39. Finanzkrisen ohne Ethnologie des Geldes? Die Position der Wirtschaftsethnologie in Deutschland Mario Schmidt und Sebastian Schellhaas Mario Schmidt, Goethe-Universität Frankfurt: Money, Mauss und Mana – Überlegungen zu einer Mausschen Theorie des Geldes Mauss analogisiert die Kaufkraft des Geldes mit der Kraft des Mana. Im GabeEssay spielt der Begriff des Geldes eine wichtigere Rolle als der der Reziprozität. Im Anschluss an diese Beobachtung soll anhand einer komparativen Analyse dreier Geldformen (Wampum, cattle bei den Luo Kenias und kapitalistisches Geld) versucht werden, ein Verständnis von Geld herauszuarbeiten, das sowohl moderne, kapitalistische wie „primitive“ Formen des Geldes fassen kann und einer kritisch-komparativen Analyse entspringt, die es ermöglicht, durch die Reflexion über das „fremde“ das „eigene“ Geld besser zu verstehen. Geld soll im Zuge dessen als ein System von Zirkulations- und Hortungsmedien verstanden werden. Genauer gesagt, von Medien, die die gesamte Gesellschaft durchziehen, während sie sich ihr zugleich entziehen, weshalb sie sowohl Zeichen der durch sie vermittelten als auch der durch sie verschleierten gesellschaftlichen Widersprüche sind. In gewisser Hinsicht löst Geld diese Widersprüche und verkörpert sie gleichwohl. Es entspringt also – ähnlich dem Fetisch – aus einer Krisensituation, die es simultan leugnet und verstärkt. In der Auseinandersetzung mit dieser Thematik richtet sich der Fokus des vorgetragenen Papers auf die Untersuchung der kausalen Beziehungen zwischen der materiellen Form des Geldes und ihr korrespondierenden Kraftkonzeptionen. Geraldine Schmitz, Goethe-Universität Frankfurt: Market money – Von der Landeswährung zum lokalen Tauschmittel? Die Märkte Ghanas befinden sich seit jeher in einer doppelten Rolle, da ihre „Informalität“ gerade während wirtschaftlichen Krisenzeiten zugleich Segen und Fluch ist: Einerseits sind sie die Sündenböcke der Politik, andererseits die wirtschaftliche Überlebenssicherung der Bevölkerung. Der Tamale Central Market unterliegt weniger dem staatlichen Einfluss, als vielmehr den sozialen Beziehungen der Händler, welche diesen Markt zu einem autonomen, stabilen Wirtschaftsraum gemacht haben, der trotz jeder wirtschaftlichen Krise weiter floriert. Die Händler unterscheiden maßgeblich zwischen normalem Geld und market money, welches nur innerhalb des Marktes getauscht werden kann, obwohl es sich dabei um die Landeswährung handelt. Market money sind zerknitterte, gerissene, schmutzige Scheine, die außerhalb des Marktes nicht angenommen Seite 1 von 4 werden, weil ihnen ein geringerer Wert zugesprochen wird, obwohl man sie ohne weiteres in den Banken eintauschen oder einzahlen kann. Die Preise innerhalb des Marktes sind immer geringer als außerhalb und verändern sich mit den sozialen Umständen – die Händler passen sie an die äußeren Einflüsse so an, dass der Markt weiter florieren kann. In Anbetracht dieser Tatsache muss die Frage gestellt werden, ob market money noch eine Währung ist, oder zu einem lokalen Tauschmittel als Reaktion auf negative wirtschaftliche Einflüsse geworden ist. Selina Schuler, Goethe-Universität Frankfurt: Geldexperimente – Was beeinflusst den/der Umgang mit Geld? Die ethnologische Erfahrung lehrt, dass außer dem uns bekannten, oft als kapitalistisch bezeichneten Geld – „all-purpose-money“ – noch andere Geldformen existieren. Diese unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihrer materiellen Eigenschaften, sondern auch ihrer jeweiligen kulturellen Einbettung, die durch bestimmte Weisen des Gebrauchs gekennzeichnet ist. Dabei ist es jedoch nicht immer leicht, eine deutliche Unterscheidung zwischen „materiellen“ Geldeigenschaften und „kulturellen“ Gebrauchsweisen aufrecht zu erhalten: Die materiellen Eigenschaften einer Geldform ermöglichen oder verunmöglichen, begünstigen oder diskriminieren bestimmte Umgangsweisen, die die Rolle und die Funktion des Geldes in der jeweiligen Gesellschaft maßgeblich mitbestimmen. Gleichzeitig wirken gemachte Erfahrungen, etwa von existenzieller Unsicherheit oder Leistungsgerechtigkeit, auf die geldbezogenen Denk- und Handlungsweisen der Individuen zurück. Wenn durch die ethnographische Forschung die Kontingenz von Geldformen und -eigenschaften aufgezeigt werden kann, während deren Einfluss auf geltende Distributionsmechanismen unübersehbar