Lebensfreude pur Der römische Kriegsgott Mars hat diesem Monat seinen Namen gegeben, alle kriegsfähigen Bürger wurden auf dem Marsfeld vor den Stadttoren gemustert, anschließend wählten sie ihre Feldherren. Meteorologisch beginnt am 01. März der Frühling, „gefühlt“ ist aber vielerorts noch Winter, selbst beim astronomischen Frühjahrsbeginn, -meist um den 20.März,- überraschen uns oft noch Eis und Schnee. Auch der farbenfrohe Fasching fällt nur selten in den März, dann hoffen die „Faasebootze“ etwas weniger zu frieren als im Vormonat. Dieses Problem haben unseren fröhlichen Tänzern, die zur Stelzentanzgruppe gehören, nicht, ihre flinken Füße stampfen einen atemberaubenden Rhythmus in den immer warmen Sand. Fasziniert und mit vielen gezückten Fotoapparaten stand unsere Reisegruppe inmitten der feiernden Menschen und wurde mitgerissen von dieser reinen Lebensfreude. Vergessen waren in diesem Augenblick die Alltagsprobleme im fernen Deutschland, deren Wichtigkeit wir oft überschätzen, man genoss nur noch dieses außerordentliche Spektakel. Auch die umstehenden einheimischen Zuschauer tanzten, sangen und klatschten und wurden aufgesogen von dieser einzigartigen Stimmung. Leicht euphorisiert und immer noch etwas benommen vom Tempo dieser Darbietung kletterten wir in unseren Kleinbus, total verschwitzt, aber außerordentlich beeindruckt. Während dieses ganzen Aufenthaltes von ca. 30 Minuten lief permanent der Motor unseres Autos, was ich beim Fahrer etwas kritisch anmerkte.(schließlich zeichnen wir Europäer uns als umweltbewusste Menschen aus!). Er lächelte mich mild an und sagte nur: “Mit dem Ausschalten des Motors wäre die Klima- anlage nicht mehr gelaufen, und wir wären in einem rollenden Backofen weitergefahren!“ Kleinlaut sackte ich in mich zusammen und schalt mich innerlich einen vorlauten Besserwisser. (Besserwisser sind Leute, die einem Pferd die Sporen geben, auf dem sie gar nicht sitzen. Alain Peyrefitte) Noch lange unterhielten wir uns angeregt über diese phantastische Vorführung, die man in den verschiedensten Versionen überall in den westafrikanischen Ländern bewundern kann. Diese Region hat eine eigene Tradition und Stilrichtung entwickelt, die immer eine Einheit bildet aus Gesang, Musik und Tanz. Die Bandbreite des künstlerischen Ausdruckes ist groß: von der Darstellung des Alltags bis hin zu Themen wie Kriegs-, Fruchtbarkeits-und Begrüßungstänze sowie die Anrufung von Geistwesen und Gottheiten. Die Kolonialmächte der Vergangenheit empfanden diese Tänze als ungezügelt und unanständig, man sprach ihnen keinerlei kulturelle Bedeutung zu. Diese Sichtweise hat sich glücklicherweise geändert, heute weiß man, dass diese Ausdrucksformen aus sehr alten Kulturen entstanden sind, viel älter als die oft so hochgelobten Errungenschaften der scheinbar überlegenen Europäer. Tänze in Westafrika zeichnen sich vor allem aus durch die Betonung der Bewegung von Armen und Beinen, oft liegt der Schwerpunkt auch auf Bewegungen des Schultergürtels, des Rückens und des Beckens. Mit dem Sklavenhandel verbreiteten sich diese Tänze nach Amerika und in die Karibik, wo sie die dortigen Tanzstile maßgeblich beeinflussten, wie z. B. den Jazz Dance oder die Samba. Heute schenkt man in Europa diesen Tanzformen immer mehr Aufmerksamkeit, hat man doch erkannt, dass diese Art der Darstellung angepasst ist an natürliche Körperbewegungen, so wie sie im naturgeprägten Alltag auch vorkommen im Gegensatz zu den künstlichen Tanzfiguren der „Weißen“. Längst ist dieser Funke, die Freude an Rhythmen, Bewegung und ausdrucksstarker Musik auf viele Europäer übergesprungen. Eine der Teilnehmerinnen an unserer letzten Reise im Oktober 2015 hatte sich zwei wunderschöne afrikanische Trommeln, sog. Djemben, gekauft, denn sie hat schon vor einiger Zeit Unterricht genommen im Trommeln, was sehr schwer zu erlernen ist. Einfach draufhauen ist nicht! Das ist eine ganz seriöse Kunst, für deren Beherrschung man sehr viel üben muss. Wie gut sie das schon konnte, demonstrierte sie zusammen mit einem anderen „trommelkundigen“ Reiseteilnehmer auf eindrucksvolle Weise nach unserem gemeinsamen Abendessen. Spontan gesellten sich zwei Hotelangestellte zu uns, und so kam der Rest der Gruppe zu einem außergewöhnlichen Kunstgenuss in einer der wunderbaren, tiefschwarzen afrikanischen Nächte, in denen tausende von Zikaden in den ausladenden Bäumen die Begleitmusik lieferten. Im Gegensatz zu unseren Reisekameraden, die noch an ihrer Weltkarriere arbeiten, gelangte der beninische Tänzer, Choreograph und Vodoo-Priester Koffi Kôkô, bereits zu internationalem Ansehen auf Festivals wie der Biennale von Venedig, in Wien und Brasilien. Am Strand von Ouidah an der beninischen Küste feiern Vertreter des Staates, Könige, Priester und natürlich die Bevölkerung am 10. Januar ihren Vodoo-Feiertag. Diese Naturreligion ist seit 1996 offiziell anerkannt. Koffi Kôkô beschreibt diese Tänze als „getanzte Meditation“: "In der afrikanischen Kultur, in der Kultur des Vodoo, bedeutet Meditation nicht, die Augen und den Mund zu schließen und still zu sein. Während der Zeremonien kommunizieren wir über den Tanz. Der Tanz ist das Gebet, das ist die Philosophie." Spätestens an dieser Stelle wurde mir peinlich bewusst, wie noch unsere Elterngeneration unsere Begeisterung für den Rock and Roll verächtlich als „Negermusik“ abtaten. Welch eine Diskriminierung eines großen Kulturvolkes, eines ganzen Kontinents, der als Wiege der Menschheit gilt! Bleibt zu hoffen, dass Entgleisungen dieser Art im Miteinander von Menschen, die nur diese eine Erde haben, immer weniger vorkommen werden und die ewig Gestrigen in einer beherrschbaren Minderheit bleiben. „Der Horizont vieler Menschen ist ein Kreis mit Radius Null, und das nennen sie ihren Standpunkt.“ (Albert Einstein) Renate Schiestel-Eder
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