ESUG 1 Vorwort Das ESUG feiert Geburtstag. Drei Jahre konnte die Insolvenz- und Sanierungsszene Erfahrung mit einem Gesetz sammeln, das maßgeblich durch die Insolvenz des seinerzeit bedeutsamen Automobilzulieferers Schefenacker beeinflusst und beschleunigt worden ist. Grund genug, sich einer Aufarbeitung dieses Themas zu widmen. Die vorliegende Studie schließt nahtlos an das erste ESUG-Radar vom Mai 2014 und dessen Update vom Juni 2014 an. Umfangreiches Datenmaterial stellte dankenswerterweise wiederum der Verlag INDat zur Verfügung. Einige Unterschiede und Erweiterungen gegenüber den vergangenen Ausgaben sind jedoch hervorzuheben. und Umwelt Nürtingen-Geislingen wurde der Frage nachgegangen, wie ESUG-Verfahren aus Sicht der betroffenen Unternehmen beurteilt werden. Hierzu wurde eine Befragung derjenigen Unternehmen durchgeführt, die erfolgreich ein Insolvenzverfahren nach § 270a oder § 270b InsO durchlaufen haben. 33,6% dieser Unternehmen haben teilgenommen. Wir freuen uns, damit einen weiteren Beitrag in Sachen Transparenz in den Entwicklungen im Insolvenzumfeld seit dem 1. März 2012 zu bringen und wünschen Ihnen eine interessante Lektüre. Dr. Jochen Brinkmann Zum einen betrifft dies die Zahl der analysierten Fälle: Die nun auf drei Jahre verlängerte Betrachtungsperiode beinhaltet 878 bekannt gewordene Anträge nach §§ 270a und 270b InsO. Die Zahl der analysierten Fälle stieg von 487 auf 553. Zum anderen haben wir den Aspekt der nachhaltigen Sanierung hervorgehoben. Nach drei Jahren ESUG ist es an der Zeit, hier ein Zwischenfazit zu ziehen. Zusammen mit dem Institut für Restrukturierung und Insolvenzmanagement (IRI) an der HfWU – Hochschule für Wirtschaft 2 An der Erstellung der Studie waren beteiligt: hww Unternehmensberater GmbH (Dr. Jochen Brinkmann, Maria Boddenberg, Anja Scholl), Institut für Restrukturierung und Insolvenzmanagement (Prof. Dr. Tobias Huep), Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (Mercedes Ullrich), INDat Verlag (Thomas Fuhrmann). 2 3 Jahre ESUG: Die Ergebnisse in Kürze Sinkende Antragszahlen – höheres Gewicht § 270a InsO – längere Verfahrensdauer – zufriedene Unternehmen – Nachsorge mit hohem Stellenwert Das ESUG-Radar 2015 setzt die Analyse der bisherigen Studien fort und erweitert diese um den Aspekt der nachhaltigen Sanierung. 878 ESUG-Anträge wurden betrachtet1, von denen 553 Fälle analysiert werden konnten. Betrachtet man die Verteilung der Anmeldungen, so ist seit dem dritten Quartal eine starke Verringerung der Anmeldungen nach § 270 InsO festzustellen. Auf Quartalsbasis gegenüber dem Vorjahr haben sich die Anmeldungen halbiert – das ist deutlich stärker als der Rückgang der Insolvenzzahlen insgesamt. Zusätzlich ist anzumerken, dass sich die gesamten Anträge nach dem „Antrags-Höhepunkt“ der ESUG-Verfahren im Jahr 2013 halbiert haben und eine Marginalisierung der Schutzschirmverfahren festzustellen ist. Somit haben im Verlauf der drei Jahre, in denen das ESUG existiert, Eigenverwaltungen rund zwei Drittel aller 270er- Verfahren ausgemacht, mit der oben angesprochenen steigenden Tendenz. Schutzschirmverfahren scheinen an Attraktivität verloren zu haben. Liegt dies an besseren Erfolgsaussichten der Eigenverwaltung? Eine Hypothese, die nicht bestätigt werden kann. Grundsätzlich werden ca. 70% der 270er-Anträge stattgegeben und in Eigenverwaltung eröffnet. Innerhalb der 270er-Verfahren kristallisiert sich jedoch bei den Schutzschirmverfahren eine höhere Erfolgsquote heraus. Während 50% der Verfahren mit Eigenverwaltung wie geplant aufgehoben werden, gilt dies aber bei 80% der Schutzschirmverfahren. Auch die Verfahrensdauern sprechen für das Schutzschirmverfahren – die Hälfte ist nach bis zu 220 Tagen beendet worden. Demgegenüber