Kurzer Prozess. Angezogen Ausgezogen Umgezogen Cordsakko und Birkenstocks: Styleguide für LehrerInnen Minirock und Muskelshirt: (K)ein Outfit für die Schule? Von Uniform bis Kleiderordnung: Was bringt‘s? Wenn LehrerInnen unter der Pubertät leiden … Fotos (von oben nach unten): gerhard64 ,Alex - / photocase.de; macau, shaunwilkinson / fotolia.com Es ist eine schwere Bürde, die er trägt. Aber er trägt sie gern. An jedem Morgen, überall in der Republik ab acht Uhr, mal etwas früher, mal etwas später, nimmt der deutsche Lehrkörper im Surren der Tageslichtprojektoren seinen Dienst auf und formt aus jungen unbedarften Seelen mündige BürgerInnen, lässt die Bildung süßem Honig gleich in willige Schülerköpfe fließen, auf dass sie eines Tages alle zu produktiven LeistungsträgerInnen geraten. Schule könnte so schön sein, wenn es da nicht … Kaum wirft der erste Frühlingstag sein Licht in die altehrwürdigen Gemäuer deutscher Bildungsanstalten, wird den verdutzten PaukerInnen mit aller Gewalt klar: Früher oder später ereilt jeden ihrer Schützlinge die Pubertät. Die trumpft ja bekanntlich nicht nur mit launischen Gemütszuständen auf. Auch physische Veränderungen plagen den reifenden Nachwuchs. Das macht das Anziehen schwer. Schnell greift man daneben. Unversehens prangen ungebeten ungenierte Körperteile Schutzbefohlener beiderlei Geschlechts in Sichtweite der bemühten AkademikerInnen. Da platzt Frau Schneider im Textilunterricht der Häkelkragen, Herrn Müller bersten im Deutschunterricht vor Schreck die Tweedflicken vom Jackett und bei Frau Schmidt rollen sich empört die olivfarbenen Fußnägel bis über die Birkenstockschnallen. Vor lauter NICHTWISSENWOMANHINSEHENSOLL fällt Herrn Meyer auf, dass der Chemieraum wieder gestrichen werden könnte und so manchem vom Schreibtischlampenschein gegerbten Pädagogen kriecht ein unheimlicher Schauer unter den Pullunder. Ja sogar dem Herrn Direktor wird schon ganz mulmig unter seiner Jack-Wolfskin-Allwetterfolie. Und die SchülerInnen sind derweil dermaßen abgelenkt, dass man nur noch von wachkomaähnlichen Zuständen sprechen kann. Immer öfter halten sich die Heranwachsenden nach dem Sport ungewöhnlich lange in den Umkleiden auf. Wo soll das noch hinführen? Auf den Tischen in den Lehrerzimmern stapelt sich der Unmut. Einige KollegInnen brummen schon: „Was fällt diesen Rotzlöffeln ein, reifende Körper in den Unterricht mitzubringen! Kann man da nicht …?“ Kleidervorschriften? Aber sicher! Überhaupt kein Thema, wenn man Selbstbestimmung bei Jugendlichen für übertrieben hält. SchülerInnen und Eltern könnten allerdings im Gegenzug entsprechende Forderungen an die LehrerInnen herantragen. Ob Jeanshemden dann endgültig der Vergangenheit angehören werden? Frisurentechnisch ist da bestimmt eine Menge herauszuholen. Für ein Verbot von bunten Jeanshosen ist es leider zu spät. Die haben die Hipster längst für sich entdeckt. Also genug der verpassten Gelegenheiten! Wer setzt die Petition auf? Ich bin dabei! Auf dass die modische Gleichförmigkeit uns alle beflügeln möge. Schade eigentlich, dass man so etwas nicht schon früher durchgesetzt hat … Christofer mit F ist Vize-NRW-Meister im Poetry Slam. In seinem zweiten Leben ist er Lehrer für Latein und Geschichte. 2 punktlandung 2015.2 Die Sprache der Kleidung Hotpants, Schlabberhosen, Tanktops und Co in der Schule? Laut vielen Schulordnungen absolute No-Gos. Doch woher kommt die Haltung gegenüber bestimmten Kleidungsstücken? Kleider haben ihre eigene Sprache. Sie „transportieren Ordnungsmuster, die es uns in Sekundenschnelle erlauben den gegenüberliegenden Menschen gesellschaftlich einzustufen“, so Iris Kolhoff-Kahl, Professorin für Textilgestaltung. Diese „konformen Muster des kollektiven Wissens“ sind durchaus hilfreich, um sich in Alltagssituationen schnell zurechtzufinden. Hinter einem Herrn im Anzug vermuten wir direkt Seriosität, vielleicht einen Bankangestellten, würden