüchterne Bestandsaufnahme wirkt er, dieser Satz. Wie die Selbsterkenntnis eines Rechten. Er drückt die Realität in bedrückender Deutlichkeit aus und dennoch bedeutet er keine Aufgabe, keine Kapitulation vor dem Unvermeidlichen, sondern ist der Eingang der nötigen Aggressivität. Das alte und das neue Europa Jean Raspail zeichnet ein düsteres Europa. Nicht mehr das schöne, liebliche Bild der vom stiergestaltigen Zeus entführten Anmutigen, die einst die Welt betört und mit ungnädiger Grausamkeit untertan gemacht hat. Europa ist nunmehr ein Ort der Anarchie, des Bösen, der Unsitte, des Häßlichen. Sämtliche Ordnung nicht nur auf den Kopf gestellt, sondern nicht-existent. Drogen, Krankheiten, Verrohung: keiner widersteht. Es sind die Angst und die fette Trägheit der Zufriedenen, die den Nährboden für dieses für jeden Geist und jedes Pathos tödliche Klima schaffen. Es ist also ein Europa, wie wir es zunehmend selbst kennen. Die Grenzen verschwimmen. Schon die Namenswahl der Reiter mutet an, wie eine Reise durch das alte Europa: von Pickendorff, van Beck, Venier, Tankred, Bazin du Bourg, Abai, Wassili. „Leicht das Herz und die Seele frei, kalt funkelnd wie Kristall, gerüstet für das, was sie erwartete. Der Markgraf hatte befohlen – sie marschierten. So einfach war das“, beschreibt der Bischof Van Beck den Auszug der Sieben aus der Stadt. Die Stadt selbst: ein Trümmerhaufen. Allein der Markgraf, umgeben von den Treusten, residiert und herrscht in der Burg über nichts. Sein letzter Befehl: reitet, um Gottes willen, reitet und findet, was ihr sucht! Sucht das Warum! Diese Frage zu beantworten, ziehen die Sieben aus, wissend, auf ewig vom Markgrafen zu scheiden, ohne Aussicht auf Rückkehr. Und er ohne Aussicht auf Antwort. Laßt Raspail in die Herzen! Jean Raspail: Sieben Reiter verließen die Stadt. Edition Nordost 2013, 248 Seiten, ISBN-13: 978-3-944422-01-5, 22,00 Euro. Weg aus der Krise nicht. Intrige und Gefahr sind ständige Wegbegleiter. Es gilt nur nicht aufzugeben. Zwischenzeitlich schwindet die Gruppe. Sie schrumpft Mann um Mann in der Aussichtslosigkeit. Sie sucht ihren Weg vor der Verzweiflung. „Sie müssen aus ihren Dörfern heraus, die Waffe in der Hand, ihr Territorium ausdeh- Zu zweit sind sie, von Pickendorff und Bazin du Bourg, angekommen an der Grenze, Sephareé. Und sie finden nicht das gesuchte. Und plötzlich: ein Treffen im überfüllten Zug. Bazin du Bourg verkauft Versicherungen, von Pickendorff schreibt. Sie sind jeder ein assimilierter Teil. „Auf der Schwelle zur Ewigkeit darf man wohl verzweifelt sein.“ Nein!, schreit Raspail. Kein Flehen zu Gott, keine Verzweiflung. „Ob Gott existiert oder nicht, man stöbert ihn nicht auf, um mit ihm einen Handel zu machen: Gib dich zu erkennen, tritt heraus aus dem Gewölk, es geht um meinen Glauben! Das gehört sich nicht. Das ist ohne Haltung, ohne Stolz.“ Wo ist der Stolz? Wie kann verändert werden, was uns mißfällt? Laßt Raspail in die Herzen. Auch wenn das Haß bedeutet. „Der Haß entfesselt Kräfte. Angesichts der Zeiten, die auf uns zukommen, kann ich Ihnen nur, mit allem Respekt, nahelegen, sich reichlich damit zu versehen.