von der landschaft leben - Büro für Landschaftskommunikation

VON DER LANDSCHAFT
LEBEN
Nachhaltiges Wirtschaften in regionalen Wertschöpfungsketten
Porträts von acht Trägern der Regionalmarke des Biosphärenreservates
Schorfheide-Chorin
Büro für Landschaftskommunikation 2004
Inhalt
Vorwort - Anke Jenssen
1
„Wir sind nicht für einen persönlichen Karriereplan hergekommen“
Die Gärtnerei Winter in Oderberg
3
„Wir brauchen ‚Regionalregale‘ in jedem funktionierendem Markt der Region.“
Die Weidewirtschaft-Liepe eG
8
Viele Standbeine, kein Spielbein.
Die Fleischerei Ortlieb in Althüttendorf
15
„Die Natur ist unser Kapital. In Deutschland gibt es nicht noch mal so ‚ne Ecke“
Das Haus Chorin
20
Thaers Erben in Groß Schönebeck
Die Schorfheider Agrar-GmbH
26
„Wir brauchen die Natur, nicht die Natur uns.“
Die Imkerei Lange in Klosterfelde
32
Q - Regio oder: Aufbauen, Landschaft gestalten macht Spaß
Die Bauernkäserei Wolters in Bandelow
38
Im Teelöffelverfahren zum regionalen Warenkorb
Renate Witthuhn und ihr Joachimsthaler REWE-Markt
44
Keine Idyllen
Thesen zum nachhaltigen Wirtschaften in regionalen Wertschöpfungsketten
49
Deckblatt: Ackerland der SAG (Schorfheider Agrar GmbH). Die Eiche hat die Melioration überlebt und bildet heute ein attraktives Landschaftselement. Das Stroh wird bis zur Verwertung zu großen Quadern aufgetürmt.
Rückseite: Gemüsegarten der Gärtnerei Winter, Oderberg.
Liebe Leser,
schöne und intakte Landschaften wie die Uckermark, der Barnim und das Oderbruch sind unsere Heimat.
Für die einen sind sie ein seit Generationen bewohnter Lebensbereich, für andere ein neues zu Hause - eine
Wahlheimat.
Gäste und Besucher finden hier Erholung und Entspannung, erfreuen Herz und Sinne, tanken Kraft für ihren
meist städtischen Alltag. Sie verfolgen oft mit großem Interesse das Leben der „Landmenschen“ in einer der am
dünnsten besiedelten Regionen Deutschlands. Durch regionale Erzeugnisse der Landwirtschaft finden sie einen
direkten Bezug zur Landschaft. Die geschützte Natur vermittelt Vertrauen und Sicherheit bezüglich ihrer Produkte. Die Reflexion ist einfach: Gesunde Landschaft - gesundes Produkt.
Aber was steht dahinter? Wie kann man diesem hohen Anspruch gerecht werden und wann entspricht
die Art und Weise der Produktion einer nachhaltigen Landnutzung, so wie es für ein Biosphärenreservat
wünschenswert wäre?
Seit 1998 wird das Herkunftszeichen des Biosphärenreservates Schorfheide-Chorin an Landwirte, Lebensmittelverarbeiter, Gastwirte und andere Akteure des Schutzgebietes vergeben. Diese Regionalmarke hat viele
Funktionen. Sie fungiert als Herkunftszeichen und fixiert hohe Qualitätsansprüche an das Produkt und an die
Art und Weise seiner Erzeugung. Sie ist ein Werbemittel und stimuliert die Kommunikation der Produzenten
untereinander sowie mit den Kunden. Die Regionalmarke dient auch der Identifikation mit der Landschaft. Und
nicht zuletzt ist sie ein Arbeitsmittel für die Biosphärenreservatsverwaltung mit den Erzeugern.
Inzwischen ist die Zahl der Zeichennutzer von 23 auf über 60 angestiegen und unsere Regionalmarke hat sich
zum Prüfzeichen gemausert. So können auch Produzenten außerhalb der Schutzgebietsgrenze mit dem Namen
„Schorfheide-Chorin“ für ihre Erzeugnisse werben, wenn sie die Produktionskriterien des Biosphärenreservates
erfüllen. Ob die einzelnen Zeichennutzer mit dem Prüfzeichen offensiv für ihre Produkte Werbung machen, es
also als Marketinginstrument nutzen, oder ob sie es als Identitätszeichen, als Bekenntnis zu Ihrer Heimat in
ihrem Büro oder Laden platzieren, bleibt ihnen selbst überlassen.
In unserem agrarpolitischem Umfeld haben es regionale Erzeugnisse schwer. Ihre Produktion in kleinen
Mengen hat oft einen Manufakturcharakter. Verlassen sie diese Ebene, um großhandelsfähig zu werden, verlieren sie leicht den Charakter der Regionalität und werden Massenware. Finanziell darf die regionale Produktion
nicht gefördert werden. Im europäischen Maßstab behindere das regionale Produkt den europäischen Warenverkehr (so eine offizielle Aussage der EU) - eine These, die man allein durch die Arbeitsergebnisse auf Basis der
Regionalmarke schon widerlegen kann.
Primär geht es uns um das Leben im eigenen Umfeld, welches wir so gestalten sollten, dass auch die uns
nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Grundlage im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin und in den
angrenzenden Landschaften vorfinden. Für Europa ist es wichtig, dass seine Regionen funktionieren. Regionale
Produkte in hoher Qualität können dabei helfen.
Mit den hier versammelten Portraits möchten wir ihnen Menschen mit ihren Unternehmungen vorstellen,
welche sich engagiert in die Geschicke ihrer Heimat einbringen. Sie prägen im Vertrauen auf ihre Arbeit und auf
ihre Umwelt das Gesicht unserer Landschaft und helfen ganz selbstverständlich mit, ihre Eigenart zu erhalten.
Diesen Menschen, dem Prüfzeichen und damit auch dem Biosphärenreservat wüsche ich weiterhin eine
solide und gedeihliche Entwicklung zu unser aller Nutzen.
Anke Jenssen
Referentin für ökologische Landnutzung im
Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin
Di e G ä r t n e r e i Winter in Oderberg
„Wir sind nicht für einen
persönlichen
Karriereplan hergekommen“
Den schnellen Aufschwung kann man den kleinen Familienbetrieben der
Region wohl nicht anhängen. Es ist schon viel wert,
wenn sie die eigenen Leute und ein paar Angestellte ernähren.
Die Gärtnerei Winter schafft das seit 100 Jahren.
Und beweist, dass Nachhaltigkeit viel mit ökonomischer Vernunft,
geistiger Beweglichkeit und professionellem Können zu tun hat.
Text und Fotos: Kenneth Anders
Die Gärtnerei Winter in Od e r b e r g
Steckbrief:
Die Gärtnerei
Hans Erich Winter, Jahrgang 1960, Inhaber der
Gärtnerei Winter, ist in Oderberg aufgewachsen und
studierte von 1981-86 an der Humboldt-Universität zu
Berlin Gartenbau. Seine Frau Ute ist gelernte Gärtnerin
und ebenfalls Diplomgartenbauingenieurin; beide lernten sich beim Studium in Berlin kennen. Anschließend
arbeiteten sie in Dresden: er in einer großen Gartenbaugenossenschaft, wo er eine Abteilung mit 40 Mitarbeitern leitete, sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin
in einem Gartenbauinstitut.
Das Jahr 1989 brachte deutliche Einschnitte: Die
Dresdener Genossenschaft zerfiel, zudem konnte Ute
Winter durch die Geburt eines schwerstbehinderten
Kindes ihre bisherige Tätigkeit nicht mehr ausführen.
Für ein halbes Jahr ging Hans Erich Winter daraufhin
zur Neuorientierung nach Westdeutschland in den
Garten- und Landschaftsbau. 1992 zogen beide
schließlich nach Oderberg, um im Betrieb seiner
Eltern zu arbeiten. Ute Winter eignete sich das
floristische Handwerk an, ihr Mann vertiefte sich
stärker in die Produktion. Unweit der alten Gärtnerei
baute die junge Familie ein neues Wohnhaus sowie
moderne Gewächshäuser und kultivierte zusätzliche
Anbauflächen. Ehrenamtlich ist Hans Erich Winter
im Gemeindekirchenrat Oderbergs aktiv, der seit über
einem Jahr eine unbesetzte Pfarrstelle kompensieren
muss.
unterhält den Produktionsstandort mit Gewächshäusern am Rande von Oderberg und ein Blumengeschäft in der Oderberger Innenstadt. Die Eltern
Winter arbeiten noch mit, obwohl sie bereits im
Rentenalter sind. Zudem sind zwei Angestellte im
Blumengeschäft tätig. Der Betrieb bildet fortlaufend einen Lehrling aus.
Blick auf den alten Standort der Gärtnerei und das Wohnhaus der
Eltern Winter am Bardin im Niederoderbruch.
Das Blumengeschäft in der Stadt - Veredlung und Optimierung sind
wesentliche Strategien, um als Familienbetrieb zu überleben.
Ein freundlicher Takt
Die Gärtnerei Winter liegt ein bisschen abseits, am so
genannten Bardin; einem Hang, der zur alten Oder hin
abfällt. Betritt man den Hof, hat man den Eindruck eines eingespielten Alltags: Leute aus dem Ort kommen
mit dem Rad vorbei und kaufen junge Gemüsepflanzen,
weil sie im städtischen Laden vergriffen waren. Mutter
Gretel Winter stellt zum Mittag Hefeklöße mit Blaubeerkompott oder Kartoffelpuffer auf den Tisch in der
Kellerküche - Gerichte, die im Sommer eine Weile stehen bleiben, so dass jeder zum Essen kommen kann,
wann er eben Zeit dazu findet. Ein Nachbar holt Kartoffeln und plaudert dabei ein bisschen. Die Handwerker an der Fassade haben zu tun, sie verbreiten keine
besondere Unruhe. Immer wedelt ein Dackel über den
Hof und bellt (das gibt es) ausgesprochen freundlich.
Der Familie merkt man an, dass sie ihre Abläufe beherrscht und nicht von allzu großem Ehrgeiz zerfressen ist.
Di e G ä r t n e r e i Winter in Oderberg
„Wir haben die Wirtschaftsform, die hier bestand,
im Wesentlichen erhalten.“ resümiert Hans Erich Winter die letzten Jahre der Firmenentwicklung und er
bestätigt zunächst der Eindruck der Gelassenheit: „Das
Arbeitstempo ist viel geringer als in großen Unternehmen.“ Das bedeutet: Produktion und Verkauf gehen
Hand in Hand, der Betrieb hat keine besondere Spezialisierung gewählt und ist auch nicht auf Wachstumskurs. Der Kundenkreis ist stabil: 70 % kommen aus
Oderberg, 20 % aus den umliegenden Dörfern: Brodowin, Hohensaaten, Liepe, Bölkendorf, Parstein, Lunow,
Neukünkendorf und Schiffmühle. Nur zehn Prozent
ihrer Produkte setzt die Gärtnerei bei Touristen oder
in größeren Städten ab - während der Eberswalder
Landesgartenschau stieg der Absatz vorübergehend
durch einen Marktstand in der Stadt.
Die Bindung an den Standort ist für die Gärtnerei
in erster Linie historisch bedingt - man ist hier „am
Markt“, hat seine Kunden und seinen regional verankerten Arbeitsprozess (Aus Lunow kommen - wer
weiß, warum - die besten Arbeiter). Das Grundstück
der Gärtnerei weist verschiedene Bodentypen von
feuchtem Lehm bis hin zu trockenem Sand auf. Das
ist nicht ungünstig, eine besondere naturräumliche
Bindung, wie man sie aus Forst- und Landwirtschaft
kennt, erwächst aber nicht daraus.
Zu koordinieren ist ein ziemlich komplexes Tagwerk, das nicht beliebig zu beschleunigen ist. Schnittblumen, Gemüse und Gemüsepflanzen, Kränze und
Gebinde für Hochzeiten, Feste und Beerdigungen
müssen in ständig wechselnden Anteilen bereitgestellt werden. Die beiden Standorte - Laden und
Gärtnerei - ermöglichen diese Strategie und blieben
daher bis heute erhalten, obwohl es sich manchmal etwas umständlich damit wirtschaftet. „In erster Linie
soll die Gärtnerei eine Familie ernähren.“ Das tut sie
auch, seit über 100 Jahren.
Ein Nachbar holt Kartoffeln ab. Mit vielen Kunden besteht eine lange
Bekanntschaft - wie auch zu den anderen „Mitbewerbern am Markt“.
Der Schauwert der alten Zeigerwaage ist immer noch ungeschlagen und eine Abwechslung für alle Kinder, die mit ihren Müttern Gemüse
kaufen gehen.
Gärtnern mit Tradition
Die Winters stehen in einer starken Gärtnertradition:
Vater Winter kam aus Pommern und lernte den Beruf
bei Tante und Onkel, die die Gärtnerei damals inne
hatten, Mutter Winter kommt aus einer schlesischen
Familie, in der alle Geschwister und die Eltern Gärtner
oder Floristen waren. Die Beziehung zur Profession in
Zeiten, in denen die Kinder immer seltener das Tagwerk ihrer Eltern fortsetzen, ist der Familie kaum eine
Rede wert. Sie ist selbstverständlich - und dennoch
voller Zufälle. In den wechselnden Namen des Betriebes und ihrer Besitzer (Ahrendt, Schönicke, Wieland,
Wielands Erben und Winter) erkennt man kaum noch
den Familienzusammenhang und ahnt doch die Beweglichkeit, die das Unternehmen und seine Besitzer
in der Geschichte aufbringen mussten.
Die Familie repräsentiert keine Berufsdynastie, sondern über Generationen wachsendes Wissen und eine
durchgängige Liebe zu ihrer Arbeit.
Hans Erich Winter hat mit seiner hohen beruf-
Die Gärtnerei Winter in Od e r b e r g
lichen Qualifikation und Erfahrung durchaus einen
Blick für die Gefährdungen mitgebracht, denen der
kleinen Betrieb ausgesetzt ist - und ein Interesse dafür,
wie seine Zukunft gesichert werden kann. Hinter der
Kontinuität der Familientradition verbirgt sich, so
wird man gewahr, weniger Beschaulichkeit, als es auf
den ersten Blick scheinen mag.
Das betrifft zunächst die Angebotspalette: so stabil
der Markt als Kundenkreis auch ist, was man für ihn
produziert, hängt vom momentanen Wohlstand ab. In
schlechten Zeiten wird mehr Gemüse nachgefragt, in
guten Zeiten mehr Blumen. In der DDR kompensierten die Gärtnereien teilweise die Engpässe der großen
Versorgungssysteme. Heute spielen die Blumen wieder
eine größere Rolle, deshalb ist der Blumenladen in der
Stadt unverzichtbar. Das Haus gehört den Winters,
sie haben es saniert und die im Obergeschoss befindlichen Wohnungen vermietet. Dass die Mehrwertsteuer auf Blumen immer noch sieben und nicht
sechzehn Prozent beträgt, ist ein stabilisierender Effekt, auf den kaum eine Gärtnerei gern verzichten
wird. Aber nicht nur der wechselnde Wohlstand, auch
der Bevölkerungsrückgang zwingt zu Anpassungen:
Oderberg, das in den sechziger Jahren noch mit stolzen 5000 Einwohnern aufwarten konnte, zählt heute
gerade noch 2800 Menschen und dementsprechend
weniger Kunden - Tendenz fallend. Dies betrifft ebenso die Dörfer, weshalb das über Jahrzehnte wichtige
mobile Marktgeschäft rückläufig ist. Vater Winter
hat seine regelmäßigen Wochentouren darum halbiert, die übrig gebliebene Route macht er weniger
des Geschäftes wegen, als aus guter Gewohnheit und
Entgegenkommen: die alten Kunden werden weniger,
neue kommen kaum dazu. „Es ist für die Alten, die
nicht weg können.“ Ausgeglichen wird diese Schrumpfung durch ein allgemein gestiegenes Preisniveau, welches nicht zuletzt wegen der floristischen Veredlung
von den Kunden auch akzeptiert wird. Die Waren im
Laden bestechen mit Frische, Qualität und Kreativität:
Optimierung als Überlebensform.
Dass man auch ohne Wachstumsperspektive aktiv
bleiben muss, wird somit greifbar. Die Verbesserung
der betrieblichen Infrastruktur durch größere und
gleichwohl energiesparende Gewächshäuser gehört
dazu - weshalb auch der Abschied von den kohlebeheizten alten, heute beinahe verwunschenen Anlagen bevorsteht. Berufliche Weiterbildungsangebote
nimmt Winter in den letzten Jahren nicht so viel in Anspruch, wie er es eigentlich möchte. Im Landesverband
für Gartenbau organisiert und zum Interessentenkreis
eines ökologischen Anbauverbandes gehörend, böten
sich hier noch zusätzliche Möglichkeiten.
Außerdem gibt es immer an der Dienstleistungspalette zu feilen: Einmal gefertigte Gebinde gehen an die
Kunden und müssten doch fotografiert werden, um sie
in einer Broschüre späteren Interessenten präsentieren
zu können. Der ständige Verkauf in der Gärtnerei verlangt ein waches Auge aller Beschäftigten, denn eine
Ein Hauch von Toskana: das alte Gewächshaus verbreitet großen
Charme, die Heizkosten sind dagegen weniger erfreulich.
Die neuen Gewächshäuser: nicht ganz so gemütlich, aber geräumig
und wegen des doppelwandigen Kunststoffdachs sparsamer im Betrieb.
Beweglichkeit in der Provinz
Di e G ä r t n e r e i Winter in Oderberg
eigene Verkaufskraft kann man für die wenigen Kunden, die hier täglich vorbeischauen, nicht einstellen:
kommen sie auf den Hof und keiner merkt es, gehen sie
wieder und bleiben fern.
Als Hans Erich Winter 1992 nach Oderberg
zurückkehrte, tat er dies nicht, ohne sich nach Alternativen zu einer Fortführung der bestehenden Wirtschaftsform zu fragen. Die dynamischere Arbeit in der
Dresdener Genossenschaft hatte ihm Spaß gemacht:
„Hätte der Betrieb Bestand gehabt, wär ich dort geblieben.“ Folglich lag es nahe, auch den Oderberger Standort nach Entwicklungspotenzialen abzuklopfen.
Nach westdeutschem Vorbild hätte sich eine Expansion zum Gartencenter angeboten: die Winters
wären aus der Produktion ausgestiegen und hätten
sich allein auf den Vertrieb konzentriert. Dagegen sprachen aber die geringe Bevölkerungsdichte in der Gegend, das fehlende Eigenkapital und das relativ stabile
- ja starre - Kundenpotenzial. Während Gärtnereien
in Großstädten oft durch den Verkauf ihrer Flächen
einen finanziellen und unternehmerischen Impuls zu
einer Neugründung vor den Toren der Stadt erhalten,
fehlte dieser in Oderberg völlig. Hinzu kam die kleinteilige Versorgungslage in der Region: In den benachbarten Ortschaften gibt es zahlreiche ähnliche
Familiengärtnereien. Der Aufschwung zum Gartencenter hätte nur dann einen Zweck gehabt, wenn man
deren Kunden durch niedrigere Preise und breitere
Angebotspaletten hätte gewinnen können - mit anderen Worten: man hätte seine Kollegen vom Markt
gedrängt. Dazu hatte Winter auch keine rechte Lust.