aber kaum an einen Hausmeister denken. Bei Frauen mit Kopftuch, jungen Mädchen in Hotpants oder bei TrägerInnen von Spruch-T-Shirts flammen entsprechend andere (vorurteilende) Bilder in unseren Köpfen auf. Diese Vorurteile sind jedoch nicht vorherbestimmt, sondern bedingt durch unsere kulturelle Brille. Das Umfeld und die Kultur, in der wir aufwachsen, beeinflussen die Art, wie wir Dinge wahrnehmen und wie wir bestimmte (Kleidungs-)Symbole einordnen. In verschiedenen Kulturkreisen verbinden Menschen völlig andere Dinge mit genau denselben Kleidungsstücken und -symbolen: „Schwarz bedeutet nicht notwendigerweise Trauer, ein Rock bedeutet nicht in allen Kulturen weiblich“, weiß Designforscher Professor Carlo Sommer. Kleidung ist somit das Ergebnis einer soziokulturellen Übereinkunft und ein „Medium nonverbaler Kommunikation“. Kleidung bietet die Möglichkeit, eigene Identitätsvorstellungen für andere sichtbar zu machen. Dabei ist die Balance zwischen Anpassung und Abgrenzung besonders wichtig. Weicht Kleidung zu sehr von der kulturell vereinbarten Normalvorstellung in einer bestimmten Situation ab, so müssen die TrägerInnen mit Sanktionen rechnen. Man kann sich gut vorstellen, was passiert, wenn eine Frau im Bikini auf eine Hochzeit geht. Ähnlich verhält es sich, wenn sich SchülerInnen entgegen der Norm kleiden. Sie fallen auf und stören das Normalbild. Gerade Jugendliche nutzen Kleidung jedoch, um mit ihrer eigenen Identität zu experimentieren. Diese zweite Haut bietet ihnen die Möglichkeit, verschiedene Rollen einzunehmen und sich selbst darin zu erproben. Für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit ist das sehr wichtig, kann jedoch bei (vermeintlichen) Verstößen gegen kulturell vorherrschende Kleidungsnormen zu Unverständnis und Konflikten führen. Auch LehrerInnen in scheinbar unpassender Kleidung sorgen für Unruhe. Berufskleidung in anderen Bereichen, wie zum Beispiel bei Bankangestellten, ist häufig vereinheitlicht. Insbesondere Uniformen symbolisieren den Berufsstand und dienen häufig auch dem Schutz der Person, deren Individualität hinter der Kleidung zurücktritt. Im Vordergrund steht die durch die Kleidung verdeutlichte Funktion der Person. Gleichzeitig verändern Uniformen Fotos (von oben nach unten): aimy27feb / shutterstock.com; flobox, himberry / photocase.de; Lucy Liu / shutterstock.com nicht nur den äußeren Habitus von Menschen, sondern bestimmen auch ihre Verhaltensweise, schrieb Ingeborg Petrascheck-Heim bereits 1966 in „Die Sprache der Kleidung: Wesen und Wandel der Tracht, Mode, Kostüm und Uniform“. Wir verhalten uns also entsprechend der Kleidung, die wir tragen. Für LehrerInnen gibt es in Deutschland keine vorgeschriebene Berufskleidung. Geht man vom Rollenverständnis einer modernen Lehrkraft als LernbegleiterIn oder Lerncoach aus, die SchülerInnen unterstützt, ohne dabei allzu sehr im Mittelpunkt zu stehen, gleichzeitig aber auch eine Vorbildfunktion erfüllt, so können sich LehrerInnen selbst die eine oder andere Regel für angemessene Kleidung ableiten. Eva-Christin Koch ist Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Fakultät für Kulturwissenschaften der Universität Paderborn für das Fach Textilgestaltung. 3 punktlandung 2015.2 Von Hotpants und Minirock: (K)eine Kleidung für die Schule? In regelmäßigen Abständen sorgen knappe, viel Haut freilegende Outfits von Schülerinnen für Schlagzeilen. Im Sommer 2015 waren es Hotpants, die für Unruhe in Schulen und mediale Aufmerksamkeit sorgten. Zeit und Spiegel, taz und FAZ, aber auch die Bravo widmeten sich dem Thema. Aufhänger war in diesem Jahr unter anderem der Elternbrief der baden-württembergischen Schulleiterin Bianca Brissaud aus der Grund- und Werkrealschule Altheim / Horb. Sie moniert darin Hotpants als Kleidung von Schülerinnen und verweist gleichzeitig auf einen Beschluss des Kollegiums, keine aufreizende Kleidung in der Schule zu dulden und an einer schulischen Kleiderordnung zu arbeiten. Als direkte Maßnahme wird beschlossen: „Wer zu aufreizend gekleidet ist (zum Beispiel bauchfreies Shirt, Hotpants, ...), der bekommt von der Schule ein großes T-Shirt gestellt, das er oder sie sich bis zum Schultagsende anziehen muss.