Kosmische Erziehung im Rahmen der Pädagogik von Maria Montessori Das Programm der kosmischen Erziehung, das Montessori erst ab 1935 theoretisch und praktisch entfaltet hat, bezeichnet sie als Grundstein der Schulerziehung für 6-12 Jährige. Seine Basis bildet eine umfassende Sicht von Mensch und Welt, die Montessori als Kosmische Theorie bezeichnet. Montessori stützt sich für ihre Weltsicht wissenschaftlich auf eine Analyse beobachtbarer Phänomene in Natur, Kultur und Gesellschaft und deren Interpretation im Anschluss an die Evolutionstheorie. Sie fordert dabei eine neue Denkweise, welche die Vorherrschaft eines Denkens in linearen Ursache- WirkungsBeziehungen ablösen soll. Ziel der kosmischen Erziehung ist es, den Kindern den Weg zu zeigen, sich selbst fröhlich und voller Neugier die Welt zu erobern und dann allmählich zu lernen, für diese Welt und für sich selbst einen eigenen Anteil an Verantwortung zu übernehmen. Der Kosmos, das ist die ganze Welt, in der wir leben: Das Universum, unser Planet Erde, Sonne, Mond, Licht, Tag, Nacht, Luft, Wasser, Feuer, Pflanzen, Tiere und selbstverständlich wir Menschen mit unserer Kultur und Geschichte. In der Kosmischen Erziehung geht es darum Kinder zur Einsicht und dem Gefühl hinzuführen, dass in der Welt alles miteinander zusammenhängt, voneinander abhängig und aufeinander angewiesen ist. Im Wesentlichen geht es Montessori um die Verankerung einer kosmischen Sicht. Um das Erkennen der engen Beziehung zwischen Lebewesen und ihrer Umwelt. Sowie die besondere, verantwortungsvolle Stellung des Menschen im Kosmos. Kosmische Erziehung hat bei Maria Montessori nicht unbedingt etwas mit dem Kosmos an sich zu tun. Vielmehr geht es darum die Fragen der Kinder nach dem Woher und Warum zu beantworten. In der Kosmischen Erziehung werden durch Erzählungen, Bildtafeln und einfache Versuche auf kindgemäße Weise, diese Fragen beantwortet. Der Aufbau eines sachkundlichen Wissensschatzes (z.B. Biologie, Geschichte, Geografie, Physik und Chemie…) ist nur ein Aspekt der Kosmischen Erziehung. Kosmische Erziehung jedoch auf "Sachbegegnung" im Kindergarten, "Sachunterricht" in der Grundschule und die naturwissenschaftlichen Fächer in der Sekundarschule zu reduzieren, greift im Wesentlichen - nämlich im Verständnis ihres Wesens - zu kurz. Die kosmische Erziehung hat 2 Eckpunkte: 1.) der kosmische Schöpfungsplan. Er sollte in uns das religiöse Gefühl der Dankbarkeit gegenüber Gott als dem Schöpfer erwecken, sowie Achtung gegenüber den Menschen, die seine Geschöpfe sind. Es ist Montessoris Apell an den Frieden. 2.) Die kosmische Aufgabe. Die Menschen sollten das uns Anvertraute bewahren, erhalten und weiterbauen. Das ist die ökologische und zugleich humanitäre Aufgabe. 1 Um Kinder für ihre Verantwortung der Welt gegenüber und für die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Phänomenen des Kosmos zu sensibilisieren, lautet der erste Schritt: “ Raus aus den Klassenzimmern und rein in das wirkliche Leben, d.h. viele Ausflüge und Exkursionen zu ermöglichen. Wie bei allen Bereichen werden auch für Kosmische Erziehung eine Reihe von Materialien verwendet, bei denen auf die Reihenfolge geachtet wird. Es geht vom großen Ganzen zum kleinen Detail. Didaktische Prinzipien der Kosmischen Erziehung 1. Der panorama-artige Überblick Zunächst sollte man den Kindern die Draufsicht auf ein Ganzes ermöglichen. Hierin zeigt sich schon ein elementarer Unterschied zum herkömmlichen Schulunterricht, in dem normalerweise ein Stück zum nächsten getragen wird, das Ganze jedoch nie entsteht. Methodisch stehen für diesen Überblick sowohl Geschichten als auch bebilderte Zeitleisten u. a. m. zur Verfügung. Ausgehend von diesem panorama-artigen Überblick können sich Kinder Schritt für Schritt in Einzelheiten versenken, ins Detail