„Sicher fehlt es für weiter gehende Schritte auch an
Risikobereitschaft. Aber für diese bräuchte ich einen
größeren Leidensdruck.“
Umgekehrt wäre es auch möglich gewesen, aus dem
Verkauf auszusteigen und sich ganz auf die Produktion zu verlegen. Allerdings fehlte es dafür wiederum an
einem geeigneten Vertriebssystem, das die Waren auch
aufnehmen könne. Versuche, im Regionalmarkenladen des Biosphärenreservates Schorfheide-Chorin neue
Vertriebsformen aufzubauen, sind vorerst abgebrochen
und können auch aus eigener Kraft nicht gestemmt
werden. Und völlig spezialisierte Produktion - etwa die
Herstellung frischer Kräuter für die Käseproduktion
- verlangte wiederum einen großen technologischen
Vorlauf und einen völligen Neuanfang: Um etwa das
ganze Jahr über kontinuierlich frische Kräuter liefern
zu können, müsste aus der Gärtnerei ein lebensmittelindustrieller Betrieb werden, der vollkommen von der
wirtschaftlichen Lage der Verwertungskette abhängig
wäre. Schließlich hätte sich Winter mit seiner Erfahrung im Garten- und Landschaftsbau auch in diesem
Unternehmensfeld versuchen können - es war noch
weitgehend unerschlossen und im Zuge des Baubooms
in den neunziger Jahren wäre es vorübergehend vielleicht einträglich gewesen. Langfristig jedoch schien
auch dafür die Bevölkerungsdichte zu gering - und
die Gartenkultur der privaten Leute viel zu sehr auf
In schlechten Zeiten Gemüse, in guten Zeiten Blumen: gemessen am
Absatz der Winters, leben wir in eher besseren Zeiten.
„Wat haste denn noch dabei?“ Überlandverkauf in Bölkendorf: inzwischen mehr ein Geschäftszweig aus guter Gewohnheit.
Alternativen und warum es keine sind
Die Gärtnerei Winter in Od e r b e r g
selbständiges Pusseln in der eigenen Scholle ausgelegt.
So entschied sich Winter, das Vorhandene
weiterzuführen - und tat es damit den Kollegen der
anderen Gärtnereien gleich: „Hier haben alle im Rahmen ihrer Möglichkeit investiert und dadurch die alte
Struktur erhalten.“
Regionale Wertschöpfung?
Die eigenen Wachstumsgrenzen einer Familiengärtnerei limitieren auch die Kooperationschancen in
der Region, die das Regionalmarkenkonzept eigentlich
fördern will. Für die Belieferung des Berliner Regionalmarkenladens gab es Ansätze logistischer Kooperation, etwa mit der Weidefleischproduktion in Liepe;
darüber hinaus ging es nicht - das hätte bedeutet, einen komplett neuen Zweig im Vertrauen auf ein stabiles Wachstum des Berliner Absatzes aufzubauen.
Größere Produzenten wie das Gut Kerkow können
außerdem die saisonalen Schwankungen einer kleinen
Landgärtnerei nicht kompensieren. Was bleibt, ist
eine Atmosphäre der gegenseitigen Solidarität und
Unterstützung, die sich in erster Linie im eigenen Gewerbe auswirkt: die kleinen Gärtnereien aus Oderberg,
Altglietzen und Neuenhagen unterstützen sich beim
Einkauf, bei der Aushilfe mit dringend benötigtem
Material und durch eine vorsichtige Spezialisierung meist spontan, selten strategisch.
Wachstum? Ja, Blumen!
Ökonomische Perspektiven von Regionen und Betrieben werden immer noch unter Wachstumsgesichtspunkten betrachtet. Das ist, volkswirtschaftlich
gesehen, zunächst auch logisch: Es gehen permanent
Arbeitsplätze verloren, also müssen immer neue entstehen, um diese Menschen aufzufangen und eine regionale Wertschöpfung zu ermöglichen. Die Frage ist nur:
passt diese Logik auf alle? Ein Familienunternehmen
wie das der Winters kann die großen Strukturbrüche
der Nachwendezeit in der Uckermark und im Oderbruch nicht auffangen. Es ist schon viel, wenn sie diese
selbst überlebt und sechs Menschen ein Auskommen
bietet. Ein Rezept für den Aufschwung Ostbrandenburgs lässt sich bei „Blumen-Winter“ deshalb nicht
abholen - wohl aber ein Beleg des nachhaltigen Wirtschaftens im lokalen Kreislauf und ein Zeugnis des
guten Lebens. Relative Autonomie, vergleichsweise
ganzheitliche Arbeit und ein bescheidener Wohlstand:
wenn alle Bewohner des Biosphärenreservates das erreichen würden, wären die meisten wohl zufrieden. Der
Sinn für das Machbare, die Offenheit für Veränderung,
Geschick, Tüchtigkeit und soziale Wärme sind deshalb ein guter Grund, das Unternehmen in den Kreis
der Regionalmarkenproduzenten aufzunehmen. Und
sicher - sie haben das Schild auch an ihrer Ladentür angebracht. Ob die Marke die Blumen schmückt - oder
die Blumen die Marke - können wir offen lassen. �
Oderberg ist eine Stadt zwischen den Landschaften: Oderbruch, Uckermark und Barnim treffen sich hier auf engstem Raum.
Di e W e i d e w i r tschaft Liepe eG
Lieper Rinder am Hang des Choriner Endmoränenbogens. Hier kalben die Mutterkühe und ziehen ihre Kälber auf.
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Die Weidewirtschaft Liepe e G
„Wir brauchen ‚Regionalregale‘ mit
unseren Produkten in möglichst
jedem funktionierenden Markt der
Region.“
Landschaftspflege, Rindermast und Rohwurstspezialitäten:
Die Weidewirtschaft-Liepe eG
Text und Fotos: Lars Fischer
Ein Firmenporträt der Weidewirtschaft-Liepe eG?
Als bei der telefonischen Terminabsprache das Wort
„Regionalmarke“ fällt, hakt Karl-Heinz Manzke,
Geschäftsführer der Genossenschaft sofort ein: „Papier ist doch nun wahrlich schon genug beschrieben
worden, wir müssen mit unseren Regionalprodukten
an den Markt.“ Seit Jahren quäle man sich damit,
eine Institution zu schaffen, die die Produkte aus
dem Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin zusammenfasst, um die gemeinsame Vermarktung anzuschieben und bekomme es nicht in den Griff. Ein
professionelles Marketing, das die Erzeugnisse der Region zentral vermarktet, fehle und auch die Logistik für
eine verlässliche Belieferung der Kunden. Der Markt
sei da, regionale Produkte würden nachgefragt, gerade
in den Städten und vor allem in Berlin, das hätte Analysen von Experten ergeben. Ebenso, dass die Kunden
sie gerne dort kaufen möchten, wo sie auch sonst einkaufen gehen, im Supermarkt. Die aber würden ihre
Ware nicht gerne vom einzelnen Bauern beziehen,
wegen des zu hohen Verwaltungsaufwands. Der Absatz auf Bauernmärkten, Sommerfesten für Touristen,
in Hof- und Naturkostläden sei zwar ausbaufähig,
brächte aber nicht den richtigen Schub, um einen Be-
trieb wirtschaftlich voranzubringen. Von der Region
wolle er erst gar nicht reden. Allein von der schönen
Natur könne man nicht leben. „Was wir brauchen,
sind Regale mit Regionalprodukten in möglichst jedem funktionierenden Markt der Region!“
Das Gespräch schien mit diesem Satz zu Ende. Ob
ein Firmenporträt diese Einschätzungen nicht verdeutlichen könne? „Wenn Sie meinen, na, dann kommen
Sie, aber fassen Sie sich kurz!“
Zwischen Höhe und Niederung
Liepe markiert die Grenze zweier Landschaften. Hier
trifft die Uckermark auf das Oderbruch. Vom Schiffshebewerk bei Niederfinow aus betrachtet, liegt die Struktur des landschaftlichen Übergangs deutlich vor Augen.
Nördlich der langen Dorfstraße liegen die Häuser
an den Südhängen des Choriner Endmoränenbogens,
südlich öffnen sich die Höfe in die weitläufigen Wiesen
des Niederoderbruchs. Mit einem Fernglas würde man
wohl auch die Rinderherden der WeidewirtschaftLiepe eG erkennen können, braune, schwarze und
grauweiße Punkte auf dem satten Grün der Niederung
oder dem hellen, ins Gelbliche gehenden Grün der Magerrasen, die den Forst auf den Hängen lichten.
11
Di e W e i d e w i r tschaft Liepe eG
Die Weidewirtschaft-Liepe eG liegt mit ihrem
Betriebsgelände zum Niederoderbruch hin. Das Büro
von Karl-Heinz Manzke ist in einem Flachbau untergebracht, gleich neben dem Hofladen. Es ist ruhig auf
dem Hof. Die Rinder sind bis zum Winter auf den
Weiden, der Hofladen nur freitags geöffnet. Aus der
Fleischerei, die in einer großen Halle untergebracht ist,
kommt ein Mitarbeiter. „Der Chef ist gleich da, steht
noch an der Ampel in Oderberg. Seit die Holzbrücke
über die Alte Finow gesperrt ist, kommen wa nich
mehr durch de Wiesen. Wegen jedem Mist musste
jetzt `nen großen Bogen machen. Und die Jemeinde hat
keen Jeld für `ne neue. Sind keene juten Zeiten.“
Karl-Heinz Manzke fährt in einem geländegängigen
roten Pick-up vor. Er war noch in Bralitz bei einem Bauern, der Futtermais für ihn anbaut. Die Wildschweine
lassen es sich im Mais gut gehen, die Jäger kriegen sie
nicht heraus, der Bauer will den Schlag abernten, um
die gefräßigen Schweine loszuwerden, aber der Mais
ist noch nicht so weit. „Sollen die Jagdpächter den
Ausfall zahlen, wenn sie nicht genug schießen“, meint
Manzke. Im Büro greift er sofort zum Telefon auf
dem papiergefüllten Schreibtisch und deutet mit der
anderen Hand an, ich solle mich setzen. „Der Mais
muss mindestens noch ein, zwei Wochen stehen. Dann
müssen sie die Wildschweine da rausholen.. Der hat
noch nicht den Energiegehalt. Aber wozu erzähle ich
dir das, du bist doch mein Berater. Kümmere dich mal
drum.“ Nachdem er aufgelegt hat, setzt er sich mit an
den Tisch. „Wir sind auf den Mais als Futterzusatz in
den Wintermonaten angewiesen. Heu und Silage machen wir zu 90% selber. Und sie wollen was über uns
schreiben, na dann mal los.“
Die Beweidung der Magerrasen an den Hängen des Choriner
Endmoränenbogens erhält den offenen Charakter der Landschaft.
„Na dann mal los.“ Karl-Heinz Manzke, Geschäftsführer der Weidewirtschaft Liepe eG.
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Der Betrieb und sein Leiter
Karl-Heinz Manzke ist seit der Gründung der Weidewirtschaft - Liepe eG im August 1991 Geschäftsführer
der Genossenschaft. Bis Anfang 2004 führte er auch
die Geschäfte des Tochterunternehmens der Genossenschaft, der 1998 gegründeten Weidefleisch-Liepe
GmbH.
Die Geschicke der hauseigenen Fleischerei und die
Vermarktung ihrer Produkte liegt auch heute in seinen Händen, die GmbH wurde aber nach 6 Jahren am
Markt wieder in die Genossenschaft zurückgeführt.
Manzke, Jahrgang 58, ist auf Rügen aufgewachsen.
Nach Liepe führte ihn seine Frau, die er 1986 heiratete. Arbeit fand der Agraringenieur bei der LPG
Oderberg. Er übernahm die Leitung des Betriebsteils
Färsenproduktion in Liepe. 25 Mitarbeiter waren damals in der Rinderaufzucht beschäftigt. Die Kälber
bezog man von den Betrieben der Kooperation in Parstein, Lunow, Lüdersdorf oder Brodowin. Gestützt auf
eine intensive Gründlandwirtschaft wurden die Tiere
aufgezogen und als tragende Färsen für die Milchproduktion weiterverkauft. Nach der Wende brach der
Absatz ein und der Betriebsteil der LPG Oderberg in
Liepe stand vor dem Aus. Vor die Wahl gestellt, in die
Die Weidewirtschaft Liepe e G
Die „Lieper Landschaftswiesen“ im Naturschutzgebiet „Niederoderbruch“. Melioration und nachfolgende Grünlandwirtschaft haben diese Landschaft geprägt.
Arbeitslosigkeit zu gehen, oder den von der Schließung
bedrohten Betriebsteil in Liepe zu übernehmen, entschlossen sich Manzke und 7 Mitarbeiter für die
Ausgründung einer selbstständigen Genossenschaft.
Die neue Genossenschaft bot nur noch den acht
Eigentümern, alle um die 30 Jahre jung, einen Arbeitsplatz. Die älteren Mitarbeiter gingen den Weg
in den Vorruhestand. Die Stallanlagen und
Wirtschaftsgebäude sowie die notwendige Agrartechnik wurden von der LPG Oderberg/Liepe durch Teilung übernommen. Ebenso wurden die Altkredite der
LPG geteilt und dem jungen Unternehmen mit auf
den Weg gegeben. Das Weideland für die knapp 500
Mutterkühe, 200 Jungrinder und 15 Deckbullen wurde
gepachtet, insgesamt 650 Hektar.
Ökologische Grünlandnutzung und Landschaftspflege
Ein Drittel der Flächen liegt im Landschaftsschutzgebiet „Choriner Endmoränenbogen“, das zu
den Entwicklungszonen des 1990 gegründeten
Biosphärenreservats Schorfheide-Chorin gehört. Die
anderen beiden Drittel sind Teil des NSG „Niederoderbruch“, einer Pflegezone des Biosphärenreservates.
Der Naturschutz verfolgt in den Wiesen der Oderniederung das Ziel, die über viele Jahrzehnte durch
Beweidung und Mahd entstandene Kulturlandschaft
mit ihrem Reichtum an naturnahen Lebensräumen
zu erhalten. Unter diesen Voraussetzungen war abzusehen, dass eine intensive Grünlandwirtschaft auf
diesen Flächen keine Zukunft haben würde. Konsequenter Weise entschied sich die Genossenschaft
dafür, den Betrieb ökologisch auszurichten und die
Grünlandwirtschaft zu extensivieren. „Dabei wurden
wir vom Biosphärenreservat unterstützt, denn wenn
die Rinder weg sind, dann gibt es hier bald auch kein
Naturschutzgebiet mehr.“
Im zeitigen Frühjahr werden die Rinderherden
auf die Weiden an den Südhängen des Choriner
Endmoränenbogens getrieben. Hier kalben die meisten
Mutterkühe und ziehen mit ihrer Milch die Kälber auf.
Mit Argusaugen achten die Bullen und Leitkühe der
Herden auf die Kälber. „Ab und an, meist im Mai
kommen auch ein paar Touristen und wollen das Kalben beobachten. Ich kann denen nur raten, nicht auf
die Koppeln zu gehen“, betont Manzke. „Durch artgerechte Weidehaltung verwildern die Tiere wieder ein
Stück, prägen ihren Herdeninstinkt aus. Da weiß man
nie und ehe man sich versieht, hat man es mit dem Bullen oder einer besonders fürsorglichen Mutterkuh zu
tun.“ Sind die Weiden abgegrast, werden die Herden
umgetrieben. Im Hochsommer wird das Futter an den
Hängen knapp und die Tiere werden in die frischen
Wiesen im Niederoderbruch getrieben. Hier können
die Kälber in Ruhe aufwachsen. Den Winter verbringen sie dann in den Rinderställen mit Auslauf und werden mit dem Heu gefüttert, das zwei Mal im Jahr auf
den Wiesen im Oderbruch gemäht wird.
Da die Genossenschaft gemäß den Richtlinien
des ökologischen Landbaus keine Chemie auf ihrem
Grünland ausbringt, bekommen die wichtigen
Nutzgräser immer stärkere Konkurrenz von Kräutern
und Unkräutern und die Futterqualität lässt nach.
„Der Naturschutz sieht den Artenzuwachs natürlich
gern. Aber die wachsende Zahl von Giftpflanzen, wie
Wasserschierling, Herbstzeitlose, schwarzer Nachtschatten, scharfer Hahnenfuß und andere, wird zunehmend zur Gefahr für die Rinder“, berichtet Manzke.
Plötzliche Verendungen von Tieren auf der Weide deuten darauf hin, dass Tiere an Pflanzengiften zu Grunde
gehen oder erkranken. Wenn die Vertragsnaturschutzgelder nicht rückläufig wären, könnte er beispielsweise teures Guano, einen naturverträglichen
Dünger, kaufen und ausbringen, um den Boden mit
Nährstoffen für die Nutzgräser anzureichern. Auch die
Grünlandpflegemaßnahmen, wie Schleppen, Walzen
und konsequentes Nachmähen und gezielte Nachsaat
der Weideflächen verbessern den Grünlandbestand.
13
Di e W e i d e w i r tschaft Liepe eG
Zum Viehumtrieb werden fast alle Mitarbeiter gebraucht, um die
Herden beieinander zu halten. Voran der Pfleger der Herde, den die
Tiere kennen.
Da er das Geld aber nicht hat, „wird derzeit eben
nur das Nötigste gemacht, und die Wiesen verunkrauten zunehmend.“
Die betriebswirtschaftliche Strategie, ökologische
Landwirtschaft und Landschaftspflege zu verbinden,
ging auf, weil die Landwirte neben den normalen
Agrarsubventionen auch Mittel aus dem Vertragsnaturschutz erhielten. Diese werden in jüngster Zeit immer knapper, was Manzke als prekär schildert: Ohne
diese Zuschüsse komme der Betrieb nicht aus, und
auch die Landschaftspflege leide darunter. „Die Wiesen verbuschen, damit schwinden die Lebensräume für
Storch und Kranich.“ Daher hofft er, dass mit der EUAgrar-Reform die Leistungen der Landwirte für die
Landschaftspflege stärker in der Vordergrund treten
und angemessen honoriert werden.
„Hier fahren doch alle um ihr Leben“
Um die eigene Wirtschaftskraft der Genossenschaft
zu erhöhen und so auch finanziell unabhängiger
von Zuschüssen zu werden, gründete die Weidewirtschaft-Liepe eG 1998 eine Tochtergesellschaft für
die Veredelung und Direktvermarktung hauseigener
Rindfleischprodukte: die Weidefleisch-Liepe GmbH.
Überzeugt von der besonderen Qualität der ökologisch
erzeugten Rinder - über deren gut „marmoriertes, feinfasriges Fleisch“, das „kernig und herzhaft im Geschmack“ ist, Manzke ins Schwärmen gerät - wurde
eine Fleischerei nebst Hofladen eingerichtet.
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Die alten Stallanlagen aus LPG-Zeiten wurden um einen Auslaufbereich erweitert und dienen den Rindern als Winterquartier.
Die Fleischerei kaufte die Tiere von der Genossenschaft, ließ sie im nahegelegenen Schlachthof von
Bad Freienwalde schlachten und verarbeitete dann das
Fleisch. Produziert wurde vor allem frisches Biorindfleisch, vom Kamm über Rouladen bis zum Filet, aber
auch Salami und andere Rohwurstspezialitäten bis hin
zu Leber- und Blutwurst, die im Glas angeboten wurden. Das für die Wurstherstellung notwendige Schweinefleisch wurde von Bauern der Region zugekauft. Die
Naturgewürze, die nicht aus der Region bezogen werden konnten, mischte der Fleischermeister selbst.
Um aus der nahezu perfekten Produktkette auch
eine Wertschöpfungskette werden zu lassen, wurde
viel Kraft in die Vermarktung der Produkte gesteckt,
die
das
Siegel
der
Regionalmarke
des
Biosphärenreservates trugen. Kooperationen mit anderen Regionalmarkenträgern wurden eingegangen, um
sie als Weiterverkäufer zu gewinnen, aber auch, um
deren Produkte im eigenen Hofladen in Liepe anzubieten, damit der an Attraktivität für die Kunden gewinnen kann. Ein Verkaufswagen für Überlandtouren
wurde angeschafft. In einem Supermarkt in der Kreisstadt Eberswalde eine Fleischtheke eröffnet. Kontakte
zu Märkten in der Region und zu Naturkostläden in
Berlin geknüpft. „Aber das alles brachte nicht den richtigen Schub“, bilanziert Manzke. „Schauen sie sich
doch mal auf einem Markt um. Da stehen drei Fleischer
mit ihren Wagen und vor ihnen tummelt sich ein Kunde - hier fahren doch alle um ihr Leben! Und wir haben
Die Weidewirtschaft Liepe e G
In Liepe geht´s um die Wurst. Was das Sortiment hergibt, wird für den
Kunden arrangiert. Ein Wurstpräsent für die ganze Familie.