ist die Hälfte der 270aVerfahren nach 304 Tagen beendet worden. Ein Unterschied „zugunsten“ des Schutzschirmverfahrens von 84 Tagen. Ein Befund, der auch für die durchschnittliche Verfahrensdauer gilt (hier sogar 94 Tage Unterschied). Nur bei dem Vergleich der kürzesten und längsten Verfahren schneiden beide Verfahrensarten ähnlich ab. Eine These, dass mit zunehmender Erfahrung der Beteiligten ein Professionalisierungseffekt zu Verkürzung der Verfahrensdauern und Antragssteigerung führt, kann insofern nicht bestätigt werden. Vielmehr erscheint es plausibel, dass die in Gesprächen immer wieder genannte zunehmende Professionalisierung eher dazu führt, dass die Verfahren komplexer werden. 3 Wie sehen die Unternehmen ihre eigene Insolvenz? Blick zurück im Zorn oder Blick nach vorn? Im Rahmen einer Umfrage berichten 42 Unternehmen, die hauptsächlich durch ihre Organe oder Inhaber vertreten werden, über ihre Insolvenzphase im ESUG-Verfahren. Zwei Drittel der Befragten gaben an, von dem Vorschlagsrecht eines Sachwalters nach § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO erfolgreich Gebrauch gemacht zu haben.2 Auffallend ist die Besetzung der Geschäftsführung in der Insolvenzphase. In keinem Verfahren wurde die Geschäftsführung vollständig ersetzt und nur ein Drittel gab an, die bestehende Geschäftsführung ergänzt zu haben. Mit zwei Dritteln berichtete das Gros der Befragten, dass die bisherige Geschäftsführung unverändert in der Eigenverwaltung Bestand hatte. Ein klares Votum für Vertrauen in eine Geschäftsführung, die sich „nur“ in Sachen Eigenverwaltung und Insolvenz sachkundig beraten lässt? Werden Unternehmen „durchsaniert“ aus der Insolvenz „entlassen“? Nein. Neun von zehn Unternehmen gaben an, dass sie nach der Insolvenzphase Restrukturierungsmaßnahmen strategischer, operativer sowie finanzieller Art ergriffen haben und sich somit äußerst selbstkritisch betrachten. Die Befragten bewerteten die Insolvenz als Grundstein der Sanierung der verschiedenen Unternehmensbereiche. Leistungswirtschaftliche Fortschritte werden jedoch erst nach der Insolvenz erzielt. Die getroffenen 4 Restrukturierungsmaßnahmen resultierten laut zwei Drittel der Befragten vollständig oder überwiegend aus einem Insolvenzplan oder einem internen Sanierungsplan, was die Relevanz eines solchen Konzepts verdeutlicht. Konzipiert wurden diese Maßnahmen in knapp 50% der Fälle mit Hilfe von externen Beratern oder dem Sachwalter/Eigenverwalter. Auch in der Phase nach der Insolvenz nutzen die Unternehmen externe Expertise: externe Berater aber auch der ehemalige Sachwalter oder Eigenverwalter werden zur Maßnahmenentwicklung herangezogen. Erstaunlich: ein Fünftel der Unternehmen gibt an, dass der Grundstein für die leistungswirtschaftliche Sanierung erst nach der Insolvenz gelegt wurde. Eines kann festgehalten werden: ein wesentliches Element einer nachhaltigen Sanierung eines Unternehmens stellt die „Nachsorge“ dar – es besteht Handlungsbedarf auch nach der Insolvenz. Insgesamt zeigen sich rund zwei Drittel der Befragten mit der Sanierung zumindest „zufrieden“, wenn nicht sogar „sehr zufrieden“. Dass circa ein Drittel mit der Sanierung nur „eingeschränkt zufrieden“ ist, zeigt Handlungsbedarf für die Insolvenzphase auf. 1 Zugrunde gelegt wurden alle bekannt gewordenen Verfahren nach § 270 InsO im Zeitraum 01.03.2012 bis 28.02.2015. Einschränkend ist hier darauf hinzuweisen, dass nicht alle Verfahren bekannt werden, was insbesondere die 270b-Verfahren betrifft. Unvollständige Datensätze wurden eliminiert, wodurch sich nachvollziehbare Unterschiede zu anderen Publikationen ergeben. 