10.11.15 Sexueller Kindesmissbrauch und Pädophilie Was lehren uns die Neurowissenschaften? Tillmann Krüger 1 DIE RATIONALE 2 KLINIK 3 NEUROBIOLOGIE 4 BEHANDLUNG Margo Kaplan Oct. 5, 2014 The New York Times 1 10.11.15 Warum mit Kindesmissbrauchern und Pädophilie auseinandersetzen? die Rationale 1. Die Prävalanz von sexuellem Kindesmissbrauch liegt zwischen 6% und 27% für Mädchen und zwischen 2% und 8% für Jungen. BKA: 12.000 Delikte in 2011 2. Prävalenz von Pädophilie - Geschätzt 1% - Deutschland: 250.000 Männer (18-75 Jahre) 3. Zwei Deliktmuster: - Neigungstaten (40- 60%) - Ersatzhandlungen DJI Impulse 3/2011 Engfer 2005 Stadler & Bieneck Praxis der Rechtspsychologie 2012 2 10.11.15 Sexueller Kindesmissbrauch Kalkulierte Kosten Lifetime cost per victim of nonfatal child maltreatment in the USA: $210,000 Donato & Shanahan 2001 Am J Orthopsychiatry Fang et al. 2012 Child Abuse & Neglect 36:156-65 Pädophilie und sexueller Kindesmissbrauch Behandlung und Erforschung sind primäre Prävention 2500 2247 Berlin(Juli2005-September2015) Kiel(März2009-September2015) 2000 Regensburg(Sept2010-September2015) Leipzig(Okt2011-September2015) Hannover(März2012-September2015) 1500 Hamburg(April2012-September2015) Stralsund(Feb2013-September2015) Gießen(Dez2013-September2015) 905 1000 Düsseldorf(Juli2014-September2015) Ulm(Juli2014-September2015) 548 421 500 484 393 268 193 73 Mainz(Mai2015-September2015) 255 41 0 3 10.11.15 Differenzierung von Pädophilie und sexuellem Kindesmissbrauch Sexuelle Präferenzstörung Sexuelle Verhaltensstörung Pädophilie/Hebephilie Sexueller Kindesmissbrauch exclusive & non-exclusive type Pädophil motivierte Taten Pädophilie Kindesmissbrauch Hellfeld Sexuelle Delinquenz Dunkelfeld Muster der sexuellen Präferenzstörung Ein Kontinuum Teleiophilie Erwachsenes Körperschema Pädo- Hebe- teleiophilie teleiophilie Pädohebeteleiophilie Hebephilie Pädophilie Präpubertäres Körperschema Pädo- peripubertäres Körperschema hebephilie 4 10.11.15 Diagnose anhand der “Tanner” Stadien Die Ätiologie der Pädophilie Theorien... 1. Konditionierung 2. Sexueller Kindesmissbrauch „abused abuser“ 3. Neuronale Entwicklungsstörung „Reifestörung“ • • • Dysfunktion des Frontalhirns Dysfunktion des limbischen Systems Alterationen in geschlechtsdimorphen Strukturen Michael C. Seto 2008 5 10.11.15 Neurobiologische Modelle der Pädophilie 1. Frontal-dysfunktionales Modell Sexuelles Interesse für Kinder (v.a. Mädchen ab der Pubertät) besteht bei allen Männern, ist normalerweise aber inhibiert 2. Temporal-limbisches Modell (Mikro-)Läsionen des Temporallappens und/oder der Amygdala sind für eine gesteigerte Sexualität bzw. emotionale Defizite verantwortlich 3. Dual-dysfunktionales Modell Intergration von beiden Modellen. Sowohl frontale und temporo-limbische Areale sind für Entstehung und Aufrechterhaltung pädophiler Präferenzen von Bedeutung Ätiologie von sexuellem Kindesmissbrauch Klinische Faktoren bei Männern mit Pädophilie und Ersatztätern 1 Pädophilie • Stärkster Risikofaktor für Kindesmissbrauch 2 Soziale Kompetenz • Unfähigkeit sexuelle und emotionale Bedürfnisse mit Gleichaltrigen umzusetzen 3 Einstellungen und Überzeugungen gegenüber Sex mit Kindern • Kognitive Verzerrungen und Denkfehler 4 Emotionale Dysregulation/psychiatrische Komorbiditäten • Probleme bei der Regulation von Emotionen, was Angst, Depression und Dystress verstärken und Beziehungsaufnahme zu Gleichaltrigen erschweren kann 5 Enthemmung (Disinhibition) • Als dispositioneller (Persönlichkeit) versus situationaler Faktor (z.B. ausgelöst durch Konsum von