Seit 2004 Standard: der digitale Rindercode. Die fälschungssichere
Tierakte soll das Vertrauen der Kunden in die Lieper Rinderzucht
weiter stärken.
noch den Nachteil, dass unsere Bioprodukte teurer in
der Herstellung sind.“
Die Tochtergesellschaft konnte sich auf dem Markt
für Fleisch- und Wurstwaren nicht behaupten und
wurde Anfang 2004 wieder in die WeidewirtschaftLiepe eG zurückgeführt. Von den ehemals sieben Angestellten der GmbH arbeiten heute noch zwei in der
Genossenschaft, ein Geselle in der Fleischerei und eine
Verkäuferin auf Stundenbasis für Verkaufsaktionen in
Supermärkten und freitags im Hofladen, dessen Sortiment fast ausschließlich aus der eigenen Produktion
stammt.
Aus dem Faxgerät surrt eine Bestellung. Die Käserei
Wolters ordert für ihren Regionalladen in Templin 10
Gläser Leberwurst und 10 Gläser Blutwurst. „Das sind
so die Mengen, um die es sich in der Region hier dreht“,
kommentiert Manzke. „Die nimmt morgen der Fahrer
von Hemme-Milch mit.“ Kleinere Bestellungen werden ansonsten per Paketdienst verschickt, wird es mal
mehr, fährt ein Kleintransporter die Ware aus.
kunft der Fleischprodukte online penibel zurück zu
verfolgen und der Betrieb setzt auf seine regionale
Herkunft aus einer in Berlin gut bekannten Region.
Die ökologische Rindersalami „Schorfheider Bio“ ist
ein erster Schritt, die Weidewirtschaft-Liepe eG zu
dem Rohwurstspezialisten der Schorfheide zu machen.
„Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Produkte an
den Markt, dorthin, wo die Kunden es gewohnt sind
einzukaufen, in die Supermärkte. Das kann nicht jeder
kleine Betrieb alleine für sich machen. Allein sind wir
zu schwach.“
Über die Profilierung der hauseigenen Fleischerei
verliert Manzke die Entwicklung des Hauptgeschäfts
der Weidewirtschaft nicht aus den Augen. Ein zweites Schleppdach für die Lagerung des Winterfutters
will er bauen und die Dachflächen für eine Solaranlage
nutzen. „Aber viel wichtiger ist, dass die gesperrte
Holzbrücke über die Alte Finow, beim Schöpfwerk
hinten in den Wiesen nach Bralitz zu, neu gemacht
wird. Jetzt müssen wir mit unserer ganzen Technik
ums halbe Oderbruch fahren, um auf die Flächen vor
„Schorfheider Bio“
unserer Haustür zu kommen. Das ist kein Zustand.
Manzke ist sich sicher, dass es für Ökofleischwaren Aber die Gemeinde hat kein Geld, nicht mal den Eigenkontrollierter Qualität eine gute Zukunftschance gibt. anteil für die Förderung. Wir brauchen einen Weg in
Die Genossenschaft erfüllt hierfür alle Voraussetzung: die Wiesen.“ Wer einmal mit dem Fahrrad zwischen
der Betrieb produziert ökologisch, was der anerkannte Liepe und Bralitz beidrehen musste, weiß, wovon er
spricht.
Verein BIOPARK jährlich überprüft und zertifiziert.
Die Rinder verfügen über eine fälschungssichere „digitale Akte“, die es jedem Kunden ermöglicht, die Her15
Di e W e i d e w i r tschaft Liepe eG
Noch an der Lieper Hauptstraße und doch schon in den Wiesen. Der Wirtschaftshof der Genossenschaft ist nüchtern und funktional, nur der
Hofladen setzt ein Zeichen.
Geschlossene Kreisläufe nicht nur in der Rinderproduktion: Auf dem Dach der neuen Halle für das Winterfutter wird eine Solaranlage installiert
werden.
Der kurze Weg in die Wiesen führt über die Alte Finow. Die Sperrung der Brücke ist nicht nur für den Landwirt hinderlich. �
16
Die Fleischerei Ortlieb in Althütt e n d o r f
Viele Standbeine, kein Spielbein
Der Familienbetrieb der Ortliebs in Althüttendorf ist mehr als eine
Fleischerei - er ist ein umfassender Arbeits- und Lebenszusammenhang
Text und Fotos: Kenneth Anders
Die Zeit ist knapp, für ein Foto reicht sie gerade noch. Siegfried Ortlieb vor seinem Büro in
Neugrimnitz, September 2004
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Di e F l e i s c h e rei Ortlieb in Althüttendorf
Wer einen Termin mit Siegfried Ortlieb machen will,
hat es nicht leicht, ihn ans Telefon zu bekommen.
Er könnte im Büro seines Landwirtschaftsbetriebes
sein oder draußen auf den Flächen, bei seinen Leuten
oder bei den Tieren. Er könnte sich auch in einer der
Fleischereifilialen in Joachimsthal oder Althüttendorf
aufhalten, die von seiner Frau bzw. seiner Schwiegertochter geleitet werden. Vielleicht befindet er sich aber
gerade im Bürgermeisterbüro in Althüttendorf, schaut
bei seiner Tochter in der Pension vorbei (wenn die
nicht hinter der Theke steht) oder er ist mit einer
Lieferung unterwegs. Es sind viele Kreise zu drehen,
die gerade noch beherrschbar bleiben, weil sie sich lokal überschneiden. „Wir hatten schon immer mehrere
Standbeine“ resümiert er die 135-jährige Geschichte
des Familienbetriebs.
Will man eine Fleischerei auf dem Land betreiben,
kann man sich nicht in den Laden setzen und warten,
dass Kunden kommen. Man muss veredeln, kochen,
anbieten- und sehr viel Zeit investieren. „Um fünf Uhr
morgens geht es los, mit einer kurzen Besprechung,
dann fliegen alle aus. Oft arbeiten wir bis in die Nacht.
Die Anforderungen sind nur als Familie zu leisten - einem Angestellten können sie das nicht abverlangen“,
resümiert Ortlieb. Aber von vorn.
mit dem Handwagen beliefert - per Bestellung.
Ihr Sohn Hermann zog dreißig Jahre später an den
heutigen Standort in die Dorfstraße um und eröffnete
hier ein neues Schlachthaus und einen Laden. Zur
Kühlung sägte man winters Eisblöcke für eine ganze
Saison aus dem Grimnitzsee und lagerte sie in einem
Eiskeller ein.
Hermann Krohn fiel 1917 im ersten Weltkrieg. Ehefrau Anna und Tochter Elli führten das Geschäft
allein weiter, bis 1923 der Bauernsohn Adolf Höhr
in die Familie einheiratete und es später als Meister
übernahm. Noch heute ist sein Name an der Fleischerei
in Althüttendorf zu lesen. Die zwanziger Jahre waren
die Blüte der Berliner Wochenendausflüge ins Brandenburgische, davon profitierte auch die Fleischerei.
In das hübsche Dorf am Grimnitzsee kamen die Berliner gern. Man öffnete sonntags - bis die Zeiten wieder
schlechter wurden. Adolf Höhr musste in den zweiten
Weltkrieg, wieder waren die Frauen auf sich gestellt.
Der Krieg brachte den Mangel, in seiner Folge verschlechterten sich auch die politischen Rahmenbedingungen für eine private Fleischerei. 1966 wurde sie
in eine Konsumverkaufsstelle umgewandelt. Zugleich
gab es einen Generationswechsel. Der Neffe der Familie, Siegfried Ortlieb, war Bank- und Handelskaufmann
und stieg erst 1968 in die örtliche Landwirtschaft ein,
Kriege und andere wechselvolle Zeiten
seine Frau Angelika wurde dagegen Leiterin der VerIm Jahr 1869 eröffneten Ferdinant und Wilhelmine kaufstelle. 1986 bekam sie die Möglichkeit, die FleiKrohn eine Schlächterei direkt am Grimnitzsee in scherei wieder in private Regie zu nehmen und gab sie
Althüttendorf. Das Nachbardorf Neugrimnitz wurde 1990 schließlich an ihren Sohn Ralf weiter.
Althüttendorf. Der Ort besticht mit seiner idyllischen Lage am Grimnitzsee - und mit seiner Nähe zur A 11.
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Mutter und Tochter hinter der Theke: dass sie um diese Zeit schon acht
Stunden auf den Beinen sind, ist ihnen nicht anzumerken.
Die Fleischerei Ortlieb in Althütt e n d o r f
Das „Stammhaus“ in Althüttendorf. Auf der Tafel unter dem Ladenfenster ist noch der Name des Onkels zu finden, der die Fleischerei in der Mitte
des zwanzigsten Jahrhunderts betrieb.
Siegfried Ortlieb absolvierte unterdessen verschiedene Stationen des landwirtschaftlichen Berufs: Nach
einer Meisterausbildung arbeitete er als Melker
im Kuhstall, später in der Pflanzenproduktion.
Schließlich übernahm er den Bereich Futterwirtschaft
in Althüttendorf/Neugrimnitz. „Das war die schönste
Zeit“ erinnert er sich heute „ich hatte viel Gestaltungsfreiheit und der Druck war nicht so groß.“ Nach
der 89er Wende wurde der Betrieb in eine GmbH umgewandelt, deren Geschäftsführer Ortlieb heute ist.
Die heutige Struktur
Auch wenn es nicht der historischen Reihenfolge entspricht, scheint es doch logisch, mit dem Landwirtschaftsbetrieb in Neugrimnitz zu beginnen - denn
hier wird das produziert, was es nachher zu verkaufen gibt.
Die GmbH beschäftigt fünf Angestellte, mit denen sie
knapp 600 ha Land bewirtschaftet. Die Hälfte davon
ist Weideland, auf dem 250 Mutterkühe stehen. Die
150-200 Schweine sind auf mehrere Ställe verteilt, das
Futter wird extensiv produziert.
„Wir halten die Tiere hier noch altdeutsch“, erklärt
Siegfried Ortlieb, „auf Stroh.“ Die Ställe sind weiß gekalkt und luftig - der typische Schweinestallgeruch
„Wir halten die Tiere altdeutsch, auf Stroh.“ Im Neugrimnitzer Schweinestall ist es hell, luftig und freundlich. Wer meint, in einem Schweinestall müsse es riechen „wie in einem Schweinestall“, wird in den hiesigen
Anlagen eines Besseren belehrt. Während in anderen Teilen der Uckermark eine erbitterte Auseinandersetzung über die Wiedereinrichtung
von Großmastanlagen geführt wird, beschränkt sich der Betrieb in
Neugrimnitz auf das, was der eigene Naturraum hergibt.
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Di e F l e i s c h e rei Ortlieb in Althüttendorf
fehlt fast gänzlich. In Schubkarren steht säuberlich das
vorbereitete Futter für die nächste Fütterung. Einen
guten Viehstall erkennt man daran, dass man sich - zumindest nach dem Ausmisten - am liebsten zu den Tieren dazulegen würde. Bei Ortlieb würde man.
Ortlieb produziert alles, was bei Ortliebs über die
Theke geht. Das Fleisch wird in eigener Schlachtung
verarbeitet, Ralf Ortlieb hat zu diesem Zwecke eigens
eine Schlachtgenehmigung erworben. In der eigenen
Fleischerei wird veredelt, Wurst hergestellt, Gulasch
gekocht, Spanferkel und Platten vorbereitet. Von hier
aus geht es hinter die Ladentische.
Die Verkaufsstelle in Althüttendorf leitet Mutter
Angelika Ortlieb, in Joachimsthal steht Schwiegertochter Ines hinter der Theke.
Die Pension und das kleine Fachgeschäft in Neugrimnitz werden von Tochter Annegret betreut, zudem gibt es noch einen Imbiss in der Althüttendorfer
Bahnhofsstraße. Außerdem wird auf Bestellung geliefert: kalte Buffets und Platten zu Festen und sämtlichen
Gelegenheiten. Schließlich betreibt Angelika Ortlieb
noch ein Gasthaus in Neugrimnitz - „Zum wilden
Uhu“. Es ist nicht regelmäßig geöffnet - dafür leben zu
wenig Menschen im Dorf und die Gewohnheiten der
Leute sind auch nicht mehr danach. Also öffnet man
auf Zuruf - für Familienfeste, Treffen, Jubiläen.
„Es ziehen alle an einem Strang“
Das Gasthaus „zum wilden Uhu“ wird von der Eule geschmückt: eine
so unkomplizierte Aneignung von Naturschutzsymbolen würde sich
wohl jedes Großschutzgebiet wünschen.
Hinter der unscheinbaren Fassade verbirgt sich nicht nur das Büro des
Ortsbürgermeisters, sondern auch ein kleiner Festsaal. Insbesondere
von den Rentnern im Dorf wird er gern genutzt. Ein Jugendklub befindet sich nebenan: „Es geht so, mit dem Lärm.“
20
Schließlich ist Siegfried Ortlieb auch noch
Ortsbürgermeister. Er macht das jetzt schon über
zwölf Jahre, seit 1992 ist er im Amt. In dieser Zeit
hat sich viel geändert, die Gemeinde Althüttendorf hat
sich bemüht, ihren Weg stetig und ruhig zu gehen,
hat saniert und erschlossen, ohne sich als Boomtown
zu gebärden. Somit liegen die Karten heute gar nicht
schlecht - der Ort befindet sich im Biosphärenreservat
Schorfheide - Chorin, sehr nahe an der Autobahn und
ebenso nahe am Grimnitzsee. Der alte Dorfkern mit
seinem Holzkirchturm hat Charakter, das Land ringsum ist offen und lieblich.
Das weckt das Interesse von jungen Familien, die
auf dem Land leben wollen - und das vieler Berliner.
Kürzlich hat das Berliner Architekturbüro Modersohn
und Freiesleben, das gerade zwei Projekte am Potsdamer Platz abgeschlossen hatte, hier ein kleines Landhaus gebaut, das sich voller Respekt vor der alten
Struktur in die Straßenzeile schmiegt - Spitzenarchitektur im kleinen Maßstab. Auch die Infrastruktur ist
besser als die vieler anderer Dörfer - z.B. ist kürzlich
ein Kindergarten in freier Trägerschaft gegründet worden. Und obwohl der Ort vom Amt Joachimsthal verwaltet wird, ist das Gemeindebüro immer noch mit
einer Kraft besetzt - ein Vorteil, den nicht viele Dörfer
in Brandenburg für sich verbuchen können. „Ich hab
Die Fleischerei Ortlieb in Althütt e n d o r f
Der Wanderweg zum Schweizerberg führt direkt durch die Flächen des Die Filiale in Joachimsthal - Bei aller Aktivität haben Ortliebs immer
Neugrimnitzer Landwirtschaftsbetriebes. Hier hat man einen weiten darauf geachtet, einen überschaubaren Raum zu erschließen, der logiBlick über die glaziale Landschaft, bis hinunter zum Grimnitzsee. Nicht stisch für ein kleines Unternehmen beherrschbar bleibt.
viele Landwirte integrieren die Bedürfnisse von Naherholung und Tourismus so bereitwillig in ihre Flächen.
das gern gemacht, weil die Gemeindevertretung über
Parteiengrenzen hinweg so aktiv war. Es herrschte immer eine große Einigkeit, dadurch haben wir viel bewegt. Es müssen eben alle an einem Strang ziehen.“
Die Familie als Ressource
Die fünf aktiven Familienmitglieder der Fleischerei
werden derweil von drei Angestellten unterstützt. Dieser Zahlenschlüssel sagt viel über die Überlebenskunst
der Ortliebs aus - jeder muss ran. Auf diese Weise, so
resümiert Vater Siegfried, sei am Jahresende eigentlich
immer „etwas übrig geblieben.“
Nur in den letzten zwei Jahren habe die schlechte
Konjunktur auch auf das eigene Ergebnis durchgeschlagen. „Im Moment wirtschaften wir so, dass sich
der Kreis gerade schließt.“ Man hofft, dass es wieder
besser wird. Auf jeden Fall ist der geschlossene Kreislauf von Produktion, Veredlung und Vertrieb keine
Folge übertriebenen Ehrgeizes, sondern eine belastbare, wenn auch anstrengende wirtschaftliche Strategie.
Und zugleich ein besonders prägnanter Fall regionalen
Wirtschaftens.
An einem Strang ziehen - das könnte auch das Lebensmotto von Siegfried Ortlieb sein. Dass das von allen Beteiligten viel abverlangt, kann man sich denken
- auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht.
Denn Visavis der Althüttendorfer Fleischerei hat Siegfried Ortlieb sich und seiner Frau ein hübsches „Altenteil“ gebaut, auf einem malerischen Wiesengrundstück.
Auf denen grasen Kühe und Ziegen. Und die wirken
nicht sehr gestresst. �
21
Ha u s C h o r i n
Am Ufer des Amtssees umfängt einen mitunter ein Hauch romantischer Sehnsucht.
22
Haus C h o r i n
„Die Natur ist unser Kapital.
In Deutschland gibt es nicht noch
mal so `ne Ecke.“
Vor knapp 20 Jahren entzogen sich Ulrike und Thomas Lenz dem
„Werben“ der sozialistischen Einheitspartei, kehrten ihrem nun perspektivlos gewordenen Angestelltendasein in Berlin den Rücken und
übernahmen das evangelische Erholungsheim Haus Chorin. Aus der
damals unscheinbaren Einrichtung machten sie mit Witz und Ausdauer
ein Hotel, das nicht nur in einer einmaligen Landschaft steht, sondern
auch bewusst von ihr lebt. Chorin Nature Tours ist ein Angebot, für das
das Hotel die Regionalmarke trägt.
Text und Fotos: Lars Fischer
Das Haus Chorin steht auf einem Hügel der Choriner
Endmörane etwas außerhalb des Dorfes Chorin, wenige hundert Schritte vom Zisterzienserkloster entfernt.
Im Winter, wenn das Laub gefallen ist, sind die roten
Backsteinmauern zwischen den Bäumen zu erkennen.
Im Sommer fängt der Mischwald alle Blicke ein. Selbst
der Amtsee zu Füßen des Hauses ist dann kaum zu sehen. Zum See führt ein schmaler Fußweg, der an einem
Steg endet.
Die Geschichte des Hauses Chorin beginnt 1907. Damals ließ sich der Geologieprofessor und Mitarchitekt
der Berliner U-Bahn Hans Tormin hier seinen Sommerwohnsitz bauen: Die Villa Chorin. Nach eigenen
Entwürfen des Hausherrn wurde auch ein 14 Hektar
großer, heute verwilderter Park mit teilweise erlese-
nen Baumarten angelegt, die aus dem forstbotanischen
Garten in Eberswalde besorgt wurden. Tormin verkaufte sein Anwesen 1917 an eine Musikerin. Sechs
Jahre später erwarb es der „Evangelische Chorinbund“
und richtete ein Müttergenesungswerk ein. Unter der
Leitung des „Chorinbundes“ wurde das Haus dann
1928 Mitglied im VCH, dem Verband Christlicher Hospize. Diesem, der sich heute Verband Christlicher Hoteliers e.V. nennt, gehört das Haus Chorin noch immer
an. Nach dem zweiten Weltkrieg zogen vorübergehend
Kriegsflüchtlinge in das Haus. Der Mangel an Lebensmitteln und Brennholz blieb für die Parkanlage
nicht ohne Folgen; es wurden Bäume geschlagen und
Nutzgärten angelegt, um sich mit dem Nötigsten selbst
zu versorgen. 1949 wurde das Haus Chorin wieder
23
Ha u s C h o r i n
als kirchliches Erholungs- und Tagungsheim hergerichtet und bis zum Ende der DDR als solches betrieben. Da kirchlichen Mitarbeitern die Ferienplätze des
FDGB verschlossen blieben und die Kirchen nicht
in öffentlichen Räumen tagen durften, war das Haus
gut ausgelastet. Aber auch seit Mitte der 60er Jahre
unter ständiger Beobachtung der Staatssicherheit, die
in einer Villa der Nachbarschaft auch ein „Erholungsheim“ unterhielt. „Vor allem während der Tagungen
mit westdeutscher Beteiligung wimmelte es im Wald
von Dauerläufern und Wanderern.“
Ein „grausamer Urlaub“, den die Familie Lenz 1980
im Haus Chorin erlebte, sollte entscheidend dazu beitragen, dass Ulrike und Thomas Lenz fünf Jahre später
seine Leitung übernahmen. „Die Atmosphäre empfanden wir als kalt und abweisend. Der Gang zu den
Mahlzeiten glich einem Rapport. Die Kinder waren
auch nicht wohl gelitten und das Haus auch baulich
in keinem guten Zustand.“, erinnert sich Thomas Lenz.