“ Die Schulleiterin erläutert weiter, dass es nicht um die Unterdrückung der Individualität der Kinder gehe, sondern vielmehr um einen Beitrag für ein gesundes Schulklima, in dem auch gesellschaftliche und soziale Werte gelebt und gefördert werden. Wenn guter Stil zum Missverständnis wird Fotos (von links nach rechts): inkje, Lauriator. Svea Anais Perrine., katdoubleve, steffne, cathi fischer, Nadine Platzek / photocase.de 4 Diese Anliegen und die Argumentationen sind keinesfalls neu. Sie beziehen sich auch nicht auf Einzelfälle. Vielmehr wiederholen sie sich im Wandel von Moden, die mit einer Art vestimentärer Nacktheitsrhetorik arbeiten. Das heißt, dass verschiedene Haut- und Körperzonen des weiblichen Körpers freigelegt werden und Körperpartien so sexualisiert hervorgehoben werden. Körperzonen, die freigelegt werden, sind unter anderem von Moden abhängig. Vor etwa zehn Jahren, auf der Höhe einer durch die Popsängerin Britney Spears verbreiteten Mode, waren es bauchfreie Shirts und Hüfthosen, die Blicke auf entblößte Bäuche, Hüften und Gesäßzonen gestatteten. Auch bei diesem Modephänomen zeigten sich Schulleitungen und Kollegien alarmiert. Sie wollten diese Form modischer Entblößung im Schulalltag nicht akzeptieren. Schulministerien einiger Bundesländer sahen sich mit dem Anliegen konfrontiert, Erlasse zu formulieren, die das Tragen dieser Kleidung unterbinden sollten. Im Schulalltag kam es zu Missverständnissen, wenn von Fragen eines guten Stils die Rede war. Während Schulleitungen hiermit die Einhaltung eines angemessenen Kleidungsstils für die Schule meinten, kommentierten Schülerinnen, dass sie weiterhin auch in der Schule ihren Style tragen wollten. Sie argumentierten, dass der Bauchfrei-Style Ausdruck ihrer modischen Identität sei und gerade Jugendliche sich hiermit ausdrücken wollen. Die Stil- beziehungsweise Stylefrage wurde somit aus unterschiedlichen Rahmenperspektiven betrachtet. In den sprachlichen Differenzen der Bekleidungsstile spiegeln sich soziale Distinktionen, die an Pierre Bordieus Theorien der Feinen Unterschiede erinnern. Sie beziehen sich hierbei auf unterschiedliche Habitualisierungen von Erwachsenen in den sozial und institutionell hierarchisierten Positionen als LehrerInnen oder SchulleiterInnen und auf die von Jugendlichen, die aktiv im sozialen Rahmen jugendkultureller und modischer Stile agieren. Kurz, kürzer, Mini: eine historische Einordnung Im historischen Rückblick auf die 1960er Jahre findet man ein weiteres Beispiel des modischen Anstoßes im Sozial- und Erziehungsraum Schule: den Minirock. Zur Diskussion stand damals die Rocklänge und mit ihr die Entblößung der Beine, der Knie und der Oberschenkel. Wie hoch durfte die Rockkante rutschen? Wie viel Bein durfte zu sehen sein? An Schulen kam es zu eigenartigen Regelungen: An einer Londoner Schule sollte beispielsweise die Rocklänge der Mädchen durch den Klassensprecher kontrolliert werden. Bei 175 cm großen Mädchen galten zum Beispiel – vom Knie an aufwärts gemessen – maximal 16,5 cm sichtbares Bein als akzeptabel. So bettet sich das aktuelle modische Ärgernis in einen Kanon immer wieder auftretender Probleme ein, die Schulen im Umgang mit sexualisierten Outfits von Schülerinnen punktlandung 2015.2 haben. Sie scheinen sich von Generation zu Generation fortzusetzen. Dabei ist zu beachten, dass beklagende Pädagoginnen von heute in den 1960er Jahren möglicherweise selbst begeisterte Trägerinnen von Miniröcken und engen Jeans in der Schule waren. Das Wiederkehren ähnlicher Modephänomene im Schulkontext und die Modebiografien heutiger Lehrender erfordern