gehen und tiefere Einsichten nehmen. Diese Vorgangsweise führt zum nächsten Prinzip: 2. Das Prinzip vom Ganzen zum Detail Dieses Prinzip ist wohl eines der bekanntesten Prinzipien der Kosmischen Erziehung. Es zeigt sich z. B. in den klassischen Materialien zur Topografie, mit deren Hilfe Kinder ausgehend von der Einteilung der Erdoberfläche - zunächst der natürlichen Einteilung in Land und Wasser zur "kultürlichen" Einteilung des Landes in Kontinente - angesichts der Globen als ersten Schritt den Weg von der Drei- in die Zweidimensionalität gehen und erleben, wie wir vom Globus zur Landkarte kommen. Die erste Landkarte zeigt also die Kontinente, wie sie schon auf dem Globus sichtbar waren. Daran schließen sich - wenn wir nun ein Detail, also einen Kontinent herausnehmen und näher betrachten - die Puzzlekarten zur Einteilung der einzelnen Kontinente an, aus denen sich wiederum die Puzzlekarten zur Einteilung der einzelnen Staaten ergeben. So wird jedes Detail Schritt für Schritt zu einem neuen Ganzen, dessen Details wir studieren können. Einige Beispiele zu diesem Prinzip: Das didaktische Konzept der zirkulären Zeitmessung Aus der Erfahrung der Bewegungen innerhalb unseres Sonnensystems im Rahmen des Tanzes der Planeten lässt sich eine umfassende didaktische Reihe ableiten. Ausgehend von der Bewegung der Erde um die Sonne kommen wir zur natürlichen Einteilung des Jahres in Jahreszeiten und zur Entstehung von Tag und Nacht. Daraus können wir die "kultürlichen" Einteilungen in Monate mit ihren besonderen Namen, Wochen und die Benennung der Wochentage, Stunden, Minuten und Sekunden ableiten. Wenn wir zusätzlich die Bewegungen der Dreiheit Sonne - Erde 2 Mond erlebbar machen, wird für die Kinder auch noch die Entstehung der Mondphasen deutlich und darüber hinaus die Sonderfälle von Sonnen- und Mondfinsternis. Alles interessiert gleichermaßen: Wie entstehen unsere Jahreszeiten? Wie sind die Menschen überhaupt auf die Zeiteinteilung gekommen? Was bedeuten die Namen der Monate und der Wochentage? Methodisch gesehen haben wir zur ersten Frage das Erleben am eigenen Körper und in weiterer Folge das Modell zur Verfügung, zur zweiten und dritten Frage Geschichten aus der Geschichte. Ersteres führt die Kinder ins Handeln und Beobachten und lässt daraus entstehende Schlüsse und Erkenntnisse zu. Letzteres regt die Vorstellung an, wie es "damals" gewesen sein könnte. Auch der Blick auf die Weiterentwicklung der Wissenschaft wird damit geschärft. Für Kinder, die im Rahmen dieser Geschichten erfahren, dass sich die Sicht auf Phänomene im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende immer wieder verändert hat, ist es selbstverständlich, dass das Wissen der Jetztzeit ebenso ein Zwischenstand ist. So können sie offen bleiben für neue Erkenntnisse und interessiert an der Forschung und deren Ergebnisse. Das didaktische Konzept der linearen Zeitmessung Aus der Idee Maria und Mario Montessoris, geschichtliche Zeitabläufe linear darzustellen - sei es ganz basal mit dem Schwarzen Band, sei es strukturierter und informativ aufbereitet mit Zeitleisten - haben wir heute eine ganze Reihe von aufeinanderfolgenden Materialien zur Verfügung, die den Weg vom Ganzen zum Detail ermöglichen. Ausgehend vom Schwarzen Band, das in aller Eindrücklichkeit die Zeitabschnitte des Bestehens der Erde ohne und mit Menschen erlebbar macht, über das lange und das kurze Bunte Band, die die Einteilung dieser langen Zeit zeigen, gehen wir über Zeitleisten und ihre bildhafte Darstellung bis zu Zeitketten, die über zählbare Zeiteinheiten die Möglichkeit geben, die bisher durch Länge erlebte Zeitdauer nunmehr auch in Zahlen zu kleiden. So wie das Kind in seiner Entwicklung fortschreitet, bekommt es also das Erleben von Zeitabläufen in der Vergangenheit von senso-motorischen