Der Charme früherer Jahre war wie verflogen. „Bis
zu meinem zwölften Geburtstag habe ich mit den
Eltern, die 1949 ihre Hochzeitsreise hier verlebten,
regelmäßig die Urlaubszeit in Chorin verbracht. Das
war die schönste Zeit für mich. Im Amtssee habe ich
das Schwimmen gelernt, in der alten Parkanlage gespielt, die Umgebung erkundet, das Kloster.“ Die Diskrepanz zwischen den Charakteren des abweisenden
Hauses und der beschwingten Landschaft gab den
Lenzens einen Stich ins Herz. „Wenn wir das Haus
übernehmen könnten“, dachten beide, „dann würden
wir es besser machen.“
Wieder zu Hause, erzählten sie einem Verwandten,
der bei der Inneren Mission arbeitete, dem damaligen
Träger der evangelischen Erholungsheime, von ihrem
Urlaub. Ein Gespräch mit Folgen, wie sich vier Jahre
danach bei einem Telefonat mit eben jenem Verwandten herausstellen sollte. „Die Stelle der Heimleitung
war vakant geworden und wenn wir immer noch
wollten, sagte er, dann könnten wir Haus Chorin
übernehmen.“
Das Angebot kam in einer unruhigen Zeit. Thomas
Lenz, Jahrgang 52, diplomierter Maschinenbauer und
Ingenieurpädagoge sollte zum technischen Direktor
seines Betriebes aufsteigen. „Aber mir fehlten die 7
Gramm am Revers.“ Da er nicht bereit war, in die SED
einzutreten, war seine betriebliche Karriere faktisch
beendet. Ulrike Lenz, Jahrgang 53, Buchhalterin in einer Tiefbaufirma, blieb vom Werben der Einheitspartei
verschont. Da sie sich konsequent von Organisationen
wie dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund oder
der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft fernhielt, lastete im Arbeitsalltag aber auch auf ihr ein permanenter unterschwelliger Druck und sie war „auch vom
gesellschaftlichen Leben genervt“. Beide überlegten, einen Ausreiseantrag zu stellen.
Auf die Stelle in Chorin haben sie sich „mehr aus Gag“
beworben, wie Lenzens sagen. „Aber dann sind wir
tatsächlich genommen worden und mussten plötzlich
Gäste betreuen, die Feriengestaltung übernehmen, kochen und das marode Haus wie die hinzugekommenen
Ulrike und Thomas Lenz. Mit Leib und Seele leiten sie seit zwanzig
Jahren das Hotel Haus Chorin.
Tradition und Moderne: Im Haus Chorin ist von Zukunftsangst nichts
zu spüren.
24
Haus C h o r i n
Feldsteinmauer bei Arnimswalde: Tipps für Ausflugsziele, die Lust auf weitere Wanderungen machen, hat Thomas Lenz immer parat.
Bungalows modernisieren. 1985 standen in den Zimmern noch Eimer unter dem Waschbecken. Der Baustoffmangel hatte überall seine Spuren hinterlassen.“
Um an Baumaterial zu kommen, griff Thomas Lenz
auf nahe liegende Ressourcen zurück. Er ließ im Park
einige gut gewachsene Lärchen einschlagen und im
Sägewerk Schiffmühle zu Brettern verarbeiten. Nach
zwei Jahren Lagerung hatten sie sich in „Goldstaub“
verwandelt, waren zu begehrten Tauschobjekten geworden, ohne die es damals oft nicht ging. Nach und
nach gewann Haus Chorin jenen Charakter, den die
Lenzens sich vorgestellt hatten: ein Refugium vor den
Zumutungen des sozialistischen Alltags.
Mit dem Ende der DDR und der absehbaren Deutschen Einheit stellte sich die Frage nach der Zukunft
des Hauses. „Ein Evangelisches Erholungsheim nur
für kirchliche Mitarbeiter wird es nicht mehr geben,
dass war uns klar. Über ein Jugenddorf wurde nachgedacht, was sich auch wegen der Bungalows auf dem
Gelände angeboten hätte. Aber dann fiel uns ein, dass
Haus Chorin seit 1928 Mitglied im VCH, dem Verband
christlicher Hotels, ist und es in der Gegend um Chorin kein Hotel gibt.“ Die Landschaft, da waren sich beide sicher, würde Gäste anziehen.
Drei Sterne verbürgen heute dem Gast die Qualität
des Hotels Haus Chorin, das als ein Tochterunternehmen der Inneren Mission des Landes Brandenburg
geführt wird. Einige Bungalows sind 1996 einem modernen Hotelneubau mit 110 Betten gewichen. Das
Unternehmen beschäftigt 20 Mitarbeiter und 12 Auszubildende. Tagungen und Seminare gehören noch
immer zum Hauptgeschäft, aber die Zahl normaler Urlauber ist beträchtlich gewachsen, auf 60 % der Gäste.
Die meisten von ihnen kommen wegen der Landschaft.
„Der Choriner Buchenwald ist einmalig, den gibt‘s
nicht noch mal in Deutschland. Die Natur ist unser Kapital, ist das touristische Highlight der Region. Wir
müssen hier nichts Neues erfinden, es ist alles vorhanden. Hinzu kommt die Fachkompetenz der Mitarbeiter im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin und im
Nationalpark Unteres Odertal... Selbst vom Ruf des
Ökodorfs Brodowin profitieren wir.“
Thomas und Ulrike Lenz haben eine Reihe von Angeboten entwickelt, um das Naturpotenzial der Landschaft für ihre Gäste, die zu großen Teilen aus der
Mittelschicht der Gesellschaft kommen, zu erschließen
und dem Haus Chorin ein eigenständiges naturtouristisches Profil zu geben. Chorin Nature Tours ist das
jüngste Angebot des Hauses. Zusammen mit Fachleuten aus den Naturschutzverwaltungen wurden spezielle Naturführungen für jede Jahreszeit entwickelt, die
spektakuläre Impressionen der Vogel- und Tierwelt
vermitteln sollen. Ob spielende Fischotter, Biberburgen, Hirschbrunft, die dumpfen Bässe der Rohrdommel, das Trompeten der Kraniche oder jagende
Seeadler: kaum ein Naturschauspiel wird ausgelassen,
selbst geologische Führungen auf den Spuren der Eiszeit werden angeboten. Mit hohem Aufwand wurden
die Ferienexkursionen, die auch Fachvorträge im Hotel beinhalten, in englischen ornithologischen Fachmagazinen beworben, weil man dort vor allem für die
vogelkundlichen Exkursionen einen Markt sah. Bisher
25
Ha u s C h o r i n
Vogelkundliche Exkursionen gehören zum touristischen Angebot des
Hotels. Von Fachleuten geführt sollen spannende Beobachtungen gelingen. (Foto G. Boeck)
Der Honig aus diesem Bienenwagen auf einer Streuobstwiese am Amtssee geht ans Haus Chorin.
blieben die Buchungen dieser ambitionierten Programme aber noch unter den Erwartungen.
Begonnen haben Lenzens die naturtouristischen Urlaubsangebote, die als Regionalmarkenprodukte anerkannt wurden, mit der Empfehlung von Wanderrouten.
Unter dem Motto „Wandern ohne Gepäck“ wurden
dann auch mehrtägige Touren für Wanderer und Radfahrer entwickelt, mit denen sie auf das wachsende
Bedürfnis nach aktivem Urlaub reagieren. Die Gäste
werden unterwegs beköstigt und ihr Gepäck zu den
jeweiligen Unterkünften gebracht, an denen die Tagestouren enden, ob im Unteren Odertal, in der Schorfheide oder im Oderbruch. Ein logistisch aufwändiges
Angebot, das ohne ein umfangreiches Netz von Kooperationen mit anderen Gasthäusern und Herbergen
in der Region und über sie hinaus nicht umzusetzen
ist. „Die Geschäftsleute müssen an einem Strang ziehen und gemeinsame Qualitätskriterien, was Unterkunft, Gastronomie und Service anbelangt, erfüllen,
dann kommt für alle was raus. Und wer die nicht
erfüllt - und es kommt eben doch vor, dass Gäste sich
zu Recht beschweren oder anrufen, weil sie lieber doch
hier im Hotel übernachten wollen - der muss dann
eben wieder rausfliegen. Diese Freiheit der Entscheidung braucht man.“
Thomas Lenz hat die Erfahrung gemacht, dass man
die Gäste nicht festhalten kann. „Das ist in einer Landschaft nicht möglich, schließlich wollen sie ja die gerade genießen. Aber das haben viele in der Region noch
nicht begriffen.“ Thomas Lenz stattet seine Gäste lieber mit qualitativ guten Tipps aus, was Essen, Trinken
und Sehenswürdigkeiten angeht. Er setzt darauf, „die
Neugier der Gäste für die Landschaft zu wecken und
ihnen beim Abschied zu sagen, was sie alles noch nicht
gesehen haben“.
Die Ausrichtung auf hochwertige Freizeitangebote,
die Natur und Landschaft in den Mittelpunkt rücken,
führte auch zu Konsequenzen im alltäglichen Hotelbetrieb. In die Umsetzung hoher Umweltstandards im
Haus wurde viel investiert. „Es gibt Spielregeln, die
wir, aber auch die meisten Gäste akzeptieren - und deshalb kommen sie wieder. Die Butter kann da eben auch
nicht in Plastiknäpfchen auf den Tisch kommen.“
Die Region kommt auch in der Küche auf den Tisch.
Gut ein Drittel dessen, was in der Hotelküche
verbraucht wird, stammt von Direkterzeugern aus
der Region - Milch, Frischkäse, Honig, Rindfleisch,
Wurst, Fisch, Bier, Saft, Eier, Kartoffeln, Senf, Gemüse
bis hin zum Spargel. Nicht alle produzieren nach
den Qualitätskriterien der Regionalmarke des
Biosphärenreservates, aber es reicht, um einige Gerichte auf der Speisekarte mit dem Herkunftssiegel
zu versehen. „Durch die Kennzeichnung von Produkten und Dienstleistungen mit der Regionalmarke
Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin“, steht auf der
Karte zu lesen, „wollen wir etwas für uns und Sie tun!
Für uns, indem wir mit dem Verkauf von Produkten
und Dienstleistungen aus dem Biosphärenreservat das
Wirtschaften und damit das Leben in der Region attraktiver machen. Und für Sie, denn mit der Marke
garantieren wir: Unsere Produkte wurden im
Biosphärenreservat oder den angrenzenden Siedlungsgebieten umweltgerecht hergestellt. Die Rohstoffe
kommen überwiegend aus dem Biosphärenreservat.
Essen und Trinken mit der Regionalmarke bedeutet
Genuss, denn kurze Transportwege innerhalb des
Biosphärenreservates sichern, dass die Rohstoffe frisch
verarbeitet werden.“
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Haus C h o r i n
11 von 32: Das Hotel ist einer der „großen“ Arbeitgeber in der Gemeinde. Einmal im Jahr ist Azubitag, dann übernehmen die Lehrlinge die
Regie im Haus.
Das Hotel Haus Chorin war mit dabei, als das
Projekt Regionalmarke 1998 mit 30 Betrieben im
Biosphärenreservat etabliert wurde. Auch wenn sich
die Hoffnungen einiger Betriebe, vor allem was die
Vermarktung ihrer Produkte anbelangt, noch nicht
erfüllt haben, so Thomas Lenz, sind doch für ihn einige
dauerhafte Kooperationen entstanden. Der Gast wird,
wo es möglich und angebracht ist, auch dezent darauf
hingewiesen, zum Beispiel mit kleinen Schildern am
Frühstücksbuffet auf denen man etwas über die Molkerei Hemmemilch oder über die Mosterei Klimmek
erfährt. „Die Regionalmarken werden von den Gästen
bewusst wahrgenommen und sind aus dem Profil unseres Hauses nicht mehr wegzudenken. Die Produkte
der Landschaft gehören dazu, wenn man von der Landschaft leben will.“ Thomas Lenz nimmt dafür den organisatorischen Mehraufwand in Kauf, da er mit jedem
Produzenten einzeln verhandeln muss. „Hier fehlt es
noch an pfiffigen Lösungen. Eine Telefonnummer, die
man wählt, wenn man was braucht, das wäre optimal.“ Aber der Einsatz von Regionalprodukten hat
auch seine Grenzen: „Nur uckermärkische Küche, da
würden mir die Gäste weglaufen. Die möchten eher einen Mix aus regionalen und mediterranen Gerichten.“
Honig spielt in der Küche des Hauses eine besondere Rolle. Mitte der 90er Jahre unterschieden sich
die gastronomischen Angebote rund um den Amtssee
„durch 10 Pfennige mehr oder weniger auf der Speisekarte. Alle boten fast die gleichen Gerichte an, Wild,
Geflügel etc. Wir begannen nach Möglichkeiten zu
suchen, um uns zu profilieren. Da kamen wir auf den
Honig. Die Köchin hat viel überlegt und ausprobiert.
Regelrechtes Probekochen haben wir hier veranstaltet.
Und dann die gefundenen Rezepte vorsichtig bei den
Gästen des Hotels getestet. Spear ribs in Honigkruste
oder Kassler…“ Herausgekommen ist die Immenstube,
ein Spezialitätenrestaurant für Honiggerichte, das in
der alten Villa Chorin eingerichtet wurde. Imkerutensilien vom Beutekasten bis zur Honigschleuder
wurden besorgt, und im Gastraum arrangiert, kleine
Schautafeln über Bienen produziert, über ihre Biologie,
den Aufbau der Völker, ihre symbolische Bedeutung in
Kultur und Kunst, über ihre Zucht und die Imkerei.
Ein passendes Farbkonzept für die Räume wurde entwickelt. Selbst ein Bienenwagen wurde eigens in die
Nähe des Hotels gezogen, nicht nur der Werbung wegen. Er beherbergt einige der 120 Bienenvölker, deren
Honig das Haus Chorin von verschiedenen Bienenhaltern aufkauft. „Selbstverständlich müssen sich alle viel
mit Honig befassen, um die Gäste beraten zu können.
Die Azubis bekommen als erstes die Aufgabe, eine kleine Arbeit über Honig oder Bienen zu verfassen. Die liegen im Gastraum aus und können eingesehen werden.
Dann gibt es Azubi - Projekte, in denen sie herausfinden sollen, was man noch alles mit Honig machen
kann.“
Vielleicht kann man eine Landschaft ja auch schmecken? �
Im Restaurant „Immenstube“ werden aus Honig, Fisch und Fleisch der
Region Köstlichkeiten gezaubert und Honigprodukte angeboten.
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Di e S A G G r o ß Schönebeck
Thaers Erben in Groß Schönebeck
Die Schorfheider Agrar-GmbH und ihr Geschäftsführer Reinhard Gottschalk bemühen sich um regionale Verantwortung und agrarische Vernunft. Für die Direktvermarktung ihrer Speisekartoffeln erhielten sie die
Regionalmarke des Biosphärenreservates.
Text und Fotos: Kenneth Anders
Kartoffelacker der SAG in der Nähe von Groß Schönebeck. Die Pflanzen stehen in voller Blüte. 2004 war ein gutes Kartoffeljahr, in dem die
Pflanzen kaum von Schädlingen heimgesucht wurden.
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Die SAG Groß Schö n e b e c k
Steckbrief:
Reinhard Gottschalk wurde 1947 in Stolzenhagen bei
Wandlitz auf einem Bauernhof geboren. Er besuchte
zehn Jahre die Schule und trat dann als Landarbeiter
in eine LPG ein, wo er sich über die Erwachsenenqualifizierung zum Facharbeiter und anschließend mit drei
Jahren Fachschule zum staatlich geprüften Landwirt
qualifizierte. Anschließend nahm er verschiedene Leitungsfunktionen in der LPG Stolzenhagen wahr, um
in den Jahren 1974-76 sein Diplom an der Fachhochschule für Landwirtschaft in Meißen zu absolvieren.
Es folgten fünf Jahre als Produktionsleiter in Klosterfelde, seit 1981 war Gottschalk Vorsitzender der LPG
Groß Schönebeck, die er seit ihrer Umwandlung in
eine GmbH als Geschäftsführer leitet.
Der Betrieb
Die Schorfheider Agrar-GmbH (SAG) bewirtschaftet
ca. 2500 ha landwirtschaftliche Nutzflächen
überwiegend südlich von Groß Schönebeck. Davon
sind 2000 ha dem Ackerbau vorbehalten (Roggen,
Winter- und Sommergerste, Hafer, Weizen, Raps,
Erbsen, Mais und Speisekartoffeln). 500 ha werden
als Grünland genutzt: auf den Weiden stehen 500
Mutterkühe, in der Bullenmast hält die SAG 1500 Tiere. Die Böden sind mit einer Ackerzahl von 23 sehr arm,
viele Standorte sind grundwasserfern.
Reinhard Gottschalk vor seinem Büro in der SAG, August 2004.
Die SAG beschäftigt 23 Angestellte: vier in der Tierproduktion, zwei in der Werkstatt, vier in Leitung
und Verwaltung, dreizehn in der Feldwirtschaft. Hinzu kommt ein Lehrling pro Lehrjahr.
Bewegte Zeiten
Umbrüche und Neustrukturierungen kennen die Groß
Schönebecker Landwirte nicht erst seit 1989. Die
Kollektivierungsdynamik in der DDR brachte seit
1952 immer neue Fusionen und Teilungen: eine 1952
gegründete LPG „7. Oktober“ Groß Schönebeck umfasste nur 307 ha, die mit 46 Arbeitskräften bearbeitet wurden, in ihrer Nachbarschaft agierten zahlreiche ähnliche
Gründungen. Durch immer neue Zusammenschlüsse
entstand in den siebziger Jahren eine enorm ausgedehnte Kooperationsgemeinschaft, die Flächen von
Groß Schönebeck bis Schönerlinde bei Berlin umfasste. Diese wurde 1980 wiederum zerschlagen - wohl
nicht nur aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen,
sondern auch, um dem Sicherheitsbedürfnis der benachbarten Staatsjagd Genüge zu tun: zu viele Landwirte sollten nicht befugt sein, in der Gegend zu
wirtschaften. Die nunmehr verbliebene LPG Groß
Schönebeck blieb im Zuschnitt seit 1981 weitgehend
stabil - sieht man von einem Zukauf der Tierproduktion und der weiteren Pacht von 300 ha nach der 89 er
Wende ab.
Pflaumenbaum in einer Heckenpflanzung der SAG. In den nächsten Jahren will Gottschalk noch alte Apfelsorten einbringen.
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Di e S A G G r o ß Schönebeck
Rainer Dickmann
ist der „Leiter Feldbau“ in der SAG - somit untersteht ihm auch
die Kartoffelproduktion. Er wurde 1959 geboren und wohnt in
Joachimsthal. Von 1980-85 studierte er Pflanzenproduktion an
der Berliner Humboldt-Universität, seit 1989 arbeitet er hier in
Groß Schönebeck. Wenn es ginge, würde Dickmann an mehreren
Orten zugleich präsent sein - er wird ununterbrochen angerufen
und ruft an, bringt Ersatzteile zu den Fahrern auf die Felder, koordiniert Bestellung, Saat, Ernte und Futterlagerung ebenso wie
die Rodung der Kartoffeln, ihre Sortierung und Auslieferung Unvorhergesehenes inklusive. Außerdem wird mit verschiedenen
Bodenbearbeitungstechniken probiert - wer denkt, die Praxis des
Feldbaus sei „eingefahren“ und auf immer optimiert, irrt sich jeder Boden, jede Kultur verlangt das Experiment und die steigenden Kraftstoffpreise verlangen es auch. Der Koordinationsaufwand in einer modernen Landwirtschaft ist extrem hoch, die
Abläufe sind komplex und meistens muss unter Zeitdruck reagiert und entschieden werden. Das schlage manchmal auch aufs
Gemüt: „Gottschalk, unsere Prokuristin und ich, wir haben alle
keine Gallenblase mehr.“
Durch diese Erweiterung sei man in die Lage gekommen, den Stoffkreislauf so weit wie möglich wieder zu
schließen. Der Betrieb bemüht sich, „die alten Gesetze
der Fruchtfolge“ zu beachten - der große preußische
Agrarreformer Albrecht Daniel Thaer ist für Gottschalk
eine unverzichtbare Orientierung in den Fährnissen
der modernen Landwirtschaft.