2 In persönlichen Gesprächen mit Insolvenzverwaltern kam immer wieder zur Sprache, dass hier von einer steigenden Tendenz auszugehen sei. Die vorliegende Befragung wurde jedoch erstmalig durchgeführt, weshalb hier keine Analyseergebnisse vorliegen (können). 3 Quantitative Analyse der Anträge und Verfahren Ist das ESUG ein nachhaltiger Erfolg? Betrachtet man die Entwicklung der Antragszahlen ist dies nicht zwingend zu bejahen. Die Entwicklung der Anträge nach § 270 InsO war bis zum dritten Quartal 2013 in dem Sinne „dynamischer“, da diese im Großen und Ganzen entweder stärker zunahmen als die Anzahl der Anträge insgesamt oder weniger abnahmen als andere Anträge. Danach hat sich die Entwicklung aber umgekehrt.3 Betrachtet man die absoluten Antragszahlen, so findet sich dieser Peak der Anmeldungen „nach ESUG“ auch wieder. Obwohl insgesamt die Insolvenzzahlen im gesamten betrachteten Zeitraum zurückgingen, nahmen die Anträge nach ESUG bis zum dritten Quartal 2013 zu. Bis zum zweiten Quartal 2013 pendelten die Anträge nach ESUG um einen Wert von ca. 50, im Mittel also 16 bis 17 Anträge pro Monat. Im dritten Quartal 2013 stiegen die Antragszahlen deutlich an auf 78 – und fielen danach auf ein vergleichsweise geringes Niveau von um die 20 Anmeldungen zurück. Mit anderen Worten, absolut betrachtet haben sich die Antragszahlen nach ESUG ab dem vierten Quartal 2013 bis heute gegenüber der Phase davor mehr als halbiert. Entwicklung der Anträge nach §§ 270 a und b im Vergleich zu den Gesamtantragszahlen in % Quelle: Verlag INDat; destatis, Bürgel, hww* Die Quartale Q1 2012 und Q1 2015 wurden zur Vergleichbarkeit entsprechend rechnerisch angepasst. Eine Rolle mag spielen, dass ESUG-Verfahren als vergleichsweise arbeitsintensiv und somit auch kostenintensiv gesehen werden und insofern eher für größere Verfahren als angemessen und realisierbar eingestuft werden. Eine nachvollziehbare Erklärung, da die Insolvenzen größerer Unternehmen noch stärker abgenommen haben als die Insolvenzzahlen insgesamt. Allerdings ist die Abnahme der größeren Insolvenzen deutlich geringer als eine Halbierung. Hinzu kommt, dass analog zu anderen Bereichen auch in der Bearbeitung von 270er-Verfahren eine Professionalisierung dergestalt festzustellen ist, so dass sich eine wie auch immer definierte Größenschwelle für ESUG-Verfahren tendenziell verlagert. Bearbeitungsdauer und Kosten sollten 5 hier entsprechend einer klassisch steigenden Lernkurve sinken. Die letztgenannte Hypothese kann zumindest aus den aus eigener Erfahrung heraus zu beurteilenden Verfahren bestätigt werden. Hier stellt sich die Frage, wieso dies offenbar keine allgemein zu beobachtende Entwicklung ist. Entwicklung der Anträge nach § 270a und § 270b Quelle: Verlag INDat; destatis, Bürgel, hww Vielleicht ist dies deswegen so, weil ein Teil der wachsenden Professionalisierung auch dazu beiträgt, dass eine Art „Testphase“ ausläuft, in der auch weniger geeignete Insolvenzfälle nach § 270 InsO angemeldet wurden. 6 Die Entwicklung der Antragszahlen über die Zeit wirft aber auch auf einen anderen Aspekt ein Schlaglicht. Seit Inkrafttreten des ESUG wurden insgesamt zwar zwei Drittel der Anträge nach § 270 InsO als Eigenverwaltungsantrag gestellt und ein Drittel als Schutzschirmverfahren. Dies spiegelt die Realität jedoch nur unzureichend wider. Schutzschirmverfahren sind „aus der Mode“ gekommen. In der Zeit bis zum „Peak“ der Antragszahlen im dritten Quartal 2013 machten die Schutzschirmverfahren fast die Hälfte der Anmeldungen aus. Der nachfolgende Einbruch der Antragszahlen betraf allerdings 270b-Verfahren weitaus drastischer als diejenigen nach 270a. Ab Oktober 2014 kann von einer Marginalisierung dieser Verfahrensoption gesprochen werden. Was sind die Gründe? Experteninterviews zu den ESUG-Radar 2014 haben hier eine einfache, aber plausible