Blick- und Perspektivenwechsel: Wie reagierten Eltern und LehrerInnen auf eigene jugendkulturelle Outfits? Welche Möglichkeiten suchte und nutzte man selbst, um sich vom Bekleidungshabitus der Erwachsenengeneration abzugrenzen? (Auch) eine Stylefrage: die eigene Geschlechterrolle Auch genderreflexive Blicke auf die schulischen Bekleidungsphänomene sind sinnvoll. Denn an den genannten Beispielen fällt auf, dass scheinbar nur weibliche Schülerkörper provozieren, während sexualisierte Outfits von Jungen – beispielsweise hautenge Muskelshirts – im schulischen Feld nicht zur Diskussion stehen. Wie das Londoner Beispiel der 1960er Jahre zeigt, werden Jungen in Einzelfällen sogar als Schiedsrichter für die Einhaltung schicklicher Bekleidungsregeln eingesetzt. Außerdem wird in den Diskussionen wiederholt das Argument eingeworfen, dass die freizügige Kleidung von Schülerinnen Mitschüler vom Lernen abhalte und Lehrer provoziere. In Schulen als Lern- und Aktionsorten des konstruktiven Umgangs mit gesellschaftlicher und sozialer geschlechtlicher Heterogenität müssten differenzierte Antworten gesucht und soziokulturelle, vestimentäre Kompetenzen entwickelt und praktiziert werden. Die Idee, Schülerinnen übergroße T-Shirts zu verordnen, mit denen aufreizende Outfits versteckt werden, scheint keine Lösung. Denn so findet keine pädagogisch-didaktische Auseinandersetzung mit soziokulturellen Weiblichkeits- und Männlichkeitskonstruktionen durch Bekleidung und Moden statt. Ebenso bleibt eine Analyse der Hintergründe der Phänomene und des Mode- und Schönheitshandelns von adoleszenten SchülerInnen aus. Die großen und vielschichtigen Herausforderungen von pubertierenden Mädchen und Jungen, ihre Körper geschlechtlich neu bewohnen zu lernen und durch vestimentäre Styles zu interpretieren, werden kaum pädagogisch bedacht und curricular berücksichtigt. Hier wird die vielschichtige Bedeutung, die Kleidung bei der sozialen und kulturellen Konstruktion von Geschlecht und auch bei Prozessen jugendkulturellen Verortens hat, nicht berücksichtigt. Für Pubertierende und Adoleszente sind dies jedoch existenzielle Prozesse, die gerade auch im Feld der Schule ausgetragen werden. Nackte Tatsachen: Lernen über textile Kultur Über den Kontext von Pubertät und Adoleszenz hinaus müssen die skizzierten Modephänomene auch im übergreifenden Kontext einer medialen Nacktheitsvergesellschaftung betrachtet werden. Hier sollten unterrichtliche Möglichkeiten genutzt werden, durch Medienanalysen vestimentäre Rhetoriken der Nacktheit mit SchülerInnen zu erkunden. Anknüpfungspunkte können mediale Starinszenierungen sein oder auch Analysen von Modejournalen und Werbung. In den kulturell heterogenen Feldern von Schule können Modefragen auch Kulturvergleiche einbeziehen: Wie wird Ver- und Enthüllen von SchülerInnen muslimischen Glaubens interpretiert? Wo gibt es Differenzen? Wo gibt es Überschneidungen? Wie kann man mit unterschiedlichen vestimentären Praktiken umgehen? SchülerInnen und auch Lehrende können in kulturellen Feldforschungen Bekleidungsfragen gemeinsam untersuchen und sich dabei gerade auch auf die Ambivalenz und Heterogenität des Feldes Schule beziehen. Im Modus des gemeinsamen Feldforschens können vielschichtige vestimentäre Lernprozesse stattfinden, in denen Jugendliche als kompetente Bekleidungs- und Modeakteure gesehen werden. Bekleidungserlasse wären in einem solchen sozialen Schul- und Lernfeld wahrscheinlich überflüssig. Dr. Beate Schmuck ist akademische Oberrätin am Institut für Kunst und Materielle Kultur an der Technischen Universität Dortmund. punktgenau GEW sagt: Regeln ja – Normierung nein! Während Schuluniformen in Großbritannien eine lange Tradition haben, steht Deutschland dem Einheitslook in Schule eher kritisch gegenüber. Auch die GEW findet: Gute Schule funktioniert anders. Seit 2006 enthält das nordrhein-westfälische Schulgesetz in Paragraf 42 diese Regelung: „Die Schulkonferenz kann eine einheitliche Schulkleidung empfehlen, sofern alle in der Schulkonferenz vertretenen SchülerInnen zustimmen.