Es scheint, als kämen die bewirtschafteten Flächen
um Groß Schönebeck nach Jahrzehnten administrativer und wirtschaftlicher Turbulenzen allmählich in
ein ruhigeres Fahrwasser. Was für die Erde gilt, trifft
aber auf die Menschen noch nicht zu. Die LPG hatte
65 Arbeitskräfte; nur ein gutes Drittel fand unter den
neuen Bedingungen noch ein Auskommen. Um den
Übergang so sanft wie möglich zu gestalten, schickte
man die Leute ab 55 Jahren in den Vorruhestand und
entließ die jungen; darauf bauend, dass diese leichter
eine neue Arbeit finden können. Heute fehlt dieses Altersspektrum dem Betrieb und es ist schwierig, junge
und qualifizierte Arbeitskräfte zu finden. Selbst die eigens ausgebildeten Lehrlinge bleiben nicht immer am
Ort und tun sich in anderen Regionen um. Die SAG
bemüht sich deshalb, ein relativ hohes Lohnniveau zu
garantieren - gemessen an den Löhnen, die in der deutschen Landwirtschaft gezahlt werden, rangiert sie im
vorderen Mittelfeld.
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Umfeldarbeit
Die SAG gehört zu den großen Landnutzern der Region
und trägt maßgeblich zu ihrem Erscheinungsbild bei.
Wer mit dem Auto die B 109 nach Groß Schönebeck
oder die quer verlaufende B 167 befährt, sieht zahlreiche Spuren davon - Felder, die von Wald gesäumt
werden, sind der dominierende Eindruck. Im Herbst
sind sie mit großen Strohquadern bestückt wie in
einer Kunstaktion. Was die Landwirte auch tun: es
wird unter freiem Himmel als Veränderung der Landschaft erfahrbar. So hat die Umwandlung von Acker
in gezäuntes Weideland das Gesicht der Landschaft
in den letzten Jahren sehr verändert. Schwere, originell eingesetzte Betonelemente halten die großen Gatter. Die schönen Mutterkühe mit ihren Kälbern prägen
maßgeblich das ländliche Lebensgefühl. Gottschalk
sieht das Nützliche mit dem Schönen vereint: durch die
Weidehaltung spart der Betrieb die aufwändige Futterernte und gewährleistet einen sehr geringen Keimdruck auf die Tiere - das UV-Licht des freien Himmels
hat einen desinfizierenden Effekt und erspart ihm manche veterinärmedizinische Sorge. Zugleich gefällt auch
ihm der Anblick der kräftigen Tiere und der Strukturen, die sie in der Landschaft durch Tritt und Fraß verursachen.
Einem Betrieb, der aus einer LPG hervorgegangen
ist, ist das eigene Umfeld nicht fremd - bis vor weni-
Die SAG Groß Schö n e b e c k
gen Jahren waren die Ortschaften eng an das Schicksal ihrer landwirtschaftlichen Betriebe gebunden. Die
LPG ernährte nicht nur einen großen Teil der Anwohner, sie war auch für viele Elemente der Infrastruktur und Landschaftspflege verantwortlich: Brücken,
Ärztehäuser, Kindergärten und Feuerwehrgebäude
wurden meist von den Genossenschaften errichtet und
unterhalten. Aus diesen Verpflichtungen resultieren
noch heute Altschulden und somit ein drastisches
Liquiditätsproblem, das die SAG bei dringend notwendigen Investitionen bremst, vor allem beim Bodenerwerb. Diese Lage findet man bei zahlreichen
ehemaligen landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und sie hat viele dieser Unternehmen
dazu bewegt, sich radikal aus ihrer lokalen Verantwortung zu lösen. Als Betrieb, der wie andere am Markt
überleben muss, so meinen viele, hat man diese soziale
Komponente bereits in der Vergangenheit erfüllt - und
zahlt noch heute dafür. Außerdem gibt man immer
noch einigen Menschen in der Region Arbeit - darüber
hinaus gehendes Engagement scheint naiv.
Die SAG hat sich zu einem anderen Herangehen entschieden. Die „Umfeldarbeit“, resümiert Gottschalk,
sei nicht nur eine Reminiszenz an die eigene Verwurzelung in der Gegend, sie sei auch aus sachlichen
Erwägungen von Belang.
Würde die Region nicht attraktiv, hätte sein Unternehmen langfristig schlechtere Karten auf dem Arbeitsmarkt und in der lokalen Akzeptanz. Deshalb
unterstütze man die Feuerwehr und engagiere sich
in der kommunalen Selbstverwaltung. Gottschalk saß
zwei Legislaturperioden lang im Kreistag und ist immer noch kommunal engagiert. Als Mitglied im Landschaftspflegeverband „Uckermark-Schorfheide“ hat die
SAG in den letzten zehn Jahren alte Schlagstrukturen
wieder eingerichtet und Hecken gepflanzt. Dies nütze
dem Betrieb durch die Erosionsminderung bei den sandigen Böden, diene aber auch der Ökologie und nicht
zuletzt der landschaftlichen Attraktivität der Gegend.
Es macht zudem die Identität des Betriebes aus: bereits
vor 1989 nahmen die Groß Schönebecker Landwirte
feuchte Senken aus der Nutzung, wandelten sie in
Wildäcker um und legten gemeinsam mit den Förstern
der zuständigen Reviere Teiche an. Andere Standorte,
die melioriert und nutzbar gemacht wurden, behielten
hin und wieder prägende Elemente, die den Treckern
eigentlich im Weg waren. Heute freut sich Gottschalk
an dem, was gewachsen ist: die Teiche schmiegen sich
in ihre Vegetationsgürtel, als seien sie von der Natur
geschaffen worden, und die stehen gelassene Eiche mitten im Acker dankt die Rücksicht mit ihrer schönen
Erscheinung und mit freundlichem Schatten. Die Hecken sind inzwischen dicht und urwüchsig - Bäumchen
halbwilder Pflaumensorten laden mit ihren gelben und
roten Früchten zur Pause ein. Gottschalk will sie in den
nächsten Jahren durch weitere Obstgehölze ergänzen;
Kornäpfel, die zur Ernte schon reif sind, so dass die
Fahrer nur danach zu greifen brauchen.
Von der SAG gemeinsam mit der Forst angelegter Teich in einer Senke. Nach einigen Jahren legt sich das Gewässer mit Gehölzen umflort
in die Senke, als sei es schon immer hier gewesen.
Mutterkuhhaltung bei Klandorf - die Weidehaltung ist ökonomisch
sinnvoll und gibt der Landschaft Gesicht.
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Di e S A G G r o ß Schönebeck
Die Kartoffel
Kartoffelacker bei Groß Schönebeck, kurz vor der Rodung. Der Anteil der Kartoffel an der Produktion der SAG ist über Jahre gesunken
und hat sich erst in den letzten Jahren auf ein optimales Niveau eingepegelt. Die alte Technik wird weiter genutzt. Dickmann sucht mit
Gespür für die Mentalität seiner potentiellen Käufer immer noch nach
zusätzlichen Vertriebsmöglichkeiten und wird dabei auch fündig - z.B.
steht inzwischen auch ein Kartoffelwagen an einem Eberswalder Baumarkt. „Hier kommen Leute hin, die einkellern können.“ Gehen die
Bestände an einem Verkaufsort zur Neige, genügt ein Anruf, und die
SAG liefert nach. Obwohl das Interesse der Kunden über die Jahre
gewachsen ist und der Absatz Mut macht, rechnet auch Dickmann
nicht mit einer deutlichen Steigerung der Produktion: die Böden sind
zu arm, was nicht in der schnellen Direktvermarktung abzusetzen ist,
ist in den großen Vertriebsnetzen nicht ökonomisch sinnvoll zu vertreiben. Die Vertriebsphase wird sehr intensiv betrieben und ist klar
begrenzt: nach drei bis vier Wochen ist Schluss, eingelagert wird nicht.
Typisch für die SAG ist die Klarheit, mit der sie ihre Spielräume erkennt, nutzt und begrenzt.
Wenn die Kartoffelsaison Ende September beginnt, ist auf dem Hof der
SAG viel los: in schnellem Takt rollen Kunden auf den Hof und lassen
sich sackweise den Anhänger oder Kofferraum beladen. 2004 war ein
gutes Kartoffeljahr. Dickmann: „Dem Azubi schärfe ich ein: Du verkaufst hier nicht nur Kartoffeln, sondern auch deinen und unseren
Namen!“ Die Direktvermarktung ist Ergebnis jahrelanger Aufbauarbeit. „Die Kartoffeln sind ein Bindeglied zwischen uns und den Leuten
hier.“
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Vor 1989 bauten die Groß Schönebecker Landwirte auf
230 ha Kartoffeln an, die in Klosterfelde gelagert wurden - diese Produktion brach nach der Wende rasch
zusammen. Die schwachen Böden erlauben keine Konkurrenz mit den Zulieferern der großen Vertreiber.
Sollte die Kartoffel auch weiterhin zum Produktionsspektrum der SAG gehören, musste man sich eine Alternative suchen: die Direktvermarktung.
Das Prinzip ist denkbar einfach. Über Postwurfkarten können die Einwohner von Groß Schönebeck ihre
Kartoffeln bestellen - ab 50 kg wird für 1,50 € geliefert. Wer will, kann auch selbst auf den Hof kommen
und sich die Kartoffeln dort abholen, was viele gern in
Anspruch nehmen, die die Erdäpfel von weiter her beziehen - das hat zugleich den Reiz der Authentizität.
Manche Berliner fragen ungläubig: „Machen sie die
selbst?“ und schicken am nächsten Tag noch ihre Freunde vorbei. Verschiedene Kunden - etwa die Fleischerei
Ortlieb aus Althüttendorf - geben Großbestellungen
für den eigenen Familienbedarf und den ihrer Angestellten auf, die die Kartoffeln gern einkellern. Die
älteren Leute wissen noch, wie man eine Miete im Garten anlegt, so dass die Kartoffeln nach dem Winter wie
frisch gerodet genossen werden können. Dieser Kundenkreis schrumpft und wird sukzessive durch Kunden aus den Städten, vor allem aus Berlin ersetzt.
Außerdem stehen an zwei Tankstellen in Groß
Schönebeck und Joachimsthal Kartoffelwagen - wer
beim Tanken daran vorbeikommt, packt sich gern einen 25-kg-Sack ein und bezahlt beim Tankwart. Kleinteilige Vertriebsformen schließen sich an: der Fischer
am Werbellinsee, der Biohofladen in Wandlitz vertreiben Kartoffeln der SAG. „Das geht aber nur im Agrarbereich“ resümiert Gottschalk, „im Handel kriegen sie ja
alles vorgeschrieben, mit denen hat es keinen Zweck.“
Auf Märkten wie dem Hirschfest in Groß Schönebeck
oder an der Blumberger Mühle verkaufe man auch,
allerdings diene dies mehr der Öffentlichkeitsarbeit:
„Wenn die Leute nicht darauf vorbereitet sind und keine Folie im Kofferraum haben, fürchten sie den rieselnden Sand und kaufen lieber nicht.“
Auf diese Weise setzt die SAG jedes Jahr immerhin
3000 Doppelzentner ab- verkauft wird, bis die Kartoffeln alle sind. Nach sechs Wochen - also ca. am 15.
Oktober „ist alles raus.“ Der Ablauf ist saisonbedingt:
beim Roden sind sieben bis acht Leute beschäftigt, die
Auslieferung übernimmt ein anderer Angestellter, etwa
der Schlosser, der sich nach Feierabend einen kleinen
LKW mit Kartoffelsäcken belädt und sie im Ort verteilt.
Die SAG Groß Schö n e b e c k
Verändert haben sich auch die Sorten, was mit wechselnden Ernährungsgewohnheiten zusammenhängt.
Das Ideal der mehlig kochenden Kartoffel hat Risse bekommen - man muss sie mit Sorgfalt und genauem Timing zubereiten, damit sie nicht zerfallen. Die mehlige
Likaria hat deshalb bereits zur Hälfte der vorwiegend
festkochenden Satina Platz machen müssen, die etwas
einfacher zu kochen ist.
Diese schlichte und effektive Form der Direktvermarktung lässt das Herz vieler Anhänger nachhaltigen Wirtschaftens höher schlagen: Kartoffeln aus
der Region, so viel der Boden eben hergibt und es
im Ensemble der anderen Feldfrüchte wirtschaftlich
vernünftig ist. Allerdings setzt dieses Prinzip der regionalen Wertschöpfung auch Grenzen: Die regionale Gastronomie (etwa das Haus Chorin) benötigt ganzjährig
konstante Lieferungen, für die die SAG keine geeigneten Lagerkapazitäten hat.
Bei dem geringen Produktionsumfang wäre eine
solche Investition auch nicht sinnvoll. Unter den
gegenwärtigen Bedingungen ist der Produktionsumfang ein Optimum: wäre es weniger, würde es sich
nicht mehr lohnen, sollte es mehr werden, müsste man
überproportional investieren. Im Ausblick ist Gottschalk dennoch optimistisch - und ein bisschen stolz
auf die Kartoffelstrecke, denn sie deckt vieles zugleich
ab: sie ist Einnahmequelle, ein Stück Imagepflege für
den Betrieb und die Region und sie schafft Schnittmengen zwischen der SAG, den Kunden und den anderen Betrieben in der Region. Und wer weiß, wie es
noch kommt: „Je teurer die Treibstoffe werden, um
so mehr gewinnt die regionale Produktion an Bedeutung.“ Wo er Recht hat, hat er Recht! �
Verkaufshänger an der Schönebecker Tankstelle - Interessenten zahlen ganz normal an der Kasse und laden sich dann den Sack in den
Kofferraum. Wer den Hänger bei sich aufstellen lässt und für die SAG
kassiert, bekommt 20 Prozent des Erlöses.
Bei der Sortierung ist ein geübter Blick vonnöten: angeschlagene, schorfige oder grüne Kartoffeln werden aussortiert und verfüttert. Die Böden
um Groß Schönebeck sind voller Steine, die die Kartoffeln quetschen
und schaben, so dass diese aussortiert werden müssen - es werden nicht
weniger. Dickmann: „Die Steine wachsen von unten hoch“. Die Investition in eine Entsteinungsmaschine würde sich nicht rechnen.
Bestellkarte für Kartoffeln der SAG. Viele Kunden sagen: „Wir wollen wieder die Kartoffeln, die wir letztes Jahr hatten.“ An den Sortennamen können sie sich indes oft nicht erinnern.
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Di e I m k e r e i Lange in Klosterfelde
„Wir brauchen die Natur,
nicht die Natur uns.“
Blühende Landschaften sieht Horst Lange nur noch selten. Sein Blick fällt
auf kurz geschorene Rasen ohne Blüte, auf kahle Feldraine, Monokulturen
und zurechtgestutzte Bäume. In einer steriler werdenden Landschaft als
Wanderimkerei ein Auskommen zu finden, „das geht nur in Familie, für
einen Mitarbeiter bleibt da nichts übrig.“
Text und Fotos: Lars Fischer
Jetzt, im Herbst, steht das große Grundstück der Familie Lange in Klosterfelde voll von ihren Bienenwagen.
Inmitten der Wagenburg steht ihr Haus. Die Wanderzeit, in der Horst Lange mit seinen Wagen der wechselnden Blütentracht durch den Barnim, die Schorfheide und hoch bis in die Uckermark folgt, ist vorbei.
Einige sind schon winterfest gemacht, die Reifen und
die Zuggabel sind abgedeckt, die Beutenkästen, in denen die Bienen überwintern, mit Filzmatten geschützt.
Die Waben in der letzten „Beute“ des Jahres sind geschleudert, der Honig ist fertig fürs Abfüllen. Zeit, die
Wagen wieder auf Vordermann zu bringen. Einer steht
schon eingerüstet für eine fällige Generalüberholung.
Die 150 Bienenvölker der Imkerei werden auch langsam ruhiger. Vereinzelt fliegen noch Tiere zu den
Wassertränken, landen auf kleinen Styroporflößen,
die ihnen das Trinken erleichtern sollen. „Die Bienen
mögen kleine Tümpel, am besten mit Entengrütze
drauf.“ Eine Wespe, an ihrer schmalen Taille deutlich
zu erkennen, schnippst Gertraud Lange mit dem Mittelfinger fort. Die hat hier nichts zu suchen. Einige
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Bienen sind „verklamt“ von der nasskalten Witterung,
haben keine Energie mehr für den Rückflug in ihren
Stock. Sie werden verhungern. Horst Lange streicht
mit der Fingerspitze seiner kräftigen Hand über eine
der Bienen. Keine Regung geht mehr durch den zierlichen graubraunen Körper, an dem die Flügel kleben.
„So ein Ende haben die Arbeitsbienen nicht verdient“, sagt Gertraud Lange. „Nach sechs Wochen emsiger Fliegerei haben sie sich die Flügel durchgeflogen.
Die dünnen Häutchen schaffen ´s nicht mehr und dann
fallen sie runter, liegen da und sterben elend. Den Bienenstaat kümmert es nicht.“
Imker, nichts anderes als Imker
Horst Lange, 1934 in Klosterfelde geboren, ist mit der
Imkerei aufgewachsen. Sein Vater hielt Bienen und
wann immer der Sohn konnte, sah er ihm bei der Arbeit am Bienenstock zu. Mit sechs nahm er heimlich
ein Bienenvolk auseinander, mit sieben fing er seinen
ersten Bienenschwarm ein und mit zehn erlaubte ihm
sein Vater, ein Volk selbstständig zu schleudern.
Die Imkerei Lange in Kloste r f e l d e
Monika, Dietmar, Horst und Gertraud Lange (v.l.n.r) ziehen in der Imkerei an einem Strang. Ihre Bienenwagen stehen im Barnim, der Schorfheide
und der Uckermark. Horst und Gertraud Lange haben das Imkereigewerbe nach 25 Jahren an ihren Sohn übergeben. Nun sind sie wieder, was sie
vorher waren: Bienenhalter aus Leidenschaft.
1945 verschleppten russische Soldaten den Vater.
Niemand weiß wohin; er kam nicht zurück. Horst
übernahm notgedrungen die acht Völker des Vaters.
Er kannte die verschiedenen Bienen, konnte Arbeitsbienen von Stockbienen und die von den Ammen der
Königin unterscheiden, wusste, wie die Eier aussahen
und auch einiges über die Gerätschaften des Imkers,
aber es gelang ihm nicht, die Völker zu halten. „Irgendwann hatte ich sie totgeimkert.“ Keiner gab ihm Tipps
obwohl viele im Dorf Bienen hielten, weder der Lehrer,
noch der Schmied, noch sonst jemand. Der Verlust war
für die damaligen Verhältnisse kurz nach dem Krieg
groß. Ein Pfund Honig brachte 365 Reichsmark, ein
Volk produzierte um die 35 kg übers Jahr und ein kleines Brot kostete 30 bis 60 Reichsmark.
Eine „Imkerwitwe“ bot ihm an, ihre Völker zu betreuen. Diesmal hatte er Erfolg, die Ernte war ausgezeichnet und er fasste neuen Mut. Im Winter 47 erfroren die Völker. Er fing sich herrenlose Schwärme ein.
Ein aus dem Krieg zurück gekehrter Freund des Vaters, gab ihm fachliche Hilfe. Mit 13 wanderte er das
erste Mal mit seinen Bienenkästen in die Schorfheide,
mit 15 in die Rapsblüte. Die erträumte Imkerlehre verwehrte die Mutter und Horst Lange wurde Tischler.