Prozessen - wie dem Entlanggehen oder -laufen am schwarzen Band - bis hin zur kognitiv erfassten, in Zahlen ausgedrückten Zeitspanne an die Hand. 3. Das Fenster zur Welt In der Kosmischen Erziehung gilt, das Fenster zur Welt ganz weit zu öffnen. Das bedeutet in der Praxis: Kinder hinaus in die Welt, Welt herein in die Schule. Bei ersterem denkt man vor allem an Erlebnisse in der Natur, die Kindern das Verständnis von Einzelheiten und Zusammenhängen ermöglichen. Genauso kann man jedoch die kulturellen Errungenschaften des Menschen am besten außerhalb der Schule erleben:- Der Besuch einer Ausstellung oder noch eindrücklicher eines Künstlers/einer Künstlerin in seinem/ihren Atelier eröffnet dem Kind die Sicht auf und den Einblick in künstlerisches Denken und Arbeiten.- Das Erleben von 3 Arbeitsabläufen und -prozessen in Einrichtungen des täglichen Lebens ermöglichen Besuche in der Bäckerei, auf dem Markt, im Postamt oder in der Bank. - Das bewusste Wahrnehmen von Erzeugnissen von Menschenhand, sei es das Entstehen einer Semmel in der Bäckerei, sei es der Bau einer Brücke, der idealerweise beim Besuch einer Baustellen beobachtet werden kann - eröffnet Einsichten in die Phasen des Entstehens, der Planung, der Produktion von Menschen geschaffener Lebensnotwendigkeiten unserer Zeit. Beim Gedanken, Welt in die Schule zu holen, haben wir ebenfalls mehrere Möglichkeiten. Einerseits gilt es, von Ausflügen, Lehrausgängen usw. Dinge mitzubringen, die - mit Hilfe von Lupen oder längerer Beobachtung noch weiter erforscht werden wollen, zu denen die Kinder in Büchern nachlesen bzw. in Lexika nachschlagen wollen, wie z. B. Steinen und Pflanzen. Auch die Verwertung des Gesammelten eröffnet das Erlebnis einer Produktionskette - denken wir z. B. an das Verkochen von gesammelten Früchten. Ein weiteres, wenn auch nicht auf den ersten Blick sichtbares, "Mitbringsel" sind die Eindrücke, die Kinder bei solchen Ausflügen sammeln. Erlebnisse und Erfahrungen in der Welt außerhalb des Schulhauses schlagen sich auch in den Aufsätzen, Geschichten und Gedichten der Kinder nieder. Eine weitere Möglichkeit, Welt in die Schule zu holen, ist das Einladen von ExpertInnen aus verschiedensten Bereichen. Seien es Menschen, die ihre Arbeit und ihren Beruf vorstellen, Reisende, die Erlebnisse und Eindrücke mit den Kindern teilen, KünstlerInnen, die mit den Kindern arbeiten, Menschen aus anderen Kulturen, die mit den Kindern in ihrer Art kochen oder tanzen, ZeitzeugInnen aus vergangenen Tagen, die Geschichten aus ihrem Leben erzählen 4. Das Prinzip Verantwortung So wie Kinder Zusammenhänge der Welt und des Lebens durchschauen und begreifen, wird ihnen die Bedeutung des guten Zusammenwirkens aller Kräfte klar. Die kosmische Aufgabe des Menschen, das Werk der Schöpfung zu vollenden und die Ordnung und Harmonie aufrecht zu erhalten, wenn nicht sogar noch zu verbessern, wird sicht- und erlebbar. Kinder übernehmen gern Verantwortung in Bereichen, in denen dies entwicklungsadäquat möglich ist. Entwicklungsadäquat Verantwortung übernehmen zu lassen heißt, genau zu überlegen, welche Möglichkeiten und Grenzen in jeder Entwicklungsperiode gegeben sind. Während die Verantwortung beim KinderhausKind vielleicht darin liegt, alle Beine an einem Marienkäfer dran zu lassen, kann das Schulkind durchaus Verantwortung im Bereich des aktiven Umweltschutzes - z. B. in Form von Mülltrennung - übernehmen. Völlig unpassend ist es jedoch, wenn Kindern dieses Alters mit Erzählungen über die Brandrodung des Regenwaldes oder die Gefahren der Atomkraft Lasten aufgebürdet werden, die sie noch nicht tragen können. Solche Berichte lösen unter Umständen Ängste oder im Lauf der Zeit auch Resignation aus oder bringen Kinder dazu, sich 4 auf Gebieten zu engagieren, für die das Jugend- und