Begründung geliefert, die offenbar an Aktualität nicht verloren, sondern im Gegenteil weiter zugenommen hat. Komplexe Kommunikation des Verfahrens gegenüber den Stakeholdern, Unsicherheiten bezüglich der Begründung von Masseverbindlichkeiten, Zeitdruck in der Ausarbeitung des erforderlichen Insolvenzplanes sind unveränderte Bestandteile der Kritik an den Schutzschirmverfahren. Ein anderer Aspekt mag hier ebenfalls eine wichtige Rolle spielen: der Lerneffekt bezüglich des „Wesens“ von Schutzschirmverfahren. Insbesondere in der frühen Phase des ESUG wurde von Verfahren berichtet, in denen das Label „Schutzschirm“ weit in den Vordergrund gerückt wurde und von den aktiv gestaltenden Parteien der Makel der Insolvenz dadurch versucht wurde zu vermeiden. Eine Strategie, die in einigen Fällen durchaus getragen hat. So wurde unter anderem beispielsweise im Schutzschirmverfahren der Loewe Opta GmbH in Kronach verfahren. Der Begriff „Schutzschirm“ wurde so in den Vordergrund gestellt, dass offenbar bei einigen der Verfahrensbeteiligten und -betroffenen der Eindruck entstand, dass es sich nicht um ein Insolvenzverfahren handele. Dies wiederum führte dann zu entsprechenden Meldungen in den Medien wie beispielsweise in Österreich: „Das Schutzschirmverfahren ist eine kleine Mogelpackung: Man tut so, als sei es kein Insolvenzverfahren, es ist aber nur eine Unterart davon“, die auch über Reuters weite Verbreitung erfuhr.4 Tatsächlich wurde in Experteninterviews immer wieder darauf hingewiesen, dass anfangs aus der Begrifflichkeit und vermeintlichen Insolvenzferne eine besondere Attraktivität der 270b-Verfahren rührte. Wenig vorteilhaft für Akzeptanz und Reputation von Schutzschirmverfahren sind darüber hinaus Situationen wie bei Strauss INNOVATION in Langenfeld, die 2014 ein Verfahren nach § 270b InsO durchlaufen haben und – unabhängig von den Gründen – am 18. Juni 2015 erneut Insolvenzantrag gestellt haben. 1 Ca. 5 % der untersuchten Einheiten waren aufgrund unvollständiger Eröffnungsdaten nicht auswertbar Quelle: Verlag INDat; hww Eine der Zielsetzungen des ESUG ist die Stärkung der Eigenverwaltung. Erfolgsmesser kann hier sein, wie viele der 270er-Antragsverfahren als Regelinsolvenz eröffnet werden. Bei knapp drei Viertel aller Verfahren war dies so, was als Er- Vergleich des Erfolges abgeschlossener folg zu werten Verfahren §§ 270a vs. 270b ist. Es stellt sich allerdings auch die Frage, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein als Eigenver waltung eröffnetes Verfahren dann zu einem späteren Zeitpunkt Quelle: Verlag INDat; hww 7 in eine Regelinsolvenz überführt wird. Hier lassen sich deutliche Unterschiede feststellen. Von den bisher abgeschlossenen Verfahren wurden bei denen nach § 270a InsO die Hälfte in eine Regelinsolvenz überführt. Bei den Schutzschirmverfahren war dies allerdings nur bei einem Fünftel der Fall. Hier lässt sich – unabhängig von den dahinter liegenden Gründen – feststellen, dass die Planungssicherheit für die Antragsteller bei einem Schutzschirmverfahren offenbar deutlich größer ist. Analyse der Dauer von § 270er-Verfahren Vergleich Datenstand Februar 2015 zu Mai 2014 Bereits in den vergangenen ESUG-Radaren wurde die Länge der Verfahren untersucht. Im Mai 2014 konnte der Befund des ersten ESUG-Radars bestätigt werden: Eigenverwaltungen nach § 270a InsO dauern länger als Schutzschirmverfahren – das gilt sowohl für das arithmetische Mittel (Durchschnittswert) als auch für den Median. Die Hälfte der 270a-Verfahren benötigte mehr als 280 Tage und die Hälfte der 270b-Verfahren benötigte mehr als 220 Tage. Auch nach drei Jahren ist diese Reihenfolge unverändert. Quantitativ sind die Unterschiede sogar größer geworden. 