“ Dass die SchülerInnen in dieser Angelegenheit zustimmen müssen, mag überraschen. Schließlich stand die Regelung im Schulgesetz von CDU und FDP, das Elemente der Schwarzen Pädagogik – etwa auch die Kopfnoten – enthielt. Warum war die damalige Landesregierung in der Klamottenfrage so zögerlich? Das äußere Erscheinungsbild von SchülerInnen ist grundsätzlich eine persönliche Angelegenheit, die durch die Grundrechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie das elterliche Erziehungsrecht geschützt wird. Eine verbindliche Einführung ein- heitlicher Schulkleidung kann vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund nicht durch die Schulordnung erfolgen. Schulkonferenzen können hierzu nur empfehlende Beschlüsse fassen. BefürworterInnen der Schuluniform betonen, sie trage dazu bei, Ausgrenzung zu vermeiden und ein gutes Lern- und Sozialklima zu entwickeln. Sie verweisen auf die Tradition von Schuluniformen, wie es sie in angelsächsischen Ländern gibt. Das Verständnis der GEW von guter Schule ist jedoch ein anderes: Eine gute Schule findet gemeinsam mit allen Beteiligten Regeln, die berücksichtigen, dass Kleidung natürlich auch Kommunikation ist, die Abgrenzung sein und Gruppenzugehörigkeit signalisieren kann. Diese Regeln müssen aber der Individualität der SchülerInnen Raum geben. Vergleiche mit anderen Ländern und Traditionen haben ihre Grenzen – die Inbrunst bei „Rule Britannia“ ist auch nicht übertragbar. Frauke Rütter ist Referentin der GEW NRW. 5 punktlandung 2015.2 Zwischen Bevormundung und persönlicher Freiheit Joggingbuxe, Leggings, Minirock – über moderne Kleidung lässt es sich lange diskutieren. Doch was gilt als angemessen in der Schule? Die Willy-Brandt-Schule in Mülheim an der Ruhr macht‘s vor. Die Willy-Brandt-Schule in Mülheim an der Ruhr hat sich vor einiger Zeit auf den Weg gemacht, die eigenen Schulregeln zu revidieren und weiterzuentwickeln. In diesen Prozess wurden Eltern, SchülerInnen und das Kollegium gleichermaßen einbezogen. „Unsere Schule existiert schon seit über 25 Jahren und so wurde es Zeit, unser Regelwerk grundlegend zu überarbeiten und den heutigen Ansprüchen anzupassen“, sagt die Schulleiterin der Städtischen Gesamtschule Ingrid Lürig. Immer wieder kam es zu Missverständnissen und Unklarheiten in der Interaktion und im Umgang mit dem schulinternen Regelwerk. Interessen von SchülerInnen und Ansprüche der unterrichtenden KollegInnen prallten aufeinander und sorgten für unnötigen Konfliktstoff. Eine umfassende Revision stand an. Ein besonderer Fokus kristallisierte sich in der Diskussion heraus: Wie kleidet man sich angemessen in der Schule? Hier standen vor allem immer wieder Irritationen im Vordergrund, die für Zündstoff sorgten. Nicht nur innerhalb der Schule, sondern auch zu Hause bei den SchülerInnen führte das Thema Kleidung regelmäßig zu intensivem Gesprächsbedarf. Ist die Hose zu kurz, der Ausschnitt zu tief, der Trainingsanzug zu leger oder der Aufdruck auf dem T-Shirt zu provokativ? Kleidungsfrage? Schwierige Frage! Fotos (von oben nach unten): jreika / shutterstock.com, dmitri_gromov / fotolia.com Tarzhanov / shutterstock.com „Mir ging es schlichtweg auf die Nerven, dass ich mich als Lehrer ständig rechtfertigen musste, wenn Kevin mal wieder in seiner schlabbrigen Jogginghose zur Schule kam“, erzählt ein damals gestresster Kollege. „Der Schüler sah es überhaupt nicht ein, dass er sich in der Schule anders zu kleiden hat, als würde er abends gemütlich auf der Couch liegen“, so der Kollege weiter. „Das war kein Einzelfall“, erklärt Schulleiterin Ingrid Lürig. „Immer wieder standen KollegInnen bei mir im Büro, die sich darüber beklagten, dass SchülerInnen unpassend gekleidet waren.