Zyanide - Tox Info Suisse

Vergiftungen durch Zyanide Stand Januar 2016 Ch. Rauber, H. Kupferschmidt Einteilung: Klasse Substanzen Vergiftungsmerkmale 1 HCN (Blausäure), Cyanogen, einfache Zyanidsalze (Na+, K+, Ca++, Ba++, NH4). typische Zyanidvergiftung, rascher Verlauf. 2 Cyanogenchlorid (CNCl) und ‐bromid (CNBr) zusätzlich Irritation/Verätzungen von Haut und Schleimhäuten. 3 einfache oder komplexe HCN‐Salze, die das CN‐Ion nicht leicht abspalten: Kupferzyanid (Cu1+ und Cu2+), Kobaltzyanid, Silberzyanid, Eisenzyanid (Fe2+ und Fe3+), Quecksilberoxyzyanid. atypischer Verlauf, da kaum Zyanid freigesetzt wird. 4 zyanogene Glykoside typischer Verlauf, aber protrahierter Wirkungseintritt möglich. 5 Nitrile (organische Zyanidverbindungen), z.B. Acetonitrile u.a. typischer Verlauf, aber protrahierter Wirkungseintritt (2‐12h). Hepato‐ und Nephrotoxizität. Symptome: bei nicht tödlichen Vergiftungen Kratzen im Hals, Atemnot, Kopfschmerzen, Sehstörungen, Schwindel, Herzklopfen, Erbrechen, Stuhldrang, Angst, Krämpfe, Lähmungen, Schwäche, Ohnmacht, gerötetes Gesicht, Erstickung. Bei Aufnahme einer tödlichen Menge durch Einatmen, Verschlucken oder Hautkontakt/‐verätzung tritt der Tod durch "innere Erstickung" schlagartig ein. Letaldosis: HCN 50‐100 mg (oral) 280 ppm (inhalativ) KCN/NaCN 150‐250 mg Merkblatt: Zyanide
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A. Erste Hilfe 1. Nach Einatmen von gasförmigen Zyaniden 1 Den Verunglückten an die frische Luft bringen. Die Rettungsmannschaft muss Atemschutz tragen (Masken, Atemschutzgeräte). Sofort Arzt rufen. 2 Amylnitrit‐Ampulle (à 0.3 mL) in einem Taschentuch aufbrechen und das getränkte Taschentuch dem Verunglückten 30 Sekunden lang auf Mund und Nase halten. Nach 30 Sekunden unterbrechen und anschliessend die gleiche Prozedur mit frischer Ampulle wiederholen. Bei Atemstillstand eine Amylnitrit‐Ampulle in den Atembeutel leeren und Amylnitrit mittels Beatmung applizieren. Alle 2 Minuten für je 30 Sekunden wiederholen bis zum Eintreffen des Arztes, höchstens aber zehnmal. Kein Amylnitrit gegeben werden darf bei: Rauchvergiftungen, Kreislaufschock (systolischer Blutdruck unter 80 mmHg), nicht gesicherter Diagnose, leichten Symptomen. 3 Bei Atemstillstand künstliche Beatmung mit Atembeutel (besser als Mund‐zu‐Mund wegen möglicher Gefährdung des Retters). 4 Sauerstoffzufuhr (wenn möglich 100% O2). 5 Bei Herzstillstand äussere Herzmassage. 2. Nach Verschlucken von Zyaniden Zusätzlich zu den unter “nach Einatmen ” genannten Massnahmen Verabreichung von Medizinalkohle (= Aktivkohle) per os (Pulver aufgeschlämmt in 200‐400 mL Wasser oder fertige Suspension, Erwachsene ca 70 g, Kinder 1 g/kg KG). 3. Nach Hautkontakt mit Zyaniden Schutz der Helfer! Zusätzlich zu den unter “nach Einatmen ” genannten Massnahmen Verunreinigte Kleider entfernen. Betroffene Hautstellen sofort reichlich und anhaltend mit Wasser spülen, dabei Brand‐ und Ätzschorf nicht verletzen. Wunden anschliessend mit sterilem, trockenen Verband bedecken. B. Ärztliche Hilfe 1. Sicherung der Vitalfunktionen 2. Sauerstoffbeatmung (evtl. hyperbar in Sonderfällen, wenn verfügbar) 3. Antidote: Gleichzeitige Verabreichung in separaten Infusionen: Förderer des Zyanid‐Abbaus:  Natriumthiosulfat: 10‐15 g langsam i.v. während 10‐20 Minuten (Kinder 0.3‐0.5 g/kg KG). Die Gabe kann mit der halben Dosis wiederholt werden, falls die Toxizität erneut auftritt. Natriumthiosulfat ist in jedem Fall zusätzlich zu den andern Antidoten zu verabreichen und darf auch in nicht gesicherten Verdachtsfällen verabreicht werden. 2/3
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Kobaltkomplexbildner:  Hydroxocobalamin (Cyanokit®): 1 Ampulle (5 g) in 200 mL 0.9% Kochsalzlösung während 15 Min. i.v. (Kinder 70mg/kg Körpergewicht, maximal 5g). Diese Dosis kann je nach Schweregrad und klinischem Ansprechen einmalig wiederholt werden. Maximale Gesamtdosis 10g (Kinder 140mg/kg, maximal 10g). Methämoglobinbildner: Methämoglobinbildner können zu Blutdruckabfall führen; die Methämoglobinämie ist schlecht kontrollierbar und kann zu Hypoxie führen. Sie sind nur einzusetzen, wenn Hydroxocobalamin fehlt oder nicht genügend wirkt.  Methämoglobinbildner erster Wahl: 4‐Dimethylaminophenol (4‐DMAP) 5 mL 5%ige Lösung i.v. (oder i.m. mit dem Risiko von Gewebsnekrosen) geben. Die Methämoglobinämie soll 30% erreichen, aber nicht überschreiten. Cave: Bei kombinierter Vergiftung mit Kohlenmonoxid (Rauchgase) keine Methämoglobinbildner geben.  Methämoglobinbildner zweiter Wahl (falls kein 4‐DMAP vorhanden): Natriumnitrit 1 Ampulle = 300 mg oder 10 mL einer 3%igen Lösung langsam i.v., für Kinder 4‐10 mg/kg KG langsam i.v. Anmerkung: Die Zyanid‐Antidote sollen in nächster Nähe der Zyanidexposition deponiert und dem behandelnden Arzt sofort zur Verfügung gestellt werden. 4. Dekontamination 5. Azidosebekämpfung (mit Natriumbikarbonat) 6. weitere symptomatische Massnahmen nach Bedarf. Literatur 1. Hartung R. Cyanides and Nitriles. In: Clayton GD & Clayton FE: Patty’s Industrial Hygiene and Toxicology. 4th ed. Vol. 2, Part. D. John Wiley & Sons, New York 1994. p. 3119‐72. 2. Baud F, Benaissa L: Cyanures et nitriles. In: Bismuth Ch et al. (eds.): Toxicologie clinique. 5ème ed. Flammarion, Paris 2000. p. 907‐18. 3. Olson KE (ed.): Poisoning and drug overdose. Appleton & Lange, Stamford 1999. 4. Ryan JG: Cyanide. In: Vicellio P (ed.): Emergency Toxicology. 2nd ed. Lippincott Raven, Philadelphia 1998. p. 969‐78. 5. Beasley DMG, Glass WI: Cyanide poisoning: pathophysiology and treatment recommendations. Occup Med 1998; 48: 427‐31. 3/3