Viele Austritte – Flüchtlingskrise stürzt die CDU ins Dilemma

DIE WOCHE IM RATHAUS
Viele Austritte ­ Flüchtlingskrise stürzt die
CDU ins Dilemma
So viel Post wie in diesen Wo­
"Aber dann hätte sie am nächsten
chen haben sie bei der Hambur­
ger CDU lange nicht bekommen.
Tag ein klares Konzept vorlegen
müssen, wie es nun weitergehen soll,
Im Rathaus und in der Parteizentra­
wer was bezahlt, wer welche Kom­
le am Leinpfand wurden die Mit­
streiter der 15,9­Prozent­Partei pha­
senweise regelrecht bombardiert mit
petenzen hat und wie wir künftig mit
dem Thema umgehen wollen." Das
aber tat Angela Merkel nicht.
Ist Fundamentalopposition der
richtige Weg für die Hamburger
Mails und Briefen ­ und nein, es
handelte sich nicht um Liebesbrie­
fe. Die Post trägt zwar in der Re­
gel die Handschrift einer wohlerzo­
genen bürgerlichen Kinderstube. Es
wird darin nicht wüst gepöbelt, und
die Absender sind keine "Spinner
oder Extremisten", wie CDU­Lan­
desvorstandsmitglied Christoph de
Vries berichtet. "Uns schreiben zu­
tiefst bürgerliche Menschen, unse­
re klassischen Wähler, und fast al­
le schreiben dasselbe: Wir verstehen
Eure Politik nicht mehr." Gemeint ist
der Umgang mit dem Thema Flücht­
linge.
Die in Hamburg zuletzt recht über­
sichtliche Wählerschaft der CDU
begreift partout nicht, wieso die
Bundeskanzlerin die Grenzen auf­
und gleich danach fröhliche Selfies
mit Flüchtlingen gemacht hat. Vie­
le empfinden diese freundliche Geste
CDU?
"Es hat in den vergangenen Mo­
naten eine Entfremdung zwischen
den Versuch gemacht, die Opposi­
tion ins Boot zu holen. Statt die
CDU als Mittlerin und Bindeglied
ins Bürgertum einzubeziehen, igno­
riert Rot­Grün die Kritik oder weist
sie empört zurück, agiert aufgrund
Grün mache im Grunde alles falsch,
was man falsch machen könne bei
dem Versuch, die Flüchtlinge men­
schenwürdig und unter Einbezie­
hung der betroffenen Bürger unter­
zubringen, lautet nun das Credo. Das
wirkt zwar als politische Strategie
nicht immer glaubwürdig. Gleich­
Scholz und die Seinen haben die
lichkeiten zu versuchen. Viele der
Wucht der Fluchtwelle lange un­
terschätzt. Noch im vergangenen
Jahr gab Scholz gegenüber ei­
ner Handvoll Lampedusa­Flüchtlin­
gen den Wahrer des funktionieren­
ben in den vergangenen Wochen
gleich den Austritt aus der CDU
erklärt. Allein im September sind
schätzungsweise 100 Austritte ge­
nommen. Trotzdem hat Scholz nicht
des Zeitdrucks bisweilen am Rande
Deutschland der unbegrenzten Mög­
es denn auch nicht beim höflichen
Kriegsflüchtlingen und überforder­
ten Nachbarschaften längst Ausmaße
eines beginnenden Notstandes ange­
und den Bürgern auf der anderen
Seite gegeben", konstatiert Landes­
vorstandsmitglied de Vries, der als
Strategieberater Bürgerschaftsfrakti­
onschef Andre Trepoll zuarbeitet.
Mit welcher Strategie aber könn­
te eine sowieso gebeutelte Stadt­
staat­CDU reagieren? Natürlich mit
Kritik an der Landesregierung. Rot­
wohl stimmt es trotzdem in Teilen.
Äußern ihres Unmutes. Dutzende ha­
das Ganze mit in Zelten frierenden
Medien und Politik auf der einen
offenbar so, als wolle die Kanzlerin
alle Welt einladen, es einfach mal im
Mail­ und Brief­Schreiber belassen
setzen und eine Regierungserklärung
zum Thema abzugeben. Dabei hatte
Denn SPD­Bürgermeister Olaf
den Rechtsstaats. Als dann aber
der Rechtsstaatlichkeit ­ und riskiert
mit all dem eine Reihe von Prozess­
niederlagen gegen Anwohner.