“ Aber was ist eigentlich unpassende Kleidung für die Schule? Diese Frage wurde in Workshops und Konferenzen umfassend diskutiert. Die kontroversen Seiten waren schnell klar: Zum einen sollen sich SchülerInnen frei entfalten, ihre Meinung sagen und ihr persönliches Profil entwickeln, zum anderen sollen von der Schule klare Linien aufgezeigt werden: Der Klassenraum ist weder ein Fitnessstudio noch der Strand von Mallorca. Die Lösung: eine Kleidungspräambel Zwischen diesen Kontroversen wurde der Konsens in der Kleidungsordnung der Willy-Brandt-Schule gesucht und gefunden: „Unsere Schule ist ein öffentlicher Ort und daher haben wir grundsätzlich alle das Recht, frei über die Wahl unserer Kleidung zu entscheiden. Wichtig bei der Auswahl ist, dass wir niemand anderen damit irritieren“, lautet ein Auszug aus der Schulordnung. Zu dieser „Kleidungspräambel“ sind Zeichnungen mit Empfehlungen entwickelt worden, die allen die Kleidungswahl erleichtern sollen. Der Prozess der Revision kostete Zeit, Kraft und vor allem Arbeit. In allen Beteiligungsbereichen der Schule fand eine fast gleiche Arbeitsstruktur statt: Sowohl im Kollegium und in der Elternpflegschaft als auch in der SchülerInnenvertretung wurden Analysen durchgeführt, um herauszufinden, welche Schulregeln sinnvoll beziehungsweise redundant sind und welche hinzukommen beziehungsweise erweitert werden müssten. In Workshops und Konferenzen wurden Vorschläge erarbeitet und dann in einer Steuerungsgruppe zusammengetragen. Neben der Revision des Regelwerks sollte dieses vor allem richtig vermittelt und die Akzeptanz dafür bei allen Beteiligten verstärkt werden. Entscheidungshilfe vor dem Kleiderschrank „Am Anfang fand ich es nicht so toll, dass die Schule mir vorschreibt, was ich anzuziehen habe“, sagt eine Schülerin der neunten Jahrgangsstufe. „Inzwischen merke ich aber, dass mir die Entscheidung morgens vor dem Kleiderschrank erleichtert wird. Ganz bestimmte Kleidungsstücke lasse ich einfach links liegen, die haben in der Schule nichts zu suchen.“ Die Schulgemeinde hat sich darauf verständigt, dass es sich nicht um eine Kleidungsvorschrift handelt, sondern um eine Handreichung und Entscheidungshilfe. „Natürlich dürfen Schülerinnen bei uns Leggings tragen. Allerdings nur, wenn sie darüber eine kurze Hose oder ein langes Oberteil anziehen“, erklärt Ingrid Lürig. „Es geht nicht um Einschränkung oder Bevormundung – wir bereiten die SchülerInnen auf das berufliche 6 punktlandung 2015.2 Leben und das Verhalten in unserer Gesellschaft vor. Dazu gehört auch, dass man sich den Anlässen entsprechend zu kleiden hat!“ Die Kleiderordnung erlaubt zum Beispiel sportliche Kleidung. Nur das Tragen von Jogging- oder Trainingsanzügen in der Schule ist unerwünscht – abgesehen vom Sportunterricht. Darüber hinaus ist die Kleidung so zu wählen, dass sie frei von Aufdrucken ist, die Rassismus, Drogen oder Gewalt verherrlichen. es sind alle wichtigen AnsprechpartnerInnen zu finden. Jedes Schuljahr werden die Regeln gemeinsam besprochen und erneut erläutert. Besiegelt werden die Vereinbarungen durch Unterschriften aller Beteiligten und der Verpflichtung, sich an diese zu halten und die Schule in ihrer Bildungs- und Erziehungsaufgabe zu unterstützen. Mathias Kocks ist stellvertretender Schulleiter der Willy-Brandt-Schule in Mülheim an der Ruhr. Schulordnung als Orientierungshilfe Neben einer Kleiderordnung gab es im Rahmen des Revisionsprozesses zum Beispiel auch eine Neufassung der Absprachen im Umgang mit neuen Medien – speziell mit der Handhabung von Handys in der Schule – und eine flächendeckende Einführung von Lernzeiten und Konfliktlösungsstrategien. Der Erfolg des Konzeptes wird sichtbar: Die Anzahl der Ordnungsmaßnahmen ist in den letzten Jahren rückläufig und eher als gering einzustufen. Dies lässt unter anderem darauf schließen, dass die Akzeptanz der Schulordnung durch die Schulgemeinde als relativ hoch zu bewerten ist. „Es gibt natürlich auch immer wieder SchülerInnen, die den vereinbarten Ordnungsrahmen verlassen. In diesen Fällen setzen wir uns direkt mit dem Elternhaus in Verbindung“, so die Schulleiterin. „Wir erinnern daran, dass die Schulordnung nicht nur vom Kollegium, sondern auch von SchülerInnen und der Elternpflegschaft verfasst wurde – das hilft in der Regel!