~ Hintergrund ~ GROKI-CHÖRE 38 Der Bünder Liedermacher Linard Bardill lässt Grosseltern und Enkelkinder zusammen singen. Er gründet gleich in mehreren Schweizer Städten GroKi-Chöre. DER CHORHERR Von GEORG GINDELY (Text) und OLIVIA ITEM/SÜDOSTSCHWEIZ (Fotos) L inard Bardill ist ein Hansdampf in allen Gassen: Der Bündner ist Theologe, Liedermacher, Schriftsteller, Kolumnist und fünffacher Vater. Nun lanciert der 59-Jährige ein neues Projekt. Er ruft in mehreren Schweizer Städten Chöre für Grosseltern und ihre Enkelkinder ins Leben. Die ersten GroKi-Chöre, wie sie Bardill nennt, entstehen in Chur, Zürich und St. Gallen. Weitere Chöre sind in Luzern, Bern und Winterthur geplant. Im Moment sucht der Liedermacher Sängerinnen und Sänger aus beiden Generationen. Fürs Casting melden können sich Grossväter und Grossmütter mit ihrem Enkelkind, ein Chor soll aus etwa 30 bis 50 Mitgliedern bestehen. MIT KINDERN INS ALTERSHEIM Bardill kommt ins Schwärmen, wenn er von seinem GroKi-Projekt erzählt. Er hat selber bereits mehrmals erfahren, was generationenübergreifende Projekte auslösen können. Vor einigen Jahren übte er mit 50 Kindern das Singspiel «Nid so schnell, Wilhelm Tell» ein, mit dem er anschliessend auf Tournee ging. Seine Mutter, die in Chur in einer Alterssiedlung lebt, war begeistert davon und fragte ihren Sohn, ob er nicht auch einmal «etwas für die Alten» machen könne. Klar könne er das tun, aber alleine komme er nicht. «Ich nehme Kinder mit», sagte Bardill. Die Kinder stellte er nicht etwa auf eine Bühne, sondern setzte sie neben die Bewohnerinnen und Bewohner. «Was dann geschah, war magisch», sagt der Liedermacher. Der ganze Saal sang mit, Kinder, Eltern, Grosseltern, und selbst schwer Demenzkranke erinnerten sich an den Text des Beresina-Liedes. Bardill besucht seither immer wieder Altersheime mit Kindern. Zusammen mit seiner Mutter hat er eine Hitparade mit Liedern aus ihrer Jugendzeit entwickelt, die er vor dem Auftritt verschickt. Die Bewohnerinnen und Bewohner können dann abstimmen, welche Lieder sie hören (und mitsingen) möchten. MEHR VERBINDENDES FÜR DIE SCHWEIZ Zwei weitere Auslöser gab es für Bardills GroKiProjekt. Seiner Ansicht nach hat die Schweiz immer weniger, was das Land verbindet. «Vielleicht noch die SBB oder Radio und Fernsehen SRF, aber die stehen ja auch in der Kritik», sagt er. «Ich finde, es braucht wieder mehr, was das Land zusammenhält. Und meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass Grosseltern und Enkelkinder etwas extrem Verbindendes entwickeln können.» Am intensivsten gespürt habe er das bei seinen Besuchen in Kinderspitälern. «An Krankenbetten von Kindern habe ich oft Grosseltern getroffen und dabei immer ein starkes Band zwischen den beiden Generationen gespürt», sagt Bardill. «Eine ruhige, tiefe Liebe.» Bardill besucht seit Jahren kranke Kinder im Spital und spielt Konzerte für sie. Daneben begleitet er sterbende Menschen, unter ihnen auch Kinder. Das Sterben ist ein Lebensthema für Bardill, seit er als Kind den Tod seines Grossvaters miterlebte. Der Grossvater wurde nach seinem Tod drei Tage im Haus aufgebahrt. Die Menschen kamen vorbei, nahmen ~ 09 ~ 2015 ~ Hintergrund ~ GROKI-CHÖRE Linard Bardill: «Grosseltern und Enkelkinder verbindet eine ruhige, tiefe Liebe.» ~ 09 ~ 2015 ~ Hintergrund ~ GROKI-CHÖRE 40 Linard Bardill erhofft sich mit den GroKi-Chören unvergessliche Begegnungen zwischen den Generationen. h c o N ! s e R w o L «Die heutigen Grosseltern sind voller Kraft und Saft und Ideen.» ~ Abschied und sprachen über ihre Erlebnisse mit dem Verstorbenen. «Das hat mich nicht mehr losgelassen», sagt Bardill. Heute sei alles so anders. «Damals haben sie meinen Grossvater zum Sterben heimgeholt, heute bringt man die Menschen zum Sterben ins Spital, und nachher kommen die Toten ins Kühlfach.» Der Tod werde verdrängt. Bardill will dem Thema Platz geben und bietet Kurse mit dem Titel «Sterben für Anfänger» an. Wie sehen Gläubige den Tod, wie Atheisten? Gibt es etwas nach dem Tod? «Das sind Fragen, die uns alle bewegen, aber wir sprechen viel zu wenig darüber», sagt Bardill. CD UND KONZERTTOURNEE GEPLANT In den GroKi-Chören wird es nicht um den Tod, sondern ums Singen gehen. Bardill wendet sich mit der Idee an die aktive dritte Generation, «die heutigen Grosseltern sind voller Kraft und Saft und Ideen.» Geplant sind sechs bis acht Probeabende und ein bis zwei Probewochenenden oder ein Singlager. Danach will Bardill eine CD aufnehmen und mit den Chören auf Tournee gehen. In Chur beginnt das Projekt im September, in St. Gallen im Oktober. An beiden Orten finden die Proben in der Migros-Klubschule statt. Die Kinder sollten zwischen sieben und zwölf Jahre alt sein. «Kleinere Buben und Mädchen dürften Mühe haben, die abendlichen Auftritte durchzustehen», sagt der Liedermacher. Melden können sich auch Wahlgrosseltern und ihre Wahlenkel. Bardills Kinder wurden oft von einer Wahlgrossmutter begleitet, weil die wirklichen Grosseltern weit weg wohnten oder gehbehindert waren. «Dabei entstanden tiefe Bande», sagt Bardill. Vor allem im Zürcher Projekt werden viele Wahlgrosseltern mittun: Dort arbeitet Bardill mit der Wohnbaugenossenschaft Freiblick zusammen, in der viele Wahlgrosseltern Kinder betreuen. Der Zürcher GroKi-Chor startet nächsten Januar. Bardill erhofft sich von seinem neuen Projekt unvergessliche Erlebnisse für Grosseltern und ihre Enkelkinder. Übrigens: Welche Lieder sie singen werden, ist noch nicht bestimmt. Die Chormitglieder werden selber eine Hitparade von alten und neuen Liedern erstellen. Aus ihr wird das GroKi-Singbuch entstehen, das später auch Grosseltern und Enkelkinder benützen können, die nicht im Chor mitsingen. • Wer Lust und Freude hat, in einem GroKi-Chor zu singen, schickt eine E-Mail an [email protected] 09 ~ 2015
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