Dass er sein Ziel nicht aus den Augen verlor, bezeugt
die Weitsicht, mit der er der Imkerei nachging: Er bepflanzte die Straße vor seinem Elternhaus mit Linden.
Wohl wissend, dass die Blütentracht der Allee sich
erst gut 30 Jahre später in der Honigproduktion richtig
niederschlagen wird. Blüten kann es nie genug geben.
Drei bis fünf Millionen Blüten müssen die Bienen anfliegen, um Nektar für ein Kilogramm Lindenhonig zu
sammeln. Heute klagen viele Anwohner über das Laub
der Bäume in ihren Gärten und wären froh, würden die
Bäume endlich fallen.
Neben der Lehre zog er sich 25 Völker. Der Beruf
kam ihm dabei zustatten, viele Gerätschaften für die
Bienenhaltung konnte er sich selber bauen. 1966 gab er
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Di e I m k e r e i Lange in Klosterfelde
seine Arbeit als Tischler auf und machte sich mit 100
Völkern als Imker selbstständig. Zu diesem Zeitpunkt
war er 10 Jahre verheiratet. Gertraud Lange, Jahrgang
1935 und ganz in der Nähe in Ruhlsdorf aufgewachsen, arbeitete als Industriekauffrau im Holzwerk Klosterfelde. Sie war es, die ihm den ersten Wanderwagen schenkte. Vielleicht war sie es leid, bei Wind und
Wetter jeden Bienenkasten einzeln auf den LKW zu
laden, wenn es auf Wanderschaft ging. Und da man die
Kästen nicht am Stellplatz schleudern konnte, mussten
sie voll auch wieder zurück auf den Hof gebracht werden. Eine anstrengende Arbeit für alle. In den großen
Bienenwagen hat man alles beieinander. Sogar schlafen kann man in ihnen, wenn einen die Bienen nicht
stören.
Fünf Jahre währte die Selbstständigkeit, dann entzog man ihm den Gewerbeschein. Es war die Zeit, in
der die selbstständigen Handwerker in Produktionsgenossenschaften gezwungen werden sollten und obendrein wollte man seine Arbeitskraft als Tischler fürs
Holzwerk. Dem entzog er sich und nahm kurzer Hand
eine Stelle als Hausmeister an. Die Imkerei wurde bis
1979 wieder zum „Hobby“. Danach nie wieder.
Wo Horst Lange Einfluss auf die Gestaltung der
Landschaft nehmen konnte, hat er es versucht. Als
Baumschutzbeauftragter hat er im Namen des Naturschutzes und der Landespflege mit seinen Baumschauen manch voreilige Baumfällung verhindert. In
seiner Funktion als Gemeinderatsmitglied hat er Baumpflanzaktionen initiiert. Dabei dachte er immer auch
an Blütenstaub für seine Bienen. Eine Zeit lang beriet
er auch die Piloten auf dem bei Klosterfelde gelegenen
Agrarflugplatz, wie sie ihre Chemikalien ausbringen
können, ohne größere Versicherungsschäden zu verursachen.
„Der letzte Trottel“
Horst Lange ist mit der Imkerei groß geworden. Gegen Bienenstiche ist er schon lange immun und arbeitet heute ohne Schutz
an den Stöcken.
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Die Märkte in Berlin sind für den Absatz der Imkerei unverzichtbar.
Gertraud Lange und ihre Schwiegertochter stehen dreimal die Woche
für 9 Stunden am Stand.
Zu DDR-Zeiten gab es in den Bezirken, die heute das
Land Brandenburg bilden, 150.000 Bienenvölker. Davon sind heute noch 18.000 Völker übrig geblieben.
Nach 1989 überschwemmte billiger Honig die DDR.
Viele kleine Imkereien blieben auf ihrer Ernte sitzen
und „gingen baden“. Auch der Imkerei Lange blieben
die Kunden weg, aber aufgegeben wurde nicht. Zusatzgewerbe hielten den Betrieb über Wasser. Neben
der Imkerei fuhr Horst Lange Kurierdienste, trug Zeitungen aus. „Der einzige Trottel hier in der Region, der
mit seinem Imkereibetrieb übrig geblieben war“, bemerkt Horst Lange, „war wohl ich“.
„Was sollten wir denn machen?“ fügt seine Frau,
Gertraud Lange hinzu, „Das war unser Betrieb. Wir
mussten ja durchhalten. Und irgendwann haben wir
auch Erfolg, dachten wir. Und das kam dann ja auch
so.“ Seine Frau Gertraud war kurz nach der Wende
in den Vorruhestand gegangen. Das war eine Entscheidung für die gemeinsame Imkerei und gegen den wachsenden Konkurrenzdruck bei ihrem Arbeitgeber. Sie
übernahm den Verkauf und die Vermarktung des Honigs. Schon zu DDR-Zeiten hatte sie den staatlichen
Honigaufkauf in der Region organisiert und wusste,
worauf sie sich einließ. Sie baute Kontakte zu Marktbetreibern auf, nahm weitere Honigprodukte wie Met,
Seifen, Kosmetik und Kerzen etc. ins Sortiment, besetzte wochentags die Stände, suchte Wiederverkäufer
für ihre Honigprodukte in der Region, die sie in einigen
Bäckereien fand. Und nebenbei musste der Honig geschleudert und abgefüllt werden.
Ohne die Märkte, vor allem die in Berlin, würde der
ganze Betrieb nicht funktionieren. Ihre gesamte Honigproduktion an eine Handelskette zu geben, haben
Die Imkerei Lange in Kloste r f e l d e
Die großen Bienenwagen sind mit einem Schlaf- und Arbeitsraum aus- Kurze Wege zum Wasserholen für die Arbeitsbienen. Bienentränken
gestattet. Auf Wanderschaft kommt es öfter vor, dass Horst Lange auf sind auf dem Hof unverzichtbar.
der Pritsche bei den Bienen schläft.
Langes nicht versucht. „Das bringt auch keine sichere
Zukunft. Die kündigen und dann stehen wir wieder
bei Null da.“ Sie wollen auch nicht zu Lasten der treuen Kunden, die ihnen seit Jahren den Honig vom Hof
oder auf den Wochenmärkten abnehmen, anonyme
Großhändler beliefern. Am besten läuft jener Stand
am Wittenbergplatz, in der Nähe vom Kaufhaus des
Westens. Hier haben die Leute einfach mehr Geld in
der Tasche und es wird alles gekauft: Löwenzahn mit
Baumblüte, Raps, Robinie, Kornblume, Weißklee, Linde, Heidehonig. Selbst der teure Waldheidehonig geht
hier. „Manchmal kommen auch Berliner Kunden nach
Klosterfelde und sind überrascht, dass wir hier wirklich Bienen haben und nicht nur ein Lager mit Honigprodukten.“ Dennoch: bei 250 € Tageseinnahmen
bleibt für einen Angestellten nichts über. Die Schwiegertochter hilft aus, wenn es nötig ist, wie der Sohn
dem Vater beim Schleudern der Waben in den Wagen
hilft.
Die Langes haben es geschafft, sie können von ihrer
Imkerei, die ca. 7 t Honig im Jahr erntet, bescheiden leben, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
„Irgendwann wird man müde.“
Gertraud und Horst Lange „sind froh, dass sie alt sind“.
Die Imkerei hat ihr Leben bestimmt und sie möchten
nicht auch noch das Ende vom Niedergang des traditionellen Imkereigewerbes miterleben müssen, dessen
Zeugen sie die letzten Jahre gewesen sind.
Den Betrieb hat zwar im Sommer der Sohn
übernommen, aber ob er von ihm auf Dauer wird leben
können? Die Langes heben die Schultern. „In seinem
Beruf als Tischler würde er besser dastehen. Wenn ´s
doch keine Arbeit gibt in der Gegend, was soll er denn
machen?“ Dem Imkergewerbe fehle aber nicht nur der
Nachwuchs, das Durchschnittsalter der Imker liegt um
die 60, sondern auch die Lobby. „Die Minister“, wirft
Gertraud Lange ein, „gucken sich auf den landwirtschaftlichen Messen jeden Mist an, aber an den Imkern
gehen sie vorbei.“ Schlimmer sei für ihn, dass die Landschaft immer steriler wird. „Kaum dass mal ´ne Buttermilchstaude hochkommt, schon geht man mit der
Spritzbrühe drüber. Weil das Laub von den Bäumen
stört, werden sie verstümmelt oder ganz runter gehauen. Kein Rasen, auf dem noch Klee blüht, Löwenzahn
oder Gänseblümchen. Wird alles kurz geschoren.“
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Di e I m k e r e i Lange in Klosterfelde
So kommt für Horst Lange eins zum andern. „Viele
Wenig ergeben ein Viel.“ Für die Bienen ist das
Blütenstaubangebot wichtig und das lässt Stück für
Stück in der Landschaft nach. Die Bienenvölker vermehren sich so, wie ihr Nahrungsangebot ist. Auch für
sie gilt der Spruch der Milchbauern: „Die Kuh melkt
durchs Maul.“
Das „Trachtfließband“ für die Insekten, die Bienen,
Hummeln, Wildbienen etc. funktioniert nicht mehr
richtig. „Nach der Rapsblüte wären die Robinien fällig,
aber die nehmen ab. Robinien werden nicht mehr gepflanzt, weil sie keine einheimischen Pflanzen sind. Da
tut sich dann eine Lücke auf bis die Linden blühen,
die Sonnenblumen.“ Selbst das Stück Wald gegenüber
seinem Grundstück, das Horst Lange von der Treuhand gekauft hat, konnte er nicht so einfach mit Robinie aufforsten. Sollte er vor Gericht eine Klage von Anwohnern wegen der Bienen verlieren und der Richter
meinen, Bienen gehören nur in den Wald, dann will er
seine Wagen hier abstellen.
Ebenso soll die Schneebeere nicht mehr in die
Landschaft gehören. Selbst viele alte gestandene
Forstmänner schüttelten den Kopf darüber, was aus
der Landschaft werden soll. Mit den jungen Förstern
oder neuen Waldeigentümern gibt es obendrein viel
Ärger um die Stellplätze im Wald. Heute brauche er
zu viele Genehmigungen, um seine Bienenwagen in
den Wald zu fahren, soll auch noch Wegegeld und
Standgebühr berappen. Das sei schlimmer als früher bei
Ulbricht und Honecker im Wald. Und bevor er betteln
muss, verzichtet er lieber. Selbst dem neuen Waldgesetz seien die Bienen keine Erwähnung wert. „Dass Im-
ker Plätze im Wald bekommen, ist nicht berücksichtig
worden.
Aus Naturschutzgründen wollen alle Bienen im
Wald, im Alltag kümmert sich jedoch keiner drum.
Aber froh sind sie, wenn in den Pollenanalysen unseres Honigs Pflanzen entdeckt werden, von denen
man dachte, dass es sie gar nicht mehr gibt im
Biosphärenreservat.“
Die Landwirtschaft hat auch das Interesse an der
Imkerei verloren, das bekommt Horst Lange seit der
Wende jedes Jahr aufs Neue zu spüren. Dabei nutzen
die Bienen zu 80% den Bauern, der Honig für den Imker macht nur 20% aus. Zum Beispiel blühen Rapsfelder gleichmäßiger und bilden bessere Körner, wenn
dort genug Bienen ausschwärmen und die Pflanzen
bestäuben. Auch die Obstplantagen profitieren. Doch
kaum ein Betrieb, der noch die schweren Bienenwagen
zu den Stellplätzen zieht. „Früher hat das die LPG umsonst getan. Einzig die Schorfheider Agrargenossenschaft macht das noch, um Bienen im Raps zu haben.“
Für eine eigene Zugmaschine hat die Imkerei nie genug
abgeworfen. Und Schulden machen ist nicht die Art
von Horst Lange. 40 € pro Stunde müsste er heute für
eine Zugmaschine zahlen. Da er oft die Plätze wechseln muss, um an die „Tracht“ zu kommen, wäre der
Aufwand kaum zu erwirtschaften. Noch greift ihm ein
befreundeter Fuhrunternehmer hier helfend unter die
Arme.
Könnte er noch mal anfangen mit der Imkerei, würde
Horst Lange die Investition in eine geländegängige
Zugmaschine wagen. Nicht nur, weil ein Wanderimker mit seinen Völkern ohnehin mobil sein sollte, son-
Handarbeit dominiert die Wanderimkerei. Jedes Glas Honig wird per
Hand abgefüllt, mit dem Etikett beklebt und gestempelt. Sieben Tonnen
Honig im Jahr.
Vater und Sohn Lange haben Tischler gelernt. Das Handwerk kommt
ihnen beim Wagenbau zu Gute.
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Die Imkerei Lange in Kloste r f e l d e
dern auch, um die Standortnachteile von der Gegend
auszugleichen. Klosterfelde ist nicht unbedingt das
beste Terrain für einen Imker. Die Nektarabsonderung der Pflanzen ist hier auf den leichten Böden des
Urstromtals und in den Sandern der Schorfheide gering. Der Honigertrag wächst mit der Bodenqualität.
In Chorin und der Uckermark sind die Ernten besser.
Aber eine Zugmaschine würde wahrscheinlich auch
nichts nutzen, um der derzeit größten Gefahr für die
Imkerei auszuweichen: dem kleinen Beutenkäfer. Dieser Schädling nistet sich in den Beutekästen ein, gräbt
Gänge in die Waben, frisst den Honig und die Bienenbrut. Ein Bekämpfungsmittel, das die Bienenvölker
und den Honig verschont, gibt es nicht. „Die Bienen
werden eingehen“, da ist sich Horst Lange sicher. Von
Afrika über Amerika ist er dieses Jahr nach Portugal
eingeschleppt worden, berichten die Fachzeitschriften. Da dauert es nicht mehr lange, bis er in Klosterfelde ankommt. „Schon heute ziehen industrielle
Wanderimker auf Sattelschleppern, beladen mit 1000
Bienenvölkern und mehr, von West nach Ost, dem
Klima und der Tracht folgend, quer durch Europa und
verbreiten Krankheiten.“
Es ist alles nur eine Frage der Zeit. „Und von weither eingeführter Honig bestäubt bei uns hier keine
Pflanze!“ �
Früher kein Problem: LPG-Fahrzeuge ziehen die Bienenwagen zu ihren Stellplätzen an den Äckern der Genossenschaften. Heute hat kaum
mehr ein Bauer Interesse an den Leistungen der Imkerei.
Ohne Blüten kein Honig. Horst Lange pflanzte diese Lindenallee 1952. Die erste „Tracht“ holten seine Bienen hier um 1980. Heute stört die Anwohner das Laub.
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Di e B a u e r n k ä serei Wolters in Bandelow
Q - Regio oder:
Aufbauen, Landschaft gestalten
macht Spaß
Die Wolters sind seit mehreren Generationen Bauern. Ihren angestammten Hof im niederländischen Ezinge haben sie verkauft, er war der Familie
zu klein geworden und ließ sich nicht mehr erweitern. Die „guten und
preiswerten Böden“ der Uckermark führten sie nach Bandelow.
Text und Fotos: Lars Fischer
Das Dorf Bandelow
liegt nördlich von Prenzlau am Rand der Niederung,
in der die Ucker durch die Landschaft fließt. Die Wiesen im seichten Tal sind noch fett. Die Äcker auf
den umliegenden Grundmoränen gehören zu den besseren Standorten in Brandenburg. Trotzdem sind hier
viele Arbeitsplätze in Landwirtschaft verloren gegangen, wegrationalisiert worden. Ein sozioökonomischer
Aderlass war die Folge, der den Dörfern und vielen
Menschen hier ins Gesicht geschrieben steht. Verloren
zwischen den Schlägen industrieller Landwirtschaft,
so der Eindruck, der sich an Regentagen verstärkt, bewegt sich in der dünn besiedelten Landschaft das Leben. Kaum ein Kirchturm hält den Blick fest, der über
die weiten Äcker schweift, bis er an den vielen Windenergieanlagen am Horizont hängen bleibt.
In Holland hatten die Wolters selbst eine Windanlage für ihren Hof betrieben. Als sie in die Uckermark
40
kamen, hatten sie daher auch über Windkraftnutzung
nachgedacht, um langfristig die eigenen Produktionskosten senken zu können. Aber in Deutschland, meint
Pieter Wolters, wird auf Windparks gesetzt, da ginge
nichts für Einzelbauern. Daher setzt er für die Zukunft
auf eine Biogasanlage, um kostengünstigen Strom und
Wärme für die Käserei zu gewinnen. Das Material für
die Vergasung können die Milchviehanlage und der
Ackerbau des Betriebes liefern.
Gezwungenermaßen ein Großbetrieb
Geschlossene und effiziente Stoffströme sind ein Merkmal der betrieblichen Wirtschaftsweise der Wolters
und wohl auch mit ausschlaggebend für ihren bisherigen Erfolg. Ein Sohn, Jacob, betreibt Ackerbau und
produziert neben dem Futter für den Milchviehbetrieb, den sein Bruder Andries führt, Raps, Weizen,
Gerste und Zuckerüben. Mit seinen modernen Maschinen verrichtet er auch Lohnarbeit für andere Bauern in
Die Bauernkäserei Wolters in Ba n d e l o w
der Umgebung, deren Betriebsgröße die Anschaffung
solcher Technik nicht lohnt. Der Milchviehbetrieb
liefert den Rohstoff für die Käserei, die durch den
Vater geleitet wird. Auf den Markt kommt nur, was
in den eigenen betrieblichen Strukturen nicht veredelt werden kann. „Jeder der Jungs soll seinen Betrieb weiterentwickeln“, sagt Pieter Wolters, und
hat als Geschäftsführer dabei das ganze Familienunternehmen im Sinn, das mittlerweile 30 Mitarbeiter
beschäftigt und zum größten Arbeitgeber in Bandelow
geworden ist. „Wenn Ackerbau und Milchproduktion expandieren, mehr Überschüsse und Leistung bringen, profitieren letztendlich alle davon.“
Pieter Wolters, Jahrgang 48, ist ausgebildeter Landwirt und Kaufmann. Leise und bestimmt erläutert
er, dass für die kleinen Milchviehbauern die Milchpreisbindung von 27, 26, heute 25 Cent je Liter
zu wenig sei, um zu überleben. „Die Richtung geht
gezwungenermaßen zum Großbetrieb hin. Das war
auch in Holland unser Problem.“ Auf dem Hof in Ezingen, seinem Geburtsdorf, hatten sie zuletzt 70 Kühe
und 55 Hektar Land. Der Betrieb war aber nicht nur
aus wirtschaftlichen Gründen zu klein, sondern auch
für die ganz auf Landwirtschaft fixierte Familie. Zwei
der drei Söhne standen kurz vor dem Abschluss ihres
Landwirtschaftsstudiums. „So zeichnete sich Anfang
der neunziger Jahre ab, dass Andries und Jacob die
bäuerliche Tradition der Familie fortführen wollen.
Ziegen im dörflichen Ortsbild sind selten geworden. In Bandelow
findet man sie noch.
Für alle zusammen war jedoch der eigene Hof zu klein
und in Holland gab es kaum größere Möglichkeiten.“
Hinzu kam, dass ein nicht geringer Teil der
Wirtschaftsflächen ihres Hofes für die Umsetzung
eines Naturschutzprojektes benötigt wurde. Die Distriktverwaltung bot ihnen zwar Ausgleichsflächen
im Norden von Groningen an, aber die Wolters entschlossen sich, ihren Hof, den sie seit Generationen
bewirtschafteten, zu verkaufen und mit ihrem Wissen neu anzufangen. In Holland ergaben sich keine
Spielräume, einen Hof auf gewachsenem Land in ei-
Landschaft mit Perspektive: In der Uckermark fand die Bauernfamilie Wolters was sie suchte - gute und preiswerte Böden, qualifizierte Mitarbeiter und Gestaltungsspielräume.
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Di e B a u e r n k ä serei Wolters in Bandelow
Das Herzstück der Milchviehbetrieb Wolters GmbH: die Bauernkäserei
in Bandelow. In der wiederbelebten Molkerei des Dorfes wird der „Uckerkaas“ produziert und im Hofladen neben anderen Regionalprodukten verkauft.