“ Die Schulordnung wird jährlich neu im sogenannten Logbuch abgedruckt. Das Logbuch ist ein Kommunikationsmittel zwischen Schule, SchülerInnen und dem Elternhaus. Darin werden alle wichtigen Dinge notiert. Über das Logbuch erfolgt das Entschuldigen von Fehlstunden und Der ganze Kopf ist sichtbar. Wir verzichten im Unterricht auf Kappen, Mützen, Jacken, Kopfbedeckungen und tragen keine Sonnenbrillen. Alles bleibt verborgen. Wir zeigen keine tiefen Ausschnitte und lassen keine Unterwäsche hervorblitzen. Hier sieht man keine Haut. Bauchnabel und Unterwäsche bleiben bedeckt. Texte und Bilder. Die Kleidung ist frei von Aufdrucken, die Rassismus, Sexismus, Drogen oder Gewalt verherrlichen. Leggings sind ok. Aber wir ziehen eine kurze Hose, einen Rock oder ein langes Oberteil darüber. Sportliche Kleidung ist ok. Aber wir laufen nicht im Trainingsanzug oder Jogginghose herum. Illustration: Willy-Brandt-Schule, Mülheim an der Ruhr punktgenau Schulkleidung ist nicht Schuluniform Die ehemalige Studienrätin Karin Brose hat im Jahr 2000 deutschlandweit erstmalig einheitliche Kleidung an einer Hamburger Schule eingeführt. Warum sie von dem Einheitslook überzeugt ist, erzählt sie im punktlandung-Interview. punktlandung: Was sind die Unterschiede zwischen Schuluniform und Schulkleidung? Karin Brose: In Großbritannien bestimmen die Schulen das Outfit für die Kinder und Jugendlichen – bei SchülerInnen stärkt das häufig Unmut und Widerstand, die Vorschriften werden unterlaufen. Und obwohl alle schwarze Schuhe tragen müssen, ist genau zu erkennen, ob sie vom Grabbeltisch stammen oder die teure Variante aus dem Designer-Shop sind. Kaschmir oder Polyester – die unterschiedliche Qualität der Kleidung spiegelt die Finanzkraft der Elternhäuser ins Klassenzimmer. Meine Vision einer Bekleidung für SchülerInnen geht dahin, eine Einheitlichkeit ohne Uniformierung bei gleichzeitig hoher Akzeptanz durch SchülerInnen und Eltern zu erreichen. Eine solche Bekleidung muss modern und frei wählbar sein. SchülerInnen dürfen sich nicht verkleidet fühlen. Seit 2000 arbeite ich an einem solchen Bekleidungskonzept für Schulen in Deutschland: Mit „Schulkleidung“ habe ich einen neuen Begriff für Arbeitskleidung in der Schule geprägt. Was macht Schulkleidung aus? Die meisten SchülerInnen identifizieren sich mit ihrer Schulkleidung, weil sich alle aus einer Kollektion trendgerechter Kleidungsstücke nach individuellen Gewohnheiten kleiden können. Das Angebot beschränkt sich auf einheitliche Oberteile, um nicht doch in eine Uniformität zu entgleiten und genügend persönlichen Spielraum zu lassen. Die Kollektion besteht aus klassischen Basistextilien und wird jede Saison durch Trendteile ergänzt. Farbe und Logo sind festgeschrieben. Die Anzahl der angebotenen Styles bestimmt jede Schule selbst. Ein vielseitiges Angebot ist nötig, denn SchülerInnen wollen und sollen trotz Einheitskleidung die Möglichkeit haben, sich voneinander zu unterscheiden. Was bewirken einheitliche Klamotten für den Schulfrieden? Eines dürfen wir nicht vergessen: Es bedarf einer gehörigen Portion Disziplin, jeden Tag mit einheitlicher Kleidung in den Unterricht zu gehen und damit auf ein Stück Selbstdarstellung zu verzichten. Daran muss stetig gearbeitet werden, denn Schulkleidung hat in Deutschland bisher keine Tradition. Wenn junge Menschen es dann schaffen, ihren Drang nach Außenwirkung trotz der immer präsenten Einflüsse von Handel und Medien in den Griff zu bekommen, können sie stolz auf sich sein. Schulkleidung ist moderne Kleidung mit Schullogo für Kinder und