“ Arndt Novak (Danubia München 2014) Zurück zur Stärke, zum Mut des Zuversichtlichen Sie ziehen durch das Land, dasselbe Bild überall vor Augen, ein Bild der Schande. Und unbändigen Haß. Und bald ist klar, daß jeder die grundlegende Frage selbst beantworten muß. Es gibt diesen einen Heft 4 - 2014 153 Burschenschaftliche Blätter Termine Sie suchen noch einen Referenten für einen Burschenschaftlichen Abend? Der Künstler Hubert Döring, bekannt durch sein Bild „Deutsche Eiche“, bietet Vorträge zum Thema „Kunst“ an: • Was ist Kunst? • Die gesellschaftliche Bedeutung der Kunst • Kunst und Propaganda • Die Instrumentalisierung von Kunst und Preisverleihungen Bei Interesse kontaktieren Sie bitte die Schriftleitung bzgl. der Kontaktdaten von Herrn Döring. Termine / Unsere Toten / Anschriften ✟ Unsere Toten Dipl.-Ing. Sebastin Ludwig (Suevia zu Coburg), verstorben zu Lichtenfels am 24. August 2014 Dipl.-Ing. Erich Maschik (Suevia zu Coburg), Direktor.i. R., verstorben zu Heidelberg am 14. September 2014 Dr.-med. Robert Brauer (Hevellia Berlin), FA Urologie, verstorben zu Nürnberg am 29. Juni 2014 Diplom-Kaufmann Dr. rer. pol. Helmut Schirmer (Germania Köln 1954), Verwaltungsdirektor i. R., verstorben zu Moers am 12. September 2014 Heinz Kurz (Thessalia Prag, Moldavia Wien), Redakteur, verstorben in Ostfildern am 24. Oktober 2014 Dr. Peter Katz (Allemannia München), Ltd. Veterinärdirektor a.D., verstorben in Rottenburg am 9. November 2014 Dr. Walter Leitner (Allemannia München), Schlachthofdirektor a. D., verstorben in Pfarrkirchen am 10. November 2014 Dr. phil. Eginhard Steiner (Allemannia Graz), Chemiker, verstorben in Graz am 28. April 2014 Dipl.-Ing. Peter Sellner (Silesia Wien), verstorben zu Mondsee am 17. Oktober 2014 Dipl.-Volkswirt Georg Wegscheider (Silesia Wien), verstorben zu Sieghartskirchen am 5. Januar 2014 Dipl.-Ing. Otto Eberhard (Silesia Wien), verstorben zu Feldkirch am 5. Juli 2013 Wolfgang Riedler (Saravia Berlin), verstorben zu Hannover am 27. November 2014 Anschriften der Burschenschaftlichen Amtsstellen 1. Deutsche Burschschaft Vertreten durch die Vorsitzende Burschenschaft, siehe unter Herausgeber im Impressum. Verbandsobmann für Hochschul- und allgemeine Politik Patrick Koerner (Brixia Innsbruck), Innstrasse 18, A-6020 Innsbruck Telefon: +43 (0)650 3245591, E-Post: [email protected] Verbandsobmann für Nachwuchswerbung und Sport Fritz Hoewer (Germania Köln), Bayenthalgürtel 3, D-50968 Köln, Telefon: +49 (0)157 38836135, E-Post: [email protected] Beisitzer im Verbandsrat Dr. Wilhelm Haase (Saxo-Silesia Freiburg), Detmolder Straße 52 a, 33813 Oerlinghausen, Telefon: +49 (0)5202 5230, E-Post: [email protected] Beisitzer im Verbandsrat Daniel Stock (Stauffia München), c/o Münchener Burschenschaft Stauffia, Stollbergstraße 16, D-80539 München, E-Post: [email protected] Vorsitzender des Rechtsausschusses der Deutschen Burschenschaft Christian Balzer (Rheinfranken Marburg), Barmer Straße 4, D-40545 Düsseldorf, Telefon: +49 (0)176 22365876, E-Post: [email protected] Referent für Medien- und Öffentlichkeitsarbeit Walter Tributsch (Teutonia Wien), Landstraßer Hauptstraße 4, A-1030 Wien, Telefon: +43 (0)676 7379745, E-Post: [email protected] 2. Verband der Vereinigungen Alter Burschenschafter (VVAB) Vorort des VVAB: Vereinigung Alter Burschenschafter Oberösterreich zu Linz Vorsitzender: Arch. Dipl.