Geschlechtsspezifisches Wahlverhalten Männer kommen vom Mars, Frauen von der Venus. Aber auch, wenn es darum geht in der Wahlkabine das Kreuz zu setzen? Gerade für Parteien könnte es ja interessant sein zu wissen, ob Frauen und Männer sich an der Wahlurne unterschiedlich entscheiden. So könnten sie im Wahlkampf die eine oder die andere Gruppe ganz gezielt umwerben. Liegen Frauen und Männer aber in der Wahlbeteiligung und in ihrer Wahlentscheidung tatsächlich weit auseinander? Können die Frauen eine Wahl entscheiden? Politikwissenschaftler, die sich mit dieser Frage beschäftigen wollten, standen zuerst vor einem Problem: Mit welcher Methode kann man überhaupt feststellen, ob Frauen und Männer unterschiedlich wählen. Umfragen bilden nur Absichten ab und bleiben damit zu ungenau. In Deutschland gibt es daher eine Methode, tatsächlich zu ermitteln, was bei jedem einzelnen an der Wahlurne passiert. Wie Mann und Frau sich im letzten Moment entscheiden. Seit der Bundestagswahl 1953 fassen Experten die Wahlergebnisse in der so genannten Repräsentativen Wahlstatistik zusammen. (Siehe Info-Box). Nach dem Zweiten Weltkrieg sind die Rollen noch klar verteilt. Besonders verheiratete Frauen kümmern sich um Haushalt und Kinder. Der Mann bestreitet den Lebensunterhalt. Selten sind Frauen berufstätig. Am gesellschaftlichen Leben nehmen sie eher in der Kirche teil. Ihre Männer sind oft in der gerade neu erstarkenden Industrie tätig, treiben das Wirtschaftswunder voran, sind oft Mitglied in einer Gewerkschaft. Das hat Einfluss darauf, welche Partei er wählt, aber auch welche Partei sie wählt. Vielleicht nicht unbedingt innerhalb einer Familie, aber doch im Allgemeinen. Orientiert an christlich-konservativen Werten entscheiden sich die Frauen, besonders die älteren, in den 50ern und 60ern immer eher für die CDU/CSU als für die SPD. Bei den Männern ist es genau umgekehrt. Egal in welchem Alter. Mit den 68ern kommt auch hier die Wende. Bildung ist auf einmal auch für die Mädchen selbstverständlich. Kinder erziehen und gleichzeitig berufstätig sein schließt sich nicht mehr aus. Die Frauen entdecken die Selbstbestimmung. Ganz besonders durch die Erfindung der AntiBaby-Pille. In den 70er Jahren fangen Frauen an selbst und individuell zu gestalten wie ihr Leben aussehen soll. Sie lassen sich nicht mehr so häufig durch die Kirche oder den Ehemann beeinflussen. Auch Männer verändern ihr Denken in dieser Zeit. Die Ehe ist nicht mehr die einzige tolerierte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau. Die Frauenbewegung setzt sich für Chancengleichheit ein und auch dafür, dass Kinder und Berufstätigkeit sich nicht mehr ausschließen. Deutschland erlebt einen Wertewandel. Auch im Wahlverhalten kann man das sehen. Die Repräsentative Wahlstatistik zeigt, dass der Frauenüberschuss der CDU/CSU bei den Wählerstimmen ab der Bundestagswahl 1969 geradezu dahinschmilzt. Die SPD holt auf, gerade weil sie als die politische Kraft wahrgenommen wird, die diesen gesellschaftlichen Wandel unterstützt. Nach den Veränderungen der 70er Jahre wählen Frauen im Allgemeinen ‚linker’ als die Männer. Bis heute hat sich daran so gut wie nichts geändert. Frauen wählen also eher die Grünen und Männern oft eher die FDP, aber diese Unterschiede sind nur gering. Frauen suchen sich die Partei, die