8 1 Ø über alle Verfahren Quelle: Verlag INDat; hww Die durchschnittliche Verfahrensdauer stieg bei Schutzschirmverfahren um 21 Tage. Der Anstieg der durchschnittlichen Verfahrensdauer resultiert bei den Schutzschirmverfahren aus einer größeren Streuung der benötigten Zeiten. Weiterhin gilt hier, dass die Hälfte der Verfahren nach 220 Tagen beendet wird – allerdings haben einzelne, sehr lange Verfahren den Durchschnittswert ansteigen lassen. Diese Streuung ist auch bei den 270a-Verfahren zu beobachten. Die längste Verfahrensdauer stieg auf 783 Tage.5 Aber auch der Median stieg hier um immerhin 24 Tage an. Wie ist diese Verlängerung zu verstehen? Bereits in der Diskussion um eine wie auch immer zu verortende Größenschwelle, ab der insbesondere die Variante des Schutzschirmverfahrens eingesetzt werden kann, haben wir auf eine vermutete Professionalisierung in den ESUG-Verfahren hingewiesen, die eigentlich dazu führen sollte, dass diese Verfahren dann auch kleineren Unternehmen zugänglich gemacht werden können. Dieser Professionalisierungseffekt scheint auch hier nicht im Sinne einer Verfahrensverkürzung zu greifen. Möglicherweise ist es auch so, dass dadurch, dass sich alle am Verfahren Beteiligten professionalisieren, verfahrensverlängernde Tatbestände die Erfolge einer besseren Prozesssteuerung überkompensieren. Aber mögliGegenüberstellung der jeweils längsten und kürzesten Verfahren cherweise handelt es sich auch um einen statistischen Effekt, da erst in einem längeren Betrachtungszeitraum Verfahrensdauer unterhalb des Untersuchungszeitraumes „die Norm“ sind. Betrachtet man die jeweils kürzesten und längsten Verfahren, sind beide Verfahrensarten jedoch gleich. Welches Fazit kann aus der Datenanalyse gezogen werden? ESUG-Verfahren haben an Relevanz verloren, was deren Anzahl absolut aber auch relativ bezogen auf alle Antragszahlen betrifft. Nichtsdestotrotz haben sich ESUG-Verfahren als ernstzunehmende Alternative etabliert. Professionalisierungseffekte, die in Expertengesprächen unzweifelhaft geäußert werden, haben aber weder den „Abschwung“ verhindert, dadurch dass auch kleiner Unternehmen nun in den Kreis der „ESUG-Anwärter“ aufgenommen werden können, noch hat es zu einer Verkürzung der Verfahrensdauer geführt. 3 Lediglich das erste Quartal 2013 und das dritte Quartal 2014 bilden eine Ausnahme. 4http://www.format.at/articles/1329/958/362295/loewe-das-insolvenz-verfahren Bonität und InsolvenzenReuters/Alexander Hübner, 17.07.201314:52 Uhr Quelle: Verlag INDat; hww 5 Hinsichtlich der Maximaldauer ist einschränkend selbstverständlich anzumerken, dass nach drei Jahren ESUG eine maximale Verfahrensdauer für abgeschlossene Verfahren von 1.095 Tagen möglich war und in der Vorgänger-Studie aus 2014 nur 730 Tagen möglich waren. 9 4 Befragung der ehemals insolventen Unternehmen ESUG-Studien, die sich mit den Gläubigern und deren Einschätzung und Bewertung des ESUG beschäftigen, sind bekannt. Doch, wie sehen die Unternehmen die Phase der Insolvenz in eiWelche Stellung/Funktion bekleiden Sie im Unternehmen? nem ESUG-Verfahren? Hierzu hat hww zusammen mit dem IRI6 diejenigen Unternehmen befragt, die ein solches Verfahren abgeschlossen haben. Insgesamt wurden 125 Unternehmen angesprochen. Vollständig ausgefüllte Fragebögen haben wir von 42 Unternehmen erhalten, was einer Rücklaufquote von 33,6% entspricht. Die Interviews wurden im April 2015 durchgeführt. Teilnehmer waren fast ausschließlich Organe und Eigentümer der ehemals insolventen Unternehmen, zu einem sehr geringen Anteil auch andere Leitungspersonen. Entgegen der allgemeinen Einschätzung, dass ESUGVerfahren für „größere“ Unternehmen des Mittelstandssegments geeignet sind, gehörten doch immerhin fast 10 zwei Drittel der Teilnehmer zu