Jugendliche auf dem Weg zu besserem Lernverhalten und besseren Lernergebnissen. Sie sollte aber niemals uniform sein. Und es kommt auch auf die LehrerInnen an: Gute Lehrkräfte sind immer in der Lage aus einer Klasse ein „Wir“ zu machen. Dazu braucht es keine einheitliche Kleidung. Dennoch ist sie ein Baustein, der den Mannschaftsgeist ganz erheblich unterstützt. Meine MannschaftskollegInnen haue ich nicht in die Pfanne – Frieden. Das Buch „Schulkleidung ist nicht Schuluniform“ von Karin Brose www. 7 punktlandung 2015.2 Eine Frage der Authentizität www.nds.gew-nrw.de Alle Links und Downloads gibt es in unserer interaktiven Onlineausgabe. www. PDF Overdressed oder zu leger? Auch LehrerInnen machen sich morgens vor dem Kleiderschrank so ihre Gedanken. Doch was sagt welches Outfit vor der Klasse aus? Carolin Sponheuer ist Kommunikationstrainerin und Supervisorin. 8 Impressum Herausgeber Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft NRW Nünningstraße 11, 45141 Essen punktlandung-Redaktion Anja Heifel, Sherin Krüger fon 0201-2940355 mail [email protected] punktlandung-Layout Daniela Costa Verlag Neue Deutsche Schule Verlagsgesellschaft mbH Nünningstraße 11, 45141 Essen mail [email protected] web www.nds-verlag.de Titelfoto der punktlandung: iroto123 / fotolia.com Foto auf der Rückseite der punktlandung: Soloviova Liudmyla / shutterstock.com Julia Löhr, Jugendbildungsreferentin fon 0201/29403-84 mail [email protected] web www.junge-gew-nrw.de GEW_PUN_112 Wenn es um Schule und Kleidung geht, stehen zumeist SchülerInnen im Fokus der Öffentlichkeit. Noch im Sommer 2015 sorgte eine Schulleiterin aus Baden-Württemberg für Aufregung, weil sie ihren Schülerinnen verbot, „aufreizende Kleidung“ wie Hotpants oder bauchfreie Tops zu tragen. Über die Kleidung von LehrerInnen wird hingegen – abgesehen von der Kopftuch-Debatte – kaum diskutiert. Für die meisten älteren KollegInnen ist Kleidung vielleicht auch eher kein Thema. Jüngere Lehrkräfte machen sich durchaus mehr Gedanken vor dem Kleiderschrank und fragen sich, was sie in der Schule anziehen sollen. Man kann es sich einfach machen und das Thema mit dem Hinweis, dass es letztendlich auf die inneren Werte ankommt, abhaken. Es stimmt ja auch, dass Kleidung weder Souveränität noch Autorität und auch keine Beliebtheit schafft. Aber wer denkt, Kleidung hätte keinen Einfluss auf unsere Außenwirkung, macht sich etwas vor. Ein Lehrer, der stets denselben grünen Schlabberpullover oder dieselbe schlecht sitzende beige Kordhose trägt, gilt bestenfalls als schrullig. Und eine junge Kollegin, die in durchlöcherten Jeans und schmuddeligen Turnschuhen zur Schule geht, muss sich nicht wundern, wenn sie als Lehrerin nicht ernstgenommen wird. Natürlich kann der schrullige Kollege trotz seiner Kleidung ein allseits anerkannter Lehrer sein und auch die junge Kollegin kann sich allein durch souveränes Auftreten Respekt verschaffen. Aber beide machen es sich ziemlich schwer. Die äußere Erscheinung bestimmt zumindest so lange den Eindruck anderer, bis sie die Person besser kennengelernt haben. Die Frage, welche Kleidung im Klassenraum angemessen ist, lässt sich pauschal nicht beantworten. Schließlich sollte man sich wohlfühlen und nicht wie verkleidet. Wichtig ist, dass die Kleidung gepflegt ist. Denn SchülerInnen schauen sehr genau hin: Egal ob kaputte Schnürsenkel, fettige Haare, gammelige Strickpullover – in 45 Minuten Unterricht entgeht ihnen nichts. Ein eher sportlicher Kleidungsstil ist völlig in Ordnung. Ein Blazer kann helfen, sich äußerlich von den SchülerInnen zu unterscheiden. Mit einer Krawatte ist man an den meisten Schulen overdressed. Wer unsicher ist, kann sich in Stilfragen am Kollegium orientieren. Doch man sollte sich auch nicht zu sehr den Kopf zermartern: Denn zu einer starken Lehrerpersönlichkeit gehört vor allem Authentizität.
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