70 Kühe hielten die Wolters auf ihrem Hof in Ezinge. Über 1.000 sind
es heute in Bandelow. Die bei der intensiven Milchviehhaltung anfallende Gülle wird auf den Äckern der Milchviehbetrieb Wolters GmbH
als Düngung ausgebracht.
ner wirtschaftlich vernünftigen Größe zu erwerben
und die Familientradition gemeinsam mit den Söhnen
fortzuführen.
Sie suchten in Frankreich, Belgien und Dänemark,
aber in der klein strukturierten Landwirtschaft war
Land von mehreren 100 Hektar für einen Betrieb mit
einigen Hundert Milchkühen nicht zu haben. In den
USA und Kanada entsprach das kulturelle Leben nicht
ihren Vorstellungen. Sie entschlossen sich, es im nahe
gelegenen Ostdeutschland zu versuchen. Die Familie
fuhr in den Urlaub, um sich das Land anzuschauen und
mit Leuten zu sprechen; „kann man hier leben, kommt
man mit den Leuten aus?“
Zurück in Holland beauftragten sie einen Makler,
in Mecklenburg oder Brandenburg für sie einen Betrieb zu finden. „Die Kriterien waren: gute Böden für
Weizen, Mais und die Futterpflanzen für die Kühe.“
Die Angebote kamen schnell. Mit einem Bodenbohrer
machten sie sich erneut auf den Weg, entnahmen Bodenproben und prüften, ob deren Qualität den Ertragszielen entsprach, die sie sich für ihren zukünftigen Betrieb gesteckt hatten.
Bestand an Milchvieh. Am 1. Oktober 1994 übernahmen
die Wolters die ‚Agrar-, Handels- und Produktionsgenossenschaft Trebenow eG‘ und begannen, sie als
‚Milchviehbetrieb Wolters GmbH‘ zu modernisieren.
Die verstreuten Stallanlagen wurden zusammengefasst, die Anbindehaltung der Kühe abgeschafft und
eine Laufstallhaltung eingeführt, der Ackerbau auf die
Milchproduktion hin umstrukturiert und die notwendige Agrotechnik angeschafft.
735 Hektar Land bewirtschaftet der Betrieb heute
nach konventionellen Anbaumethoden. 500 Jungrinder und 620 Milchkühe stehen in den Ställen und geben ca. 13.000 Liter Milch pro Tag. Davon gehen zwischen 3.000 und 4.000 Liter an die hauseigene Käserei
in Bandelow und werden zu Uckerkaas verarbeitet.
Die ehemalige Molkerei des Dorfes, die von der
LPG Bandelow in den 80er Jahren zu einer Mosterei
umgerüstet worden war und seit einigen Jahren leer
stand, hatten die Wolters als „Käserei gleich im Blick
gehabt“ als sie den Aufbau ihres Unternehmens in
Angriff nahmen. „Wenn man die Milch hat, dann ist
es gut möglich, auch Endprodukte zu produzieren.
Nur landwirtschaftliche Primärproduktion wird auf
Dauer nicht funktionieren - Veredelung muss passieren“, darüber war sich Pieter Wolters im Klaren. Er
ist auch nicht in die Uckermark gekommen, „um nur
Kühe zu melken“, sondern um dass machen zu können,
„was schon seine ganze Familie gemacht hat: Landschaft mitgestalten.“
Landwirtschaft allein wird die Region nicht halten
In Bandelow passte dann wirtschaftlich alles zusammen: Ausreichend große Ackerflächen mit Böden in guter Qualität und preiswert (bis zu 9 Hektar konnte er
hier für einen Preis erhalten, für den er in Holland einen
Hektar hätte erwerben können) und ein ausbaufähiger
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Die Bauernkäserei Wolters in Ba n d e l o w
Bauernkäse
Mit der Käserei begaben sich die Wolters auf Neuland. Zwar ist es in Holland bei vielen Bauern Tradition, dass die Frauen eigenen Käse produzieren, aber
weder Pieter noch Wiebkje Wolters - eine Biologielehrerin, die ihren Beruf zugunsten des Bauernhofes aufgegeben hat - kannten sich in diesem Handwerk aus.
Eine Käseproduktion, so die betriebswirtschaftliche
Überlegung, würde das Unternehmen auf dem Markt
absichern und auf ein breiteres Fundament stellen. Der
Gemeinde würde sie auch zu Gute kommen. Ohne engagierte Mitarbeiter war aber an eine Käserei nicht
zu denken. „Wir haben dann mit allen unseren Mitarbeitern in Bandelow gesprochen“, so Pieter Wolters.
„Darüber, was sie in Zukunft erwarten und wollen. Einige wollten in der Produktveredelung mitarbeiten.“
Darauf hin wurde die alte Molkerei gekauft und zur
Käserei umgebaut.
Als das Unternehmen 2001 die Zulassung als
Käserei erhielt, wusste man über die eigentliche
Käseproduktion noch nicht viel. „Bücher wurden gekauft, Mut gesammelt und angefangen.“ Praktika bei
Käsereien in Holland, die mit ungefähr gleichen Maschinen arbeiteten, waren unverzichtbar. „Um den Bedarf und das Interesse zu prüfen, sind wir zuerst
mit gekauftem Käse aus Holland an den Markt gegangen und haben zu unseren zukünftigen Kunden gesagt, dass wir diesen Käse dann in Bandelow produzieren. Wir mussten ja erst mal ein Gefühl für den
Markt bekommen.“ Im Frühjahr 2001 startete dann
die Käseproduktion in Bandelow, die das Prüfzeichen
„Regionalmarke des Biosphärenreservates Schorfheide-Chorin“ trägt.
Zwölf Arbeitsplätze sind mit dem „Uckerkaas“ aus
der Käserei entstanden, fünf in der Produktion, vier
im Vertrieb und drei im Hofladen. 70 Tonnen Käse
Im Reiferaum der Käserei. Von Bärlauch/Alge über Knoblauch bis
Zwiebel/Paprika - 13 Sorten umfasst das derzeitige Käseangebot. Die
Manufaktur verarbeitet ca. 70 Tonnen Mich im Jahr.
in 13 verschieden Sorten sollen 2004 produziert und
verkauft werden. Die Reifekulturen und Gewürze für
den Käse kommen aus Deutschland und Holland. „Die
deutschen Kulturen sind etwas anders und bringen
noch nicht den Geschmack, den wir uns wünschen.“ In
der Region sind die Kulturen ebenso wenig zu beziehen, wie gefriergetrocknete, keimfreie Kräuter. Vertrieben wird der „Uckerkaas“ bundesweit. Die Auslieferung an die Wiederverkäufer in der Region erfolgt
mit dem Lieferauto, die Großkunden in Rostock,
Lübeck oder Dresden werden mit einem Kühlwagen
beliefert. Ein Onlineshop auf der Internetseite der
Firma ermöglicht einzelnen Kunden den Bezug der
handtellergroßen Käse per Post. Einiges wird auch
im Hofladen verkauft. In einer Handelskette ist die
Bauerkäserei auch gelistet, aber Pieter Wolters
überlegt, ob er diesen Weg weiter beschreiten will.
Seine Pläne gehen in eine andere Richtung.
„Q-Regio“
Als Geschäftsmann ist Pieter Wolters nicht daran
interessiert, großen Handelsketten aber auch Hotels
und Restaurants, die „auch scharf rechnen müssen“,
Preisnachlässe neben den für alle Kunden üblichen
Mengenrabatten zu gewähren. „Unser Käse soll verkauft werden, wie wir es gerne mögen!“ Die Voraussetzung dafür will Wolters mit Regionalläden schaffen,
die unter dem Namen „Q-Regio - Qualität aus der Region“ ausschließlich Produkte regionaler Produzenten
anbieten. Dabei denkt er an ein Franchisesystem, mit
dem sich Existenzgründer in den Städten niederlassen. Gefördert über Mittel aus dem Bundesprogramm
„Regionen Aktiv“ entwickelt er derzeit das Ladenkonzept und erprobt es in den Kleinstädten Templin und
Prenzlau.
Trotz vieler Kooperationen mit Regionalmarkenträgern ist es schwierig, das Warensortiment mit Pro-
Die Vermarktungsstrukturen in der Region sind fest etabliert. Für
den mit Kühltheken und Käsegrill für ´s Uckerbraat, einer
Molkespezialität der Käserei, ausgestatteten mobilen Verkaufswagen
wird in der Nähe von Berlin ein Mieter gesucht.
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Di e B a u e r n k ä serei Wolters in Bandelow
Ein Grundstein für die geplante Q-Regio-Regionalladenkette: Der Uckerland-Hofladen im Zentrum von Prenzlau. Der Umsatz im der Modellverkaufstelle steigt langsam, aber noch könnte die Verkäuferin
nicht von ihnen leben.
Im Regionalladen wird auf ein vielfältiges Angebot für den Kunden gesetzt. Mitunter stößt die Konkurrenz verschiedener Produkte in den
Auslagen auf das Unverständnis der Produzenten, die nur ihre Produkte im Blick haben. Eine Region hat aber oft nicht nur eine Wurst zu
bieten.
dukten aus der Region zu bestücken. „1.000 Produkte“,
so Wolters, „muss man haben, um dauerhaft interessant für die Kunden zu bleiben. Das Regionalmarkenangebot ist zu eng. Viele Produkte müssen zugekauft
werden, aus Brandenburg, aus den Nachbarländern,
aus der ganzen Welt - zum Beispiel fair gehandelte Eine-Welt-Produkte wie Tee oder Kaffee.“ Jede Betriebsaufgabe von regionalen Produzenten ist ein Schritt
zurück. Im Sortiment der Läden finden sich auch
Handwerksprodukte, Keramik, Wollsachen.
In den Läden setzt Wolters auf professionelles Design der Ausstattung und der angebotenen Produkte.
„Wir wollen Produkte und Produzenten verkaufen.
Die Leute sollen ein Gesicht kennen. „Leider können
die Produzenten nicht immer präsent sein mit Bild und
Unternehmensgeschichte. Bei vielen reichen für gute
Werbung die Erträge oft nicht aus.“
Dabei böten die Regale ausreichend Platz für Produktinformationen. Vielen Produzenten müsse man
auf die Sprünge helfen, was Etikette, Design, Verpackungen angeht, so Wolters. „Wenn man einen guten
Preis erzielen will, muss in Werbung investiert werden. Ein hoher Preis ist ohne gleichwertiges Marketing
nicht zu erzielen.“
Mit den Regionalläden will Wolters die Kunden in
den Städten erreichen, die sich die teureren Regionalprodukte leisten wollen. „Da muss das Ambiente gut
sein; gutes Interieur, guter Stil, gute Beratung und 1a
Lage... Regionalprodukte sind etwas Besonderes und
das muss man auch sehen können.“
Die Regionalläden verkaufen für Wolters auch die
Landschaft. Deshalb will er auch, dass die „Q-Regio“-
Läden das Prüfzeichen des Biosphärenreservates
Schorfheide-Chorin bekommen. „Die Konsumenten
müssen das Zeichen so oft wie möglich sehen. Schorfheide-Chorin hat einen positiven Klang - den wollen
wir nutzen für die Auftritte in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.“ Eine Kette von „Q-Regio“Läden, in denen die Produkte aus der jeweiligen Region verkauft und das, was im Sortiment fehlt, von
anderen Produzenten aus anderen Regionen bezogen
wird, ist die Vision von Pieter Wolters. „Und wenn nur
eine oder anderthalb Personen von einem solchen Laden leben können, ist viel erreicht.“ Noch brauchen die
beiden Läden die Unterstützung des Milchviehbetriebes der Wolters.
Ein Grundstein für die geplante Q-Regio-Regionalladenkette: Der Uckerland-Hofladen im Zentrum
von Prenzlau. Der Umsatz im der Modellverkaufstelle
steigt langsam, aber noch könnte die Verkäuferin nicht
von ihnen leben.
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Dauergast in Bandelow
Selbst in dörflichen Strukturen groß geworden, wusste
die Familie Wolters um die eigenwillige Dynamik, die
sie in der 300 Einwohner zählenden Gemeinde Bandelow erwarten würde. „Trauer und Leid, Feier und
Freude“ mit den Menschen hier wirklich zu teilen, das
wird seinen Söhnen und den hier geborenen Enkelkindern vorbehalten bleiben. Andries und Jacob haben
hier geheiratet, sind Uckermärker geworden. Einer ist
in der freiwilligen Feuerwehr, der andere Vorsitzender
des Dorfklubs. „Ich und meine Frau Wiebkje werden
Gäste bleiben und uns entsprechend verhalten, das Po-
Die Bauernkäserei Wolters in Ba n d e l o w
Die Produktionsleiterin Käserei, Uta Gerlach, beim Wachsen der
Käse. Die Agraringenieurin ist von Anbeginn in der Bauernkäserei dabei. Ihre Skepsis, die den Erfolgaussichten des Projektes galt, ist nach 4
Arbeitsjahren vollends verflogen.
Pieter Wolters, 56 Jahre: Landwirt, Kaufmann, Marketingstratege und
Geschäftsführer. Sein Interesse ist es, Landschaft mitzugestalten. Dazu
bedarf es vieler Qualifikationen
sitive betonen und mehr Lob verteilen. Wie in Holland
kann ich hier nicht durchziehen.“
„Zu Beginn waren die Leute sehr reserviert“, erinnert sich Wolters. „Sie hatten sicher schon viele Versprechen gehört.“ Der Einstieg war nicht einfach. Pieter Wolters pendelte die erste Zeit zwischen Bandelow
und Ezingen, da die Söhne ihr Studium noch nicht
abgeschlossen hatten. Daher wurde ein Betriebsleiter
eingestellt, was aber nicht gut funktionierte. „Die Bauern hier kennen ihre Böden, Ackerbau, das können sie
sehr gut. Aber mit den Kühen und dem Melken haben
sie wohl nicht so das Händchen“, meint Wolters und
schmunzelt. „Da gehen wir Holländer mit ein bisschen
mehr Seele an die Arbeit.“ Auch mit einigen Mitarbeitern gab es Probleme und „ich musste Leute entlassen,
musste hart sein. Ein Teil im Dorf begriff das nicht.
Erst positive Meldungen über Bandelow beruhigten dann.“ Mit 30 Mitarbeitern, von denen viele aus
Bandelow sind, ist die Milchviehbetrieb Wolters der
größte Arbeitgeber im Dorf. Pieter Wolters „will aber
das Dorf nicht dominieren“, sonder hier leben und arbeiten, und das heißt auch, „sich zu arrangieren.“ Rein
wirtschaftlich gesehen, „wären polnische Arbeitskräfte
billiger gewesen. - Aber für die Zukunft des Dorfes der
falsche Weg. Die Menschen hier waren hoch qualifiziert und hatten nichts zu arbeiten, die Stimmung war
niedergeschlagen. Es wurde kaum miteinander geredet
und viel ‚gesoffen‘. Positives Denken, das fehlte ein bisschen im Dorf.“
Wenn es seiner Familie und ihm mit dem Betrieb
gelungen ist, zu „verhindern, dass die Jungen, die was
im Kopf haben, wegziehen“ aus Bandelow und sie ein
wenig dazu beigetragen haben, im Dorf die sozialen
Strukturen zu erhalten oder neue aufzubauen, dann ist
das gut so, meint Pieter Wolters, „schließlich wollen
wir in Bandelow leben und nicht nur arbeiten. Und
sterbende Dörfer“, sagt Pieter Wolters mit leiser Stimme, „sind ein schlechtes Zeichen“. �
45
De r R E W E - M a r kt in Joachimsthal
Im Teelöffelverfahren zum
regionalen Warenkorb
Obwohl die Umsätze bei den regionalen und ökologischen Produkten in
den letzten Jahren überproportional zurückgegangen sind, hält Renate
Witthuhn an ihrer Strategie fest: mit einer Angebotspalette aus der Region gibt sie ihrem Einkaufsmarkt ein besonderes Gepräge und lässt sich auf
das Experiment regionaler Wertschöpfung ein.
Text und Fotos: Kenneth Anders
„Zum Glück hab ich Leute, auf die ich mich verlassen kann.“ Frau Witthuhn vor dem Joachimsthaler Rewe-Markt, gemeinsam mit ihren beiden
Mitarbeiterinnen Almut Wrensch und Peggy Pommer.
46
Der REWE-Markt in Joachi m s t h a l
Steckbrief:
Renate Witthuhn ist 1959 geboren und in Ringenwalde aufgewachsen. Von 1978-81 studierte sie an der IHK
in Berlin-Friedrichshain Bauingenieurwesen, entschied
sich aber 1987, eine Konsumverkaufsstelle in Joachimsthal zu leiten. „Der politische Druck war geringer,
ich hatte meinen Tante-Emma-Laden und verdienen
konnte man auch ganz gut.“ Ihr Großvater hatte bis
1980 im Haus gegenüber gewohnt, dadurch gab es eine
Beziehung zum Ort. Ein Crash-Kurs reichte damals,
um in das Gewerbe einzusteigen, „dann ging es los,
richtig mit frischer Milch und 14 Tagen Einkaufsfrist“.
Von 1989 an gingen auch diese Uhren anders, 1991 wurde die Verkaufsstelle in einen Rewe-Markt umgewandelt, deren Inhaberin und Leiterin Frau Witthuhn ist.
Ihr Mann arbeitet ebenfalls im Betrieb. Beide haben
zwei erwachsene Kinder.
Sesam öffne Dich!
Betritt man den Einkaufsmarkt in der Joachimsthaler
Rosenstraße, ist man erst einmal überrascht: von außen
wirkt das Objekt immer noch wie ein Tante-Emma-Laden; hinter der Glasschiebetür tun sich dagegen 500m2
Verkaufsfläche auf, geschickt und üppig dekoriert, so
dass man zunächst nicht absehen kann, wie weit sie
sich erstreckt. Es gibt viel zu gucken: Im Eingangsbereich werden Blumensträuße und -gebinde angeboten.
Auf dem Gemüseregal ruht ein Kanu und erinnert
an die mit viel Wasser gesegnete Lage des Ortes (und
Der Rewe-Markt in der Joachimsthaler Rosenstraße: Von außen ahnt
man nicht, was einen drinnen erwartet.
an das Hobby der Witthuhns). Im Getränkemarkt
hängen Bilder von Schulkindern, alte Waagen und neue
Gurkenfässer zieren die Kühlregale. Wo möglich, wurde Holz eingesetzt, das Licht ist nicht zu grell. Manches hier erinnert an deutsche Ökoläden, vieles auch
an die skandinavischen „Lanthandel“ oder die englischen Budgens-Märkte. „Hier waren früher die Garage und unser Garten, der alte Laden befand sich vorn
in der Hausecke.“, erklärt Frau Witthuhn. „Dass der
Markt nach außen so unscheinbar aussieht, ist eine unserer größten Schwächen, da müssen wir an der Fassade was machen.“
Das tägliche Geschäft
Im Betrieb haben neun Menschen Arbeit - sie selbst
und ihr Mann, zwei Auszubildende und fünf Angestellte, im Sommer arbeiten noch Schüler in Ferienjobs mit. Auch Frau Witthuhns Mann stammt nicht
aus dem Handelsgewerbe, er ist gelernter Autoschlosser. Heute bestreitet er den Überlandverkauf,
mit einem Verkaufsbus werden die Dörfer in der
dünn und weitläufig besiedelten Schorfheide angefahren, zwei Tage packt er in Joachimsthal mit an.
Der Überlandverkauf verliert an Bedeutung, da die
Bevölkerung schwindet - noch dazu jene, die darauf
angewiesen ist, im eigenen Dorf versorgt zu werden.
Auch in Joachimsthal selbst ist die Kundendecke
dünn und es gibt mit drei Märkten für 3000 Einwohner reichlich Konkurrenz - hinzu kommen die kon-
Sesam, öffne Dich! Betritt man den Markt, ist man zunächst von der
großen Warenvielfalt verblüfft.
