Der Bünder Liedermacher Linard Bardill lässt Grosseltern und

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GROKI-CHÖRE
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Der Bünder Liedermacher Linard Bardill lässt Grosseltern
und Enkelkinder zusammen singen. Er gründet gleich in
mehreren Schweizer Städten GroKi-Chöre.
DER CHORHERR
Von GEORG GINDELY (Text)
und OLIVIA ITEM/SÜDOSTSCHWEIZ (Fotos)
L
inard Bardill ist ein Hansdampf in allen
Gassen: Der Bündner ist Theologe, Liedermacher, Schriftsteller, Kolumnist und fünffacher
Vater. Nun lanciert der 59-Jährige ein neues
Projekt. Er ruft in mehreren Schweizer Städten Chöre
für Grosseltern und ihre Enkelkinder ins Leben. Die
ersten GroKi-Chöre, wie sie Bardill nennt, entstehen
in Chur, Zürich und St. Gallen. Weitere Chöre sind
in Luzern, Bern und Winterthur geplant. Im Moment
sucht der Liedermacher Sängerinnen und Sänger aus
beiden Generationen. Fürs Casting melden können
sich Grossväter und Grossmütter mit ihrem Enkelkind,
ein Chor soll aus etwa 30 bis 50 Mitgliedern bestehen.
MIT KINDERN INS ALTERSHEIM
Bardill kommt ins Schwärmen, wenn er von seinem
GroKi-Projekt erzählt. Er hat selber bereits mehrmals
erfahren, was generationenübergreifende Projekte
auslösen können. Vor einigen Jahren übte er mit
50 Kindern das Singspiel «Nid so schnell, Wilhelm Tell»
ein, mit dem er anschliessend auf Tournee ging. Seine
Mutter, die in Chur in einer Alterssiedlung lebt, war
begeistert davon und fragte ihren Sohn, ob er nicht
auch einmal «etwas für die Alten» machen könne.
Klar könne er das tun, aber alleine komme er nicht.
«Ich nehme Kinder mit», sagte Bardill.
Die Kinder stellte er nicht etwa auf eine Bühne,
sondern setzte sie neben die Bewohnerinnen und
Bewohner. «Was dann geschah, war magisch», sagt
der Liedermacher. Der ganze Saal sang mit, Kinder,
Eltern, Grosseltern, und selbst schwer Demenzkranke erinnerten sich an den Text des Beresina-Liedes.
Bardill besucht seither immer wieder Altersheime
mit Kindern. Zusammen mit seiner Mutter hat er eine
Hitparade mit Liedern aus ihrer Jugendzeit entwickelt,
die er vor dem Auftritt verschickt. Die Bewohnerinnen
und Bewohner können dann abstimmen, welche
Lieder sie hören (und mitsingen) möchten.
MEHR VERBINDENDES FÜR DIE SCHWEIZ
Zwei weitere Auslöser gab es für Bardills GroKiProjekt. Seiner Ansicht nach hat die Schweiz immer
weniger, was das Land verbindet. «Vielleicht noch die
SBB oder Radio und Fernsehen SRF, aber die stehen
ja auch in der Kritik», sagt er. «Ich finde, es braucht
wieder mehr, was das Land zusammenhält. Und meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass Grosseltern und
Enkelkinder etwas extrem Verbindendes entwickeln
können.» Am intensivsten gespürt habe er das bei seinen Besuchen in Kinderspitälern. «An Krankenbetten
von Kindern habe ich oft Grosseltern getroffen und
dabei immer ein starkes Band zwischen den beiden
Generationen gespürt», sagt Bardill. «Eine ruhige, tiefe
Liebe.» Bardill besucht seit Jahren kranke Kinder im
Spital und spielt Konzerte für sie. Daneben begleitet
er sterbende Menschen, unter ihnen auch Kinder.
Das Sterben ist ein Lebensthema für Bardill, seit er
als Kind den Tod seines Grossvaters miterlebte. Der
Grossvater wurde nach seinem Tod drei Tage im Haus
aufgebahrt. Die Menschen kamen vorbei, nahmen ~
09 ~ 2015
~ Hintergrund ~
GROKI-CHÖRE
Linard Bardill:
«Grosseltern und
Enkelkinder
verbindet eine
ruhige, tiefe Liebe.»
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09 ~ 2015
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GROKI-CHÖRE
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Linard Bardill
erhofft sich mit
den GroKi-Chören
unvergessliche
Begegnungen
zwischen den
Generationen.
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«Die heutigen Grosseltern sind voller
Kraft und Saft und Ideen.»
~ Abschied und sprachen über ihre Erlebnisse mit
dem Verstorbenen. «Das hat mich nicht mehr losgelassen», sagt Bardill. Heute sei alles so anders.
«Damals haben sie meinen Grossvater zum Sterben
heimgeholt, heute bringt man die Menschen zum
Sterben ins Spital, und nachher kommen die Toten
ins Kühlfach.» Der Tod werde verdrängt. Bardill will
dem Thema Platz geben und bietet Kurse mit dem
Titel «Sterben für Anfänger» an. Wie sehen Gläubige den Tod, wie Atheisten? Gibt es etwas nach dem
Tod? «Das sind Fragen, die uns alle bewegen, aber
wir sprechen viel zu wenig darüber», sagt Bardill.
CD UND KONZERTTOURNEE GEPLANT
In den GroKi-Chören wird es nicht um den Tod, sondern ums Singen gehen. Bardill wendet sich mit der
Idee an die aktive dritte Generation, «die heutigen
Grosseltern sind voller Kraft und Saft und Ideen.»
Geplant sind sechs bis acht Probeabende und ein bis
zwei Probewochenenden oder ein Singlager. Danach
will Bardill eine CD aufnehmen und mit den Chören
auf Tournee gehen. In Chur beginnt das Projekt im
September, in St. Gallen im Oktober. An beiden Orten
finden die Proben in der Migros-Klubschule statt.
Die Kinder sollten zwischen sieben und zwölf Jahre
alt sein. «Kleinere Buben und Mädchen dürften Mühe
haben, die abendlichen Auftritte durchzustehen»,
sagt der Liedermacher. Melden können sich auch
Wahlgrosseltern und ihre Wahlenkel. Bardills Kinder
wurden oft von einer Wahlgrossmutter begleitet, weil
die wirklichen Grosseltern weit weg wohnten oder
gehbehindert waren. «Dabei entstanden tiefe Bande»,
sagt Bardill. Vor allem im Zürcher Projekt werden viele
Wahlgrosseltern mittun: Dort arbeitet Bardill mit der
Wohnbaugenossenschaft Freiblick zusammen, in der
viele Wahlgrosseltern Kinder betreuen. Der Zürcher
GroKi-Chor startet nächsten Januar.
Bardill erhofft sich von seinem neuen Projekt unvergessliche Erlebnisse für Grosseltern und ihre Enkelkinder. Übrigens: Welche Lieder sie singen werden,
ist noch nicht bestimmt. Die Chormitglieder werden
selber eine Hitparade von alten und neuen Liedern
erstellen. Aus ihr wird das GroKi-Singbuch entstehen, das später auch Grosseltern und Enkelkinder
benützen können, die nicht im Chor mitsingen. •
Wer Lust und Freude hat, in einem GroKi-Chor
zu singen, schickt eine E-Mail an [email protected]
09 ~ 2015