Erwachsenenalter zuständig sind. Verantwortung für die Aufrechterhaltung der großen Ordnung kann sich also nur Schritt für Schritt entwickeln. Notwendige Voraussetzung dafür ist das ausgiebige Erleben des Eingebettetseins in diese Ordnung und die daraus resultierenden Gefühle der Zugehörigkeit und Sicherheit. Wenn Montessoris großes Ziel der Weltfrieden war, so hat sie deutlich darauf hingewiesen, dass dieses Ziel nur über Kosmische Erziehung erreichbar ist. Kinder, die Zusammenhänge durchschauen, die offen auf Neues und Fremdes zugehen, die die Bedeutung der Ordnung für den Fortbestand der Welt erkannt haben, die aus dem eigenen Gefühl der Geborgenheit in der großen Ordnung im Laufe der Zeit zunehmend Verantwortung für die Erhaltung dieser Ordnung übernehmen können und wollen, sind tatsächlich die Hoffnung für mehr Frieden auf dieser Welt. Methodische Prinzipien der Kosmischen Erziehung 1. Das Prinzip Geschichten-Erzählen Wir können den Kindern Geschichten erzählen und mit Bildern, Materialien und Experimenten die Vorgänge aus der Vergangenheit vorstellbar und nachvollziehbar machen. Eine weitere Leistung der Geschichten besteht darin, dass Kinder sich gerade durch das Erzählen der Geschichten als Teil der großen Ordnung erleben können, eingebettet in das große Ganze. Dieses Zugehörigkeitsgefühl gibt ihnen Orientierung und Halt, notwendige Voraussetzung für den Aufbau von Sicherheit und damit auch Selbstsicherheit. In einer so gut durchdachten und ständig erlebbaren Ordnung kann sich das Gefühl der Geborgenheit einstellen - die beste Voraussetzung für ein entspanntes, freudvolles, interessiertes Leben und Lernen. Das Wesentliche an diesen Geschichten ist, dass sie sich an der Wirklichkeit orientieren. Es handelt sich also weder um Phantasiegeschichten noch um Erzählungen, die um tatsächliche Ereignisse herumgerankt werden. In diesem Alter den Keim für die Naturwissenschaften zu legen, bedeutet nach Montessori, Kindern ohne jegliche Verniedlichung und ohne schmückendes Beiwerk zu erzählen, wie sich die Erde, die Tier- und Pflanzenwelt, die Menschheit entwickelt hat, welche Voraussetzungen dazu notwendig waren, welche Gesetzmäßigkeiten und Ereignisse zusammenspielen mussten etc. Das bedeutet eben auch, Kinder auf ihrem Entwicklungsstand ernst zu nehmen und sie als an diesen Themen interessiert und dafür fähig zu respektieren. Das Geschichten-Erzählen als methodische Möglichkeit fußt in der Kosmischen Erziehung also auf der Realität, auf wissenschaftlichen Forschungsergebnissen. Dies bringt es mit sich, dass sich die Geschichten je nach dem Stand der Wissenschaft auch verändern, erweitern, konkretisieren. 5 Weiters fällt auf, dass die Geschichten getragen sind von Hochachtung sowohl gegenüber der Schöpfung als auch gegenüber den menschlichen Errungenschaften. Es geht also darum, den Kindern die Schönheit, die Harmonie und die Ordnung der Welt und des Geschehens auf ihr und um sie herum zu zeigen - darauf weist ja auch der Begriff Kosmische Erziehung deutlich hin. Eng damit verknüpft ist ja auch das Thema Verantwortung. Wenn wir uns überlegen, in welchen Bereichen der Ökologie oder des Weltfriedens Kinder im Alter von 6 bis 12 Jahren tatsächlich Verantwortung übernehmen können, so sehen wir, dass alle Informationen über die Umweltzerstörung alle möglichen Gefühle auslösen können, jedoch keine Handlungsmöglichkeiten bieten. Da - zumindest in Österreich - von der Fernsehwerbung über die Buchindustrie bis hin zum Unterrichtsministerium ständig Kinder in dieser Hinsicht zur Verantwortung gezogen werden, liegt es wieder einmal an den Montessori-PädagogInnen und ähnlich denkenden Menschen, aufzuzeigen, dass dieses Entwicklungsalter etwas anderes braucht und hier Missbrauch und somit eine Verletzung der Rechte der Kinder vorliegen. 