sie bevorzugen, aber auch den Kandidaten oder eben die Kandidatin nach denselben Kriterien aus wie die Männer. Angela Merkel gegen Gerhard Schröder, Heide Simonis gegen Peter Harry Carstensen und im Jahr 2001 in Baden-Württemberg Ute Vogt gegen Erwin Teufel. Kann man sagen, dass Frauen lieber eine Frau wählen? Ute Vogt wird es auch bei der Landtagswahl im März in Baden- Württemberg nicht leichter haben als Günther Oettinger. Auch wenn sie bei den Landtagswahlen 2001 tatsächlich stark bei den 35- bis 44-jährigen Frauen punkten konnte. Der amtierende Ministerpräsident hätte aber auch keinen Vorteil, wenn er von Frauen als sehr attraktiv wahrgenommen würde. Für beide Geschlechter sind in erste Linie die Kompetenzen wichtiger, die einem Kandidaten oder einer Kandidatin zugeschrieben werden. Frauen und Männer erwarten Glaubwürdigkeit, Lebensnähe, Ehrlichkeit und Sachkompetenz. Männer legen insbesondere Wert auf die Kompetenz, Frauen auf die Glaubwürdigkeit. Bei der Bundestagswahl 2002 haben die Frauen tatsächlich in gewisser Weise die Wahl entschieden, weil sie Edmund Stoiber eben einfach nicht glaubwürdig fanden. Frauen und Männer entscheiden sich bei Wahlen also nicht für die eine oder andere Partei oder für den einen oder anderen Kandidaten aufgrund ihres Geschlechts. Bezüglich der Wahlbeteiligung gab es zwischen Männern und Frauen seit Einführung des Frauenwahlrechts 1918 nie nennenswerte Unterschiede. Schaut man sich aber zusätzlich Alter oder auch Geburtsjahrgang der Wähler an, dann wird deutlich wie stark sich z.B. die jungen Frauen von den älteren unterscheiden, wenn es ans Wählen geht. Die Ergebnisse der Repräsentativen Wahlstatistik zeigen, dass ältere Frauen immer noch eher CDU/CSU wählen. Die jüngeren ganz oft Bündnis 90/Die Grünen. Auch was die Wahlbeteiligung angeht, sind die Differenzen nach Alter größer. Junge Menschen gehen, egal welches Geschlecht sie haben, generell seltener zur Wahl als ältere. Bei Männern wie bei Frauen steigt die Wahlbeteiligung mit dem Lebensalter an. Nur die Frauen über 70 gehen dann wieder seltener zur Wahl, weil sie oft allein und isoliert leben. Allgemein unterscheiden sich also Männer und Frauen kaum in ihren Wahlentscheidungen. Zu schwer ist es einfach, die Frauen oder die Männer als einheitliche gesellschaftliche Gruppen zu beschreiben. Sich im Wahlkampf besonders auf das eine oder andere Geschlecht zu konzentrieren, lohnt sich für Parteien somit nicht. Faktoren wie Alter, Bildung oder Erwerbstätigkeit haben viel eher einen Einfluss auf die Wahlentscheidung – und zwar sowohl für Männer als auch für Frauen. Verena Schwald und Rebecca Rösner Die Repräsentative Wahlstatistik Die Repräsentative Wahlstatistik ermittelt das Wahlverhalten nach Alter und Geschlecht. Dabei basiert diese Statistik nicht auf Umfrageergebnissen, sondern auf Auszählungen von Wählerverzeichnissen und Stimmzetteln in zufällig ausgesuchten Wahlbezirken. Gewählt wird in diesen Wahlbezirken wie in allen anderen auch. Die Wählerinnen und Wähler haben jedoch auf ihrem Stimmzettel noch Angaben über Alter und Geschlecht stehen. So lassen sich schnelle und zuverlässige Angaben zu Wahlbeteiligung, Stimmabgabe und die Wählerschaft der Parteien nach Altersgruppen und Geschlecht machen.
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