Drogen/Alkohol) 6 10.11.15 Ätiologie von sexuellem Kindesmissbrauch Klinische Faktoren bei Männern mit Pädophilie und Ersatztätern 6 Unsichere Eltern-Kind Bindung • Könnte sowohl den selbst erlittenen Kindesmissbrauch begünstigen (da Kind verzweifelt Kontakt zu Älteren/Anderen sucht) als auch die Wahrscheinlichkeit Kinder zu missbrauchen • kann Empathiefähigkeit und Perspektivübernahme beeinrächtigen 7 Sexuelle Entwicklung • Frühere und häufigere sexuelle Erfahrungen in Kindheit und Jugend bei späteren Tätern z.B. durch Beobachten anderer beim Sex oder durch Pornographie 8 Selbst erfahrener Kindesmissbrauch • Hat meist erhebliche psychosoziale und neurobiologische Folgeschäden • Kann zu Reinszinierungen führen i.S. eines pathologischen CopingMechanismus Neuropsychologie Paraphile Präferenzen nach Hirnschädigung Burns et al 2003 Arch Neurol Phineas Gage 1823-1860 Ortega et al. 1993 Frohman et al. 2002 7 10.11.15 Die neuronalen Grundlagen von Pädophilie und Kindesmissbrauch dekodieren & und damit Diagnostik, Prävention und Behandlung verbessern Common Trunk Approach Single Site Approach 8 10.11.15 NEMUP: Common trunk (all sites) (Neuro-) Psychology Structural MRI Functional MRI Imaging Genetics & Epigenetics Endocrinology Psychopathology Grey Matter Resting State SCID-I & II Volume, Density SNP & VNTR analyses Sexual Assessment White Matter Preference specific task Promoter methylations Associations with Imaging, Genetics und Psychology SBIMS, BMS, CISS, UCLA-LS, CTQ Microstructural Integrity, Structural connectivity Executive Functions Executive Function CANTAB Go/No-Go e.g. testosterone Empathy / Theory of Mind MET, MASC NEUROPSYCHOLOGIE Diskrete Hinweise – aber kein schweres Störungsbild! v Pedophilie ist assoziiert mit (1) einem erhöhten Maß an Impulsivität (greater error rates and faster response times on tasks measuring impulsivity), wohingegen (2) Missbrauch mit schlechteren Hemmfunktionen einhergeht (inhibition performance) v Kein schwerwiegendes Defizite exekutiver Funktionen! v Alter: Erhöhte Impulsivität mit zunehmendem Alter, wohingegen gesunde Kontrollen ein gegensätzliches Muster zeigen 9 10.11.15 Was können wir tun? Was können wir tun? 3-Säulen-Modell Kinder stark machen! Kein Täter werden! Opfer optimal behandeln! 10 10.11.15 Therapieinhalte im Dunkelfeldprojekt “Kein Täter werden” Das 3-Stufenschema in der medikamentösen Behandlung sexueller Impulse 1. Antidepressiva: (SSRIs) 2. Antiandrogene: Cyproteronacetat (Androcur) 3. Antiandrogene: Triptorelin (Salvacyl) 11 10.11.15 Pädophile Störung und Hypersexualität Intervention: Cyproteronacetat (Androcur®) 2 x 50 mg p.o. 70 60 50 40 prä post 30 20 10 0 VAS MGHSFQ BDI VAS Visuelle Analogskala MGHSFQ Massachusetts General Hospital Sexual Functioning Questionnaire BDI Beck Depressions Inventar FAZIT 1. Männer mit Pädophilie und Ersatztäter haben ähnlich hohe Raten an psychiatrischen Komorbiditäten (Angst, Depression, Persönlichkeitsstörungen) 2. In der Bildgebung des Gehirns finden sich deutliche Hinweise für Veränderungen von Funktion und Struktur bei Tätern – nicht jedoch für das Vorliegen einer Pädophilie 3. Zukünftige Forschungsprojekte werden die Effekte psychotherapeutischer und pharmakologischer Interventionen untersuchen und neue Ansätze zur Verbesserung von Kontrollfunktionen entwickeln 12 10.11.15 Deutsche Netzwerke NeMUP und “Kein Täter werden” Kiel Stralsund Hamburg Lüneburg Osnabrück Berlin H a n n ove r Magdeburg Essen Gießen Düsseldorf Leipzig Mainz Regensburg Ulm [email protected] 13
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