Unternehmen mit einem Jahresumsatz bis 10 mEUR. Welche Größe hat das Unternehmen? Einer der großen Änderungen durch das ESUG ist das Vorschlagsrecht des antragstellenden Unternehmens für die Besetzung der Sachwaltung. Von diesem Vorschlagsrecht wird reger Gebrauch gemacht. Vier Fünftel der Befragten haben von ihrem Vorschlagsrecht zur Person des Sachverwalters Gebrauch gemacht. Davon wurden wiederum vier Fünftel Wurde von dem Vorschlagsrecht zur Person des Sachverwalters Gebrauch gemacht? Wenn ja: Wurde dem Vorschlag des Schuldners nachgekommen? vom Gericht akzeptiert. Mithin kam es in zwei Drittel der Verfahren zu der Einsetzung eines Sachwalters aufgrund eines Schuldnervorschlags. Einzelne Insolvenz- verwalter berichten in Experteninterviews, sie hätten den Eindruck, dass Insolvenzgerichte tendenziell eine zunehmende Neigung haben, von Schuldnervorschlägen abzuweichen. Inwiefern sich dies in der tatsächlichen Berufungspraxis als Trend niederschlägt, kann bei der derzeit vorliegenden Momentaufnahme natürlich nicht beantwortet werden. Ein aus unserer Sicht überraschendes Ergebnis ist die Ausgestaltung der Geschäftsführung in der Phase der Insolvenz. In keinem der Fälle kam es zu einem Austausch der Geschäftsführung und nur in einem Drittel Die Geschäftsführung wird mit der Eigenverwaltung betraut Wie wurde die Eigenverwaltung ausgestattet? wurde die Geschäftsführung ergänzt. Offensichtlich sind die Vorbehalte gegen die bisherige Geschäftsführung nicht so groß, wie es sich in vorangegangenen Experteninterviews dargestellt hat. Es bestand hier die Hypothese, dass der Anteil der ergänzten oder auch ausgewechselten Geschäftsführung weit überwiegt. Eine Erklärungsmöglichkeit könnte sein, dass eine fachkundige Beratung der Geschäftsführung in Verbindung mit dem Sachwalter von den zuständigen Gerichten und den Gläubigern als ausreichender Garant dafür gesehen wird, dass das Verfahren professionell ausgestaltet und nicht „der Bock zum Gärtner“ gemacht wird.7 Der BDU8 hat in seinen Grundlagen ordnungsgemäßer Restrukturierung und Sanierung den Aspekt der „Nachsorge“ als wesentliches Element einer nachhaltigen Gesundung eines Unternehmens formuliert. Entspricht dies der Realität bei ehemals insolventen Unternehmen? Oder ist dies eine Chimäre, die mehr angebotsinduziert von einem Berufsstand entwickelt worden ist? Aus Sicht der befragten Unternehmen ist ersteres der Fall. Haben Sie nach Abschluss des Insolvenzverfahrens Restrukturierungsmaßnahmen ergriffen? 11 Rund die Hälfte geben an, dass sie nach der Insolvenz umfangreiche Restrukturierungsmaßnahmen ergriffen haben – sowohl strategischer, als auch operativer und finanzieller Art. In welcher Phase wurde der Grundstein zur Sanierung Ihrer Einschätzung nach wirklich gelegt? Lediglich bis zu zehn Prozent der Unternehmen geben an, dass sie keinerlei Maßnahmen ergriffen haben. Mit anderen Worten, die Unternehmen betrachten sich selbst durchaus selbstkritisch als „nicht gesundet“ durch die Insolvenz. Dies mit einer Unzufriedenheit mit der Insolvenz und deren Durchführung gleichzusetzen wäre leichtfertig und auch unangemessen. Es gibt hier keine enttäuschte Erwartungshaltung, dass die Restrukturierung noch nicht abgeschlossen ist, sondern es wird vielmehr anerkannt, dass im Rahmen einer Insolvenz spezifische Themen bearbeitet werden können. Nur eine Minderheit der befragten Unternehmen sagt, der Grundstein für die Sanierung wurde vor der Insolvenz gelegt. Ein unerwartetes Ergebnis. Die meisten Unternehmen in Deutschland sind fremdfinanziert und daher ist zu erwarten, dass im Vorfeld der Insolvenz bereits ein Restrukturierungs-/Sanierungskonzept ausgearbeitet wird. Dessen leistungswirtschaftliche Komponenten sollten nach weit