-Ing. Paul-Ernst Huppert (Suevia Innsbruck, Arminia Czernowitz zu Linz), Tel. +43 (0)664 5528515, Kassenwart: Mag. Wolfgang Rochowanski (Oberösterreicher Germanen zu Wien), Tel. +43 (0)650 7222332, Kanzleiadresse: Rechtsanwälte Klicnik Lang, Taubenmarkt 1 / Domgasse 22, A-4020 Linz Über die E-Post-Adresse [email protected] werden alle Amtsträger des Vorortes parallel erreicht. Schatzmeister Volker-Ralf Lange (ABB Raczeks Bonn), Drachenfelsstraße 35, D-53757 Sankt Augustin Telefon: +49 (0)171 7799000 E-Post: [email protected] 3. Bund Chilenischer Burschenschaften (BCB) B! Vulkania zu Valdivia Los Manzanos 040, CL-5110665 – Valdivia, CHILE [email protected] Konto Deutsche Burschenschaft, Raiffeisenbank Sankt Augustin, IBAN: DE48 3706 9707 1007 0190 13, BIC: GENODED1SAM 4. Burschenschaftlicher Verein für nationale Minderheiten Vorsitzender: Dr. Bruno Burchhart (Olympia Wien), A-9184 St. Jakob i. Ros. 130, Tel.: +43 (0)664 9163853, E-Post: [email protected] 154 5. Burschenschaftsdenkmalverein in Eisenach Vorsitzender: Dr. Marc Natusch (Cheruscia Dresden, Rheinfranken Marburg), Leiblweg 12, D-70192 Stuttgart, Tel. +49 / (0)711 82086679, Fax +49 (0)711 82086683, EPost: [email protected] 6. Denkmalerhaltungsverein Eisenach e.V. Thomas Mayer-Steudte (Normannia Heidelberg), Auf dem Hundshövel 6, D-46446 Emmerich am Rhein, Telefon: +49 (0)172 2093255, E-Post: [email protected] 7. Sonstige burschenschaftliche Amtsstellen Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung e.V. Vorsitzender: Dr. Klaus Oldenhage (Norddeutsche und Niedersachsen, Germania Trier), Bismarckstr. 9–11, D-56068 Koblenz, Tel. +49 (0)261 36256, E-Post: [email protected] 1. Stellvertretender Vorsitzender und Schatzmeister: Hans-Jürgen Schlicher (Alemannia München, Germania Trier) Am Zieglerberg 10, D-92331 Lupburg-Degerndorf, Tel. +49 (0)9492 6168, Fax +49 / (0)9492 7449, E-Post: [email protected], Bankverbindung: Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung e.V., BW-Bank Stuttgart, Konto-Nr.: 4 320 061, BLZ: 600 501 01, IBAN: DE37 6005 0101 0004 3200 61, BIC: SOLADEST600 2. Stellvertretender Vorsitzender und Schriftenempfänger: Dr. Frank Grobe M.A. (Teutonia Aachen, Aachen-Dresdener B. Cheruscia), Dotzheimer Straße 56, 65197 Wiesbaden, Tel.: +49 (0)176 20123495, E-Post: [email protected] 8. Archiv und Bücherei der Deutschen Burschenschaft Dr. Dr. Harald Lönnecker (Normannia-Leipzig zu Marburg, Normannia Leipzig, Germania Kassel, Ghibellinia zu Prag in Saarbrücken EM, S! Normannia-Danzig Braunschweig EM) Bundesarchiv, Potsdamer Straße 1, D-56075 Koblenz, Tel. +49 (0)172 4255965, E-Post: [email protected] Heft 4 - 2014 Burschenschaftliche Blätter Heft 4 - 2014 155 Post AG – Entgelt bezahlt – H 2024 Gieseking Print- und Verlagsservices GmbH Postfach 13 01 20, 33544 Bielefeld 156 Heft 4 - 2014
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