05-Sexueller Konflikt und sexuelle Selektion

ETHOLOGIE
Roland Gerstmeier
Sexueller Konflikt und sexuelle Selektion
• Sind Balzrituale und Paarungsverhalten immer kooperativ?
• Worin besteht der Konflikt als Kernstück der sexuellen Fortpflanzung?
• Welche Hypothesen gibt es, die zeigen, wie genetische Vorteile durch
sexuelle Selektion erzielt werden können?
• Ist das Paarungsverhalten immer "harmonisch" ?
Gottesanbeterinnen oder Spinnenweibchen fressen Männchen auf !
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Roland Gerstmeier
Interessenskonflikt zwischen Männchen und Weibchen
• Wahl des Paarungspartners
• Versorgung der Zygote mit Nährstoffen
• Fürsorge für Eier und Jungtiere
Welches sind die fundamentalen Unterschiede zwischen den Geschlechtern?
Gameten
♂
♀
d.h.
Investitionsunterschiede
Weitreichende Folgen für Sexualverhalten
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Roland Gerstmeier
♂
♀
viele ♀♀
Nährstoffe
mehr Eier / mehr Nachkommen
Drosophila
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Roland Gerstmeier
Maximale, lebenslang gezeugte Nachkommenzahl
♂
♀
100
8
Rotwild
24
14
Mensch
888
69
26
28
See-Elefant
Dreizehenmöwe
Das Geschlechterverhältnis
in der Natur gewöhnlich:
≠ "Vorteil für Art"
1:1
"Vorteil für Individuum" oder "Vorteil der Gene"
Die Überproduktion von Söhnen oder Töchtern ist evolutionär nicht stabil !
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Roland Gerstmeier
Abweichungen vom 1 : 1 -Investitionsverhältnis
1. Wenn Brüder um Partnerinnen konkurrieren
Geschlechterverhältnis zu ♀♀ verschoben
2. Geschlecht, welches nicht mit Eltern konkurriert
Beim Riesengalago wandern
Männchen weiter ab.
Investition in Weibchen führt
zu erhöhter Konkurrenz
3. Rotwild-Weibchen mit guter Kondition bringen
i.d.R. Söhne hervor
4. Ein vorrübergehend verschobenes
Geschlechterverhältnis sollte kompensiert werden
Feldwespen am Nest
"höherer Wert"
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Roland Gerstmeier
Sexuelle Selektion
Männchen konkurrieren um Weibchen
= Selektion auf Merkmale, die Paarungserfolg erhöhen
Intrasexuelle Selektion = Förderung der Fähigkeiten eines Geschlechts (♂)
Intersexuelle Selektion = Begünstigung von Merkmalen (Attraktivität)
bei monogamen Arten ist die sexuelle Selektion weniger stark
Hitzige Männchen
Zugang zu Weibchen: direkt ↔ indirekt // Bewachung des ♀
„mate guarding“
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Roland Gerstmeier
Spermienkonkurrenz
Sphragis, hier bei Parnassius mnemosyne
Heliconius errato ♂-abschreckender Duft
Spermienentfernung
Salamander - Spermatophoren
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Roland Gerstmeier
Zögernde Weibchen
Zygote = hochwertige Ressource → sorgfältige Auswahl des Paarungspartners
Weibchen sind während der Balz wählerischer als Männchen !
a) materielle Ressourcen
b) genetische Vorteile (für Nachkommen)
a) Hochwertige Ressourcen
"gute" Territorien
Wasser warm, Vegetation nicht zu dicht
♂♂ konkurrieren darum
Ringkämpfe, Quaken
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Roland Gerstmeier
Balzgeschenk - Futterqualität
Mückenhaft (Hylobittacus apicalis); Mecoptera
Weibliche Mückenhafte paaren sich umso
länger, je grösser das vom Männchen
überreichte Beutestück ist.
Männchen darf/kann länger kopulieren
mehr Spermien werden übertragen
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Roland Gerstmeier
Wespenspinnen
≠ Verwertung einer hochwertigen Ressource, wenn ♂ vertilgt wird
auch gesättigte Weibchen verschlingen ihren Partner, ≠ mehr Eier!
So wird verhindert, dass ihr ♂ weitere ♀♀ befruchtet werden.
20% der überlebenden ♂♂ gehen zurück - 2. Paarung wird ≠ überlebt
Kannibalische Spinnen: ♀♀ haben mehrere Partner; ♂♂ stehen unter Konkurrendruck
♂ verstopft mit abgebrochenen Pedipalpen die Genitalöffnung zu verstopfen
Männliche Witwenspinnen stürzen sich dagegen mit einem Rückwärtssalto direkt in die
Kieferklauen des Weibchens und werden zu 70% verspeist.