verbreitetem Verständnis eine Grundlage für weiterführende Sanierungsaktivitäten in und nach der Insolvenz darstellen. Sicherlich werden 12 hier Anpassungen durch die nach der Insolvenzantragstellung eingetretenen geänderten Rahmenbedingungen erforderlich sein. Auch gibt es immer wieder fremdfinanzierte Unternehmen, die aus der Normalbetreuung direkt in die Abwicklung übergeben werden, so dass hier vielleicht auch weder ein unternehmensinternes Restrukturierungskonzept noch ein externes Gutachten erarbeitet wurde, das maßgeblich für die weitere Sanierung ist. Maßgeblich ist demgegenüber in den meisten Fällen die in der Insolvenz erarbeitete Grundlage für die Transformation im leistungswirtschaftlichen Bereich und insbesondere auch im finanziellen Bereich. Was können die Gründe sein? Disruptive Änderungen infolge der Insolvenz, die vorherige Restrukturierungskonzepte entwerten? Unzureichende Restrukturierungskonzepte im Vorfeld der Insolvenz? Zum Teil werden es Unternehmen sein, für die eine negative Fortführungs- In welcher Phase kam die Sanierung am besten voran? prognose oder auch negative Fortbestehensprognose gestellt wurde. Aber ob dies den geringen Anteil derjenigen Unternehmen erklärt, die vorinsolvenzlich bereits den Grundstein für die Sanierung gelegt haben, darf bezweifelt werden. Und immerhin ein Fünftel der Unternehmen gibt schließlich sogar an, dass die Grundlage für die Sanierung erst nach der Insolvenz gelegt wurde. Da hier nur Unternehmen befragt wurden, die nach den §§ 270a und 270b InsO ein Verfahren durchlaufen haben, ein umso überraschenderes Ergebnis. Hier besteht offensichtlicher Handlungsbedarf auf Seiten der Beteiligten. kann allein aus diesem Grund nicht erwartet werden, dass die Unternehmen mit Abschluss der Insolvenz „durchsaniert“ sind – auch wenn in vielen Fällen der konzeptionelle Grundstein innerhalb der Insolvenz gelegt wird. Auch der hohe Kapazitätsbedarf für die in einer Insolvenz zusätzlich erforderlichen Arbeiten und die engen finanziellen Rahmenbedingungen in der Insolvenz führen dazu, dass leistungswirtschaftlich einiges an Aufgaben für die Zeit nach der Insolvenz verbleibt. Wenn also von einer „Übergabe eines sanierten Unternehmens aus der Insolvenz heraus“ die Rede ist, betrifft das quasi naturgemäß vor allem den finanzwirtschaftlichen Bereich. Dies scheint aber auch weitgehend der Erwartungshaltung der Unternehmen zu entsprechen. In einer zusamWie zufrieden sind Sie mit der Sanierung insgesamt / bisher? In diesem Zusammenhang wenig erstaunlich erscheint es, dass die Sanierung am besten nach der Insolvenz vorzukommen scheint. Zum einen wird hier deutlich, dass innerhalb der Insolvenz vor allem finanzwirtschaftlich saniert wird. Im leistungswirtschaftlichen Bereich sind auch die erforderlichen Zeiten für eine erfolgreiche Sanierung in aller Regel größer – und wenn ein 270erVerfahren im Mittel nach sieben Monaten beendet wird, 13 menfassenden Bewertung der Insolvenzphase zeigen sich diese durchaus zufrieden. Circa zwei Drittel der Befragten sind „sehr zufrieden“ oder „zufrieden“. Eher überraschend scheint zu sein, dass die größte Zufriedenheit den operativen Bereich betrifft und nicht den finanziellen. Dies ist statisch allerdings nicht signifikant und mag daher vernachlässigbar sein. Doch wie kommen die Unternehmen zu den Ergebnisverbesserungsmaßnahmen? Auch in der Insolvenz entwickeln immerhin ein gutes Drittel der Unternehmen diese im leistungswirtschaftlichen Bereich rein intern. Im finanziellen Bereich ist dies weniger der Fall. Hier sind es „nur“ ein Fünftel der Unternehmen. In diesem Bereich Wie haben Sie die jeweiligen Maßnahmen, die innerhalb der Insolvenzphase (im Rahmen eines Insolvenzplanes oder internen