47
De r R E W E - M a r kt in Joachimsthal
junkturbedingten Umsatzverluste. Das Prinzip der
Rewe-Märkte basiert auf einer zentralen Warenlistung, die von den Einzelhändlern abgefordert wird.
Die Handelskette gibt eine Mischkalkulation vor, das
sei auch gut so, man könne nicht für jedes Produkt einen Preis ausloten. Letztendlich entscheidet aber der
Einzelhändler, was er in seine Regale legt. Die Bedingungen sind in den letzten Jahren härter geworden. Die Handelsgesellschaft zentralisiert sich immer
stärker, welche Strukturen sich auf den überregionalen
Märkten halten, hat ein Einzelhandel nicht in der
Hand.
Die Arbeitstage sind lang, wochentags ist von 8-20
Uhr geöffnet, am Samstag immerhin bis 16 Uhr. „Wir
fangen um sechs Uhr an und es geht bis Abends um
neun. Da ist es unbedingt nötig, sich auch ein paar
Freiräume offen zu halten.“ Witthuhns machen also
richtig Urlaub, fahren Rad oder Kanu. Das Handy wird
dann - zumindest nach einer ersten Frist - ausgeschaltet. „Zum Glück habe ich Leute, auf die ich mich verlassen kann.“
Die politische Diskussion über die Ladenöffnungszeiten verfolgt Frau Witthuhn mit Interesse:
„Für uns wäre eine Sonntagsöffnung gut. Sortimentsbegrenzungen sind für einen Markt wie unseren nicht
realistisch, wie wollen sie das machen, ein paar Regale
absperren? Die Tankstellen bieten ohnehin alles an, da
sollte es auch uns erlaubt sein, zumindest saisonal.“
Tatsächlich ist der Tourismus für Joachimsthal be-
reits zu einer zentralen Einnahmequelle geworden.
„Wir leben hier von der Ferienkundschaft.“ schätzt
Renate Witthuhn ein und findet den Vergleich mit anderen Urlaubsregionen eher ernüchternd: „Wenn ich
mir Waren/Müritz angucke und was dort schon erreicht worden ist, davon kann ich hier nur träumen.“
Ein Kanu auf dem Regal: Die Gegend um Joachimsthal ist nicht nur
mit Wäldern, sondern auch mit schönen Gewässern gesegnet.
An der Frischetheke wird auch ein richtiges Mittagessen angeboten,
den Kunden scheint es zu schmecken.
48
Aktionen und Angebote
Trotz der wachsenden Bedeutung des Feriengeschäfts
bemüht sich der Markt um die heimische Kundschaft.
Man will im Gespräch bleiben und sich für die eigene
Landschaft engagieren. So organisieren Witthuhns
jährliche Radtouren durch die Umgegend, die auch
gern angenommen werden - einmal waren es mit 78
Leuten sogar ein bisschen zu viele für ein gemeinsames Erlebnis. Mit Schulklassen wird regelmäßig gearbeitet, z.B. in einem Zeichenwettbewerb zum Mehrwegsystem oder einem Wettbewerb für ein heimisches
Sektetikett. In der Adventszeit oder anlässlich eines
Jubiläumsfestes veranstaltet der Markt Tombolas, deren Erlös der örtlichen Kindertagesstätte zu Gute
kommt. Der Markt setzt Themen und macht Angebote
und versteht sich dabei auch als Teil einer allgemeinen
Debatte über den Wert der heimischen Infrastruktur:
Die kontinuierliche Versorgung mit Lebensmitteln ist
in Deutschland selbstverständlich geworden, Kriterien
wie die geringe Siedlungsdichte dringen nur mühsam
ins öffentliche Bewusstsein vor. Die Aktionen wollen
das ändern.
Der REWE-Markt in Joachi m s t h a l
Supermarkt mit Prüfzeichen
Regionale Produkte in den Regalen eines Supermarktes: angefangen
hat es mit einem Kundenwunsch, inzwischen ist es Programm. Die regionalen Waren sind nicht immer leicht zu beziehen, zumal die absetzbaren Stückzahlen oft sehr klein sind. Also sind Zeit und Zähigkeit
gefragt - und ein vitales Interesse an den Dingen, die die eigene Landschaft so hervorbringen kann. Eine gemeinsame Listung regionaler
Produkte würde den Aufwand erheblich verringern.
Im September 2004 erhielt der Joachimsthaler ReweMarkt die Regionalmarke des Biosphärenreservates
Schorfheide-Chorin, übergeben wurde das Siegel vom
Umweltminister. Es war das erste Mal, dass ein Supermarkt in diesen Kreis aufgenommen wurde. Der Grund:
in seinen Regalen finden sich überdurchschnittlich
viele Produkte aus regionaler Produktion - meist tragen diese auch das Zeichen der Regionalmarke. Begonnen hatte es bereits in den frühen Neunzigern, als eine
Kundin Interesse an Molkereiprodukten aus Brodowin anmeldete. Renate Witthuhn bestellte sie kurzerhand. Und fing bald an, sich umzutun. Auf Messen
wie der Berliner Grünen Woche entdeckte sie weitere
regionale Produkte und forstete die Preislisten durch;
wo immer es sich ergab, tauschte man Visitenkarten
und rief sich an, um gemeinsame Spielräume auszuloten. „Wir haben auch herumgefragt, ob jemand regionale Produzenten kennt, mit denen man arbeiten
kann.“
Eine Initialwirkung hatte auch der Regionalmarkenladen, der vorübergehend in Berlin betrieben wurde - hier entdeckte Renate Witthuhn weitere Produkte, die sie interessierten; was dort gut lief, wurde
auch in Joachimsthal ausprobiert. Wenn heute etwas
Neues auf den Markt kommt, wird die Information
auch direkt vom Bürgerbüro des Biosphärenreservates
herübergereicht. So findet man inzwischen einiges aus
heimischer Produktion in Joachimsthal: den Uckerkaas der Käserei Wolters, Weidefleisch aus Liepe,
Brodowiner Milch, Butter und Käse, Hemme Milch
und Joghurt, Trautmann- und Zimmermann-Senf,
Fruchtsäfte von Klimmek aus Angermünde und Honig
aus Groß Schönebeck. Bei den größeren Produzenten
ist das relativ leicht gemacht - man bestellt aus einer
Liste und die Ware wird geliefert. Die Waren kleinerer Produzenten muss man sich dagegen ziemlich
mühsam zusammentelefonieren, für den Bezug der
oft kleinen Mengen ist Einfallsreichtum und Geduld
gefragt. Was an logistischer Vernetzung fehlt, muss
durch permanente Information und Kommunikation
kompensiert werden. Eine gemeinsame Listung der regionalen Produkte wäre sehr praktisch - aber ihre kontinuierliche und synchrone Verfügbarmachung würde
zusätzliche Kosten verursachen, was wiederum den
Absatz weiter erschweren würde. Der Versuchung,
einfach überregionale Produkte auf der konventionellen Liste per Mausklick zu bestellen, widersteht Frau
Witthuhn trotzdem immer wieder. Warum eigentlich?
Immerhin macht der Umsatz an regionalen und
49
De r R E W E - M a r kt in Joachimsthal
Joachimsthal: der Tourismus gewinnt an Bedeutung; ob die regionalen
Produzenten davon etwas haben, hängt nicht zuletzt von Akteuren wie
Renate Witthuhn ab.
„Sydney 2000:“ zu Themen wie Sport oder gesunder Ernährung spricht
der Markt kontinuierlich die Bildungseinrichtung des Ortes an und
veranstaltet Malwettbewerbe.
ökologisch produzierten Produkten (beides wird zusammen gebucht) gerade einmal 1-2 % aus - ist das
nicht zu vernachlässigen?
Nun, überlegt Frau Witthuhn, tatsächlich sei der
Anteil regionaler Produkte am Verkauf sehr gering viel geringer etwa als die Präsenz der Waren in den
Regalen glauben machen könnte. Aber es gäbe doch einige gute Gründe, auf das regionale Pferd zu setzen.
Zum einen gebe es einige Kunden, die gezielt nach bestimmten Waren verlangten - „die wissen genau, was
sie wollen und man kann sie dadurch als Kunden halten.“ Zum anderen geht ein gewisser Werbeeffekt von
den regionalen Produkten aus. Vor allem aber ist es
eine Frage der Strategie. Denn die Bedingungen für den
Einzelhandel werden nicht besser - im Gegenteil, eher
ist mit einem weiteren Bevölkerungsrückgang und einer Veränderung des Einkaufsverhaltens zu rechnen.
In einem solchen Prozess ist es sinnvoll, sich auf charakteristische Stärken zu besinnen - und die regiona-
len Produkte, da ist sich Renate Witthuhn sicher, sind
eine solche Stärke. Sie sind unverwechselbar, genießen
ein hohes Verbrauchervertrauen und werden gerade
von Touristen gern probiert. Dabei könnte es ein Vorteil sein, dass ein Einkaufsmarkt eine vergleichsweise
breite Palette anbieten kann. „Wir können hier alles
verfügbar machen und würden deshalb die regionalen
Produkte noch stärker präsentieren.“ Würden?
Es gibt noch gar nicht so viele, resümiert Witthuhn
- oder nicht mehr. „Viele Produzenten, mit denen wir
Anfang der neunziger Jahre angefangen haben, sind
nicht mehr da.“ Vielleicht wird das wieder besser, da
auch das Bewusstsein für die Notwendigkeit regionaler Wertschöpfung zunehme, wie z.B. eine aktuelle Initiative für einen Regiotaler zeige. Es bleibt offen, man
kann nur hoffen - und seinen Teil dazu tun. Bei Renate Witthuhn findet man beides: die Hoffnung und die
Arbeit. �
50
Keine Idyllen - T h e s e n
Keine Idyllen
Thesen zum nachhaltigen Wirtschaften in regionalen
Wertschöpfungsketten
Kenneth Anders und Lars Fischer
1. Die Spielräume für ein nachhaltiges Wirtschaften in regionalen Wertschöpfungsketten sind sehr klein. Sie
liegen in der Direktvermarktung eigener, vorzugsweise land- und forstwirtschaftlicher Produkte, im Aufbau von
betrieblichen Kooperationen und in der Nutzung regionaler Zulieferer. Oft finden sie sich nur in Segmenten
kleiner und mittelständischer Unternehmen. In vielen Fällen sind die Strategien seit Jahrzehnten erprobt und
nur in Grenzen optimierbar. Neuanfänge benötigen nicht nur technologischen Vorlauf sondern ebenso sensible
Kenntnisse der Besonderheiten des regionalen wie des überregionalen Marktes.
2. Wer die o.g. Spielräume trotzdem nutzen will, muss neben seiner beruflichen Qualifikation über klaren
ökonomischen Sachverstand und über Ausdauer verfügen. Oft werden von den Akteuren außerökonomische
Ressourcen mobilisiert: Familie, Tradition; soziales Kapital. Wer über diese Ressourcen nicht verfügt oder sie
Ein verlassener Laden in Friedrichswalde. Verschwindende Infrastruktur gehört seit über zehn Jahren zu den verwirrenden Erfahrungen der
Landbevölkerung in Ostbrandenburg. War die erste Zeit nach 1989 noch von dem Eindruck geprägt, eine hungrige Marktwirtschaft würde die
letzten Winkel des Landes erobern, scheint diese inzwischen das Interesse an der hiesigen Landschaft verloren zu haben.
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Ke i n e I d y l l e n - Thesen
Eine Straße, die nach Nirgendwo führt. Die Infrastrukturmaßnahme in der Nähe von Groß Schönebeck sollte der Ansiedlung einer Marina dienen, die jedoch nie zustande kam. Der Fördermitteleinsatz war sehr umstritten, insbesondere die Landwirte wehrten sich gegen die Zerschneidung
ihrer Ackerflächen und ahnten früh, dass die Investitionsabsicht nicht seriös war.
nicht neu schaffen will, muss in weit höherem Maße materielles Kapital einsetzen, das auch bei erfolgreicher
Unternehmensführung nicht so schnell wachsen wird, wie in anderen Wirtschaftsbereichen. Deshalb ist der
Fluss fremden Kapitals in eine ländliche Region dünn und diese bleibt auf Akteure angewiesen, die mit ihrem
unternehmerischen Engagement eine persönliche Perspektive in der Region verbinden.
3. Im Zuge der ostdeutschen Deindustrialisierung, der sinkenden Beschäftigung in der Landwirtschaft und des
drastischen Abwanderns der Bevölkerung gewinnen die außerökonomischen Ressourcen für regionales Wirtschaften immer mehr an Bedeutung. Die enorme Schwierigkeit für kleine und mittelständische Unternehmen
in der Region, qualifizierte Mitarbeiter und fähige Lehrlinge zu finden, steht nur scheinbar in einem krassen
Gegensatz zur Massenarbeitslosigkeit. Jene Milieus im ländlichen Raum, die sich wirtschaftlich selbst organisieren, erhalten deutlich weniger Zulauf, als ihnen verloren geht.
4. Die gewerblichen Felder für regionales Wirtschaften liegen an der Schnittstelle von primärer Landnutzung,
eigener Veredlung und direkter Vermarktung. Damit bewegen sich regionale Produzenten in einem Feld, das
gern mit Klischees wie Ländlichkeit und Ruhe verbunden wird. Der Arbeitsalltag in den Unternehmen sieht
jedoch genau entgegengesetzt aus: er verlangt von den Beteiligten große Härten ab, in den meisten Fällen sind
komplexe Abläufe zu organisieren, die in den arbeitsteiligen Hierarchien der Städte nicht üblich sind. Regionale Produzenten arbeiten an einer doppelten Front - auf der einen Seite sind sie von Saison, Wetter und Klima
abhängig und geraten daher in vielen Arbeitsabläufen unter Zeitdruck, zugleich gibt der Markt, auf dem sie
agieren, eine ganz anders geartete Leistungsdynamik, einen ganz anders strukturierten Zeittakt vor.
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Keine Idyllen - T h e s e n
5. Obwohl das Bild vom ländlichen Produzenten nicht mit seiner Arbeitswirklichkeit übereinstimmt, sind doch
alle bekannten Vermarktungsstrategien darauf abgestellt, den Konsumenten einen Schein ländlicher Idylle zu
verkaufen. Regionalmarketing sollte sich nicht vorschnell auf diese Strategie festlegen. Es ist zutreffend, dass
Konsumenten ein positives Lebensgefühl verlangen - die Vermittlung glatter Werbeästhetik beherrschen aber
große Unternehmen auf dem Markt meist besser als kleine regionale Wirtschaftsnetze. Was dabei entsteht,
ist oftmals schwächer und blasser als die Images großer Ketten. Stattdessen sollte die regionale Vermarktung
mit dem Trumpf der Authentizität arbeiten. Hier besteht die Chance, das Spannungsfeld zu nutzen, das sich
aus attraktiver Naturausstattung, technologischer Modernität und handwerklicher Tradition ergibt. Hier stehen konkrete wirtschaftliche Akteure, die mit ihrer Arbeit ein persönliches Risiko eingehen. Dass die regionale
Wertschöpfung keine Nische ist, in der man sich aufwärmen kann, sollte nicht verschwiegen werden, sondern
selbst mit zum Bestandteil der Vermarktungsstrategie gemacht werden.
6. Vor allem bei den alteingesessenen Familienunternehmen wird deutlich, dass die Generationenkette retrospektiv eine Ressource bildet, aus der die Akteure Wissen, Kundenpotenzial, Identität und technologischen
Vorlauf schöpfen. In den Kriegskatastrophen des letzten Jahrhunderts, in der für privatwirtschaftliche Betriebe
schwierigen DDR-Zeit und in der beinahe noch schwierigeren Umbruchszeit nach 1989 haben die betroffenen
Wirtschaftsformen mehr Flexibilität und Belastbarkeit bewiesen, als ihnen gemeinhin zugetraut wird. Dieses
Vermögen sollte auch bei den bevorstehenden Belastungen durch die Dynamik des Marktes nicht unterschätzt
werden.
Landschaft bei Götschendorf. Naturraum, Geschichte, Landnutzung und Lebenskultur
liegen im ländlichen Raum oft zutage wie in einem offenen Buch. Regionalmarketing
kann dabei helfen, dieses Buch zu lesen.
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Ke i n e I d y l l e n - Thesen
Autowerkstatt in Joachimsthal. Der Trabant ist selten geworden, aber für viele ist er immer noch ein ganz normales Nutzfahrzeug.
7. Bei dem Versuch, regionale Wertschöpfungsprozesse (z.B. in Modellregionen wie Biosphärenreservaten) zu
fördern, scheint es jedoch sehr schwierig, aus diesem „Schöpfen aus der Vergangenheit“ ein in die Zukunft gerichtetes Prinzip nachhaltigen Wirtschaftens abzuleiten. Die betroffenen Akteure wissen oft nicht einmal, ob
die von ihnen etablierte oder übernommene Wirtschaftsform überhaupt von Nachfolgern, etwa den eigenen
Kindern, aufgegriffen wird. Sie wollen und können nicht stellvertretend Probleme der Gesellschaft lösen, sie versuchen vor allem, ihre eigenen Probleme zu lösen. Herrscht hierüber keine Klarheit, wird die Zusammenarbeit
mit regionalen Unternehmern in erster Linie aus Enttäuschungen bestehen.
8. Will man den regionalen Produzenten helfen, muss man an ihrer Praxis anschließen und sie als Experten ihrer eigenen Arbeitswirklichkeit ansprechen. Die in diesem Heft vorgestellten Unternehmen haben die Grenzen
ihres eigenen Wachstums meistens durch gut überlegte Gründe dargelegt. Diese Gründe reichen von betriebswirtschaftlichen Überlegungen bis hin zu Vorstellungen von der eigenen Lebensqualität und einem Platz im
Ensemble der anderen regionalen Produzenten, die man nicht vom Markt verdrängen will. Eine Hilfestellung ist
nur möglich, wenn man diesem Komplex aus Gründen mit Respekt begegnet.
9. Vor diesem Hintergrund sind in den letzten Jahren innerhalb des Biosphärenreservates Schorfheide-Chorin
im Zusammenhang mit der Etablierung einer Regionalmarke Arbeitsbeziehungen gewachsen, die von ebenjenem Respekt und von gegenseitigem Vertrauen geprägt sind. Sie bilden ein Potenzial für weitere Schritte, für
die man vor allem eines benötigen wird: Zeit. Denn nichts schadet der Nachhaltigkeit mehr als vorschnelle Versprechungen. �
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Impressum:
Texte und Fotos: Büro für Landschaftskommunikation
Dr. Kenneth Anders und Lars Fischer
Herrenwiese 9, 16259 Schiffmühle/Oder
03344/300748, www.landschaft-im-wandel.de
[email protected], [email protected]
Beratung: Anke Jenssen
Die Porträts wurden im Sommer 2004 erstellt.
Die Texte wurden von den porträtierten Personen autorisiert.
Wir danken allen, von denen im Heft zu lesen ist, für Ihre Mitarbeit.
Das Projekt wurde aus Mitteln des Wettbewerbs des Bundesministeriums für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft „Regionen Aktiv- Land
gestaltet Zukunft“ gefördert.
Was haben ein Landwirt aus Groß Schönebeck und ein Gastronom aus
Chorin gemein? Was verbindet einen Gärtner aus Oderberg mit der Leiterin eines Joachimsthaler Lebensmittelmarktes?
Sie arbeiten alle in und mit der gleichen Landschaft, sie teilen die Vorund Nachteile der Naturausstattung und der regionalen
Wirtschaftsstrukturen.
Die Regionalmarke des Biosphärenreservates Schorfheide Chorin ist
zugleich ein Herkunfts- und ein Gütesiegel. Wer es trägt, verpflichtet
sich auf bestimmte Grundsätze des Wirtschaftens und trägt zur regionalen Wertschöpfung bei.
Im Rahmen des Bundeswettbewerbs REGIONEN AKTIV wurden acht
Regionalmarkenträger auf ihre landschaftliche Beziehung hin befragt.
Wie arbeiten sie mit dem umgebenden Naturraum? Welche sozialen
Strukturen und Traditionen nutzen sie? Wie sehen ihre wirtschaftlichen
Perspektiven aus?