2. Das Prinzip Bild Mit ebensolcher Treffsicherheit hat die Montessori die Bedeutung von Bildern für das Vorstellungsvermögen erkannt. Bilder regen die Imaginationskraft des Menschen an. Je jünger das Kind, umso impressionistischer das Bild. Montessoris Bild sind absichtlich impressionistisch gehalten um den Kindern die Möglichkeit zu geben, auf dieser Grundlage ihre eigenen Vorstellungen zu kreieren. Nun leben wir in einer extrem visuellen Zeit, sind umgeben von Bildern und bekommen über die Neuen Medien noch jede Menge zusätzlich davon ins Haus geliefert. Dies bietet natürlich die Möglichkeit, Bilder zu jedem Thema in großer Auswahl auf Knopfdruck zu erhalten. Nicht nur die Materialerstellung ist dadurch wesentlich einfacher und schneller geworden, sondern auch die Kinder selbst haben damit ein weites Feld der Informationsbeschaffung dazugewonnen. Zusätzlich sei angemerkt, dass die Montessori-Bilder gerade durch ihre Reduktion auf das Wesentliche, ihre Isolation eines einzigen Aspekts besonders gut dazu geeignet sind, die kindliche Imaginationskraft zu unterstützen. Ihre Hauptaufgabe liegt darin, auf jenen Gebieten eigene Vorstellungen zu ermöglichen, die der Beobachtung nicht direkt zugänglich sind, denken wir z. B. an die Bilder zu den Meeresströmungen. Weiters können sie durch das Herausstreichen des Wesensmäßigen Vergleichsmöglichkeiten schaffen, wie z. B. die Bilder der unterschiedlichen Talformen, und dadurch Struktur und Ordnung im kindlichen Denken und Wissen aufbauen helfen. Eine weitere Aufgabe der Bilder ist es, durch Verkleinerung - z. B. die Bilder zur Entstehungsgeschichte der Erde - oder Vergrößerung - z. B. die Teile der Pflanze - Überblick bzw. Einblick zu ermöglichen, der am realen Objekt nicht oder zumindest nicht täglich gegeben ist. Nicht zuletzt bietet die Abbildung auch die Gelegenheit, etwas bereits Beobachtetes, Erlebtes so festzuhalten, dass die Erinnerung daran jederzeit möglich ist. Unter diesen Aspekten eine Auswahl aus dem großen Angebot von Bildern zu treffen, gibt PädagogInnen das Werkzeug an die Hand, Kinder in allen Bereichen 6 ihres Interesses mit Hilfe von Bildmaterial in ihrer Vorstellung, ihrer Entwicklung und ihrem Lernen zu unterstützen. 3. Das Prinzip Modell Das Alter 6 bis 12 Jahre, in dem nach Montessori der Keim für die Naturwissenschaften gelegt wird, erfordert also die Möglichkeit, sowohl draußen in der Welt Erfahrungen zu sammeln und Beobachtungen anzustellen, als auch Forschung, "Studien" zu betreiben. Dazu ist das Lernen am Modell in vielen Bereichen sinnvoll. Nehmen wir als Beispiel das Modell "Bach", so sehen wir die Wechselwirkung von konkretem Erleben und Weiterlernen am Modell. Nehmen wir jedoch als Beispiel das Modell "Sonnensystem", so ist das Modell die (derzeit) einzige Möglichkeit, die Struktur zu erleben und Zusammenhänge zu begreifen. In beiden Fällen stellt nach unserer Ansicht das Modell die Zwischenstufe von Bild und Experiment dar. Das unveränderliche Bild ermöglicht Vorstellungen und prägt sich dem Gedächtnis in seinem Sosein ein, das Modell ermöglicht konkretes Tun und damit verbunden Beobachten, Erkennen von Zusammenhängen und echte Begriffsbildung i. S. v. Begreifen. Das Experiment dient dem Beobachten, Staunen und Forschen anhand der eigenen Fragen, die sich aus der Beobachtung und dem Staunen ergeben. In allen Bereichen des Lernens kann der Weg vom Bild über das Modell zum Experiment gehen, aber nicht in jedem Bereich ist dieser Weg im Sinne einer Drei-Stufen-Lektion auch tatsächlich angebracht oder gar notwendig. Es geht hier eher um die sinnvolle Auswahl aus den drei Möglichkeiten als um die vollständige Aufbereitung ein und derselben Sache auf allen drei Ebenen. Wenn wir dreistufig denken, kann in der Natur meist nur die erste Stufe, die Stufe des Kennenlernens, und