Sanierungsplanes) ergriffen wurden, entwickelt? Wie oben ausgeführt, haben rund neun von zehn Unternehmen jeweils im strategischen, operativen und finanziellen Bereich nach der Insolvenz RestrukturierungsWaren diese Restrukturierungsmaßnahmen bereits Teil eines bestätigten Insolvenzplanes oder eines internen Sanierungsplanes? maßnahmen ergriffen, zumeist umfangreich. Von den Unternehmen sagen immerhin mehr als ein Drittel, dass alle auch nach der Insolenz ergriffenen Maßnahmen bereits Teil des Insolvenzplanes oder eines innerhalb der Insolvenz aufgestellten Sanierungsplanes waren – und bei rund einem weiteren Drittel gilt dies überwiegend. Mit anderen Worten, der konzeptionelle Wert eines Insolvenz-/Sanierungsplans wird durchaus gesehen. 14 ist auch die Rolle des Sachwalters oder Eigenverwalters, die in einem Drittel aller Unternehmen eine aktive Rolle in der Maßnahmendefinition spielen fast doppelt so groß wie in dem leistungswirtschaftlichen Bereich. Ein Befund, der zu den anderen hinsichtlich Fortschritt und Bedeutung der Insolvenzphase für die Sanierung deutlich korrespondiert. In allen Bereichen spielen externe Berater die größte Rolle in der Definition von Maßnahmen. In knapp der Hälfte der Unternehmen sind diese in die Maßnahmenentwicklung einbezogen. Maßnahmenentwicklung ist eine notwendige Bedingung für die Sanierung. Hinreichend ist natürlich erst deren erfolgreiche Umsetzung. Entsprechend der obigen Befunde insbesondere nach der Insolvenz. Immerhin die Hälfte der Unternehmen baut dabei auf externe Unterstützung. In der Hälfte der Unternehmen spielen Berater eine aktive Rolle in der Umsetzung. Aspekte erfolgreich abgearbeitet werden und leistungswirtschaftliche, also strategische und operative, ein wichtiges Feld für die Nachsorge sind. Hier spielen – wie auch bereits bei der Maßnahmenentwicklung innerhalb der Insolvenz – externe Berater eine prominente Rolle. Falls es nach der Insolvenzphase zu weiteren Restrukturierungsmaßnahmengekommen ist, wie haben Sie diese Maßnahmen, die nach der Insolvenzphase kamen, entwickelt (im Rahmen eines Insolvenzplanes oder internen Sanierungsplanes)? Welches Fazit kann aus der Befragung der Unternehmen, die Insolvenzverfahren durchlaufen haben, gezogen werden? Grundsätzlich sind die Befragten mit der Durchführung der Insolvenz selber zufrieden, wobei nicht vernachlässigt werden darf, dass immerhin knapp ein Drittel der Unternehmen nur eingeschränkt oder gar nicht zufrieden sind. Hier besteht Professionalisierungsund Anpassungsbedarf. In vielen Fällen werden die Grundlagen für eine Sanierung innerhalb der Insolvenz gelegt. Ein klares Votum. Aber ebenso deutlich wird, dass innerhalb der Insolvenz vor allem finanzwirtschaftliche 6 Institut für Restrukturierung und Insolvenz an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt, Nürtingen/Geislingen. 7 Die hohe Bedeutung der Besetzung der Geschäftsführung und Ausgestaltung der Umsetzung spiegelt sich auch in der aktuellen ESUG-Befragung unter den Stakeholdern außerhalb der Unternehmen von Noerr/McKinsey aus Juni 2015 wider. 8 Bundesverband deutscher Unternehmensberater e.V., Bonn 15 Ansprechpartner Dr. Jochen Brinkmann hww Unternehmensberater GmbH Grabenstr. 5 40213 Düsseldorf Telefon: +49 211 42 09 06-0 www.hww.eu Prof. Dr. Tobias Huep Institut für Restrukturierung und Insolvenzmanagement Parkstraße 4 73312 Geislingen an der Steige Telefon: +49 7331 22-581 www.iri-hfwu.de Thomas Fuhrmann Verlag INDat GmbH Aachener Str. 222 50931 Köln Telefon: +49 221 888211-0 www.verlag-indat.de 16 unabhängig. kompetent. engagiert. Düsseldorfer Straße 38 10707 Berlin Tel.: +49 (0)30 206437-0 Fax: +49 (0)30 206437-50 E-mail [email protected]
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