Gefressene ♂♂ hatten mehr Eier befruchtet, als ≠ gefressene!
"Gesättigte" ♀♀ sind weniger gewillt sich zu verpaaren!
Die Kosten-Nutzen-Rechnung favorisiert die Evolution
des männlichen Sexualsuizids!!
Latrodectus hasselti
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b) Genetische Vorteile
♀♀ wählen Paarungspartner, die offensichtlich Träger guter Erbeigenschaften sind
optisches Erkennen
Aufwendige Ornamente:
Fishers Hypothese und Handicap-Prinzip
(„runaway process“)
("Gute-Gene"- Modell)
vorher
nachher
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Schilfrohrsänger (Acrocephalus schoenobaenus)
Die virtuosesten Sänger verpaaren sich als erste !
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Ronald A. Fisher (1930)
Männchen werden durch kunstvolle Geschlechtsmerkmale für Weibchen attraktiver
Weibchen bevorzugen ein bestimmtes männliches Merkmal
= Qualität des Partners
Die genetischen Grundlagen des attraktiven Ornaments
des Vaters werden an dessen Söhne weitergegeben
= sexy sons
produzieren mehr Enkel als die Söhne anderer ♀♀
Die Präferenz des Weibchens für dieses Merkmal wird verstärkt,
dies führt wiederum zu einer Vergrößerung des Ornaments = runaway process
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Roland Gerstmeier
a) Merkmal und korrespondierende Präferenz liegen jeweils
normalverteilt vor
b) Merkmal und Präferenz
werden genetisch gekoppelt
c) Veränderung der durchschnittlichen Präferenz (roter Pfeil)
führt zu Vergrößerung des
Merkmals (blauer Pfeil) →
freilaufender Prozess (schwarz)
gestoppt durch natürliche
Selektion (grüner dicker Pfeil)
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Roland Gerstmeier
"Gute-Gene" - Modelle
Ornamente sind Indikatoren der genetischen Qualität
Zahavi (1975): langer Schwanz = Behinderung
= Handicap-Hypothese
Produktion aufwendiger Ornamente → hohe Kosten
zuverlässiger Hinweis auf genetische Qualität
Ornamente sind ehrliche Signale variabler männlicher Qualität
"Good Genes" → Nützlichkeit für Überleben und Fortpflanzung
Beide Modelle liefern Informationen über genetische Qualitäten
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Roland Gerstmeier
Ornamente reflektieren die Resistenzfähigkeit gegen Pathogene
Der Schwanz der Rauchschwalbe
Weibchen bevorzugen Männchen
mit längeren Schwänzen
Experiment mit veränderten Schwanzlängen
I = abgeschnitten und wieder angeklebt
II = unbehandelt
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Roland Gerstmeier
Milbenbefall
Das Schwalbenmännchen hält bei der Vererbung der Abwehrkräfte gegen Milben,
was seine Schwanzlänge verspricht
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Roland Gerstmeier
Sexueller Konflikt
a) Paarungsentscheidungen
für Männchen immer von Vorteil !
1. Arthropoden-Aas wird okkupiert und
dem Weibchen dargeboten (wenn ♀
legebereit)
2. Brautgeschenk in Form von Speichelkügelchen (wenn ♀ noch nicht legebereit) Skorpionsfliege
Panorpa communis
3. Vergewaltigung
für ♂ von Vorteil → riskante Nahrungssuche entfällt
für ♀ von Nachteil → keine Nährstoffe für Eier
Warum erzwingen nicht alle Männchen Kopulationen?
Kosten-Nutzen-Rechnung ???
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Roland Gerstmeier
b) Elterliche Investitionen
ein Geschlecht versucht jeweils das andere auszunutzen
c) Infantizid
männlicher Reproduktionserfolg wird erhöht
weiblicher Reproduktionserfolg wird verringert
d) Mehrfachverpaarungen
kein Vorteil für Weibchen
Männchen können durch Spermienkonkurrenz profitieren
Infantizid
früher: „natürliche Tötungshemmung“ ↔ „pathologisches Verhalten“ (Stress)
heute: 3 Erklärungen, basierend auf individueller Selektion
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Roland Gerstmeier
1. Nahrungsressource
Größenunterschiede → „Kannibalismus“
Keine Form der Fortpflanzungskonkurrenz !
2. Infantizid durch Weibchen
= Konkurrenz um Ressourcen oder Helfer bei Jungenaufzucht
3. Sexuell selektierte Fortpflanzungsstrategie
von ♂♂: Erhöhung ihres relativen Fortpflanzungserfolges
meist kombiniert mit Residenz- oder Dominanzstatus
Voraussetzung: ♂♂ töten keinen eigenen Nachwuchs !
Löwen ca. 25%; Gorillas, Brüllaffen ca. > 40%
Mächtige Selektionskraft