wird, drängt sich die Frage auf, in welchem Umfang und auf welche Weise sich bestimmte Eigenschaften von Geld in den jeweils üblichen Denk- und Umgangsformen sowie in der realen Verteilung von Macht und Reichtum innerhalb einer Gesellschaft niederschlagen. Regionalwährungen bieten die Möglichkeit, gezielt mit verschiedenen Geldeigenschaften zu experimentieren und die daraus entstehenden Konsequenzen anhand von Veränderungen im praktischen Umgang sichtbar zu machen. Daraus lassen sich wichtige Schlussfolgerungen für die Analyse gewinnen. Lois Woestman, Philipps Universität Magdeburg: Mediterraneanism: German perceptions of Greeks/Greece and the Euro crisis In Orientalism, Edward Said argued that even expert “western” knowledge of the “east” was based on preconceived archetypes envisioning eastern societies as antithetical to western ones. This orientalism, this othering, he argued, “operates as representations usually do, for a purpose, according to a tendency, in a Seite 2 von 4 specific historical, intellectual, and even economic setting.” In short, orientalism has helped foster the west’s exercise of authority over the east. This paper interrogates a similar argument – following a north-south geographical axis, in the historical, economic and cultural setting of the Euro crisis. Has a “mediterraneanism” been emerging within the Eurozone along with the crisis? To answer this question, this paper focuses on Germany and Greece, two countries often regarded as symbolic of broader Eurozone contentions. Grounded in a year of participant observation in Germany and study of German texts generated since the Euro crisis began, this paper addresses the questions: Have German attitudes towards Mediterraneans broadly, and Greeks specifically, shifted since the crisis began – if so, in which ways? Have these potentially shifting views contributed to a discursive “othering” of Eurozone peripheral countries? If so, has this “othering” been instrumental in fostering Eurozone core economies’ exercise of authority over periphery economies during the Euro crisis? Michael Mühlich, Bad Soden: Zur Epistemologie von Geld und Kredit Um einen Überblick zum Zusammenhang von Geld und Kredit im wissenschaftlichen Diskurs zu geben und die verschiedenen erkenntnistheoretischen Perspektiven zu veranschaulichen, werde ich versuchen eine Gewichtung der Geldfunktionen in den verschiedenen Theorieansätzen vorzustellen und die jeweiligen Autoren zu benennen, die diese Theorieansätze vertreten. Ich werde die Tauschtheorie, die staatliche Theorie, die Kulttheorie und die ethnologische Theorie zum Geld und ihren Bezug zur Begrifflichkeit des Kredits in einer Matrix Übersicht vorstellen und auf „weiße“ Stellen im wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs zu diesen Themen hinweisen. Sebastian Schellhaas, Goethe-Universität Frankfurt: „They eat their money.“ – Über Essen und Geld In der wirtschaftsethnologischen Literatur wie auch im allgemeinen Sprachgebrauch trifft man wiederholt auf semantische und situative Gemeinsamkeiten zweier zentraler Aspekte des alltäglichen Lebens: Essen und Geld. Einprägsame Titel wirtschaftsethnologischer Arbeiten wie Cooking money (Carsten 1989), Drinking Cash (Toren 1989) oder Bitter money (Shipton 1989) aber auch Redewendungen wie „eating bribes“ (Schellhaas/Schmidt, unveröffentlichtes Manuskript) oder „They eat their money“ (Znoj 1995) scheinen mehr zu sein als das Produkt einer dankbaren kulinarischen Metaphorik monetärer Phänomene. Die weitverbreitete Diskursivierung des Umgangs mit Geld in Gestalt eines kulinarischen Vokabulars lässt vielmehr tiefschürfende Gemeinsamkeiten vermuten. In ethnologischen Arbeiten zu verschiedenen Arten normativer Evaluierung von Geld – „money of cattle“ (Hutchinson 1992), „hot money“ (Znoj 1998) oder „dirty money“ (Peebles 2012) – klingt diese Seite 3 von 4 Verknüpfung wiederholt an, ohne jedoch Gegenstand einer eingehenden Analyse zu werden. Als Teil eines laufenden Dissertationsprojekts geht das vorgestellte Paper dem Zusammenhang von Essen und Geld anhand verschiedener ethnografischer Beispiele nach, um aus der Untersuchung dieses Verhältnisses einen Mehrwert für sowohl kulinar-ethnologische als auch wirtschaftsethnologische Theorienbildung und Forschungen zu ziehen. Seite 4 von 4
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