CDU­Landeschef Roland Heintze
holte am Montag denn auch die gro­
ße Keule heraus. Am besten stelle
man die Zusammenarbeit mit Rot­
Grün auf allen Ebenen einstweilen
komplett ein, schlug er vor. Schließ­
lich setze der Senat das Asylpaket
nicht um, schiebe fast gar nicht ab,
tue nicht genug für eine engere Zu­
sammenarbeit mit den Nachbarlän­
dern und beziehe die Bürger bei der
Planung von Unterkünften nicht ge­
nügend ein. Zwar gab es auch aus der
CDU Widerspruch für diesen Vor­
stoß. Das sei wohl die Privatmeinung
des Chefs, Fundamentalopposition
bringe nichts, ätzte etwa Fraktionsvi­
ze Karin Prien. Auch Bürgerschafts­
fraktionschef Andre Trepoll wider­
sprach Heintze. Aber es gab auch
Unterstützung. Heintzes Vorstoß sei
legitim, sagte der Harburger CDU­
Zehntausende entgegen aller Re­
geln kamen, war sein Senat augen­
Fraktionschef Fischer. Schließlich
zählt worden. Im Oktober noch um
scheinlich nicht vorbereitet ­ obwohl
dem Thema bisher keinen besonders
die 50.
die Entwicklung sich bereits län­
ger abgezeichnet hatte. Erst im Ok­
guten Job gemacht und kein um­
fassendes Konzept vorgelegt ­ eine
tober (und auf Druck von CDU­
klare Kritik an der für das Thema
Fraktionschef Andre Trepoll) hat
zuständigen stellvertretenden Frakti­
Scholz es nach Monaten des Zu­
onsvorsitzenden Karin Prien.
stroms für wert befunden, einen zen­
Insgesamt wird Heintzes Vorstoß
als Versuch gedeutet, ein wenig die
"Es war ja richtig, dass die Kanzle­
rin die Flüchtlinge aus Ungarn nach
Deutschland gelassen hat, das war ei­
ne ganz besondere Situation", sagt
der Harburger CDU­Bezirksfrakti­
onschef Ralf­Dieter Fischer zwar.
tralen Flüchtlingsbeauftragten einzu­
habe die Bürgerschaftsfraktion bei
Konservativen zu bedienen. Damit
sie nicht alle die Partei verlassen.
Am Donnerstag berieten die Spitzen
der Bezirks­ und der Bürgerschafts­
fraktion mit Landeschef Heintze im
künftig besser in der Partei abstim­
men wolle, sagte Prien nach der Sit­
zung. Heintze dürfte sich gleichwohl
nicht den Mund verbieten lassen:
Rathaus in der sogenannten "unech­
"Wir sind uns einig, dass die CDU
ihr Spektrum auch in Hamburg voll
ten Bismarckrunde" das weitere Vor­
abdecken muss", betonte er. "Dazu
gehen. Ergebnisse: Die Bezirksfrak­
gehört es, auch die Menschen anzu­
sprechen, die der massiven Zuwan­
derung skeptisch und mit Sorge be­
gegnen." Außerdem setze sich Rot­
Grün "in Hamburg immer häufiger
über rechtsstaatliche Prinzipien hin­
tionschefs wollen in der nächsten
Woche gemeinsam öffentlich in die
Offensive gehen. Man sei außerdem
übereingekommen, dass man sich
weg", so Heintze ­ da sei es der Job
der CDU, gegenzuhalten.
Auch an Angela Merkel hat Heint­
ze ein paar Forderungen: "Der Bund
sollte die Kosten für die Flüchtlings­
unterbringung übernehmen ­ mehr
zentrale Verteilung würde ebenfalls
helfen. Hamburg nimmt deutlich
mehr Flüchtlinge auf als nötig. Wir
brauchen endlich Klarheit beim The­
ma. Auch von der Bundesregierung."
Ob die Hamburger CDU bei der eige­
nen Kanzlerin wohl mehr Gehör fin­
det als beim rot­grünen Senat?
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