häufig auch noch die zweite Stufe, die Stufe des Wiedererkennens, erklommen werden. Zum Erreichen der dritten Stufe, der Stufe der aktiven Beherrschung, ist ein ausgiebiges Beobachten, Tun und Denken notwendig, das anhand von Modellen in der Schule genügend Raum und Zeit findet. Hier bietet das Modell die wunderbare Möglichkeit, bereits Erfahrenes und Erlebtes auf eine bewusste Wahrnehmungsstufe zu heben und die Eindrücke zu strukturieren. Wenn wir uns an Montessoris Begriffen in anderen Bereichen anlehnen - z. B. dem Begriff Psychogrammatik für das bereits über den absorbierenden Geist herausgebildete Gefühl für die muttersprachliche Grammatik - so bieten sich hier, wo es um mehr oder weniger unbewusst aufgenommene Eindrücke im naturwissenschaftlichen Bereich geht, die Begriffe Psychogeografie, Psychohistorie und ähnliche an. Diese Begriffe weisen darauf hin, dass es darum geht, ausgehend von den unbewussten Erfahrungen Einblick in das Wesen der Dinge zu nehmen und daraus das Wissen und den Überblick über das Ganze zu entwickeln. Noch deutlicher wird die Notwendigkeit des Modells überall dort, wo Kindern konkrete Erfahrung fehlt. Sei es, weil das Original zu groß ist, um es überschauen zu können (Beispiel: Sonnensystem, Gebirge, Wald); sei es, weil es zu klein ist, um echte Einsicht zu gewinnen (Beispiel: Blüte, Insekten, Moleküle) - auch wenn wir uns in diesem Bereich mit Lupen und Mikroskopen zumindest ein Stück weit helfen können; sei es, weil das Original im normalen Leben für uns unsichtbar ist (Beispiel: Leben 7 innerhalb der Erde und unter Wasser, Thema Wurzel, nachtaktive Tiere) - auch hier helfen uns technische Hilfsmittel, die ja an sich schon das Interesse der Kinder erregen, allerdings wiederum nur rudimentär. 4. Das Prinzip Experiment Passende Versuche zu den Geschichten - allen voran der Entstehungsgeschichte der Erde - geben dem Kind die Möglichkeit, im Kleinen nachzuvollziehen, welche Phänomene auf der Erde vorhanden sind und welche zusammenspielen mussten, damit die Erde überhaupt entstehen konnte. So wie das junge Kind die Welt durch das Hantieren mit konkreten Gegenständen begreift, erleben Schulkinder durch das Experimentieren Grundlagen und Zusammenhänge der Welt. Auch hier gilt das Prinzip Vom Konkreten zum Abstrakten. Auch hier hat das Kind die Möglichkeit, über konkretes Tun bereits gesammelte Eindrücke auf eine bewusste Wahrnehmungsebene zu heben und zu strukturieren. Bei der Weiterentwicklung der Experimente lohnt sich wiederum ein Blick auf das Prinzipielle: Die Experimente stehen in der Vorbereiteten Umgebung so, dass die Kinder jederzeit zugreifen können und alles auf einen Blick vorfinden, was sie für ihre Arbeit brauchen. Ebenso wichtig ist, dass das Material so aufbereitet ist, dass es den Kindern möglich wird, es nach Beendigung ihrer Arbeit selbstständig in Ordnung zu bringen, zu säubern, Abfälle artgerecht zu entsorgen und Verbrauchtes nachzufüllen. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das montessorische Experimentieren anders als Experimente im herkömmlichen Physik- oder Chemie-Unterricht - in erster Linie für die Hand der Kinder gemacht und selbstverständlich zum wiederholten und häufigen Gebrauch gedacht sind. Mindestens ebenso sinnvoll wie in anderen Materialbereichen ist bei der Vorbereitung der Experimente die Überlegung, was Kinder damit für ihre Entwicklung tatsächlich tun können. Mit dieser Frage kommen wir automatisch zu klaren Rahmenbedingungen, die gerade in der experimentellen Arbeit besonders wichtig sind. Ein reines Herumexperimentieren führt nämlich noch nicht zu Erkenntnissen. Die Grundlage jedes guten Experiments - und somit auch der daraus erzielbaren Erkenntnis - ist seine Wissenschaftlichkeit. 8
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